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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1884
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[701]

No. 43.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


„Fanfaro.“
Novelle von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)


Die Ruhe des Clusius-Hauses war durch Bartenstein’s Annäherung gänzlich verstört.

Als Melanie eines Tages mit gerötheten Wangen aus Ereme’s Stube kam, trat ihr im Hausflur die Tante entgegen. „Ach, liebes Fräulein von Seebergen, wohin soll das führen? Ich rede früh und spät auf Eremechen ein. Er hat ja ein Gut; aber in der Mark werden nur Lupinen gebaut, und was das Kiefernholz für jämmerliches Zeug ist, weiß jede Hausfrau. Entweder kocht Alles aus den Töpfen heraus, oder es bleibt kein Fünkchen auf dem Herde. Und statt der armseligen Wirthschaft aufzuhelfen, zieht er im Land umher und wohnt alle neuen Häuser trocken. Der kann gewiß niemals still sitzen. Und dieses Zigeunerleben soll Eremechen mitmachen, während wir hier Alles haben, wie sich’s gehört, von dem Wäschpfuhl bis zur Spicknadel. Bleibe im Lande und nähre dich redlich!“

„Liebe Frau Doctor,“ entgegnete Melanie ganz erregt, „ich möchte Ihnen doch sehr rathen, nicht in dieser Weise auf Ereme einzuwirken. Das Glück des Lebens hängt nicht von einem Waschkessel oder Kochtopf ab. Ich habe ganz im Gegensatz ihr gesagt, daß sie ihre Handlungsweise gegenüber Herrn von Bartenstein, der ein Officier von hohen Verdiensten und ein Ehrenmann ist, wohl erwägen, daß sie mit großem Sinn über kleinliche Anstöße hinaussehen soll, damit sie nicht einst mit bitterer Reue dieser entscheidenden Zeit gedenken muß. Es ist etwas ganz Anderes, ob uns die Welt um unser Glück betrog, oder ob wir uns dasselbe durch Verblendung und Starrsinn verscherzten.“

Die Tante lächelte ein wenig. „Liebes Fräulein von Seebergen! Wenn Sie verheirathet gewesen wären, würden Sie keine so großartige Meinung von der Ehe haben. Es ist nicht Alles Gold, was glänzt. Das predige ich jetzt unaufhörlich; aber es hilft nichts, wie Figura zeigt.“

Sie deutete auf die Hausthür, in welcher Dorchen vertraulich plaudernd mit Bartenstein’s Burschen stand, der sie bei allerlei Ausrichtungen hatte kennen lernen und nun gleich einer Ehrenwache sich allabendlich dort aufstellte, bis Retraite geblasen wurde und der leichtsinnige Courmacher sich in einen pflichttreuen Soldaten verwandelte, der im Laufschritt davon rannte.

Ereme’s classische Ruhe war vor den fortwährenden Aufregungen geschmolzen, wie ein Kunstwerk vom Feuer verzehrt wird.

In den Kreisen, denen sie angehörte, wurde sie bereits als eine Abtrünnige betrachtet; man colportirte dort, wie gute Freundinnen ihr erzählten, das Wort des Physiologen: „Die Clusia ist die erste moralische Eroberung, welche die Preußen bei uns machen.“

Die Officiere betrachteten sie als eine Zugehörige, und die Gattin des Majors sah sie bereits mit erstaunten Augen an, wenn Ereme bei gesellschaftlichen Begegnungen nicht den Fauteuil für sie räumte.

Jeder wagte sich an sie heran mit einem Lächeln, einer Neckerei.

Und so quälend diese Betrachtungen waren, sie erschöpften die Marter nicht, die sie empfand: sie hatte ja immer auf das Urtheil der Welt herab gesehen. Aber was sie in tiefster Seele. ängstigte und empörte, war der unheilvolle Zauber, den Witold’s Persönlichkeit auf sie ausübte. Sodald er ihr gegenüber stand, war ihr Wille gelähmt.

Es wurde ihr dunkel vor den Augen vor Zorn, wenn sie seines selbstbewußten spöttischen Lächelns gedachte, das ihr sagte, er war sich seiner Macht über sie bewußt.

Sie fühlte, daß sie gewaltsam den Bann brechen mußte, wenn sie sich nicht ganz verlieren wollte. Es war die höchste Zeit.

Selbst ihre Sammlungen waren in Unordnung gerathen bei dem vielen Beschauen, und ihre Zeit so in Anspruch genommen von den Besuchen, daß Wochen vergingen, ehe sie die Kunstschätze wieder an ihre richtige Stelle bringen konnte.

Kaum hatte sie aber die Silbermünze mit dem Athenebilde und der Eule in die Münzsammlung zurückgelegt, die antike Vase, auf welche ein Amor gemalt war, der auf einem Krebse zum Fischfang ausritt, in den Schrank gestellt, da erschien schon wieder der alte Diener und meldete: „Herr Rittmeister von Bartenstein.“

Wohlan! es mußte ein Ende gemacht werden.

Mit fester Stimme gab sie den Befehl, Herrn von Bartenstein hereinzuführen.

Aber sie vermochte nicht zu verhindern, daß ihr das Blut brennend in die Wangen stieg, und als sie die ovale Schale aus gelblichem Marmor auf den Sims setzen wollte, zitterten ihre Finger so heftig, daß ein kleiner Gegenstand heraus fiel und dem eintretenden Bartenstein vor die Füße rollte.

Er hob denselden auf und sagte: „Ist es ein gutes Omen, daß mir das Rad eines Sporns entgegen kommt?“

„Das Rad eines Sporns?“ rief sie aus.

Also wirklich! Und einen finstern Blick auf ihn richtend, fuhr sie langsam fort wie ein Inquisitor: „Er ist vor einiger Zeit in meinem Garten gefunden worden. Ein Eindringling, der nicht

[702] einmal den geheiligten Frieden des Hauses ehrte, hat ihn zurück gelassen.“

Ein dunkles Roth färbte seine Stirn. „So dürfen Sie einen überkecken Streich nicht auffassen, der schon heiß bereut worden ist,“ bat er erschrocken.

Er wollte das Spornrädchen in die Schale legen. Sie zog dieselbe zurück. „Es wird mit hinausgekehrt,“ sagte sie geringschätzig.

Er zuckte zusammen; aber er faßte sich. „Ich muß die Strafe hinnehmen; ich sehe ein, daß ich sie verdient habe. Aber das Plätzchen, das Sie ihm zwischen den Muschelchen angewiesen hatten, war doch schon bescheiden genug,“ versuchte er zu scherzen.

Sie ließ die Schnur von zierlichen Muscheln, die wie Tritonenhörner im Kleinen gestaltet waren, durch die Finger gleiten. „Das sind Muscheln vom Schlachtfeld von Marathon,“ sagte sie wichtig.

„Nun, das ist doch schon recht lange her,“ antwortete er, und es klang ein Vorwurf in seine Stimme hinein.

„Ja, es war in der zweiundsiebenzigsten Olympiade, am 12. September 490 vor Christus.“

„Wer weiß,“ erwiderte er mit leisem melancholischen Lächeln, „ob nicht dieses Spornrad Schlachten mitgemacht hat, die für Sie bedeutungsvoller sind als die von Marathon.“

Sie zuckte die Achseln und deutete mit kühl einladender Bewegung auf einen Sessel.

„Streiten wir heute nicht mehr, gnädiges Fräulein,“ sagte er. „Ich kam, um Ihnen eine Bitte vorzutragen. Wir geben ein Fest im Casino, zu dem die ganze Gesellschaft eingeladen wird. Natürlich ist es mein großer Wunsch, daß auch Sie und Ihre Frau Tante unsere Gäste sein mögen.“

Es glimmte in ihren Augen auf. „Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Absicht; aber ich muß die Einladung ablehnen.“

Er wurde ungeduldig und zog leicht die Brauen zusammen.

„Ich weiß, Sie besuchen nicht gern Gesellschaften. Aber diesmal müssen Sie um des Tages willen eine Ausnahme machen.“ Er wollte bitten; aber es lag ein schwer bezähmter Unmuth in seiner Stimme, und ohne es zu wollen, forderte er.

„Um welches Tages willen?“ fragte Ereme.

Seine Augen vergrößerten sich. „Es ist der 16. August,“ antwortete er, und da sie ihn verständnißlos ansah, fuhr er fort: „Der Tag von Vionville, den ich die Ehre hatte mitzumachen.“

„Vionville?“ wiederholte sie gleichgültig.

Er war einen Augenblick sprachlos. Dann sagte er langsam: „Sie wissen den Tag, an welchem die Schlacht von Marathon stattfand, und stellen sich, als gingen die Kämpfe Ihrer Landsleute Sie nichts an? Wollen Sie mich doch nicht glauben machen, daß Sie eine so schlechte Patriotin seien.“

Sie sah, wie das siegesgewisse Lächeln aus seinen Augen, von seinen Lippen geschwunden war. Sie fühlte, daß es zum ersten Mal in ihrer Macht lag, ihn zu treffen, wie er sie so oft gekränkt und verletzt hatte, und sie verfolgte schonungslos ihren Vortheil. Glühend von losbrechender Leidenschaft sprach sie: „Ich bin das echte Kind dieses Hauses, in dem zwei Jahrhunderte hindurch die akademische Bildung gepflegt wurde. Unser Vaterland ist die große Republik des Geistes; wir kennen keine Scheidewand zwischen Ländern und Ständen; für uns steht der Grenzpfahl da, wo die Bildung, in der wir leben, aufhört.“

Er fuhr empor. Sein Blick loderte über sie hin.

„Und Sie rühmen sich noch dieser kaltherzigen Welt, in der es schon eine That ist, einen zerbrochenen Marmorarm an den verwitterten Rumpf zu passen? Einstweilen haben meine Vorfahren die eigenen Knochen auf den Grenzen unseres Vaterlandes zerstreut, mit unserem Blut haben wir die Schutzmauer gekittet, hinter der Sie und die Ihrigen sicher saßen und Tinte vergossen.“

Sie zitterte innerlich vor Zorn. Aber äußerlich eiskalt antwortete sie: „So erkennen Sie endlich, wie weltenweit Ihre Anschauungen von den meinen entfernt sind, und daß keine Brücke sie je verbinden kann?“

Sie sahen sich an, und unter den Blicken erblaßten Beide bis in die Lippen. Nur eine Narbe an Witold’s linker Schläfe, die Ereme jezt zum ersten Mal bemerkte, wurde brennend roth.

Eine Weile blieb es still. Sie hörten deutlich den Holzwurm in den alten Büchergestellen ticken.

Beiden fehlte der Athem zu einem ferneren Wort. Endlich war es Ereme, als vernehme sie ein heiseres: „Aus.“

Er tappte ein paarmal unsicher nach der Czapka, um sie aufzunehmen. Dann verbeugte er sich stumm und ging.

Ereme hörte ihn langsam die Treppe hinabgehen.

Die Thür fiel zu. Der Thürklopfer schlug noch einmal auf, als bekräftige der Cerberus diesen Ausgang für immer.

Dann war es todtenstill.

Sie hatte gesiegt! –

Warum sank sie nun leichenblaß auf den Eulenstuhl nieder, schloß die Augen und hatte nur den einen Wunsch: wenn sie sie nie, nie wieder aufthun müßte! Warum? Ja, warum?


Mit schwerem Herzen war Melanie zu dem Fest gefahren, das die Officiere in den Casinoräumen gaben.

Bei der Toilette hatte ihr die Jungfer erzählt, daß Dorchen verdrießlich im Bäckerladen gesagt habe: „Nun wird’s nichts mit dem Brautputz. Unser Fräulein hat den Herrn Rittmeister mit seiner Einladung abgelehnt.“

So war der Bruch unwiderruflich erfolgt.

Die Wehmuth, die den Menschen immer beschleicht, wenn er, altbekannte Stätten bis zur Unkenntlichkeit verändert wieder findend, an die Vergänglichkeit seines Daseins erinnert wird, kam heute doppelt über die Stiftsdame, als sie das alte Schlößchen betrat, das, in eine Caserne umgewandelt, im Gartenflügel die Casinoräume enthielt.

In den Erzählungen ihrer Großmutter und alter Freunde ihrer Eltern hatte es eine Rolle gespielt. Ein apanagirter Prinz des Hauses sollte dort im vorigen Jahrhundert in einem verschwenderischen Hofleben eine unglückliche Jugendliebe vergessen oder übertäubt haben.

Jetzt war seine Devise „Vive la joie“ auf dem verschoben geformten Schild über dem Eingangsthor von grauen Flechten überwachsen; ein riesiges W aus blitzenden Pistolen gebildet und von einem grünen Eichenkranz umschlungen, erhob sich darüber. Aus den Ställen, wo sonst die berühmten Isabellen ihr behütetes Leben geführt hatten, tönte das Gewieher der Ulanenpferde, in den Remisen standen statt der vergoldeten Kutschen Fouragewagen.

Neues Leben pulsirte in dem verschnörkelten Gehäuse; aber der uralte Begleiter des Menschengeschlechtes ging auch heute noch darin um: der Schmerz.

Das sagten ihr das bleiche Gesicht, die düsteren Augen Bartenstein’s, der sichtlich nur mit äußerster Selbstbeherrschung den Zwang der gesellschaftlichen Rücksichten ertrug. Er hatte wohl die Erfüllung eines großen Herzenswunsches von diesem Fest erwartet. Aber das kokette Rococoschlößchen hatte es einmal an sich, daß es nur leicht geschürzte Freuden spendete. Auch heut gab es hübsche Damen, Leckerbissen, perlenden Wein – aber kein Glück.

Sie athmete auf, als das Diner zu Ende war, die Thüren nach der Terrasse sich öffneten und die Gesellschaft hinaus trat in die milde Abendluft, um im Freien den Kaffee zu nehmen.

Zwei schnurgerade Reihen von Pappeln zogen sich von den Ecken des Schloßflügels, die Terrasse flankirend, hinab bis zu dem Ufer des Flusses und eröffneten wie in einem geschlossenen Rahmen den Blick auf das blaue Gebirge, in dem derselbe entsprang. Zarte Nebel webten schon über Wiesen und Wasser; aber durch das raschelnde Pappellaub blinkten noch die rothen Strahlen der sinkenden Sonne.

Die zierliche Mokkatasse in der Hand trat Melanie vor bis an die Rampe, deren hier und da zerbröckelte Balustrade von einer Reihe durch Guirlanden verbundener Ulanenlanzen ersetzt war.

Zwischen den schlanken Schaften, deren schwarz-weiße Wimpel lustig im Wind flatterten, erhob sich als Ueberbleibsel des früheren Schmuckes von Sandsteinbildwerken ein kleiner bausbackiger Amor, der durch seine Pelzmütze anzeigte, daß er eine Personification des Winters war.

