Die Gartenlaube (1866)/Heft 39
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.
Von draußen riefen die Abendglocken zum Gebet, zugleich fiel in Garten und Kreuzgang der letzte Sonnenstrahl und so einmüthig trafen Ton und Licht zusammen, daß man fragen mochte, war es der Abendschein, der so feierlich klang, oder hatte der Schall sich zum Strahle verdichtet und zu leuchten begonnen. Wieder, wie vor Wochen, schritten nach dem Glockenzeichen die Steinmetzen und Werkleute vorüber und zogen die Mützen, aber sie sprachen den Feierabend-Gruß nicht, der doch wohl unerwidert geblieben wäre; es war, als ahnten und ehrten auch sie, was in der Seele des Meisters vorging.
Als der letzte Hall verklungen, richtete Roritzer sich auf, griff gelassen wieder nach Meißel und Hammer und fuhr in der Arbeit fort, wo sie unterbrochen worden.
„Du willst noch arbeiten, Wölflein?“ fragte Loy und trat verwundert hinzu. „So spät noch? Was ist es Dringendes, das Du schaffst?“
„Was ist dringend,“ fragte Roritzer entgegen, „und was ist es nicht? Die Zeit geht dahin – so unmerklich schnell, daß man nie sagen kann, ein Geschäft sei vor dem andern abzuthun … gethane Arbeit bleibt gethan!“
„Ist das nicht der Block mit den Werkzeichen?“
„Er ist’s … mein Zeichen fehlt noch daran: man weiß nicht, was den Menschen anwandeln und treffen kann in der nächsten Stunde … ich hab’ das bitter lernen müssen in den letzten Tagen, drum hab’ ich das Kreuz mit dem unten gebrochenen Stamm eingemeißelt – einmal mußt’ es ja doch geschehen!“
Der alte Meister antwortete nicht gleich; er schien etwas auf dem Herzen zu haben und nicht zu wissen, wie er beginnen sollte, es an den Mann zu bringen; er trat ganz nahe hinzu und sah wie neugierig, als hätte er noch niemals im Leben dergleichen gesehen, den Meißelschlägen zu, unter denen das Zeichen im Stein sich lösend entstand.
„Ja, ja, Wölflein, Du hast ganz Recht,“ sagte er dann, „gethane Arbeit ist gethan und nach ihr soll gut ruhen sein! … Wie weit ist’s mit Deinem Schutzengel-Altar?“
„Er ist vollendet – im Entwurfe, bis zur Ausführung.“
„Gut, gut – und die Geländer zu der Giebelgalerie?“
„Sie sind fertig: ich habe gestern die letzte Kreuzrose zu Ende gebracht … Warum fragst Du all’ das?“
„Warum?“ entgegnete Loy etwas zögernd. „Ja sieh’, mein Wölflein – es geht mir wie Dir! Hab’ auch in den letzten Wochen so viel erfahren, wovon ich keine Ahnung gehabt, daß ich mein altes Regensburg schier nicht mehr kenne und komme mir vor, als hätt’ es mich hinein geschneit an einen wildfremden Ort. Es engt mich in den Mauern, drum will ich hinaus, will die Donau hinauf, wo in der Felsenschlucht eingekeilt das einsame Kloster Weltenburg liegt – Du weißt ja, ich habe einen alten Freund dort, den Pater Sabinus, den ich wohl zehn Jahre nicht gesehen …“
„In der That? Du willst von mir gehen?“ fragte Roritzer lächelnd.
„Das so eigentlich nicht,“ entgegnete der gute Alte, der immer befangener ward. „Das nicht! Hab’ mir vielmehr gedacht, Du solltest mit mir gehen – würde Dir sicher auch gut thun, Wölflein und bist ja fertig schier mit all’ Deiner Arbeit!“
„Meinst Du?“ rief der Meister und fuhr sich sinnend über die Stirn. „In die einsame Felsenschlucht – nach Weltenburg also! Ein guter Name das und ein viel verheißender … Eine feste Burg, die ihren Einwohner wahrhaftig vor der Welt verbirgt! Die Welt bleibt draußen, aber ob das auch zurück bleiben wird, was man in sich mit hinaus trägt aus der Welt … Doch gleichviel, ich gehe mit Dir! Wir wollen Deinen Pater Sabinus besuchen – morgen will ich Urlaub fordern und die Domhütte einem Andern übergeben …“
„Morgen erst?“ rief Loy hastig und doch sichtbar unsicher, wie er das vorbringen sollte, was er im Sinne trug. „Ich hab’ mir’s einmal eingebildet, daß ich heute noch gehe, und Du weißt wohl, Alter macht eigensinnig – darum rüste Dich nur und komm: ich bin deßwegen hier, um Dich mitzunehmen …“
Roritzer trat zu dem Alten, legte ihm, wie er pflegte, die Hand auf die Schulter und sah ihm fest in’s Auge. „Viel hab’ ich für möglich gehalten,“ sagte er, „aber wer mir das gesagt, den hätt’ ich einen Thoren genannt!“
„Was denn?“ fragte Loy und suchte unbefangen auszusehen, schlug aber die Augen vor dem forschenden Blicke des Freundes nieder. „Was hättest Du nicht für möglich gehalten?“
„Daß es meinem alten Loy noch einfallen sollte, seinen Schüler und Sohn zu hintergehen!“
„Hintergehen? Ich Dich? Wie kannst Du … Aber sieh mich nicht so an, Wölflein, ich will’s nur eingestehen und die Mummerei fallen lassen, die mir doch nicht anstehen will. Nun ja denn, weil Du all’ mein Winken und Deuten die Tage her nicht hast verstehen wollen, bin ich auf den Umweg verfallen. Ich werde meine alte Sorge nicht los, bei meiner armen Seele drum sag’ ich’s lieber gerade heraus: Du sollst fort, Wölflein, oder richtiger – Du mußt fort!“
[602] „Aengstigt Dich noch immer das Alte oder ist Neues geschehen?“
„Es war an dem Alten lange genug, aber das Neue wächst sich immer schöner aus, wie Unkraut, das einmal angefangen hat, auf einem Stück Land zu wuchern! – Du weißt, wie die Zünftler und Wachtgenossen, da Du Dich von ihnen losgesagt, noch ein paar Tage lärmten und sich herum tummelten, da fingen sie an Mangel und Noth zu spüren; weil Niemand mehr gearbeitet, fing es überall zu gebrechen an, da wurden sie des Tumultuirens müde und ihr hochfahrender Ungestüm klappte zusammen wie ein Blasbalg, dem der Wind ausgeht. Dazu kam die Sorge vor einem Ueberfall und die Furcht wegen dessen, was geschehen war – da verschwand Einer um den Andern, weil ein Jeder bei sich dacht’, einen Einzigen werde man nicht vermissen in der Schaar, und die übrig blieben, hielten es endlich für das Gescheidteste, die Rathsherren mit einem Vertrag wieder freizugeben und sie zu bitten, sie möchten das Regiment wieder übernehmen und Ruhe und Ordnung machen in der Stadt.“
„Nun,“ rief Roritzer bitter dazwischen, „die Bitte zu erfüllen, haben sie nicht gesäumt!“
„Wahrhaftig’ nicht,“ fuhr Loy fort, „sie haben allen Zünften neue strenge Ordnungen gegeben, die ihnen für die Zukunft den Uebermuth wohl verleiden werden; sie haben neue Umlagen gemacht, größer als je, um dem Stadthauptmann den Sold zu bezahlen …“
„Sie wollten es nicht anders – mögen sie tragen, was sie verdient!“
„Gestern nun,“ begann der Bildschnitzer wieder, „gestern sind kaiserliche Commissarien angekommen, die der Stadthauptmann sich erbeten hat, mit kriegerischem Gefolge. Die Herren machen finstre Gesichter – es geht das Gerede, der Kaiser, der es Regensburg immer noch nicht verzeihen kann, daß es sich Baiern an den Hals geworfen, soll sehr erzürnt sein, sie hätten arge Befehle von ihm mitgebracht …“
„Die Schuldbewußten ängstigt das böse Gewissen!“
„Viele sind noch gestern bei Nacht und Nebel davon – Viele haben sich heute fortgemacht …“ begann Loy etwas bedächtiger. „Weiß wohl, daß Du nichts fürchtest, mein Wölflein, aber ich alter Kerl bin nun einmal so feige und kann die Sorge nicht aus den Knochen bringen! Es drückt mir schier das Herz ab, sie könnten auch an Dich kommen und Dir etwas anhaben wollen …“
„Mir?“ sagte Roritzer und streichelte dem Alten beruhigend über das Silberhaar. „Sei meinetwegen unbesorgt! Sie werden nicht, weil sie nicht können … was wäre meine Schuld? Ich habe …“
Loy ließ ihn nicht weiter reden. „Ich ziehe immer den Kürzeren, wenn ich mit Dir disputiren soll,“ rief er, „ich lasse mich darauf gar nicht ein – Du magst Recht haben, aber ich, ich habe noch mehr Recht, wenn ich sage: mag es gehen und sein wie immer – weit davon ist gut vor’m Schuß! Folg’ mir – ich hab’ Alles wohl bedacht und bereitet. Wir gehen, als wollten wir lustwandeln und den schönen Mai-Abend genießen, über die Brücke durch die Stadt am Hof; – in einem der letzten Häuser, bei einem vertrauten Manne stehen ein paar wackere Rößlein gezäumt … wir schwingen uns hinauf und traben wohlgemuth stromaufwärts, bis wir den Glockenring ziehen mögen am Weltenburger Pförtlein.“
„Das ist nicht Dein Ernst, alter Freund!“ rief Roritzer, „das kannst Du in Wahrheit mir nicht rathen! Ich soll fliehen – soll mich heimlich aus der Stadt stehlen, in der ich mein Haupt so offen getragen und so hoch? Hieße das nicht zeigen, daß ich mich fürchte – hieße es nicht gestehen, daß ich zu fürchten habe, daß ich das Bewußtsein einer Schuld mit mir hinweg getragen? Nein, Vater Loy, Dein alter Lehrling und Sohn, Wolf Roritzer, flieht nicht … Dich zu beruhigen, will ich morgen thun, was Du begehrst, will ehrlich und gerade Urlaub fordern – aber eher keinen Schritt!“
„Morgen! morgen!“ entgegnete der Alte in steigender Unruhe. „Wenn ich’s nur nicht in mir hätte, daß wir schon zu lang gezaudert, daß es morgen vielleicht schon zu spät ist … Sieh, ich bin vorhin Kraft Dollinger, dem Trabanten-Rottmeister, begegnet. Er ist sonst mein Freund nicht, aber er ist jetzt unwirsch und grollt dem Rath, der die kaiserlichen Söldner vorzieht, wie er meint; drum rief er mich an und winkte mir zu und meinte, man solle sich vorsehen – es würde Besonderes bereitet für den Abend …“
„Deine Liebe zu mir läßt Dich nun einmal nicht zur Ruhe kommen,“ sagte Roritzer begütigend. „Quäle Dich nicht nutzlos selbst und mich mit Dir … ich fliehe nicht, und gehe nicht heute …“
„Wölflein,“ hob der Alte bittend an, „Du hast mir oft gesagt und betheuert, ich sei Dir lieb – ich fordre jetzt den Beweis! Geh’ mit mir, geh’ noch heute – noch diesen Augenblick!“
„– Nein …“
„Ich fordre es ja nicht meinetwegen! Um Deinetwillen – um Deiner Kunst willen bitte ich Dich … erhalte Dich Deinem Werke!“
„Meine Kunst!“ rief Roritzer mit Feuer. „Ich darf in Wahrheit sagen, daß ich ihr treu gedient habe mein Leben lang – wahr und treu, bis auf den Einen Augenblick, der mich von ihrem Herzen gerissen, aber nur um ihr noch treuer zu sein und zu dienen auf anderer Bahn … Mein Leben, mein Herzblut für meine Kunst – aber mich für sie entehren kann ich nicht!“
„Entehren?“ sagte der Alte und warf das Pelzmützlein, das er bis dahin in den Händen geballt unmuthig zur Erde. „Bei meiner armen Seele, so soll doch … Entehren? Ist es wohl gar eine Schande für sich selber zu sorgen? Saubere Ehre das, die verlangt, daß man fein still hält, wenn Einem das Schwert überm Haupte gezückt ist!“
„Nein,“ rief Roritzer feierlich, „wer sollte sich Solches erkühnen? Ich glaube es nicht!“
„Nun denn, Unglücklicher, wenn Du nicht glauben willst, – so sieh!“ stieß der Bildschnitzer hervor und stand plötzlich mit ausgestrecktem Arme, wie in eine Bildsäule des Schreckens verwandelt, bleich und starr. Der Dommeister wandte sich um: vom Eingange funkelten ihn aus einem fahlen Gesicht zwei feindselige Augen an; auf der Schwelle des Kreuzganges stand Herr Fux von Schneeberg, der Stadthauptmann von Regensburg, in schwarzem kostbarem Sammtgewand, auf der Brust das schwergüldne Adlergeschmeide zum Zeichen seiner Würde. Hinter ihm standen die andern Commisarien, Wolf von Wolfstall, der Hauptmann von Donauwörth, Sigmund von Reizenstein, der brandenburgische Rath, und Herr Sepp Langenmentel, der mächtigen Reichsstadt Augsburg Bürgermeister. Dahinter drängten Harnische, blitzten Helme und starrten Lanzen – auch von der andern Seite her klirrten Waffen: eine zweite Schaar hielt auch diesen Eingang besetzt, die Domhütte war von allen Seiten umgangen und umstellt. Unter den Blechhüten und Pickelhauben der Letzteren sah manches Angesicht hervor, das wenige Wochen früher sich unter dem Haufen befunden, der hier angestürmt; kenntlich vor Allen und ungescheut ob des Wechsels unter den Vordersten Meister Hetzer, der Barchentweber.
„Zu spät …“ lallte Loy und taumelte wie betäubt, die Hände vor die Augen geballt, in eine Ecke, um das Entsetzliche nicht zu sehen, das sich nun vor ihm bereiten sollte – Roritzer stand gelassen und ohne Wort; eine dunkle Gluth überzog fliegend sein Angesicht, aber seine Gestalt beugte sich nicht, es war als ob sie mit der Gefahr sich erhebe und ihr entgegenstemme.
Hauptmann Fux trat vor. „Wer ist hier Wolf Roritzer, der Dommeister?“ rief er.
