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Autor: Heinrich Pröhle
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Titel: Die Nibelungen
Untertitel:
aus: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten, S. 4–27
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Tonger & Greven
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans eines Exemplares der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Berlin, Signatur 19 H 104 auf Commons; E-Text nach Deutsche Märchen und Sagen
Kurzbeschreibung:
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Die Nibelungen.

Bei der Sage von den Nibelungen müssen wir längere Zeit verweilen. Man versteht unter den Nibelungen immer diejenigen, welche sich im Besitze des Nibelungenschatzes befinden. Nachdem ihn Siegfried dem Drachen und dem Zwerge Nibelung abgewonnen hat, ist dieser der eigentliche Nibelungenheld. Der höchste Glanz der Schönheit, der Jugend und der Kraft ist ihm eigen und geht sogar dauernd auf seine schon vorher hochgefeierte Gemahlin Kriemhilde über. Brunhilde dagegen hat bis zu ihrer Besiegung durch Siegfried selbst einen geheimnisvollen Anteil an dem Zauber der Nibelungen. Dieser Zauber weicht aber mehr und mehr von ihr, nachdem sie Gunther übergeben ist. Nach Siegfrieds Ermordung verschwindet Brunhilde mehr aus dem Heldengedicht der Nibelungen. Aber auch Kriemhild’s Charakter verdunkelt sich allmählig nach Siegfried’s Tode. Dagegen heben sich mehr und mehr die Burgunden und besonders Hagen zu großartigen und selbst etwas edleren Gestalten, nachdem sie durch Siegfried’s Tod in den Besitz des Schatzes der Nibelungen gekommen sind. Nach Siegfried’s Tode heißen sie daher eben so gut die Nibelungen, als Siegfried selbst.

Trotz aller Hoheit, allen Edelmutes und aller Liebenswürdigkeit wird Siegfried wegen eines nur geringen Vergehens, des gegen Brunhilde ausgeübten Betruges, von einem unerbittlichen Geschicke ereilt. Aber wie sehr wir auch Hagen’s verruchte Handlung verabscheuen, so müssen wir doch von Anfang an gestehen, daß derselben kein Eigennutz, sondern nur [5] die Königstreue des mittelalterlichen Vasallen zu Grunde liegt, aus welcher auch die erhabensten Handlungen in der Geschichte seiner Zeit hervorgehen. Besonders als er bereits den Tod aller Burgunden und auch seinen eigenen voraus weiß, zwingt er uns im Kampfe mit Kriemhilde und den Hunnen immer lebhaftere Bewunderung ab. Unvergleichlich sind daher die Worte, die er zu Kriemhild spricht:

„Du hast es nach Deinem Willen zu einem Ende gebracht
Und ist auch recht so ergangen als ich mir hatte gedacht.
Nun ist von Burgonden der edle König tot,
Giselher, der junge, und auch Gernot.
Den Schatz weiß nun Niemand außer Gott und ich.
Der sei, Du Teufelinne, allzeit verhohlen für Dich.“

Welch einen Abstand bildet diese Schilderung der Kriemhild am Hofe des Hunnenkönigs Etzel oder Attila mit der Schilderung der lieblichen Jungfrau Kriemhild am Königshofe der Burgonden zu Worms! Da wuchs sie heran als ein holdseliges, schüchternes Mägdelein. In allen Landen war nichts Schöneres als sie. Ohne Maßen herrlich war ihr edler Leib. Drei Könige, edel und reich, pflegten ihrer: Günther, Gernot und Giselher, der junge, denn die Jungfrau war ihre Schwester. Ihnen diente eine stolze Ritterschaft. Eine reiche Königin, Frau Ute, war ihre Mutter.

In ihrer stillen Abgeschiedenheit träumte Kriemhilden einst, sie habe einen wilden Falken gezogen manchen Tag, da wären zwei Adler gekommen und hätten ihn mit ihren Krallen zerdrückt. Sie erzählte den Traum ihrer Mutter Ute. Diese antwortete:

„Der Falke, den Du ziehest, das ist ein edler Mann,
Ihn wolle Gott behüten, daß er nicht mag verloren gah’n.“

Kriemhilde antwortete:

„Was sagt Ihr mir von Manne, vielliebe Mutter mein?
Ohne Recken-Minne will ich immer sein.
So schön will ich bleiben bis an meinen Tod,
Daß ich soll von Manne nimmer gewinnen keine Not.“

„Nun verrede es nicht zu sehre,“ sprach ihre Mutter da.
„Sollst auf der Welt Du werden von Herzen fröhlich, ja,
Das geschieht von Mannes Minne. Du wirst ein schönes Weib,
Ob Dir Gott noch gesellet eines guten Ritters Leib.“

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„Die Rede lasset bleiben,“ sprach sie, „Fraue mein.
Es ward an manchen Weibern klar wie der Sonne Schein,
Wie Liebe mit Leide zuletzt noch lohnen kann.
So ich sie meide beide, nicht übel wird mir’s ergah’n.“

Trotz dieser klugen Rede behielt jener Traum doch seine tiefe Bedeutung für Kriemhilden’s ganzes Leben, denn schon war in den Niederlanden zu Santen eines reichen König’s Sohn erwachsen, der ihr im Traume als Falke vor Augen stand. Sein Vater hieß Sigemund und seine Mutter Siglinde. Er war schon zum Helden heran gewachsen. Viele Länder hatte er bereits durchzogen. Seine riesenhafte Stärke und selbst seine Unverwundbarkeit war schon erprobt. Zu ihm an den Niederrhein war das Gerücht von Kriemhilden’s Schönheit gedrungen. Siegfried wußte auch bereits, daß sie alle Freier abweise. Darum warnte ihn sein Vater Sigemund auch vor dem Gedanken, die stolze Königstochter von Burgund zu erwerben. Die Mutter Sigelinde weinte, als Siegfried sich dennoch zu dem kühnen Brautzuge von Santen nach Worms entschloß.

So zog er denn von dannen, herrlich ausgerüstet mit einem stattlichen Gefolge. Vor der Abreise gab ihm Sigemund ein siebentägiges Fest. Am siebenten Morgen nach dem Aufbruche von Santen ritten sie zu Worms ein. Alle ihre Gewande waren von rotem Golde, ihre Schilde neu, hell und breit. Die hochherzigen Ritter und Knechte an König Gunthers Hofe gingen zu den Herren aus Niederland, empfingen die Gäste und wollten deren Rosse in die Ställe ziehen. Siegfried, der Vielkühne, sprach: „Laßt mir und meinen Mannen die Rosse stehen, aber saget mir, wo ich den König finde, Gunther, den Vielreichen von Burgondenland.“ Da sagte ihm Einer: „Suchet Ihr den König, den möget Ihr wohl finden. In jenem weiten Saale sah ich ihn bei seinen Helden stehn. Gehet nur hin, da werdet Ihr noch manchen herrlichen Mann kennen lernen.“

Aber auch dem Könige war es schon angesagt, daß die fremden Ritter gekommen waren, welche Niemand kannte in der Burgonden Land. Den König nahm es Wunder, von wannen die herrlichen Recken gekommen waren in so schöner Kleidung und mit so guten neuen und breiten Schilden. Es war Herr Ortwein von Metz, welcher dem Könige antwortete: „Da wir sie nicht kennen, so sollt Ihr meinen Oheim Hagen herbeirufen lassen. [7] Dem sind kund die Reiche und alle die fremden Lande. Wenn er die Fremdlinge siehet, so wird er uns vielleicht auch über sie Auskunft geben können.“

Hagen war bald zur Stelle und blickte durch ein Fenster auf die fremden Gäste. Er erstaunte über ihre edle Haltung, mußte aber gestehen, daß er sie nicht kenne. Jedoch fügte er hinzu, daß er Siegfried nie gesehen habe und glauben müsse, dieser sei es mit seinem Gefolge. Nun stimmte er Siegfrieds Loblied an und erzählte seine Geschichte. Dem finsteren Geschlechte der Könige Nibelung und Schildung habe dieser den Nibelungenhort und das Schwert Balmung, dem Zwerge Alberich aber dabei die unsichtbar machende Tarn- oder Nebelkappe abgewonnen. Den Drachen oder Lindwurm, welcher mit dem Zwerge Nibelung den Schatz bewachte, habe er getötet. In dem Blute des Drachen habe er sich gebadet und dadurch eine Hornhaut erhalten, welche seinen Körper unverwundbar mache. Diesen jungen Recken müsse man auf’s beste empfangen, um nicht seinen Zorn zu reizen und seinen Haß auf sich zu laden.

