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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1861
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[289]

Ein Deutscher

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

„Ich bin Ihnen für Ihre Freundlichkeit von Herzen dankbar, Sir,“ begann Reichardt langsam, als Burton geendet, „ich gestehe Ihnen aber freimüthig, daß es mir widerstrebt, einen Schritt in dieser Art zu thun. Ist mir Mr. Young freundlich gesinnt, so bedarf es keiner Verständigung, die, auf diese Weise gesucht, mich demüthigen müßte; ist er mir aber abhold, so würde auch der Versuch, ihn zu gewinnen, nichts nützen. Ich kam hierher mit dem Gedanken, durch meine Leistungen einen noch leeren Platz auszufüllen, und bemerkte deshalb auch den Gentlemen gestern Abend, daß ich lieber wieder gehen würde, als die Ursache des geringsten Zwiespaltes werden möchte –“ er hielt inne, als wolle er seinem Gesellschafter die Ergänzung selbst überlassen.

Burton fuhr sich mit der Hand durch das buschige Haar. „Es ist etwas Wahres in dem, was Sie da sagen,“ erwiderte er, „indessen versteht es sich wohl von selbst, daß wir Sie nicht so ohne Weiteres von hier weg lassen und daß ich Harriet’s Wort gegen Sie möglichst zu Ehren bringen muß. Ich werde heute noch einmal mit einzelnen meiner Freunde reden, und wenn sich kein anderer Weg findet, morgen selbst Young aufsuchen –“ er rieb sich von Neuem den Kopf, als ginge ein unangenehmer Gedanke durch seine Seele.

Reichardt erhob sich. „Ich wünschte nicht, Mr. Burton, daß Sie sich meinetwegen die kleinste Unannehmlichkeit auflüden –“

„Durchaus nicht, Sir – durchaus nicht!“ unterbrach ihn der Amerikaner, seinen Gast nach der Thür geleitend, „ich erwarte jedenfalls Ihren Besuch morgen Abend und denke, Ihnen dann günstigere Mittheilungen machen zu können!“

Der Deutsche verließ das Haus und nahm seinen Weg langsam durch die malerische Umgebung der Stadt, um ungestörter mit seinen Gedanken zu sein. Es war jetzt weniger die Sorge um sein Schicksal, was ihn erfüllte, als eine Art Haß gegen diesen Young. Er wollte gern die Stadt verlassen, hätte er doch vorher nur noch dem „Molche“ den Kopf zertreten können. Er hoffte nicht das Geringste von Burton’s Vermittelung; der Mann war schwach gegen seine Frau und seine Tochter und so wohl auch im gewöhnlichen Leben – er erfüllte jetzt die Form gegen den Fremden, da sich diese nicht wohl umgehen ließ, und dann war er mit ihm fertig. Reichardt dachte wohl auch an Harriet – aber was konnte diese für ihn thun, selbst wenn sie sich in seinem Interesse hätte bloßstellen wollen?

Es war längst „Dinner“-Zeit vorüber, als er in seinem Hotel anlangte, wo ihm Bob nach dem leeren Speisezimmer winkte. „Ich habe für Sie etwas zurückgestellt, Sir! “ sagte er, eifrig ein Couvert auflegend.

„Und das geschieht wohl nicht für Jeden?“ fragte Reichardt.

„Wohl nicht immer, Sir, aber ich habe Sie gern!“ erwiderte Jener mit der eigenthümlichen Zuthulichkeit der Schwarzen in den südlichen Staaten.

Der Deutsche nickte. „Ich glaube, mir geht es mit Euch eben so, Bob!“ gab er freundlich zurück, und ein helles Grinsen nahm das ganze Gesicht des Aufwärters ein.

Kaum hatte Reichardt seine Mahlzeit beendet und sein Zimmer erreicht, als sich die Thür wieder öffnete und Bob’s Kopf erschien. „Haben Sie mich gerufen, Sir?“

„Kommt nur herein, wenn Ihr Zeit habt,“ erwiderte der junge Mann, welchem die Erscheinung gerade recht zu kommen schien; „habt Ihr etwas auf dem Herzen, worin ich Euch helfen kann, so sagt es gerade heraus – es schien mir heute Morgen so!“

Der Schwarze zog seinen Mund fast bis zu den Ohren und begann seine Hände zu kneten. „Ich weiß nicht!“ sagte er nach einer Weile zögernd, sich scheu nach der Thür umsehend.

„Well, Bob, dann nachher; es fällt mir eben etwas Anderes ein!“ unterbrach Reichardt die Pantomimen des Negers. „Ich werde jedenfalls schon übermorgen früh abreisen und vielleicht kann ich Euch nicht wieder sprechen. – Wie war das Nähere über die Geschichte zwischen Young und Euerm Herrn?“ fuhr er mit vorsichtig gedämpfter Stimme fort.

„Sch! um Christi Willen!“ rief der Wollkopf wie in einem plötzlichen Schrecken beide Hände erhebend.

„Ich weiß, Bob, ich weiß!“ entgegnete der Deutsche noch leiser, „es geht mich auch nichts an; aber die Geschichte interessirt mich, da ich einmal so viel davon gehört habe, und man lernt daraus die Verhältnisse hier kennen!“

„Ich darf kein Wort sagen, Sir,“ versetzte der Schwarze, wie in halbem Entsetzen, „er verkaufte mich hinunter nach den Zuckerplantagen, wenn etwas davon auskäme!“

Reichardt sah ihn eine Secunde ungewiß an. „Alles Unsinn!“ sagte er dann, sich kalt wegdrehend; „was ich von Euch wissen wollte, macht an der Sache, die ich kenne, nichts schlimmer und nichts besser. Sagt, daß Ihr nichts wißt, Bob, und so braucht Ihr wenigstens einem Manne, der gern für Euch gethan hätte, was er gekonnt, keine unwahren Flausen vorzumachen.“

„O Sir, sagen Sie nicht so!“ rief der Neger erregt, aber mit ängstlich unterdrückter Stimme, „ich habe ja die Miß Young [290] selbst mit in’s Kirchenstübchen getragen, als sie zu Boden stürzte; ich würde mir lieber die Zunge abbeißen, als Ihnen eine Lüge sagen, Sir!“