„Es ist noch nicht lange genug,“ entgegnete dieser fest, die Arme ruhig über der Brust kreuzend, „seit wir uns begegnet – Ihr könnt nicht vergessen haben, wer sich so nennt!“
„Nicht doch, Herr,“ sagte höhnend der Hauptmann, „Fux von Schneeberg vergißt nicht so leicht, wen er einmal gesehen und was er gesehen … aber konnte ich wissen, in welcher Gestalt Ihr belieben würdet, mir entgegen zu treten, ob im Schurzfell als Steinmetz oder als Volkstribun oder im schwarzen Mantel als künftiger Stadtkammerer von Regensburg? – Ich habe mit dem Dommeister zu thun; drum geziemt’ es mir, zu fragen!“
„Vergebne Mühe, Herr,“ war Roritzer’s Antwort, „auch das konntet Ihr von Euch selber wissen, daß ich es Andern überlasse, die Röcke zu wechseln wie beim Mummenschanz. Aber Ihr steht hier auf Grund und Boden der gefreiten Domhütte, als deren Vogt und Meister Ihr mich kennt – darum ist es an mir zu fragen, nicht an Euch! Was erkühnt Ihr Euch hier einzudringen? Was begehrt Ihr von mir?“
„Solches soll Euch nicht länger verhalten sein, rief der Hauptmann und gab seinen Reisigen einen Wink, vorzutreten. [603] „Gebt Euch, Meister Wolf Roritzer … ich verhafte Euch um Beleidigung kaiserlicher Majestät und um Hochverrath!“
„Ihr redet irre, Herr,“ sagte Roritzer, der immer kälter und besonnener ward. „Wann, wo hätte ich des Kaisers Majestät, den ich so hoch verehre, beleidigt? Wie wäre ein Gedanke von Hochverrath in meiner Seele aufgetaucht? Weiß ich doch kaum, was Ihr darunter vermeinen mögt. – Eins aber weiß ich, daß ich Verwahr einlege gegen solche Verhaftung und gegen Euch … Ich verlange einen parteilosen Richter und soll ich wegen des Kaisers gefragt werden, will ich auch nur vor dem Kaiser Red’ und Antwort geben.“
„Ei,“ rief der Hauptmann mit giftigen Blicken, „Ihr wart ja schon auf dem Wege zu ihm – was seid Ihr doch umgekehrt! Seht, Meister, Ihr rühmt Euch, Wunders viel ausgerichtet zu haben mit Richtscheit und Winkelmaß – aber wenn Ihr auch noch so gering von der Rechtsgelahrtheit denkt, – Eins könntet Ihr doch von ihr und ihren Anhängern lernen – die Kunst, nichts halb zu thun! … Appelliren wollt Ihr an des Kaisers Hof? Jetzt stehe ich hier als der Kaiser vor Euch, als des Kaisers Stellvertreter mit unumschränkter Vollmacht, Friede zu machen in dieser unseligen, von Bösewichtern verleiteten Stadt – ich werde wohl Mittel finden, die Euch zwingen, mir Rede zu stehen! … Ihr habt den Befehlen des Kaisers getrotzt, habt Euch der Einführung des von ihm erwählten Hauptmanns widersetzt, habt mich, seinen Abgesandten, gefänglich angegriffen – ist das nicht Beleidigung kaiserlicher Majestät? Ihr habt Euch an die Spitze eines Aufruhrs gestellt, der darauf abzielte, die alte Ordnung, Recht und Verfassung Eurer Vaterstadt umzustürzen …“
„Halt, Herr,“ rief Roritzer auflodernd, „das hab’ ich nie gethan und nie gewollt, und trüg’ er zehnmal des Kaisers Rock, ein Lügner, wer das sagt! Ich wollte der Bedrückung der Gemeine ein Ende machen, der Unterdrückung durch diejenigen, die deren Schutzherren und Verwalter sein sollten und sich allgemach zu Gewalthabern gemacht und zu unbeschränkten Herren! Nicht die alte Verfassung zu stürzen galt es, nein, die vom Rath heimlich, langsam, tückisch untergrabene zu schützen und zu erhalten! Meinen Mitbürgern aber bin ich beigestanden als Fürsprech gegen die Winkelzüge des Raths und weil sie mir gelobt hatten, der Aufruhr solle zu Ende sein und sie ruhig warten bis zur Entscheidung durch das höchste Oberhaupt im Reich… Sie haben ihre Zusage nicht gehalten! Mit Schmerz hab’ ich erkennen müssen, mit tiefer Wehmuth bekenn’ ich, daß die Gewalt nicht der Boden ist, auf welchem das Haus des Rechts gefügt werden kann und gebaut .… Als ich es erkannt, habe ich mich losgesagt von dem Bündniß; wo ist der gerechte Richter, der den Stab über mich brechen und sagen kann … ich sei schuldig?!“
„Sieh’ da,“ entgegnete der Stadthauptmann, der lauernden Blickes zugehört, „wie Ihr zu distinguiren wißt, wahrhaftig sehr fein und scharf für einen gewesenen Tribunus Plebis, einen gestürzten Dictator! Ihr verrathet Geschick zu der Kunst, die ich zur Aufgabe meines Lebens gemacht, drum will ich Euch, obwohl ich nicht hierher gekommen, mit Euch zu rechten, eine Lehre geben … dieselbe, die Ihr schon einmal gehört: Nichts halb zu thun! Hättet Ihr mehr kaltes Blut, Ihr hättet ein Staatsmann werden können, aber Ihr folgt Euren Wallungen und mit Wallungen werden die Geschicke der Völker und Städte nicht gemacht! Ihr seid in’s Fahrzeug gestiegen und habt Euch an’s Steuer gestellt, es durch den Sturm zu leiten… Da Ihr das thatet, mußtet Ihr wissen, welches Element es zu bändigen galt, und mußtet es bändigen. Ihr mußtet das Schiff hindurchführen oder nie eine Hand an’s Steuer legen. Darum seid Ihr schuldig! Ohne Euch wäre der Aufruhr nie zu solcher Höhe gestiegen, nie zu solcher Wildheit entbrannt, Euch trifft die Verantwortung all’ der rohen Thaten, die geschehen, die Vergeltung des Schadens und Unheils, der gestiftet worden, die Rache für das Blut, das von Mörderhänden trieft.“
„Nicht vor meinem Gewissen,“ unterbrach ihn der Dommeister mit feierlichem Ernst, „nicht vor Gott! Ich wälze Schuld, Verantwortung und Rache von mir und hebe meine reine Hand in den reinen Himmel hinauf zu dem Gerechten, der in den Herzen liest und den Willen richtet!“
„Thut es; der Richter auf Erden sieht nicht in’s Herz, darum bestimmt der Erfolg, die That sein Urtheil. So Ihr aber Euch so sicher, so fest fühlet im Bewußtsein Eurer Unschuld, was zaudert Ihr, Euch vor Gericht zu stellen und zu vertheidigen?“
„Ich zaudere nicht, ich bin bereit, mich jeglichem Gerichte zu stellen, aber Hand an mich zu legen, habt Ihr kein Recht. Ich stehe auf gefreiter Erde, die Bauhütte ist ein von Kaiser, Stadt und Bischof geheiligtes Asyl … ladet mich wohin Ihr wollt, ich will Urphede schwören, mich zu stellen, aber hier leget nicht Hand an mich! Ehret die Freistatt, deren Schutz mir vertraut ist; hier habt Ihr kein Recht, hier endet jede Gewalt!“
Der Hauptmann strich sich bedächtig die Locken zurück. „Bedaure höchlich,“ sagte er dann, „auch hierin Eurer Ansicht nicht beipflichten zu können. Ich stehe hier im Namen und Auftrag des Kaisers; ein einfach exemplum logicum ergiebt, daß kaiserliche Freistatt nicht schützen kann vor Kaisers Gericht. Die Stadt ist unterworfen und kann solch’ kostbar Privilegium, so sie dessen in Wahrheit sich erfreute, nicht ausüben, die heilige Kirche aber ist nicht gewillt, Rebellen zu schützen. Sehet hier in meiner Hand die Erlaubniß des Bischofs, auch in der Freiung des Doms auf Euch zu fahnden…“
„Wie?“ rief Roritzer und riß das Blatt an sich, den Inhalt zu durchfliegen, es bebte in seiner Hand; in sein Angesicht stiegen glühende Wellen und sanken zu Eis erstarrend wieder zum Herzen zurück… ‚Als haben wir beschlossen,‘ las er mit schwankender Stimme, ‚die Freiung, so der Dombauhütte zustehet, aufzuheben, aber nur für diesen Einen Fall, da es sich um die gefängliche Annehmung eines sicheren Wolf Roritzer handelt, unter Reservation aller bischöflichen Rechte und Protest gegen jedes Präjudiz, so in Zukunft daraus wollte gefolgert werden. …‘ „Also wahr, wirklich wahr!“ stammelte Roritzer erschüttert. „Ich bin geopfert, preisgegeben von denen, für die ich eingestanden! Wofür war es denn zuerst, daß ich mich in den Wirbel stürzte, der nun über mir zusammenschlägt und mich in den Abgrund zieht? Dieses Kleinod, das mir vertraute, zu wahren, von ihm abzuhalten jede frevelnde Hand, diese Freistätte der Kunst vor Entweihung zu schützen, habe ich Wort und Hand erhoben, und mich stoßen sie aus? Mitten in meinem Heiligthum darf die Gewalt mich fassen? … Wohlan denn, Herr Hauptmann,“ fuhr er, nach kurzem schwerem Aufathmen sich gewaltsam fassend, fort, „ich widerstrebe nicht mehr; vollzieht Euren Auftrag, ich werde folgen … doch Eines, ein Letztes noch sei mir gegönnt! … Es dünkt Euch vielleicht eine Thorheit, mir scheint es von Gewicht. Hat auch ein Gefangener nichts mehr zu verfügen, laßt mich nicht von hinnen führen, eh’ ich das Amt, dessen ich redlich gewaltet, an’s Ende durchgeführt: laßt es mich abgeben und den Mann in die Bauhütte einführen, der nach mir kommen soll…“
„Dessen bedarf’s nicht,“ sagte der Hauptmann gleichgültig. „Ihr werdet keinen Nachfolger haben.“
„Keinen Nachfolger?“ rief Roritzer wieder. „Wie deut’ ich das? Und das Werk, woran ich gebaut? Und der gewaltige Dom?“
„Der Dom?“ fragte Fux noch kaltblütiger als zuvor. „Was meint Ihr, Meister? Der Dom ist fertig, ist nach innen und außen vollständig ausgebaut, dem Dienste des Herrn steht längst kein Hinderniß mehr entgegen, die Glocken finden auch auf den nicht vollendeten Thürmen Platz… Alles Andere ist Zierrath, leerer Schmuck; die Gegenwart hat an andere, an nothwendigere Dinge zu denken, der Bau ist darum eingestellt bis auf bessere Zeiten, es bedarf keines Dommeisters mehr!“
„Eingestellt? Bedarf keines Meisters mehr?“ rief Roritzer schmerzlich und hob die Arme zu dem Gebäude empor, das in majestätischer Ruhe aus der Abendklarheit des Himmels herniederschaute auf das kleine Treiben und Wühlen an seinen Sohlen. „Unvollendet soll dieses herrliche Werk bleiben, eins der schönsten, das je in eines gottbegeisterten Menschen Sinn entstand? Als Ruine vor dem Ausbau soll es dastehen und die Schmach dieser Stunde verewigen auf Jahrtausende! … O meine Ahnung, meine Ahnung! Das war das Gewitter, das ich unsichtbar lauernd mir über’m Haupte drohen fühlte; jetzt ist er gefallen, der Streich, der mich niederwirft, um mich nie wieder zu erheben! Es war ein weissagend Wort, das Jener gesprochen, da er mir verhieß, es werde kein Dommeister nach mir kommen… Weh mir, der Dom ist dem Untergange geweiht, der letzte Dommeister mit ihm! …“
Auf den Wink des Hauptmanns traten die Reisigen vor, umringten den nicht Widerstrebenden und schritten mit ihm hinweg. Eine andere Schaar ergriff den alten Bildschnitzer, der mehr todt als lebend zugesehen und zugehört; das Schreckliche, das auf [604] den Liebling seiner Seele hereingebrochen, hatte seine letzte Kraft fast vernichtet.
„Nur vorwärts!“ rief der Barchentweber. „Sperrt Euch nicht auch, es geht nach dem alten Spruche und mitgegangen wird mitgehangen!“
Der Greis sah den Ungestümen mit großen Augen an und seine Lippen umspielte etwas wie Anflug der alten launigen Fröhlichkeit. „Ihr seid’s, der mich in Verhaft nimmt?“ sagte er. „Wirklich allzuviel der Ehre, daß Ihr Euch selber bemüht! Freue mich auch über die Maßen Eurer Klugheit, die so schnell den Mantel nach dem Winde gedreht und Euch auf diese Seite geführt. Ihr wißt wohl, wo Ihr standet, als wir uns das erste Mal begegneten, und wo das letzte Mal? … Da hatten sie Euch übel am Kragen, nun macht Ihr’s wett, daß ich Euch herausgeholfen. Recht so, und wenn ich wieder loskomme, soll’s mich nur darum freuen, daß ich erst jetzt so ganz genau weiß, wozu Euer lobesam Conterfei mir als Vorbild dienen kann! So ich wieder dazu komme, einen Kreuzweg zu schnitzen, brauch’ ich nicht zu suchen um einen Judas Ischarioth! …“
– – – Des Dommeisters Schicksal war voraus von seinen Feinden entschieden; es erfüllte sich rasch. Noch dieselbe Nacht brachte Verhör und Urtel und dessen Verkündung, schon der kommende Morgen sollte den Vollzug beleuchten.
Er dämmerte nur erst in schwachem Grauen empor, als die Thür von Roritzer’s Kerker sich öffnete, der Meister hatte mit der schnellen zweifellosen Entscheidung das volle Gleichgewicht der Kräfte, die ganze Ruhe seines Gemüthes wieder gefunden und lag sanft in der Umarmung eines friedlichen, stärkenden Schlummers. Das Geräusch erweckte ihn nicht; er kam erst zur Besinnung, als zwei Arme ihn fest umschlangen, zwei Lippen sich zu innigem Kusse auf die seinen drückten und des Bildschnitzers würdiges Silberhaupt sich zärtlich an seine Brust senkte.
„Loy,“ rief Roritzer, „treuester aller Freunde, Du kommst zu mir? Willst aushalten bei mir bis zum letzten Augenblick? Hat nichts Deine Liebe abgehalten und Du bist durchgedrungen durch Haß und Neid bis in den Kerker des Freundes! Gesegnet sei, wer mir diese Freude gewährt’, um ihretwillen soll ihm Alles vergeben sein … es ist seit langer, langer Zeit die einzige, volle, durch nichts verkümmerte Freude!“
Auch der Bildschnitzer hatte sich wieder aufgerafft und vermochte, dem Liebling mit vollem Ausdruck in’s Auge zu sehen. „Du machst zu viel Wesens daraus, mein Wölflein,“ sagte er, „ich habe mir ausgebeten, bei Dir sein zu dürfen, und sie haben mir’s gewährt; sie denken wohl, es hat jetzt keine Gefahr mehr mit mir! Ich habe zu Dir gemußt, ich hätt’ es nicht ertragen, zu denken, daß Du, mein Kleinod, dahin, verloren sein sollst in der Fülle Deiner Kraft, im schönsten Aufblühen Deiner Kunst … sage, Wölflein, wie ist Dir zu Muth?“
„Ich danke dem Himmel,“ erwiderte Roritzer, „er giebt mir viele Kraft, und nun ich Dich gesehen und um Dein Geschick nicht mehr zu bangen brauche, sollen meine Feinde den Triumph nicht haben, mich gebeugt zu sehen. Ich bin freudig im Gemüth, der frühe Abschied vom Leben hat aufgehört, mir befremdlich zu sein … was soll mir das Leben noch? Nicht die Dauer der Jahre macht ein volles Leben aus, sondern sein Inhalt, und auch der letzte schwere Gram der Erde ist mir wunderbar von der Seele genommen…“
„Was meinst Du, Wolf? Ich verstehe Dich nicht.“
„… Du weißt, wie oft ich gesorgt und gebangt, daß der Dom, Regensburgs Wahrzeichen und Zier, nicht zum Ausbau gelangen, daß er unvollendet bleiben würde; jetzt fürchte ich dies nicht mehr, in der letzten Nacht im letzten Schlummer hat mich ein Traumgesicht gestärkt… Höre, mein Freund… Tiefe Finsterniß war um mich her, lauter Jammer erscholl aus derselben und eine unselige Betrübniß erfüllte meine Seele, mir war, als läge ich im Grabe, aber ich wußte, was bei mir und über mir geschah, ich konnte fühlen und denken und schauen und ich sah die Geschicke der kommenden Zeiten wie Nebelgestalten an mir vorüberziehen … eine bleiche, furchtbare Reihe mit Zügen voll Kummer und Leid und wenige darunter, denen Freude aus dem Antlitz leuchtete. Jahre an Jahre reihten sich auf zu Jahrhunderten; da begann es hell zu werden, ein friedlicheres Zeitalter schien emporzudämmern und in seinem Morgenlicht ward ich hinaufgetragen in die Lüfte und sah unter mir das Land der Heimath hingebreitet und sah die Donau funkeln und über ihr, wo die feindselige Burg der Staufer gestanden, stieg ein erhabener Tempel empor und eine leuchtende Versammlung verklärter Gestalten thronte schwebend auf ihm … gegenüber aber … o Freund, fühle mein Entzücken mit … gegenüber, aus der Ebene, stieg der Dom von Regensburg empor mit Thürmen und Zinnen, vollendet und herrlich, wie der Meister ihn entworfen, wie ich ihn oft vor meiner Seele stehen sah, groß, hehr und gewaltig und wie von einer Glorie umstrahlt … Da zog es wie Botschaft von Engelsstimmen durch meine Seele, unausgesprochen ward es mir klar und gewiß, daß mein Wunsch, mein Sehnen nicht unerfüllt bleiben wird. Mag das Werk ruhen und anscheinend vergessen eine Ruine dastehen … ich weiß jetzt, die Zeit wird kommen, wo Reich und Volk seiner Vergangenheit gedenkt, wo es den Schutt von Jahrhunderten wegräumt und seine Denkmale darunter hervorgräbt und mit ihnen die eigene Größe!“
Geräusch von der Thür her unterbrach die Rede des Begeisterten, Bewaffnete standen an der Schwelle, ein stummer, nicht zu mißdeutender Befehl.
