Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1884
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[717]

No. 44.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


„Fanfaro.“
Novelle von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)


So wenig der junge Doctor schlafen konnte in dieser Nacht, so wenig Bartenstein den Frieden erritt: so wenig fand Ereme Ruhe.

Die türkischen Pantöffelchen waren rastlos den ganzen Tag durch das alte Clusius-Haus geklappt, während die Wagen zum Feste und dann wieder heimwärts rollten und die Insassen derselben fragende oder schadenfrohe Blicke zu den Fenstern hinauswarfen. Als sie spät Abends auf dem Smyrnateppich still neben einander standen, starrte ihre Trägerin mit weit geöffneten Augen in die Nacht hinaus und sann darüber nach, wie sie es anzufangen habe, daß sie sich endlich ihres Sieges zu freuen vermöchte. Aber wie sie auch sann, kein Ausweg fiel ihr ein.

Nur sein Bild stand unablässig vor ihrem innern Auge, wie sie ihn zuletzt erschaut hatte: hoch aufgerichtet, mit lodernden Blicken, die dunklen Brauen, die wie Adlerfittiche sich ausbreiteten, finster zusammengezogen, und jedesmal blieb ihr der Athem dabei aus.

Nun, allmählich mußte ja auch diese Erinnerung schwinden hinter dem Schleier, welchen die vorüberwandelnden Stunden davor webten.

Uebermüdet schloß sie die Augen, um sie mit dem ersten Sonnenstrahl unter dem Eindruck eines tiefen Schreckens wieder zu öffnen. Was war ihr nur Furchtbares geschehen?

Und sie hörte wieder seine Stimme sprechen: „Wir vergossen unser Blut, damit Sie in Ruhe Tinte vergießen konnten“. Ach, wenn sie doch in diesem Augenblick vor seinen Augen ihr Leben einer großen Sache hätte opfern dürfen! Wie gern hätte sie es hingegeben! Wie werthlos war es!

Sie ging aus einem Zimmer in das andere, die Treppe auf und ab.

„Willst Du nicht Deine Spitzen fertig ausbessern?“ fragte die Tante. „Das Kleid sollte doch damit garnirt werden, welches Du bei dem feierlichen Rede-Actus am Geburtstag des Herzogs anziehen willst.“

Ereme erstickte fast; sie wußte nicht, ob bei dem Gedanken an den Rede-Actus oder an die Spitzenstopferei. Sie öffnete, nach einem frischen Athemzug schmachtend, das Fenster.

Drückende Hitze drang herein, die Sonnenstrahlen lagen grell auf den Pflastersteinen.

Da schlug auf der Universitätsuhr die Stunde, um welche er sonst seine Schwadron vorüberzuführen pflegte. Ferne Musik erschallte. „Ich bin ein Preuße, kennt Ihr meine Farben?“ bliesen die Trompeten.

Mit stockendem Athem lauschte sie den Tönen. Sie wußte, wie sie näher und näher kommen mußten.

Aber sie wurden schwächer und verhallten.

Er mied den Weg an ihrem Haus vorüber; das war wenigstens erreicht. Aber der spießbürgerliche Platz mit den kleinstädtisch am Brunnen klatschenden Mädchen den bartlosen Studenten und den alten gebückten Professoren war auch gar zu langweilig. Sie schloß das Fenster.

Als es dämmerte, saß sie in ihrem Garten inmitten der Kübelbäumchen, die symmetrisch auf dem glatt geharkten Kies standen.

Die schöne Johanniszeit war längst vorüber. Schon begann ein Heimchen zu zirpen, das hinter dem warmen Herd hockte.

Alter Gewohnheit folgend, streifte ihr Auge über die Mauer und die Straße hin von wo der flüchtige Hufschlag seiner schönen Pferde so oft erklungen war.

Sie sah ihn im Geist herankommen. Seine Blicke flammten zu ihr herüber, und wenn sie mit ernstem Gruß ihm dankte, dann ritt er vor Uebermuth in wildem Galopp einen Ring.

Hörte sie nicht plötzlich deutlich das Trappeln des Pferdes?

Sie fuhr empor.

Ach nein, es war nur Täuschung gewesen, aber ihr Herz klopfte so heftig, daß sie es hörte.

„Es ist recht schön still heute,“ sagte die Tante, die ein Windlicht auf den Tisch stellte und mit ihrem Strickzeug neben Ereme Platz nahm. „Kein Ulan hat sich blicken lassen, gerade als wären sie schon zum Manöver ausgerückt. Es hat doch gute Früchte getragen, daß Du Herrn von Bartenstein einen Wink gegeben hast.“

„Ich bitte Dich, Tantchen,“ rief Ereme mit schwer bezähmter Heftigkeit, „schweige von dieser ganzen Angelegenheit.“

Die Tante ließ vor Schrecken eine Masche fallen. Sie hob das Strickzeug in die Höhe und gabelte darin herum. „Warum Du nur immer jetzt so heftig wirst? Nun nimm auch die Masche wieder auf. Beruhige Dich nur; er wird sich schon trösten. Der heirathet einmal so ein Mädchen wie die Elsa, ein resolutes Weibchen, das sich überall leicht zurecht findet. Wie eine Einquartierung war sie gleich zu Haus bei uns. Da wird er sich glücklich fühlen. Aber was machst Du? Jetzt ziehst Du die ganze Nadel heraus. Du hast wahrhaftig in dem Heidenlande verlernt, wie man mit einem Strickzeug umgeht.“

Ereme legte die Arbeit hin. „Liebe Tante, mit der heruntergefallenen Masche werde ich nicht fertig. Ich habe heut so eiskalte

[718] Hände. Uebergeben wir sie der Vergessenheit. Gute Nacht.“ Sie überließ die Tante ihrem Entsetzen darüber, daß eine herunter gefallene Masche vergessen werden sollte, und zog sich in ihr Schlafgemach zurück.

Heute beunruhigte sie das Bild des zürnenden Mannes nicht. Statt dessen sah sie Elsa, wie sie ihr einmal bei einem Besuch aus der Küche entgegengekommen war, gleich einer kleinen Hausfrau in der weißen Schürze, die auf der Rückseite des blauen Kleides große Schleifen schlossen, mit einem Quirl in der Hand.

Und wunderbar! Diese Erscheinung quälte sie noch viel mehr als die vorige.

Am andern Tag trat Ereme’s Stimmung in ein neues Stadium. So erhaben auch ihre Weltanschauung war, sie empfand doch wie alle jungen Mädchen. Wenn sie ihren Kopf durchgesetzt haben, befällt sie eine ängstliche Neugierde, die Folgen ihrer Handlungsweise kennen zu lernen.

Wie eine Erlösung kam ihr der Gedanke, zu Melanie zu gehen. Die hatte gewiß das Fest im Casino besucht.

Es war wirklich nicht nur Einbildung von Ereme, daß die Welt anders aussah seit ein paar Tagen. Verändert trat ihr Alles entgegen.

Die jungen ihr begegnenden Officiere, die sonst mit so viel Zuvorkommenheit gegrüßt hatten, blinzelten sie von Weitem mit zugekniffenen Augen an, als wüßten sie nicht, wer sie sei, und erhoben dann nur lässig die Hände zum Gruß.

In der Promenade flog der Wagen des Bankiers vorüber. Miß Smith starrte sie nicht mehr wie früher mit mißgünstigem Staunen an. Ihre ganze Aufmerksamkeit war von Kronheim in Anspruch genommen, der ihr gegenüber saß und durch die Vertraulichkeit, mit der er ihren Schirm für sie entfaltete, bewies, daß er noch vor dem Ausrücken zum Manöver ein festes Recht auf die blaßblonde Dame und ihre Millionen erworben hatte.

Ereme erreichte ihren Zweck, sich vertraulich mit Melanie auszusprechen, nicht. Sie fand schon Besuch vor.

Die alte Pröbstin, eine kleine vom Alter gebeugte Dame mit harten hochmüthigen Zügen, die aus Altersschwäche mit dem Kopfe wackelte, saß im Sopha. Ihr gegenüber der Oberst mit einem rothen Gesicht, das noch eine Schattirung dunkler sich färbte, als Ereme eintrat. Er grüßte sie wie eine gänzlich Fremde.

Melanie war sichtbar erschrocken über das Zusammentreffen und drückte ihr die Hand wie bei einer Condolenz.

Nur Darling empfing sie freudig, indem er sein blauseidenes Kissen verließ und, mit seinem Schweifchen wedelnd, ihr entgegen ging.

Die Pröbstin nahm den Oberst gleich wieder in Anspruch und half so über die erste Verwirrung hinweg. „Vier Herren, die sechszehn Ahnen haben,“ sprach sie, brauchen wir zu der Aufschwörung einer neuen Stiftsdame. Sie müssen die sechszehn Ahnen derselben bezeugen. Nun ist der alte Major von Ebra gestorben. Udo von Ebra, ein Zeitgenosse von mir. Habe ich Ihnen erzählt, wie er 1823 Officier wurde? Das war höchst amüsant. Ich habe es mit erlebt. Ich that damals Dienst als Hofdame der hochseligen Herzogin. Er war das enfant gâté bei Hofe. Eigentlich sollte er die diplomatische Carrière machen; aber er hatte nach alter Weise studirt, und man examinirte ihn auf moderne demagogische Weise. Eh, er bestand nicht. Da half ihm die Herzogin in ihrer feinen capriciösen Art. Beim Thee behauptete sie vis-à-vis ihrem Gemahl, daß man auch eine Sonnenblume im Haare tragen könne. Und da er sie auslachte, versprach sie es zu thun. Dafür mußte er sein Wort geben, wenn ihm die extravagante Coiffure gefiel, Herrn von Ebra zum Officier zu ernennen. Der joviale Herr willigte lachend ein. Am nächsten Theaterabend erschien die Herzogin und trug auf der Frisur eine Rosette von schwarzen Spitzen, in deren Mitte die Sonnenrose lag. Sie sah superbe aus und hatte gewonnen. Herr von Ebra wurde Officier.“

„Aber gnädigste Frau,“ wollte der Oberst, dem vom Anhören dieser Widersinnigkeiten die Perlen auf die Stirn getreten waren, sie unterbrechen.

Sie wehrte mit der Hand. „Revenons à nos moutons! Haben Sie nicht einen Bartenstein unter den Officieren? Das ist Uradel. Es kommt nur darauf an, ob die Stammtafel rein ist.“

„Der Stamm ist rein, nur die Tafel zeigt kleine Unregelmäßigkeiten,“ durchbrach der Oberst ihren Redefluß. „Im Bauernkrieg hat ein Bartenstein ein Landmädchen geheirathet, das mit Lebensgefahr Hülfe für ihn gegen die stürmenden Haufen herbeirief, und zu den Zeiten des siebenjährigen Krieges hat ein solcher mit einer Pfarrerstochter ein Stück aufgeführt wie ,Leonore‘, nur mit glücklichem Ausgang.“

„Oh, oh,“ machte die Pröbstin, als habe sie sich an eine Ecke gestoßen. „Dann ist kein Gedanke daran, daß wir ihn zur Aufschwörung zulassen können.“

Der Oberst wurde bläulich im Gesicht. „Gnädigste Frau, jede Dame müßte es sich zur Ehre schätzen, wenn Bartenstein für sie nach irgend einer Seite hin mit seinem Wort eintreten wollte. Einen vornehmeren Charakter, ein braveres Herz, einen helleren Kopf finden Sie in der ganzen Welt nicht. Und was für ein Officier ist er! Der geborne Führer im Kampf, tollkühn in der Attake, dabei voll Geistesgegenwart, Ruhe, Entschlossenheit, nie kriegsmüde und genügsam wie der ärmste Soldat. Ich bin überzeugt, daß ihm eine große Carrière offen steht. Und ich fann es ihm nicht verdenken, daß er vor allen Dingen wieder aus diesem kleinen Nest hinaus will, wo ihn die Engherzigkeit zur Verzweiflung treibt.“

Er hatte, während er sprach, Ereme fürchterliche Augen gemacht, und diese auch jedes Wort wie einen Dolchstich empfunden.

Aber die Pröbstin meinte, daß die ganze Rede nur an sie gerichtet sei. Sie begegnete derselben, wie es bei Hofe Sitte war, indem sie vornehm jedes Echauffement als nicht salonfähig zurückwies. „Ich hatte nicht die Intention,“ erwiderte sie, „mich über die Meriten dieses Herrn von Bartenstein unterrichten zu lassen, für den ich mich durchaus nicht interessire; aber“ und sie hob die Krücke empor, wie eine Wahrsagerin den Zauberstab, und sprach feierlich: „Denken Sie an mich. Wenn den Zuständen, in welchen wir jetzt leben, nicht bald ein Ende gemacht wird, dann wird der Tag kommen, an dem nicht vier Cavaliere mehr zu finden sind, welche eine Ahnentafel beschwören können.“

Der Oberst fuhr von seinem Stuhle empor. „Auf Wiedersehen, meine Gnädigste, nach dem Manöver,“ sagte er zu Melanie. Und mit einem malitiösen Lächeln fuhr er fort: „Uebermorgen rücken wir aus der Pyramide, Greifenberg geheißen, aus und wünschen den – Bewohnern derselben, welche allerdings gleich den Mumien kostbare Gewürze statt eines Herzens in der Brust zu tragen scheinen, angenehme Ruhe. Aber in drei Wochen kommen wir wieder und werden schon nach und nach frische Luft in die Grabkammern bringen.“ Er verbeugte sich kurz und stramm gegen die Pröbstin und Ereme und klirrte fort.