Durch Reichardt’s Gehirn schoß plötzlich ein heller Blitz – die methodistische Glaubenserweckung, von welcher ihm Harriet erzählt, die Konvulsionen, in welche Young’s Schwester dabei gefallen war; – noch fehlte ihm jeder Zusammenhang, aber er ahnte, um was es sich handeln könne. „Ich verlange nicht, Bob, daß Ihr mir etwas von der Sache selbst sagt, ich brauche sie von Euch nicht zu hören,“ begann er, sich wieder nach dem Aufwärter kehrend, „ich möchte nur wissen, wie Young dazu kam; – ich bin übermorgen aus der Stadt, und Ihr lauft mit keinem Worte Gefahr,“ fuhr er fort, als er den Schwarzen wieder furchtsam den Kopf zwischen die Schultern ziehen sah, „ich verspreche Euch aber als ehrlicher Mann, daß, wenn Ihr mir die wenigen Andeutungen geben wollt, ich Euch eine Violine aus dem Westen schicken werde, wie sie hier herum nirgends zu haben sein soll!“

Der Neger schien Reichardt’s Gesicht scheu zu studiren. „Es liegt mir im Augenblick nicht so viel an der Violine,“ sagte er nach einer Pause, einige Schritte näher herantretend, während es sonderbar um seine Augen zuckte, „aber ich möchte Sie wohl um Einiges fragen, Sir, und wenn Sie mir bei Christus schwören wollen, daß Sie keinem Menschen verrathen wollen, was ich gefragt, so will ich Ihnen erzählen, was Sie verlangen – da Sie doch einmal die Hauptsache schon wissen.“

„Es hätte keines Eides meinerseits bedurft, Bob,“ erwiderte der junge Mann, der mühsam an sich hielt, um die Spannung nicht zu verrathen, welche sich plötzlich seiner bemächtigte und selbst die Neugierde nach dem Geheimnisse, welches der Schwarze auf dem Herzen zu haben schien, nicht aufkommen ließ. „Da Euch aber etwas daran zu liegen scheint, so schwöre ich hiermit bei Christus, daß ich Niemandem verrathen will, was Ihr mich fragen werdet, und ich verspreche Euch auch diese Fragen nach besten Kräften zu beantworten!“

Der Neger that einen tiefen Athemzug, sah sich scheu nach der Thür um und sagte dann halblaut: „Well, Sir – was soll ich Ihnen nun sagen?“

„Ich bin fremd im Lande und in dem hiesigen Methodistenwesen, das ich aber gern kennen lernen möchte,“ erwiderte Reichardt in scheinbarer Ruhe, „fangt also nur an, wo Ihr selbst meint, Bob!“

Der Schwarze warf nochmals einen scheuen Blick um sich und trat dann dicht an den Tisch heran, auf welchen sich der Deutsche stützte.

„Es war am dritten Abend des Revivals, wo die Sache passirte,“ begann er halb flüsternd, „ich weiß es noch genau, denn ich hatte doppelt so viel Lampen als gewöhnlich anzünden müssen. Der fremde Prediger, der zur neuen Glaubenserweckung gekommen war, hatte so gewaltig gesprochen, daß viele Bekehrungen geschahen und über eine Menge der Geist sich ausgoß; es war ein Niederwerfen und Stöhnen und Händeringen, wie ich es noch niemals gesehen. Mit einem Male aber sprang die Miß Young in die Höhe und schrie, daß man’s durch die ganze Kirche hörte: „Christ is coming! Glory, Glory, Glory!“ und schlug mit den Armen um sich, und „Glory!“schrieen die Anderen, und plötzlich stürzte die junge Miß zu Boden. Da fing der fremde Prediger wieder an zu reden, daß es nur so donnerte, und es ging wieder los unter den Uebrigen mit Schlagen vor die Brust und Stöhnen; Mr. Curry aber war auf die junge Miß zugetreten, die mit Händen und Füßen zuckte, und winkte mich von der Seitenthüre herbei, wo mein Platz war, um immer bei der Hand zu sein. Ich mußte sie unter den Armen fassen, er nahm ihre Füße auf, und so trugen wir sie in’s Kirchenstübchen – von den Andern, die um sie herum gewesen waren, hatte noch nicht einmal Eins den Kopf nach ihr gedreht. Wir lehnten sie in’s Sopha, und Mr. Curry schickte mich durch die Hinterthür, wo es in’s Freie geht, fort. Well, Sir, ich war von dem langen Sitzen auf einem Flecke müde und vertrat mir ein Weilchen die Beine; da kommt, eben wie ich daran denke, meinen Platz wieder einzunehmen, Mr. Young an mir vorbeigeschossen und will in’s Kirchenstübchen – die Thür aber war verschlossen. Er rüttelt erst ein- oder zweimal, dann that er einen gewaltigen Stoß dagegen, und die Thür springt auf.“

Der Schwarze machte eine Pause und sah wie in scheuem Zögern dem jungen Manne in’s Gesicht. Dieser aber nickte ruhig und sagte: „Ich weiß schon, was kommt, Bob, erzählt nur ohne Furcht weiter!“