So geht denn König Gunther dem Siegfried, welcher sich aufgemacht hatte, ihn zu suchen, gar freundlich entgegen. Auf dem Königshofe werden ritterliche Spiele veranstaltet, bei welchen die hohe Siegfriedsgestalt allgemein bewundert wird. Auch Kriemhilde sieht dabei heimlich von ihrem Gemache aus auf ihn herab. Sie vergißt die kindlichen Gespielinnen ihrer Jugend und denkt nur noch an ihn. Aber die ernste Sitte der Zeit verbietet es ihr sogar, sich am Fenster nur zu zeigen. So vergeht ein Jahr, ohne daß Siegfried die Kriemhild erblickt hat.

Aber da kam eine neue Kunde aus der Fremde in Gunthers Land. Es erschienen Boten von Recken in der Ferne, die den König von Burgund haßten. Es war Liudger von Sachsen und auch König Liudgast von Dänemark. Die Boten sprachen zu Gunther:

„Liudgast und Liudger wollen Euch heimsuchen in Eurem Lande, Ihr habet ihren Zorn gereizet. Ihr sollet gewarnet sein. Viele der Degen werden ihnen helfen auf der Heerfahrt nach Worms am Rhein. Innerhalb zwölf Wochen wird die Reise geschehen. Nun könnet Ihr zeigen, ob Ihr Freunde habet, welche Euer Land und die Burgen zu sichern im Stande sind.“

[8] Wie feind man den Boten auch war, so mußte ihrer doch zu Worms auf das Beste gepflegt werden. Zu König Gunther kamen die Edelsten von denen, so man zu Worms fand. Aber selbst Hagen von Tronje war solchem Uebermute gegenüber verlegen. Nicht so Siegfried, der edle Gast am Hofe, der zuletzt ins Vertrauen gezogen wurde. Die Boten Liudger’s begaben sich endlich wieder zu Gunther. Da bot ihnen reiche Gabe der gute König und sicheres Geleit. Er ließ den Sachsen und den Dänen raten, zu Hause zu bleiben. Wenn sie aber auszögen, so sollten sie Arbeit finden. Diese wurde jedoch später von Siegfried fast allein gethan. Er zog mit den Burgonden den Feinden entgegen und nahm Liudgast, den König der Dänen, gefangen. Auch unterwarf er den König von Sachsen und der Krieg war zu Ende.

Es wurden Boten gesandt vom Heere an den Rhein nach Worms. Kriemhilde wollte dieselben ausforschen über die Tapferkeit ihrer Brüder. Als diese Boten aber von selbst besonders Siegfried’s Heldenthaten zu erzählen anfingen, wurde ihr Antlitz rosenrot vor Freude und sie schenkte den Boten zehn Mark Goldes, sowie reiche Kleider. Von der Zinne der Burg zu Worms aus sah sie die Heimkehr des siegreichen Heeres. Es wurden aber für Siegfried von den Burgonden zu Pfingsten reiche Festlichkeiten veranstaltet.

Da hieß der reiche König Gunther hundert seiner Mannen mit seiner Schwester gehen, auf daß sie ihr dienen sollten. Von einer Kemenate, d. h. aus einem Gemach oder einer Kammer, sah man sie hervorgehen. Viele Helden drängten sich danach, die edle Magd Kriemhilde fröhlich einherschreiten zu sehen. Minniglich aber trat sie daher wie die Morgenröte aus trüben Wolken. Mancher, der sie so herrlich schreiten sah, vergaß der Not und der Trauer, die er lange im Herzen getragen hatte. Von ihrer Kleidung leuchtete manch edler Stein. Von ihren Wangen glänzte die rosenrote Farbe gar minniglich. Selbst der, dem jeder Wunsch gelungen wäre, hätte nicht sagen können, daß er auf dieser Welt schon etwas Schöneres gesehen habe. Wie der lichte Mond den Sternen voransteht, so stand sie den anderen Frauen voran.

Siegfried war bei ihrem Anblicke im Herzen bald fröhlich und bald traurig. Er hielt es für einen blöden Wahn, daß Kriemhilde jemals die

[8a]

Siegfried und Kriemhilde.

[9] Seine werden könne. Sie aber grüßte ihn, als sie ihn vor sich stehen sah. Da entzündete sich die Farbe seines Gesichtes. Mit sehnsuchtsvollen Blicken sahen sie einander an. Nicht größere Freude hätte er in jenen Maientagen gewinnen können, als da sie ihm an der Hand ging, die er als seine Traute begehrte. Niemals diente ein Recke besser um eine Königstochter. Mannig Weib folgete ihr, da sie zu dem Münster ging, und sie schien manchem Recken zur Augenweide geboren zu sein. Aber kaum vermochte Siegfried so lange zu warten, bis man die Messe sang. Als sie nach der Messe aus dem Münster kam, sah man den kühnen Degen wieder zu der Jungfrau gehen. Ihr Herz war voll Dankes für die Treue, die Siegfried ihren Brüdern bewiesen hatte. War doch der Königssohn aus den Niederlanden wie ein Lehnsmann König Gunthers gegen dessen Feinde ausgezogen.

Endlich beurlaubten sich die meisten Gäste bei Frau Ute und Kriemhilde. Die Herbergen wurden leer und die Ritter zogen von dannen. Auch Siegfried wollte aufbrechen. Aber Giselher, der junge, sprach: „Ich bitte Euch, bleibet bei den Recken, bei König Gunther und seinen Mannen. Hier zu Worms sind viel schöne Frauen, die man Euch sehen lassen soll.“ Da sprach der starke Siegfried: „So lasset die Rosse stahn.“ Seit dieser Zeit ist es geschehen, daß er täglich die schöne Kriemhilde sah. Aber noch war seine Liebe aussichtslos, denn die Macht König Gunthers war zu groß und Worms stand durch seine höfischen Sitten allen andern Höfen in der Christenheit weit voran. Da kam eine neue Märe auf am Rheine, welche Siegfrieds Lage zu Worms auf’s neue veränderte.

Es war eine Königin gesessen über der See, in Island. Keine mehr glich ihr. Sie war über die Maßen schön, und gewaltig war ihre Kraft. Keinem Manne wollte sie ihre Hand als Gattin reichen, der ihr nicht im Speerwerfen, im Steinschleudern und im Springen den Sieg abgewonnen hätte. Wer sie aber zu diesen Wettspielen aufforderte, und sie nicht überwand, dem kostete es das Leben. So war es schon Vielen ergangen. Da sprach Gunther, der Vogt vom Rhein: „Ich will über die See, hin zu Brunhilden.“ Siegfried wiederriet das. Seine Heimat lag ja dem Königsitze der Brunhilde etwas näher, als Gunthers Hauptstadt Worms. So war Siegfried über Brunhilde schon mehr unterrichtet, als die Burgonden. [10] Auch kannte er die Wege auf dem Rheine hinab ganz genau, denn dahin lagen die Niederlande, wo sein Vater König war. Selbst der Ocean nordöstlich von den Niederlanden schien ihm nicht unbekannt zu sein. Als daher König Gunther von seinem Plane, die stolze Brunhild als Gemahlin nach Worms heimzuführen, nicht abzubringen war, begleitete ihn Siegfried. Dabei mußte er vor Brunhilde als Lehnsmann König Gunthers gelten. Nur dadurch konnte in Brunhilden’s Herzen der Gedanke unterdrückt werden, mit Siegfried zu kämpfen und, nachdem sie sich ihm im Kampfe ergeben haben würde, ihm ihr Reich mit ihrer Hand zu übergeben. Ihr Land aber mag man sich als ein verzaubertes Königreich denken, von welchem freilich später, nachdem der Zauber gleichsam durch ihre Besiegung gelöst ist, fast garnicht mehr gesprochen wird. Damit nun aber von der Erwerbung der Brunhilde für Siegfried unter allen Umständen nicht die Rede sein darf, so verspricht der mächtige König der Burgonden Siglinden’s Sohne die Hand seiner Schwester Kriemhilde für den Fall, daß Gunther durch Siegfried die Brunhilde gewinnt. Die Liebe zu Siegfried kann in Brunhilden’s Busen nicht erwachen nach dem Geiste jener altertümlichen Zeiten, sobald Siegfried nicht selbst schon durch seine Geburt Ansprüche auf ein königliches Erbe erheben kann. Um so vornehmer erscheint Siegfried in seiner nur scheinbar angenommenen Knechtschaft.