Roritzer blickte auf. „Es ist Zeit,“ sagte er und drängte den Alten sanft von sich. „Nimm nochmals den Dank Deines Sohnes und Schülers, den innigsten Dank für die Liebe und Treue des Meisters und Vaters, die ausgehalten bis zur letzten Stunde! Jetzt aber sollst Du nicht weiter mit mir gehen; erspare mir und Dir dieses fruchtlose Leid, die wenigen Schritte, die noch übrig sind, laß mich allein gehen …“
Loy faßte beide Hände des Freundes und sah ihm in’s Auge, lächelnd, wie in den schönsten Tagen des Frohsinns. „Gern wollt’ ich zurückbleiben, wenn Du es durchaus haben willst, mein Wölflein,“ sagte er, indem er mit muthwillig neckender Geberde über die Schulter deutete, „ich sorge nur, die da hinten werden’s nicht leiden …“
„Ich verstehe Dich nicht.“
„Nicht? Und ist doch so leicht zu verstehen! Hab’ ich nicht immer betheuert, daß ich Dir folge und wenn’s in die Hölle ginge? Hast Du nicht oft mir versichert, unsere Wege würden zusammengehen; was willst Du Dich nun verwundern, daß es so ist?“
„Unmöglich, Loy,“ schrie Roritzer auf … „das wäre zu entsetzlich! Das hieße zum Unrecht den himmelschreiendsten Frevel fügen … Das haben sie nicht gewagt …“
Ein fragender Blick auf den Anführer der Bewaffneten brachte die Bestätigung… „Auch Du?“ rief der Meister und sank in nicht mehr aufzuhaltenden Thränen an die Brust des Freundes. „Welche Schuld, welchen Schein von Schuld konnten sie an Dir entdecken? O, keinen, keinen, als Deine Liebe zu mir … ich Unseliger reiße Dich mit mir in den Tod!“
„Der Welt Lauf, mein Wölflein!“ sagte der Alte zwischen Lachen und Rührung. „Gräme Dich nicht und denke, gleiche Brüder, gleiche Kappen! Gräme Dich nicht zu sehr und mißgönne mir nicht, mit Dir zu sterben! Hab’ Mitleid mit dem alten Loy … was sollten mir die paar Greisenstunden noch fruchten, voll Jammer und Gram um Dich? Wie sollt’ ich leben können ohne Dich und nach Dir? Gräme Dich nicht, Wölflein, wir gehen miteinander!“
Roritzer vermochte nichts zu erwidern; schweigend, fest umschlungen, begannen sie den Todesgang.
Auf dem Rathhausplatze war eine hohe Bühne aufgerichtet, rings bis zum Boden nieder mit schwarzen Tüchern verhangen. Der hagere Rathsvogt war eben daran, noch einige Anordnungen zu geben, als er vortretend Kraft Dollinger erblickte, der, seiner Rottmeisterschaft entkleidet, wie ein gemeiner Spießknecht unter den Gewappneten stand, die in weitem Ringe das Hochgericht umschlossen.
„Nun, wer hat Recht behalten?“ raunte er ihm zu. „Hat es nichts bedeutet, daß das Richtbeil sich anmeldete und herunterfiel? Hebt einmal den Umhang des Gerüstes auf und schaut hinein, oben ist ein Bret im Boden, wie’s mit dem Einen vorbei ist, wird das Bret gewendet, daß der Körper herunterfällt und Platz wird für einen Andern… Seht Ihr den Sandhaufen drunter? Es ist derselbe, über den der Dommeister gestolpert; er ist außer Acht liegen geblieben die ganze Zeit, nun ist er eben recht, das Blut aufzusaugen…“
Er ging, denn vom Rathhause kam eilig Herr Hans Bayer,
[605][606] der Stadtarzt, geschritten, sichtlich vermeidend, das verhängnißvolle Gerüst in’s Auge zu fassen; der Edle von Aunkhover trat ihm des Weges entgegen, hochgetragen das Haupt, in der Hast sieghafter Befriedigung. „Ihr wollt fort, Doctor?“ sagte er bissig. „Wollt nicht zusehen, wie meine Cur angewendet wird?“
„Mir gebricht die Zeit,“ entgegnete der Arzt, „ich bin über Land gerufen zu einem gefährlichen Kranken.“
„Was Ihr mir sagt! Und die Gefahr scheint dringend, nach Eurer Eilfertigkeit zu schließen? … Der Kranke wird Euch wohl gar auf längere Zeit in Anspruch nehmen?“
„Möglich, so Ihr aber meiner bedürfen solltet, werde ich nicht verfehlen, zur Hand zu sein; Ihr wißt, meine reisende Uhr behält allzeit Recht …“ Aunkhover ging, der Stadtarzt sah ihm nach. „Er vermuthet, was ich vorhabe,“ murmelte er. „Immerhin! Ich will fort, ehe der Sand abläuft, meine Vorstellung und Fürbitte war vergebens, die Tigerkrallen sind noch ausgestreckt; ich will nicht erproben, wie weit sie reichen …“
Am Fuß der Todesbühne trafen Roritzer und Loy mit dem Zuge der Andern zusammen, mit Hörhamer, Rauhenfelser, dem Schneider und Allen, denen es nicht gelungen war zu entkommen, oder die ihr Haupt sicher geglaubt und es nun niederlegen mußten zu blutiger Sühne; es waren ihrer wohl zwanzig an der Zahl.
Noch ehe sie vollends herangekommen, traf es Roritzer, den Todesreigen zu beginnen. Er umarmte Loy noch einmal, dieser aber streichelte ihm die Wange und rief: „Keinen Abschied, Wölflein, es lohnt der Mühe nicht für die paar Augenblicke, die Du Vorsprung hast …“
Als Roritzer den Fuß auf die Stufen setzte, erscholl feierliches Glockengeläute, den Morgen zu verkünden. „Hörst Du?“ rief er. „Denk’ an Margarethens Wort: die Glocken läuten das Wiedersehen ein …“
Wenige Augenblicke später fiel sein Haupt unterm Beil, noch einige Secunden, und der wackere, fröhliche Bildschnitzer hatte ihn eingeholt.
Am Abend traf auf abgehetztem Rosse, erschöpft und leidend, Doctor Stabius ein, der gekrönte Poet, und brachte den Instandsbefehl, den er am Kaiserhofe erwirkt – er fand nichts mehr zu thun, als die beiden Künstler, die er so werth gehalten, zum Grabe zu geleiten. Daß der Kaiser später über die eilfertige Vollstreckung zürnte und den abgerufenen Hauptmann seine Ungnade fühlen ließ, weckte und störte die Dahingegangenen nicht mehr.
– – – Des letzten Dommeisters letzter Traum aber hat sich zu erfüllen begonnen: der herrliche Dom von Regensburg wird ausgebaut und rückt der Vollendung nahe, vielleicht erfolgt sie zur Stunde, da, wie er es geahnt, Volk und Reich daran gedenkt, die alte Größe aus dem Schutte zu graben.
Roritzer wurde am Dom bestattet. Vor wenigen Jahren noch war die Stelle mit einer durch die Unachtsamkeit der Gegenwart jetzt verloren gegangenen Tafel bezeichnet. Sie trug das schwarze, am Stamm gebrochene Kreuz und die Inschrift:[WS 1]
Wie die Tafel, ist auch sein Gedächtniß verschwunden, und nur eine unsichere Sage erzählt von einem Baumeister des Doms, der unter dem Schwerte geendet. Die alten Bücher aber wissen davon, besonders die ungedruckte Chronik eines Zeitgenossen, des wackern Domherrn Widmann, der mit blutendem Herzen die Gräuel beschreibt, deren er Zeuge gewesen, und die meisten der Thatsachen und Namen erzählt, die hier berichtet sind. Er schließt mit unverkennbarer Betrübniß, wenn er von Loy spricht, der ein „schneeweiß alter ehrlicher Herr“ gewesen, und von Roritzer, wie man, „ein so berimbter Meister seiner Kunst er war, ihn aus der Stainhütt’ am Dom nahm“ und wie es geheißen: „… nur nieder und Kopf herab; da half weder Geld noch Kunst, noch Bitte; nichts auf Erden konnt’ und mocht’ helfen!“
Darum war es vielleicht wohlgethan, dem Volke zu Lehr’ und Ehr’ die Erinnerung aufzufrischen an Wolf Roritzer, den Dommeister von Regensburg.
Noch immer ist in Langensalza, wo sich das Drama des hannover’schen Kriegszuges entwickelte, ein reges Leben. Die Spuren der Schlacht, die dort geschlagen wurde, sind zwar kaum noch sichtbar, obwohl der Schaden, den jener Kriegszug verursacht hat, für die Stadt auf nahe an einunddreißigtausend und für die sonstigen Ortschaften des Kreises auf mehr als zweiundsechszigtausend Thaler geschätzt worden ist. Auch hat man noch jüngst, als die Getreidefelder abgemäht waren, die Kugeln und die Splitter der zersprengten Hohlgeschosse, die wie gesä’t auf den Aeckern lagen, haufenweis gesammelt, so daß ein Klempnermeister in Langensalza auf den Gedanken gekommen ist, diese Kugeln und Splitter zu Aschenbechern, Cigarrenhaltern und Briefbeschwerern zu verarbeiten, die als vielbegehrte Reliquien starken Absatz finden. Ja, vor nicht langer Zeit fand man noch in einem Kleefeld einen todten Hannoveraner, dessen Notizbuch bewies, daß er sich tagelang aus seinem Brodbeutel genährt und fort und fort auf Hülfe gewartet habe. „Nun muß ich verschmachten.“ Dies waren die letzten, mit zitternder Hand gekritzelten Worte. – Was aber die Stadt noch immer belebt, das sind vornehmlich die Reconvalescenten, die sich allgemach zur Heimkehr anschicken, und die sechszehn hannover’schen Aerzte, welche auch jetzt, inmitten des Septembermonates, noch alle Hände voll zu thun haben, nicht blos die Schwerverwundeten vollends zu heilen, sondern auch der Kranken zu warten, die von jener mörderischen Seuche niedergeworfen werden, welche mit ihrem Gifthauch unaufhaltsam vorwärts schreitet.
Es war am 13. September d. J, als ich, wie schon öfter, am Schmerzenslager eines jener Verwundeten saß. Der Todesengel schien zu wiederholten Malen über seinem Bett zu schweben. Wenn er ihn abgerufen hätte, – fürwahr, es wäre ein Verlust für die ganze deutsche Turnerschaft gewesen. Denn es war der Literat Georg Hirth aus Leipzig, der, als gothaisches Landeskind, die Feder mit dem Zündnadelgewehr vertauschen mußte, um mit den coburg-gothaer Truppen die Lorbeeren zu theilen, die ihre Bravour geerntet hat. Jetzt aber glänzten seine Augen wieder und sein alter Humor sprühte von Neuem, wie hart es ihm auch ankam, mondenlang auf dem Rücken zu liegen und das wunde Bein, das eine hannoversche Miniékugel zerschmettert hatte, nicht rühren und regen zu dürfen. „Freilich geht es fortan im Dreiachteltact“ – scherzte er, „– denn das verwundete Bein ist zwei Zoll kürzer geworden, und mit den Lorbeeren will es auch nicht viel sagen, dieweil ich der Erste war, der in diesem unseligen Streite fiel, bevor wir noch eigentlich Pulver gerochen oder einen Feind gesehen. Aber die dreilöthige Kugel, die mir aus dem Schenkel geschnitten, breitgedrückt wie ein Thalerstück, ist sie nicht ein neumodischer Orden, den ich mir in der ersten und hoffentlich letzten Campagne meines Lebens verdient habe?“
Er wollte weiter reden, aber seine Stimme verhallte in dem Jubel, der zu uns herübertönte. „Sie kommen,“ lispelte der Verwundete, „und ich kann sie nicht begrüßen.“ Wir aber begrüßten sie, die thüringischen Ulanen, die sieggekrönt aus Ungarn und [607] Böhmen in ihre alte Garnison zurückkehrten. Das tapfere Regiment, mit dem Stab an der Spitze, hatte schon von Erfurt bis Langensalza einen festlichen Triumphzug gehalten.
Weißgekleidete Jungfrauen, die mit den schwarz costümirten Bürgerssöhnen, welche den Kriegern voranritten, die preußischen Landesfarben lebendig repräsentirten, waren nun auch in Langensalza, trotz des rauhen Windes, den Truppen bis zum Kirchhofe entgegengegangen, wo am 25. Juni der preußische General von Flies unter einer alten Linde gestanden hatte, um die Schlacht zu leiten, und wo hernachmals die hannoverschen Trophäen tagelang aufgestapelt lagen. Rings aber wogte und jauchzte das Volk, und begleitete den stattlichen Zug durch die Ehrenpforten, die sich über die Straße wölbten, und durch die festlich decorirten Häuserreihen, welche im reichen Blumen- und Fahnenschmucke prangten. Fast jeder Ulane trug einen Strauß, den ihm freundliche Hände zugeworfen, und die Lanzen, deren Eisenspitzen vielleicht zum Theil noch mit Blut gefärbt, waren mit Kränzen behangen, zwischen denen die schwarzweißen Fähnchen lustig flatterten. Abends waren die Häuser bis in das entlegenste Gäßchen hinein festlich erleuchtet, im Schützenhause aber, wo der König von Hannover sein Quartier aufgeschlagen hatte, bis die Capitulation ihn von dannen trieb, während seine tapfere siegreiche Armee mit dem Stocke in der Hand heimkehren mußte, wurden die Ulanen vor der Stadt bewirthet, und erzählten von ihren Erlebnissen in Ungarn und Böhmen und hörten die Berichte aus der Schlacht bei Langensalza. Wer dachte wohl daran, als die Gläser erklangen und die Musikchöre aufspielten, daß einige ihrer Cameraden eben erst in’s Choleraspital getragen worden waren und daß in den Lazarethen der Stadt noch viele Verwundete seufzten? Und doch hatten sich Einzelne an ihren Krücken in’s Gedränge gewagt, oder blickten mit bleichem Antlitz durch die Blumensträuße, die man auch in ihre Fenster gestellt hatte.
Ein greiser Bürger saß mittlerweile daheim, das schmerzdurchfurchte Antlitz in die Hand gestützt. Jeder Böllerschuß und Freudenruf, der in sein Stübchen drang, zuckte ihm durch’s Herz. Vier seiner Söhne sind zu den Waffen berufen worden und haben da und dort wacker gekämpft. Der Jüngste stand bei den Einundsiebenzigern, als die Schlacht bei Langensalza entbrannte. Als der Vater hörte, daß sein Sohn beim Siechenhofe postirt sei und in der drückenden Hitze fast verschmachte, machte er sich, trotz seiner achtzig Jahre und trotz der pfeifenden Kugeln, auf den Weg, um seinen Liebling mit Brod und Wein zu erquicken. Allein er fand ihn nicht. Wie er auch spähte und forschte – Alles vergebens. Mit schwerem Herzen kehrte er heim, während der Würgengel draußen immer neue Opfer verschlang. Endlich hatte die Schlacht ausgetobt.
Der Abend dämmerte bereits. Niemand hatte, als die Preußen retirirten, den Vermißten gesehen. Da läßt es dem Vater keine Ruhe. Er macht sich abermals auf und schreitet zitternd durch das Leichenfeld. Hier ächzt ein Verwundeter, dort starrt ein Todter ihn an. Nicht weit vom Abdeckerhäuschen aber liegen Einundsiebenziger. Von einer entsetzlichen Ahnung gefoltert, beugt er sich zu jedem Leichnam nieder und fragt jeden Verwundeten und ruft den Namen seines Sohnes in die stille Nacht hinaus. Endlich hört man einen gellenden Schrei: „Rudolph!“ Ja, er ist’s! Der Vater hat den Sohn gefunden, aber die geliebten Züge sind bereits erstarrt. Er ist auf dem Bett der Ehre gefallen, und der Vater drückt ihm die Augen zu.
Diese Geschichte erzählten wir im Schützenhause einigen Ulanen, welche den Gefallenen gekannt hatten. Sie sprachen den Wunsch aus, sein Grab zu besuchen. Er war auf dem städtischen Friedhofe beerdigt worden. Man ging dahin. Die lustigen Töne der Musik, die im Garten des Schützenhauses aufspielte, hallten bis in die Gräberreihen. Unwillkürlich entblößten die Ulanen ihr Haupt, als sie ein weites Feld voll frischer Todtenhügel sahen. Ja, hier lagen sie nebeneinander gebettet, die tapferen Preußen und die tapferen Hannoveraner, die im heißen Kampfe einen rühmlichen Soldatentod gefunden, oder nach längeren und kürzeren Leiden in den Lazarethen geendet hatten. Und fürwahr der Tod hatte eine reiche Ernte gehalten, reicher, als verhältnißmäßig in irgend einer andern Schlacht des kurzen Krieges! Denn es sind in Langensalza und in der nächsten Umgegend als Opfer des Kampfes über fünfhundert Mann beerdigt worden (worunter gegen vierzig Officiere), und zwar dreihundert und sechszig Hannoveraner und einhundert und fünfzig bis einhundert und sechszig Preußen. Davon, blieben dreihundert und fünfzig auf dem Platze und einhundert und sechszig bis einhundert und siebenzig starben in Folge ihrer Verwundungen.