Auf einer Steinbank zu seinen Füßen nahm sie Platz, und ihr Auge überflog die Gesellschaft, die in fächelnden und lächelnden Gruppen durch einander schwirrte.

Drüben unter den alten Pappeln stand Bartenstein und schaute in die von der untergehenden Sonne durchleuchtete Ferne. Wie melancholisch konnten die sonst so übermüthigen Augen blicken! Zwischen den Lanzenschaften sammelten sich junge Officiere und steckten die Köpfe zusammen.

[703] „Was macht nur Bartenstein für einen Trara darüber, daß die langweilige Schultante nicht ausgehen will!“

„Reden Sie keinen Kaff! es ist ihm Ernst gewesen. Er hat keinen Bissen gegessen.“

„Wenn sie doch nur tanzte. Da könnte man sie zur Strafe einen ganzen Winter sitzen lassen!“

„Die Clusia ist also nicht eingeladen,“ kicherten die jungen Mädchen.

„Es ist eine furchtbare Blamage für sie,“ sagte mit schwerer Betonung die junge Wittwe in schwarzem Krepp.

Und die Mama von Stella und Bella schloß das weibliche Vehmgericht: „Sie versteht die Herren nicht zu behandeln. Was hilft ihr nun alle Gelehrsamkeit? Wollt Ihr nicht ein wenig auf der Terrasse promeniren?“ wandte sie sich an ihre Töchter und legte ihnen die langen braunen Zöpfe zurecht, während ihr Blick die Distance zwischen ihnen und dem stumm in das Abendroth blickenden Bartenstein maß.

Betty und Heddi schlossen sich an; allmählich schlugen noch mehr Damen den Weg ein; es zog ein Corso von jungen Schönheiten an Witold vorüber.

Wie viele Vergißmeinnicht- und Veilchenaugen sah Melanie verstohlen ihn anlugen! Alle die klopfenden Herzen unter den duftigen Spitzenfichus und Mullblousen waren bereit, ihn zu trösten. Und ließen sich unglücklich Liebende nicht so gern trösten?

Eine Gruppe von Professoren trat auf der andern Seite zusammen.

Die Blicke des Physiologen folgten den jungen Damen, und während er einen Chartreuse nahm, sagte er mit seinem satirischen Lächeln: „Man merkt, daß der Löwe der Gesellschaft wieder vacant ist. Der Chor der Mütter rüstet seine Schaaren zum Kampfe um den Mann.“

Der Weltumsegler lachte. „In China setzt man die überflüssigen kleinen Mädchen aus, in der Türkei bietet man sie aus, hier führt man sie aus. Ueberall dieselbe Sache, nur eine andere Form.“

Der Rector Magnificus war weniger gut gelaunt. Während er sich eine Cigarre anzündete, bemerkte er sichtlich verstimmt: „In Sachen der Clusia contra Bartenstein hätte ich doch gewünscht, daß die unserem Kreise angehörige Dame etwas vorsichtiger zu Werke gegangen wäre. Sie hat unser gutes Einvernehmen mit dem Militär, das doch einmal allseitig gewünscht wird, auf’s Spiel gesetzt. Ein kühler Hauch ist nicht zu verkennen.“

Mit dem Oberst war heute nicht zu scherzen. Unwirsch verdarb er auch dem Doctor Gerhard sein Vergnügen, der eben Melanie sein Compliment machen wollte. Er setzte sich selbst neben sie auf die Steinbank.

„Gott sei Dank!“ sagte er, „Bartenstein ist glücklich curirt. Das fehlte noch, daß wir diesen unausstehlichen Blaustrumpf in’s Regiment bekommen hätten mit ihren großartigen Manieren und dieser Häuslichkeit, wo Alles festgemauert in der Erde steht. Sie kann sich nun mit ihrer steinernen Pallas Athene trösten, der ebendige Mars läßt sie sitzen.“

Melanie schüttelte leise das Haupt, an dessen braune lockige Scheitel blasse Theerosen sich schmiegten. „Ich glaube nicht, daß wir den Vorgang so bezeichnen dürfen. Auch zur Ehre des Herrn von Bartenstein nicht. Ich halte ihn zu hoch, um anzunehmen, daß er ein leichtsinniges Spiel getrieben hat. Die beiden ausgezeichneten Menschen haben sich nicht verstanden, und daher kam der unbesonnene Angriff und die ebenso unbedachte Abweisung.“

Der Oberst bekam einen noch rötheren Kopf und rückte ungeduldig hin und her. „Meine Gnädigste, lassen Sie die Haarspaltereien nach dem Diner. Und ich muß unterthänigst und entschieden betonen: einen Korb hat er nicht bekommen. Aber aus ist die Sache allerdings.“ Und er zog mit der ausgestreckten Hand einen horizontalen Strich durch die Luft, als hiebe er einen Strick durch.

Melanie hielt den Fächer ruhig gesenkt wie ein Engel des Friedens das Palmenblatt und sagte nur: „Schade!“

„Ja, schade für sie,“ entschied der Oberst voll Energie. „Mich ärgert nur meine Frau,“ brummte er weiter. „In ihrem Gesichte steht geschrieben: ich habe wieder einmal Recht gehabt. Sagen wird sie’s nicht. Das habe ich ihr längst abgewöhnt. Aber, weiß der Henker! selbst beim strammsten Regimente finden die Frauen einen Weg, ihre Meinung kund zu thun. Da kommt Bartenstein. Wahrscheinlich will er Ihnen auch seine Meinung über Ihre liebenswürdige Freundin sagen. Geben wir ihm Gelegenheit dazu. Den Doctor, der schon lange um Sie herum courbettirt, nehme ich auf mich. Thut ihm ganz gut, wenn er warten lernt. Er hat so wie so einen Ansatz zum Größenwahn.“

Er erhob sich, und den wiederum heranschießenden Gerhard, der in der Uniform eines Reserve-Officiers anwesend war, mit sich nehmend, sagte er lachend: „Heute ist einmal Abonnement suspendu, bester Herr Doctor. Sie müssen sich gedulden.“

Melanie dachte: „So ist die Gesellschaft. Daß zwei seltene Menschen das Glück ihres Lebens verfehlen, darum kümmert sich Niemand. Der Oberst ist nur besorgt, den Verdacht abzuwenden, als habe einer seiner Officiere einen Korb davongetragen; der gute Rector hegt die Befürchtung, von seiner Regierung eine Nase zu bekommen, wenn Frictionen zwischen den beiden Gewalten hier entstünden; die anderen Collegen des seligen Clusius benutzen die Gelegenheit, sich von der geistreichen Seite zu zeigen, und die Damen sind bestrebt, aus der Verblendung der Jugendbekannten Vortheil zu ziehen. Wo ist denn noch ein unverfälschtes menschliches Gefühl zu finden?“

Da stand Bartenstein vor ihr. „Es ist unendlich öde heute,“ sagte er mit müder Stimme.

„Nicht anders als sonst,“ entgegnete Melanie. „Die Jugend scheint vergnügt zu sein.“ Sie deutete auf eine tiefere Terrassenstufe, wo Kronheim ein Croquetspiel arrangirte.

„Ja, wer daran noch Freude findet!“ antwortete er; „aber ein kluges fesselndes Wort habe ich heute noch nicht gehört.“

Sie sah ihn sanft an. „Sie sind verwöhnt. Ein Mädchen wie Ereme ist freilich nicht unter den lachenden rosigen Kindern.“

Seine Augen flammten zornig auf. „Auch keine, die es wie sie versteht, einen Mann bis in die Seele zu kränken, vor seinen Augen das mit Füßen zu treten, was ihm das Heiligste ist. Und ich habe sie doch so gern gehabt!“ stöhnte er, indem er den Kopf sinken ließ.

„Also nur gern gehabt?“ fragte Melanie.

Er wurde roth und wendete das Gesicht ab.

Sie neigte, als werde ihr eine lange Gedankenfolge bestätigt, das Haupt. „Gern gehabt nennen Sie es,“ sprach sie, „weil Sie nicht sagen wollen: ich habe sie geliebt. Es gilt ja für lächerlich bei unseren jungen Herren, einer edlen Empfindung edlen Ausdruck zu geben. Sie rechnen es sich als Verdienst an, das, was höheren Flug nimmt, in den Staub der Alltäglichkeit zu ziehen. Diesen Ton haben Sie auch Ereme gegenüber angeschlagen und dadurch jede Verständigung mit ihr von Anfang an unmöglich gemacht. Statt einzusehen, daß, um eine Ereme zu gewinnen, auch ein tüchtiger Mann seine besten und edelsten Eigenschaften einsetzen muß, haben Sie sich viel oberflächlicher gezeigt, als Sie sind. Sie sind ihr zuerst entgegen getreten wie einer Abenteurerin, und als Sie längst wußten, daß sie ein außergewöhnlich hochbegabtes Mädchen ist, haben Sie sie doch behandelt wie eine von den vielen jungen Damen der Gesellschaft, welche mit einem Bouquet und einem Ständchen zu erobern sind, die weibliche Würde darin suchen, nie ohne Ehrendame auszugehen, und es als höchste Weisheit erachten, Beleidigungen lieber mit lächelnder Miene hinzunehmen, als einen Eclat herbeizuführen. Es war natürlich, daß Ereme sich von einer solchen Behandlung verletzt fühlte, und Sie können sich nicht wundern, daß sie dem Spiele, welches ihrer ernsten Natur frivol erscheinen mußte, ein strenges Ende gemacht hat.“

Er ließ sich geduldig den Text lesen. Jetzt sah er sie vorwurfsvoll an. „Sie muß doch herausgefühlt haben,“ murmelte er, „daß hinter der Neckerei ein tiefer ehrlicher Ernst stand.“

„Glaubten Sie denn zu fühlen, daß hinter Ereme’s Widerstand doch eine Sympathie für Sie sich barg?“ fragte Melanie, theilnahmsvoll in die schönen bewegten Züge blickend.

Eine lichte Röthe stieg ihm bis unter die Augen.

„Ja,“ rief er mit schmerzbebender Stimme. „Ich hatte stets das Gefühl, wenn wir uns begegneten, daß auch für sie Niemand auf der Welt war, als ich. Sie antwortete auf jeden Gedanken, jede Handlung, wenn auch abweisend. Wie hätte ich denken können, daß sie einem gleichgültigen oder gar ihr widerwärtigen Menschen bis auf jeden Blick folgen würde, um sofort darauf zu reagiren – zum Donnerwetter!“ schloß er in heller Verzweiflung.

[704] „Vielleicht hat Ihr Gefühl Sie nicht betrogen,“ suchte Melanie zu begütigen, „und der Fehler liegt nur darin, daß Sie Beide nicht verstanden haben, sich richtig zu behandeln, und daß Sie in der Leidenschaft des Kampfes sich haben zu weit hinreißen lassen. Dann wäre eine Aussöhnung immer noch möglich.“

„Nein,“ antwortete er schwermüthig, „es ist, wie sie selbst sagte: unsere Anschauungen sind so weltenweit von einander entfernt, daß keine Brücke sie je verbinden kann. Sie hat kein Herz für das Vaterland, und das trennt uns für immer.“ Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er traurig fort: „Ich kann mir gar nicht denken, wie es in einem Menschen aussieht, der keine Vaterlandsliehe hat. Ich habe sie mit der Muttermilch eingesogen. Jedem Bartenstein ist das Bewußtsein angeboren, daß er mit Gott für König und Vaterland kämpfem und, wenn es nöthig ist, sterben muß. Und ich ginge zu Grunde neben einem Wesen, das in dieser Gesinnung nicht Eins mit mir wäre. Ja, wenn ich sie hätte umwandeln können! Aber es ist Alles vergeblich und Alles, Alles aus. Ich weiß nur nicht, wie ich es ertragen soll!“ schloß er mit versagender Stimme und starrte über die Gesellschaft hinweg in den rosigen Abendhimmel, den die Schwalben leise pfeifend durchschwärmten. „Ich muß mich versetzen lassen, daß ich sie nicht mehr sehe.“

„Glauben Sie, daß Sie Ereme dann vergessen werden?“ fragte Melanie.

„Ich muß,“ erwiderte er rauh. „Es hilft nichts. Hier heißt es: Durch! es koste, was es wolle.“

Er erhob sich.

Kronheim benutzte die Unterbrechung des Gesprächs, um ihn zu fragen, ob er sich an dem Spiele betheiligen wolle.

Bartenstein winkte verneinend.

Da vertrat ihm der Banquier den Weg. Melanie hörte ihn sagen: „Es ist merkwürdig, wie Gold immer Gold anzieht. Unsere Freundin hat heute Nachricht bekommen, daß sie zu ihrer Million auch noch die drei Millionen eines Onkels in Californien geerbt hat. Allerdings macht es sich nöthig, daß sie bald nach Amerika zurückkehrt, um die Angelegenheit zu ordnen. Was sagen Sie dazu?“

Melanie dachte: „Man hofft auf eine Verlobung par dépit. Das ist auch schon oft dagewesen.“

Aber Witold’s Blick glitt über den jungen Geldmann hin. Er zuckte lässig die Achseln. „Sie müssen besser wissen als ich, wann das nächste Dampfschiff abgeht.“ Er ließ ihn stehen.

Melanie drückte den Fächer vor das Gesicht. Ja wohl hieß es: Durch! Sie sah, wie der Banquier mit einer verzweifelten Armbewegung zu seinen Damen zurückkehrte und gleich darauf Kronheim die Miß zum Spiele führte.

Jetzt endlich konnte Doctor Gerhard sich nähern. „Ist das belagernde Kriegsheer abgezogen?“ fragte er gereizt. „Ich hade Sie bedauert.“

„Dazu war keine Ursache,“ antwortete sie gelassen.

„Ich möchte wissen,“ erwiderte er spöttisch, „was Sie an diesen Leuten finden, die mit jeder Miene zu sagen scheinen: ,Geist ist das Ding, das wir Euch Anderen nicht streitig machen wollen. Ihr müßt doch auch Etwas haben.‘“

„Theilen Sie das Vorurtheil der Herren vom Civil gegen das Militär?“ fragte Melanie verletzt.

„Oder Sie die Schwäche der Damen für dasselbe?“ fuhr er heraus.

„Sie haben uns klar gemacht,“ antwortete sie geärgert, „daß Menschen der Reflexion von solchen der That sich angezogen fühlen.“

Er klopfte nervös den Amor auf das warnend erhobene steinerne Händchen. „Seien Sie auf der Hut, gnädiges Fräulein,“ sagte er mit bebenden Lippen, „auf daß Sie nicht das Echte lassen und das Fade fassen.“

Thusnelda erschien. „Herr Doctor,“ bat sie, „es fehlt noch eine Person zum Croquet. Helfen Sie aus.“

„Warum nicht?“ antwortete Gerhard. „Wenn man den ganzen Tag die Gehirnfaser so angestrengt hat wie ich, kann die Beschäftigung, der man sich am Abend hingiebt, um auszuruhen, gar nicht thöricht genug sein.“ Er folgte Thusnelda.