Ereme saß ganz niedergeschmettert in ihrem Fauteuil. War es denn möglich, daß sie als Parteigenossin der vorurtheilsvollen beschränkten alten Dame aufgefaßt werden konnte? Ja, er hatte sie beide unter die Mumien gerechnet; es ließ sich nichts daran ändern, und das Schlimmste war: der Hieb hatte gesessen. Fühlte sie sich nicht auch gleich einer Mumie eingeschnürt, eingemauert, von todten Steinen und tiefsinnigem Schriftwerk umgeben?

Die Pröbstin fauchte: „Ein Cavalier wie ein Revolver.“

Während sie, geleitet von Melanie, fortging, sprach sie vertraulich zu ihr: „Dieser gute Oberst war aigrirt, daß wir ihn nicht zur Aufschwörung verlangten. Aber das verbietet sich von selbst. Sein Urgroßvater hat von der Pike auf gedient und ist von Friedrich dem Zweiten nobilitirt worden. Daher die brüsken Allüren. Der Salon ist ihm nichts Besseres als die Manège.“

Sie krückte fort.

Melanie drückte Ereme die Hand. „Es thut mir leid, daß Sie diese Scene erleben mußten. Aber Sie dürfen die barsche Art des Oberst nicht übelnehmen. Im Grunde ist es doch schmeichelhaft, daß das Regiment so ungern den Gedanken aufgiebt, Sie zu seinen Damen rechnen zu dürfen. Auch mir ist es schmerzlich, daß Sie Bartenstein’s Gefühle nicht erwidern. Wenn Ihre Neigung ihm entgegen gekommen wäre, hätte sich wohl die Verschiedenheit Ihrer Anschauungen ausgleichen lassen. Er fühlt sich tief unglücklich; denn er hat Sie sehr geliebt.“

Es war das erste Mal, daß offen vor Ereme ausgesprochen wurde, was nur als Ahnung in ihr gedämmert hatte.

Sie stand wie geblendet, fassungslos, wortlos vor Melanie. Mit großen hülfesuchenden Augen sah sie die Freundin an. Aber [719] die sonst so milde Stiftsdame, die gern über Seelenzustände sich erging, mußte keinen Rath mehr wissen. Ihr Schweigen bestätigte Ereme, daß der Bruch zwischen ihr und Bartenstein für immer feststand.

Sie ging, wie von schwerem Traume bedrückt, heimwärts.

In der Vorstadtstraße stürzte plötzlich Elsa heran, faßte ihre Hand und fragte tief vorwurfsvoll: „Warum haben Sie ihm das gethan? Ich hätte es nicht über das Herz gebracht, ihn so abfallen zu lassen.“

Ihre Mama kam dazu, aus einem neuen Haus heraus, vor dem noch Kalkkübel standen und allerhand Baustücke lagen. Sie war früher nicht zu entgegenkommend gewesen und brauchte nur ihr reservirtes Wesen Ereme gegenüber beizubehalten, um der Ehre des Regimentes weder durch Freundlichkeit, noch durch Empfindlichkeit etwas zu vergeben.

Die drei Damen nahmen den gleichen Weg.

Die Oberstin sagte: „Ich hoffte, sobald das Regiment in’s Manöver ausgerückt sein würde, zu meinen alten Eltern gehen zu dürfen. Daraus wird nichts. Das Haus, in dem wir wohnen, ist verkauft; wir müssen umziehen, und ich habe eben hier gemiethet. Das Logis ist freilich kleiner als unser bisheriges.“

Ereme sprach ein herkömmliches bedauerndes Wort.

Die Oberstin lächelte ein wenig. „Ob wir nun unsere Möbel in diesen oder in jenen Salon stellen, darauf kommt’s nicht an. Wir Soldatenfrauen werden beweglich. Wir würden sogar in einem Zelte wohnen, wenn es einmal nicht anders ginge. Und so schlimm ist’s nicht. Die Empfangsräume sowohl als die Wohnräume sind ausreichend; nur bleibt kein Platz für meine Staffelei. Landschaftsmalerei ist nämlich eine kleine Passion von mir, die ich mir aus meiner Jugendzeit erhalten habe. Die muß ich nun freilich für jetzt aufgeben.“

„Da würde ich lieber einen Empfangssalon opfern, als mein Recht auf die künstlerische Beschäftigung,“ warf Ereme hin.

„Eine gewisse Pflege der Geselligkeit gehört zu unseren Pflichten,“ antwortete die Oberstin, „und die Pflichten haben natürlich den Vortritt vor den Rechten.“

„Aber unser Geist macht den Anspruch sich auszuleben,“ entgegnete Ereme, „und ich halte es für ein Unglück, wenn er darin gehemmt wird.“

Die hellen stillen Augen der Oberstin ruhten prüfend auf ihr. „So haarscharfe Begriffe von Unglück habe ich nicht. Was ist denn der Verzicht auf eine sogenannte geistige Forderung gegen den Verlust eines Menschen, den wir lieb gehabt haben? Auch Sie würden ebenso denken, wenn Sie, wie ich, einen jungen schönen Bruder gehabt hätten, der beim Sturm auf Montbeliard zu Asche verbrannte, daß kein Knöchelchen zu uns kam, und einen Sohn wie meinen lieben Kuno, der frisch und roth von uns fortging und beim ersten Treffen fiel, ehe er nur einen einzigen Sieg erlebt hatte. Und Sie würden nicht fordern, daß Ihr Geist sich auslebe, wenn Sie sich hätten versagen müssen, einen solchen gerechten Schmerz auszuweinen, um des Mannes willen, der nach harter Kriegsarbeit, die Seele überbürdet von entsetzlichen Erinnerungen, nach Hause kam, und dessen erstes Wort war: Nun nur um Gotteswillen keine Thränen mehr! Da heißt es: sich überwinden. Und dazu hilft uns die neue Pflicht, die an uns herantritt, den Verwilderten sanft wieder zu milderen Sitten zurückzuführen. Das ist kein leichtes Loos. Aber es ist den Frauen ja einmal beschieden, sich aufzugeben, und Gott hat uns den Trieb dazu in die Seele gelegt.“ Sie blieb stehen. „Hier trennen sich unsere Wege,“ sagte sie und bog grüßend mit Elsa in eine andere Straße ein.

Ereme ging ganz betäubt von Allem, was sie erlebt und gehört hatte, nach Haus.

Als die Thür mit dem blitzenden Cerberus hinter ihr zuschlug, vernahm sie die rügende Stimme der Tante: „Dorchen, der Schöpftopf ist nicht an seinem Platz.“

„Frau Doctor, er steht neben den Wassereimern,“ war die Antwort.

„Dorchen, der kupferne Schöpftopf hat seit fünfundzwanzig Jahren an dem eisernen Haken über der Eimerbank gehangen, und so muß es bleiben, wenn nicht Alles zu Grunde gehen soll. Ach, Eremechen, Du hast Dich bei Deinem Besuch recht verspätet. Es sind zehn Minuten über die Stunde des Mittagsmahles.“

„Die Manöveradler sind fast verbrannt,“ bemerkte Dorchen, die gebratenen Tauben anrichtend. Sie trug den Kopf hoch dazu; man wußte nicht, ob über die nach der Caserne schmeckende Bereicherung ihrer Sprachkenntnisse oder darüber, daß sie ihren Schatz noch besaß, während das Fräulein den ihrigen eingebüßt hatte.

Ereme schaufelte geistesabwesend mit ihrer Gabel auf dem Teller herum.

Die Tante that den Tauben und Zuckererbsen alle Ehre an und plauderte gemüthlich dazu: „Was ich sagen wollte! Ja, was war es doch? Es war etwas Wichtiges. Richtig! Laß doch ein Spargelbeet anlegen. Sieh ’mal, der Garten ist doch sonst zu nichts nütze, und in vier bis fünf Jahren haben wir dann unseren Bedarf an Spargel selbst.“

Ereme schauderte über die Aussicht, daß sie in vier Jahren hier noch Spargel essen sollte.

Mit der Gewandtheit alter Leute, die Jugend zur Verzweiflung zu bringen, fuhr die gute alte Dame fort: „Und Du mußt einen Professor heirathen. Da könnt Ihr hier in dem schönen Hause wohnen bleiben, wo Alles eingerichtet ist. Und was Deine Vorfahren gesammelt haben, das kommt noch Deinen Kindern und Kindeskindern zu Gute. Immer wird das Wort gelten: Gleich und gleich gesellt sich gern. – Da Du nichts weiter essen willst, so wünsche ich Dir gesegnete Mahlzeit.“

Die Tante zog sich zu einem Mittagsschläfchen zurück, und Ereme begab sich in den Gartensaal.

Auf dem Tische lag die soeben angekommene neue Lieferung eines großen Prachtwerkes über Hellas. Gedankenlos schlug sie es auf. Das erste Blatt zeigte die Abbildung des Frieses, der die Festzüge darstellt, welche zu Ehren der Göttin Pallas Athene nach der Akropolis sich bewegt hatten.

An der attischen Reiterei blieb der Blick haften. Sie ritt in Gliedern, voraus der Führer.

Zum ersten Male drängte sich Ereme diesem Anblicke gegenüber eine Kritik auf. Waren die gedrungenen, kurzhalsigen, kleinköpfigen Pferde nicht dieselben, welche noch jetzt in Athen vor den Wagen gingen? Auch der Führer erschien ihr nicht mehr als die Offenbarung ewiger Schönheit. Er saß dem Pferde zu nahe auf dem Halse in gebückter Haltung, die Zweifel an seiner Herrschaft über die niedere Creatur erweckte, und die Fußspitzen hatte er so sehr nach unten gestreckt, als sei es seine Hauptaufgabe, den Boden mit denselben zu erreichen. Und vor Allem fehlte ihm die vorwärtsstürmende Energie.

Sie warf das Blatt hin und wandte sich ab.

Und da sie aufblickte, sah sie in das starre weiße Gesicht der Pallas Athene, sah sie die Puppenhand an der Lanze, und es tauchte daneben die dunkle Gestalt des deutschen Reiters auf, an dem Gott gezeigt hatte, wie ein wahres Heldenbild im Leben sich darstellt.

„Er hat Sie sehr geliebt,“ hörte sie Melanie sagen, und: „Wie konnten Sie ihm das thun?“ Elsa fragen.

Sie hätte aufschreien mögen vor innerer Qual.

Da tönte ein leises Brausen von dem Eichberge herüber. Und mit dem Brausen kam es wie die Erinnerung an eine selige Zeit über sie, wo in dieselben Töne leichter Hufschlag klang. Es zog sie mit unbezwingbarer Gewalt hinaus auf die Höhe, wo der Adler sein stolzes Haupt erhob.

Sie nahm Hut und Handschuhe und stürmte fort.

Sie eilte durch die Straßen. An allen Thüren standen Ulanen, mit den Mädchen plaudernd; es gab viel betrübte Gesichterchen, viel tröstende Worte. „Uebermorgen rücken wir aus,“ hallte es in ihr wieder.

Der weite Exercirplatz war öde. Auf der Wiese lag der zweite Graswuchs in langen Schwaden und hauchte seinen letzten süßen Duft aus; in der Luft schwebten schon einzelne weiße Sommerfäden darüber hin. Verloren zirpte noch hier und da eine Grille.

Aus einem Garten schallte der Gesang fröhlicher Studenten: „Ich liebte Dich immer, ich lieb Dich noch heut’, ich werde Dich lieben in Ewigkeit.“ –

(Fortsetzung folgt.)

[720]

Die Tulpenmanie in Holland.

Von Dr. Karl Theodor Heigel.

Ueber die Tulpenmanie, welche im 17. Jahrhundert das holländische Volk ergriff, ist viel gesagt und geschrieben worden. Allein je mehr Geschichten man davon erzählte, desto weniger beschäftigte man sich mit ihrer Geschichte. Nun will ich mir durchaus nicht anmaßen, Ursache und Wirkung jener merkwürdigen Episode aus dem Völkerleben erschöpfend darlegen zu wollen. Immerhin hoffe ich, über den Gang der Ereignisse einiges Neue und eben das zu sagen, was zur Erklärung des Unerklärlichen beiträgt. Denn wohl unerklärlich muß auf den ersten Blick jene Tollheit bei einem so hervorragend wirthschaftlichen Volke wie das holländische erscheinen. Der Wirthschaftlichkeit, dieser „Tochter der Klugheit, Schwester der Mäßigkeit und Mutter der Freiheit“, verdankte ja Holland seine materielle Macht. Die republikanische Regierungsform schien Adam Smith die Hauptstütze der Größe Hollands zu sein, aber sie war selbst hinwieder die Frucht der volkswirthschaftlichen Ueberlegenheit den Holländer über die Spanier. Wirthschaftliche Interessen hauptsächlich bewogen die sieben nördlichen Provinzen der Niederlande, sich von Spanien loszuringen und als eine holländische Nation aufzuthun. Kriegstüchtig und reich, errangen diese „beidlebigen“ Niederländer, wie sie Goethe im Hinblicke auf ihr Heimathsrecht zu Wasser und zu Lande nennt, ungeheure Erfolge. Ihre Flagge wehte auf allen Meeren, die ostindische Compagnie beherrschte die reichsten Länder der Welt, die westindische wetteiferte wenigstens eine Zeit lang glücklich mit ihrer Nebenbuhlerin, die Union hatte, wie man zu sagen pflegte, mehr Schiffe als Häuser, die Bank von Amsterdam war die erste Geldmacht der Welt. Dabei blieb der Holländer seiner Natur getreu: äußerst sparsam. „Es will den Holländern nicht in den Kopf,“ schrieb Temple, „daß der regelmäßige Belauf der Ausgaben dem Einkommen gleich sein sollte, und wo dies ja der Fall wäre, glauben sie ein verlornes Jahr gelebt zu haben.“ Roscher führt eine Stelle aus „Richesse de Hollande“ an, die Schilderung eines reichen Dorfes bei Amsterdam, wo ein Mann mit 120,000 Gulden Einkommen jährlich vielleicht nur 1000 Gulden für sich ausgiebt.