„Ich werde den schaurigen Anblick nie vergessen,“ sagte einer unserer Begleiter, „als achtundsiebenzig junge, kräftige Gestalten am zweiten Abend nach der Schlacht in jenem gemeinsamen Grabe bestattet wurden. An Särge war nicht zu denken. Der Tod aber schien sein Zerstörungswerk rasch vollenden zu wollen. Denn viele Leichname waren schon in der Zersetzung begriffen, die Gesichtszüge verschwollen und die Glieder aufgetrieben, sodaß die Uniformen platzten. Ueber die klaffenden Wunden wurde Kalk gestreut, als Alle, Freunde und Feinde, friedlich nebeneinander lagen. Dies war ihr Todtenhemd. Einer der Gebliebenen war derart verstümmelt, daß die Glieder auseinander fielen, als man ihn zu Grabe trug. Wer aber kennt und nennt die Namen Derer, die hier ruhen? Nur in den officiellen Todtenlisten sind sie aufgeführt. Die jedoch ihren Wunden erlagen, sind in Särgen feierlich hinausgetragen und mit allen kirchlichen und militärischen Ehren bestattet worden.“
„Auch die Juden?“ fragte ich, und zwar absichtlich, weil ich wußte, daß man an ihrem Grabe einen Geistlichen vergebens erwartet hatte.
„Nun,“ lautete die Antwort, „auch die Juden sind von ihren Kriegscameraden, mit denen sie im Feuer gestanden, auf dem letzten Wege begleitet worden, auch über ihren Gräbern ertönte die dreifache Salve, und die kurze Grabrede, die der Feldwebel Kienast gehalten, hat wohl einen noch tieferen Eindruck gemacht, als mancher salbungsvolle Leichensermon. Sie werden ja wohl ebenso selig werden, als wenn sie der Garnisonprediger eingesegnet hätte.“
Darüber waren wir einverstanden, ob wir auch meinten, daß es weder den Feld-, noch den Stadtprediger entehrt haben würde, wenn sie einem israelitischen Glaubensgenossen, der als braver Krieger gekämpft und gestorben, die letzte Ehre erwiesen hätten.
Während wir noch so sprachen, hatte einer der Ulanen den halbwelken Kranz genommen, mit dem er beim Siegeseinzug geschmückt worden war, und auf das Grab des hannoverschen Juden gelegt. Wir drückten dem Braven schweigend die Hand und gingen von dannen.
Aus dem Schützenhause lockten die Töne eines lustigen Walzers. „Wollen wir?“ fragten die Ulanen sich untereinander. Aber Einer nach dem Andern schüttelte den Kopf. Wohl mag die Freude ihre Rechte haben, allein solche Rechte hat auch der Ernst des Lebens. Und dieser Ernst war auf dem Todtenhofe in erschütternder Weise an die jungen Krieger herangetreten. Sie baten uns, mit ihnen das Schlachtfeld zu besehen. Gern geleiteten wir sie von einem Platze zum andern, wo der Kampf am heißesten gewüthet hatte.
An der Straße dahin saßen drei Landwehrmänner, die, wie viele ihrer Cameraden, in Erfurt entlassen worden waren. Sie schienen todmüde, denn sie hatten den Weg zu Fuß zurückgelegt. Wir ließen uns mit ihnen in ein Gespräch ein. Wie waren sie seelenfroh, nun bald die Heimath wiederzusehen! Wie freudig erzählten sie von den Ehren, womit sie überall empfangen worden waren! „Und doch wären mir ein paar Groschen lieber gewesen, als alle Blumen, die sie uns gestreut, als alle Ehrenpforten, die sie gebaut!“ Es war ein armer Eichsfelder, der sich also expectorirte. Er hatte, wie er sagte, keinen Kreuzer in der Tasche, um unterwegs zehren zu können, und wenn er heimkomme, wer wisse, ob er eine warme Suppe oder auch nur ein Stückchen Brod finde, denn seine Frau und seine Kinder seien bisher von der Gemeinde ernährt worden. Wie er sie forthin selbst ernähren solle, indem ihn der Krieg aus seiner Arbeitsstellung gerissen habe und der Winter vor der Thür stehe, möge Gott wissen.
Wir griffen in die Taschen und gaben, was wir entbehren konnten. Wie Viele mögen mit ähnlichen Sorgen zurückkehren! Und wie mag es vollends denen zu Muthe sein, die weder Frau noch Kinder finden, wenn sie die heimathliche Thür öffnen, weil die Cholera das ganze Haus entvölkert hat! Muß da nicht der Siegesjubel zur Todtenklage werden?
„Wahrlich, da ist denen wohler, die unter diesem frischen Rasen schlummern!“ sagte ich unwillkürlich, als wir unter solchen Gesprächen an sechs Gräbern vorübergingen, die unfern der Liebfrauenkirche einige vierzig Gefallene aufgenommen hatten. Sie waren ohne alle Ceremonie in die flachen Gruben gebettet worden. [608] Ja, man hatte mit der traurigen Arbeit hier und im Badewäldchen dermaßen geeilt, daß da noch ein Arm, dort noch ein Fuß aus der aufgeworfenen Erde starrte. Später waren jedoch die Gräber erhöht und mit grünem Rasen belegt worden. Die Königin von Hannover hatte einen ihrer Hofgärtner nach Langensalza geschickt, damit er die letzten Ruhestätten der gefallenen Krieger – gleichviel, ob Preußen oder Hannoveraner – ordne und schmücke. Einzelne freilich, welche da und dort im Felde aufgeworfen wurden, – wer mag sie nach Jahr und Tag noch finden, wenn der Pflug sie überfurcht hat?
Im Badewäldchen, wo fast jeder Baum die Spuren der Geschosse trägt, die hier wie Hagel gefallen, wurden zwei Gruben, die eine mit fünfzig, die andere mit achtzehn Todten gefüllt. Als wir aber von der Oelmühle, die von zahllosen Kugeln durchlöchert war, in die Kastanienallee einbiegen wollten, die zum Bade führt, schallte uns wieder helle Tanzmusik entgegen. „War nicht das Bad zu einem Lazarethe umgewandelt worden?“ fragten die Ulanen. „Ja wohl!“ bestätigten wir. Alle Räume lagen wochenlang voll Verwundeter. Viele haben darin ihren letzten Seufzer ausgehaucht. Kaum aber waren diese Seufzer verhallt, kaum waren die Blutflecke übertüncht, als die Stätte des Jammers mit einem solennen Ball zu einer Stätte des Vergnügens auf’s Neue eingeweiht wurde!
Uns war indeß nicht tanzlustig zu Muthe. Darum schlugen wir den Weg sofort nach Merxleben ein, wo die Hannoveraner am Tage der Schlacht ihre Hauptstärke concentrirt hatten. Das Dorf hängt, wie bereits erwähnt, malerisch an der nördlichen Abdachung eines kahlen Hügels, der, weil er das unscheinbare Kirchlein auf seinem Rücken trägt, der „Kirchberg“ heißt. Wir gingen über die Unstrutbrücken, welche die Preußen am 25. Juni trotz aller Bravour nicht zu überschreiten vermochten, und stiegen alsbald zum Kirchberg hinauf. Ein herrliches Panorama that sich vor unsern Blicken auf. Die wellenförmige Hügellandschaft, in deren Mitte Langensalza, lachte uns freundlich entgegen; gen Westen war das Bild von der Kette des Hainichwaldes, gen Norden von den Vorbergen des Harzes und gen Süden vom blauen Profil des Thüringer Waldes eingerahmt. Ein stiller Friede überschleierte das herbstliche Bild. Kaum waren irgendwo die Verheerungen des Kampfes noch sichtbar. Nur in der alten, düstern Kirche hämmerte und klopfte es. Sie wurde restaurirt, denn sie war zwei Monate lang ein Lazareth gewesen. Die Kugeln hatten das Heiligthum kaum berührt, obgleich in unmittelbarer Nähe die hannoverschen Batterien aufgefahren waren. Nur einige Granaten waren in den Thurm und in das Kirchdach eingeschlagen, ohne jedoch erheblichen Schaden zu thun. Die hannoverschen Pioniere dagegen hatten mit ihren Aexten in den geweihten Hallen nicht gar säuberlich gewirthschaftet, um das Bethaus, wenn auch nicht zu einer „Mördergrube“, doch zu einem Krankenhause zu gestalten. Die hölzernen Weibersitze lagen damals, zerhauen und zerbrochen, vor der Kirche wild und wirr umher, während auf dem Pflaster des Schiffes, wo sie gestanden, das Schmerzenslager der Verwundeten aufgeschlagen war.
Während wir vor der Kirche standen, trat ein alter Herr grüßend heran. Es war der ehrwürdige Pfarrer von Merxleben. Seine Wohnung, nahe der Kirche, war selbst ein Lazareth gewesen. Für seine eigene Familie blieb kaum ein enges Kämmerlein. Das ganze Haus wimmelte von hannoverschen Soldaten. Da und dort schlug eine Kugel ein. Dennoch war der tapfere Pastor nicht geflüchtet, sondern hatte das grausige Schauspiel der Schlacht theils aus seinem hochgelegenen Hause, theils vom Kirchthurme herab von Anfang bis zu Ende beobachtet. Er schilderte uns seine Erlebnisse und die Evolutionen des Kampfes.
„In jener Vertiefung, nördlich vom Dorfe, hielt der König mit dem Kronprinzen und seinem Gefolge,“ so begann er. „Die Kugeln mochten ihn nicht leicht erreichen; er aber, der ihr unheimliches Pfeifen hörte, scheint geglaubt zu haben, daß er mitten im Feuer stehe, und hat sich wohl darum ‚Georg der Streitbare‘ benannt, sowie er seinem Schwiegervater, dem Herzog von Altenburg, als er in Stadt Roda mit ihm zusammentraf, freudig erregt auf offener Straße zugerufen haben soll, wie herrlich und erhebend es sei, mitten im Schlachtgewühle zu stehen und die Feinde tüchtig auf’s Haupt zu schlagen. Gegen Abend, als das blutige Spiel zu Ende, kam der König auch auf den Kirchberg, wo seine Artillerie so tapfer Stand gehalten. Die Soldaten begrüßten ihn mit einem jubelnden Hurrah. Dies that ihm so wohl, daß er mit großer Freude zu verschiedenen Malen dankte.“
Jetzt zeigte ich dem Pfarrer meine Abbildung der Kirche von Döpler. Er freute sich desselben und lobte die Treue, mit der es gearbeitet sei, fügte aber lächelnd hinzu: „Wenn nur auch jener Proviantwagen in Wirklichkeit so groß gewesen, wie er auf dem Bilde steht. Der Künstler hat wohl nur der Abrundung seines Bildes wegen den Wagen so vergrößert, denn in Wirklichkeit war nur ein kleiner Handwagen mit wenigen Broden vorhanden. Leider hat es uns und insonderheit den armen Verwundeten drei Tage lang fast an Allem gefehlt, was zu des Leibes Nahrung und Nothdurft gehört. Die Hannoveraner hatten im Dorfe alle Vorräthe aufgezehrt. Fremde Zufuhren aber blieben aus; Wir hatten zuletzt nicht einmal trockenes Brod, und die da drinnen lagen, mußten es bitter erfahren, wie weh nicht blos der Schmerz der Wunden, sondern wie weh auch der Hunger thut.“
Und jetzt erzählte er, wie man gegen Abend unter Leitung des Sanitätshauptmanns von Benkefeld die ersten Verwundeten in die Kirche getragen, nachdem die Häuser des Ortes, die sich irgendwie zu Lazarethen eigneten, bereits gefüllt waren. Da lagen sie nun, die Unglücklichen, auf den kalten Steinen, dicht nebeneinander geschichtet, ohne schützende Decken und fast ohne jede Erquickung. Kaum daß ihnen ein spärliches Strohlager untergebreitet werden konnte. Wie Viele gestorben – der Pfarrer wußte es nicht. Denn in den ersten Tagen hat man die Todten unter die Erde gebracht, ohne ihm selbst irgendwelche Anzeige zu machen. Im Kirchenbuche sind nur zwölf Namen eingetragen, deren Träger ihren Wunden erlegen und von einem hannoverschen Geistlichen eingesegnet worden sind. Die Meisten, welche irgend transportabel, wurden nach Kirchheilingen übergesiedelt. Dennoch blieben in Merxleben immer noch einhundertachtundneunzig Verwundete zurück. Für Diejenigen, welche amputirt worden waren, errichtete man auf der Spitze des Kirchberges ein großes Leinwandzelt, wo sie, der dumpfen Kirchenluft entrückt, freier athmen konnten, aber auch den Unbilden der stürmischen Witterung mehr oder weniger preisgegeben waren.
Wir baten den Pfarrer, einzelne Scenen aus jenen Schreckenstagen mitzutheilen. Er aber entgegnete: „O, da könnte ich stundenlang erzählen, und würde doch nicht fertig werden! Gehen wir lieber zu den Gräbern.“
Wir gingen denn mit ihm auf den Friedhof, der sich an der Südmauer des Kirchleins hinzieht. Am obern Rand desselben dehnte sich ein langes, hochgewölbtes Rasenbeet aus, das im nächsten Frühjahr mit Blumenboskets geschmückt werden soll. Darunter lagen einhundertsiebenundachtzig Leichen, größtentheils Hannoveraner, friedlich nebeneinander gebettet. Wie sie der Pastor Müller in mondheller Mitternacht eingesegnet, während die hannoverschen Truppen, von flackernden Wachsfackeln beleuchtet, schluchzend umher standen, hat die Gartenlaube schon berichtet. Am andern Morgen wurden noch dreißig Mann, die man unterdessen beigetragen und an die Kirchhofsmauer gelehnt hatte, in dasselbe Massengrab gelegt, und noch am dritten Tage nach der Schlacht ward außerhalb der oberen Friedhofsmauer eine lange Gruft mit sechsundsiebenzig Gefallenen, Hannoveranern und Preußen, gefüllt, weil innerhalb des geweihten Raumes für diesen kolossalen Zuwachs keine Stätte mehr war. Vielen hatte man in die starre Hand ein frisches Sträußchen gedrückt.
Am unteren Ende des Gottesackers sind zwei Gräber mit Tuffsteinen eingefaßt und mit Immortellenkränzen belegt. In dem größeren schlafen zehn Officiere (darunter ein Preuße), und in dem kleineren der Hauptmann Quintus Icilius und der Lieutenant Stöhr, welche eine hannoversche Batterie commandirten, die unterhalb der Kirche stand. Eine feindliche Hohlkugel schlug auf einem der Geschütze auf und richtete, explodirend, eine entsetzliche Verwüstung an. Die genannten Officiere wurden weit hinweggeschleudert, und der Hauptmann war dermaßen zerrissen und verstümmelt, daß er kaum noch einem Menschen ähnlich sah.
Auch ein vermeintlicher Spion war außerhalb der Kirchhofsmauer eingescharrt worden. Die Hannoveraner, ohnehin erbittert, weil sie glaubten, daß aus einigen Häusern meuchlings auf sie geschossen worden, hatten seinen Leichnam vor die Wohnung des Ortsschultheißen geschleift, nachdem er eine raffinirte Strafe erduldet hatte. Man schleppte ihn nämlich, als die Schlacht entbrannte, mit rückwärts geknebelten Händen mitten in’s Feuer hinein. [609] Wie oft er sich auch jammernd zur Erde warf, wenn die Kugeln ihn umpfiffen, immer ward er wieder aufgestachelt und vorwärts getrieben. Endlich aber blieb er liegen. Er war todt, ohne daß ihn eine Kugel verletzt hatte. Die Stricke, mit denen er geknebelt, hatten die Pulsadern gesprengt. – Nach geraumer Zeit kam eine Frau aus Mechterstedt nach Merxleben und suchte ihren Mann, da sie vernommen hatte, daß hier auch ein Civilist beerdigt sei. Derselbe hatte als Wundarzt einen hannoverschen Officier, welcher bei Mechterstedt blessirt worden war, nach Langensalza begleitet und war nicht zurückgekehrt. Wie er in den Verdacht der Spionage gekommen, ist nicht aufgeklärt. Indessen war in jener Zeit die Sucht, allüberall Spione zu wittern, eine Modekrankheit. Genug, als jenes Grab geöffnet wurde, erkannte die Frau ihren unglücklichen Mann an den Kleidern, in welchen er begraben worden war! Daß die Preußen ebenfalls einen alten Mann, den sie für einen Spion hielten, in der Nähe von Gotha in der Aufregung niedergemacht haben, ist durch die Zeitungen schon bekannt geworden.