Melanie fühlte sich beleidigt, daß Gerhard gänzlich den Respect vergaß, den er ihr schuldig war, und sich unterstand, sie wie ein junges Mädchen zu behandeln. In ihrer milden Art sagte sie sich aber dann, daß dem sonst immer so mäßigen Gelehrten der Sect in den Kopf gestiegen sei, so gut wie dem braven ausgepichten Oberst, und sie vergab und vergaß es.

Noch einmal glitt ihr Blick über das Schlößchen, dessen mit zersprungenen steinernen Blumenguirlanden überladene Façade im ersterbenden Abendschein wie ein graues Bild hinter der bewegten Gesellschaft stand, gleich einer Mahnung, daß auf jede lustig verlebte Jugend ein entsagungsvolles Alter folgt; über die rasigen Terrassenstufen, wo Gerhard zwischen den Spielenden unmuthig herumfuhr und mit seiner Kugel eine gänzliche VerwirruNg anrichtete, und hinüber auf die in bläulichem Thau schimmernde Wiese, durch die Bartenstein auf seinem flüchtigen „Sturmvogel“ in die dämmernde Nacht hineinjagte, der verlorenen Ruhe nach.

Mit einem tiefen Seufzer verließ sie die Terrasse und fuhr nach Hause.

Auch die übrige Gesellschaft verlor sich allmählich. Es wurde still und leer.

Gerhard stieg zum Fluß hinab und wandelte am Ufer auf und nieder, die Arme über einander geschlagen, das Haupt in schwere Geistesarbeit versenkt. Denn er wußte nicht, wie ihm war und was er wollte.

Unerschrocken, wie er es in seinem Werke von dem Denker verlangte, suchte er in den Tiefen seines Ichs zu forschen. Aber er fand nur den einen klaren Gedanken: Melanie hatte ihn um Anderer willen vernachlässigt.

Das war ihm in seinem Leben noch von keinem der Menschen geschehen, die ihm nahe standen. Seine Lehrer hatten ihn stets als Musterschüler zu oberst gesetzt, seine Examinatoren auf der Universität ihm die besten Zeugnisse ausgestellt, und seine Mutter lag vollends auf den Knieen vor dem vorzüglichen Sohn, der nicht rauchte, nicht trank, keinen Pump anlegte, keine Liebschaften anbändelte.

Nein; auch das Letztere nicht! Woher hätte er dazu die Zeit nehmen sollen in seiner mit Studien überbürdeten Jugend? Melanie war die einzige Dame, mit der er näher verkehrte.

Der Zorn über die Kränkung, die sie ihm angethan hatte, übermannte ihn von Neuem. Wie konnte sie sich zur Entschuldigung ihres ausschließlichen Verkehrs mit den beiden Officieren auf seine Theorie berufen, daß ein Mann der That und eine feingeistige Frau sich von einander angezogen fühlen müssen? In ihm schrie etwas dagegen. Ehe er es ertrug, daß das Leben seiner Theorie auf diese Weise Recht gab, wollte er sie lieber fallen lassen.

Vielleicht war es nicht so schlimm. Der pessimistische Zug seiner Natur ließ ihn wohl zu schwarz sehen. Noch einmal wollte er hinauf zu Melanie, um aus ihren gleichmäßig heiteren Zügen Beruhigung zu schöpfen.

Als er droben ankam, war Alles leer. Auf der Bank, wo sie gesessen hatte, schimmerte etwas Helles. Er bückte sich und hob es auf. Es war eine von den blassen Rosen aus ihrem Haar. Er drückte die kühlen Blätter an seine heiße Stirn.

Als er sich aufrichtete, sah er dem Amor mit der Pelzmütze in das mondbeschienene Gesicht. Es lag wie Spott in den verwitterten Zügen.

Da wurde plötzlich dem armen Doctor eine ganz andere Wahrheit über das Wesen der Liebe klar, als er in monatelangem angestrengten Studiren und Grübeln erforscht zu haben glaubte. Er sah ein, daß er sich verliebt hatte, so einfach und natürlich, wie es ein Confirmandenbruder auch nicht simpler hätte zu Stande bringen können.

Er barg die blasse Rose auf seinem laut klopfenden Herzen.

Und der junge Philosoph stieg nicht in die Tiefen seines Ichs hinein, sondern sein Ich stieg aus der Tiefe der Philosophie heraus, wie aus einer Maske, der das warme Leben die Nase eingedrückt hat. Da stand nun das arme Ich hülflos wie ein neugebornes Kind, verlegen über sich selbst, voll Sehnsucht nach einem warmen Blick aus sanften Frauenaugen, voll bescheidener Wünsche nach einem traulichen Heim, in dem eine altmodische wahre Liebe sich einrichten konnte, voll Hoffnungen und Befürchtungen und voll der Einsicht, daß nicht er über der Liebe, sondern diese über ihm stand.

(Fortsetzung folgt.)

[705]

Blick auf die neuen naturwissenschaftlichen Institute der Universität in Straßburg.
Nach einer Photographie.

[706]

Die Straßburger Universität.

In aller Erinnerung stehen noch die festlichen Maitage des Jahres 1872, da die Universität Straßburg neu gegründet wurde. Mit den Waffen waren die alten Reichslande wiedergewonnen worden; dem friedliebenden deutschen Volke schien es aber, daß die Erwerbung erst dann ganz in seinem Geiste vollzogen sei, als sie besiegelt ward durch ein Werk des Friedens, als eine Hochburg deutscher Wissenschaft aufgethan wurde in der alten Burg an der Straße“. – In einer Weise, wie sie sich im Leben der Völker selten ereignet, nahmen alle Volksgenossen Theil an jenem Feste. Nicht nur, daß der Strom der anwesenden Gäste selbst in den gewaltigen Räumen des Schloßhofes nicht unterzubringen war, – unablässig kamen neue Sendschreiben und Grüße von allen Orten, wo Deutsche wohnten, alle getragen von patriotischer Freude, erfüllt von dem Klange des Jubels.

In den Frühlingstagen des deutschen Volkes, in den Tagen des Humanismus hatte der größte Mann, den Straßburgs Geschichte besitzt, der auch als Deutscher zu den Großen gehört, – hatte Jacob Sturm von Sturmeck die Grundlagen jener „Akademie“ gelegt, welche am 1. Mai 1567 in feierlichem Gepränge eröffnet werden konnte.

Trüber waren schon die Zeiten, als die Akademie zu einer „vollkommenen“ Universität ausgestaltet wurde. Es kostete der Reichsstadt ein schweres politisches Opfer, von Kaiser Ferdinand II. für ihre protestantische Universität das nothwendige Privilegium zu erhalten, in allen Facultäten die Grade verleihen zu dürfen. Sechszig Jahre später, und ein Abgesandter der Stadt kam zu Rector und Senat und gab auch ihnen zu bedenken, was in so kritischen Zeitläuften zu geschehen habe, denn Louvois stand mit den Soldaten Ludwig’s XIV. in Illkirch, die vom Reich verlassene Stadt war ihm preisgegeben; eine Capitulation sicherte der Universität ihr Bestehen. Was nun von 1681 ab folgte, war ein langer, von Zeiten der Ruhe unterbrochener Kampf des Schwächeren gegen den Stärkeren, ein Kampf, wie für ihre Eigenart, so auch für Erhaltung deutscher Sprache und Sitte, in welchem die Universität sich rühmlich bewährte.

Eine Episode aus dieser Zeit von 1681 bis zur Revolution ist uns besonders theuer. Ein herrlich schöner Jüngling aus Frankfurt zog den Rhein herauf und schrieb am 18. April 1770 in die Matrikel: „Johannes Wolfgang Goethe, Moeno-Francofurtensis.“ Er studirte die Jura nicht eben so fleißig, als der Herr Vater gewünscht hatte, aber er begeisterte sich an dem großen Wahrzeichen der Stadt, dem Münster, für deutsche Kunst, sammelte Lieder aus dem Munde des Volkes und wurde sich im Gegensatze gegen das auf diesem Boden eben erstarkende und um sich greifende französische Wesen seiner deutschen Art nachdrücklich bewußt. Sein Erzbild grüßt heute Jeden, der durch die Halle an ihm vorüberschreitet, mit stiller Mahnung.

Die Jahre 1793 und 1794 brachten das Ende der Universität. Die Professoren wurden gefangen gesetzt, verwiesen, die Güter eingezogen. Es galt, wie ein Mitglied des revolutionären Gemeinderaths es aussprach, „der Hyder des Deutschthums“. Es war ein stolzes Ende.

Als man am Anfange dieses Jahrhunderts unter den Trümmern der Vergangenheit aufzuräumen und Neues zu erbauen anfing, erhielt Straßburg eine französische Akademie. Die Art der alten reichsstädtischen Universität und die Weise deutscher Hochschulen pflanzte sich nur in einem Zweige dieser Akademie, dem „Séminaire protestant“, der Pflanzschule protestantischer Theologen, unentwegt fort; im Uebrigen waren Fachschulen und Internate an die Stelle der alten Einrichtungen getreten.

Wieder kam ein erster Mai, und wieder gab es die Einweihung einer Universität. Der erste Kaiser des neuen Deutschen Reiches hatte, wie es in der Stiftungsurkunde heißt, „auf den Antrag des deutschen Reichstages und unter Zustimmung des Bundesrathes des Deutschen Reiches beschlossen, daß die durch eine glänzende Vergangenheit ausgezeichnete hohe Schule zu Straßburg in ihrer früheren einheitlichen Gestaltung als Universität wieder in’s Leben trete.“

Noch fehlten aber die Räume, in denen die Hochschule ganz und voll ihres Berufes, zu forschen und zu lehren, warten konnte. Nach zehnjähriger Arbeit sind nun die Neubauten der Hauptsache nach vollendet, so daß die feierliche Eröffnung des Hauptgebäudes der Universität (dessen Vorderseite unsere Zeichnung S. 708 vor Augen führt) auf den 27. October d. J. festgesetzt werden konnte. Es ist dieser Tag die fröhliche Ergänzung des Maitages von 1872. Der Herbsttag bringt die Frucht, welche jener Frühlingstag verheißen. Im Jahre 1878 wurde die Concurrenz für den Bau dieses Centralgebäudes ausgeschrieben, als der Reichstag die auf 2,300,000 Mark festgestellten Mittel bewilligt hatte. Als Sieger ging hervor Professor Warth aus Karlsruhe. Ihm wurde auch der Bau übertragen, der die ganze Breite des Universitätsplatzes einnimmt. Den Mittelpunkt des Innern bildet ein herrlicher Lichthof, um den sich die Arbeits- und Lehrräume gruppiren.

Werfen wir noch einen Blick auf das andere Bild (S. 705), das von einem erhöhten Punkte im Rücken des Universitätsterrains aufgenommen ist. Wir sehen im Vordergrunde links die Bauten der Sternwarte mit dem großen Refractor. Die zum Oeffnen und Drehen eingerichtete Kuppel birgt das größte Instrument, das sich zur Zeit auf den Sternwarten des Deutschen Reiches befindet. Rechts von diesem Bau stehen die Meridiangebäude. Daneben stößt der botanische Garten mit seinen Gewächshäusern an, weiter rechts wird das botanische Institut sichtbar. Der viereckige Thurm kennzeichnet das physikalische Institut, während das lange Gebäude daran für das chemische Institut bestimmt ist; diese vier Institute sind nach dem von dem jeweiligen Institutsdirector gegebenen Programm entworfen und erbaut von A. Eggert, demselben Architekten, dem der Bau des Straßburger Kaiserpalastes und des Frankfurter Centralbahnhofes übertragen worden ist.

Ein ebenso ausgebreitetes Terrain als das, welches wir eben durchmessen haben, wird an einer andern Stelle der Stadt von den Gebäuden der medicinischen Facultät bedeckt. Sechs große Institute haben sich in den Raum zwischen Hospital und der neuen Umwallung der Südfront eingeschoben.

Zahlreiche Autoritäten aus aller Welt kamen, die neue Schöpfung in Augenschein zu nehmen. Sie alle sind einig in dem Urtheil, daß, was Umfang, Schönheit und praktische Einrichtung der Gebäude anlangt, Straßburg nunmehr in erster Reihe genannt werden müsse.

Bei einem der Festmahle, welches vor nicht langer Zeit die Angehörigen der Universität mit einer großen Anzahl von Bürgern und Beamten vereinigte, sprach ein beredter Altstraßburger in feurigen Worten es aus, daß, wenn man durch die Bauten wandle, welche für die Universität geschaffen worden seien, man nothwendig auf den Schluß komme, es müsse eine große Seele sein, die sich diesen herrlichen Körper geschaffen habe. Lassen wir diesen Lobspruch in bescheidenem Stolze gelten! Möge er auch in dem Sinne wahr werden, daß es immerdar eine große freie Seele sei, die diesen Körper belebt! S.     




Brausejahre.
Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)

Ich beschwöre, daß ich nichts von diesem Briefe weiß!“ begann Goethe nach einer Pause in tiefer Bewegung.

„Wäre es möglich? Soll – darf – kann ich glauben?“ rief der Herzog.

„Nicht ohne Beweis; wir müssen den Urheber entdecken!“

„Den Urheber? Göchhausen, der alte Tropf, gab mir den Brief; er hatte ihn aus Deiner Tasche fallen sehen.“

„Welch ein Gespinntst von Lug und Trug! Dahinter steckt ein Anderer als dieser blöde Baron!“

„Ein Anderer! Wer?“

[707] Goethe starrte zu Boden; er wußte recht gut, wer ihn hier los sein wollte, wer stets gegen ihn intriguirte. Dies aber war doch ein gewagtes Spiel. Wer konnte einen solchen Brief verfassen, so täuschend gemacht? Das war eine im Betrug geübte Hand! Da tauchte ihm plötzlich das feinste Gaunergesicht auf, das er je, wenn auch nur einmal flüchtig, neulich als Corona so sehr erschrak, in Tiefurt gesehen.