Bei seiner und ihres Bruders Abreise ist Kriemhilde in Thränen ausgebrochen. König Gunther greift selbst zur Ruderstange, weil Siegfried stromabwärts als Wegweiser dienen kann und dadurch, daß er wohl steuert, aber nicht rudert, geehrt werden soll. Nach zwölftägiger Fahrt kamen sie an dem Hoflager der Brunhilde zu Isenstein an. Da ragten am Meeresstrande sechsundachtzig Türme empor in umheimlicher Pracht. Drei Paläste und einen Herrensaal, die alle von grünem Marmor erbaut waren, schlossen sie ein. Weder das Land noch seine stolze Beherrscherin ist Siegfried unbekannt. Aber er selbst stellt sich ihr jetzt als König Gunthers Dienstmann vor. Die Bewerbung desselben wird ihr angekündigt. Als Hagen, der sich gleichfalls in Gunthers Gefolge befindet, die Waffen sieht, deren sich Brunhilde im Wettkampf mit dem Freier bedienen will, ruft er aus, Brunhilde müsse des Teufels Braut sein.

[11] Aber auch hier schafft Siegfried Rat. Schon in Worms hat er Alles wohl überlegt. Er führte die Tarnkappe mit sich, welche er einst dem Zwerge Alberich abgenommen hatte. Sobald er sie aufsetzte, war er nicht allein unsichtbar, sondern hatte auch für sich allein die Stärke von zwölf Männern. Brunhilde, welche die übernatürlichen Kräfte einer Walküre oder Schwanenjungfrau besaß, schleuderte zuerst gegen Gunthers Schild den Spieß, den kaum drei ihrer Mannen hatten herbei tragen können. Gunther zagte. Aber Siegfried stand ihm in der Tarnkappe unsichtbar zur Seite. So nahm Siglindens Sohn den Speer und warf ihn zurück gegen Brunhildens Schild, daß diese von der Erschütterung niederfiel. Da griff sie zu dem Stein, den kaum zwölf der kühnen Helden tragen konnten. Den warf sie jedesmal im Streite mit den Freiern, nachdem sie den Spieß verschossen hatte. Wiederum würde Gunther unterlegen sein, wäre ihm Siegfried nicht unsichtbar zur Hülfe gekommen. Weit schleuderte Brunhilde den Stein hinweg und sprang ihm nach, daß laut ihr Eisengewand ertönte. Allein sowie der Stein niederfiel, ergriff ihn Siegfried und warf ihn über Brunhilde hinweg. Den König Gunther trug er unter den Armen. Mit ihm aber sprang er noch weiter als die streitende Jungfrau gesprungen war. Siegfrieds Anwesenheit war unbemerkt geblieben. König Gunther hatte gesiegt, Brunhilde wurde sein Weib und übergab ihm ihr ganzes Reich.

Siegfried zieht nun nach Worms voraus und verkündigt dort die Verlobung Gunthers und Brunhildens. Auf dieser Reise besucht er auch das Land der Nibelungen wieder. Als Gunther und Brunhilde in Worms ankommen, erinnert Siegfried den König Gunther an das Versprechen, ihm Kriemhilde zu vermählen, welches er ihm vor der Reise nach Island gegeben hat. Gunther redet nun mit Kriemhilde und trotz aller Schamhaftigkeit bekennt sie ihm ihre Liebe zu Siegfried. Beide werden nun gleichfalls miteinander verlobt. Vor all den Helden umarmt und küßt er sie und eine doppelte Hochzeit wird gefeiert.

Aber schon beim Hochzeitsmahle sitzt Brunhilde finster da, und ihre großen Thränen fallen in den vor ihr stehenden Pokal mit dem edlen Saft der burgundischen Rebe. Gunther muß sie ausforschen über ihren Kummer. Da giebt sie vor, daß sie über Kriemhilde weine, weil diese einem eigenen Manne, einem Vasallen Gunthers, vermählt werde. In Wahrheit aber [12] weinte das wilde Weib, weil sie Kriemhilde um Siegfried beneidete. Gunther mußte sie beruhigen, indem er ihr von dem Ansehen und von den Reichtümern Siegfrieds erzählte, der über ein fernes Land gesetzt werde, wenn er allerdings auch nur sein Vasall sei. Das Letztere mußte er der Wahrheit entgegen wiederholen. Die böse Frau hätte ja sonst darüber nachsinnen müssen, weshalb Siegfried vor ihr in ihrem Königreiche erschienen sei, ohne selbst um sie zu werben. Ja, sie wäre noch entschlossen gewesen, sich mit Siegfried zu verbinden, wenn sie seine Abkunft aus königlichem Geblüte erfahren hätte.

Mit solchen bösen Gedanken in Brunhildens Herzen hing es sogar zusammen, daß sie Gunther noch immer nicht als ihren Ehemann anerkannte. In der Nacht nach der Hochzeit band sie ihrem Gatten mit ihrem Gürtel Hände und Füße zusammen und hängte ihn so zum Gespött an einem Nagel in der Kammer auf. Erst auf vieles Bitten wurde er noch während der Nacht aus seiner schlimmen Lage wieder befreit. Da mußte Gunther andern Tages wieder seine Zuflucht zu Siegfrieds bewährter Hülfe nehmen. Derselbe ging in der folgenden Nacht in der Tarnkappe zu ihr. In Gunthers Namen überwand er sie zum zweiten Male und vollständiger als das erste Mal. Ohne daß sie es bemerkte, zog er ihr dabei einen Ring ab und nahm ihr den kostbaren Gürtel. Damit entfernte sich Siegfried in der Tarnkappe. Von dieser Zeit an ergab sich Brunhilde auch dem Gunther und ihre fast noch heidnische Wildheit verlor sich mehr und mehr.

Als alle Hochzeitsgäste den burgondischen Königssohn verlassen hatten, zog auch Siegfried heim mit Kriemhilde in das Nibelungenland.

Ein Sohn, den Kriemhilde bekam, wurde Gunther genannt. Gunthers Sohn von Brunhilde aber hieß Siegfried. Brunhilde aber dachte: „Wie träget doch meine Schwägerin Kriemhilde so hoch ihr Haupt! Siegfried, ihr Gemahl, ist doch unser Lehnsmann, aber er hat uns seither wenig Dienste gethan. Woher mag es kommen, daß er sich um unsern Hof garnicht zu kümmern braucht?“ Nun heuchelte sie gegen den König eine Sehnsucht, ihre Schwägerin zu sehen. Anfangs sagte Gunther: „Wie sollten wir sie herbringen in dieses Land? Ich darf ihnen nicht gebieten zu kommen, sie sitzen uns zu fern.“ Da antwortete Brunhilde: „Wie vornehm und reich [13] auch der einem Könige eigene Mann wäre, so sollte er doch das nicht unterlassen zu thun, was ihm sein Herr geböte. Darum, mein Gemahl, hilf mir, daß Siegfried und die Schwester Dein hierher zu Lande kommen. Es könnte mir wahrlich nichts Lieberes geschehen.“ Da sandte Gunther Recken nach Nibelungenland, sie sollten bitten, daß die Beiden nach Worms an den Rhein kämen.