Arbeit ist das große Stichwort unserer Zeit. In rastloser Thätigkeit bewegen sich die Kräfte und selbst ihr Product, das Capital, tritt wieder in den Dienst der Arbeit. Die Zeiten sind vorüber, wo es noch müßig in alten Truhen lag. Sollte man es glauben, daß in solcher Zeit, während die Arbeitsfrage alle staatsmännischen Köpfe beschäftigt, sich noch eine Verbindung erhalten hat, welche, im Gegensatz zur schaffenden Arbeitsthätigkeit, im Nichtsthun ihren Ordenszweck findet, welche diese Negative der Arbeit förmlich organisirt und damit dasselbe Resultat erreicht hat, wie die schwieligen Hände ihrer harten Schwester, der Arbeit, die Schaffung des Capitals?
In dem Lande, wo es keine Unmöglichkeiten giebt, in England, könnten wir schon eher etwas Aehnlichem begegnen, aber in Deutschland? Es sieht wie ein Märchen aus und doch ist’s so; es ist, als ob wir in ein Reich der Fabel treten, und doch existirt das Reich.
Schwerlich ist der Name der angedeuteten Brüderschaft am Ohre eines der freundlichen Leser schon vorbeigeklungen, desto bekannter ist dieselbe der verehrlichen Polizei im gesammten deutschen Vaterlande, und in deren altem und neuem Testament, im Coburger und Dresdener Polizeianzeiger, schlägt man kaum ein Blatt auf, wo nicht wenigstens Eines aus der saubern Sippschaft der sogenannten „Klopfer“ Erwähnung geschieht. Und dennoch, möchte ich wetten, hat manches der holdseligen Augen, welche auf dies Blatt fallen, schon einem der „faulen“ Brüder in’s Antlitz gesehen. Der Mund, allzeit der Herold des Herzens, hat, als es zur Zeit der Mittagsstunde leise bittend an die Thür klopfte, ein Herein gerufen und die Hände haben dem demüthig in der Thür erscheinenden kräftigen Manne ein Viaticum gereicht. Seine Klage über die darbenden Kinder und das kranke Weib daheim war ja so rührend und in einer fremdklingenden, aber eigenthümlich einschmeichelnden Sprache vorgetragen.
Hätte die freundliche Geberin den Bettler nach seiner Heimath gefragt, so wäre darauf ehedem, zu Zeiten der gemüthlichen deutschen Reichswirthschaft, die Antwort erfolgt: „Aus dem Bohneburgk’schen!“ und damit wäre ein kleines, reichsfreiherrliches Gebiet zwischen herzoglich meiningenschen und Fürstabt-fuldaischen Territorien, zwischen Werra und Fulda, bezeichnet worden. Heutzutage gehört die Gegend zum westlichen Theile des Großherzogthums Weimar. Die Werra trennt zwei bedeutende Gebirgszüge, den lieblichen Thüringer Wald und die rauhere Rhön, von einander. Die nördlichen Ausläufer der Rhön, welche sich bis nach Eisenach hin verlaufen, bilden einen Landstrich, den man dort gewöhnlich das Eisenacher Oberland nennt. Hier ist die Heimath der Klopfer. In den Ortschaften Völkershausen, Gehaus, Willmanns und Wölferbütt, welche zwischen dem Ulster- und Felda-Thale gleichsam eingezwängt am Fuße des Oechsenbergs sich hinziehen, ist das hauptsächliche Domicil dieser Brüderschaft. Der Boden, soweit ihn überhaupt die bewaldeten Bergkegel der Nahrung des Menschen dienstbar zu machen gestatten, ist in jener Gegend nur sehr wenig ergiebig. Dagegen wurde die Bevölkerung namentlich auch dadurch, daß der vor Zeiten allerorten vertriebene und geächtete Stamm Juda hier eine schützende Zufluchtsstätte fand, immer dichter und es entstand ein Mißverhältniß in der Ernährung. Das bewegliche, wenig bedürftige Volk Israels wurde davon minder berührt. Es zog den Handel an sich und wußte von der naiven Welt- und Geschäftsunkunde des Landmanns Vortheile zu ziehen. Der andere erwerblose Theil, der überdies schon aus etwas zweifelhaften Elementen bestand, da der Zusammenstoß mehrerer Landesgrenzen auf jenem Territorium, mannigfacher Wechsel und Streit der Herrscher und die bergige Lage des Landes den Zusammenfluß allerlei zweideutigen Gesindels begünstigt hatten, konnte sich anders nicht wohl helfen, als daß er seinen Erwerb außerhalb der stiefmütterlichen Heimath suchte. Die Auswanderungen nach Amerika, welche in solchem Falle öfters die richtige Ausgleichung herbeiführen, waren ehedem noch nicht so im Schwunge. Man zog daher nur den größten Theil des Jahres aus in’s Reich und blieb im Uebrigen der alten Heimath treu.
Ende des vorigen Jahrhunderts nahmen diese Wanderungen zuerst größere Dimensionen an. Anfangs war es wohl die redlichste Absicht, welche den arbeitskräftigen Mann hinausführte. Er wollte verhüten, daß die Noth einkehrte in das kleine, aus dünnen Lehmwänden gefügte Häuschen, worin er mit Frau und Kind saß, und die blanken Thaler, welche er im Winter wieder heimbrachte, waren die Frucht seines arbeitssauren Schweißes, den er in Schwaben oder am Rhein und in der Pfalz bei der Handarbeit oder, wenn er Maurer (Weißbinder) war, beim Aufbau eines Domes vergossen hatte. Er war damals von Kopf bis zu Fuß in schwarzen Sammetmanchester gekleidet, was ihm, wenn auch die Nähte etwas verschossen waren, immer etwas Feierliches und Halbvornehmes verlieh.
Allein mit der Zeit lernte der Mann aus dem Boyneburgkschen nicht blos die Welt, er lernte auch ihre Schwächen kennen. Und das war für Beide nicht gut. Zunächst war es wohl auch hier erst wieder die Noth, die unterwegs momentan eintretende Arbeitslosigkeit, welche den stattlichen Mann in der Sammetjacke zwang, die Hand auszustrecken und den Rücken krumm zu machen. Allmählich aber kam er zu der Erkenntniß, daß diese Arbeit des Ausstreckens und Krummmachens nicht blos weniger anstrengend sei, als jene mit Sense und Kelle, sondern daß sie, fleißig geübt, auch ebensoviel, ja noch mehr lohne, als diese. Eine der schönsten Eigenschaften des Menschen, das Mitleid, wußte er so sich dienstbar zu machen. Es war fortan die Göttin, welche er heuchlerisch anbetete und frevelnd mißbrauchte. Aus dem fleißigen Arbeiter wurde ein Nichtsthuer.
Die Entdeckung dieses psychologischen Geheimnisses des Menschenherzens blieb aber nicht in der Hand eines Einzelnen, sie wurde bald Gemeingut der Gegend. Man zog nun nicht mehr gemeinsam auf Arbeit, sondern auf den – Bettel aus. Doch nein, dies Wort wurde nie gebraucht, auch für den neuen Erwerb wurde der alte Begriff substituirt. „Er geht auf Arbeit,“ hieß es nach wie vor, wenn im Frühjahr die Sammetjacke mit dem Wanderstab auszog. Indeß, so leicht sie anfangs schien, mit der Zeit fand die Ausübung dieses Erwerbszweigs, welchen die Speculation auf die Barmherzigkeit erschaffen, auch ihre Hindernisse. Der größte Feind, der naturgemäß wider diese neue Kunstübung sich erhob, war die Polizei. Die Nothwendigkeit, diesen Feind zu bekämpfen, rief aber erst eine Solidarität der einzelnen Interessen dieser Drohnen des gesellschaftlichen Arbeitsstaats in’s Leben. Es fand ein engeres Aneinanderschließen, ein geheimer Austausch der gewonnenen Erfahrungen statt, der bald zur Festsetzung bestimmter Ordensregeln, zur Gründung einer Art Zunftverbandes mit Meistern, Gesellen und Lehrlingen führte.
Hinter die Zunftgeheimnisse gerieth die Polizei erst ziemlich spät und dies ist mit Veranlassung, daß es ihr bis heute noch nicht gelungen ist, dem Unwesen einen Einhalt zu thun. Ein alter, ehrlich gewordener Meister soll den Handwerksbrauch verrathen haben. Erst in den dreißiger Jahren erfolgte im Coburger Polizeianzeiger eine theilweise Aufdeckung dieses Treibens der nunmehr officiell sogenannten Klopfer aus dem Eisenacher Oberlande. Klopfer hießen sie wegen des Anklopfens an die Thüren zur Heischung der milden Gaben, in welchem Klopfen eigentlich der ganze Inhalt ihrer Arbeitsthätigkeit bestand.
Die Hauptklopferregeln gehen darauf hinaus, daß der [610] Klopfer sich mit einer ordentlichen Reiselegitimation versieht. Ohne eine solche geht der Klopfer nicht über das Weichbild seines Ortes hinaus, denn er weiß, daß er dann ohne Weiteres seiner großen Gegnerin, der Polizei, verfallen ist. Zweitens sucht derselbe stets den Schein sich zu bewahren, daß er draußen nicht vom Mitleid, sondern von der Arbeit gelebt habe, weil dies namentlich wiederum dazu beiträgt, ihn bei der Polizei in ein gutes Licht zu stellen und ihm immer von Neuem zu einem Passe zu verhelfen. Er macht sich daher auch immer zum Träger eines Gewerbes und wählt dazu namentlich eines der unzünftigen Gewerbe, was einen nach der alten Zunftordnung nothwendigen Befähigungsnachweis nicht erforderte. Er erschien und erscheint demnach als Gärtner, Korbmacher, Siebmacher, Bierbrauer, Büttner, Weißbinder (Tüncher). Es fällt ihm aber nicht ein, in einer dieser Professionen zu arbeiten. Das verstieße zu sehr gegen die Hauptgrundsätze des Ordens. Er legt vielmehr blos seinen Paß oder sein Wanderbuch „auf Arbeit“, d. h. er legt ihn bei einem ihm bekannten wirklichen Meister in der Nähe seines Heimathsorts nieder und läßt sich nach einiger Zeit gegen ein gutes Honorar von demselben bescheinigen, daß er während der Zeit bei ihm gearbeitet hat. In Wahrheit hat er aber zu Hause gesessen, – ein Manöver, welches übrigens zur Zeit des Wanderzwangs auch von gewissen die Fremde fürchtenden Muttersöhnchen exercirt worden ist. Mit diesem Arbeitszeugniß, das ihn günstig legitimirt, versehen, tritt er nun seine Arbeits-, d. h. Klopfer-Tour, an. Dies Verfahren hat freilich noch den großen Uebelstand, daß der Klopfer einen großen Theil des Jahres, während der Arbeitszeit seines Passes, zu Hause verbringen muß, während er – auch für ihn ist Zeit Geld – diese Zeit nützlich verwerthen könnte. Sein Trachten geht daher dahin, sich in den Besitz einer zweiten Legitimation zu setzen.
Dies bewerkstelligt er dadurch, daß er bei einer Behörde, bei welcher er kurz vorher visirt, also den Besitz eines Passes documentirt hat, erscheint und angiebt, er habe seinen Paß verloren. Diese vermittelt ihm im günstigen Falle dann einen neuen und macht ihn dadurch zum glücklichsten der Sterblichen. Er legt nun den einen Paß auf Arbeit, während er mit dem anderen klopft, und wechselt damit in kürzern Zeiträumen ab. Dadurch erhält er in beiden Pässen Arbeitszeugnisse auf das ganze Jahr und hat doch keine Stunde gearbeitet. Er steht auf der Höhe der Kunst; er verdient doppelt so viel wie die nur einpässigen Brüder und kann zur Kirchweih, wo die ganze Cameradschaft daheim ist, schon etwas mehr aufgehen lassen.
Man kam aber auch auf ein noch gewöhnlicheres Auskunftsmittel, man machte selbst Pässe oder Arbeitszeugnisse. Es zweigte sich zu diesem Geschäfte eine besondere Fraction ab. Förmliche Paßfabriken entstanden, deren Leitung namentlich heruntergekommene Kanzlisten übernahmen. Sie arbeiteten gewöhnlich in den Dachstuben der ansässigen Klopfer. Ihre von dem Klopferhandwerk gesonderte geheime Kunst vervollkommnete sich mehr und mehr und mußte ebenso gelernt werden, wie das Klopfen. Man fertigte falsche Petschafte von Thon, Gyps, Blei, wußte sich von alten Urkunden Oblatensiegel zu verschaffen, die man auf die Pässe aufklebte, beizte die Siegel mit Bleistift durch ölgetränktes Papier. Mit diesen Helfershelfern wurde dann der auswärts erklopfte Verdienst getheilt.
Das eigentliche Klopferhandwerk ist kein so leichtes. Es verlangt Gewandtheit und Menschen-, auch Localkenntniß. Daher reist der jugendliche Klopfer eine Zeit lang erst mit einem älteren, der ihn anlernt und mit den Kniffen und Pfiffen des Handwerks vertraut macht. Die auf das stete Ausweichen der Sicherheitsbehörden gerichteten Handwerksregeln verbieten namentlich dem Lehrling die Ausübung des Handwerks in den Städten. Seine Sporen muß er sich auf dem Lande, wo die Polizei weniger wacht, bei gutmüthigen, einfältigen Bauernfrauen verdienen. In den Städten, wo das Handwerk allerdings lohnender ist, wird nur von ausgelernten Meistern geklopft.
Da gilt als Regel, daß nur in der Mittagsstunde, wenn die Polizei, wie andere Menschen, zu Tische sitzt, geklopft wird. Mit wahrhaft organisatorischem Talente wird dann die Stadt in mehrere Bezirke vertheilt, diese den Einzelnen zugewiesen und nun im Sturmschritt Haus um Haus der Straße entlang genommen.
Die Lehrlinge sind verpflichtet, dem Meister den erklopften Verdienst ganz oder theilweis als Lehrgeld abzuliefern; im erstern Falle erhalten sie einen Wochenlohn. So lautete die Aussage eines vor nicht langer Zeit protokollarisch vernommenen jugendlichen Klopfers: „Der Andreas L. sagte mir, ich solle mit in die Fremde gehen. Er wolle mir wöchentlich zwei Thaler geben mit der Bedingung, ihm alle Abende das am Tag über erklopfte Geld abzuliefern. Ich war einverstanden und wir gingen nach der Kirmß’ fort in’s Sächsische. Nach drei Wochen waren wir in Leipzig. Die nöthige Anweisung zum Klopfen und die Orte, welche ich passiren mußte, sowie der jedesmalige Sammelplatz wurden mir immer von L. angegeben. Als ich wieder fort wollte, bot er mir wöchentlich zwei und einen halben Thaler.“
Man sieht schon daraus, daß das Geschäft seinen Mann nährt. Nach actlichen Ermittelungen hat Einer in elf Wochen einundzwanzig Thaler, ein Anderer in acht Wochen fünfzehn Thaler verdient. Der Verdienst eines Klopferzugs wurde früher, als das Handwerk noch mehr blühte, besonders als man noch den Rhein und Baden „abklopfte“, auf dreißig bis fünfzig Gulden rheinisch angenommen, und in dem kleinen Orte Gehaus sollen jährlich fünftausend bis zehntausend Gulden zusammengeklopft worden sein. Mancher hatte sich draußen Haus und Feld zusammengeklopft, einer war sogar Capitalist geworden und hieß darum der „Zinsenpeter“.
Die Klopfer sind meist gesunde, blühende Leute und, so lange das Handwerk nicht das Armensündergesicht verlangt, heiter und sorglos. Es ist die Poesie des Vagabundenthums, was sie erfrischt. Die gemeinen Verbrechen, namentlich der Diebstahl, werden von dem Klopfer nicht geübt. Er hält auf eine Art von Corpsehre und weiß sich, wenn ihm sonst sein schweifender Lebenswandel vorgehalten wird, damit groß zu thun, daß er ja eigentlich noch nichts verbrochen habe. Hier und da ist indeß auch noch ein anderes Kunststückchen bei ihm im Gange: das Weißmachen von Kupfermünze vermittelst Scheidewasser und Quecksilber, in der Absicht, dieselben dann Abends für Silberstücke auszugeben; ein Stückchen, das unsres Erinnerns auch einmal die liebe, wohlerzogene Jugend zu Zeiten, wenn die alte Bäckersfrau ihre große Hornbrille nicht zur Hand hat, zur Gewinnung eines Stückchens Kuchen in der Dämmerung ausübt.
Vordem war hauptsächlich Süd- und Westdeutschland der Schauplatz der klopferischen Thätigkeit. Insbesondere bot der Rastatt-Ulmer Festungsbau einen günstigen Arbeitsvorwand. Mit der Zeit kam man aber dort doch hinter die Schliche und so ist jetzt der Zug mehr nach Nordwestdeutschland, neuerdings auch nach Thüringen und Sachsen gerichtet. Hier sind es namentlich Festungsbauten in Magdeburg, welche zum Vorwand dienen müssen. Von da geht es aber meist weiter nach Bückeburg, Stade, Hamburg, Bremen, Verden und so fort.