„Hat der Landgraf Adolf Ew. Durchlaucht nicht gesagt, daß der Wundermann Saint Germain ein besonderes Geschick besitze, jede Handschrift nachzuahmen?“

Der Herzog starrte ihn an: „Saint Germain? wie kommst Du auf den? Welchen Grund sollte er haben, mich mit Dir zu entzweien?“

„Dem im Trüben fischen zu wollen. In Kassel findet er keine dauernde Stellung, vielleicht möchte er meinen Platz einnehmen. Ich weiß, er hat sich all verschiedenen deutschen Höfen festzusetzen versucht.“

„Und wenn auch, vermag er den Brief in Deine Tasche zu zaubern?“

„Der Brief war nicht in meiner Tasche.“

„Woher kam er denn zu Göchhausen?“

Eine Pause folgte; endlich sprach Goethe gepreßt:

„Meine Partnerin Corona steht in Verbindung mit dem Grafen, wie wir wissen.“

„Ja, durch Kaufmann. Sollte sie auf sein Geheiß den Brief verloren haben? Komm, hin zu ihr!“

Goethe raffte den Brief auf, erklärte sich einverstanden und schritt mit dem Fürsten durch den dämmerigen Abend der Stadt zu. Schweigend, aber innerlich beschäftigt, kreuzten sie die Straßen und standen bald vor der Thür der Sängerin.

Minchen Probst öffnete auf ihr Anpochen das Wohnzimmer, ein Licht in der Hand, und lebhaft erschreckend, als sie die Herren sah.

„Corona ist krank vom Fest gekommen,“ sagte sie mit weinerlicher Stimme.

Aus dem Nebenzimmer hörte man ein krampfhaftes Schluchzen.

Der Herzog ließ sich nicht abweisen.

„Hier handelt es sich um höhere Rücksichten, gutes Kind, als die Schonung eines hysterischen Anfalls!“ sagte er barsch und trat mit dem Freunde ein. Er nahm das Licht aus des Mädchens Hand und ging den kläglichen Tönen nach; Goethe folgte.

Gleich darauf standen sie vor Corona, die noch im Gesellschaftskleide sich mit thränenüberströmtem Angesicht von einem kleinen Ruhebett ausrichtete. Sie starrte die Männer an und zuckte sichtlich zusammen, als sie Goethe gewahrte.

„Kennen Sie diesen Brief, Corona?“ fragte der Herzog und hielt ihr das zusammengefaltete Schreiben entgegen.

Die Sängerin verhüllte ihre Augen und begann auf’s Neue zu schluchzen.

„Das ist das Schuldbewußtsein!“ rief der Herzog triumphirend.

„Arme Corona! Was hat Sie dazu bewogen gegen mich so häßlich zu intriguiren?“ sprach Goethe milder.

Das schöne Mädchen rang die Hände:

„O, ich bin ein willenloses Werkzeug des Schrecklichen!“

„Saint German’s?“ rief der Herzog.

„Ja!“ hauchte Corona und verhüllte ihr Gesicht.

„Also doch!“

„Ich war davon überzeugt und freue mich, mein Fürst, daß Sie diese Warnung empfangen“

„Ist der Graf hier? Mit wem steckt er zusammen? Hat er Ihnen selbst das Schreiben gegeben?“

„Nein; Graf Görtz in seinem Auftrage. Mit diesem hält er zusammen.“

„Aha!“ rief der Herzog mit einer gewissen Schadenfreude; das war Jemand, den er erreichen und strafen konnte.

„Verzeihung! Gnade! Sie wissen nicht, wie elend ich bin, wie ich zu dem gezwungen wurde, was ich so ungern that!“ jammerte Corona, glitt vom Sopha herab auf ihre Kniee und hob flehend die Arme empor.

Sie sah in ihrer Erregung so schön aus, es freute den Herzog so sehr, den Druck von seinem Gemüthe abwerfen zu können den Freund gerechtfertigt finden, daß er der Flehenden gnädig die Hand reichte, sie sogar bat, sich zu beruhigen, er werde sich und ihr schon Frieden verschaffen vor dem Uebelthäter, werde schon auszuräumen wissen, sie solle, der so sichtlicher Reue, seiner und Goethe’s voller Vergebung gewiß sein

Nachdem sie Schonung und Verschwiegenheit gelobt hatten, gingen die beiden Freunde Arm in Arm davon.

Die Qual, aus einander gerissen zu werden, war ihnen vorahnend zu Theil geworden, deshalb empfanden sie wärmer denn je für einander.

„Die Schelme konnten leicht ihren Zweck erreichen,“ sagte der Herzog jetzt nachdenklich. „Ich war in meinem Sinn entschlossen, Dich nie wieder zu sehen, da Irrthum mir unmöglich schien. Als Du aber, vom Abendgold umflossen, über mir auf dem Altan standest und mich riefst, hörte alles Denken und Wollen auf, da mein Herz mich zu Dir riß!“

„Heil diesem edlen, die Wahrheit erkennenden Herzen!“ rief Goethe bewegt.

Dann überlegten sie gemeinschaftlich, wie die Lage zu klären, wie aufzuräumen und zu strafen sei.


27.

Der Herzog ließ am andern Morgen den Grafen Görtz zu sich bescheiden und nahm ihn scharf ins Gebet.

Karl August konnte in solchen Fällen schonungslos herb sein, und der Uebelthäter kam arg in’s Gedränge. Der Fürst sagte ihm gerade auf den Kopf, er habe den gefälschten Brief auf Goethes Spur geworfen und, nur um dies zu können, den auffälligen Schritt gethan, mit der Herzogin ihm gegenüber zu tanzen. Er habe ihn glauben machen wollen, daß Goethe der Herzogin bei dertour de main den Brief zuzustecken beabsichtigt.

Letztere Beschuldigung war richtig, die erstere nicht ganz und nur aus Schonung für Corona umgeformt.

Immerhin befand sich der Graf in einer großen Verlegenheit. Er kannte die Rücksichtslosigkeit seines jungen Gebieters, sein strenges Rechtsgefühl, das nicht mit sich markten ließ, und begriff, daß er nie wieder zu Gunst und Gnaden kommen werde.

Er wählte also ein in solchen Fällen beliebtes Mittel, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen; er spielte den Gekränkten und bat um seine Entlassung.

„Gehen Sie in des Teufels Namen sammt Ihren Helfershelfern, und je eher je lieber!“ rief der Herzog und verabschiedete seinen alten Mentor in vollem Zorne.

Goethe, der bei seinem guten Gewissen und der baldigen Aufklärung jener Intrigue nicht so tief berührt worden war wie der Herzog, versuchte den hohen, herzlich geliebten Freund zu beruhigen.

Er erinnerte daran, wie er ihn stets vor Saint Germain gewarnt, und beglückwünschte ihn zu der Krise, welche eine so gesunde Reaction hervorgerufen habe.

„Wir sind wie schwimmende Töpfe, die sich an einander stoßen“ sagte er, mit der ihm eigenen Ueberlegenheit sein Thema in reslectirender Weise behandelnd. „Und dem Menschen in seinem zerbrechlichen Kahn ist eben deshalb das Ruder der Einsicht in die Hand gegeben, damit er nicht der Willkür der Wellen sondern dem Wollen seiner Ueberlegung Folge leiste. Das ist jetzt geschehen, mein lieber gnädiger Herr, und somit können Sie sagen, daß Sie durch alle jene Erfahrungen einen Fortschritt. gemacht haben!“

„Ich glaube Dir, daß Saint Germain ein Betrüger und Erzschuft ist,“ sagte der Herzog lebhaft. „Wissen möchte ich aber doch, wie er es angefangen hat, mich in den Hörselberg zu führen, und wer seine Venus war! Letztere Frage könntest Du mir jetzt beantworten, da keine Gefahr mehr ist, daß er Macht über mich bekommt.“

„Wenn Sie Ihren Frieden mit der Herzogin geschlossen haben, oder wenn sonst eine Wendung eintritt! Und für jene erste Frage wird sich auch wohl noch die Antwort finden,“ erwiderte Goethe schelmisch ausweichend, sodaß Karl August sich, wenn auch murrend und widerstrebend, fügte.

Bei einer späteren Gelegenheit trug Goethe – mit einem heimlichen Lächeln - dem Herzoge die Bitte vor, den Heilgehülfen Johann Bernstein in Ilmenau als Wundarzt für die Bergknappenschaft anzustellen.

Er war mittlerweile in Ilmenau und bei Gretchen gewesen, hatte genaue Einsicht von allen Verhältnissen genommen und [708] hoffte, mit ihrer Heirath einen Abschluß und die günstigste Wendung für den Herzog zu finden. Dieser sah aber den Freund jetzt groß an.

„Was fällt Dir ein?“ sagte er befremdet. - „Warst Du es nicht, der mir ernstlich abrieth, Dergleichen zu thun; mein Geld nicht zu verschwenden? Jetzt habe ich mir die Sache auch überlegt, habe den jungen Menschen neulich abgewiesen, jetzt bleibt es dabei!“

Graf Görtz säumte nicht lange, dem Drängen des Herzogs zu folgen und Weimar zu verlassen. Er siedelte in der nächsten Zeit mit seiner Familie nach Berlin über, wo er später wieder eine Hofstellung annahm.

Die plötzliche Verabschiedung des Grafen Görtz und das, was von der Ursache verlautete, übte einen höchst ungünstigen Einfluß auf die Herzogin Luise. Der Hofmarschall hatte ihr seinen Abschiedsbesuch gemacht, hatte über ungerechte Behandlung, über eine perfide Intrigue gegen sich und gegen seine hohe Gebieterin geklagt und hinzugefügt, sein Respect, seine Loyalität verbiete ihm, mehr zu sagen.

Die so zart empfindende Fürstin, der jede öffentliche Besprechung, jede Vermengung ihres Namens mit einer auffälligen Angelegenheit höchst empfindlich war, hörte, wo es sich um ihre Person handelte, mit seinem Ohr, und so kannte sie bald die Ursache der Verabschiedung ihres Hofmarschalls: er sollte Goethe beschuldigt haben, daß dieser ihr nachstelle, daß er sich ihr in ungeziemender Weise nahe! Goethe hatte allerdings versucht, ihr Artigkeiten zu erzeigen, hatte das Gespräch mit ihr zu vertiefen, auf ernste Punkte zu führen gesucht. Sie war vielleicht doch nicht zurückhaltend genug gewesen? O, sie konnte an diesem Hofe, wo es so wenig Formen und Schranken gab, nicht vorsichtig genug sein! So überlegte sie, und so geschah es, daß die Ränke des Wundermannes die Kluft zwischen dem jungen fürstlichen Ehepaare erweiterten und neue Entfremdung zwischen ihnen herbeiführten.

Mit Christoph Kaufmann, der längere Zeit in Weimar gewohnt hatte, machte der Herzog kurzen Proceß; er ließ ihm einen Platz in dem Reisewagen zur Verfügung stellen, der behufs Ausbesserung an den Rhein geschickt wurde. Kaufmann ging später als Arzt zur Brüdergemeinde nach Herrnhut.

Graf Saint Germain verschwand ebenso geheimnißvoll nach dem Mißlingen seines Anschlags aus Weimar, wie er dahin gekommen war; man hörte später, er sei mit dem Landgrafen Karl von Hessen dem zweiten Sohn des regierenden Herrn, nach Schleswig gegangen, wo sich bald der Mysticismus zur vollen Blüthe entfaltete; Schleswig wurde der Sammelplatz aller wundergläubigen Männer der Zeit; der Landgraf nahm am Sectenwesen lebhaften Antheil und verfaßte unter dem Beistande Saint Germain’s aufsehenerregende, phantastisch religiöse Bücher.

Corona würde sich jetzt erleichtert und befreit gefühlt haben, wenn ihr nicht der Graf in eitlem kurzem geheimnißvoll gehaltenen Schreiben seine baldige Rückkehr in Aussicht gestellt und ihr die Versicherung gegeben hätte, daß er im Geiste mit ihr sei und Kenntniß von all ihrem Thun und Treiben erhalte.

Dem wiederholten Werben Hildebrand’s von Einsiedel setzte sie also stets die alte Antwort, daß sie gebunden sei und bleibe, entgegen. Er ward bald nach der Verabschiedung des Grafen Görtz zum Hofmarschall der Herzogin Luise ernannt und seine Lebensstellung dadurch noch mehr über die der Künstlerin erhoben.

So mußte das Paar in gezwungener Entsagung und bei ruhiger Ueberlegung der Ansicht Raum geben, daß eine Heirath kaum ausführbar sei.

(Fortsetzung folgt.)

Das neue Hauptgebäude der Universität Straßburg.
Nach einer Photographie.

[709]

Haus Makart.

Von Balduin Groller.

Am 3. October ist Hans Makart in Wien gestorben. Als er am dritten Tage darauf bei düsterem regnerischen Wetter zu Grabe getragen wurde, da waren all die langen Straßen, durch welche sich der Trauerzug zu bewegen hatte, über und über wie besäet von einer vieltausendköpfigen Menge, welche geduldig da harrte, um dem todten Meister die letzte Ehre zu geben. So dicht stand auch die Menge, als er vor einigen Jahren beim Jubiläums-Festzuge der Stadt Wien an der Spitze der Künstlergruppe ritt. Er ward bejubelt wie ein Triumphator, denn er war der Schöpfer jenes denkwürdigen Zuges, der wahrlich auch ein künstlerisches Werk vorstellte, und eines seiner besten. Wenn man heute so die Menge übersah, mußte man unwillkürlich an jenes frühere Massenaufgebot denken, das derselbe Mann veranlaßt hatte; die Staffage war dieselbe, aber in anderer Stimmung. Denn jetzt gab es einen Todtenfestzug, und der Mann, der damals von stolzem Rosse die Menge grüßte, er war jetzt ein stiller Mann geworden. Der Feuergeist war erloschen, ausgebrannt die vulcanische Phantasie, die so viele leuchtende und glühende Bilder geschaffen, es war nur mehr die todte Hülle seines Geistes, die da auf dem prunkvollen, von acht reichgeschirrten Rappen gezogenen Leichenwagen zur letzten Ruhestätte gebracht wurde.

Hans Makart auf dem Todtenbette.
Originalzeichnung von F. Schlegel.

Man kann es unbedenklich aussprechen: Hans Makart war der populärste Maler, von dem die österreichische Kunstgeschichte zu sagen weiß. Jedes Kind in österreichischen Landen wußte von ihm; aber sein Ruhm drang auch über die Grenzen des Reiches hinaus, und selbst im fernsten Auslande hatten alle Gebildeten Kenntniß von seinem Namen und von seinen Werken, und wo die Originale dieser letzteren nicht hindrangen, da mußten Nachbildungen Ersatz bieten. Alle erdenklichen reproducirenden Künste hatten sich seiner Schöpfungen bemächtigt und diesen so eine wahrhaft weltumspannende Publicität verschafft. Er galt allüberall als der glänzendste Vertreter der österreichischen Kunst, und er führte diese Repräsentanz mit königlichem Aufwande. Nun, da er dahingeschieden ist, hat er eine Lücke gelassen, die nicht so bald ausgefüllt werden wird. Noch ist die Zeit nicht gekommen zu einem letzten, abschließenden Urtheil über seine künstlerische Thätigkeit, noch kann man nicht mit derselben apodiktischen Bestimmtheit sagen, daß, wie er der populärste, er auch der größte Maler Oesterreichs gewesen sei. Die allgemeine, tiefschmerzliche Erregung, die sein jäher Tod hervorgerufen, erschwert jetzt noch zu sehr die nüchterne, ruhige, gerecht abwägende Werthschätzung und Vergleichung. Wie aber auch das Urtheil einer späteren Zeit ausfallen mag, das Eine wird auch sie jedenfalls zugeben, daß es eine seltene Begabung, eine glänzende Künstlererscheinung war, die uns der Tod so grausam und so vorzeitig entrissen.