Wie aber stimmt mit allem Dem die Tulpennarrheit überein?!

Ich werde zeigen, daß der Wahnsinn „doch Methode“ hatte, oder um sachlicher zu sprechen, daß das Uebel in einem volkswirthschaftlichen Vorzuge wurzelte, in der Sitte nämlich, jede Handelswaare so viel wie möglich als Grundlage von Umlaufsmitteln zu benutzen, welchen Brauch ebenso wie die unbegrenzte Arbeitstheilung die Holländer vor den Engländern voraus hatten.

Es ist eine Erzählung in zwei Capiteln. Im ersten spielt der Blumist und seine Tulpe, im zweiten der Speculant die Hauptrolle.

Aus Martin Zeiller’s Beschreibung und verschiedenen Reiseberichten wissen wir, daß in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Gartenbau und Landwirthschaft in Holland erfreulich entwickelt waren. Wo immer der Boden es gestattete, wechselten fette Weiden mit Saatfeldern; die Straßen waren mit Alleen von Obstbäumen oder Linden besäumt, ein Garten schloß sich an den andern an.

Der Holländer verkannte bei seinem ebenso gesunden wie praktischen Sinne nicht die Vortheile und Reize des Landlebens. Der Kaufherr, der den Tag angestrengter Arbeit widmen mußte, wollte doch Abends eine Stätte haben, wo er frische Luft schöpfen, behaglich spazieren wandeln, ungestört seiner Familie leben konnte; er baute sich also in unmittelbarer Nähe der Stadt ein Landhaus, und dabei durfte der Lustgarten nicht fehlen. Da in den meisten Fällen nur ein enger Raum gegeben war, verbot sich Abwechselung der landschaftlichen Scenerie durch zwanglose Zusammensetzung von Wiesen, Buschwerk und Hain, Wasser und Höhen von selbst.

Dafür bildete sich ein eigenthümlicher holländischer Gartenstil aus, dem zwar auch wie dem französischen Symmetrie des Plans als Gesetz, bunteste Farbenpracht eines Blumenflors aber als höchster Reiz galt. Wenn der französische Gartenkünstler auch schon vor Le Nôtre’s epochemachenden Schöpfungen wie ein Architekt wirkte und der englische Geschmack später den Gärtner zum Landschaftsmaler machte, so war der Holländer dem Mosaikbildner vergleichbar, der durch Reinheit, Helle und Feuer harmonisch gemischter Farben bestrickende Wirkung erzielt. In den zierlichen Gärtchen der „hochmögenden Mynheers“ kamen zuerst die sanften Tinten einer Hyacinthe, die feinen Schattirungen der Nelke, die Gluth der Rose zur Geltung.

Es ist gewiß kein Zufall, daß sich gerade in Holland und in der Zeit, da die Blumenzucht eine so hohe Stufe erreichte, auch eine echt künstlerische Blumenmalerei entwickelte, während sie in allen anderen Ländern und Zeiten nur decorativen Zwecken dienstbar gewesen war. Hier, wo eine reiche Pflanzenwelt mannigfaltiges Material bot, wurde nicht blos nach getreuer Nachahmung der Natur getrachtet, sondern auch sinnige Anordnung, Farbenharmonie, kurz, eine ästhetisch geläuterte Darstellung angestrebt. Hier legte ein Jan Breughel, der „Sammetbreughel“, den Grund zu freierer Kunstentfaltung, schuf David de Heem Blumenportraits von unübertroffener natürlicher Frische, erreichte Huysum einen Glanz der Farbe, welchen Jahrhunderte nicht zu trüben vermochten, ließ Rachel Ruysch Blumen auf der Leinwand erblühen, deren Lob begeistert die Dichter sangen.

Hier strebte man auch bald erfolgreich, der Natur durch künstliche Mittel neue Bahnen zu weisen, sodaß der ursprüngliche Typus der Art oft gar nicht mehr zu erkennen war; für die sogenannte „Veredelung“ der Flora war Holland gleichsam die classische Scene. Wenn dadurch einerseits manche schätzbare Neuerung erzielt wurde, so lag andererseits die Gefahr nahe, daß die Kunst in Künstelei ausarte und schließlich nicht mehr die Anmuth und Lieblichkeit, sondern die Curiosität den Werth bestimme. Guter Geschmack ist ohnehin nicht allzu häufig ein Begleiter des Reichthums; auf diese Wahrnehmung gründet sich Falconer’s Behauptung, bei Handelsvölkern sei am seltensten die Fähigkeit ausgebildet, die Schönheit zu erkennen. Es konnte nicht ausbleiben, daß auch in Holland da und dort die Begierde, mit dem durch Handelsglück erzeugten Ueberfluß zu prunken, zu nichtigen Schaustellungen verführte. So sah man z. B. in einem Garten zu Broek einen mit Flaschen und Gläsern besetzten Tisch, ein großes Kriegsschiff, eine Hasenjagd u. dergl. m., Alles aus Buchs geschnitten. Eine Geschmacklosigkeit war die Anpflanzung von weit ausgedehnten Blumenbeeten, deren Farbenfülle das Menschenauge nur verwirren, nicht fesseln konnte. Auch die Vorliebe der Holländer für Einleitung von Gräben und Teichen mit stehendem Wasser tadelt Hirschfeld in seiner Theorie der Gartenkunst; die Gothen, spottet er, hätten nicht barbarischer zu Werke gehen können.

Keine von diesen Verirrungen stand jedoch mit der anmuthigen Kunst in so unversöhnlichem Widerstreit, wie der Mißbrauch, die holden Geschenke des Frühlings als Objecte der Speculation in den Handel zu bringen.

Der Zeitraum, den wir nun zu betrachten haben, gehört nicht mehr der Blüthezeit der holländischen Handelsgeschichte an. Wie durch das Aufstreben des absolutistischen Militärstaates Frankreich die politische Bedeutung, so wurde der Handel der Niederlande durch die siegreiche Concurrenz Englands schwer geschädigt, und ein noch gefährlicherer Feind war der eigene Materialismus. Freilich war im kleinen Holland noch immer mehr Capital aufgestapelt, als in irgend einem großen Reiche Europas, allein gerade dieses Uebermaß verleitete zu einseitiger Begünstigung des Geldhandels und damit ebenso zu Habgier wie zu kleinlichem Krämersinn. Im Privatleben und in der Regierungspolitik traten trübe Symptome zu Tage. In vielen Kreisen überwucherten Gewinnsucht und Speculationslust die alte, sprüchwörtlich gewordene Solidität, leichtfertige und betrügerische Bankerotte waren an der Tagesordnung.

„Fixen“, das heißt Betrieb von Differenzgeschäften, die gar nicht auf wirkliche Lieferung von Waaren und Effecten berechnet sind, sondern wobei nur der Betrag der in Folge des Schwankens der Preise erwachsenden Differenz bezahlt wird, war schon nach römischem Recht verboten. Auch die Hansa untersagte auf’s Strengste dergleichen volkswirthschaftlich unfruchtbare Speculationen, so durften z. B. die Eigenthümer der auf Häringsfang ausziehenden Schiffe nicht den erhofften Gewinn verkaufen, durfte die Ernte nicht auf dem Halm veräußert werden etc. In Holland dachte

[721]

Schwäbische Weinlese.
Nach dem Oelgemälde von Professor Albert Kappis in Stuttgart.

[722] man weniger streng, nicht blos die Actien der Compagnien, die den Handel Ost- und Westindiens gepachtet hatten, wurden zu Zeitkäufen benutzt, sondern auch Effecten, die ihrer Natur gemäß ganz und gar nicht zu Speculationsobjecten geeignet scheinen, vor Allem die Tulpen.

„Tulipa,“ sagt der Dichter Rist in seinem Büchlein ‚von der alleredelsten Thorheit‘, „kommt zwar vom Schlawonischen Tulipant, das einen türkischen Hut bedeutet, aber Diejenigen irren nicht weit , die an das niederländische Wort Tülpa, Tülpisch denken, welches einen groben Phantasten oder dummen Menschen bedeutet, sodaß die Blume selbst eigentlich Narrenkraut zu heißen.“

Die etymologische Ableitung ist nicht unrichtig. Das Wort Tulipane bezeichnete die dem türkischen Kopfbund, türkisch Tulband, ähnliche Blume, die, wie so viele andere, aus dem Orient in’s Abendland gebracht wurde und sich hier allmählich einbürgerte. Die natürliche, ungekünstelte Tulpe ist fast einfarbig, großblätterig und verhältnißmäßig langstielig; erst unter dem Einfluß der Cultur verliert sie die ursprünglich starken Farben, sie wird blasser, bunter, kleiner, sie wird je schöner, desto schwächlicher, sodaß sie nur durch sorgfältige Wartung erhalten werden kann.

„So verschönert die Cultur,“ klagt der Göttinger Professor Beckmann in einer 1780 geschriebenen Abhandlung, „das vierschrötige Bauernmädchen zur schwächlichen Prinzessin so verfeinert Paris den starken Teutschen!“

Kaum eine andere Blume hat so viele Varietäten aufzuweisen; holländische Blumisten erzogen von den Spättulpen über 1000 Spielarten. Alle diese aber sind Abkömmlinge derjenigen Art, die nach dem Linné des 16. Jahrhunderts, dem Polyhistor Conrad Gesner, Tulipa Gerneriana benannt wurde. In Augsburg wurde sie in dem ob seiner Seltenheiten hochberühmten Garten des um Kunst und Wissenschaft verdienten Rathsherrn Johann Heinrich Herwart gezogen. Hier sah sie Gesner im Jahr 1559 und entwarf die erste wissenschaftliche Beschreibung in seinen Zusätzen zu den Werken des Pharmaceuten Valerius Cordus. Er erwähnt auch eine andere, in Italien bereits eingebürgerte Tulpe, die jedoch nur eine Spielart der Augsburgischen war.

Balbinus, in seinen Böhmischen Miscellen, nimmt das Verdienst der ersten Uebertragung der bei den Türken sehr beliebten Blume nach dem Abendland für Kaiser Ferdinand’s I. Gesandten bei der Pforte, Augier Ghislen von Busbek, in Anspruch. Nun thut dieser allerdings in seinen für die Kenntniß türkischer Lebensweise bahnbrechenden, 1555 geschriebenen „Türkischen Briefen“ der Tulpen ziemlich ausführlich Erwähnung. Er habe auf dem Wege von Adrianopel nach Constantinopel außer Narcissen und Hyacinthen auch andere Blumen gesehen, „welche die Türken Tulipan heißen“, die sich zu seinem Erstaunen mitten im Winter, der doch sonst den Blüthen wenig hold, entfalteten. „Sie haben entweder gar keinen oder doch nur dürftigen Duft, dagegen zeichnen sie sich durch Mannigfaltigkeit und Schönheit der Farbe aus. Die Türken vervollkommnen die Pflanze sehr und tragen, sonst keineswegs verschwenderisch, kein Bedenken, für hervorragend schöne Exemplare einige Aspern aufzuwenden. Auch mir kamen diese Blumen theuer zu stehen.“ Allein Busbek scheint keine Exemplare davon nach dem Abendland gebracht zu haben, denn an anderer Stelle heißt es: „An Wurzeln und Pflanzen habe ich fast Nichts heimgebracht, nur Abbildungen, die mir Mathiolus fertigte.“

Entschieden unrichtig ist die Angabe eines anderen Zeitgenossen, des Reisenden und nautischen Schriftstellers Hakluyt, daß der Botaniker de l’Ecluse, genannt Clusius, die ersten Tulpen nach Europa gebracht habe; diesem Botaniker gebührt nur das Verdienst, in seiner 1601 veröffentlichten Geschichte seltener Pflanzen zuerst die damals bekannten Spielarten untersucht und beschrieben zu haben. Er verdankte seine Kenntniß der noch immer seltenen Blume glücklichem Zufall. Einem Kaufmann in Antwerpen, erzählt er, war von einem Geschäftsfreund in Constantinopel mit einer Sendung Baumwolle eine Anzahl Tulpenzwiebeln geschickt worden. Der Kaufmann, der von der Bestimmung der Knollen keine Ahnung hatte, ließ sich einige mit Essig und Oel als Salat zurichten, andere setzte er zwischen Kohlstauden in seinem Garten ein, wo sie verkamen. Aber ein Kaufherr aus Mecheln, Georg Ryn, der sich einige Knollen geben ließ, schenkte Dank seinen botanischen Kenntnissen den Fremdlingen größere Aufmerksamkeit und bessere Pflege. Er ward mit herrlichen Blüthen belohnt, und diese konnte de l’Ecluse untersuchen und classificiren.

In Holland, wie im Abendland überhaupt, pflegten damals vorzugsweise Gelehrte und Antiquare mit Zucht seltener Pflanzen sich zu beschäftigen. Der große Philologe und Kritiker Justus Lipsius (eigentlich Joest Lips) hatte in Leyden und später in Löwen berühmte Gärten, deren Blumenschätze meist durch Geschenke weitgereister Freunde gesammelt waren. Hier unter Tulpen und Ranunkeln – so erzählt sein Biograph Aubertus Miraeus – fernab vom Tumult der Städte suchte und fand er Zerstreuung und jene reine Freude, welche den Blumenfreund für alle Anstrengung und alles Sinnen und Sorgen reichlich entschädigt. In seiner Schrift „Ueber die Beharrlichkeit“ feiert Lipsius begeistert die Gärtnerei. Mit großen Kosten legte sich der Philologe und Dichter Johannes Barclay in Rom nahe beim Vatican einen Garten an, wo er ebensowohl mißachteten Alpenpflanzen, wie theuer gekauften Tulpen und Narcissen sorgfältige Pflege widmete. Auch Pompejus de Angelis wird als eifriger Blumist geschildert, und es fehlte nicht an Eiferern, die – wie Reimann, der Begründer der Literargeschichte in Deutschland – so kostspielige „Allotria“ mit der Gelehrtenwürde unvereinbar fanden.