Der Polizei konnte dies gegen die sociale Ordnung verstoßende Treiben nicht gleichgültig bleiben und sie ergriff ganz besondere Maßregeln zur Unterdrückung des neuen Bettelordens. Sie führt über das Sündenregister jedes einzelnen Klopfers jetzt Buch und Rechnung, veröffentlicht ohne alle Discretion deren Namen und Lebenslauf in den Polizeianzeigern, wie sie mit derselben Indiscretion bereits die geheimen Regeln des Handwerks offenbarte. Sie weigert dem notorischen Klopfer die Ausstellung eines Passes, wenn er nicht vorher einen Arbeitsnachweis beibringt, und hat für dieselben eine ganz specielle Kategorie von Reiselegitimationen, sogenannte Klopferpässe, erfunden. Dieselben enthalten namentlich die den Ordensartikeln entschieden entgegenstehende Bemerkung, daß der Inhaber, wenn er binnen vierzehn Tagen kein Arbeitsunterkommen nachweise, in die Heimath zu weisen sei. Wenn die Arbeitsscheu und die Anhänglichkeit an die Gesetze des dolce far niente allzu groß geworden sind, dann bringt sie auch wohl den wackern Meister unter Dach und Fach eines Hauses, wo der einmal Eingetretene zu einer täglichen Verehrung der Arbeitsgöttin wider seinen eignen Willen gezwungen wird. Diese und namentlich die letztere, gegen die gewohnten Freiheitsbegriffe zu grell ankämpfende Maßregel hat theilweis die Klopfer veranlaßt, nach dem gepriesenen Freiheitsland, nach Amerika, auszuwandern. Ob sie dort, wo man für Arbeit noch viel mehr Sinn hat als hier und wo eine gewisse deutsche Gemüthlichkeit, welche für den Fechter der Landstraße gern Sympathien hegt, noch nicht eingebürgert ist, das Erwünschte gefunden haben, läßt sich sehr bezweifeln.
In weit werthvollerer Weise hat man aber dem Uebel dadurch zu steuern gesucht, daß man den Bewohnern jener Gegend durch Anlegung von Fabriken, durch öffentliche Unternehmungen, z. B. [611] Straßenbauten, Gelegenheit zur Arbeit und zum Verdienst in der Heimath bot und somit auch ihnen den Hauptvorwand zur Wanderschaft in’s Ausland entzog. Freilich kommt es zumal den älteren Meistern hart an, der alten lieben Gewohnheit zu entsagen, und es wird immer zuletzt die Hauptaufgabe bleiben, daß man der heranwachsenden Generation das Zurücksinken in die Sünden der Väter verleidet und in ihnen die Liebe zur Arbeit, die allein wahrhaft zu beglücken und innerlich zu befriedigen vermag, zu erwecken und zu erhalten sucht.
Daß aber eine solche Drohnencolonie überhaupt entstehen konnte, das war eben nur möglich zu einer Zeit und in einem Lande, wo die innere Zerrissenheit und Zerspaltung in mehrere Hunderte kleiner Dynastien, von denen jede eifersüchtig auf die andere war und ihr, zu Gunsten ihrer eignen Selbstherrlichkeit, Tort und Dampf anthat, das Aufkommen eines nationalen Gemeinsinns und die Schaffung gemeinsamer Maßregeln und Einrichtungen verhinderte. Die geschilderte Erscheinung gehört mit auf das Sündenregister der deutschen Kleinstaaterei und Vielregiererei. Die jetzt zu erhoffende Nationaleinheit Deutschlands wird auch solche Auswüchse fortan unmöglich machen.
Die allermeisten Wunden, wenn sie heilen sollen, müssen folgenden Naturheilungsprocessen unterliegen: der Entzündung, der Fleischwärzchenbildung, der Eiterung und der Vernarbung (siehe Gartenlaube 1866, Nr. 34). Nur Schnitt- und Hiebwunden können, wie schon früher erwähnt wurde, ohne Eiterung mit ihren Wundflächen ziemlich rasch zusammenheilen (per primam intentionem). – Betrachtet man mit unbewaffneten Augen die genannten Naturheilungsprocesse an eiternden Wunden, so zeigt sich an der verletzten Stelle, die vorher mehr oder weniger geblutet haben kann, zuvörderst Röthung, Schwellung und Schmerz; nach kurzer Zeit werden auf der noch leicht blutenden Wundfläche eine große Anzahl von gelblichen oder grauröthlichen Partikelchen bemerkbar und dies sind kleine abgestorbene Gewebstheilchen (bisweilen auch ziemlich große Fetzen davon), die aber noch fest anhängen. Bald (am zweiten Tage) finden sich nun Spuren einer dünnen rothgelblichen Flüssigkeit auf der Wunde, die verletzten Gewebe sind nicht mehr deutlich zu erkennen, sondern erscheinen schon mehr gleichmäßig grauröthlich und ihre Grenzen verwischen sich unter einander. Am nächsten (dritten) Tage ist die Absonderung (Secretion) der Wunde schon reiner gelb, etwas dicker, der größte Theil der abgestorbenen und abgestoßenen Gewebspartikelchen fließt mit dem Wundsecrete ab. Die Wundfläche wird dadurch immer ebener und gleichmäßiger roth, „sie reinigt sich“, und nun werden auf derselben kleine, hirsekorngroße, rothe Knötchen (die Fleischwärzchen, Granulationen) sichtbar. Diese Wärzchen entwickeln sich immer stärker und fließen allmählich zu einer feinkörnigen, glänzendrothen Fläche (Granulationsfläche) zusammen. Die von dieser Fläche abfließende Flüssigkeit wird immer dicker und von gelblichweißer rahmartiger Beschaffenheit und heißt „Eiter“. Unter fortdauernder Eiterbildung werden die Fleischwärzchen immer dicker, fließen immer mehr zusammen, wuchern vom Grunde der Wunde bis zur Hautoberfläche hervor und geben nun der ganzen Wundfläche ein gallertiges, glasiges Ansehen. Bald früher, bald später zieht sich die Fläche mehr und mehr zusammen und wird kleiner; an der Grenze zwischen Haut und Wundfläche wird die Eiterabsonderung etwas geringer und es bildet sich hier zunächst ein trockner, rother Saum, der sich nach dem Mittelpunkte der Wunde hin immer mehr verbreitert, und je mehr er dies thut und die Granulationsfläche überzieht, desto mehr folgt ihm ein hellbläulich-weißer Saum auf dem Fuße, der nun in die gesunde Oberhaut (Epidermis) übergeht. Diese beiden Säume entstehen durch die Entwickelung von Oberhaut, welche vom Rande der Wunde nach dem Mittelpunkte vorrückt, und bilden die „Vernarbung“. Die junge Narbe sieht anfangs noch ziemlich roth aus und zeichnet sich scharf von der gesunden Haut ab; sie fühlt sich fest an und hängt innig mit den unterliegenden Theilen zusammen. Nach und nach wird sie blässer, weicher, verschiebbar, endlich weiß; eine Zeit lang zieht sie sich noch (nach ihrem Mittelpunkte hin) zusammen und wird dadurch nicht nur kleiner, sondern verzieht auch die weichen Nachbartheile mit. – Unter dem Mikroskope sieht man nun aber, daß zu jenen Heilungsprocessen (Entzündung, Eiterung, Fleischwärzchenbildung, Vernarbung) das in den feinsten Blutgefäßchen (Haargefäßen) rinnende Blut mit seinen Bestandtheilen, sowie Körnchen, Bläschen (Zellen) und Fäserchen verwendet worden.
Zum bessern Verständnisse dieses dem bloßen Auge unsichtbaren Wirkens der Natur bei Heilung der Wunden erinnere man sich, daß alle Theile (Organe) unseres Körpers aus Geweben aufgebaut sind, welche ihren Ursprung kleinen Bläschen (Zellen) verdanken, die sich in einer aus dem Blute stammenden Flüssigkeit (Ernährungsflüssigkeit) entwickelten. Diese Flüssigkeit schwitzt nämlich aus dem Blute, während dasselbe langsam durch die feinsten, netzförmig alle Gewebe unseres Körpers durchziehenden Blutröhrchen (Haargefäße) hindurchläuft, durch die Wände dieser Haargefäße heraus und durchtränkt alle Gewebe, so daß diese nun aus der ausgeschwitzten Ernährungsflüssigkeit diejenigen Stoffe derselben an sich ziehen können, deren sie zu ihrem Aufbaue (ihrer Ernährung) benöthigt sind. So lange wir leben, brauchen aber alle Gewebe unserer Organe fortwährend neues Aufbaumaterial, weil sie bei ihrem Thätigsein einen Theil ihrer Masse abarbeiten und verlieren, so daß sie zu arbeiten aufhören müßten, wenn das Verlorengegangene nicht wieder durch Neues ersetzt würde (d. i. der Stoffwechsel).
Beim ersten Ausbaue unseres Körpers geht es ebenso wie bei der während des Lebens fortwährend im Gange befindlichen Reparatur (Ernährung) aller Theile unseres Körpers zu. Aus der dem mütterlichen Körper entsprungenen Eizelle entsteht durch wiederholte Theilung eine größere Anzahl von Zellen; diese bilden sich zu den verschiedenen Formelementen (Bläschen, Röhrchen, Fäserchen, Häutchen) um; diese Elemente treten zu Geweben (wie Zell-, Knochen-, Knorpel-, Muskel-, Gefäß-, Nerven-, Drüsen- und Hautgewebe) zusammen und schließlich vereinigen sich mehrere Gewebe zu Organen. Sämmtliche Organe von gleichem Baue und gleicher Thätigkeit bilden zusammen ein System (z. Knochen-, Muskel-, Nervensystem etc.). Vereinigen sich aber mehrere Organe von verschiedenem Baue und von verschiedener Thätigkeit zu dem Zwecke, um einer bestimmten wichtigen Lebensverrichtung vorzustehen, so nennt man die Gesammtheit dieser Organe einen Apparat. So vereinigen sich z. B. Kehlkopf, Luftröhre und Lungen zum Athmungsapparate. – Alle Gewebe, Organe und Apparate sind von Haargefäßnetzen durchzogen und das durch diese strömende Blut liefert, wie oben gesagt wurde, fortwährend Material zum Stoffwechsel (zur Ernährung) dieser Theile. Bei Verletzungen sind es nun hauptsächlich die Haargefäße mit ihrem Blute, welche den Heilungsproceß vermitteln.
So besteht die den Heilungsproceß einleitende (reactive) Entzündung in der Umgebung der Wunde darin, daß sich die Haargefäße (von denen die der Wunde nächsten durch geronnenes Blut verstopft sind) ausdehnen und mehr Blut in sich aufnehmen, wodurch die Röthung, vermehrte Wärme und Schwellung in der Umgebung der Wunde veranlaßt werden. Da nun aber die Wände der mit Blut überfüllten erweiterten Gefäßchen durch die Erweiterung dünner und so durchdringbarer geworden sind, so tritt auch durch dieselben mehr und eine von der normalen etwas abweichende Ernährungsflüssigkeit (Exsudat genannt) aus dem Blute heraus in das Gewebe, wodurch die Schwellung desselben noch vermehrt und in Folge des Druckes auf Empfindungsnerven Schmerz erzeugt wird. – Sehr bald findet nun in dem Gewebe der Wundflächen und rings um dieselben herum, und zwar vom Zell- (oder Binde-) Gewebe aus, die Bildung unzähliger Bläschen (Kerne und Zellen) statt (plastische Infiltration), deren Anzahl durch ihre Zertheilung immer mehr wächst, während auf dem Grunde der Wunde zwischen den Zellen auch noch eine gleichartige gallertartig-schleimige Masse (Intercellularsubstanz, aufgequollenes Bindegewebe) [612] hervorwuchert, die natürlich mit dem normalen Bindegewebe zusammenhängen muß, weil sie aus diesem hervorgeht. Diese Intercellularsubstanz mit den eingelagerten Zellen wird von neugebildeten reichlichen Gefäßchen (an der Oberfläche der Neubildung Schlingen bildend) durchzogen und stellt nun die Fleischwärzchen (das Granulationsgewebe) dar, welche also gefäßhaltige, entzündliche Neubildungen sind. Die Zellenbildung und Theilung, sowie die Zeugung neuer Intercellularsubstanz geht bis zum Schlusse der Wunde fort und fort vor sich. Jedoch bildet die oberste Schicht dieser Substanz nicht mehr eine gallertartige, sondern eine dickliche Flüssigkeit mit jenen Bläschen (Kernen und Zellen) und diese fortwährend abfließende und sich fortwährend aus dem Granulationsgewebe erneuernde, rahmähnliche Flüssigkeit ist der Eiter.
Untersucht man den Eiter unter dem Mikroskope, so findet sich, daß er aus einer dünnen, hellen Flüssigkeit (Eiterserum) und aus runden, feinpunktirten Bläschen oder Kügelchen (Eiterkörperchen) besteht, welche letzteren in ihrem Kern drei bis fünf kleine dunkle Körnchen (Kerne) enthalten. – Was die Gefäßneubildung in der Wunde betrifft, so fangen die (bei der Entzündung) ausgedehnten Gefäßschlingen an der Wundoberfläche mit dem Wachsthume des sie umgebenden Granulationsgewebes an, sich zu verlängern (Sprossen zu treiben) und immer mehr zu schlängeln. Gegen den vierten oder fünften Tag kommt es sodann zur Entwickelung neuer Gefäßchen, in Form feiner Haargefäßchen-Netze, so daß sehr bald das Granulationsgewebe ungemein reich an Blutgefäßchen geworden ist und nun die Blutfülle (die Röthe) in der Umgebung der Wunde nachlassen kann.
Das Wachsthum der Fleischwärzchen hört auf, wenn diese das Niveau der Haut erreicht haben, denn nun überzieht sich die Granulationsfläche mit Oberhaut (Epidermis) und die Wärzchen bilden sich zur Narbe um. Hierbei gehen folgende mikroskopische Veränderungen in dem Gewebe vor sich. Zuvörderst zerfallen und verschwinden (durch Spaltung, fettiges Entarten und Aufsaugung) eine große Anzahl von Zellen und zwar ebenso Eiterkörperchen auf der Oberfläche, wie auch Zellen in der Tiefe des Granulationsgewebes. Durch diesen Schwund der Zellen und durch das Aufhören der Zellenneubildung verringert sich das Granulationsgewebe und aus der gallertartigen Intercellularsubstanz, sowie aus den noch übrigen Zellen bildet sich faseriges Bindegewebe hervor. Mit diesen Veränderungen, die vom Rande der Wunde zu deren Mittelpunkt fortschreiten, hört auf der Oberfläche derselben die Eiterbildung auf und es erzeugt sich mit Hülfe der (Epidermis-) Zellenbildung Oberhaut. Gleichzeitig schließt sich auch ein großer Theil der neugebildeten Blutgefäßchen und daher kommt es, daß die vorher rothe Narbe allmählich blässer und weiß wird.
So ist der naturgemäße Gang der Heilung von Wunden mittels der Fleischwärzchen- und Eiterbildung. Daß Störungen in diesem normalen Verlaufe vorkommen können, ist begreiflich, da Verwundete sehr häufig solchen äußeren und inneren schädlichen Einflüssen ausgesetzt sind, welche die Entzündung, Granulations- und Eiterbildung, sowie die Vernarbung stören. Diese Störungen haben aber nur für den Chirurgen Interesse und können deshalb dem Laien verschwiegen bleiben.
Das kleine Wäldchen von Sadowa weiß viel aus den jüngsten Tagen zu erzählen. Es sah colonnenweise die Tapfern fallen, an seinem Saume wie unter dem Schatten seiner Bäume Hunderte ihr Leben aushauchen. – „Er starb auf dem Felde der Ehre,“ ist ein großes und erhabenes Wort – leicht ausgesprochen – aber schwer gethan! Die Kugel trifft nicht immer das Herz; sie zerfleischt oft auf’s Grausamste den armen Menschenleib, ehe er den letzten Athemzug gethan, ehe er der Erde übergeben wird. Doch nicht allein diese Wunden und Martern fürchtet der Soldat – viele fürchten die Schändung nach dem Tode ebenso sehr, vielleicht noch mehr. Sie sprechen resignirt von der wüsten Grube, in der sie wohl bald ruhen dürften, doch nur mit geheimem Schauder von jenen Raubthieren in Menschengestalt, welche Armuth, Elend, Rachsucht oder nackte Verworfenheit auf das noch dampfende Schlachtfeld treibt – die Körper der todten Streiter zu berauben, zu verstümmeln, ja oft noch Lebende oder im Todeskampf Zuckende zu entkleiden und noch größerem Elend preiszugeben. Wir wollen nicht versuchen, noch einmal all’ die schauerlichen Einzelheiten aufzuzählen, die sich in dieser Beziehung auf den Schlachtfeldern Böhmens zutrugen – eben so wenig wollen wir die Bewohner dieses Landes deshalb anklagen, die wir wegen einzelner barbarischer Ausnahmsfälle nicht der Unmenschlichkeit zeihen, noch dafür verantwortlich machen dürfen.