Makart hatte sich aus kleinen, engen Verhältnissen emporgearbeitet. Im Jahre 1840 am 29. Mai zu Salzburg als der Sohn eines kaiserlichen Schloßaufsehers geboren, absolvirte er in seiner Vaterstadt die Volksschule und einige Classen der Realschule. Der schwächliche, still sinnende Knabe kam in den Classen zur Noth mit, gab aber keinerlei Proben einer besonderen geistigen Aufgewecktheit, nur beim Zeichnen that er sich hervor, und der betreffende Lehrer ward bald aufmerksam auf das Kind, dessen Geistesthätigkeit sich zumeist im Schauen offenbarte. Auch verständige Verwandte hatten die specielle Begabung des Kleinen beobachtet, und sie beredeten ihn förmlich, sich der Malerei zu widmen, obschon er selbst den Wunsch hatte, Graveur zu werden. Er gab nach und bezog als halbwüchsiger Jüngling die Wiener Akademie der bildenden Künste. Die Wiener Akademie hatte zu jener Zeit gerade keine glückliche Epoche, Makart’s Talent blieb unbeachtet, ja es wurde ihm geradezu abgesprochen, und so zog er denn weiter nach München. Doch auch da verbrachte er mehrere Jahre in unsicherem Umhertasten, er arbeitete und arbeitete, und es war doch, als könne er sich selbst nicht finden. Erst als ihn Piloty, dieser berühmteste und erfolgreichste aller Lehrer unter den deutschen Malern, in seine Meisterschule aufnahm, gewann Makart bald Klarheit über sich selbst, über sein Wollen und Können, über seine Ziele und die Wege zu denselben, und nunmehr geht er in seiner Entwickelung mit Riesenschritten vorwärts.

Das erste Bild, das er unter der Leitung Piloty’s malte, war „Lavoisier im Gefängnisse“; es war noch eine conventionelle und unfreie Arbeit, die jedoch schon in coloristischer Hinsicht zu schönen Hoffnungen berechtigte. In den folgenden Arbeiten wich die conventionelle Befangenheit immer mehr, und immer deutlicher machte sich ein großer, auf decorativen Effect gerichteter Zug geltend, und ein Bild „Der Ritter und die Nixen“ wies schon solche Vorzüge auf, daß es von dem bekannten Dichter und Sammler, dem kunstsinnigen Grafen Schack für würdig erachtet wurde, seiner berühmten Gallerie einverleibt zu werden. Aber auch dieses Bild gehört noch in die Periode der Einleitung. Seinen eigentlichen Ruhmes- und Siegeslauf begann Makart mit seinen beiden folgenden cyklischen Werken, den „Modernen Amoretten“ und den „Sieben Todsünden“, letzteres später umgetauft in „Pest in Florenz“.

Diese beiden Schöpfungen machten den Namen des Künstlers sofort zu einem weltberühmten. Ein wahrer Sturm der Begeisterung einerseits und andererseits laute Proteste erhoben sich gleichzeitig. Die Künstler, das Publicum, die Kritik theilten sich in zwei Lager, und aus beiden heraus tönte lautes Feldgeschrei. Je glühender die Begeisterung der Einen sich geberdete, desto erbitterter wurde der Widerspruch der Anderen, aber so laut auch der Widerspruch war, über die Thatsache konnte er nicht wegtäuschen: Makart war der Held des Tages geworden, und vielleicht ist es nicht übertrieben, wenn man sagt: er ist es geblieben bis an sein Lebensende. Und noch Eines darf man aussprechen, wohl ohne dem dahingeschiedenen Künstler Unrecht zu thun: es wäre besser für ihn und für die deutsche Kunst gewesen, [710] wenn nicht diese seine ersten Erfolge so phänomenal glänzende gewesen wären. Seit jenen Tagen ist kein Bild auf Makart’s Staffelei trocken geworden. Händler und Liebhaber kämpften um seine Werke. Es war einerlei, was und wie es war, nur „ein Makart“ sollte es sein. Der Künstler kam nicht dazu, sich zu vertiefen, nicht dazu, die Kinder seines Genius reif auszutragen. Wäre er nach jenen ersten Bildern durch den harten Kampf um’s Dasein gezwungen worden, seine späteren Bilder mit Ernst und Bedacht und gediegen durchzuarbeiten, hätte er sonst keine Hoffnung und keine Aussicht gehabt, sie an den Mann zu bringen, so hätte sich der Segen einer solchen ernsten Arbeit auch an seinen späteren Schöpfungen offenbart, und es hätte sich heute mit derselben Sicherheit, mit der Makart als der populärste Maler unserer Tage bezeichnet wird, behaupten lassen, daß mit ihm auch der größte Maler der Gegenwart zu Grabe gegangen sei.

Ueber jene beiden Werke ist Makart künstlerisch nicht mehr hinausgewachsen. Sie zeigen in vollkommen scharfer Ausprägung seine künstlerische Individualität und das Bild dieser seiner Besonderheit blieb dasselbe, ob auch späterhin noch einige blendende Zuthaten dazukamen. Makart war von seinem ersten Auftreten an in seinen Vorzügen, wie in seinen Schwächen nicht nur einer auserlesenen Gemeinde von Forschern und Kennern zugänglich, sondern gleich den breitesten Schichten des Volkes verständlich, und darin liegt wohl auch der Schlüssel zu dem Geheimniß seiner außerordentlichen Popularität. Um einen Menzel oder Lenbach vollkommen würdigen und verstehen zu können, bedarf es der Sachkenntniß und eines gut geschulten Auges, während Makart’s Kunstweise sich im Guten, wie im Schlimmen sofort auch dem Auge des Laien entschleierte. Vor seinen Werken verstand auch der Laie sogleich, daß ihm da eine Gluth und ein Glanz der Farbe entgegenleuchte, wie sie seit der goldigen Glanzzeit der Renaissance noch nicht wieder gesehen ward, auch der Laie begriff die decorative Pracht, die ihm da entgegenlachte, und auch er spürte den gluthvollen Hauch einer verzehrenden Sinnlichkeit, und auch sein Auge reichte aus, um zu erkennen, daß all dem berückenden Farbenzauber nicht überall der rechte und volle künstlerische Ernst zugesellt sei, daß neben dem holden Spiele der Phantasie nicht immer auch die Strenge der besonnenen, auf die Durchbildung aller Theile gleichmäßig bedachten Arbeit in Action getreten sei.

Nach dem ersten so verheißungsvollen Auftreten Makart’s bot der Kaiser von Oesterreich dem Künstler in großherziger Munificenz ein würdiges Heim in Wien an. Makart erhielt ein Wohnhaus inmitten eines Gartens angewiesen und daneben ein Atelier, das nach seinen Angaben erbaut wurde, und zu welchem sich später, als dieses Atelier nicht mehr ausreichte, ein zweites gesellte, in welchem all die großen Gemälde entstanden, welche der Welt so reichen Stoff zum Gespräche und der Kritik stets neue Anregung zu Lob[WS 1] und Tadel bieten sollten.

Makart hat seine eminente decorative Meisterschaft nicht nur auf seinen Gemälden bethätigt, er ließ sie auch mit nicht geringerer Wirkung in die Erscheinung treten bei der Einrichtung seiner Wohnung, seiner beiden Ateliers und endlich bei der Durchführung des großen Festzuges, sowie im Arrangement jener feenhaften Künstlerfeste, die er von Zeit zu Zeit bei sich zu veranstalten liebte. Insonderheit war es sein großes Atelier, das eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges in Wien vorstellte und das wir, anknüpfend an eine frühere Schilderung in der „Gartenlaube“[1], in der nächsten Nummer in Bild und Wort unseren Lesern vorführen werden.

Nachdem sich der Künstler solchermaßen in Wien seßhaft gemacht hatte, begann er sofort, mit genialer Leichtigkeit und lebendiger Schaffensfreudigkeit eine reiche und umfassende Thätigkeit. Es entstanden in rascher Folge die herrlichen zwei Abundantia-Bilder, die Gaben der Erde und des Meeres behandelnd, sodann der allegorische Cyclus zur Decorirung der Wohnung des österreichischen Mäcen Nikolaus Dumba, seine „Ophelia“, „Julia auf der Bahre“, „Romeo und Julia“ und „Faust und Gretchen“. In dem Weltausstellungsjahre vollendete er, nachdem er zuvor noch eine Studienreise nach Italien gemacht hatte, das imposante Bild „Katharina Cornaro“, ein Gemälde, das sich gleichfalls eines fast beispiellosen Erfolges zu erfreuen hatte. In demselben Jahre noch unternahm er eine Fahrt nach dem Pharaonenlande, aus welchem er eine reiche künstlerische Ausbeute mit heimbrachte. Dort entwarf er seine verschiedenen Kleopatra-Bilder, und dort an Ort und Stelle malte er jene zahlreichen köstlichen ägyptischen Studien, die dann in der Heimath sammt und sonders mit so ungetheiltem Enthusiasmus aufgenommen wurden. Wieder heimgekehrt, malte er in unglaublich kurzen Fristen jene grandiosen Sensationsbilder, über welche die öffentliche Meinung sich noch immer nicht völlig beruhigt hat: den „Einzug Karl’s V. in Antwerpen“, die „Jagd der Diana“, den „Sommer“, und zwischendurch eine ganze lange Reihe von kleineren Compositionen und Bildnissen.

Aus dem, was wir bisher über Makart’s Begabung und Kunstweise gesagt haben, erhellt von selbst, daß er für die Bildnißmalerei nicht der rechte Mann war, weil es nicht in seiner Natur lag, den halbversteckten Charakterzügen einer Individualität nachzuspüren, um sie sodann mit emsiger Sorgfalt auf die Leinwand zu übertragen. Nichtsdestoweniger war er mit Aufträgen für Portraits immer überhäuft. Die schönsten Frauen drängten sich, von ihm gemalt zu werden, und wenn ihm auch nur selten ein Bildniß wohlgerieth, so waren sie doch immer entzückt von seiner Leistung, denn kein Anderer gab den Bildern eine malerisch so wirksame, prächtige, blendende Anordnung, und keines Anderen Pinsel wußte so pikanten Reiz zu entfalten.

Kurz vor seinem Tode arbeitete Makart noch an den Lunetten für das neue kunsthistorische Museum und an einem großen, fast vollendeten Gemälde „Der Frühling“, der ein Seitenstück zu seinem „Sommer“ zu werden bestimmt war. Mitten aus einer reichen Thätigkeit hatte ihn der erbarmungslose Tod herausgeholt. Fast unabsehbar sind die Arbeiten, die seiner noch harrten. Viele der neuen Monumentalbauten Wiens hätten von seiner Hand den letzten Schmuck erhalten sollen, und nun stehen sie verwaist da, weil der Würdigste, sie zu schmücken, dahingegangen, von wannen keine Wiederkehr. Ein schleichendes Leiden, das seit Jahren schon den Organismus des Künstlers untergrub, hatte sich plötzlich auf den centralen Sitz aller Lebensfunctionen, auf das Gehirn erstreckt, und nach wenigen Tagen war er niedergeworfen, verloren. Makart hinterläßt eine trauernde alte Mutter, eine zweite Frau und zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, aus erster Ehe.

Eine Makart-Schule überlebt den Meister nicht. Die schulbildende Kraft war ihm nicht gegeben, und man braucht darüber nicht zu klagen. Seine Kunstweise war eine Weise für Genies, Anderen hätte sie nicht zum Segen werden können. Aber wenn er auch keine Schule gegründet hat, so haben doch Kunst und Künstler in Oesterreich starke Impulse von ihm empfangen, die ohne Zweifel noch lange und segensreich nachwirken werden.


Meine jüngste Reise in Afrika.

Originalbericht von Ed. Robert Flegel.
I.
Vorwort der Redaction.

Ein seltenes Schauspiel bot sich am Abend des 4. October den Mitgliedern der Berliner Geographischen Gesellschaft dar, die in dem Saale des Architektenhauses versammelt waren, um von einem soeben heimgekehrten Forscher Berichte über neue Triumphe der Wissenschaft in dem „dunklen Welttheil“ zu empfangen. Dort knieeten vor dem Vorstand, dem Contre-Admiral von Schleinitz und dem Afrikareisenden Dr. Güßfeldt, zwei Neger in ihren charakteristischen faltenreichen Gewändern, mit weißem Turban auf dem Haupt, und hörten den Dank an, den ihnen die Geographische Gesellschaft aussprach und den der vor ihnen stehende kühne Reisende Eduard Robert Flegel verdolmetschte. In der That ein ungewöhnliches Schauspiel selbst für die Einwohner einer Weltstadt, in der schwarze Gäste keine Seltenheit bilden. Wohl haben seit jener ersten [711] Gesandtschaft guineischer Neger, die nach Berlin gekommen war, um dem Großen Kurfürsten zu huldigen, Hunderte von Schwarzen den grünen Strand der Spree besucht, aber keinem von ihnen hat bis jetzt eine gelehrte Gesellschaft ihren Dank ausgesprochen. Welches war nun das Verdienst dieser demüthig niederknienden Fremden mit den unaussprechlichen Namen: Madugu[2] maigasin baki Mohamman dan Mohamman und Madugu dan Tambari Mohamman dan Abubakr?

Sie haben tief im Innern Afrikas einem Sohn Deutschlands treu beigestanden in der schwierigen Lösung wichtiger wissenschaftlicher und cultureller Aufgaben, sie waren seine zuverlässigen Führer durch fremde Länder, die bis dahin noch niemals der Fuß eines Europäers betreten, sie waren seine Freunde, die ihn vor der Mißgunst roher Völkerschaften durch Rath und That zu bewahren wußten. Und der Mann, dem sie diese Dienste erwiesen und der sie jetzt nach Europa mitgenommen hatte, um ihnen die Macht der Weißen und die Wunder der Cultur zu zeigen, er war der gefeierte Held jenes Abends, das jüngste Ehrenmitglied der Geographischen Gesellschaft, Eduard Robert Flegel. Noch trug sein Antlitz Spuren der vielen Mühen, die er jüngst ertragen hatte, aber aus seinen Augen leuchteten frohe Zuversicht und energisches Wollen. Denn er war nicht heimgekehrt, um auf den frischen Lorbeeren seines Ruhmes auszuruhen, sondern um neue Mittel zu weiteren Unternehmungen zu sammeln.