Bob that einen tiefen Athemzug, blickte wieder ängstlich um sich und fuhr dann flüsternd fort: „Ich hatte einen Gedanken, es könne hier ein Unglück geben – er war mir so plötzlich gekommen, daß ich selbst nicht weiß, woher – und ich sprang mit zwei Sätzen an die aufgebrochene Thür. Mister Curry stand so weiß wie sein Hemdenkragen vor dem Sopha, auf dem die junge Miß lag, und hielt den jungen Gentleman zurück, der zu seiner Schwester wollte; der aber riß ihn mit einem Ruck auf die Seite, und ich konnte nun sehen, daß die junge Lady, die ihre Sinne noch nicht recht zu haben schien, nicht –“ der Erzähler warf auf’s Neue einen scheuen Rundblick durch das Zimmer, „nicht mehr so anständig dalag, als wir sie hingelegt hatten. Mr. Young hatte auch kaum seine Augen auf sie gerichtet, als er auch meinen Herrn bei beiden Schultern packte. Aus der Kirche klang’s gerade jetzt wieder: „Glory! Glory! Glory! “, ich aber dachte: jetzt geht’s los! trat in die Thür und sagte: „Bob ist jetzt hier, Mr. Curry!“ Der junge Gentleman fuhr nach mir herum, und ich sah, daß er trotz der Wuth in seinem Gesichte unschlüssig wurde, was er thun solle. Endlich nahm er seine Hände von Mr. Curry’s Schulter, sah ihn aber an, als wolle er ihn mit seinen Augen erstechen. „Ich spreche Sie morgen früh, Sir!“ sagte er, und die Aufregung schien ihm die Kehle halb zuzuschnüren. Das war auch das erste Wort, was gesprochen ward, oder was ich wenigstens gehört. Dann richtete er die junge Lady auf, sie wankte wie betrunken in seinen Armen, er kehrte sich aber nicht daran, faßte sie zur Unterstützung um den Leib und führte sie nach der Thür, die ich geschwind genug frei machte. Ich hatte noch keine zwei Minuten außerhalb gewartet, ob mich Mr. Curry vielleicht brauche, als er mich hineinrief. Er sah wieder so gleichmüthig wie jemals zuvor aus und ging langsam auf und ab. „Das ist ein Wahnsinniger, dem aber Verstand beigebracht werden soll,“ sagte er; „indessen, Bob“ – und damit blieb er vor mir stehen und sah mich mit Augen an, die ich gut genug kannte, es war noch jedesmal, wenn er so blickte, der bitterste Ernst dahinter gewesen – „ich will nicht, daß etwas verlautet, kein Hauch davon, Bob! unser heutiger glorioser Tag soll nicht durch das leiseste Wort beschmutzt werden!“ Er hob den Finger auf, aber ich wußte auch ohne das genug. – Als ich wieder auf meinem Platze in der Kirchthür ankam, sah ich auch schon Mr. Curry beim Altar, und bald darauf fing er selber an zu predigen, so schön und rührend, wie er es noch kaum gethan. – Well, Sir,“ fuhr der Sprecher mit einem neuen Athemzuge fort, als habe er eine schwere Aufgabe hinter sich, „am nächsten Morgen kam Mr. Young schon ganz früh in unser Haus und sah aus wie eine schwarze Gewitterwolke, die nur auf einen kleinen Anstoß wartet, um loszublitzen und zu donnern. Ich führte ihn, wie es mir geheißen worden war, sogleich in die Bibliothek; als er aber – es mochte wohl eine Stunde vergangen sein – das Haus wieder verließ, begleitete ihn Mr. Curry bis vor die Thür, sie drückten sich die Hände, und wenn es auch noch nicht gerade Sonnenschein auf Mr. Young’s Gesichte war, so konnte ich doch sehen, daß das Gewitter sich seitwärts weggezogen hatte. Es blieb auch Freundschaft von da an; aber ich merkte bald, daß jetzt mein Gesicht meinem Herrn im Wege war; er fing an über mein Fiedeln zu reden und brachte mich endlich hierher in’s Hotel –“ der Sprechende hielt plötzlich inne und horchte, „das ist die Stage!“[1] rief er, und im gleichen Augenblicke begann auch die Hausglocke zu läuten. Mit zwei vorsichtigen Sprüngen war der Schwarze an der Thür, öffnete diese geräuschlos, und wenige Secunden darauf hörte Reichardt seine Stimme bereits von der Straße heraufklingen.

Der junge Deutsche begann mit langen Schritten sein Zimmer zu durchmessen. Bob hatte nichts von dem zu erzählen gewußt, was die plötzliche Freundschaft zwischen Young und dem Pfaffen geschaffen und diese an die Stelle der drohenden Rache, zu welcher der Erstere nur zu sehr berechtigt gewesen wäre, gesetzt – aber Reichardt war so vollkommen klar darüber, als hätte er eine Mittheilung der kleinsten Details erhalten. Harriet und ihr Vermögen waren der Preis, mit welchem sich Curry Verschwiegenheit gesichert, der Preis, um welchen Young die Ehre seiner Schwester verkauft hatte. Rascher wurde der Gang des jungen Mannes; seine Wangen begannen sich zu röthen und seine Augen einen eigenthümlichen Glanz anzunehmen; der alte Burton hatte ihm gerathen [291] sich mit Young zu verständigen – jetzt ließ sich das thun, wenn auch dem „Molche“ dabei der Hals zugeschnürt wurde, daß er wohl gern für alle Zeiten sich von Reichardt’s Wege fern hielt. Reichardt blieb stehen, blickte wie scharf überlegend eine Weile vor sich hin, griff dann, wie noch immer mit seinen Gedanken beschäftigt, nach seinem Hute und verließ langsam das Zimmer. In der „Office“ des Hotels erkundigte er sich nach der Lage von Young’s Geschäftslocal, brannte sich eine Cigarre an und verfolgte dann den ihm angedeuteten Weg.

Der ganzen Erscheinung nach war es eine Art Commissions- und Speditions-Geschäft, wie es deren im Inlande zur Vermittelung des Weitertransports der Plantagen-Erzeugnisse und derartigen Geschäften überall giebt, welches Young betrieb. Reichardt trat in einen langen, theilweise mit Ballen und Fässern besetzten Raum, und wurde von einem hier beschäftigten jungen Manne nach einem durch rohe Breter abgetrennten Stübchen im Hintergrunde gewiesen. Young saß, als Reichardt die Thür öffnete, an einem hohen Schreibpulte, in die Durchsicht verschiedener Papiere vertieft und hob erst den Kopf, als er von dem Eingetretenen seinen Namen nennen hörte. Einen Augenblick schien er beim Anblicke des Deutschen überrascht; dann aber verzog sich sein Gesicht zu einem Lächeln, in welchem sich eine unverhehlte Befriedigung mit einem halbunterdrückten Hohne mischte. „Ah, Mr. Reichardt!“ sagte er, sich langsam auf seinem Schemel herumwendend, „nehmen Sie Platz, Sir!“

„Ich komme, Mr. Young,“ begann der Deutsche, sich auf dem nächsten Stuhle niederlassend, „um ein Verständniß zwischen uns zu versuchen, das für uns Beide nothwendig sein dürfte.“

„Ah, für uns Beide!“ versetzte mit affectirter Verwunderung der Amerikaner, während der Hohn um seinen Mund stärker hervortrat.

„Jawohl, für uns Beide, Sir!“ erwiderte Reichardt, langsam seine Cigarre zum Munde führend und eine leichte Wolke von sich blasend. „Sie hegen Wünsche in Bezug auf Miß Harriet Burton, Sir,“ fuhr er ruhig fort, „und halten mich für einen Stein in Ihrem Wege, den Sie in irgend einer Weise beseitigen müssen –“

„Nicht daß ich wüßte, Sir, oder mir auch nur vorstellen könnte, wie Sie sich in meinen Weg stellen könnten!“ unterbrach ihn Young, die Lippen geringschätzig kräuselnd.