Sicher aber werfen jene bekannten und constatirten Thatsachen von Raub, Mord, Plünderung und Leichenschändung einen düsteren Schatten auf das czechische Land, das sich nicht wundern mag, wenn es von Neuem vom Auslande mit Blicken des Vorurtheils und Vorwurfs betrachtet wird. Denn nicht mit Stolz, nur im Bewußtsein unserer Humanität dürfen wir ausrufen: In dem so verketzerten Deutschland ist eine ähnliche Barbarei nur ganz ausnahmsweise vorgekommen.
Ein Gang über das Schlachtfeld ist vor Kurzem in diesen Blättern eben so wahr wie ergreifend geschildert worden. Doch ist eine von Kämpfenden und Lebenden verlassene Wahlstatt eine so großartig-furchtbare Tragödie, daß sie sich in einem Zeitungsartikel nicht abspinnen läßt.
Wir traten, ich glaube es war am vierten oder fünften Juli, aus dem Wäldchen von Sadowa. Schwarzblaue niedriggehende Wolken zogen über die Landschaft hin, die einer Todtenstätte glich. Wir sahen Menschen mit zerrissenen Gesichtern und Köpfen, da und dort nur noch einen Rumpf oder ein zuckendes Etwas, das schwer an das „Ebenbild Gottes“ erinnerte, am Boden liegen. Hände und Arme, gen Himmel gestreckt und so erstarrt im qualvollsten Todeskampf, ragten als schreckliche Merkmale eines wüthenden Kampfes, der hier gehaust, aus einem Chaos von Waffen, zerstampfter Erde, von Blut und Schlamm hervor – und die Luft füllte sich bereits mit jenen Dünsten, die Moder und Verwesung vorangehen. Die Natur, wie im Erhabenen groß und unerreichbar, so auch hier unerreichbar und erfinderisch im Schrecklichen, im Bilde der Vernichtung! Wer Todte nicht auf dem Schlachtfelde sah, weiß nicht was Tod heißt – kennt seine Schrecken nicht – nicht sein verklärtes, nicht sein medusenhaftes Antlitz. Hier fällt der Blick nur auf offene, starre Augen, „die eine liebende Hand nicht schloß“ – der Eine sieht uns an, als wollte er lächelnd sagen: Dich sollte ich auch kennen – und es gehören starke Nerven dazu, diesen vertraulichen Blick aus dem Jenseits lange zu ertragen. Auf den Lippen Jenes scheint noch ein gräßlicher Fluch zu schweben – eine Granate hat ihm den Unterleib zerrissen – er hält noch mit der linken Hand die herausgetretenen Eingeweide zurück. – Lege nicht, Leser, mit kleinlicher Empfindsamkeit dieses Blatt bei Seite – du kannst ertragen zu lesen, was jene litten! Glaube mir, der Anblick solcher Leiden bessert und macht demüthig und zufrieden mit dem Schicksal, und sei es noch so herbe – oder unser Gemüth ist versteinert und unsere Sinne sind verbraucht und stumpf.
Entsetzen faßt mich noch jetzt, während ich dies niederschreibe, wenn ich der Scene gedenke, die uns am Saume des Sadowaer Waldes vor Augen trat – sie war haarsträubend und machte das Blut in den Adern erstarren. Wir waren noch ganz erfüllt von dem Anblick der eben gesehenen Todten, da schlugen die Töne einer fremden Sprache und rohes widerliches Lachen an unsere Ohren. Erstaunt, erschrocken blicken wir uns um: es sind nicht mehr Leichen, deren Anblick uns erschüttert, es sind Lebende, die uns erschrecken, deren Treiben uns mit Haß, Scham, Rache und Ekel erfüllt, es sind dies – die Raubthiere des Schlachtfeldes! Um den halbnackten, weißen Körper eines preußischen Grenadiers, der danebenliegende Helm bezeichnet ihn als solchen, ist eine Gruppe jenes Gesindels versammelt, welches die „Nachlese“ auf dem Schlachtfelde hält. Ein kleines, cretinartiges Scheusal versucht unter dem Gelächter der Umstehenden dem Gefallenen den Stiefel auszuziehen. Ein verthierter Bursche, der sich mit einem Säbel geschmückt hat, sieht der Heldenthat des Gnomen besonders
[613][614] beifällig zu, während eine robuste Dirne stumpfsinnig die Züge des Todten betrachtet und ihr Käsebrod dabei verzehrt.
Raublust und Hohn gelten indessen hier nur einer Leiche, ein Lebender aber soll auch noch abgethan – abgeschlachtet werden, damit man sich der Armseligkeiten bemächtigen kann, die noch an seinem Leibe oder in seinen Taschen sind. Ein Kerl mit einer Mistgabel bewaffnet, eben zum tödtlichen Stoße bereit in die arme, schon zerschossene Brust eines Soldaten – dieser, der sich halb erhoben und mühsam auf den verwundeten Arm stützt, hebt feierlich den rechten empor, als wolle er den Himmel zur Rache anrufen – – das Alles – es flirrte uns vor den Augen – nein! dies darf nicht sein – – und mit einem unterwegs gefundenen Reiterpistol feuerte einer von uns rücksichtslos über die Gruppe hinweg. Der Schuß verfehlte bei den Elenden seine Wirkung nicht, kaum hatte sich noch der Rauch der abgeschossenen Waffe verzogen, und die Bestien suchten bereits das Weite. Den Soldaten, der uns unterwegs noch mitteilte, er habe mit dem Bauer über eine Viertelstunde um sein bischen Leben capitulirt, brachten wir in das nächstliegende Feldlazareth, wo er jedoch nach wenigen Minuten starb, in Folge starker Verblutung und, wie er selbst noch mühsam herausbrachte, an ausgestandener Todesangst.
Saßen da im heitern, lustigen Wien, zu Anfang des Jahres 1820 in einem düstern Zimmer des dritten Stocks eines Hauses in der Wipplingerstraße, das die Nummer 420 trug, der Männer zwei, welche dem Aeußern und Innern nach wenig zu einander zu passen schienen, während sie doch bereits seit längerer Zeit Stubengenossen waren. Der ältere von ihnen, eine mittelgroße, gedrungene Figur, hatte etwas Starres in seinem Blick, während der Mund sich gern zu einem sarkastischen Lächeln verzog. Seine Kleidung war mehr als einfach. Man sah es, er gab nichts auf den Rock. Die Pfeife im Mund, die Guitarre im Arm, saß er und starrte vor sich nieder, während, unwillkürlich, wie unbewußt, die Hand von Zeit zu Zeit einzelne Griffe auf das Instrument that.
Es war Johann Mayrhofer, der Dichter, während sein um zehn Jahr jüngerer Genoß, mit dem dicken, runden Gesicht, den aufgeworfenen Lippen, den buschigen Augenbrauen, der stumpfen Nase, dem gekräuselten Haar, das dem ganzen Kopf ein mohrenartiges Aussehen verlieh, Niemand anders war als Franz Schubert, der liederreiche Componist. Sie wohnten seit Kurzem zusammen, nachdem ihre frühere Bekanntschaft bereits nach Jahren zählte.
Und ob auch die in der Regel mehr im heroischen Styl gehaltenen, als lyrisch-tiefempfundenen Dichtungen Mayrhofer’s sich wenig zur Composition zu eignen schienen, die Alles bewältigende Schaffenskraft des jugendlichen Tonsetzers, der ja während der kurzen Zeit seines Lebens mehr als sechshundert Lieder componirte, bewältigte auch diese Formen. Poesie und Musik standen sich bei diesen Schöpfungen gegenüber, wie der Poet dem Tonsetzer. Sie ergänzten sich gegenseitig, während sie doch auch wieder im Einzelnen sich abstießen. Und wer hätte die Allgewalt der Tonweisen des jugendlichen Meisters, der kein Vorbild hatte, der aus der Fülle seines Melodieenbornes ohne Ruhe und Rast schöpfte, nicht an sich selbst erfahren! Erwacht bei den Klängen seiner Lieder nicht die Sehnsucht im Herzen? Lösen Traum und Schmerz sich nicht in Wehmuth auf?
Und wie das Haus in der Wipplingerstraße dem Zahne der Zeit zum Raube gefallen, so würden auch die Lieder und Gedichte des im Jahre 1787 geborenen Mayrhofer längst begraben und vergessen sein, wenn nicht die süßen, einschmeichelnden Tonweisen seines jugendlichen Freundes, die dieser den Worten des Poeten zu verleihen wußte, sie immer wieder an das Licht des Tages zögen – und den Dichter selbst dem Verschollensein entrissen. Auf den Tonweisen Schubert’scher Melodieen schwebt sein Name der Nachwelt zu.
Heut’ aber, als dem Tage von dem wir sprechen, lehnt der junge Künstler am Fenster und blickt auf die düstere Gasse hinab. Erinnerung durchwogte ihn. Er war im Geiste wieder zu Zelész, dem am Waagflusse gelegen Landgute des Grafen Johann Esterhazy. Musik wurde getrieben, es wurde gesungen; und sie, seine einzige Schülerin, der er nichts gewidmet, wie die Leser der Gartenlaube schon wissen – denn die auf Op. 103 der F-Moll Clavierphantasie stehende Dedication rührt nicht von ihm selbst her – weil, wie er sagte, ihr Alles gewidmet sei, sang seine Lieder und spielte seine Compositionen. So dachte er. Und siehe! Ein Wagen fuhr vorüber, die düstere Gasse entlang. Ein lieblich schönes junges Mädchen saß im Wagen, der von feurigen, muthigen Ungarpferden gezogen wurde. Die junge Dame warf einen Blick zum Fenster hinauf, es geschah unbewußt, unwillkürlich, aber er genügte, daß der am Fenster Stehende sie erkennen konnte. Ein düster-schmerzlicher Schatten fuhr über sein Gesicht. Ihrer hatte er gedacht; jetzt fuhr sie vorüber, und über seine Lippe bebte der Name: „Caroline“.
Mayrhofer, der leise mit zum Fenster getreten war, sah sein Zusammenzucken, sah, wie er die Brille zur Stirn hinaufrückte, und hub nach gewohnter Weise zu lachen an, während die Hand zugleich nach dem Stocke griff, um denselben, gleich einer Lanze, gegen den Freund anzulegen, wobei er, auf echt wienerisch, im oberösterreichischen Dialekt rief: „Was halt mich denn ab, Du Kloaner –“
Doch Schubert ging diesmal nicht auf den gutmüthigen Scherz ein, sondern wendete sich stumm dem Clavier zu und begann sein Divertissement à la Hongroise zu spielen, mit jenen schwermüthigen Zigeuner-Melodieen, wie er sie einst in Zelész gehört und vernommen. Plötzlich jedoch sprang er auf und rief, bereits halb in der Thür: „Die Theres’ erwartet mich!“ und war zum Zimmer hinaus.
Und während er dahin eilte, um später in Lichtenthal, im Grob’schen Hause, sich von der Tochter, der Theres’, deren glockenreine Stimme bis in das hohe D reichte, seine Lieder singen zu lassen, während er in den Pausen nicht unterließ, dem Mädel in das Auge zu schauen, saß der Poet daheim und brütete vor sich hin. Er verfiel mehr und mehr mit sich selbst und mit der Welt. Und ob auch die Wirthin, die Frau Sanssouci, eintrat und das oft Erwähnte wieder erzählte, daß der Theodor Körner während seines Aufenthalts in Wien auch in diesem Zimmer gewohnt habe und daß derselbe ein so heiterer, froher junger Mann gewesen sei – er beachtete es nicht. Er konnte es nicht fassen und begreifen, daß der Franz sich einer andern Liebe hingab, um seine Liebe zu vergessen. Stumm griff er zur Feder, um in einer geschichtlichen Arbeit für Hormayr’s Archiv die inneren Wirren seines Innern zu tödten.
Am Abend aber, als Schubert eintrat, hatte er nach angestrengter Arbeit seiner Muse Audienz gegeben und trat dem Freunde mit einem neuen Liede entgegen. Es war das in der Sammlung seiner Gedichte sich unter dem Titel „Der Einsame“ vorfindende. Schubert hörte es an, nickte mit dem Kopfe zum Zeichen seines Einverständnisses, warf sich auf das Bett, rückte die Brille zur Stirn hinauf und verharrte einige Zeit in dumpfem Schweigen. Dann sprang er plötzlich auf, trat zum Clavier, sagte: „Ich hab’s!“ und spielte die soeben entstandene neue Composition.
So arbeiteten Dichter und Tonsetzer sich gegenseitig Hand in Hand.
Jahre gehen dahin. Mayrhofer und Schubert wohnen nicht mehr zusammen. Während aber Ersterer, mehr und mehr dem Leben entfremdet, in starrer Pflichterfüllung seines Berufs – er ist Beamter bei der Censurbehörde geworden – den Zwiespalt zwischen Ideal und Leben auszugleichen suchte, während er kränklich und verdrießlich jeden heitern Umgang floh, besonders nachdem die Sammlung seiner Gedichte, die er auf Drängen der Freunde herausgegeben, nicht den Anklang und die Beachtung, die er erwartet und die sie verdiente, gefunden, während er nur noch bei seines Schubert’s Liedern zu lächeln vermochte und sich blos von ihnen in den Kreis einzelner Freunde locken ließ, warf sich Letzterer in das volle, sprudelnde Leben hinein.
Im Gasthaus zur „Ungarischen Krone“ in der Himmelpfortgasse [615] saß er mit seinen Freunden, dem Dichter Bauernfeld, den Malern Schwind, Schnorr u. A. gemüthlich beim Glase Wein. Toll und lustig war der Kreis, ein Scherz, ein Mummenschanz trieb den andern. Und wenn auch der Reim, der über sie und von ihnen ging:
„Die Künstler waren damals arm,
Wir hatten auch Holz nicht immer,
Doch waren wir jung und liebten warm
Im ungeheizten Zimmer“
seine volle Berechtigung hatte, so war das Leben dennoch schön und des Schaffens Drang fehlte nimmer.
Heiter, froh zieht die lustige Schaar, nachdem des Bechers schäumendes Naß zur Genüge genossen war, die nächtlichen Straßen entlang. Sie schreiten der Donau zu. Der Mond blickt durch vom Wind zerrissene Wolken. Sie wissen und ahnen in ihrer Freude, in ihrer tollen Lustigkeit nicht, daß drüben auf der Brücke ein Mensch starr in das Wasser blickt, daß die klaren, wogenden Wellen ihm zuzurufen und zu winken scheinen: komm’, komm’! hier unten ist Ruh’ und Frieden; sie sehen und ahnen es nicht, daß der Mann sich kopfüber in die Donau stürzt, um gleich darauf von einem Schiffer, der sein Treiben vom Kahn aus beobachtet, herausgezogen und an das Land getragen zu werden. Sie kommen dazu, als der Gerettete am Ufer steht, und erkennen in demselben, in dem Unglücklichen, den Dichter Johann Mayrhofer. Aller Scherz war verstummt. Schubert erfaßt die Hand des unglücklichen, düsterblickenden Freundes. Der aber drängt die Hand zurück, sagt frostschauernd, aber zugleich wild lachend: „Hätt’ nicht gedacht, daß das Wasser der Donau so wenig kalt sei!“ und schreitet ohne Gruß und Dank davon.
Die Freunde gaben sich das Wort, des Ereignisses nicht weiter zu gedenken. Sie hielten es, und so ist es denn gekommen, daß der Versuch des Schwermüthigen, seinem Leben ein Ende zu machen, fast Sage blieb, bis sein späterer Tod auch diesen Vorfall aus der Erinnerung heraus an das Licht des Tages zog.
So kam der 19. November des Jahres 1828 heran. Schubert’s Compositionen waren mehr und mehr zur Anerkennung gelangt, ohne daß jedoch der Ertrag derselben ihn für die Bedürfnisse des Lebens sichergestellt hätte. Er verstand es nicht und hatte es nie verstanden, mit seinen Geistesproducten zu feilschen. Das Privat-Concert, welches er im März vor seinem Tode veranstaltete und in dem nur Compositionen von ihm vorgetragen wurden, ist sein erstes und letztes gewesen, wie Gräfin Caroline Esterhazy seine erste und letzte Schülerin blieb – vielleicht, weil sie zugleich seine einzige, hoffnungslose Liebe gewesen; eine Liebe, von deren Größe sie wohl keine Ahnung gehabt.