Nach drei Wochen zogen sie in das Land ein. Sie fanden Siegfried, den edlen Degen, zu Norwegen in seiner Mark. Als Kriemhilde hörte, es seien Ritter kommen, sie trügen solche Kleider, wie man sie im Lande der Burgonden von Alters her zu tragen pflegte, da sprang sie von einem Ruhebette empor, auf welchem sie lag. Da bat sie eine Magd zu einem Fenster zu gehen. Diese erblickte den kühnen Gero, der mit seinen Gesellen auf dem Hofe stand. Im Herzeleid ihres Heimwehs war Kriemhilde darüber hoch erfreut. Sie sprach zu dem Könige Siegfried: „Sehet Ihr die mit dem starken Gero auf dem Hofe schreiten, die uns mein Bruder Gunther den Rhein hinabgesandt hat?“ Da sprach Siegfried: „Die sollen uns willkommen sein.“ Das Gesinde lief zusammen, wo man sie sah. Gero und seine Mannen wurden geherberget. Sie gingen dahin, wo Siegfried bei Kriemhilde saß. Sie wurden sogleich zum Sitzen genötigt, aber Gero sprach: „Lasset uns wegemüde Gäste so lange stehen, bis wir die Botschaft angebracht haben. Gunther und Brunhilde, Frau Ute und Herr Gernot und Giselher der junge sind in allen Tugenden so recht hochgemut und laden Euch zu einem Feste an den Rhein. Wenn der Winter ein Ende genommen haben wird, so wollen sie Euch vor der Sonnenwende sehen.“ Anfänglich machte Siegfried Einwendungen. Aber der Markgraf Gero war ein Verwandter Kriemhildens und sagte, er müsse täglich die Mutter Ute klagen hören, daß ihre Tochter Kriemhilde ihr so ferne sei. Die Reise ward beschlossen. Siegfrieds Hofleute rieten ihm, mit tausend Recken zu reiten am Rheine hinauf zu Burgund. Sein Herr Vater begleitete ihn.

Als die Nachricht nach Worms gelangte, daß die Nibelungen kommen würden, waren die Mannen der drei Könige Gunther, Gernot und Giselher von früh bis spät beschäftigt. Mancher begann sogleich zu reiten, Truchsessen und Schenken richteten die Bänke her, wobei ihnen auch Ortwin von Metz half. Rumold, der Küchenmeister, tummelte da seine [14] Untergebenen. Da fand man manchen Kessel, Hafen und auch Pfannen. So sorgte man, daß es bei Ankunft der erwarteten Gäste an Speise nicht fehlte. Als diese dann kamen, wurden sie von den Posaunen gar kräftig begrüßt. Der Schall der Trommeln und Flöten war so groß, daß das weite Worms davon laut ertönte. Ueberall ritten die hochgemuten Helden zu Rosse. Da erhub sich in dem Lande das hohe Ritterspiel von manchem guten Recken. Die herrlichen Frauen saßen in den Fensternischen und blickten zur Kurzweil auf die Kampfspiele der kühnen Mannen. Da hörten sie alle die Messe, bei welcher der Gesang in jenen Zeiten des Ueberganges vom Heidentume zum Christentume noch etwas wirr ertönte. Denn es liefen bei solchen Gelegenheiten auch wohl die Heiden mit in die Messe, und, wie es im Nibelungenliede heißt: „Christen und Heiden sangen nicht in eins.“

Vor einer Vesper wurde auch ein Ritterspiel gehalten. Da saßen die beiden Königinnen zusammen. Da sprach die schöne Kriemhild: „Fürwahr, ich habe einen Mann, dem alle diese Reiche unterthan sein sollten.“ Da entgegnete Frau Brunhilde: „Wie könnte das wohl geschehen? Freilich, wenn Niemand lebte als Ihr Beide! Aber so lange Gunther lebt, kann es doch nicht sein.“ Hierauf begann aber Kriemhilde: „Siehst Du, wie er dasteht, und wie er so herrlich vor den Recken herschreitet! Soll mir davon nicht mein Herz fröhlich werden?“ „Nun,“ warf Brunhilde dagegen ein, „wie stattlich auch Dein Mann sein mag, so sollst Du doch Gunther, dem edlen Bruder Dein, den Rang über ihn und alle Könige zugestehen.“ Kriemhilde antwortete: „Mein Mann ist Gunthers Genosse und ihm ebenbürtig.“ „Als Gunther meine Minne gewann,“ entgegnete Brunhild hierauf, „hat Siegfried bekannt, daß er nur dessen Vasall wäre.“ „O“, rief Kriemhilde, „das wäre schlimm für mich, wie würden wohl meine edlen Brüder jemals einem Lehnsmanne mich als Ehefrau übergeben haben? Ich muß Dich freundlich bitten, Brunhilde, daß Du solche Rede unterwegs lässest.“ „Ich mag aber auf unsere Lehnsleute nicht verzichten,“ schrie Brunhilde. „Siegfrieds Dienste wirst Du doch entbehren müssen,“ sprach Kriemhilde. „Mich nimmt es nur Wunder, wenn wir Beide Deine eigenen Leute sind, daß Du so lange keinen Zins von uns bekommen hast. Darum sollst Du noch heute erkennen, daß ich edelfrei bin. Noch heute sollst Du [15] schauen, wie Deine Vasallin zu Hofe gehet mit den Helden in Burgondenland. Höher will ich gelten, als jede andere Königstochter, die hier die Krone trug.“ „Willst Du nicht eigen sein,“ sprach Frau Brunhilde, „so mußt Du Dich scheiden mit Deinen Frauen von meinem Ingesinde, wenn wir zum Münster schreiten.“ „Das soll gewiß geschehen,“ sprach Kriemhilde. Zu ihren Jungfrauen sprach sie dann: „So Ihr ein reiches Kleid besitzet, so leget es nun an. Sie soll zurücknehmen, was sie mir heute vorgeworfen hat.“ So ging des edlen Siegfrieds Weib mit ihren Frauen dahin. Aber auch die schöne Brunhilde war wohl gezieret. Sie kam mit dreiundvierzig Frauen, welche sie von Island mit an den Rhein gebracht hatte. Die trugen Zeuge von lichtem Scheine aus Arabia.

So kamen die schönen Frauen jede mit ihrem Zuge vor dem Münster an, wo die Männer ihrer freudig harrten. Die Leute nahm es Wunder, daß man sie so geschieden sah. Aber schon hieß Brunhilde die Kriemhilde still stahn, weil niemals eigene Leute vor Königes Weibe hergehen dürften. Da hielt die schöne Kriemhilde zornig der Schwägerin vor, daß sie zweimal von Siegfried überwunden sei. „Wohin waren Deine Sinne gekommen?“ sprach sie, „es war ein arger Betrug.“ „Wahrlich,“ sagte da Brunhilde, „darüber will ich mit Gunther sprechen.“ „Sieh“, rief Kriemhilde, „Dein Uebermut hat Dich betrogen. Aber Du hast es zu arg gemacht, da Du in mir nur Deine Vasallin sahst. Zu getreuer Freundschaft mit Dir bin ich nun nicht mehr bereit.“

Da weinte Brunhilde. Kriemhilde aber wartete nicht länger und ging vor des Königes Weibe mit ihrem Ingesinde in das Münster. Es dauerte Brunhilde zu lange, wie man dort Gott dienete und sang. Bevor der Gottesdienst zu Ende war, stellte sie sich mit ihren Frauen vor dem Dome auf, um noch mehr zu erfahren, dessen sich Siegfried unvorsichtigerweise gegen Kriemhild gerühmt hatte. Als Brunhilde aber sie deswegen beim Heraustreten aus dem Münster befragen wollte, sagte diese, sie möge sie nur lieber gehen lassen. Sie zeigte ihr jedoch einen goldenen Ring, welchen Siegfried Brunhilden, als er sie überwand, abgezogen hatte. Er hatte ihn getreulich der Gattin gebracht. Brunhilde rief, der Ring sei ihr geraubt worden. Aber Kriemhilde erbot sich auch mit dem Gürtel, den sie trug, die Wahrheit dessen, was sie gesagt hatte, zu beweisen. Denn auch [16] der Gürtel aus Seide von Ninive, mit welchem Brunhilde einst König Gunther gebunden hatte, war ihr von Siegfried im Ringen abgenommen worden. Brunhilde rief nun nach dem Könige und verklagte seine Schwester bei ihm. Als derselbe mit Siegfried nachher über den Vorfall verhandelte, sagte dieser sehr weise: „Man soll die Frauen so ziehen, daß sie üppige Sprüche unterwegs lassen. Verbiete es Deiner Frau, der meinigen will ich ebenso thun. Wahrlich, ich schäme mich solch redseligen Uebermutes.“

Aber damit konnte er nicht ungeschehen machen, was er selbst gethan und was seine gegen ihn so liebevolle Gattin gesprochen hatte. Brunhilde saß auf ihrem Zimmer und brütete Rache. Weinend fand sie dort Hagen von Tronje. Hagen konnte die Thränen seiner Herrin nicht sehen. Er versprach Siegfried zu ermorden. Der König billigte den Mordplan. Dieser konnte indessen wegen der Stärke Siegfrieds nur mit List von Hagen ausgeführt werden.