„Wird Ihnen vielleicht klar werden, wenn Sie mich nur, wie es zwischen Gentlemen üblich ist, ausreden lassen wollen!“ entgegnete Reichardt, von Neuem seine Cigarre hebend. In Young’s Gesicht stieg eine leichte Röthe; der Erstere aber fuhr ruhig fort: „Ich möchte Ihnen nun zweierlei sagen, Sir. Miß Burton’s Verhältniß zu mir hat, wie es sich schon von selbst versteht, nichts als ihre Liebe für gute Musik zum Grunde und kann auch in der entferntesten Weise nicht andern Beziehungen im Wege stehen; demohngeachtet sind Ihre Bewerbungen um Miß Burton aus ganz bestimmten Gründen so vollkommen vergebliche, Sir, daß Sie durch Anfeindung eines armen Menschen, wie ich es bin, nicht allein auf einer ganz falschen Fährte laufen, sondern auch die größte Ungerechtigkeit begehen.“

Ein leichter Spott spielte jetzt um Reichardt’s Lippen; Young’s Gesicht hatte sich höher gefärbt, und nur mit Mühe schien er an sich zu halten. „Ich werde schnell zu Ende sein, Sir,“ fuhr der Erstere, zwei neue Wölkchen aus seinem Munde blasend, fort. „Die bestimmten Gründe nun, von denen ich sprach, liegen darin, daß Miß Burton genau von dem Verhältniß, welches Sie und Mr. Curry vereinigt, unterrichtet ist, daß sich die Lady nicht zum Preis für die Verschweigung einer Angelegenheit, die nur zwischen Ihnen und dem Prediger liegt, machen lassen will und daß sie jetzt nur abwartet, wie weit der Druck, welcher durch Curry’s Einfluß auf sie ausgeübt wird, gehen soll. Miß Burton empfindet es zugleich auf die unangenehmste Weise, daß das Wort, welches sie mir für meine Anstellung als Organist verpfändet, durch eine Opposition, deren Hauptleiter sie in Ihnen erblickt, zu nichte gemacht werden soll, und so dürften Sie mich vielleicht jetzt verstehen, wenn ich eine Verständigung um unser Beider willen für gut halte.“

Aus Young’s Gesicht war mehr und mehr alles Blut gewichen, seine Augen blickten starr auf den Sprecher, und seine Hände hatten sich wie unwillkürlich geballt. Eine Pause erfolgte, nachdem Reichardt geschlossen, und erst nach einer Weile schien dem Amerikaner ein bestimmter Gedanke zu kommen. Er stieg von seinem Schemel, ging nach der Thür und sah hinaus – der Deutsche hatte sich vorsichtig gerade aufgesetzt und beobachtete scharf jede seiner Bewegungen; Young aber nahm langsam seinen frühern Platz wieder ein, sah finster vor sich nieder und sagte: „Hat Ihnen Miß Burton den Auftrag gegeben, mir diese Eröffnungen zu machen?“

„Nicht im Entferntesten, Sir, und ich glaube auch nichts dem Aehnliches gesagt zu haben,“ erwiderte Reichardt, die Asche von seiner Cigarre schnellend. „Daß ich hierher kam, geschah aus keinem anderen Grunde, als Sie aus einem Irrthume zu reißen, unter welchem Sie augenscheinlich handelten, und so uns in das rechte Verhältniß gegenseitig zu setzen. Sie mögen zugleich versichert sein, daß es jetzt einzig in Ihrer Hand liegt, einen Eclat zu vermeiden – Miß Burton wünscht diesen gewiß eben so wenig als ich selbst. Der alte Mr. Burton wird morgen bei Ihnen sein, um Sie wegen der Organistenstelle zu meinen Gunsten zu stimmen; thun Sie dann, was Ihnen recht scheint; glauben Sie indessen, Sir, daß meine Stellung Ihnen gegenüber immer genau dieselbe sein wird, die Sie gegen mich einnehmen.“ Er warf einen Blick auf Young, der wort- und regungslos vor sich niederstarrte, erhob sich dann und verließ mit einem „Good evening, Sir!“ den Raum. Er fühlte sich frei und leicht, als er die Straße erreicht; er hatte in der ruhigsten Weise seine Absicht ausgeführt und wohl dadurch zumeist die rechte Wirkung erzielt. Jetzt hätte er am liebsten zu Harriet eilen mögen, um ihr die Botschaft zu bringen, auf welche sie sicher am wenigsten vorbereitet war; aber die Sonne war eben erst im Untergehen begriffen, und so nahm er, während die eben durchlebte Scene nochmals Wort für Wort an seiner Seele vorüberzog, seinen Weg wieder nach dem Hotel.

„Ein feiner Abend, Sir!“ empfing ihn der Wirth, welcher von der Veranda aus den prächtig gefärbten Himmel beobachtete, „werden morgen splendides Wetter haben. – Fiel mir eben ein,“ fuhr er fort, als Reichardt neben ihn trat, „ob Sie nicht gern einmal einen Ausflug machten. Ich denke morgen früh nach meiner Farm zu fahren; sie liegt ganz wunderhübsch dort hinaus zwischen den Bergen, und Alles zusammen ist es nur eine Spazierfahrt von zwei Stunden. Sie sind willkommen, wenn Sie mich begleiten wollen, Sir!“

Das Anerbieten kam dem jungen Manne ganz gelegen, er hätte sonst kaum gewußt wie die Zeit hinzubringen, die ihn von seinem morgenden Besuche bei Burton und der letzten Entscheidung über sein augenblickliches Schicksal trennte. Er sagte dankend zu, und der Hotelbesitzer, der sich für seinen jungen Gast zu interessiren schien, zog zwei Stühle herbei, ein Gespräch über Reichardt’s Heimath und die allgemeinen deutschen Verhältnisse einleitend. Reichardt’s Gedanken aber waren mehr bei dem, was sich aus seiner Zusammenkunft mit Young entwickeln konnte, als bei den neugierigen Fragen seines Wirths, und er war froh, daß schon nach Kurzem die Speiseglocke dem Gespräche ein Ende setzte. –