Rückseite des zusammengefalteten Briefes des Sultans von Sokoto.

Wenn man im industriellen Leben der Gegenwart diejenigen Männer als nachahmenswerthe Vorbilder hinstellt, die aus eigener Kraft Großes auf ihrem Gebiete vollbracht haben, so verdient auch die Art und Weise, in welcher Flegel sich zu einem der besten Afrikaforscher emporgearbeitet, unsere vollste Bewunderung und darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden.

Am 13. October 1852 wurde er zu Wilna in Rußland geboren, von wo seine Familie nach Mitau und dann nach Riga übersiedelte. Hier besuchte der Knabe die Kreisschule bis Prima und trat im Jahre 1869 bei A. Fluthwedel u. Comp. in’s Geschäft, um Buchhändler zu werden. Aber dieser Beruf entsprach nicht seiner inneren Neigung, ihn zog es mächtig in die Ferne hinaus, und im Jahre 1871 ging er zunächst nach Deutschland, wo bereits sein Bruder weilte. Bemerkenswerth waren hier die großen Fußtouren, die er trotz der bequemen Eisenbahnverbindungen unternahm, wie z. B. ein Gang nach Straßburg, den er im Spätherbste 1871 mit seinem Bruder von Gera aus über Eisenach, Frankfurt am Main und Speyer in 15½ Tagen vollendete. So hatte er damals gewissermaßen eine Vorschule für seine Afrikareisen durchgemacht. Auf der Handelsschule in München reifte in ihm der Entschluß, sich an der Erforschung von Afrika zu betheiligen, und er nahm darum nach Absolvirung derselben eine Stelle in der Tabakhandlung von Plumeyer in Hamburg an, da er wohl ahnte, daß er in der Hansastadt die beste Gelegenheit zur Ausführung seiner Pläne finden würde. Und in der That verließ er schon am 30. September 1875 auf dem Segelschiff „Mathilde“ den Hafen Hamburgs, um zunächst als Angestellter des Hauses G. L. Gaiser in der Factorei Palma bei Lagos, westlich vom Nigerdelta, die afrikanischen Verhältnisse kennen zu lernen und seine Pläne endgültig auszuarbeiten. Während eine große Gesellschaft sich an dem unteren Laufe des Congo niedergelassen hatte und von dort aus sich einen Weg in das Innere von Afrika, gegen Katarakte und Stromschnellen ankämpfend, bahnen will, hatte Flegel seit Jahren das Ziel verfolgt, auf dem Laufe des Niger und Benuë in die für den Handel so wichtigen Gebiete des Sudan vorzudringen.

Im Jahre 1852 kam die Nachricht nach Europa, daß Dr. Barth am 18. Juni 1851 in Adamaua einen schiffbaren Nebenfluß des Niger, den Benuë (auch Binuë genannt), entdeckt hatte, und damals begriff man sofort die hohe Bedeutung dieser Wasserstraße für den Handel Afrikas, da der Niger unter allen Flüssen dieses Welttheils der Schifffahrt die geringsten Hindernisse bietet. Schon im Jahre 1854 wurde eine Expedition unter Dr. Backie’s Leitung ausgerüstet, und die „Plejade“ dampfte den Niger und Benuë ohne wesentliche Hindernisse hinauf. Leider mußte diese Expedition die weitere Verfolgung des Stromes unterlassen, „weil das Schiff mit den unvollkommensten Werkzeugen zum Schlagen des für die Maschine erforderlichen Brennholzes ausgerüstet war“. Sie konnte aber schon damals feststellen, daß der Benuë einschließlich des unteren Niger eine brauchbare Wasserstraße von mindestens 1100 Kilometer abgiebt. Aber merkwürdiger Weise blieb trotz dieser Erfolge der Benuë durch 25 Jahre völlig unbeachtet, und erst im Jahre 1879 suchte der Missionsdampfer „Henry Venn“ der „Plejade“ zu folgen. Das thätigste Mitglied dieser Expedition war nun Ed. Robert Flegel. der seit jener Zeit mit rastlosem Eifer für die Bedeutung dieser Wasserstraße eintritt.

Der Empfehlungsbrief des Sultans von Sokoto.

Heute, wo die Handelsfreiheit auf dem Niger allen europäischen Völkern durch internationale Verträge garantirt werden soll und wo das Stromgebiet von Benuë sozusagen das Hinterland der deutschen Erwerbungen in Kamerun bildet, wird der hohe Nutzen der unermüdlichen Arbeiten von Flegel voll anerkannt, und wir freuen uns, an dieser Stelle einen Bericht aus der Feder des berühmten Forschers über seine Reisen veröffentlichen zu können.

* * *
Der Bericht Robert Flegel’s.

Dr. Heinrich Barth war es, der mit seiner Ueberzeugung von der hohen Bedeutung des Benuë für die Civilisirung und Erschließung des westlichen Sudan auf mich zuerst wirkte, und dessen Gedanke, von Adamaua nach dem Indischen Ocean zu dringen[3], erscheint mir ausführbar, nachdem Stanley seine auf unsere Zeit so mächtigen Einfluß übende Großthat beendet. Wie ich mir den Weg gebahnt, um überhaupt geographische Kreise für meine Ideen zu interessiren und mir die nöthigen Unterstützungen zu verschaffen, habe ich in meiner Jungfernrede, März 1880, im Architektensaale zu Berlin mitgetheilt. Ich kann nicht anders als mit dankbarer Befriedigung zurückblicken auf die Vergangenheit. [712] Eine Kette von glücklichen Umständen – die häufig gerade zu der Zeit eintraten, wo alles mir aussichtslos erschien – hat meine Bemühungen, der deutschen Forschung, wie der Ausbreitung des deutschen Handels neue Wege zu weisen, mit Erfolg gekrönt. Zu solchen glücklichen Umständen gehörte zunächst meine über drei Jahre dauernde Dienstzeit in dem ersten Lagoshause G. L. Gaiser, Hamburg und Lagos, und die liebenswürdigste Unterstützung meiner Unternehmungen seitens des Chefs wie seiner Vertreter in Westafrika. Ich hatte vor allem den großen Vortheil, bei meiner anfangs nur sehr unbedeutenden financiellen Unterstützung hierher zurückkehren zu dürfen, und fand stets die liebenswürdigste, mich körperlich und geistig für meine Unternehmungen neustärkende Aufnahme.

Ein fernerer Glücksumstand war es, daß die Reise des „Henry Venn“ von 1879 gerade zu der Zeit stattfand, als ich meine contractlichen Verpflichtungen gegen das Haus G. L. Gaiser gehörig erfüllt hatte. Bei meiner ersten Meldung – ich wünschte als Passagier vom „Henry Venn“ mitgenommen zu werden – wurde ich abschlägig beschieden, da ich, vom Hause Gaiser kommend, Verdacht erregte, daß ich den englischen Firmen am Niger Concurrenz zu schaffen beabsichtigte. Da trat der glückliche Zufall wieder für mich in die Schranken. Der Rechnungsführer des Missionsschiffes war erkrankt und auf Anordnung des Arztes nach Europa gesandt worden. Ich erhielt hiervon Kenntniß und bot meine Dienste nicht vergeblich an. Unter der Flagge der Mission (auf blauem Grund das „Buch der Bücher“ in Weiß und eine weiße Taube mit dem Oelzweig im Schnabel darüber) machte ich meine erste erfolgreiche Benuëreise.

Eduard Robert Flegel.
Nach der neuesten von J. C. Schaarwächter in Berlin für die „Gartenlaube“ aufgenommenen Photographie.

Fast hätte ich auch die zweite im Dienste derselben angetreten, ja antreten müssen, denn ich wollte und durfte nicht die Angebote abschlagen, die mir dort gemacht wurden – in Anbetracht der Sache selbst – wenn nicht noch im letzten Augenblick mir die erste Unterstützung deutscherseits durch Dr. G. Nachtigal’s und Prof. G. Neumeyer’s gütige Vermittelung zu Theil geworden wäre (1000 Mark Karl Ritter-Stiftung und 5000 Mark Afrikanische Gesellschaft i. D.).

So unternahm ich diese Reise in der Hoffnung, wiederum mit dem „Henry Venn“ nach Adamaua zu gelangen. – Da diese Hoffnung sich aber nicht erfüllte, weil damals gerade in der Mission (Church Missionary Society) Dinge vorgingen, deren Schilderung nicht hierherpaßt und die überhaupt die Nacht am besten für immer deckt, so wurde mir nach meinen Erfahrungen von 1879 klar, daß ich nicht direct auf mein Ziel Adamaua lossteuern dürfe, sondern erst – wenn ich reüssiren wollte – nach Sokoto zu gehen und mich um ein Erlaubnißschreiben des dortigen Sultans zu bewerben haben würde. Dieser Plan gelang über Erwarten gut. Die geographischen Resultate dieser Reise sind von „Petermann’s Mittheilungen“, dem „Ausland“ und vor allem natürlich von den „Mittheilungen der Afrikanischen Gesellschaft“ beleuchtet worden. Als ich zurückgekehrt war, wurde meine Lage schon besser – wenn ich auch viel Zeit verlor und manche Geduldsprobe zu bestehen hatte. Man war aufmerksam auf meine Bestrebungen geworden, und ich hatte das sichere Gefühl, mit einiger Geduld dennoch in vaterländischen Diensten bleiben zu können.

Der Brief des Sultans von Sokoto ist von der höchsten Bedeutung für den Erfolg meiner zweiten Adamauareise und die Entdeckung des Benuëquellgebietes gewesen, wie ich voraussah; denn ohne diese Empfehlung, die ich im Original (S. 711) und der Uebersetzung gebe, wäre ich schmählich abgewiesen worden wie Barth und die „Henry Venn“-Expedition. Sie allein öffnete mir die Thore Jola’s und somit der ganzen für praktische wie wissenschaftliche Ziele wichtigsten Provinz des Sokotoreiches, Adamaua.

Die Geographische Gesellschaft in Berlin dankt den beiden von Ed. Robert Flegel mitgebrachten Negern für ihre Treue und Redlichkeit.
Originalzeichnung von A. von Roeßler.

Denn dieses reiche schöne Land ist uns nicht nur wichtig durch seine eigenthümlichen Vorzüge, mehr noch als Hinterland von Kamerun und als Schlüssel für das wissenschaftlich gegenwärtig interessanteste Gebiet der nördlichen Congozuflüsse. Wird doch durch eine Reise von Adamaua aus nach dem Congo hin der gewaltige Plan unseres großen Ad. Bastian, welchen dieser vor nunmehr nahezu zwölf Jahren zur Entschleierung der letzten Geheimnisse des dunklen Continentes aufstellte, abgeschlossen.

Das Schreiben des Sultans von Sokoto lautet in wörtlicher mir von Haussaleuten gegebener Uebersetzung:

„Im Namen Gottes, des allbarmherzigen, der Mitleid hat mit den Gläubigen, lasse ich wissen, wie es sich zugetragen hat mit diesem Schreiben, allen denen, die mir unterthan sind, und den Häuptlingen. Dieser Weiße ist bei mir gewesen, ist gekommen, um mich zu sehen und von mir Freundschaft zu erhalten. Aus diesem Grunde gab ich ihm diesen Brief an Euch Alle! Von mir kommt er (der Weiße)

[713]

Respekt! es kommt der Jubilar der Wein von vier und achtzig von Emil Rittershaus
Randzeichnung von Ernst Röber in Düsseldorf.

Ich war zu Gast beim Herrn Pastor
Zur Zeit der Rebenblüthe.
Er hob das Auge fromm empor
Und pries des Himmels Güte:

5
„Die Nüsse, sie gerathen gut.

Nichts schmeckt so schön zum Neuen!
Der Herrgott will mit Traubenblut,
Mit echtem, uns erfreuen,
Mit Wein, wie vier und dreißig war!

10
Die Rebe zeigt in Pracht sich,

Ist mit Gescheinen dicht besteckt. –
Respect, Respect! Respect, Respect!
Respect! Es kommt der Jubilar,
Der Wein von vier und achtzig!

15
Als ich der Jahre dreißig sah,“

Hat der Pastor gesprochen,
„Wie mancher Flasche hab’ ich da
Vergnügt den Hals gebrochen!“
Ein Glanz wie rothes Abendgold

20
Lag auf des Würd’gen Mienen,

Und eine Thräne niederrollt’
Wie Perlen auf Rubinen.
„Kein Lächeln, Bursch! In jenem Jahr
Kam’s wie man’s kaum gedacht sich,

25
Doch Zeichen hab’ ich jetzt entdeckt –

Respect, Respect! Respect, Respect!
Respect! Es kommt der Jubilar,
Der Wein von vier und achtzig!

Da hatt’ man auch noch großes Maß –

30
Und doch, ihr jungen Leute,

An unsrem Vater Rheine saß
Man nicht so froh wie heute!
Allüberall ein Schlagbaum stand.
Ein schwarz-roth-goldnes Bändchen

35
Trug heimlich man. Kein Vaterland

Gab’s, nur noch Vaterländchen!
Verspottet von der Fremden Schaar,
Raunt nur in’s Ohr man sacht sich:
Ob keiner wohl den Michel weckt? –

40
Respect, Respect! Respect, Respect!

Respect! Es kommt der Jubilar,
Der wein von vier und achtzig!“

Beim Vierunddreißiger sprach’s zu mir
Ein Greis von achtzig Jahren. –

45
Nun grüßen wir den Besten hier

Von allen Jubilaren.
Am deutschen Rhein der edle Wein
Im Reich, dem einigen, freien,
Am deutschen Rhein, Franzosenrein,

50
Soll er uns wohl gedeihen!

Dran lab’ man noch nach manchem Jahr
Am Tag und auch bei Nacht sich,
Und sing’, wenn er wie Nektar schmeckt:
Respect, Respect! Respect, Respect!

55
Respect! Es kommt der Jubilar,

Der Wein von vier und achtzig!