Es wurde ein neuer Angriff der Könige von Sachsen und von Dänemark als bevorstehend angekündigt. Siegfried erbot sich auch diesmal, seinen Schwägern beizustehen. Da ging Hagen zu Kriemhild und sprach: „Frau, es heißt, daß Siegfrieds Leib unverletzbar ist außer an einer einzigen Stelle. Welche diese nun aber sei, weiß Niemand. Nun will ich ihm gern im Kampfe zur Seite gehen und reiten und diese Stelle an seinem Leibe mit meinem Schilde decken, wenn ich sie von Euch erfahren kann.“ Sie sprach: „Mein Mann ist kühn und stark. Als er den Linddrachen am Berge schlug, badete er sich in dessen Blute. Deshalb kann ihn keine Waffe verwunden. Aber als er sich badete in des Drachen Blut fiel ein Blättchen des Lindenbaums auf seinen Rücken, so daß die Stelle trocken blieb, hier nun ist er verwundbar. An diese Stelle werde ich auf sein Gewand mit seidenen Fäden ein Kreuz nähen. Dort soll dann, o Held, Deine Hand ihn beschützen“. „Das will ich thun, vielliebe Fraue mein,“ sprach der falsche Hagen.

Am anderen Morgen zog Herr Siegfried mit tausend seiner Mannen fröhlich in den Krieg. Auf seinem Gewande war ein Kreuz von feiner Seide genäht, dadurch hatte Kriemhild die Stelle bezeichnet, wo ihr Gemahl verwundbar war. Aber alsbald wurde nun die Nachricht verbreitet, daß das Reich der Burgunden ohne Not durch Kriegsnachrichten beunruhigt [17] sei. König Gunther aber gab seinen Rittern, die sich zum Kriege gerüstet hatten, ein Fest. Er lud sie ein zur Jagd im Wasgenwalde. Vor Allen wollte Siegfried an der Jagd teilnehmen. Nur sollte ihm Gunther einen Jäger und einige gute Hunde leihen. „Ich leihe Euch vier,“ antwortete Gunther, „denen alle Wege in den Tannen wohlbekannt sind.“

Kriemhilde aber sprach zu Siegfried: „Mir träumte heute Nacht, wie Euch zwei wilde Schweine jagten über die Heide. Da wurden Blumen rot, darum muß ich weinen.“ Trotz dieser bösen Ahnung ritten die Helden aber doch von dannen in einen tiefen Wald. Viele der Rosse, die vor ihnen über den Rhein gekommen waren, trugen Fleisch und Fische, Brot und Wein für die Jagdgesellen. Auch Siegfried war gekommen. Ein alter Jäger mit einem Hunde brachte ihn dahin, wo sie viel Wild fanden. Was die Bracke aufjagte, das erschlug Siegfried, der kühne Held von Niederland. Er tötete einen Löwen, einen Wiesent, einen Elch, einen Schelch und vier starke Auerochsen. Ein grimmiger Eber wandte sich gegen Siegfried, aber dieser erschlug ihn mit dem Schwerte. Von Allen machte er die meiste Beute auf der Jagd. Der König ließ die Jäger zum Mahle laden. Da fing Siegfried zur Kurzweil für die Jagdgenossen noch einen lebendigen Bären, band ihn auf den Sattel und nahm ihn mit nach der Sammelstelle.

Siegfried trug ein Kleid von schwarzem Zeuge und einen Hut von Zobelfelle. Seinen Bogen mußte man mit einer Winde aufziehen. Auch führte er Balmung, das schmucke breite Schwert von gewaltiger Schärfe. Sein Köcher war voll Pfeile, golden die Röhre.

So herrlich stieg Siegfried vom Rosse. Er löste das Band dem Bären von Fuß und Maul und der Bär wollte wieder zu Walde laufen. Dabei stieß er die Kessel mit mancher guten Speise vom Feuer. Nur Siegfried von Allen vermochte ihm zu folgen. Er schlug ihn tot und trug ihn zurück zum Feuer. Indeß wie viele Speisen von diesen auch noch gar wurden, so kamen doch die Schenken nicht mit dem Wein. Siegfried aber litt nach so gewaltigen Anstrengungen vor allen Anderen Durst. König Gunther machte Hagen, der den Wein an eine falsche Stelle geschickt hatte, für das Ausbleiben des Weines verantwortlich. Aber Hagen sagte, er wisse hier in der Nähe eine kühle Quelle. Dahin schlug er vor zu gehen. [18] Damit Siegfried noch durstiger würde, erinnerte Hagen daran, wie tüchtig er im Laufen sei. Wie zwei wilde Panther liefen nun Siegfried und König Gunther im Wettlaufe durch den Klee. Doch gelangte der Held mit dem Schwerte Balmung zuerst an die Quelle, dort wartete er, bis auch Gunther herangekommen war und zuerst getrunken hatte. Dann trank auch Siegfried, indem er sich über die Quelle legte. Aber schnell sprang Hagen hinzu und durchstieß den edlen Siegfried an der mit einem Kreuze bezeichneten verwundbaren Stelle seines Leibes. Die lange Gerstange ragte noch zwischen den Schulterblättern hervor. Da schlug er mit dem Schilde, der noch neben ihm lag, während die anderen Waffen schnell von Hagen beseitigt waren, so gewaltig auf diesen los, daß der Wald von Schlägen dröhnte und Hagen zu Boden stürzte. Hätte Siegfried sein Schwert in der Hand gehabt, so wäre es Hagens Tod gewesen. Doch bald wurden des edlen Recken Wangen bleich. Hagen hatte sich wieder erhoben, die Ritter aber liefen zu der Stelle, wo Siegfried sterbend lag. Auch König Gunther trat heran und Siegfried empfahl ihm noch seine Schwester, die Kriemhild. Nun hoben ihn die Recken auf den Schild und überlegten im Angesichte der Leiche, wie sie verhehlen könnten, daß Hagen Siegfried ermordet habe. Sie beschlossen aber zu sagen, als er allein geritten sei im Tann, wäre er von Räubern getötet worden.