Es war zehn Uhr vorüber, als Reichardt das Hotel wieder verließ. Er nahm den nächsten Weg aus der Stadt, um auch gegen zufällige Begegnungen das Ziel seines Ganges zu verdecken. Eine laue, würzige Nacht lag über der Gegend, eine Nacht voller Sterne, wie sie der Deutsche in dieser Klarheit und funkelnden Pracht noch nie gesehen zu haben meinte. Von den fernen Akazien klang das eigenthümliche Geschrei der Locusts herüber, untermischt mit einzelnen Rufen der Ochsenfrösche. Um den Wandernden her lebte und raschelte es in Gras und Laub, summte es in der Luft, und je weiter Reichardt ging, je mehr fühlte er sich von dieser berauschenden Luft, von diesem eigenthümlichen Nachtleben erregt. Er hatte einen weiten Bogen zu machen, um nach Burton’s Haus zu gelangen, und als er endlich nach länger als einer Stunde seines langsamen Spazierganges die Hinterthür der Umzäunung erreichte, mußte er erst eine Weile stille stehen, um das Herzklopfen, das ihn plötzlich überkommen, zu beruhigen. Behutsam öffnete er endlich die Thür und wandte sich nach dem Laubgang, durch welchen ihn am Abend vorher Harriet geführt. Dunkel und still lag bald das Haus vor ihm, und nur in den beiden bezeichneten Fenstern machte sich ein schwacher Lichtschein bemerkbar. Eben als er sich nach dem Boden bog, um nach einigen Steinchen zu suchen, kam ihm der Gedanke, welchen Grund seiner Anwesenheit er wohl angeben könne, falls er durch irgend einen Zufall entdeckt werde. Heimliche Wege lagen so ganz außer seiner Denk- und Handlungsweise, daß er sich bei dem ersten Unternehmen dieser Art, das nicht einmal durch einen eigenen, innern Drang hervorgerufen [292] war, ganz ohne Boden fühlte und er sich einer Art Feigheit nicht erwehren konnte. Eine geraume Weile stand er horchend und spähend, bis er seine Umgebung für sicher hielt. Dann trat er in’s Freie, und der aufgeraffte feine Kies flog gegen eins der Fenster. Ein leises Klopfen an die Scheiben ließ sich dort als Antwort hören. Reichardt trat tief aufathmend unter den bergenden Laubgang zurück und bald sah er eine helle Gestalt aus einer der Treppen herabgleiten. „Hier bin ich, Miß Harriet!“ rief er leise, als sie zu ihm in das Dunkel trat, und faßte ihre Hand, die sich fest um die seinige schloß.

„Es ist gut, daß Sie gekommen sind,“ sagte sie sichtlich erregt, „es wird Alles aufgeboten, um Ihr Bleiben hier unmöglich zu machen, selbst Ihre besten Freunde schütteln die Köpfe vor dem Gespenste Zwiespalt in der Kirchengemeinde – Vater hat Ihnen ja schon das Nöthige gesagt, er hat sich heute wieder ein paar vergebliche Wege gemacht. Aber Sie werden hier bleiben, Sir,“ fuhr sie fort, und Reichardt fühlte einen warmen Druck ihrer Hand, „Harriet Burton wird dem ganzen Gethier zeigen, daß sie durchsetzen kann, wofür sie ihr Wort gegeben –“

„Einen Augenblick nur, Miß,“ unterbrach sie Reichardt, „ich glaube, wir haben unsere beiderseitigen Angelegenheiten vollständig in unserer Gewalt. Ich habe heute Glück gehabt und den feindlichen Spieß herumgedreht.“ Und damit begann er die Erlebnisse des Tages in allen Einzelnheiten zu erzählen. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber er fühlte jede ihrer Empfindungen an diesen weichen Fingern, die sich bei einem spannenden Momente halb von seiner Hand lösten, bald sich wieder dichter darum schlossen.

Eine Pause folgte, als Reichardt geendet. „Sie haben gehandelt,“ sagte sie endlich langsam, seine Hand loslassend, „wie es vielleicht dem Manne zukommt, Auge gegen Auge; und doch wäre es besser gewesen, Sie hätten die ganze Angelegenheit in meiner alleinigen Macht gelassen. Mir haben Sie jetzt wohl die beste Waffe in die Hand gegeben; sich aber haben Sie in Young und dem Prediger zwei Feinde geschaffen, die wahrscheinlich nicht mehr offen gegen Sie auftreten, aber Ihnen im Verborgenen den Boden unter den Füßen abgraben werden. Ich hätte Sie so gern ganz ohne directen Antheil an dem Kampfe gesehen, damit Sie völlig rein dagestanden hätten, und selbst der Haß Ihrer Gegner ohne eigentliche Begründung gewesen wäre; ich vermied schon deshalb so ängstlich jeden Schein einer nähern Bekanntschaft mit Ihnen – jetzt ist das vorüber, und wir haben zu nehmen, was kommt. Aber mögen die Schlangen doch auch ihr ganzes Gift verspritzen,“ fuhr sie plötzlich lebhaft fort, „sie sollen nicht in Harriet Burton’s Bereich kommen. Merken Sie, Sir,“ und sie faßte von Neuem kräftig seine Hand, „möge auch geschehen, was da wolle – und ich weiß, es wird nicht ausbleiben, was es auch sei – benachrichtigen Sie mich sofort, und Harriet wird zu Ihnen stehen und – und wird Alles vergessen, was nur ihrer Rücksicht bis jetzt heilig gewesen ist!“ Es war ein eigenthümlicher Ton, der in diesen Worten klang, ihre Stimme war gesunken und schien unter ihrer Empfindung zu beben. „Gehen Sie jetzt, es ist besser!“ fuhr sie in demselben Tone fort, und Reichardt fühlte seine Hand umschlossen, daß es ihm warm bis zum Herzen stieg, „denken Sie daran, was ich Ihnen sagte, und bauen Sie auf Harriet!“ Sie zog ihre Hand in einer Art von Hast zurück und wandte sich dem Hause zu; ohne sich umzublicken, eilte sie die Treppe hinauf und verschwand in der Thür des Balkons.

Reichardt stand noch zwei Minuten auf demselben Platze, ihr nachblickend; der eigenthümliche Ton ihrer letzten Worte klang noch immer in seinen Ohren, und eine Ahnung, sein ganzes Inneres rebellirend, stieg in ihm auf. Er hatte seinen Rückweg angetreten, fast ohne es selbst zu wissen, und erst als er sein Hotel vor sich sah, kam er wieder zum rechten Bewußtsein seiner selbst. Langsam stieg er die Treppe nach seinem Zimmer hinauf, brannte sich Licht an und blieb dann in der Mitte des Raumes stehen. „Es ist ein wahnsinniger Gedanke,“ sprach er vor sich hin, „und doch ist bei ihr Alles möglich!“ Wieder versank er in Gedanken und schüttelte dann langsam den Kopf. „Und wenn es wäre, könnte ich denn’? – Schlafe, Max,“ fuhr er sich aufrüttelnd fort, „wenn es Morgen ist, werden die Einbildungen verdunstet sein!“ Er warf seine Kleider von sich, löschte das Licht und kaum hatte er sein Lager gesucht, als auch schon der Schlaf über ihn kam, mit neuen Bildern jede andere Erinnerung aus seiner Seele scheuchend.