[714] wohlbehalten zu Euch und in Frieden, laßt ihn ebenfalls wohlbehalten und in Frieden zurückkehren. Das ist der Gruß (d. h. die Botschaft, die Meldung).“

Der Stempel auf diesem Briefe ist leider, wie auch die Abbildung erkennen läßt, so undeutlich, daß man die auf demselben gezeichneten Gestalten und Buchstaben nicht erkennen kann, ebenso ist die Schrift auf der Rückseite des Briefes nicht zu entziffern. Mit Hülfe dieses Briefes und eines zweiten, des Geleitbriefes des Ganduherrn, entging ich den Plünderungsgelüsten einiger vornehmen Herren auf der ersten Rückreise; durch ihn fand ich überall freundliche Aufnahme und gute Behandlung, ja offene Thore für das Nachbargebiet. Denn wenn afrikanische Könige auch schon zuweilen willig den reichen Reisenden aufnehmen, so lassen sie ihn doch nur verhältnißmäßig selten willig mit diesen Reichthümern in das Nachbarland ziehen. Zum ersten Male in Tibati im Zeitraume von vier Jahren ist mir das Betreten eines Gebietes verboten worden und hier auch nur aus abergläubischer Furcht, die jetzt wohl schon geschwunden ist. Ohne den Sokotobrief hätte ich auch meinen alten Freund und treuen Reisebegleiter Magudu maigasin baki schwerlich veranlassen können, mich zu begleiten, denn von Sokoto kann für einen Gläubigen des westlichen Sudan nur Gutes kommen. Der Verlauf meiner zweiten Adamauareise, durch welchen der Ursprung des Benuë aufgefunden wurde, ist noch nicht veröffentlicht, die Routenkarte noch nicht abgeschlossen, da die Details zu verarbeiten viel Zeit in Anspruch nimmt.[4] Ich wandte mich zunächst von Loko nach der Hauptstadt Kororofa’s, Wukari (dem Okale E. Vogel’s), wo ich durch die Vermittlung meines alten Freundes ernsten Schwierigkeiten glücklich entschlüpfte.

Uebersichtskarte der Reisen von Ed. Robert Flegel in Haussa und Adamaua.

Ich war, um die Stadt in ihrem Umfange kennen zu lernen, mit meinem Diener Ibraima hinausgeritten vor das Thor in der Absicht, die Stadt zu umreiten, und wir galoppirten auf unseren damals noch sehr schönen Thieren fröhlich daher, als uns plötzlich bewaffnete Haufen mit großem Lärmen folgten, was mich sofort die Gangart verlangsamen ließ, um mich nach der Ursache der Verfolgung zu erkundigen. Aus den durch einander schreienden Stimmen wurde mir soviel klar, daß man mich in Verdacht hatte, ich streue böse Medicin, um der Stadt Schaden zuzufügen. Ich antwortete den Leuten, daß das Thorheit sei und ich zum Beweise den Ritt auf ihren Wunsch nicht fortsetzen würde. Man wollte mich aber nicht wieder in die Stadt lassen, was schließlich nach einigem Palaver (Unterhandlungen) doch gestattet wurde; dann ließ man mich nicht in’s Haus, was aber doch gelang, obwohl es dabei fast zu ernstem Zwiste kam. Schließlich sollte ich vor den König gebracht werden, der gegen die Muntschis im Felde lag, und die Sache hätte mir viel Unkosten machen können. Aber sobald mein alter Freund – der die Djukus fehr gut kennt und ihre Sprache spricht – die Sache in die Hand nahm, war dieselbe bald beigelegt. Er antwortete dem aufgeregten Haufen auf die vorhin erwähnte Beschuldigung einfach, daß, falls ich wirklich das Land und die Stadt behext hätte, was er persönlich nicht glauben könne und wofür er viele gute, den Landeskindern verständliche Gründe beibrachte, man es enthexen müsse, und daß er bereit sei, die Kosten zu bezahlen. Das war der beste Vorschlag zur Güte. Die Habsüchtigen stellten bedeutende Forderungen, er handelte und handelte und ermüdete die Herren mit seiner Geduld und Klugheit so, daß sie mit einigen Metern Zeug abzogen. Auch brachte ich die Lacher auf meine Seite durch den Vergleich der Anstifter dieses Zwischenfalles mit den Mäusen, die auf Tisch und Bänken tanzen, wenn die Katze nicht daheim ist, was man in Haussa durch das Sprüchwort ausdrückt: „Man hört die Hyänen nach Fleisch rufen, weil der Löwe (der König des Orts) nicht daheim ist,“ was zugleich andeutet, sich auf unrechtmäßige Weise bereichern zu wollen.

Der Herr von Wukari, der mein besonderer Freund von 1879 her war, hat dann sehr anerkennenswerth und für einen Djukufürsten erstaunlich klug und politisch gehandelt. Er kennt die Bedeutung der Haussa und der Weißen und ist jetzt auch auf eigenen Wunsch der Oberhoheit Sokotos unterstellt worden. Er bestrafte daher die Urheber jenes Aufruhrs und rügte öffentlich das Betragen seiner Unterthanen als ein der Stadt verderbliches; denn die Haussahändler und vor Allem die Weißen seien es, die ein Land groß und seine Bewohner glücklich machten, da ihnen Gott alles gegeben, was begehrungswürdig sei. Er steht aber allein mit dieser Anschauung da, und seine Macht besteht mehr durch die zahlreichen eingewanderten und die Stadt bewohnenden Haussas, als in seinen eigenen Unterthanen, denen er nach gutem alten Landesbrauche schon zu lange lebt.

Von Wukari wanderten wir in östlicher Richtung die südlichen Zuflüsse des Benuë kreuzend, nach Gas’ka (zu sprechen Gasch’ka), dem Sitz des Zambo dan Haman Gabdo, eines der feindlichen Brüder Adamauas und zwar des jüngeren, intelligenteren und hochherzigeren der beiden, der in dieser Stadt sich sieben Jahre gegen seinen Bruder Usuman (Osman) von Bagnio und eine große Zahl Krieger aus aller Herren Ländern tapfer gehalten hat und letzteren schließlich zwang, obwohl er ihn hätte vernichten können, abzuziehen mit Anerkennung seiner Oberhoheit der Erstgeburt wegen.

Bei Gas’ka passirt man den westlichen Zwillingsarm des Tarabba, den Mao Kom; der Weg führt dann vielgewunden in nordöstlicher Richtung nach der bedeutenden Stadt Kontscha, dem ehemaligen Hauptsitz des Vaters der feindlichen Brüder Haman Gabdo’s, gegenwärtig von einem jüngeren Bruder dieser Djauro Bakari beherrscht. Von Kontscha ging ich in Nordrichtung nach Jola, wo ich vierzig Tage weilte, bevor ich im Beginne der Regenzeit [715] nach Süden vorschritt, um das wichtige geographische Problem vom Ursprung des Benuë und der Zusammengehörigkeit des zum Tsad-See abfließenden Logone, des Flusses von Bagirmi, glücklich zu lösen.

Der Aufenthalt in Jola war mir ein recht angenehmer, wenn auch die Habsucht des dortigen Sokotogesandten mir manche Unannehmlichkeit bereitete und fast diesen letzten Erfolg gehindert hätte. Auf seine Veranlassung nämlich bemerkte der Bote, welchen mir König Burba von Bakundi mitgegeben, in geheimer Audienz dem Jolaherrn Umoru Sanda (Omar mit dem Beinamen „der Stab“): ich hätte, wie er bestimmt wisse, den Auftrag von meinem Könige erhalten, nach Jola zu kommen, um ihn, den Herrn von Jola, zu begrüßen und ihm meine sämmtlichen mitgebrachten Waaren als Geschenk zu überbringen. Man solle mir also nicht gestatten, meinen Ehrgeiz zu befriedigen, sondern mir die Waaren abnehmen und mich mit gehöriger Botschaft zurückschicken. Dank einigen hervorragenden Männern kam dieser Anschlag nicht zur Ausführung, sondern der König wurde bewogen, in Aussicht auf künftige Handelsverbindungen mir sein Wort, das er in Rücksicht auf das Schreiben von Sokoto bei der ersten Audienz gegeben, zu halten und mir die freie Bereisung von ganz Adamaua zu gestatten.

Dennoch gelang es dem intriganten Sokotogesandten, der mir gegenüber immer den Liebenswürdigen spielte, den Geleitbrief nach Ngaundere so abfassen zu lassen, daß ich daraufhin genöthigt war, von Ngaundere nach Jola zurückzukehren. Die eingehenden Mittheilungen über die schlau arrangirten Verwickelungen, welche mich dadurch später in Ngaundere trafen, würden den mir hier gestatteten Raum zur übersichtlichen Darstellung meiner vierjährigen Reise überschreiten. Daher nur soviel, daß ich unter den Verhältnissen und auch hauptsächlich, weil es mir an Mitteln fehlte, mit Beginn der trockenen Zeit theilweise auf neuen Pfaden nach Jola zurückkehrte.

Hier ward diese meine Rückkehr mir hoch angerechnet, da man sich seiner Handlungsweise wohl bewußt war und meine Feinde – die Herren Elfenbeinhändler namentlich – behauptet hatten, daß ich ganz gewiß nicht kommen würde. Der König entließ mich verhältnißmäßig reich beschenkt. Ich erhielt außer dem üblichen Ochsen zum Schlachten zwei schöne Pferde und einen circa 45 Pfund schweren Elephantenzahn. Von Jola nach Kontscha hatte ich denselben Weg einzuhalten; von Kontscha aber wanderte ich nördlich auf kürzerem Wege über Itére, wo ich am Weihnachtstage 1882 durch ein böses delirisches Fieber meinen alten Freund in Aufregung und Sorge um mein Leben versetzte, nach Beli. Hier feierte ich Neujahr, die zwölfte Stunde mit Madugu heranwachend, der frierend am Feuer saß und meinen Erklärungen über die Bedeutung dieser schönen Zeit lauschte.

Auf dieser Rückreise fand ich viel herzliches Willkommen, auch da, wo man mich früher scheu und argwöhnisch betrachtet hatte. –

Ich übergehe die Zeit der Sorge, mir neue Mittel für die Fortsetzung der Reise nach Süden zu beschaffen, meinen langen Aufenthalt in Lagos, die Unterstützung, die mir von Freundesseite dort zu Theil wurde und mir so die neue Abreise nach dem Niger ermöglichte, die Enttäuschungen, die mir bereitet wurden, um noch über die Erfolge meiner neuen (dritten) Adamauareise in einem zweiten Artikel berichten zu können.


Blätter und Blüthen.

Gehörprüfung in den Schulen. (Nachdruck verboten.) Heutzutage müssen die größten Gelehrten öfters wieder in die niederen Schulen gehen, um in denselben gar manche wichtige Dinge zu studiren und Fragen zu lösen, welche ihre Wissenschaft stellt, die zwar mit dem ABC und der Grammatik nicht mehr zusammenhängen, deren Erledigung aber ohne Zuhülfenahme dieser Schulen nicht leicht möglich wäre! Bergen dieselben doch wahre Schätze für anthropologische, statistische und gesundheitswissenschaftliche Studien, Schätze, die erst zu einem kleinen Theile gehoben sind. Und doch – was hat man nicht schon Alles durch Untersuchung der Schuljugend erfahren! Wir erinnern nur an die Erhebungen über die Farbe der Haare, über das Wachsthum des Körpers, über die Verbreitung der Kurzsichtigkeit, der Farbenblindheit etc., wodurch Resultate zu Tage gefördert wurden, die zu Zeiten selbst weite Kreise bewegten und erregten. Waren doch einzelne unter den letzteren recht betrübender Art, z. B. der Nachweis der großen Procentzahl Kurzsichtiger und mit anderen Gesichtsfehlern Behafteter unter den Schülern und Schülerinnen.

Weniger – nach unserer Meinung zu wenig! – in die Oeffentlichkeit gedrungen sind dagegen die fast ebenso wichtigen Ergebnisse der Untersuchungen des Gehörs bei Schülern. Freilich sind sie auch noch nicht so zahlreich ausgeführt worden, wie in Bezug auf das Auge, gewähren aber doch bereits einen recht beängstigenden Einblick in die Häufigkeit der Fehler des zweitwichtigsten Sinnesorgans, zugleich auch einen solchen in die Sorglosigkeit gar vieler Eltern bei Erkrankungen dieses letzteren.

Den ersten Anstoß zur Prüfung des Gehörsinns gaben die vorausgegangenen Augenuntersuchungen im Interesse des Eisenbahn- und Schiffsdienstes. Der Heidelberger Ohrenspecialist Moos machte nämlich mit Recht darauf aufmerksam, daß Gehörfehler des betreffenden Dienstpersonales nicht weniger verhängnißvoll werden könnten, wie mangelhaftes Farbenunterscheidungs-Vermögen, ja daß die Folgen jener noch ernster zu nehmen seien, weil bei ihnen die Uebung als Ausgleichsmittel wegfalle. Das Ohr hat ja nicht, wie das Auge, welches außer den Farben selbst bekanntlich noch Abstufungen derselben von Hell zu Dunkel unterscheiden kann, die Fähigkeit, etwas Anderes an Stelle des einfachen Eindrucks eines Schalls zu setzen.

Auf jene Anregung hin untersuchte dann zuerst, so viel wir wissen, in größerem Maßstabe der Stuttgarter Ohrenarzt Dr. Weil die Hörfähigkeit und zugleich die Ohrenerkrankungen und Gehörfehler der Schüler und Schülerinnen mehrerer Volks- und höheren Schulen, sowohl in der Stadt, als auf dem Lande, um auch einen vergleichenden Ueberblick über die etwaigen Verschiedenheiten in letzterer Richtung zu erhalten; das wohlwollende Interesse, welches die Königin von Württemberg an der Sache nahm, förderte ihn dabei durch Hinwegräumung mancher Schwierigkeiten, die ohne jenes nicht leicht zu beseitigen gewesen wären.

Als Maßstab legte Dr. Weil das deutliche Nachsprechen gewisser Worte und Namen, die so gewählt waren, daß sie nicht leicht errathen werden konnten, zu Grunde, und nahm als räumliche Norm dafür eine Entfernung des Sprechenden und Hörenden von 20 bis 25 Metern an. Er prüfte stets die Hörfähigkeit eines jeden der beiden Ohren für sich. Daß solche genaue Untersuchungen sehr zeitraubend und schwierig sich darstellten, sieht selbst der Laie leicht ein: untersuchte doch der Genannte nach und nach 4500 Kinder der Altersstufen zwischen 7 und 14 Jahren aus den verschiedensten Gesellschaftskreisen, deren Intelligenz natürlich sehr große Verschiedenheiten der Entwickelung darbieten mußte! Gerade durch den letzteren Umstand aber wurde die Sache besonders verwickelt.

Das Endresultat war die erstaunliche Thatsache, daß fast ein Dritttheil (30 Procent) aller untersuchten Kinder an Gehörfehlern auf einem oder auf beiden Ohren litt! An Gehörfehlern, von denen sehr oft die Kinder selbst so wenig, wie deren Eltern eine Ahnung hatten, weil in vielen Fällen wenigstens ein Ohr ganz unversehrt war! Weiter ergab sich (wie dies auch bei den Augenuntersuchungen sich herausgestellt hatte), daß die Procentzahl der Nicht- oder Schwerhörigen mit dem zunehmenden Alter wuchs, und daß die Anzahl derselben in Landschulen geringer war, als in den Stadtschulen. Entgegengesetzt waren dagegen die Ergebnisse der Augen- und Gehöruntersuchungen in der Richtung, daß dort die wohlhabenden Schüler in größerer Anzahl mit Fehlern behaftet waren, hier aber, in Bezug auf die Gehörfehler, die Aermeren die überwiegende Mehrzahl bildeten. Und gar manche dieser Kinder galten für unfähig, andere wurden wegen Unaufmerksamkeit sogar gestraft, nur, wie sich nun herausstellte, weil sie schlecht hörten!