So ließ denn Hagen König Siegfrieds Leiche während der Nacht vor die Kemenate tragen, in der sich Kriemhild befand. Als nun am frühen Morgen das Geläute vom Münster ertönte, weckte Kriemhilde wie gewöhnlich ihre Frauen. Sie befahl, ihr ein Licht und ihr Gewand zu bringen. Aber schon fand in diesem Augenblicke einer der Kämmerer die Leiche im Blute auf der Schwelle liegend. Noch wußte er nicht, daß es Siegfried war. Kriemhild war indes mit ihren Frauen zum Kirchgange bereit. „Stehet stille, Herrin,“ sprach der Kämmerer, „hier liegt ein Ritter erschlagen.“ Ehe sie noch gesehen hatte, daß es ihr Gemahl war, dachte sie schon an Hagens Frage, wo Siegfried verwundbar sei, und rief aus: „Wehe mir, welch’ Unheil ist geschehen!“ Zu Boden sank die Freudlose. Noch sprach das Ingesinde: „Es ist wohl ein Fremder.“ Aber Kriemhilde rief: „Nein, es ist Herr Siegfried! Brunhilde hat es geraten und Hagen hat es gethan!“ In diesem Augenblicke beleuchtete der Kämmerer [19] die Leiche mit dem Lichte. Da ließ die Jammerreiche Siegfrieds Mannen wecken. Ihrer Hundert eilten bald zu der Stelle, wo Kriemhilde schrie. Ihr Anführer war Siegfrieds Vater, König Sigmund, der mit Siegfried und Krimhilde aus Nibelungenland gekommen war und die Reise bitter beklagte. Den Tod seines Sohnes wollte er rächen, doch warnte ihn Kriemhilde selbst davor, weil der trotzigen Recken am Rheine zu Viele waren. Da ließ man einen gewaltigen Sarg schmieden von Silber und Gold mit festen Spangen von Stahl. Auch kam Gunther mit Hagen und vielen Rittern, und sprach sein Beileid aus. Aber Kriemhild entgegnete: „Noch oft geschieht ein großes Wunder. Wenn der Mordbefleckte an dem Toten vorüber geht, so bluten die Wunden stärker. Darum gehe Jeder von Euch jetzt vor allen Leuten an Siegfried vorbei, dann werden wir in Kurzem sehen, was an Euren Worten wahr ist.“

Aber als nun Hagen sich dicht bei der Leiche befand, ergoß sich von Neuem ein Blutstrom aus Siegfrieds Wunde. Zwar rief König Gunther: „Hagen war es nicht, Räuber erschlugen ihn!“ Aber Kriemhilde sprach: „Mir sind jene Räuber wohl bekannt, König Gunther und Hagen haben es gethan.“ Da regte sich die Kampflust in Siegfrieds Recken. Doch wurde der Tote, mit köstlichen Gewändern umwunden, im Sarge nach dem Münster getragen. Dort wurde ihm die Totenmesse gelesen, zu welcher sich viele Menschen drängten. Trotz seiner Feinde war er Vielen lieb. Kriemhilde aber ließ durch ihren Kämmerer rotes Gold austeilen an seine Freunde. Diese drängten sich auch zu den hundert Messen, die noch vor Siegfrieds Begräbnisse vor ihm gesungen wurden. Drei Tage und drei Nächte blieb Kriemhilde bei der Leiche. Auch die Pfaffen und die Mönche bat Kriemhilde zu bleiben. Mancher fastete da um Siegfrieds Willen. Doch ließ Herr Sigmund allen Freunden Siegfrieds, so viele ihrer auch waren, Speise und Trank anbieten. Kriemhilde ließ unter die Armen jetzt Kleider und dreißigtausend Mark Silber verteilen und beschenkte die Klöster. Laut schreiend folgten die Leute, als Siegfried aus dem Münster getragen wurde. Gesungen und gelesen wurde, da man ihn begrub, und guter Pfaffen waren genug bei seiner Bestattung. Kriemhilde ließ den Sarg noch einmal öffnen, und dann mußte sie ohnmächtig hinweggetragen werden.

Gern hätte nun König Sigmund seine Schwiegertochter mit nach den [20] Niederlanden zurück genommen. Aber Kriemhilde wollte bleiben, wo Siegfrieds Liebe zu ihr begonnen und geendet hatte. In den ersten drei Jahren richtete sie kein Wort an Gunther und auf Hagen fiel nicht einmal ihr Blick. Um die Schwester wieder auszusöhnen, ließen ihre Brüder den Nibelungenhort aus dem Nibelungenlande herbeiführen. Auf zwölf Wagen wurden die glänzenden Kleinodien ihr zu Liebe in vier Tagen und vier Nächten aus dem hohlen Berge, wo der Zwerg Alberich sie hütete, zu den Schiffen geführt. Jetzt sprach Kriemhild wieder mit König Gunther, aber nicht mit Hagen. Allein der Fluch, der auf dem Nibelungenschatze ruhte, erzeugte nur neues Unheil. Hatte Kriemhild schon an Siegfrieds Leiche Gold austeilen lassen, so geschah es nun noch mehr. Nicht bloß die Armen beschenkte sie jetzt, sondern auch die Reichen und Niemand konnte es mehr verborgen sein, daß sie nur Ritter zu gewinnen suchte, um Siegfrieds Tod zu rächen. Da bemächtigte sich Hagen des Schlüssels zu dem Nibelungenhorte. Er nahm den Schatz und senkte ihn zu Loche in den Rhein. Alle, die darum wußten, hatten aber vorher einen Eid geschworen, daß er dort verborgen bleiben solle, so lange sie lebten. Einer Sage nach liegt er noch heute dort.

Etwa dreizehn Jahre nach Siegfrieds Tode starb die Königin der Hunnen, König Etzels Weib in Ungarland. König Etzel gab den Auftrag, ihm eine neue Gemahlin zu werben. Da rieten ihm seine Freunde, um eine Wittwe zu freien im Burgondenlande, König Siegfrieds edle Gemahlin. Etzel kannte den Namen des Helden und seinen hohen Ruhm. Da aber die Nibelungen in den Niederlanden und in Burgund Christen waren, Etzel aber die Taufe nicht empfangen hatte, so trug er Bedenken, ob eine solche Ehe ratsam wäre. Jedoch seine Hofleute machten das Verlangen in ihm rege, mit Siegfrieds Weibe nochmals eine Ehe einzugehen. Der Markgraf Rüdiger von Bechelaren, ein Christ, übernahm es, mit fünfhundert Mann nach Worms zu ziehen und für König Etzel um die Hand Kriemhildens anzuhalten. Noch niemals hatte wohl einen Freiwerber ein stattlicheres Gefolge begleitet. Zu Wien wurde für dasselbe die kostbarste Kleidung angefertigt. Zu Bechelaren harrte Rüdigers Gothelinde, seine Gemahlin mit ihrer Tochter Diethelinde. Gothelinde hatte viel Gutes von Kriemhild gehört und glaubte in Etzels Vermählung mit [21] ihr dem ganzen Hunnenlande einen reichen Ersatz für die schöne Helche, König Etzels erste Gemahlin, versprechen zu können. An ihr hatte besonders das Gesinde mit großer Vorliebe gehangen.

Nach siebentägigem Aufenthalte in Bechelaren ritten sie in zwölf Tagen an den Rhein. Zu Worms sah man mit Verwunderung auf die schweren Lasten, welche ihre Saumtiere trugen. „Gott heiße Euch bei uns willkommen, Ihr wackeren Degen!“ rief ihnen Hagen zu, welcher Herrn Rüdiger sogleich erkannt hatte. König Gunther fragte, wie es mit Etzel und Helche im Lande der Hunnen stehe. Rüdiger antwortete: „König Etzel lässet Euch bitten, daß Ihr ihm seine Not klagen helfet. Helche, die Vielreiche, meines Herrn Weib, ist gestorben. Nun hat man meinem Herrn gesaget, Siegfried sei tot, und Kriemhilde ohne Mann. Wenn das ist, und Ihr wollet es verstatten, so soll sie Krone tragen vor Etzels kühnen Recken an seiner Seite.“ Drei Tage wurde nun beraten am Hofe König Gunthers, ehe der Antrag an Kriemhilde gelangte. Ihre drei Brüder wollten sie gern verheiraten, damit die Traurigkeit von ihr wiche. Aber Hagen warnte vor ihrer Verheiratung. Sogar wenn sie selber dazu willig sein würde, sollte man ihr seiner Meinung nach die zweite Verheiratung mit dem reichen und mächtigen König nicht gestatten. Der staatskluge Held wußte, daß sie ihren Einfluß in dem mächtigen Hunnenreiche nur benutzen würde, um den Tod ihres ersten Gemahles zu rächen.