Die Sonne schien bereits hell in sein Zimmer, als er am andern Morgen erwachte. Sonst hatte ihn immer Bobs Eintreten, der seine Kleider zum Reinigen abholte, geweckt; heute lag noch jedes Stück seines Anzugs, wo es Abends zuvor Platz gefunden. Er sah nach seiner Uhr, es ging bereits auf neun; die Landpartie, welche er schon früh mit dem Wirthe hatte machen sollen, fiel ihm ein – es war sonderbar, daß er nicht geweckt worden war, und mit einiger Verwunderung verließ er sein Bett.

Als er nach kurzer Toilette sich nach der bereits verlassenen Frühstückstafel begab, währte es eine geraume Zeit, ehe er einen der schwarzen Aufwärter habhaft werden konnte. „Wo ist Bob?“ war seine erste Frage. Der Neger sah ihn mit einem Blicke an, dessen Ausdruck sich Reichardt umsonst zu erklären suchte, zog dann die Schultern in die Höhe, warf einen Blick um sich und sagte mit einem Grinsen, in dem sichtlich eine Bedeutung lag: „Ich weiß nicht, Sir!“

Der Deutsche sah eine Secunde lang ungewiß in das schwarze Gesicht. „Ist etwas mit ihm vorgefallen?“ fragte er.

„Weiß nicht, Sir!“ war die erneuere Antwort; mit gedämpfter Stimme aber fuhr der Sprecher fort: „Mr. Curry kam gestern Abend noch spät und frug nach Bob; der mochte es ihm aber beim Eintreten wohl schon angesehen haben, daß irgend etwas nicht recht war; er schlüpfte zur Hinterthür hinaus, und seit der Zeit haben wir nichts wieder von ihm gesehen – er ist die ganze Nacht nicht in’s Haus gekommen.“

Auf das Herz des jungen Mannes legte sich schwer der Gedanke, daß sein Gespräch mit Young wahrscheinlich Bob’s Unglück geworden war. Es lag auf der Hand, daß der Erstere nach des Deutschen Weggange sogleich den Prediger aufgesucht und dieser auf den Schwarzen, als den einzigen Zeugen des Vorgangs in der Sacristei, den Verdacht eines Verraths geworfen hatte. Reichardt war sich bewußt, nur dem Triebe der Selbsterhaltung gefolgt zu sein, und zu ändern war jetzt auch nichts mehr. Trotzdem ging er nach beendetem Frühstück in der unangenehmsten Stimmung nach seinem Zimmer zurück.

Er hatte sich dort kaum auf einen Stuhl an’s Fenster geworfen, als nach kurzem Klopfen der Besitzer des Hotels den Kopf zur Thür hereinsteckte und beim Erblicken des jungen Mannes in’s Zimmer trat.

„Sie scheinen eine gute Nacht gehabt zu haben!“ sagte er, sich unweit seines Gastes auf einem Stuhle niederlassend.

„Das heißt, ich habe unsere Fahrt verschlafen,“ erwiderte Reichardt lachend, dem es lieb war, sich aus seinen Gedanken reißen zu können, „Sie scheinen aber selbst ein Hinderniß gefunden zu haben!“

„Dem ist wirklich so!“ versetzte der Wirth. „Well, Sir,“ fuhr er fort, sich das Kinn streichend, während sich sein Gesicht in ernste Falten legte, „es ist da eine unangenehme Geschichte, um deren willen ich eigentlich zu Ihnen kam. Bob, Ihr Auswärter, ist gestern Abend unsichtbar geworden und jetzt noch nicht wieder zurück. Sein Herr, der methodistische Prediger im Orte, war gestern Abend hier, um ihn zu sprechen, und heute Morgen wieder.

Der geistliche Gentleman war ziemlich aufgeregt, als er zum zweiten Male vergebens kam, und schien keine andere Idee zu haben, als daß der Vermißte flüchtig geworden sei. Er begann die übrigen Neger-Aufwärter zu examiniren, und was er da erfuhr, scheint wirklich seinem Verdachte einen Boden zu geben. Das schwarze Volk hat sämmtlich ausgesagt, daß Sie sich immer besonders freundlich gegen Bob gezeigt und er sich dessen gerühmt habe, daß Sie ihm, nach seiner Erzählung, die verlockendsten Dinge über den Osten mitgetheilt, wie, daß es dort Niemand mit ihm als Fiedler aufnehmen könne, und daß er nur hinzukommen brauche, um dort ein großer Mann zu werden.“

Reichardt fuhr auf, aber der Hotelbesitzer winkte ihm zu schweigen. „Ich kann mir schon denken, Sir, daß in den Aussagen Manches übertrieben ist, und bin auch, wie ich Sie habe kennen lernen, überzeugt, daß das, was Sie etwa gesagt haben mögen, ohne den geringsten bösen Willen ausgesprochen war, daß Sie nur durch die Unkenntniß unserer hiesigen Verhältnisse dazu verleitet worden sind. Demohngeachtet läßt es sich nicht wegdisputiren, daß Sie in dem angedeuteten Sinne geredet, daß der Schwarze verschwunden ist, und daß diese Flucht dem Einflusse Ihrer Worte zugeschrieben wird.“

(Fortsetzung folgt.)
[293]

Theodor Mügge.

Am 18. Februar dieses Jahres starb in Berlin nach kaum achttägigem Krankenlager der Schriftsteller Dr. Theodor Mügge, ausgezeichnet durch sein Erzählertalent und durch den ehrenwerthesten Charakter, der sich in allen Verhältnissen des Lebens bekundete. Diese innige Vereinigung und Harmonie des Talents mit Charakter spiegelte sich in allen seinen Werken wie in seinem ganzen Leben wieder; sein Dichten wie sein Handeln waren eins und standen seit dem Beginn seiner literarischen Laufbahn stets im Dienste der Wahrheit, Freiheit, der Humanität und des Fortschrittes. – Theodor Mügge wurde am 8. November 1805 in Berlin geboren; frühzeitig hatte er das Unglück seinen Vater zu verlieren, welcher die Familie in mäßigem Wohlstande zurückließ. Die gutmüthige, aber nur zu schwache Mutter war nicht im Stande, den wilden, kräftigen Knaben zu erziehen, der es nicht an tollen Streichen fehlen ließ. Kaum zehn Jahre alt folgte er der ihm angeborenen Wanderlust, indem er sich mit einem gleichgesinnten Spielgefährten aus dem elterlichen Hause heimlich entfernte, um die während der Befreiungskriege auch in Deutschland populären „Kosaken“ aufzusuchen. Beide Knaben waren bereits fünfzehn Meilen weit gegangen, als sie in die Hände eines Geistlichen fielen, der den öffentlichen Aufruf der bekümmerten Eltern in den Berliner Zeitungen gelesen hatte und die kleinen, abgerissenen und von Geld entblößten Vagabunden wieder glücklich zurückbrachte. Auch in der Schule klagten die Lehrer über Mangel an Fleiß und Aufmerksamkeit, obwohl der mit der Familie befreundete Professor Seidel frühzeitig auf das poetische Talent des Knaben aufmerksam wurde und beim Lesen eines von diesem verfaßten Gelegenheitsgedichtes den prophetischen Ausspruch that: „Der Junge muß Schriftsteller werden.“