„Ich sah nach keinem Monde,
Nach keinem Sternenschein,
Ich schaute nach ihrem Bilde,
Nach ihrem Auge allein“
spielte und sang er für sich. Was er früher einem Freunde über sich selbst geschrieben, war zur düsteren Wahrheit geworden: „Denke Dir einen Menschen, dessen Gesundheit nie mehr richtig werden will und der aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter statt besser macht, denke Dir einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu nichte geworden sind, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bietet, als höchstens Schmerz, dem Begeisterung (wenigstens anregende) für das Schöne zu schwinden droht, und frage Dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch ist? Meine Ruh’ ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmer mehr.“ Man spielte seine Compositionen, man sang seine Lieder, aber von einer vollen, warmen Anerkennung seiner Schöpfungen war noch immer nicht die Rede. Selbst ein Goethe ließ die Schubert’schen Compositionen seiner Lieder unbeachtet. Die Nachwelt sollte auch hier das Versäumte nachholen.
Schubert ist in dem letzten Jahre seines Lebens thätiger gewesen, denn je; es ist, als habe er die Nähe seines Todes geahnt und gefühlt. Sein Schwanengesang war „die Taubenpost“ von G. Seidl. Er kränkelte mehr und mehr, bis Nachmittags drei Uhr vorhin gedachten Tages der Tod seinem Leiden ein Ende machte. In das Gewand eines Einsiedlers gekleidet, den Lorbeerkranz um die Schläfe gewunden, lag er auf der Todtenbahre. Und die Freunde und Bekannten des Verblichenen eilten nach der neuen Wieden, der neugebauten Gasse Nummer 714, um den Sarg des Todten mit Kränzen und Blumen zu schmücken.
Ob sie, der er Alles gewidmet, gekommen, ist nicht bekannt. Auch Johann Mayrhofer kam, er fehlte nicht. Die frühere Therese Grob, nun längst verheirathet, fand ihn, als sie erschien, den Gestorbenen noch einmal zu sehen, am Sarge stehen, starr das Auge auf den Todten gerichtet. Er sah sie nicht, er beachtete sie nicht; stumm, wie er gekommen, schritt er davon; nur über seine Lippen schien es zu zucken: „Mein Franz! wäre ich doch lieber statt Deiner gestorben!“
Auf dem Friedhof in Währing, wo Beethoven ruht, wurde Schubert begraben. So hatte es der Geschiedene in seiner letzten Lebensstunde selber gewünscht. Ob er seiner Liebe gedacht; ob er mit ihrem Namen auf der Zunge gestorben? – Wer kann es wissen! Und Johann Mayrhofer? Er hat dem Freunde als Nachruf ein Lied gedichtet; er hat der Trauermusik, die zu Ehren des Geschiedenen veranstaltet wurde, beigewohnt, dann aber ist er immer einsamer, stiller, menschenscheuer geworden. Er mied die Welt – und die Welt fand kein Interesse, ihn zu suchen. Nur beim Tode Goethe’s erklangen noch einmal die seit langer Zeit verstummten Saiten seiner Harfe.
Und so zog der 5. Februar des Jahres 1835 herauf. Wie Tag um Tag ging Mayrhofer nach seinem Bureau, aber die innere Unruhe des Herzens ließ ihn nicht am Schreibtische ausharren. Was war das ganze Leben für ihn gewesen? Wo hatte er Ruhe, Beruhigung gefunden? Langsam, starr schritt er durch die düsteren Gänge des Amtsgebäudes. Den Gruß der Collegen beachtet er nicht. Er schreitet höher und höher die Treppen hinauf, bis er endlich hoch droben an einem geöffneten Fenster stehen bleibt. Er starrt hinauf zum Himmel, hinaus in die Welt. Die ersten milden Lüfte des Frühlings wehen ihn an. Sie durchschauern ihn, wie die Schauer des Todes. Er lehnt sich weiter und weiter hinaus, ein Schrei, ein Ruf – und er liegt drunten auf der Straße mit zerbrochenem Genick.
Ernst von Feuchtersleben gab die Gedichte des Unglücklichen nach dessen Tode auf’s Neue heraus, ließ jedoch viele der Gedichte, die Schubert componirt, in der Sammlung weg. Und doch sind es diese Compositionen allein, die den Namen Johann Mayrhofer nicht gänzlich untergehen ließen. Wer würde der Gedichte des Geschiedenen denken? er wäre hinweggespült von den Wogen der Zeit – und selbst sein Name wäre verschollen und vergessen.
Friede ihm! –
Das Local von Goethe’s Wahlverwandtschaften. Nicht Vielen, selbst der genaueren Kenner Goethe’s, dürfte es bekannt sein, daß Goethe bei der Erfindung des Locales seiner „Wahlverwandtschaften“ eine bestimmte, leicht auffindbare Oertlichkeit vor Augen hatte, deren wesentlichste und charakteristischste Motive er in sein Landschaftsbild aufnahm und gerade für die bedeutendsten Momente des Romans verwerthete. Schon vor mehreren Jahren ist dies vom Professor Weiße in Leipzig entdeckt und bisher nur unter der Hand verbreitet worden, die frappanteste Bestätigung der Einzelheiten fand sich im Frühjahre 1865, als der Unterzeichnete mit mehreren anderen Freunden den – jetzt leider vor Kurzem verstorbenen – Professor Weiße auf Ausflügen in der Umgegend von Eisenach begleitete.
Der Ort ist Wilhelmsthal bei Eisenach, bekanntlich ein großherzogliches Lustschloß mit Parkanlagen, an deren Einrichtung Goethe thätigen Antheil nahm. Sofort überzeugend, daß Ottiliens tragisches Geschick hier und nirgend anders sich vollzog, wirkt der Blick auf die drei Teiche – das Bett des hintersten fanden wir trocken –, welche, durch Dämme von einander geschieden, die Thalsohle einnehmen. Hier auf dem vordern Damme stand das zuschauende Volk während jenes unglücklichen Festes, an welchem dort auf dem mittleren Damme das Feuerwerk abgebrannt wurde. Dort hebt sich auch der runde, von schlanken Bäumen umpflanzte Platz mit der Ruhebank hervor, Ottiliens Lieblingsplatz, zu dem sie so gern hinüberruderte und von welchem man zu Wasser schneller, als auf dem Fußwege, zum Schlosse gelangte. Nach kurzem Umhergehen haben wir die vollkommene Illusion, als wandelten wir gleichsam im Romane selbst umher und als müßten wir hinter der nächsten Ecke Eduard und den Hauptmann mit Messungen beschäftigt und unter Berathungen über eine wichtige Veränderung der Anlagen antreffen. Hier liegt der Kahn und wartet seiner Führerin. Charlotte scheint den Ort des neuen Hausbaues aufzusuchen, denn wir finden sie nicht im Thal. Aber wo stand das neue Haus? Professor Weiße fand es auf dem Hirschstein, und in der That hat man von dort einen schönen Blick auf die Teiche, wenn man das inzwischen emporgeschossene Gesträuch hinwegdenkt. Ein Dorf mit Kirche und Kirchhof hat [616] der Dichter nach Bedürfniß aus der Nachbarschaft hereingezogen; in der Wirklichkeit finden wir nur zwei oder drei Häuser hinter dem Gasthofe; die Felspartien hat er gleichfalls verlegt, den Wald beträchtlich vermindert. Aber sollte er die idyllische und verhängnißvolle Mühle erfunden haben, zu der die Liebenden unvermuthet vom Schlosse aus ein versteckter Waldweg führte? Wir fragen im Gasthofe nach einer etwa eine Viertelstunde vom Schlosse entfernten Mühle. Man weist uns die Chaussee hinauf, die uns scheinbar von unserm Ziele entfernt; plötzlich hören wir jedoch das Rad: da ist die Mühle, alt und bäuerlich, dicht an dem vom Schlosse sich herziehenden Walde, so daß sie den von dort Kommenden bei dem ersten Schritte in’s Freie als willkommener und anmuthigster Ruhepunkt sich darbieten mußte, und da ist jene Laube, wie mit Absicht unverändert gelassen, seitdem sie die stille Neigung des holdesten und besten Mädchens verrathen! Eine junge Müllerin „von der guten und zuthätigen Art“ – um mit unserm Altmeister zu sprechen – berichtet uns, daß die Mühle seit ihrem Urahnherrn in den Händen ihrer Familie gewesen, daß sie seit undenklicher Zeit nicht verändert worden, daß vor vielen Jahren ein „Promenadenweg“ von da bis zum Schlosse durch den Wald gehauen worden. Wir gingen den Promenadenweg zurück nach dem Schlosse und überzeugten uns hier und da von der Gefahr, welche, ehe der Weg gebahnt war, Ottilien bei schroffem Abstieg von ihrem Medaillon drohen mußte. Als endlich Prof. Weiße jenseits der Mühle an der Chaussee das Terrain nach seinen Erinnerungen an den Roman zu wenig bewaldet fand, eilte Einer von uns zur Müllerin zurück und kehrte mit der frohen Botschaft wieder, daß dort erst vor einigen Jahren geholzt worden sei.
So durften wir die Acten schließen und wurden einig, unsere Resultate und Forschungen zu veröffentlichen, welches denn hiermit, zwar erst nach länger als einem Jahre, aber wohl nicht zu spät und nicht unwillkommen, geschehen sein möge.
Ihr legt auf’s Grab gefallener Helden
Den Eichkranz zu dem Lorbeer nieder,
Und ihrer Thaten Ruhm vermelden
Den Enkelkindern Eure Lieder.
Der Schlacht dem Tod in’s Auge sehen,
Die ihr Panier vom Zinnenthurm
Der Feindesfeste lassen wehen.
Gewiß! es zeugt von hohem Muthe,
Und überströmt vom eig’nen Blute
Die Batterie keck zu erstürmen,
Doch höh’rer Muth wohnt in der Brust
Dem, der da wacht an Krankenbetten,
Ein sieches Leben zu erretten.
Ihm dräut, wie jenem, vielgestaltig
Der Tod im Athmen seiner Lippe,
Denn hier wie dort schwingt allgewaltig
Doch furchtlos schaut sein klarer Blick,
Bedacht, zu warten und zu pflegen,
Bis ihn ereilet das Geschick,
Bis er dem Gifthauch selbst erlegen.
Dann dieser Kämpfer, die ihr Leben,
Um fremdes zu erhalten, wagen,
Nicht fremdes zu vernichten streben?
Wer schmückt ihr Grab mit frischem Reis
Wer ist von Euch, der solchen Preis
Den todesmuth’gen Helden reiche?
Dort in des Friedhofs stiller Ecke,
Im Schatten düsterer Cypressen,
Begraben und – auch schon vergessen.
So stumm, wie ihre Gräber, schweigt
Ein jeder Mund von ihrem Ruhme,
Kaum, daß uns ihre Stätte zeigt
So war’s bis heute. Anders werde
Von heute an der Preis der Ehren!
Wer wird dem Volk der deutschen Erde
Das Winden seiner Kränze wehren?
Der Schwerteshelden Gräber prangen,
Sei Euch vom Volkesdank der Kranz
In seinem Tempel aufgehangen.
Eine Künstlerhuldigung im Waffenrocke. In M. in Westphalen besteht eine Liedertafel, welche sich viel mit Aufführungen der Compositionen von Julius Otto beschäftigte und deshalb den Meister hoch in Ehren hält. Nach einer Aufführung der „Mordgrundbruck“ sandten die Aufführenden dem Componisten ein Album mit der Photographie der Einzelnen unter Bezeichnung ihrer Rollen. Der Aufruf zu den Waffen hob die Sängergesellschaft auf. Sie fanden sich aber als Landsleute in Einem Regiment wieder zusammen und konnten da Abends im Bivouac noch manchmal dafür sorgen, daß der edle Sang nicht außer Uebung kam. Das Schicksal des Krieges führte sie alsbald nach Dresden. Nach Dresden – da wohnt ja der liebe Meister Julius Otto. Der mußte jedenfalls begrüßt werden, was hätten die sonst in der Heimath gesagt. Allein er gehörte jetzt zu den Landesfeinden. Ei, was, die Musen führen keinen Krieg. Kurz, es ward beschlossen, und gegen Abend zog auf einmal eine militärische Patrouille vor das Haus des beliebten Liedercomponisten. Als er die vielen Pickelhauben aus seinem Fenster sah, mochte es dem alten Herrn wohl etwas sonderbar zu Muthe sein, als diese aber plötzlich anhuben und eine seiner Weisen in kräftigem vierstimmigem Chor zu ihm hinaufdrang, da wurde es dem Meister gar wohl und selig um das Sängerherz. Er trat an’s Fenster, grüßte und dankte für diesen deutschen Sängergruß.
Bitte an edle Menschenfreunde. Unser Sohn, Friedrich Rühmland, Gefreiter bei der zweiten Compagnie des sechsundzwanzigsten Infanterie-Regiments, viertes Armeecorps, siebente Division, ist in der Schlacht bei Königgrätz, wie es heißt, im Rücken verwundet worden, bis heute haben wir aber noch keine Nachricht von ihm. Wir sind über sein Verschwinden untröstlich und bitten Alle, die von seinem Leben oder seinem Tode Kenntniß haben, uns ungesäumt hiervon Nachricht geben zu wollen. Kosten werden wir gern erstatten.
zu Hohenwarthe bei Burg.
Mit dieser Nummer schließt das dritte Quartal. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.
Leipzig, im September 1866.
Die nämlichen bewährten Mitarbeiter, die Herren R. Benedix, Berlepsch, Beta, Bock, Brehm, Brunold, Albert Fränkel, Fr. Gerstäcker, G. Hammer, G. Hiltl, Fr. Hofmann, E. Marlitt, A. Meißner, Melchior Meyr, Prof. Richter, Max Ring, Carl Ruß, Joh. Scherr, Levin Schücking, Herman Schmid, Schulze-Delitzsch, Albert Traeger, Temme, Carl Vogt, L. Walesrode, Fr. Wallner, die Damen M. von Humbracht, E. Polko u. v. a. werden auch fortan unserm Blatte ihre regelmäßige Betheiligung zuwenden. Bereits liegt uns wieder eine reiche Auswahl von literarischen und artistischen Beiträgen vor, aus der wir nur einige wenige namhaft machen wollen, um unsern Lesern darzuthun, daß wir eifrigst bemüht bleiben, der „Gartenlaube“ den Platz zu erhalten, welchen ihr Publicum und Kritik seit langer Zeit eingeräumt haben.
In den nächsten Monaten wird u. A. zur Veröffentlichung gelangen:
Ruine Wildenfels. Erzählung von Fr. Gerstäcker. – Die Doppelcur. Novelle von Levin Schücking. – In der Propstei. Erzählung von Temme. – Benedict. Eine Priestergeschichte von Carl Heigel. – Der Baumeister unter den Thieren. Von A. Brehm. Mit Illustration. – Die Berliner Presse. – Die Rose der Braut. Eine Dresdener Kriegserinnerung. Mit Abbildung. – Der atlantische Telegraph. Von F. Althaus in London. Mit Illustrationen. – Die Weltfahrten des Pietismus. – Preußens militärischer Luther. Mit Portrait. – Bilder und Skizzen aus New-York. Von Herman Raster. – Ein Soldatenfürst des vorigen Jahrhunderts. Von F. v. D. Mit Illustration von Th. v. Oer. – Ein deutscher Komiker. Von Franz Wallner. – Der Bayard der französischen Revolution. Mit Abbildung. – Der Kanonenkönig. – Eine Frauenakademie in Nordamerika. Mit Illustration. – Volksaberglaube in Altbaiern. – Erinnerungen von den deutschen Schlachtfeldern. Von G. Hiltl. – Im Ries. Von Melchior Meyr. Mit Illustration von Enhuber. – Aus dem Tagebuche eines sächsischen Officiers. – Durch den Schwarzwald. Skizzen von Ludwig Steub. Mit Bildern von Th. Pixis. – Carl August und sein Leibjäger. Von Buchner. etc.
Den Tagesfragen und Zeitereignissen werden wir nach wie vorher unsere besondere Aufmerksamkeit schenken und, wie wir es von jeher als eine unserer Hauptaufgaben betrachtet haben,
mit dem gleichen warmen Interesse umfassen. Parteihader und Krieg haben mit den Leidenschaften, die sie wachrufen, hier und da die Gemüther unserer nord- und süddeutschen Brüder momentan einander entfremdet; wir werden vor Allem dahin streben, wieder zu versöhnen und zu vereinigen, was untrennbar zusammen wirken muß, um dem Vaterlande die ihm gebührende nationale Entwickelung zu erringen, die unser Aller Ziel ist, wohnen wir diesseits oder jenseits des Maines.
Leipzig, September 1866.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Wolfgang Roritzer starb 1514. (12. Mai ist ein Datum nach altem Stil.)