Was soll aber die praktische Lehre aus solchen Untersuchungen sein? Einfach die: daß Eltern sowohl, wie Lehrer in Zukunft auch dem Gehörorgane der Kinder dieselbe Ueberwachung und Aufmerksamkeit widmen, wie sie neuerdings erfreulicher Weise bezüglich des Auges mehr und mehr gang und gäbe werden!

Ist doch ohne Frage ein gutes Gehör für das ganze Lehren, Lernen und Leben ebenso bedeutungsvoll und fördernd, wie ein gutes Auge!

Dr. B. (W.)


Zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der „Schlaraffia“. An einem Stammtische in der primitiv ausgestatteten Gaststube des Brauhauses „Zum Hopfenstock“ in Prag ging es am 10. October des Jahres 1859, also vor rund fünfundzwanzig Jahren, außergewöhnlich laut zu. Die Tafelrunde, zum Theil glattrasirte Charakterköpfe, zum Theil wildbärtige Karyatidenhäupter mit wallendem Lockenhaare aufweisend, hörte einen mit lebhaften Gesticulationen erstatteten Bericht zweier Genossen in größter Aufregung an. Eine geschlossene Gesellschaft in Prag hatte einige zur Aufnahme gemeldete Schauspieler der damals noch vereinigten deutschen und böhmischen Theater in der Ballotage durchfallen lassen. Tiefe Erregung gab sich in dem Kreise der zumeist aus Bühnenmitgliedern, Schriftstellern und Musikern bestehenden Zechgenossen kund, und man beschloß als Gegenzug die Gründung einer eigenen Vereinigung, die alles philisterhafte Element ausschließen solle. Dem Beschlusse folgte sofort die Ausführung, und der Stammtisch that sich als Verein „Prager Schlaraffia“ auf.

Dieser anspruchslose Vorgang bezeichnet den Ursprung des Schlaraffenbundes, einer großen Vereinigung, die sich heute über ganz Deutschland erstreckt, viele Hunderte von Mitgliedern zählt und sich nicht ohne Berechtigung als das Freimaurerthum des Humors bezeichnet. Die Seele, den Kitt dieses so merkwürdig herangewachsenen Bundes bildeten und bilden noch heute die Bühnenmitglieder. Bei dem Nomadenleben, das die meisten von ihnen zu führen gezwungen sind, ist den Schauspielern eine Vereinigung zur Nothwendigkeit geworden, die, wie die „Schlaraffia“, dem von weit her zugereisten Künstler ein gemüthliches Heim in der fremden Stadt bietet und zugleich die Brücke bildet, die ihn zu den künstlerisch und [716] phantasievoll veranlagten Elementen der bürgerlichen Gesellschaft hinüberleitet. Andererseits ist der Verkehr mit dem Bühnenvolke der nicht gering anzuschlagende Magnet, der wiederum die Bürgerkreise mächtig in die „Schlaraffia“ zieht.

Die Prager „Schlaraffia“ gedieh und entwickelte sich bald zum Brennpunkte des geistig übermüthigen Lebens Prags. Pflege des Humors und der Freundschaft war ihr Hauptzweck. Gesang, Deklamation, Vortrag der von den Bundesrittern verfaßten Humor- und auch zumeist geistvollen kleinen Dichtungen, extemporirte, mit Uebermuth durchgeführte Gerichtsverhandlung gegen Verbrecher am „Schlaraffenspiegel“, ihrem Gesetzbuche, füllten ihre Abende. Dies Alles übt, umwoben und glücklich verbunden mit einem parodistisch gehandhabten steifen Ceremoniell, einen eigenartigen Reiz.

Von den bekanntesten unter den Prager Stiftern des Bundes seien hier genannt: Redacteur Tobisch, der jetzt in Stuttgart lebende Schriftsteller Schmidt-Weißenfels, der Musikkritiker Ulm, Jahn, der jetzige Direktor der Wiener Hofoper, der böhmische Schauspieler und Dichter J. J. Kolár, die jetzigen Hofschauspieler Oberländer (Berlin), Hallenstein (Wien), in erster Reihe aber der Sänger und Operncomponist Eilers, zur Zeit in Darmstadt. Er war Solon und Homer der „Schlaraffia“ in einer Person. Er gab ihr eine Literatur, sang ihre Lieder und entwarf ihre Gesetze.

Auf der geistvollen Grundlage, die Eilers der „Schlaraffia“ geschaffen, entwickelte sich denn auch 1865 ein Tochterreich in Berlin, diesem zunächst das Schlaraffenreich zu Leipzig, dann zu Groß-Kanisza in Ungarn, Graz und endlich 1876 in Breslau. Von da ab gewinnt der schlaraffische Gedanke eine lawinenartige Entwickelung. Brünn, Köln, Stuttgart, Amsterdam, Hamburg thun sich in rascher Folge als Töchter und Enkelinnen der schlaraffischen Allmutter Praga auf. Heute verehrt man in 60 Städten den UHU, das Sinnbild des Schlaraffenthums. Die Stammrolle, ein stattlicher Band von 272 Seiten, weist gegen 1900 Mitglieder nach.

Zusammengehalten werden diese Filialen vor Allem durch ihre Unterordnung unter das Mutterreich Prag, durch das gemeinsame Ceremoniell, ein reichhaltiges Liederbuch, durch Concile, die von fünf zu fünf Jahren stattfinden, und endlich durch eine künstlerisch illustrirte Zeitung, die unter der Redaction Robert Zangenberg’s in Leipzig erscheint.

Gleichen Schritt mit ihrer Vermehrung hat aber auch der Wohlthätigkeitssinn der „UHU-Priester“ gehalten. Die „Schlaraffia“ unterstützt ihre hülfsbedürftigen Mitglieder auf’s Reichlichste, in einzelnen Fällen sogar durch Gewährung jahrelang ausgezahlter Pensionen. Auch darin ist Prag das Vorbild der übrigen Reiche. Für die Wittwe eines plötzlich verstorbenen Sängers brachte die dortige Vereinigung eine Unterstützung von über 15,000 Mark auf. Schon solch hervorragender Opferfähigkeit wegen sei dem fröhlichen Bunde ein weiteres Gedeihen gerne vergönnt und ihm nun, gelegentlich seines fünfundzwanzigjährigen Jubiläums, der Begrüßungsruf der Schlaraffen, ein kräftiges „Lulu“, zugerufen. Max Door.     


Jean Becker †. Der große Geigenvirtuose und Gründer des durch seine Kunstreisen berühmt gewordenen Florentiner Quartetts ist am 10. October in seiner Vaterstadt Mannheim seinen schweren Leiden erlegen. Am 11. Mai 1833 in Mannheim geboren, erhielt er von den besten Lehrern seiner Zeit Unterricht in der Musik, bildete sein Geigenspiel unter Alard in Paris zu hoher Vollkommenheit aus und ging 1857 auf Kunstreisen, die ihn in aller Herren Länder führten und auf denen er Ruhm und Ehren in seltenem Maße erntete. Dann lebte er längere Zeit in Florenz und bildete dort 1866 das berühmte Quartett mit den Italienern Masi und Chiostri (Violine und Viola) und dem Schweizer Hilpert (Violoncell), dessen Kunstleistungen zu dem Vollkommensten gerechnet wurden, was je auf musikalischem Gebiete gehört worden.


Sarkastische Abfertigung. In einer Herren-Gesellschaft, zu der auch der geistvolle Mirabeau gehörte, war von der mehr oder weniger leichten Eroberung weiblicher Herzen die Rede.

„Sie dürfen es mir glauben,“ prahlte ein fader Stutzer, „daß ich schon mancher hübschen Frau den Kopf verdreht habe.“

„Doch wohl nur so, daß sie ihn gelangweilt von Ihnen wegwandte,“ meinte Mirabeau lächelnd. L. M.     


Verfehlt. Ein Hoflakai kam einst auf den Gedanken, Friedrich dem Großen zu seinem Geburtstage einen Neujahrswunsch in Versen zu überreichen, und ließ solche von einem Reimschmied anfertigen, der sich alle Mühe gab, die alltäglichsten Gedanken in dem damals üblichen Lohenstein’schen Schwulst, verbunden mit Gottsched’scher wässeriger Breite, zu verarbeiten.

Friedrich rief nach Durchsicht dieses Machwerkes den Spender und fragte streng: „Hat Er das Zeug selbst verfertigt?“

„Nein, Eure Majestät,“ war die zitternde Antwort.

„Das ist Sein Glück, sonst hätte ich Ihn in’s Tollhaus bringen lassen. Da, nehm Er etwas für den guten Willen“ – er reichte ihm einige Goldstücke – „aber laß Er sich’s nicht beifallen, mich im nächsten Jahre in gleicher Weise zu incommodiren.“ L. M.     


Dialekte und Sprachen. Die Köge in den westlichen Marschen Schleswig-Holsteins, die Inseln Föhr, Sylt, die Halligen, Amrum liegen nahe bei einander. Sehr verschieden gestalten sich auf diesem kleinen Gebiet die Dialekte. „Vater“ heißt auf Amrum „Aatj“, auf den Halligen „Baba“ oder „Baabe“, auf Sylt „Foder“ oder „Vaar“, auf dem östlichen Theil der Insel Föhr „Oti“ oder „Ahitj“, in den Kögen „Täte“. Obgleich die Leute hier nur wenige Meilen von einander entfernt wohnen, so ist in obigen Wörtern doch mehr Unterschied als in dem père, pater, padre, Vater und father der Franzosen, Lateiner, Italiener, Deutschen und Engländer. Fr.     


Ein tiefbetrübtes Elternpaar sucht sein Kind, einen Knaben von 13½ Jahren, der sich am 5. September wegen einer ihm ertheilten unbedeutenden Rüge seitens seines Lehrers und wegen Furcht vor Strafe heimlich und ohne alle Mittel von seinen Eltern, Bau-Aufseher F. Tröll in Helmstedt, entfernt hat. Er ist in einem Tage von Helmstedt nach Magdeburg (6,5 Meilen) gewandert, hat in der Nacht vom 5. zum 6. vor. Monats in der Herberge zur Heimath daselbst logirt und ist von da am 6. Morgens fortgegangen, aber im Laufe des Tages in Magdeburg noch gesehen worden. Von da an fehlt jede Spur von ihm. Der Vater hat sich sofort an die Polizeibehörden und die Tagespresse gewandt, aber alle Anstrengungen sind bisher ohne Erfolg geblieben. Als letztes Mittel ersucht er jetzt die „Gartenlaube“, „die ja ihren Weg in die entlegensten Dörfer und Gehöfte findet, ihre Stimme erschallen zu lassen.“ Vielleicht gelingt es ihr, das verlorene Kind dem Vaterhause wieder zuzuführen.

Der entflohene Knabe ist von kleiner, aber ziemlich kräftiger Gestalt und war bekleidet mit grauem Jaquet, grauer Waschhose und rother Schülermütze. Außerdem trug derselbe gestickte Hosenträger und einen Shlips von carrirter Seide, auf welchem eine Busennadel mit zwei Schwalben befindlich war.


Allerlei Kurzweil.

Rössel-Aufgabe.

Beispiel mit 8 Springern:
SCHWARZ

WEISS

Eine Anzahl Springer (Rössel) ist derartig auf dem Schachbrete aufzustellen, daß:

a) kein Springer einen anderen schlagen kann, und daß auch:
b) kein Springer ein Feld bestreicht, welches bereits von einem anderen Rössel beherrscht wird,
c) Nach Aufstellung der Springer darf jedoch kein Feld mehr frei sein, welches man noch – ohne gegen die sub a und b gedachten Regeln zu verstoßen – besetzen könnte.

Wie stellt man unter diesen Bedingungen: 5 oder 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12 Springer?

Freunden analytischer Untersuchungen dürfte mit dieser Aufgabe ein angenehmer Stoff geboten sein. Die Anzahl der möglichen Stellungen dürfte eine größere sein, als das bekannte Problem der Aufstellung von 8 Damen ergiebt, von welchem der russische Schachmeister v. Jaenisch 92 Positionen nachgewiesen hat. – Selbstredend zählen analoge Stellungen (durch Versetzungen oder durch Drehung des Bretes entstanden) nicht mit.




Der magische Schlüssel.

Welches Reich erschließt dieser Schlüssel?


Auflösung des Uhr-Arithmogryphs in Nr. 42: Setzt man statt der Zahlen der Uhr die Buchstaben a, b, c, d, e, f etc. bis m und verbindet die drei, auf welchen die Zeiger stehen (bei dem größten Zeiger beginnend), zu einem Worte, so heißt dieses: „Ade!“


Kleiner Briefkasten.

Abonnent der „Gartenlaube“ in Eckernförde. Wenden Sie sich an den „Ortsgesundheitsrath in Karlsruhe“.

Hermann K–r., Leipzig. Wir haben allen Grund, das Datum in der „Gartenlaube“ für das richtige zu halten.

B. D. in Aegium. Wir ertheilen auf anonyme Anfragen principiell keine Antwort. Wiederholen Sie gefälligst Ihr Gesuch mit Angabe Ihres Namens und Ihrer Adresse behufs brieflicher Antwort.

A. M. in Hannover. Schwindel!

E. M. in D. Wir bedauern, Ihr Anerbieten nicht annehmen zu können.

C. W. in Hannover. Wenden Sie sich unter Vorlegung von Proben an einen Künstler.

F. Sch. in San Francisco. Wir danken für freundliche Zusendung.


[ Es folgt die Inhaltsübersicht dieses Heftes, die hier zur Zeit noch nicht dargestellt wird. ]


  1. Jahrgang 1874, Nr. 35.
  2. Madugu bedeutet einen Titel ungefähr wie „Prinz“. Maigasin baki = der mit dem Barte. Mohamman dan Mohamman = Sohn des Mohamman.
  3. Siehe meine Vorschläge zu neuen Unternehmungen von Adamaua aus. Mittheilungen der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland. R. F.
  4. Wir sind in der Lage, nach Angaben des Verfassers schon heute eine Skizze seiner sämmtlichen Reiserouten zu geben, auf der aber nur die wichtigsten von ihm berührten Orte verzeichnet werden konnten und die darum auf Vollständigkeit keinen Anspruch erheben darf.      D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Leb