Auf das Bitten ihrer Brüder Gernot und Giselher erlaubte Kriemhild wenigstens, daß Etzels Bote sie sehen dürfe. Sie erwartete Rüdiger am andern Tage in ihrer Kemenate mit zwölf anderen Rittern. Der hehre Bote sprach: „Wollet erlauben, daß wir stehend Euch verkündigen, weshalb wir nach Worms kommen sind. König Etzel bietet Euch in Treuen große Liebe. Geruhet Ihr zu minnen den edlen Herren, so sollen zwölf reiche Kronen Euer sein. Er verleiht Euch das Land von dreißig Fürsten, welche alle von seiner gewaltigen Hand bezwungen sind.“ Sie beschied sie für den anderen Morgen wieder. Unterdessen beriet sie sich mit ihrer Mutter Ute und mit Giselher. Doch faßte Kriemhilde noch immer keinen festen Entschluß. Zur Messe kamen die Könige wieder zusammen und redeten ihrer Schwester abermals zu, König Etzel ihre Hand zu reichen. Sie ließen auch den Markgrafen Rüdiger herbeiholen. Dieser sprach ins [22] Geheim zu ihr: „Stellet nun Euer Weinen ein, und wenn ich im Hunnenlande der einzige wäre, der Euch schätzet, so müßte doch ein Jeder schwer es büßen, welcher Euch ein Leid thäte.“ Das mußte er ihr mit allen seinen fünfhundert Mannen beschwören. So beschloß sie denn, ihnen zu folgen. Zwar sprach sie noch ihre Bedenken darüber aus, daß Etzel ein Heide sei. Sie gab sogar zu verstehen, daß sie nur deshalb ihre Hand ihm anfänglich hätte verweigern wollen, was keineswegs der Wahrheit gemäß war. Aber auch dieses Bedenken ließ sie sogleich fallen, als sie von Rüdiger erfuhr, daß Etzel sich ihretwegen vielleicht noch würde taufen lassen.

Kriemhilde willigte also in die Heirat. Für ihre Frauen wurden zur Reise die vielen Reitsättel und sonstiges Reitzeug hervorgesucht, das noch aus König Siegfrieds Tagen dalag, in denen sie voller Freude mit ihnen ausgeritten war. Auch die Truhen wurden geöffnet, in welchen die reichsten Kleider wohlverwahret lagen. Auch sollten hundert Mäuler ihre Schätze herbeitragen, die sie teils verschenken, teils mitnehmen wollte. Aber Hagen verweigerte ihr die Saumrosse selbst für diejenigen Kleinodien, die noch nicht in den Rhein versenkt waren. „Klaget nicht um das rote Gold“, sprach der Markgraf Rüdiger. „König Etzel gibt Euch mehr als Ihr verbrauchen könnt.“ Da kam aber ihr Bruder Gernot und ließ die Fremden dreißigtausend Mark oder mehr nehmen, die der Königin Kriemhilde gehörten. Tausend Mark Opfergold, die sie noch besaß, gab sie zum Heile der Seele Siegfrieds dahin. Frau Ute weinte beim Abschiede. Aber ihr Bruder Giselher erbot sich in König Etzels Lande zu reiten, wenn sie jemals dort gefährdet sei. So zog Kriemhilde denn in König Etzels Reich, in welchem die Einen lebten nach der Heiden Art, die Anderen nach der Christen Sitten.

Kriemhilde befliß sich im Hunnen-Lande der Tugend, deren Frau Helche gepflogen hatte. Jeder war ihr hold, wie es Königsrecken gemeiniglich den Fürstenfrauen sind. Oft träumte sie, daß sie mit ihrem Bruder Giselher Hand in Hand ginge. Daß zwölf Könige am Hofe Etzels sich vor ihr beugten, war ihr gleichgültig. Sie sehnte sich nach Rache an Hagen und nach dem Umgange mit ihrem Bruder Giselher.

Endlich bat sie den König Etzel, daß er die kühnen Recken aus Burgondenlande lüde nach Hunnenland. Da beschloß Etzel seine beiden Spielleute Schwemmelein und Werbelein mit vierundzwanzig Recken nach Burgond [23] zu schicken um die Einladung dort zu überbringen. Kriemhilde sprach heimlich mit ihnen und verbot ihnen, zu verraten, daß sie jemals sie traurig gesehen hätten. Der Mutter Ute sollten sie nur von ihrem Glücke im Hunnenlande erzählen. So glaubte sie am besten zu bewirken, daß Niemand Bedenken trüge, die Männer ziehen zu lassen. Besonders aber sollten sie dahin wirken, daß Hagen mitkäme. Deshalb sollten sie daran erinnern, daß Niemand die Wege am Maine und an der Donau über Wien bis nach Ungarland hinein so genau kenne als Hagen.

Als die Boten zu Worms ankamen, wurden sie wiederum nur von Hagen als König Etzels Fiedler erkannt. Gunthers Ingesinde empfing sie aufs beste. Dann gingen sie zu dem Könige und richteten ihre Botschaft aus. Hagen sprach jedoch zu den Burgunden: „Wollet Ihr die Fahrt nach Hunnenland nicht unterlassen, so sendet rings umher und lasset tausend Ritter als Eure Reisegefährten auswählen. Nur dann wird Euch Kriemhilde nicht schaden können.“ Da ließ König Gunther die Boten reiten weithin über Land und dreitausend Ritter kamen zu Hofe. Da kam Volker, der Spielmann, mit dreißig seiner Mannen. Viel mehr noch waren ihm unterthan, aber weil er gut fiedeln konnte, wurde er der Spielmann genannt. Hagen wählte selbst aus den dreitausend Rittern die tausend Recken für die Reise aus. Es war keiner darunter, von dem er nicht schon Thaten gesehen hatte. König Etzels Boten verdrossen Hagens Anordnungen sehr, sie wollten täglich abreisen. Aber Hagens Klugheit verhinderte dies, damit sie nicht im Hunnenlande zu früh von den Rüstungen zu Worms erzählen konnten. Erst jetzt wurde ihnen bestellt, daß die Nibelungen kommen würden. Auf Befragen erklärten sie, daß König Etzel für die Festlichkeiten, welche er ihnen geben wolle, die Zeit der Sonnenwende bestimmt habe. König Gunther erlaubte den Boten auch zu Brunhilde zu gehen. Doch diesen Besuch wußte Gernot zu verhindern, weil der erste Gemahl der Königin der Hunnen, Siegfried, von Brunhilde verraten war. Giselher aber führte die Fiedler noch einmal zu seiner Mutter Ute.

Als die Boten nach Hunnenland zurückkamen, war Kriemhilde fröhlich, weil ihre Brüder sie besuchen wollten. Sie fragte aber sogleich, was Hagen zu der Reise gesagt habe. „Er nannte die Fahrt eine Reise in den Tod,“ antworteten die Spielleute. Kriemhilde wußte, wie das gemeint [24] war. Aber sie verstellte sich gegen Etzel so, daß dieser bloß glauben konnte, sie erwarte nur ihre Freunde. „Meine Freude,“ sprach er, „ist nur Deine Freude und die Freude Deiner Sippe.“

Der König der Burgunden ritt mit mehr als tausend Rittern, welchen aber neuntausend Knechte folgten, zu dem Hochfeste im Hunnenlande. Beim Auszuge wollte Frau Ute sie noch zurückhalten. Sie hatte wieder einen Traum gehabt, nämlich, daß alles Geflügel im Lande tot wäre. Aber Hagen sprach: „Wer sich an Träume kehrt, kann nicht auf dem Pfade der Ehre wandeln. Darum wollen wir reiten in König Etzels Land und Kriemhilds Festlichkeit schauen. Nicht aus Feigheit widerriet ich die Reise und gerne reite ich mit Euch Helden in König Etzels Gebiet.“