Mit besserem Recht konnte man über die Ausartung der Blumenliebhaberei in Holland den Stab brechen.

„Die Rose, die Königin des Blumenreichs, wird mißachtet,“ klagt der holländische Humanist Schrevelius in seiner Beschreibung von Haarlem, „die Tulpe dagegen um so mehr überschätzt – die Nachwelt wird unsere Verirrungen kaum glaublich finden.“

Und in der That erzielte diese Blume, welche nur durch ihre Farben sich auszeichnet, verhältnißmäßig märchenhafte Preise. Am tollsten steigerte sich die Manie für sie in den Jahren 1634 bis 1637 in Amsterdam, Utrecht, Haarlem und einigen anderen holländischen Städten, in Haarlem gerade in der Zeit, da die Pest am furchtbarsten wüthete. Manche Angaben mögen übertrieben sein, aber auch die wohl beglaubigten lesen sich heutzutage wie lächerliche Uebertreibung. Die Stadtkammerregister von Alkmaar bezeugen, daß im Jahr 1637 120 Tulpen zum Vortheil des Waisenhauses um 90,000 Gulden versteigert wurden. Der Botaniker Munting zog aus den Handelsregistern einige Preise für Tulpenzwiebeln aus, von denen nur derjenige für die Spielart Viceroi erwähnt sei. Es wurden für eine Zwiebel 2 Last Weizen, 4 Last Roggen, 4 fette Ochsen, 8 fette Schweine, 12 fette Schafe, 12 Oxhoft Wein, 4 Tonnen Bier, 2 Tonnen Butter, 10 Centner Käse, ein vollständiges Bett, ein Kleid und ein silberner Becher, Alles im Gesamm[t]werth von 2500 Gulden, verschrieben. Die Spielart Semper Augustus – weiß mit Lackroth aus einem blauen Grunde bis zu oben fein proportionirlich und ebenmäßig geflammt, wie sie in Francisci „lustiger Schaubühne vielerhand Curiositäten“ beschrieben – kostete 2- bis 5000 Gulden, etwas niedriger im Preis standen die Spielarten Admiral van Eyck, Admiral Liesken, Schilder und Andere. Für eine Zwiebel wurden einmal, wie Munting erzählt, 4600 Gulden verschrieben, und da sich der Verkäufer noch nicht begnügte, gab der Liebhaber eine neue, mit zwei Apfelschimmeln bespannte Kutsche dazu.

Mancherlei Anekdoten sind aus jenen Tagen überliefert. Ein Amsterdamer Kaufmann hatte eine Tulpenzwiebel um 500 Gulden gekauft. Noch lag der unscheinbare Schatz auf dem Tisch, als ein Matrose in’s Zimmer trat und eine Botschaft überbrachte. Der Kaufmann ließ ihm eine Kanne Bier und einen Häring vorsetzen, und unbemerkt griff der Bote auch nach der Zwiebel, schälte und aß sie, – ein Frühstück, das dem Wirth mehr kostete, als wenn er durch den Koch des Prinzen von Oranien ein stattliches Tractament hätte rüsten lassen. Ein englischer Naturforscher, mit welchem Matthews reiste, steckte in einem Garten in Holland ein paar Zwiebeln zu sich, um die schädliche Wirksamkeit der sogenannten Tulpenfliege zu untersuchen, wurde aber des Diebstahles bezichtigt und sollte einen Schadenersatz leisten, als wenn er sich in einer fürstlichen Schatzkammer einen kühnen Griff erlaubt hätte.

Ein treffendes Urtheil über jene Handelschaft findet sich in Francisci’s oben genannter Schrift. Er läßt einige Freunde über die Tulpenmanie der Holländer ein Gespräch führen. Ehrenhold verwirft ein für allemal solche Geschäfte, ein ehrlicher Mann dürfe sich nicht aus eines Andern Thorheit bereichern. „Warum nicht?“ erwidert ihm Freund Gaston, „wenn die Narren zu Markte gehen, freuen sich die Weiber, denn sie lösen Geld!“ „Warum,“ fährt er fort, „soll gerade nur ein edler Stein und nicht [723] auch eine edle Blume hohen Preis erzielen? Wenn reiche Leute ihr Geld mit Schmausen und Zechen verprassen, finde man es begreiflich, aber man schelte sie Narren, wenn sie für eine Lieblingsblume ein kleines Vermögen ausgeben.“ –

Es handelte sich aber in Wirklichkeit nicht mehr um Befriedigung einer Laune reicher Liebhaber, es war vielmehr, wie ein Zeitgenosse, der holländische Geschichtschreiber van Meteren, es kurz und bündig ausspricht, „ein blinde Kauffmannschaft, daß manche Blum an den zwantzigsten verkaufft wurde, deren keiner die Blum jemahls gesehen.“ „Sie kaufen und verkaufen, was sie nicht besitzen,“ damit bezeichnet auch Schrevelius das neue Geschäft als „Fixen“. Bei der Steigerung des Handels und der Häufung der Preisschwankungen wurde die Differenz der Course selbst zum Gegenstand des Handels gemacht, und diesem nur der Schein von Waarenverkaufsgeschäften gegeben.

Dieser Gesichtspunkt ist festzuhalten. Es ist deshalb im Ganzen und Großen unrichtig, von einer Tulpenmanie – der französische Dichter Menage, ein Zeitgenosse Racine’s soll zuerst das Wort Tulipomanie gebraucht haben, – zu sprechen, denn nicht um den Besitz der Tulpe handelte es sich, – in diesem Falle hätte der Preis nicht steigen, sondern fallen müssen. „Macht die Producte der Landwirthschaft theurer, wenn ihr sie wohlfeiler haben wollt,“ sagt Young, und mit Recht, denn stärkerer Consum bewirkt stärkere Production, und die Tulpe ist so gut wie der Spargel ein Product der Landwirthschaft im weiteren Sinn des Worts. Wo es viel Personen giebt, die Spargel essen wollen und bezahlen können, werden viele Spargelbeete angelegt, und der Preis fällt. Auf gleiche Weise würden binnen Kurzem in Holland ganze Tulpenplantagen entstanden sein, und nach wenigen Jahren würden alle Liebhaber für weit niedrigere Preise Blumen haben kaufen können. Allein dies traf nicht ein, weil eben der Schornsteinfeger, der seinen Besen wegwarf, nicht Gärtner, sondern Händler wurde. Aus weiter Ferne würde man Zwiebeln verschrieben, nach Cappadocien und Thracien würde der hohe Preis die Leute gejagt haben, um Zwiebeln zu holen, dagegen zechte der Tulpenhändler gelassen in der heimathlichen Schenke, ohne an so mühevolle Beutezüge zu denken. Ehe nur überhaupt der Tulpenflor aufblühte, waren mehr Zwiebeln erhandelt und [v]erhandelt, als alle Gärten Hollands aufzuweisen hatten, und obwohl der Semper Augustus nur in zwei Exemplaren zu Amsterdam und Haarlem vorhanden gewesen sein soll, so wurde doch keine Art öfter gekauft und verkauft als diese.

Ein unglaublicher Spieltaumel ergriff Alt und Jung. Bettler fingen an, auf Tulpen zu bieten, die viele Tausende kosten sollten, Edelleute und Bauern, Matrosen und Holzträger, Weber und Waffenschmiede verließen ihre gewohnte Beschäftigung, um Tulpenhandel zu treiben. Es lief dabei nicht viel Geld um, Alles ging auf Borg und auf „Lieferung in der Tulpenzeit, welche irgend ein vier Wochen wehret“. Alle schlimmen Folgen einer Erschütterung der gewohnten Ordnung des Handelsverkehrs stellten sich ein. „Was für Praktiken, Betriegerey und Vervortheilung unter dieser Kauffmannschaft ist fürgelauffen,“ sagt van Meteren, „kann ein Jeder leichtlich gedenken.“ Manch Einer entzweite sich mit seiner Hausfrau ob der Verwendung des erhofften Gewinns, weil der Mann Rappen und die Frau Schimmel vor die Kutsche zu spannen wünschte. Nicht blos Banken zu gemeinsamem Betrieb mit größerem Capital bildeten sich, sondern die Blumisten insgesammt vereinigten sich zu einer förmlichen Gilde mit eigenen Herbergen, Beamten, Schiedsgerichten. In den Herbergen pflegte es hoch herzugehen. Schrevelius plündert die ganze poetische Literatur Roms, um die Ausschreitungen jener Schwindelperiode nach Verdienst zu brandmarken. „Den Himmel selbst gedachten sie in ihrer Thorheit zu stürmen!“

Auch in England und Frankreich, Deutschland und Dänemark begann man Zwiebelgeschäfte abzuschließen. Ein Engländer soll für eine Zwiebel, welcher ein regelrecht ausgearbeiteter Stammbaum beigelegt war, 13,000 holländische Gulden geboten haben. Die Agiotage hatte ihren Höhepunkt erreicht – da brach das Kartenhaus zusammen. „Als nun die Sache auf’s Höchste kommen und die Blumisten in ihrem großen Gewinn gleichsam ersoffen waren, ist dieser Handel unversehens sogar übern Hauffen geworffen worden.“

Ein unbedeutender Zufall führte die Krisis herbei, die ohne ihn freilich nur verzögert, niemals aufgehalten worden wäre.

In Haarlem war zu Anfang des Jahres 1637 große Tulpenbörse. Da fiel plötzlich der Cours einer beliebten Gattung um mehrere hundert Gulden. Das Gerücht verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Stadt und erregte in allen betheiligten Kreisen Bestürzung und Furcht. Die kleinen Leute wollten nun ihr Capital retten, indem sie rasch Baarzahlungen verlangten, dies hatte unvermeidlich ein Sinken aller Course und eine Panik auch in allen anderen Städten Hollands zur Folge. Die wirklichen Tulpenzüchter wollten die vor Kurzem so kostbaren Zwiebeln in natura abliefern, aber Niemand wollte sie annehmen. Sobald einmal der windige Handel in seinem wahren Charakter erkannt war, mußte er ein Ende nehmen, ein Ende mit Schrecken. Alle Symptome des Bankerotts zeigten sich im ganzen Lande, wie sie ein Jahrhundert später bei dem Actienschwindel der Law’schen Compagnie in Frankreich sich wiederholten. Die Träume von fabelhaften Reichthümern zerrannen, Angst und Trauer bemächtigten sich der Gemüther, der Anruf der Gerichte war erfolglos, die Resignation eine Nothwendigkeit, kein Trost.

Zwar wurde ein Versuch gemacht, die Krisis abzuwenden oder doch in engeren Schranken zu halten. Eine Anzahl der angesehensten Blumisten trat am 24. Februar 1637 in Amsterdam zusammen; es wurde verabredet, daß alle Contracte, die vor dem 30. November 1636 geschlossen waren, unverbrüchlich gehalten werden, neuere aber gegen eine Entschädigung von zehn Procent für die Händler außer Rechtskraft gesetzt werden sollten.

Allein es war nicht mehr möglich, die Katastrophe aufzuhalten, der Credit der neuen Gesellschaft selbst war allzusehr erschüttert, als daß ihr Ausspruch Beachtung gefunden hätte. Nun riefen die in ihrer Existenz Bedrohten Staatshülfe an, aber die Generalstaaten weigerten sich, das Schwindelgeschäft durch obrigkeitlichen Schutz gleichsam zu sanctioniren. Zwar erklärte ein Edict vom 27. April 1637 vorläufig, d. h. bis zum Ausgang amtlicher Untersuchung, alle Contracte für gültig; die Verkäufer sollten ihre Tulpen den Contrahenten anbieten und, falls diese die Annahme verweigerten, ihre Waare entweder aufbewahren oder anderweitig verkaufen und sich des Schadens wegen an die ersten Contrahenten halten. Da aber kaum zu erwarten stand, daß sich die Obrigkeit definitiv für Gültigkeit der Contracte aussprechen werde, so gereichte die provisorische Erklärung keineswegs zur Beruhigung. Die Käufer weigerten sich, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen, der Proceß führte nur um so sicherer zum Bankerott, man schätzte sich schließlich glücklich, wenn man durch Vergleiche 5 oder 6 Procent rettete.

So nahm jenes Hazardspiel ein jähes, immerhin zu spätes Ende. Es wurden zwar später wiederholt Versuche gemacht, ähnliche Geschäfte in’s Leben zu rufen. Rist erzählt, daß in den sechsziger Jahren des 17. Jahrhunderts in Holland plötzlich die Anemone, das Windröschen, so hoch im Preise stand, wie einige Jahrzehnte früher die Tulpe, aber bei massenhaft gesteigerter Production verlor das Ziergewächs rasch diesen Modewerth. Eine gefüllte Lilie kostete 50 Reichsthaler. Ricard, der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts nach Haarlem kam, sah dort ein paar Tulpenzwiebeln, die ungefähr 600 holländische Gulden gekostet hatten. In Weston’s „Botanicus universalis“ und in der „Physikalisch-ökonomischen Bibliothek“ finden sich Listen, in welchen für einige Tulpenarten, Don Quivedo, Valentinier etc. mehr als zwei Pfund Sterling angesetzt sind. Auch Sophie La Roche, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Holland bereiste, sah in Haarlem eine Tulpe von schönem Blau, Imperialis, welche 100, eine weiß-rothe, Maria Schurmann, welche 50 Gulden kostete. Sie erwähnt auch eine Sitte, wonach sich reiche Kaufherren, welche „von der artigen Krankheit, kostbare Blumen besitzen zu wollen“, angesteckt waren, von ihren Lieblingen getreue Portraits malen ließen und diese wie Familienbilder an ihre Freunde versendeten. Der Göttinger Professor Beckmann meinte deshalb, man könne immerhin noch von einer „kleinen Tulpomanie“ sprechen.