Einstweilen aber kam Mügge nach Potsdam und zwar in ein keineswegs poetisches Materialwaarengeschäft, wo er sich jedoch die Zufriedenheit seines Principals erwarb, wie der noch vorhandene Lehrbrief lobend bezeugt. Bald verließ er jedoch diese ihm durchaus nicht zusagende Laufbahn, welche er nur aus kindlichem Gehorsam und auf den Wunsch seiner Angehörigen gewählt hatte. Ein Nachhall der nationalen und kriegerischen Begeisterung aus der Zeit der Freiheitskriege führte ihn in die Reihen des preußischen Heeres und zwar zu dem Truppentheile, der sich auch stets durch wissenschaftliche Bildung auszeichnete. Nachdem Mügge in Erfurt die dortige Artillerieschule besucht, wo er sich durch Fleiß und Eifer hervorthat, trat er in die Brigade des Majors Steinfeld ein, mit dem er selbst verwandt war. Zum Oberfeuerwerker bereits befördert war er eben im Begriffe sein Officiersexamen abzulegen, als er theils auf Anrathen des ihm verwandten Vorgesetzten, theils nach eigener reiflicher Ueberlegung auf die militairische Laufbahn wieder verzichtete, weil sie mit seinen allmählich hervortretenden freisinnigen Ansichten und Ueberzeugungen sich nicht länger vereinen lassen wollte. Um sich diese Freiheit zu wahren, schwankte der energische Jüngling keinen Augenblick, das ihm nahe liegende Ziel aufzugeben und von Neuem einer ungewissen Zukunft entgegenzugehen.

Fast ohne Mittel bereitete er sich für die Universität vor, an der er vorzugsweise naturwissenschaftliche und geschichtliche Collegien fleißig hörte, indem er zugleich seinen Lebensunterhalt sich durch Stundengeben zu verschaffen suchte. Auch bei ihm war, wie bei so vielen Schriftstellern, die Noth die Mutter des Talents. In jene Zeit fielen seine ersten literarischen Versuche, zwei Bände Novellen, die er aus Dankbarkeit seinem Lehrer, dem schon genannten Professor Seidel, widmete, von dem er die erste Anregung und Hülfe erhalten hatte. Das Manuscript seines Erstlingswerkes wanderte von Buchhändler zu Buchhändler, da sich keiner finden wollte, um den Druck zu übernehmen. Endlich gelang es einem [294] Freunde Mügge’s, einen Verleger aufzutreiben, der sogar fünfzig Thaler Honorar bewilligte. Leider aber sah der arme Verfasser keine Spur von diesem Gelde, da der geschäftige Freund es vorzog, die Summe für sich selbst zu behalten, so daß Mügge sich allein mit dem Ruhm begnügen mußte. Mit dem leichten Sinne der Jugend überwand jedoch der angehende Dichter „die kleinen Leiden des Lebens“, ohne sich den ihm innewohnenden Humor trüben zu lassen, indem er mit den gleichgesinnten Freunden, zu denen auch der bekannte Schriftsteller Kattenkamp gehörte, ein frisches, fröhliches Studentenleben führte, obgleich den lustigen Burschen öfters das Geld zu einem Mittagsbrode fehlte. Die übersprudelnde Kraft Mügge’s und sein rasch aufloderndes Wesen bereitete ihm manche Verlegenheit und unangenehme Berührungen, die zu einem ernsten Duelle Veranlassung gaben.

Eine tiefe Wunde im Gesicht, deren Narbe er für das ganze Leben behielt, nöthigte ihn, längere Zeit zu Hause zu bleiben. Er benutzte diese unfreiwillige Muße zu ernsten Studien und neuen Arbeiten, die eine entschieden politische Färbung trugen. Schon damals bekannte er sich offen zur Fahne des Liberalismus, dem er seitdem mit aufopfernder Treue und Hingebung bis zu seinem Tode angehörte. So sehr er aber auch den modernen Fortschrittsideen in Wort und That huldigte, so schützte ihn doch seine innere kerngesunde Natur vor den Verirrungen jener Zeit, die mit der Emancipation des Fleisches und der Frauen, mit einer geistreichen Liederlichkeit kokettirte und nothwendiger Weise mit der gesinnungslosen Lüge enden mußte. Stets begegnen wir in Mügge’s Erzählungen und selbst in den Werken der ersten Periode einem wohlthuenden Ernst, einem ehrlichen Streben nach Wahrheit, einem gesunden Realismus, der allerdings zuweilen den idealen Aufschwung beeinträchtigt. Natur und Geschichte, die er auf der Universität mit Eifer studirte, blieben auch die Leitsterne des Dichters und verliehen seinen Arbeiten den tiefen inneren Gehalt und ihren dauernden Werth. Da ist nichts Gemachtes, kein Haschen nach Geistreichthum, kein Schönthun mit der geschminkten und parfümirten Verworfenheit, sondern gesunde Einfachheit, strenge Sittlichkeit, ohne Frömmelei, und Liebe zur Freiheit, die sich wie ein rother Faden durch alle seine Dichtungen wie durch sein ganzes Leben schlingt. –