So fuhren sie auf den Schiffen über den Rhein. Jenseits desselben erbauten sie Hütten auf dem grünen Felde. Bis dahin hatte Brunhilde den König Gunther begleitet. Da hob sich ein Schall von Flöten und Posaunen und alle Recken trennten sich von ihren Frauen, die ihnen bis zu diesen Gezelten gefolgt waren. Für manchen wackeren Mann standen fertig die Rosse. Sie zogen am Mainstrome aufwärts. Vom Maine aus ritten sie auf die Donau zu, welche sie in zwölf Tagen erreichten. Hagen von Tronje ritt Allen voran und war Allen ein Berater. Da war aber die Donau ausgetreten und keine Fähre vorhanden, um die Helden überzusetzen. Hagen sprach: „Mir ist mein Leben nicht so verhaßt, daß ich in diesem Strome ertrinken möchte. Vorher soll in Etzels Lande noch mancher Mann von meiner Hand fallen. Bleibt hier am Wasser. Ich will den Fährmann selber suchen, der uns übersetzen soll.“ Er suchte stromab und stromauf. Da hörte er das Wasser rauschen. Das waren kluge Frauen in einer Quelle. Hagen wollte sich zu ihnen schleichen, aber sie flüchteten. Er nahm ihre Kleider, damit sie ihm Rede stehen müßten. Es sprach das eine Meerweib, Hatburg genannt: „Edler Ritter Hagen, wenn Ihr uns unsere Kleider zurück gebt, so prophezeien wir Euch, wie Eure Reise ins Land der Hunnen ausfallen wird. Kühnlich mögt Ihr reiten in Etzels Land. Ich versichere Euch, daß niemals Helden so große Ehre widerfahren ist, als Euch dort erwartet.“ Darüber war Hagen hocherfreut und gab die Kleider zurück. Als sie aber ihre wunderbaren Gewänder angelegt hatten, sprach Sigelinde, die andere Meerfrau: „Ich will [25] Dich warnen, Hagen, ihrem Gewande zu Liebe hat Hatburg Dir nur die halbe Wahrheit gesagt. Hagen, kehre um! Denn welche Ehren man auch dort Euch beim Empfange bereitet, so sollst Du doch dort das Leben verlieren. Noch ist es Zeit! Aber Alle, die in Hunnenland einreiten, reiten in den Tod.“ Hagen rief: „Ihr lügt! Wie könnten wir wohl Alle sterben bei König Etzel?“ Es sprach wieder eine der Frauen: „Traun, nicht anders wird es geschehen. Nur Einer, der Kaplan des Königs, kehrt gesund zurück in König Gunthers Land.“

In grimmem Mute sprach da Hagen, der kühne Recke: „Meinem Herren das zu verkünden, wäre schmerzlich. Zeige uns den Weg über das Wasser, Du weises Wasserweib.“ Sie entgegnete: „Da Du zur Reise fest entschlossen bist, so suche die Herberge oben am Flusse. Darinnen wohnet der Fährmann.“ Nun wollte Hagen eilig von dannen ziehen, aber eine der Frauen rief ihm noch nach: „Geht freundlich um mit dem Fährmanne! Er ist ein tapferer Held und dienet seinem Landesfürsten in Treue. Wen er für dessen Feind halten kann, den lässet er nicht hinein. Darum bietet ihm ein reiches Geschenk an und rufet ihm zu, Ihr wäret Amelrich. Denn Amelrich war auch des Landesfürsten Freund. Er mußte vor dessen Feinden entfliehen. Wenn der Fährmann glaubt, daß dieser zurückkehrt, so wird er Euch gerne helfen.“

Da verneigte sich Hagen vor den Frauen. Er ging am Wasser hinauf, bis er am anderen Ufer die Herberge erblickte. Da rief er: „Hol’ über!“ und bot dem Fährmanne eine Spange rotes Gold. Der Fährmann war aber so reich und hatte so stolze Knechte, daß er selten einen Lohn annahm. Da er nun glaubte, die Feinde des Landes kämen, so ließ er Hagen stehen. Da rief Hagen wieder: „Fährmann, hole den Amelrich hinüber, den Freund des Landesfürsten! Ich bin es, er kehrt zurück!“

Da eilte der Fährmann schnell zu Hagen an’s andere Ufer, denn nun glaubte er seinem Lande einen Dienst leisten zu können. Jetzt reizte ihn sogar das rote Gold, denn er hatte sich kürzlich vermählt, und darum war seine Sinnesart auch auf den Erwerb von Reichtümern gerichtet worden. Selbst von seinem Bruder wollte er nun die Stange roten Goldes gern annehmen, denn Amelrich war sein Bruder. Als aber der Fährmann neben Hagen stand und ihm ins Auge sah, erkannte er schnell, daß er betrogen [26] war. Nun weigerte er sich, die Nibelungen überzusetzen. Hagen aber erschlug ihn, und setzte die Burgonden selbst über. Zuerst führte er mehr als tausend Ritter über den Strom, darauf neuntausend Knechte. Den Kaplan jedoch, als er ihn bei seinem Meßgeräte stehend auf dem Schiffe antraf, warf er in die Fluten. Mancher zürnte ihm deshalb, aber selbst die Brüder König Gunthers wagten ihn nur mit einigen Worten zur Rede zu stellen. Der Pfaffe schaute anfänglich im Wasser nach Rettung aus, aber Hagen stieß ihn zornig wieder in den Grund. Dennoch tauchte er wieder auf. Da war das Schiff aber schon entfernter von ihm und kaum hätte ihn von dort aus noch Hülfe erreichen können. Da wandte er seinen Blick zurück zu dem Ufer, welches die Burgonden eben verlassen hatten, und Gott stand ihm bei, daß er es schwimmend wieder erreichte. Hagen sah noch vom jenseitigen Ufer, wie der Kaplan an’s Land stieg und seine nassen Kleider ausbreitete. Daran erkannte er, daß es wahr sei, was das wilde Wasserweib ihm prophezeit hatte, und daß nun auch, außer dem Kaplan, keiner von Allen, die ausgezogen waren, wieder nach Worms zurückkommen würde.

Doch es würde uns zu weit von Worms und dem Rhein hinwegführen, wenn wir den Aufenthalt der Burgunder in Hunnenland oder Ungarn ebenso ausführlich schildern wollten als den zu Worms. Es sei daher nur erwähnt, daß sie von Etzel prachtvoll empfangen und daß ihnen große Feste bereitet waren. Allein da ihnen auf Kriemhildens Veranlassung bei ihrer Ankunft sogleich die Waffen zur Aufbewahrung abverlangt wurden, so überzeugte sich Hagen von neuem, daß Kriemhilde den Untergang der Nibelungen oder doch den seinigen beschlossen hatte. Sie lieferten die Waffen nicht ab.

Die Bewirtung der Nibelungen fand nach unserem deutschen Heldengedichte hauptsächlich in einem großen Fürstenhause statt. Der Raum zu ebener Erde wurde in solchen Fürstenhäusern durch in großes Gemach ausgefüllt, in welchem die gesammte Dienerschaft bei Tage aß, trank und tanzte und bei Nacht schlief. Vor diesem Gebäude in Ungarn hielt Hagen bei Nacht Wache mit Volker, dem Spielmann, der seine schönsten Weisen hören ließ. Kriemhilde schickte einen großen Haufen der Hunnen zu Hagen, der sich trotz ihres Befehles nicht getraute, ihn zu ermorden. Sie kam selbst und ward von Hagen verspottet.

[27] Nun wurde den Nibelungen ein großes Fest gegeben. Die Fürsten befanden sich mit Etzel im ersten Stock, zu dem nur eine sogenannte Freitreppe aus der freien Natur emporführte. So bemerkten dann auch Etzel und Gunther zu spät, daß im Saal der Dienerschaft Streit und ein großes Blutvergießen ausgebrochen war. Kriemhildens Mordlust hatte es veranlaßt, aber durch Hagens rücksichtslosen Zorn über ihre Bosheit hatte es die gefährliche Ausdehnung erhalten. Als die Fürsten Frieden geboten, war es zu spät und die Könige von Burgund kämpften zuletzt mit ihrem Gesinde. Alle kamen um. Die letzten Nibelungen oder Burgunder wurden als Gefangene zu Kriemhilde geführt. Diese letzten Nibelungen waren Gunther und Hagen. Kriemhilde läßt ihren Bruder hinrichten und tötet Hagen selbst mit Siegfrieds Schwerte. Hierauf aber tötet der alte Hildebrand, über ihre Blutgier entrüstet, auch noch Kriemhilde, die Königstochter von Worms. Das ist das blutige Ende der Nibelungen.