Zum Hazardspiel freilich war die Zwiebel nicht mehr nöthig, dazu hatte man bereits fast in allen Staaten das italienische Lotto, Dank dem, wie Beckmann klagt, „einige Gewinne Vornehme und Geringe, Reiche und Arme zum öffentlichen Spiel ziehen, daß alle Gewerbe schläfriger betrieben und von manchen gänzlich verlassen werden, weil man den Arbeitern ein bequemeres Mittel, reich zu werden, gewiesen hat; sowie wir die Tulpomanie des [724] 17. Jahrhunderts verlachen, so werden unsere Nachkommen über die Lottomanie des 18. spotten.“

Nun, des Lotto sind wir in Deutschland ledig, die Spielsucht, d. h. die Begier nach außergewöhnlichem Gewinn ist geblieben, und wir können ebenfalls nur die Frage aufwerfen: wie werden unsere Nachkommen über die von uns erlebte Gründer-Aera, über die Dachauer Banken, über den „schwarzen Freitag“ 1869 in New-York, über den Börsenkrach 1873 in Oesterreich und Deutschland denken?

„Die Welt,“ läßt Francisci seinen Ehrenhold sagen, „ist mit all ihrem Wesen selbst eine Blume, bei der man billig Zweifel hegt, ob sie nit allzu theuer im Preise stehe!“




Brausejahre.

Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)

Der Winter kam, und das Treiben der Gesellschaft lenkte in die alten Bahnen. Nach Görtz’ Entfernung – gleichbedeutend mit dem Sprengen seiner Partei – nahte sich der Kammerherr Siegmund von Seckendorf Goethen in einer nicht mißzuverstehenden Weise. War dieser auch nicht frei von Argwohn gegen den eleganten Cavalier, so schätzte er doch die Begabung des gewandten Mannes.

Eines Tages besuchte Seckendorf Goethe ohne äußeren Anlaß und sagte ihm offen, daß er ein Verlangen trage, sich mit ihm über die frühere und gegenwärtige Stellung zu einander auszusprechen, und daß er wünsche, Goethen freundschaftlich näher zu treten.

Mit dem Ton der Wahrheit fuhr er fort:

„Sie haben mich bezwungen, lieber Legationsrath; die kräftige Sprache des Herzens, welche mir aus Ihren Worten und Werken entgegentönt, hat meine Unzufriedenheit, selbst meinen Vorsatz zu kritisiren, zum Schweigen gebracht. Ehe ich’s wußte und wollte, war ich Ihnen gegenüber mitten im Taumel der Empfindung, welche von nun an, da kein Görtz seinen störenden Einfluß geltend macht, die herrschende bleiben soll!“

„Schonen wir des Abwesenden!“ entgegnete Goethe mit edler Abwehr jenes schiefen Rechtfertigungsversuchs. Milder fuhr er fort:

„Ich bin Ihnen dankbar für Ihr Entgegenkommen und glaube, daß die Spreu der Eitelkeit ein zu mageres Futter ist, um sich darum zu raufen und die gute Natur zu hemmen.“

In der Wintersaison ging ganz unerwartet ein neuer Stern auf. Es war dies Christel von Laßberg, die sich endlich so weit gekräftigt hatte, um den längst beabsichtigten Tanz- und Anstandsunterricht des tonangebenden Meisters Adam Aulhorn zu genießen. Nachdem sie sich allmählich und in aller Stille zu einer zarten Schönheitsblüthe entfaltet hatte, war ihre linkische Schüchternheit in bescheidene Anmuth, ihre stumme Scheu in anziehende Zurückhaltung verwandelt.

Die Männer ihres Kreises nahten sich ihr nach und nach sämmtlich. Vom Herzog an ward Jeder mehr oder weniger angezogen, um sich doch bald wieder mit der Versicherung abzuwenden, man komme nicht weiter mit ihr!

Daß der Blick ihres blauen Auges einen herzbewegenden Schimmer habe, daß sie im Tanzen und Schlittschuhlaufen, in jeder Bewegung ihres schlanken Körpers von der „Biegsamkeit des Schilfrohrs und der Leichtigkeit einer Libelle“ sei, wie Meister Aulhorn gern wiederholte, gaben alle Männer zu, und doch waren sie an den Ton gefälligen Entgegenkommens, an den prickelnden Reiz des Neckens und Herausforderns so gewöhnt, daß sie sich mit dieser so in sich geschlossenen Erscheinung nicht dauernd verständigen konnten.

Der Grundton in Christel’s Wesen war jene „süß leidende Sentimentalität“ ihrer Zeit, welche, vom Sturm und Drang des brausenden Jugendmuthes, der jetzigen lustfunkelnden Gesellschaft verscheucht, keine Geltung mehr fand und nur noch Achtungserfolge errang. Man war noch überschwänglich in Wort und That, wenn es eben paßte, aber lachte doch schon über die Empfindsamkeit schöner Seelen. Christel glich einer verspäteten Frühlingsblume, einem Veilchen, das, von greller Sommergluth getroffen, schmerzlich unter derselben leidet.

Sie hatte ihr Tagebuch fortgesetzt, und ein weiteres Stück desselben lautete:

Im Winter 1777.

Ich glaube, die Menschen haben mich alle bisher für geistesschwach gehalten. Noch jetzt spüre ich etwas wie Erstaunen bei den Leuten, wenn ich mich so ziemlich benehme wie die Andern. Gehe ich aber ernstlich mit mir zu Rath, so verdiene ich diese überraschten Mienen, nicht deshalb, daß ich ihre Komödie zu spielen weiß, sondern, daß ich mich herbeilasse mitzuthun wie sie. Denn recht wahr und schlicht und ganz er selbst kann Niemand in der eleganten Welt, der sogenannten guten Gesellschaft sein! Wie oft muß ich Jemand freundlich begrüßen, der mir zuwider ist; wie oft lächeln, wenn ich tief betrübt bin; wie oft darf ich nicht jauchzen, wenn ich’s möchte, und mein heißes Empfinden, meine Anbetung für ihn zeigen darf ich nun und nie! Jedes Wort von seinem Munde, das an mein Ohr tönt, läßt alle meine Nerven erbeben, wie der Lufthauch die Aeolsharfe. Ach, und wenn er mich berührt, durchzuckt mich Wonne, und ich möchte vergehen, wie der Thautropfen vor dem Sonnenstrahl!

Wer würde mich darin verstehen? Sie würden mich „sentimental“ nennen, eine „Wertherin“, wie neulich Auguste sagte. Wie leer aber ist das Leben, welch ein Kreislauf alltäglicher, selbstsüchtiger Unerträglichkeit, wenn man die großen, tiefen Gefühle ausstreicht!

Mein Vater ist mit mir zufrieden; aber darf ich mich freuen über seinen Stolz auf meine äußerlich angelernten Vorzüge? Er schenkt mir mehr neue Kleider, als ich mag, und sagte gestern, als wir von Kanzler von Koppenfels’ Soirée kamen:

„Endlich herrscht nur eine Stimme darüber, daß Du schöner bist als die Kalb! Ja, die feinste Rasse entwickelt sich langsam. Jetzt gilt’s, Christinchen, eine bessere Partie zu machen, als die dicke Auguste, dann haben wir endlich die Kalb’s glänzend geschlagen!“

Das also soll mein Glück, der Inhalt meines Lebens sein: Gustchen zu demüthigen? O Eitelkeit und Thorheit! Armer Vater, daß ich Dir gerade diesen größten Wunsch nicht erfüllen kann! Welche Lüge, welch ein Betrug würde es sein, mit meinem Herzen voll grenzenloser Liebe für ihn einem andern Manne vermählt zu werden! Nie, nie wird das geschehen, und wenn Auguste Kalb mir noch so weit an Eheglück und Ehre voran kommt; mag sie’s, ich gönne ihr alles Beste nach ihrem Sinn.

Nur selten überfällt mich noch die ohnmächtige Starrheit, wie in meiner Jugend; ich irre auch nicht mehr in Zerstreutheit ab, wie früher, und ich bin froh, daß ich endlich sein kann wie andere Menschen. Bin ich allein, so gebe ich mich getrost meinen süßen Träumereien hin, deren alleiniger Inhalt er ist.

Ich glaube nicht, ich kann es nicht glauben, daß er die Stein liebt; sie sind so verschieden an Jahren und Wesen. Er so feurig, sie so sanft. Er so lebhaft, stürmend, thatkräftig, sie so ruhig, so nachdenklich und schwermüthig. Er soll viel bei ihr sein; in der Gesellschaft merkt man nicht, daß sie sich nahestehen. Fort mit Argwohn und Sorge, ich will das Glück genießen, das endlich mir zu Theil wird!“




28.

Hei, wie die rothe Abendsonne auf dem blanken, bläulich flimmernden Eise des Schwansees glühte, welche Farben und Lichter das gab! Wie die Bäume ringsum sich unter den glitzernden Reifsträußen bauschten wie unter jungem Laube, und wie jeder Halm am Uferrande sein Krönlein trug, jedes geknickte Schilfrohr, jeder dürre Zweig malerisch schimmerte in seiner weiße Zier!

Ein herrlicher Wintertag ging zur Rüste, aber um für die Lustigen von Weimar erst recht zu beginnen.

Die vornehme Welt war vom Herzoge zu einem Punsch auf dem Eise bei Beleuchtung und Musik um vier Uhr eingeladen.

[725]

Makart’s Atelier.
Originalzeichnung von J. J. Kirchner.

[726] Das Schlittschuhlaufen war, zum Theil durch Klopstock’s begeisterte Oden, Mode geworden und nur wenige Personen des Hofkreises schlossen sich von dieser reizvollen Bewegung aus. Es wurden Schlittschuhpolonaisen aufgeführt, Quadrillen versucht oder Hand in Hand Reihen- und Schlangenläufe gehalten.

Dann versammelte man sich an einem mit Bänken und einem Windofen versehenen Bretterhäuschen, das am Ufer hergerichtet war, plauderte, lachte, ersann neue Uebungen und ging mit frischen Kräften an das leidenschaftlich betriebene Vergnügen.

Eben fuhr wieder die ermüdete Jugend mit erhitzten Wangen und leuchtenden Augen am Büffetzelt zusammen.

Da erklangen ein paar schmetternde Trompetenstöße, und ganz unerwartet kam ein Maskenzug herangelaufen. Die fackeltragenden Husaren bildeten eine hellbeleuchtete Gasse, durch welche diese Ueberraschung, mit freudigen Ah’s! und schmeichelhaften Zurufen begrüßt, daher flog.

Es war eine Kosakenhochzeit, die man darstellte. Der Hetmann, mit geschwungener Knute voran, dirigirte das Ganze, dann folgten Musikanten mit Trompeten, Pauke und Trommel, die einen seltsamen Lärm im Laufen aufführten. Hierauf das Brautpaar mit Kränzen und Sträußen komisch ausgeputzt, darauf die Eltern und Hochzeitsgäste. Dieser Zug führte einen scherzhaften, wilden Eistanz auf und fand großen Beifall; es waren die gewandtesten Läufer aus der Gesellschaft, die sich eben, außerhalb der Beleuchtung, im Wagen oder Gebüsch den Maskenputz übergeworfen hatten.

Den Bräutigam machte Siegmund von Seckendorf, die Braut Auguste von Kalb. Eines der nächsten Paare war Christel von Laßberg mit ihrem Vetter, dem Grafen Erich Wrangel, der wieder in ihrem Hause zum Besuch war; den Kosaken-Hetmann machte Goethe.

Als man nach Beendigung des Tanzes auf den Versammlungsplatz zufuhr, glitt Seckendorf, seine Partnerin an der Hand haltend, zum Herzoge heran.

Dieser empfing ihn lachend und lobend:

„Sie waren Beide vorzüglich, und die Ueberraschung ist prächtig gelungen! Ich hatte keine Ahnung von Ihrem famosen Witz!“

„Sollten wir Durchlaucht vielleicht noch eine Ueberraschung bereiten können?“ rief der Bräutigam. „Hier stelle ich Eurer Durchlaucht Fräulein Auguste von Kalb als meine Braut, und nicht allem im Spiel, sondern in Wirklichkeit vor!“

„Ah!“ machte Karl August, „endlich! Das ist ja ein wahres Gaudium: Gustchen kommt unter die Haube; na, sie wird froh sein!“

„Das sind wir Beide, Durchlaucht,“ sagte Auguste empfindlich.

„Eh natürlich, er hätt’s sonst ja lassen können. Freut mich aber recht für Sie Beide, und nun kommen Sie heran, daß ich Ihre Gesundheit mit einem vollen Glase heißen Punsch ausbringe. Das neue Brautpaar lebe hoch, hurrah!“

Ein Tusch, und sämmtliche Anwesende riefen mit: hurrah, hurrah!

Dann ging es an ein Umdrängen, Glückwünschen, Händeschütteln und Besprechen des neuen Ereignisses. Die Meisten hatten sich’s lange gedacht, daß es so kommen müsse. Andere verlangten Einzelheiten, knüpften unter sich Muthmaßungen an und machten spöttische Bemerkungen, sowie sie den Rücken wandten.

