Bei brennender Kerze
[439] „Bei brennender Kerze“. (Mit Illustration S. 440.) Jeden Freitag Nachmittag um halb vier Uhr pflegt in Bremen der Sitzungssaal des Landgerichts zur Stätte einiger Verkäufe „bei brennender Kerze“ zu werden. Grundstücke und Häuser, die zum Zwangsverkauf kommen, werden dort dem Meistbietenden in dem Augenblicke zugeschlagen, wo das Lichtstümpfchen erlischt, das ihretwegen angezündet worden ist. Warum das? Offenbar, um alle die wirkliche oder auch blos vermuthete Willkür auszuschließen, welche in dem Zuschlage durch den dreimal hinter einander das Gebot wiederholenden Auctionator liegt. Dieser kann zögern, wenn er dem Bietenden nicht gönnt, daß er den Sieg davontrage, – oder eilen, falls der Bieter bei ihm in Gunst steht. Wo das Aufrufverfahren gilt, sind Verdacht und Vorwurf in dieser Richtung gar nicht so selten. Ein Straßburger Correspondent der „Weserzeitung“ schrieb derselben am [440] 12. August 1883, um die Bremer Leser derselben gleichsam darüber zu trösten, daß ein Blatt den Gebrauch veraltet und sinnlos gescholten hatte:
„Ich war einmal im Badischen Zeuge davon, daß der Vorwurf allzu raschen Zuschlags für ein Gebot, das wohl noch hätte überstiegen werden können, von den Brüdern und andern Verwandten des Gepfändeten gegen den Auctionator erhoben, zu einer schweren Prügelei führte, in welcher der parteiische Beamte seine wohlverdienten Hiebe empfing.“
Die brennende Kerze, deren Erlöschen die Versteigerung beendet und entscheidet, ist nicht die, welche auf unserem Bilde im Leuchter steht, sondern das Lichtstümpfchen in der daneben aufgestellten Laterne. Das Leuchterlicht hilft nur dem Gerichtsschreiber lesen in dem etwas dunklen Raume, und daß alle Gegenwärtigen die wirklich wichtige Kerze auch klar sehen. Der Mann mit dem Barett auf dem Kopfe ist der vorsitzende Richter; diesseits des grünen Tisches sehen wir Kaufliebhaber oder andere Interessenten des auf die Rolle des Tages gebrachten Verkaufs.
Der Brauch beschränkt sich weder auf Bremen, noch kann er als veraltet gelten. Im Gebiete des französischen Rechts wird gerade so verfahren, nur daß da nach der Civilproceßordnung Art. 706 drei Kerzchen hinter einander angezündet werden und erlöschen müssen. Ist dies schon eine leidlich moderne Gesetzgebung, so enthält auch das neue elsässisch-lothringische Gesetz über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen vom 30. Mai 1880 folgende Bestimmung: „Die Versteigerung geschieht bei brennenden Kerzen in der Art, daß der Zuschlag ertheilt wird, sobald nach einem Gebot drei Kerzen, von denen jede wenigstens eine Minute gebrannt hat, erloschen sind, ohne daß ein Mehrgebot erfolgt ist.“
In Bremen hat der alte, aber hiernach immerhin auch heute noch als zeitgemäß anzuerkennende Brauch neuerdings eine bedeutungsvolle Veränderung erlitten. Unter der Wucht der Massen von Zwangsverkäufen, welche aus einer heftigen und langandauernden Häuserbaukrise hervorgingen, mußte man es aufgeben, ohne Weiteres die Kerze anzuzünden, sobald ein Haus oder Grundstück zur Versteigerung kam; vielmehr wartete man ein erfolgendes Gebot ab, und zündete dann das Laternenstümpfchen erst an. Sonst hätte man, da oft Hunderte von Häusern auf einmal zum Verkaufe gelangen sollten, den ganzen Tag bis tief in die Nacht hinein Kerzen nutzlos brennen und verloschen sehen können, der Kosten zu geschweigen. Die große Menge der feilgehaltenen Gebäude blieb damals stets ohne Liebhaber, und man schritt über diese zur Tagesordnung, ohne ihnen die Ehre eines Lichtleins zu erweisen. Hierbei hat man es auch dann bewenden lassen, als nicht mehr zwei- oder dreihundert, sondern nur noch zwei bis drei Immobilienverkäufe am Freitagnachmittag stattfanden, wie es seit einiger Zeit glücklicher Weise wieder der Fall ist. An dem Verfahren selbst zu rütteln, ist deshalb Niemandem eingefallen. A. Lammers.