Dies alles widerte Goethe an; unmuthig warf er seine Knute in die Ecke. Sein Blick schweifte über die einsame, mondbeglänzte Fläche des Sees, er bot einer zufällig neben ihm stehenden Dame die Hand und sagte:

„Kommen Sie, Fräulein von Laßberg, lassen Sie uns dieser tollen Komödie den Rücken wenden!“

Sie legte stumm und beseligt ihre Hand in die seine, und langsam glitten sie zusammen über die Eisbahn.

„Die Höflichkeit des Herzens ist in der besten Gesellschaft so selten, wie die Polizei des Gewissens!“ sprach er ernsten Tons. „Mit Verdruß sehe ich, wie man kaum heimlich Witzboldereien auf der Glücklichen Unkosten losläßt und ihnen Rübchen schabt. Zudem bin ich kein Verehrer Ihrer Freundin, die als schüchterne Braut in meinen Augen eine lächerliche Farce spielt. Wie wird dies Wesen auf Seckendorf wirken, der eben anfing sich zur Natur und Wahrhaftigkeit zu bekehren?“

„Sollte die Liebe nicht immer veredeln?“ wagte Christel zaghaft zu entgegnen.

Er sah zur Seite auf seine Begleiterin; vielleicht blickte er sie jetzt zum ersten Male mit etwas wie Interesse an. Das Mondlicht spiegelte sich m ihren ernsten Augen, die mit seelenvollem Ausdruck auf ihn schauten, ihre schlanke Gestalt hob sich vortheilhaft in dem hellblauen Kosakenjäckchen, er fand sie hübsch, aber zu blumenhaft zart, um ein rechtes Gefallen an ihr zu haben. Ihr ganzes Wesen erinnerte ihn an seine überwundene jugendliche Sentimentalität.

Vor acht oder zehn Jahren hätte sie mir vielleicht gefährlich werden können - und doch nicht, ich liebte immer mehr das Naive - dachte er und erwiderte:

„Die Liebe, gewiß; aber was ist denn zwischen den Beiden Liebe? Sie können sich einander gebrauchen, das ist Alles! Man erkennt ja Niemand an als Den, der uns nützt.“

Seine Worte thaten Christel weh, sie waren in dem unbewußten Verlangen, ihrer Gefühlsschwelgerei entgegen zu treten, herber gesagt, als er’s meinte. Schwermüthig antwortete sie:

„O, wie öde ist das Leben, wenn ich es aus jenem Gesichtspunkte ansehe! Man sollte es von sich werfen, wenn es ohne reine, gewaltige Empfindungen ist!“

„Sie sind ja kurz damit fertig, mein Fräulein. Ich will Ihnen zu Ihrer Ermuthigung erzählen, was mir heute meine Mutter schreibt - eine prächtige alte Frau, die viele Menschen gern haben und Frau Aja nennen; sie sagt: Suche keine Dornen, mein Sohn, hasche die kleinen Freuden; sind die Thüren niedrig, so bücke Dich; kannst Du den Stein aus dem Wege stoßen, so thu’s, ist er zu schwer, geh’ um ihn herum, so wirst Du alle Tage etwas finden, das Dich freut!“

„Ja, wer das könnte, so leichten Sinnes wäre!“

„Ich antworte wieder mit Frau Aja’s Worten: Wer wird sich grämen, daß nicht immer Vollmond ist, und daß die Sonne jetzt nicht so warm macht wie im Juli? Nur das Gegenwärtige gut gebrauchen und gar nicht daran gedacht, daß es anders sein könnte, so kommt man am besten durch die Welt, und das Durchkommen ist doch die Hauptsache!“

„Ach, oft ist es sehr schwer!“ seufzte sie leise.

Man kam eben wieder bei der Gesellschaft an, und Goethe war im Grunde froh, die trübe Gefährtin zu verlassen. Ihn hatte das Zusammensein nicht von dem Unbehagen entlastet, welches jene Verlobung ihm verursachte.

Christel war nicht ganz unberechtigt, vorahnend Sorge und Schmerz zu empfinden. Sie wußte längst, daß ihr Vater sie mit dem reichen Majoratsherrn, ihrem Vetter Erich Wrangel, zu verbinden wünsche, und heute hatte sie den sie beängstigenden Eindruck gewonnen, daß Erich sie liebe und um sie zu werben beabsichtige. Die plötzliche Verlobung Augustens mit dem Kammerherrn von Seckendorf mußte - davon war sie überzeugt - den alten Herrn furchtbar aufregen und mit eifersüchtigem Zorn erfüllen. Er würde in sie dringen, jene bessere Partie nicht auszuschlagen, und konnte sie dem Vetter, dem sie wie ihrem Bruder gut war, eine Neigung heucheln, die sie nicht für ihn empfand? Ein Herz geben, welches ein Anderer völlig ausfüllte? Konnte sie eine Ehe ohne Liebe eingehen? Nie! Niemals!

Als nach der Rückkehr zum Bretterhäuschen Goethe sich von Christel verabschiedet hatte, trat sogleich der Vetter Erich zu ihr und bat sie, auch mit ihm noch ein paar langsame Fahrten zu machen. Er erklärte sich aber auch sogleich bereit, sie nach Hause zu begleiten, als sie über Müdigkeit klagte.

Die Gesellschaft befand sich ohnehin im Aufbruche, und so ließen Beide ihre Schlittschuhe abschnallen, er reichte ihr den Arm, welchen sie zerstreut annahm, und dann begaben sie sich, ziemlich abgesondert von den Uebrigen, auf den mondhell beleuchteten Heimweg.

„O liebe Cousine!“ begann nach einigen Schritten der junge Mann mit warmem Tone, „welch ein glückliches, heiteres Leben habe ich während der ganzen Urlaubszeit an Deiner Seite geführt! Welch ein köstliches Fest war dies wieder! Mir ist, als sollte ich aus einem Himmel scheiden, wenn ich in wenigen Tagen abreise! Könnte ich’s mit der Gewißheit, meines Engels Herz gewonnen zu haben, so würde ich beseligt von hinnen gehen, aber diese Gewißheit fehlt mir noch. Christinchen, liebes Christinchen, sag’ mir’s offen, wie Du für mich empfindest! Warum bist Du manchmal so scheu und kühl gegen mich? Was darf ich von Dir hoffen?“

[727] Dies war trotz Allem, was sie aus seinem Verhalten herausgefühlt, doch eine so plötzliche Frage, daß sie ihr den Athem versetzte und sie sich ein paar Minuten vergeblich bemühte, ihm zu antworten.

Endlich stammelte sie: „Gewiß habe ich Dich gern, guter Erich! Haben wir nicht allezeit wie Geschwister verkehrt?“

Er sah sie traurig an, und sie fuhr herzlicher fort: „Dränge mich nicht, laß die Zeit hingehen.“

„Ich soll also noch warten, Christine? Gut, es schadet nichts, wär’s auch Jahr und Tag! Ich muß ja doch bald fort; wenn Du nur freundlich gegen mich bist, ist alles Andere Nebensache. Kommt Zeit, kommt Rath, liebes Christinchen, mein bist und bleibst Du doch!“

In diesem Augenblicke trat ihnen aus dem Laßberg’schen Hause der Oberst in seinem langen Reitermantel entgegen.

„Ihr kommt spät; wollte Euch abholen; nun, ich sehe, Ihr seid gut mit einander aufgehoben“ – setzte er mit zufriedenem Tone hinzu und fuhr dann hastig fort: „Ist’s wahr, was mir eben Lichtenberg vor der Thür erzählt, daß die Guste Kalb mit Seckendorf verlobt ist?“

Beide bestätigten es. Der alte Herr fluchte in den Bart, als er die Hausthür hinter den Eingetretenen abschloß; dann lachte er kurz auf und murmelte vor sich hin:

„Paß auf, Herr Nachbar, endlich übertrumpfen wir Dich doch!“

Es bereitete dem Obersten eine große Enttäuschung, als sein Neffe einige Tage später mit ablaufendem Urlaube sein Haus verließ, ohne, wie er glaubte fest erwarten zu können, bei ihm um Christel’s Hand zu werben. Und seine darauf folgende düstere, unleidliche Laune, welche diesmal lange anhielt, quälte Schwester und Tochter peinlich.

(Fortsetzung folgt.)




Aus der Zeit der Weinlese.

Hierzu die Illustrationen S. 721 und S. 728/729.

Wie viele andere Culturpflanzen, so hat auch der Weinstock seinen Heimathschein verloren, und Niemand kann heute das Land bezeichnen, von dem aus er seinen Triumphzug um die Welt begonnen. Aber überall nennt ihn die Sage als eine der edelsten Gaben der Götter, und oft wurde er zum Symbol der blühenden Cultur. Er wird auch darum gleich hoch geschätzt im hohen Norden, wie im Süden.

Wer kennt nicht die Vorliebe, mit der die nordischen Völker in warmen Treibhäusern die Rebe cultiviren, wer kennt nicht den größten Weinstock der Welt in dem Gewächshause von Hampton Court bei London, der an seinen bis 100 Fuß langen Zweigen alljährlich 2000 bis 3000 Trauben trägt?

Erst in der gemäßigten Zone unter dem 50. Grade nördlicher Breite wagt sich die Rebe in’s Freie, und obwohl sie noch in verkümmerter Gestalt auftritt, verleiht sie der Landschaft einen romantischen Schmuck, wie dies die Weinberge in Deutschland, Nordfrankreich und Ungarn deutlich genug beweisen. Hier wird noch die Rebe an 2 bis 5 Fuß hohe Pfähle oder Drahtgitter in Reih und Glied angebunden und in ihrer Zwerggestalt erhalten.

Ungebundener tritt sie uns in Tirol entgegen, wo sie in den Weinbergen, auf Steinsäulen und horizontalem Lattenwerke sich emporschlingend, die berühmten Weinlauben bildet.

Vollständig frei wird sie erst in dem Garten Italiens, in der fruchtbaren lombardischen Ebene, wo ihre Ranken die Maulbeerbäume mit phantastischen Guirlanden umschlingen, oder im Süden Italiens, wo sie namentlich die Wipfel der Ulmen und Pappeln erklimmt.

Hier wurde auch der Weinbau in der schönsten poetischen Form verklärt, hier entstand das schöne Märchen von der Vermählung der Rebe mit der Ulme, hier bestand auch die sinnreiche Sitte, die Rebe wenigstens einmal im Jahre für ein paar Tage von ihren Banden loszumachen, damit sie in Gemächlichkeit sich auf dem Lager der Erde ausruhen könne, nach welchem sie das ganze Jahr verlangend schaue, und damit auch der Baum, seiner theuren Last entledigt, die Arme behaglich von sich strecken und frischen Athem schöpfen könne.“[1]

Wie verschiedenartig aber die Pflege des Weinstocks in den einzelnen Ländern sein mag, überall wird die Zeit der Weinernte mit besonderer Freude begrüßt, welche die schwere Arbeit zu einer Art herbstlichen Festes gestaltet.

„O Blüthe der Reben! Ob Engel du seist, laßt uns erproben“ – so singen fröhlich bei der Arbeit die Winzer und Winzerinnen Italiens und füllen die Pausen durch die Saltarellotänze aus, die an den alten Reigen des Bacchus erinnern.

Es ist Herbst. Kein Wölkchen am blauen Himmel Italiens; die Sonne des September scheint mild und golden wie verklärend auf die erquickte Erde; mit vollen Zügen athmet der Städter die erfrischende, reine Luft des platten Landes ein. Die Bauern sind auf ihren Feldern zerstreut – sie machen fröhliche Gesichter, denn das Schwerste ist gethan und die Arbeit der vergangenen Monate reich gesegnet: sie haben hundertfältige Frucht geerntet. Auf den grünen Hügeln sitzen die schönen Töchter des Landes und singen vom Morgen bis zum Abend; nach Sonnenuntergang wird die Hirse in Garben auf die Tenne gelegt, und beim Klange der Guitarre tanzen und springen Knaben und Mädchen darauf herum, so lange der Mond scheint. Hier und da schleicht ein Liebhaber durch die Nacht und bringt seiner Schönen eine Serenade – der Hänfer richtet seine kleine Guillotine auf, bricht Hanf und erzählt den Burschen und den Dirnen, die bis über Mitternacht um ihn herumstehen, seine gruseligen Geschichten, wie man sie wohl bei uns in der Spinnstube hört – und aus der Ferne rufen die melancholischen Käuzchen: Tutto è mio, tutto è mio, das heißt: Alles ist mein! Alles ist mein!

Freilich ist es die Jahreszeit der Fröhlichkeit und der Feste und die Weinlese steht bevor.

La Vendemmia! Die Gabe des Bacchus wird sorgsam abgeschnitten und in Körbe gelegt – „es ist kein Korb so schlecht, daß man ihn nicht bei der Weinlese brauche“ – sagt das Sprüchwort. Geringere Trauben werden mit der Hand gebrochen, edlere Sorten mit dem Messer abgeschnitten oder vermittelst einer zangenartigen Scheere abgeknipst. Aus den Körben werden die Trauben zum Transport nach der Kelter in hölzerne Gefäße aus Dauben ohne Deckel, oben weiter als unten, gethan: ein solches Gefäß nennt man una Bigoncia. Esel und Maulthiere tragen, mit je zwei gefüllten Bigonci behangen, die Trauben nach dem Orte, wo gekeltert wird, dem sogenannten Palmento. Hier werden sie in eine große hölzerne, aus Dauben zusammengesetzte und gut gebundene Kufe geschüttet, welche unten weiter ist als oben und Tino genannt wird; darunter steht ein irdenes Auffanggefäß, die sogenannte Tinozza del Tino. In der Kufe werden die Trauben von den sogenannten Tretern oder Pressern (Calcatori oder Pigiatori) mit den Füßen zerquetscht und ausgepreßt: die Füße sind gewöhnlich nackt, manchmal mit Stiefeln aus Holz oder rohem Leder bekleidet.

Die Leute stehen zu zwei oder mehreren in einer Kufe und stemmen sich beim Treten auf eine Art Krücke, die sie in der Hand haben, halten sich auch wohl an Seilen, die über ihren Häuptern ausgespannt sind, und an einander an. Das ist die alte patriarchalische Art des Kelterns, wie sie schon vor Jahrtausenden zu des Propheten Jeremias Zeiten bestand; unser eigenes Wort Kelter erinnert daran, es lautete ursprünglich Kalter und kommt von dem lateinischen Calcatura, gleichsam die Trete. In einzelnen cultivirteren Gegenden, namentlich in Toscana, wendet man eine hölzerne Stampfe (Torchio) und in fortgeschritteneren Wirthschaften die Traubenmühle an, auf welcher die Beeren zwischen hölzernen oder eisernen, fein cannelirten Walzen zerquetscht werden, ohne daß durch Verletzung der Stiele und Kerne Gerbstoff in den Most kommt.

In Rom gestaltet sich die Vendemmia zu einer Art Volksfest, das am Monte Testaccio gefeiert wird. In jenen aus alten Scherben aufgehäuften Hügel sind zahlreiche Grotten eingegraben, in denen der Wein aufbewahrt wird, und an diese Kellereien schließen sich zahlreiche Osterien an, welche der lustigen Schaar der Tänzer und Tänzerinnen die Gabe des Bacchus bieten.

Der deutsche Herbst ist nicht so heiter, wie sein italienischer Bruder. Nur selten suchen bei uns die Winzer und Winzerinnen

[728]

Wein-Ernte bei Rom.
Nach dem Oelgemälde von A. Schönn.

[729] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [730] bei der Mittagspause hinter dicht belaubten Weinstöcken Schutz vor den brennenden Sonnenstrahlen, wie dies in dem Kometenjahr 1811 der Fall gewesen, wo „singend und jubelnd über den reichen Herbstsegen, in geschlossenen Reihen, geleitet von einem Fahnenträger und begleitet von Löhlsknechten und Buttenträgern, die Winzer und Winzerinnen in nettem nationalen Costüm zu und von der Arbeit zogen.“

Der Italiener läßt einen Theil seiner Trauben hängen, damit sie an der Rebe zu Rosinen eindorren, in Deutschland droht bei nasser Witterung die Gefahr, daß die Trauben faul werden und auslaufen. Aber trotz der günstigeren Umstünde, unter welchen der italienische Weinbauer arbeitet, ist doch der deutsche Wein weit besser als der italienische, der sich kaum ein Jahr zu halten vermag – einige Ausnahmen abgerechnet. Das hat aber nur darin seinen Grund, daß der Deutsche fleißig und der Italiener nachlässig ist, daß der Deutsche die Kunst der Weinbereitung gründlich versteht und der Italiener sich um die Veredelung der Gaben des Weinstockes nicht bekümmert.

So kam es auch, daß bei uns selbst die ungünstige Witterung ausgenützt wurde und die „faulen Trauben“ keinen Schrecken der Weinbergbesitzer mehr bilden. Es ist jetzt allgemein bekannt, daß auf die „Edelreife“ der Trauben die „Edelfäule“ derselben folgt, und daß gerade aus solchen edelfaulen Trauben die besten Weine gekeltert werden. Sehr alt ist allerdings diese Kenntniß nicht.

Nach der einen Angabe soll sie uns das Jahr 1811 gebracht haben. Damals kaufte die Weinfirma Mumm in Frankfurt am Main die Crescenz des Johannisberges von dem französischen Marschall Kellermann (Herzog von Valmy), dem Napoleon diese Weinberge „geschenkt“ hatte. Die Weinlese konnte wegen der Kriegswirren nicht rechtzeitig – nach den damaligen Begriffen – beginnen, und man sammelte faule Trauben, aus welchen zu nicht geringem Erstaunen der glücklichen Käufer ein so vorzüglicher Wein gekeltert wurde, daß der Erlös für denselben den Grund zu dem Reichthum der Firma gelegt hat.

Nach einer anderen Lesart soll die Edelfäule im Jahre 1822 als solche erkannt worden sein. Es gab in jenem Jahre nur wenig Trauben, und die Witterung war so „ungünstig“, daß die Edelfäule fast über Nacht eingetreten war.

Jacob Schlamp aus Nierstein berichtet darüber in seinem Büchlein „Die Weinjahre des 19. Jahrhunderts“[WS 1]: „An dem betreffenden verhängnißvollen Herbsttage, an einem Sonntag Nachmittag, befand ich mich in W…, hessische Pfalz, in einer Gesangprobe. Ohne daß man an den Herbst dachte, fingen plötzlich alle Glocken des bedeutenden Cantonortes zu läuten an. Man stürzte aus allen Häusern auf die Straße, da man den Ausbruch eines bedeutenden Feuers fürchtete. Großer Irrthum! Auf vielseitige Fragen: ‚Wo brennt’s?‘ erfolgte die überraschende Antwort: ‚Die Trauben in den Weinbergen laufen fort. Eilends hinaus, und helfe, wer helfen kann!‘ Alle Geschirre, Herbstgeräthe, die im Augenblick zur Hand waren, wurden ergriffen und hin eilte man in die Weinberge, um zu retten, was zu retten war. Von den wenigen Trauben, womit die Stöcke behangen, waren mehrere ausgelaufen, manche auch noch gefüllt, mit edelfauler Hülse umgeben, aber so mürbe, daß man sie mit bloßer Hand, ohne daß sie ausliefen, nicht abnehmen konnte. Eine gesunde Beere zum Essen war nirgends mehr zu finden. Man hatte solchen Herbst noch nicht erlebt. Manche Befürchtungen wurden laut: ‚Was wird aus dieser faulen Brühe werden?‘ Auch wurden die Ortsbehörden mit Vorwürfen überhäuft, die Nothwendigkeit des Herbstes nicht früher erkannt zu haben, um die Trauben noch im gesunden Zustande lesen zu können. Das außerordentlich günstige Ergebniß widerlegte jedoch die Befürchtungen und Vorwürfe gründlich. Niemand wollte je einen so edlen Tropfen gekostet haben; ‚wenn es nur mehr wäre!‘ war der allgemeine Wunsch.“

Auf Schloß Johannisberg, das in der Geschichte der Edelfäule eine hervorragende Rolle zu spielen scheint, soll sich Folgendes ereignet haben. Anno 1822 ging der Verwalter im September auf Reisen, noch lange nicht an das Einheimsen seiner Trauben denkend. Als er wiedergekommen war, lagen die Trauben unter der Schneedecke auf der Erde. Der Schnee war nicht von langer Dauer, und so ließ der Verwalter die edelfaulen Trauben auflesen und auf die Presse bringen. Ueber das Resultat dieser verspäteten Weinlese wird nun erzählt: „Auf dem Johannisberg wurden 1822 nur zwei Stück geherbstet. Davon wurde das eine, wahrscheinlich das sanftere und lieblichere, die Braut und das andere, das kräftigere und volle, der Bräutigam genannt. Die Braut wurde zu 15,000 und der Bräutigam zu 16,000 Gulden per Stück, zu 1200 Liter, verkauft.“

Und nun noch einige Worte über 1834, als dessen Jubilar wir den heurigen Wein begrüßen möchten. Jenes Weinjahr war groß an Quantität wie 1811 und an Qualität ausgezeichnet wie 1822. Der Herbst in den Weinbergen begann damals gegen Ende October und war von kaltem Regen und rauhen Tagen begleitet; die Edelfäule war daher allgemein und nur selten noch eine gesunde, eßbare Traube zu finden.

Nun, unsern deutschen Weinbauern wünschen wir von Herzen in diesem Jahre einen gleichen Erfolg, möge sich ihre Kelter mit gutem Naß füllen, die „alte Kelter“, die C. Weitbrecht also besingt:

„Im Frühjahr beim Schlehenbluscht – ha, ja! –
War der Maurer mit Hammer und Zweispitz da,
Hat hier geklopft und dort gepickt;
Aber die alte Kelter, die hält noch lang,
Der ist vor dem wildesten Wein nicht bang,
Wenn mir Sanct Urban was Rechtes schickt!

Und im Juni die Traubenblüth! – ei, mein!
Schon lang war der Neckar nicht mehr so klein,
Schier gingen die Schiff’ auf dem Sand –
Hat der Zimmermann über die Hitz’ geflucht,
Als er die Kelterbäum’ untersucht!
Doch jetzt ist alles im guten Stand.

Das Kelterstüblein weißelt man nicht:
Da steht an der Wand manch alte Geschicht,
Zahlen die Kreuz und die Quer,
Allerhand Jahrgäng’, gut und schlecht –
Na, ja, der Heurige, der wird recht!
Vetter, so denkt’s uns schon lang nicht mehr!

Am Montag that man ’s Geschirr heraus –
Jetzt, Wingertschütz[2], trag’ die Rätsch’ nach Haus!
Leser und Buttenträger, juh!
Käufer genug schon, so ist’s recht!
Morgen, da springen die Kellerknecht’ –
Jetzt, alte Kelter, ist’s aus mit der Ruh!“




Blätter und Blüthen.

Makart’s Atelier. (Hierzu Abbildung S. 725.) Makart’s künstlerische Begabung war, wie wir dies in der Biographie des Künstlers (vergleiche vorige Nummer) ausgeführt haben, eine vorwiegend decorative. Er war in Allem, was zur Decoration gehört, ein unvergleichlicher Meister. Der Festzug, den er der Stadt Wien geboten, war nicht weniger ein Kunstwerk, wie nur irgend eines seiner glanzvollsten Bilder, und mit voller Berechtigung läßt sich dasselbe, wie vom Festzuge, auch von der Einrichtung seiner Wohnung und seines Ateliers sagen. Das Atelier nun gar! Das ist ein wahres Wunderwerk von decorativer Pracht, gediegen und schön in allen Einzelheiten, überwältigend, hinreißend in der Gesammtwirkung. Der Ruf dieses mit unvergleichlichem Geschmack geschaffenen Kunstwerkes hatte sich bald so verbreitet, wie der irgend eines seiner großen Sensationsbilder, und es kam kein kunstverständiger Fremder nach Wien, der nicht Alles aufgeboten hätte, um in dieses Atelier zu gelangen, das zu einer der vornehmsten Merk- und Sehenswürdigkeiten der schönen Kaiserstadt an der Donau geworden war. Es ist wahr, es ist ein fürstlicher Luxus entfaltet in diesem Raume, aber man hat nicht den Eindruck des Kostbaren, sondern voll und uneingeschränkt und ungetrübt den des Schönen. Es mußte Jedem bedeutend leichter erscheinen, die Mittel, als den Geschmack für solche Pracht aufzubringen.

Das Makart’sche Atelier hat zwei Räume. Wenn man vom Garten des Gußhauses auf der Wieden, wo sich Makart’s Künstlerheim befindet, das Atelier betritt, so gelangt man erst in das kleine und, nachdem man dieses durchschritten, in das große, den eigentlichen Prachtraum. Makart hatte sich erst einige Jahre mit dem kleinen Atelier, das ebenfalls nach seinen Angaben und seinen Bedürfnissen entsprechend gebaut worden war, beholfen, als er aber daran gehen wollte, seine „Katharina Cornaro“ zu malen, erwies es sich als zu klein, und er ließ an das kleine nun das größere so anbauen, daß zwischen Beiden eine Verbindung verblieb. Diesen größeren Raum nun stattete er nach und nach zu dem aus, als was er allen entzückten Besuchern erscheinen mußte: als ein in die Wirklichkeit übersetzter berückender Künstlertraum.

[731] Das Atelier hat nur ein einziges großes Fenster mit nicht ganz vollkommen reinem Nordlicht, gerade gegenüber von dem Fenster am anderen Ende des Saales führt eine Stiege, für sich ein Kunstwerk, wie Alles und Jedes im Atelier, zu einem Stübchen, das geradezu als das Ideal künstlerisch verschönter und gehobener Behaglichkeit angesehen werden darf. Im Atelier selbst nehmen natürlich in erster Reihe die Bilder Makart’s die Aufmerksamkeit für sich in Anspruch. Die eine Längenwand ist fast ganz verdeckt durch sein großes, unvollendet gebliebenes Gemälde „der Frühling“. Ein junger Ritter ist soeben am Bachesrand von seinem Rosse gestiegen, um einen Trunk entgegenzunehmen, den ihm ein blühendes, junges Weib reicht; um diese Beiden herum führt eine lustige Amorettenschaar einen übermüthigen Tanz auf. An den Seiten herum steht eine große Anzahl großer halbrunder Rahmen, mit theils fertigen, theils erst skizzirten Lunettenbildern für das neue kunsthistorische Museum. Da sehen wir auch ein fast fertiges, in bezaubernder Farbenpracht prangendes Stillleben, einige unvollendet gebliebene Portraits etc. Von den Bildern weg wendet sich dann der Blick auf die einzelnen decorativen Einrichtungsstücke. Wo soll man anfangen zu bewundern? Bei den in tiefen, gesättigten Farben glühenden persischen Teppichen, bei den funkelnden indischen Stoffen, bei den kostbaren Gobelins, bei den gewaltigen Bronzecandelabern, die in ihrer heiteren Schönheit ein ansehnliches Vermogen repräsentiren, bei den kunstvollen Waffen, den marmornen Alterthümern, bei dem geradezu verwirrenden Reichthum an köstlich geschnitzten Schränken, Stühlen, Truhen? Es ist nicht möglich, Einzelnes hervorzuheben, weil man sonst an tausend anderen Dingen ein Unrecht begehen würde; es nützt auch nichts, einzelnes, besonders Kostbares zu nennen. Das trifft man ja am Ende auch in Museen; was den Raum einzig, unvergleichlich macht, ist die Gesammtwirkung. Da steht und liegt jedes Ding auf dem richtigen Flecke und in richtiger Beleuchtung, und bei aller Pracht wirkt Alles so anspruchslos und so selbstverständlich, als wenn das Alles nur so sein müßte und gar nicht anders sein könnte.

Nur einem decorativen Genie allerersten Ranges war es möglich, das Kunstwerk zu schaffen, das unter dem Namen „Makart’s Atelier“ einen Weltruf errungen hat. Nach alledem erscheint es nur selbstverständlich, das gegenwärtig sowohl von der Künstlergenossenschaft, wie vom Gemeinderathe in Wien die Frage sehr ernsthaft in Erwägung gezogen wird, wie dieses Kunstwerk in seiner Gesammtheit für die Stadt Wien erhalten werben könnte.

Balduin Groller.     

Hans Makart † am 3. October 1884.



Fugger und der verschwenderische Herzog von Liegnitz. Herzog Heinrich XI. von Liegnitz, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte, war ein wunderlicher Herr. Nach seiner verunglückten polnischen Königsfahrt, die ihm 24,000 Thaler gekostet hatte, spielte Herzog Heinrich von Liegnitz einige Jahre die Rolle eines Krippenreiters im heiligen römischen Reiche. Er versuchte bei allen Reichsfürsten und Reichsstädten zu borgen und sich auf die thörichtste Weise Credit zu verschaffen, und glaubte damit zu imponiren, daß er allenthalben mit einem Dutzend Paukenschläger und Trompeter, die ihn begleiteten, seinen Einzug hielt. Gewöhnlich bekam er auch ein Geschenk, oft wurde er aber auch mit Versprechungen abgespeist. Bei diesem fahrenden Leben blieb der Herzog lustig und guter Dinge und ließ den Muth nicht sinken. „Es war Seiner Fürstlichen Gnaden und unser Thun nur dieses,“ schreibt sein Hofmarschall und Reisegenosse, der originelle Hans von Schweinichen, „daß wir spazieren gingen in die Kirchen, Zeug- und Provianthäuser, uns nach schönen Jungfrauen umsahen, soffen, spielten und guter Dinge waren.“ In Nürnberg wollte der Herzog, wie Schweinichen des Weiteren berichtet, vom Stadtrathe 4000 Gulden borgen, die ihm aber abgeschlagen wurden; man gab ihm jedoch 100 Gulden und einen Gaul zum Geschenke. Mit herbem Spotte behandelte ihn der reiche Fugger in Augsburg.

Er zeigte dem geldarmen Fürsten aus grausamer Eitelkeit seine zahlreichen Kleinodien, einen Schatz, den er selbst auf eine Million taxirte, schloß einen Kasten auf, worin 200,000 Gulden lagen, führte ihn auf ein Thürmlein, welches von der Spitze an bis auf die Hälfte herunter mit lauter guten Thalern gedeckt war, und spannte dadurch Heinrich’s Verlangen nach Geld auf’s Höchste. Aber als der Herzog den freundlichen Geldmann um ein Darlehn von 4000 Thalern ansprach, wurde ihm seine Bitte höflich abgelehnt. Einen Tag später erbarmte sich Fugger Heinrich’s jedoch und schenkte ihm 200 Kronen, einen Becher und ein Roß mit einer schwarzen Sammetdecke. Darauf ersuchte Heinrich den Magistrat von Augsburg um ein Darlehn von 4000 Thalern, erhielt von diesem aber nur 1000 Gulden und ein Pferd. Da dies Geschenk indessen zur Bezahlung seiner in Augsburg gemachten Schulden nicht auslangte, versetzte der fahrende Herzog sein silbernes Tafelservice für 800 Thaler und gab dafür den Vornehmsten der Stadt einen Abschiedsschmaus. In Köln, wo er mit zehn blasenden Trompetern einzog, ließ der Gastwirth Beschlag auf seine Habe legen, während Heinrich den großen Gedanken faßte, die Königin Elisabeth von England zu heirathen und Hans von Schweinichen nach London zu senden, wogegen sich letzterer jedoch energisch wehrte. E. R.     



Zu viel Ehre. In der “guten, alten Zeit,“ als die Leute schon den Hut abnahmen, wenn sie von weitem ein Schloß zu Gesicht bekamen, erzählte ein Graf seinem alten Kanzleirath: “Ich habe diese Nacht von Ihm geträumt.“ Der „Unterthänigste“ erwiderte: „Ew. hochgräfliche Gnaden geruhen gnädigst zu verzeihen.“ – „Nun, was denn?“ – „Es wäre meine unterthänigste Schuldigkeit gewesen, von Ew. hochgräflichen Gnaden zu träumen.“ Chr. Hmn.     


Wie man ehedem in Danzig Häuser-Verkäufe beurkundete. Die Mittheilung des Herrn A. Lammers „Bei brennender Kerze“ (s. Nr. 26 d. Jahrg.) erinnert an eine alte Danziger Sitte, welche Jahrhunderte hindurch bestanden hat.

Der alte, weltberühmte „Artus- oder Junkerhof“ (die großen Kaufleute hießen hier im Mittelalter Junker), eine der größten Sehenswürdigkeiten der an historischen Denkmälern so reichen Stadt Danzig, hatte seit dem Jahre 1656, in welchem man seine ehrwürdigen Hallen schloß, keine andere Bestimmung, als die, daß das Schöppengericht fortfuhr, in einem vergitterten Verschlage unter dem Bilde des jüngsten Gerichts seine Sitzungen abzuhalten. Hier wurde über den zum Tode verurtheilten Verbrecher der Stab gebrochen, und hier kamen die Herren Schöppen, angethan mit schwarzem Mantel und geschmückt mit Spitzenkrausen, zusammen, um mittelst Hinwerfens eines Hutes die Tradition eines Häuserkaufes zu beurkunden. E. K.     


Die erste Perrücke trug Ludwig der Heilige, König von Frankreich, welcher im Jahre 1270 starb. Als er von seinem Kreuzzuge nach Palästina zurückkehrte, erschrak seine Mutter, Königin Bianca von Castilien, nicht wenig, den geliebten Sohn kahlköpfig zu erblicken; die Strapazen in dem heißen Klima hatten ihn seiner Haare beraubt. Aber sie wußte Rath, um diesem Mangel abzuhelfen; sie schnitt jedem Cavalier am Hofe, dessen Haar dem ihres Sohnes nur einigermaßen glich, eine Locke ab und nähte dieselben mit kunstgeübter Hand an einander, so daß sie bald einen stattlichen Haarschmuck für ihren Sohn fertig hatte. Die Nachfolger dieser ersten Perrückenmacherin erkannten auch die Verdienste der hohen Frau um ihre Kunst rückhaltlos an, indem sie deren Sohn, Ludwig den Heiligen, welcher zugleich der erste Kunde der ersten Perrückenmacherin gewesen war, zu ihrem Schutzpatron ernannten, was er auch bis auf den heutigen Tag geblieben ist. L. M.     


[732] Von den Raubzügen der Sumpfschildkröte. (Mit Abbildung.) Unsere heimische Schildkröte, die einzige ihrer Art in Deutschland, ist ein ausgesprochener Liebling der Aquarien- und Terrarienbesitzer und gilt im Allgemeinen als ein ruhiges, geduldiges und sanftmüthiges Geschöpf. So meinen wenigstens Leute, die eine Schildkröte gezähmt haben, daß sie auf den Ruf „Hans“ oder „Ilse“ auf dem Futterplatz erscheint und ohne Scheu die ihr dargebotene Nahrung aus der Hand frißt. Die Naturforscher jedoch, welche die Sumpfschildkröte in Terrarien, die der Natur nachgebildet sind und den Thieren größeren Spielraum gewähren, beobachtet haben, berichten über andere Charakterzüge des anscheinend trägen Geschöpfes. Demnach ist die Schildkröte ein ausgesprochenes Raubthier und wagt sich nicht allein an Regenwürmer und Schnecken, sondern auch an Fische und Frösche heran. So beobachtete Marcgrave an gefangenen Schildkröten, daß sie arglos an ihnen vorbeischwimmenden Fischen Bisse in den Unterleib versetzen, die ermüdeten Opfer in’s Wasser ziehen und sie bis auf die Gräten verzehren. Oft wird dabei die Schwimmblase des Fisches abgebissen, sodaß sie in die Höhe steigt. Findet man daher derartige frei umherschwimmende Blasen auf der Oberfläche des Teiches, so kann man mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß in dem Wasser Schildkröten vorhanden sind. – Die Jagd der Schildkröte auf Frösche schildert uns Adolf Franke in seinem interessanten Buche „Die Reptilien und Amphibien Deutschlands“ (Leipzig, Veit und Comp.). Er hatte oft Gelegenheit, in seinem mustergültigen Terrarium (vergl. „Zwanglose Blätter“ „Gartenlaube“ 1883 Nr. 5) zu beobachten, wie ein Frosch, der auf Beute lauernd auf dem Wasser ausgestreckt lag, plötzlich an einem Hinterbeine von einer Schildkröte gepackt und trotz aller Befreiungsversuche verzehrt wurde. Es ist ein Bild seltener Grausamkeit, das sich dabei den Augen des Beobachters bietet, da die Schildkröten mit ihren Krallen das Fleisch stückweise von dem Körper ihres Opfers loslösen.

Die Sumpfschildkröte auf der Jagd.
Originalzeichnung von Emil Schmidt.

Die Liebhaber, welche Schildkröten im Hause halten, möchten wir bei dieser Gelegenheit auf den Umstand aufmerksam machen, daß unsere Sumpfschildkröte nur unter Wasser schlucken kann und darum auch jede auf dem Lande erhaschte Beute in’s Wasser trägt. Man füttert sie darum in der Gefangenschaft am besten, indem man einige Regenwürmer oder Stücke von Fischfleisch in eine Schüssel mit Wasser thut, in das auch die Schildkröte hineingesetzt wird.


Boshafte Entgegnung. Die berühmte Tänzerin Cerrito war ebenso flink mit der Zunge wie mit den Beinen. Im Jahre 1848 wurde sie, um im Programm der gelegentlich der Krönung König Maximilian’s II. von Bayern veranstalteten Festlichkeiten mitzuwirken, nach München berufen und trat daselbst im Ballet „La fille de marbre“ auf. Dasselbe schließt mit einer großen Zerstörungsscene, einer Feuersbrunst und einem Einsturz. Unglücklicher Weise versagte die Versenkung, welche die Tänzerin den Gräueln der Verwüstung entrücken sollte, den Dienst, und so mußte Fräulein Cerrito, bis der Vorhang fiel, in den Flammen und stürzenden Trümmern ausharren. Sie ward dabei auch in der That von einer herabfallenden Decoration an der Schulter verwundet und dadurch genöthigt, einige Tage das Bett zu hüten. Die Künstlerin beklagte sich mit Recht über diese grenzenlose Nachlässigkeit und forderte Schmerzensgelder. Der Intendant, dem man großen Ehrgeiz und lebhafte Sehnsucht nach einem hohen Orden nachsagte, meinte dagegen, daß der Unfall doch nicht so bedeutend gewesen sei, um davon so viel Aufhebens zu machen. „Nicht so bedeutend?“ rief die Cerrito erzürnt. „Nicht so bedeutend, wenn eine Decoration auf mich fällt? Sie haben doch wahrlich schlaflose Nächte genug wegen einer Decoration, die Ihnen nicht zufallen will.“ L. M.


Vorsichtige Kritik. Ludwig XIV. versuchte sich auch hin und wieder als Dichter. Einst hatte er wieder ein Poëm verfertigt und verlangte von Boileau ein Urtheil darüber.

„Eurer Majestät ist, wie ich sehe, Alles möglich,“ versetzte derselbe bewundernd; „Sie wollten einmal ein schlechtes Gedicht machen, und auch das ist Ihnen gelungen.“

L. M.


Andreas Romberg, der bekannte Componist der „Glocke“, wurde einst von einem kleinen Capellmeister, der von ihm beleidigt sein wollte, gefordert. Er beschied den Cartellträger des angeblich Beleidigten mit diesen Worten: „Degen oder Pistolen verstehe ich nicht zu führen. Aber Herr X. und ich wollen jeder eine Cantate setzen, und wessen Werk ausgepfiffen wird, der schießt sich todt.“ –w.


Doctor beider Rechte. Der berühmte Pianist Alexander Dreyschock (geb. am 18. Oct. 1818, gest. am 1. April 1869) war lange Jahre neben Liszt der hervorragendste Meister des Clavierspiels. Unübertroffen war er im Solospiel der linken Hand. Als ihn der berühmte Cramer in Parts zum erstenmal hörte, sagte er: „Dreyschock hat keine linke Hand, dafür aber zwei rechte Hände.“ Mit Bezug auf diese Worte schrieb der Humorist Saphir unter das von Kriehuber auf Stein gezeichnete Bildniß des Künstlers die Worte:

„Welchen Titel, der nicht hinke,
Man dem Meister geben möchte,
Der zur Rechten macht die Linke?
Nennt ihn Doctor beider Rechte.“

Fr.

  1. Vergl. F. Cohn „Die Pflanze“.
  2. Wingert- (Weingarten-) schütz, der während der Dauer der Traubenreife bestellte Weinberghüter, welcher u. A. auch mit einer hölzernen Knarre (Rätsche) die Vögel aus den Weinbergen zu vertreiben hat.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Wiesbaden 1879 Google