Schon diese ersten Arbeiten fanden von Seiten des Publikums die wohlverdiente Aufnahme und Anerkennung, aber die in ihnen niedergelegte und deutlich ausgesprochene Gesinnung brachte ihn zugleich in mehrfache Conflicte mit der damaligen, dem Liberalismus feindlichen Regierung. Diese ließ es nicht an Verfolgungen, üblichen Haussuchungen und Quälereien fehlen, so daß Mügge sich gezwungen sah, die von ihm beabsichtigte akademische Laufbahn aufzugeben, da er unter solchen Verhältnissen keine Hoffnung hatte, in Preußen als Universitätslehrer angestellt zu werden. Sein Ruf als Schriftsteller, den er hauptsächlich durch den trefflichen Roman „Toussaint“ begründet hatte, sicherte ihm jedoch eine bescheidene Existenz, so daß er daran denken durfte, ein eigenes Hauswesen zu begründen. Leider wurde seine erste Ehe durch mannigfache Verhältnisse und hauptsächlich durch die fortwährende Kränklichkeit seiner Frau mehrfach getrübt. Erst mehrere Jahre nach dem Tode derselben schloß er seine zweite Verbindung mir seiner noch lebenden Gattin, die ihm das Glück der Häuslichkeit im vollsten Maße gewährte. Jetzt erst hatte sein Leben jene innere Befriedigung gefunden, nach der sich Mügge stets gesehnt; im Kreise der Familie entwickelte er eine Fülle von Liebe und Hingebung, die sein weiches Herz umschloß. Mit unablässigem Fleiße sorgte und arbeitete er bei Tag und bei Nacht für die Seinigen, um ihnen eine angemessene Existenz und später eine gesicherte Zukunft zu verschaffen. Seine schriftstellerische Thätigkeit verdoppelte sich, ohne daß darum der innere Werth seiner Werke eine Abnahme zeigte, indem er im Gegentheil von Jahr zu Jahr sich steigerte. So bot ihm die Familie zugleich Anregung und Erholung; er war der liebevollste Gatte, der zärtlichste Vater seiner Kinder, bemüht jeden ihrer Wünsche zu erfüllen. Der starke, wo es sich um seine Grundsätze handelte, unerschütterlich feste Mann besaß eine Zartheit und Weichheit des Gefühls, die nur seine vertrauteren Freunde kannten und bewunderten. Er konnte im eigentlichen Sinne keine Fliege tödten, kein Geschöpf leiden sehen. Aus vollster Ueberzeugung war er Mitglied des Antithierquälervereins, und es charakterisirt ihn hinlänglich der eine Zug, daß er auf einem Spaziergange nach Charlottenburg an einem heißen Sommertage seiner Frau und sich selbst den Gebrauch einer vorüberfahrenden Droschke versagte, weil er das arme, abgemattete Pferd schonen und nicht noch eine neue Last ihm aufbürden wollte.

Weder die glücklichste Häuslichkeit noch die anstrengendste Thätigkeit als Schriftsteller hinderte jedoch Mügge, an der politischen Entwickelung des Vaterlandes den lebendigsten Antheil zu nehmen. Die ihm innewohnende Liebe zur Freiheit bekundete er ungescheut bei jeder Gelegenheit und selbst in einer Zeit, wo ihn sein Liberalismus den schwersten Verfolgungen von Seiten der Behörden aussetzen konnte. Frühzeitig erkannte er das Heil Preußens nur in einem engeren Anschlusse an das gesammte Deutschland und in der Gewährung der verheißenen Verfassung. In diesem Sinne wirkte er durch Wort und That im engeren und weiteren Kreise, schloß er sich den Männern an, welche ein gleiches Streben verfolgten. Mit mehreren Freunden und Gesinnungsgenossen, zu denen damals die bekannten Liberalen Diesterweg, Kalisch, Zabel, Duncker und Rutenberg gehörten, vereinigte er sich zu wöchentlichen Zusammenkünften, worin die politischen Verhältnisse ebenso gründlich als freisinnig besprochen wurden.

So fand ihn das Jahr 1848 hinlänglich vorbereitet, nicht als einen Neubekehrten, der von der allgemeinen Bewegung mit fortgerissen der Strömung des Tages folgte, sondern als einen längst bewährten Freund des Fortschrittes, welcher nicht erst nöthig hatte, die Farben zu wechseln und die schwarz-roth goldene Kokarde aufzustecken. Mit scharfem Blicke erkannte er sogleich die Nothwendigkeit, seiner Partei ein angemessenes Organ zu schaffen; so wurde er einer der Mitbegründer der „Nationalzeitung“, welche von jener bereits geschilderten Gesellschaft liberaler Männer mit großen Opfern in’s Leben gerufen wurde. Mügge selbst übernahm im Anfange die Redaction des Feuilletons und schrieb dafür einige größere Novellen, „König Jacob den Zweiten von England“ und den „Vogt von Sylt“, die wegen ihrer inneren Beziehung zu den Ereignissen des Tages und durch den wahrhaft historischen Geist, verbunden mit einer hinreißenden Kraft der Darstellung, zahlreiche Leser und Freunde dem neuen Unternehmen verschafften. Das überwiegende politische Interesse der nächsten Zeit beschränkte indeß Mügge’s Thätigkeit an dem Feuilleton der Nationalzeitung, so daß er sich veranlaßt sah, seine bisherige Stellung an dem Blatte aufzugeben, obwohl er mit der Redaction desselben nach wie vor in innigster Freundschaft verblieb.

Die immer stärker und willkürlicher auftauchende Reaction vermochte seine Ueberzeugungstreue und seinen Muth nicht zu erschüttern, der sich besonders bei der Auflösung der ersten preußischen Nationalversammlung von Neuem zu bethätigen suchte, aber an dem „passiven Widerstande“ scheiterte. Ohne seiner politischen Thätigkeit zu entsagen, wendete er sich jetzt von Neuem größeren, selbständigen Arbeiten zu, von denen er sich auf seinen vielfachen Reisen erholte. Schon in früheren Jahren hatte er die Schweiz und Norwegen besucht, angezogen von der großartigen Alpenwelt. Diese Ausflüge selbst wurden ein neuer Quell, aus dem er reiche Belehrung für sich und Andere schöpfte. Während er mit dem Auge des Dichters die Schönheit der Natur in sich aufnahm, faßte er zugleich mit seltenem Scharfblicke die Eigenthümlichkeiten der fremden Völker, ihr geistiges und besonders ihr politisches Leben auf. So schuf er eine Reihe ethnographischer Werke von dauerndem Werthe, durch welche er seinen Namen auch im Auslande bekannt machte und einen neuen Freundeskreis erwarb, zu dem vor Allen der frühere Herausgeber und Besitzer des schwedischen „Aftonbladet“, der freisinnige Baron Hjerta, gehörte. Als die reichste Ausbeute seiner wiederholten Reisen nach Norwegen dürfte der Roman „Afraja“ zu betrachten sein, dem Mügge seinen europäischen Ruf zu verdanken hatte, da das Werk bald nach seinem Erscheinen in das Englische, Französische, Schwedische etc. übersetzt wurde; eine wohlverdiente Ehre, die bekanntlich einem deutschen Schriftsteller nur selten zu Theil wird. Den Hauptreiz dieser neuen Arbeit bildeten zunächst die unübertroffenen Naturschilderungen der norwegischen Küsten und Alpenwelt von wunderbarer Treue und überraschender Schönheit. Sie gaben indeß nur den poetischen Hintergrund und Boden für ein nicht minder reiches und interessantes Volksleben ab, das Mügge hier zum ersten Male mit wahrhaft plastischer Schöpferkraft uns vorführte, indem er mit gleicher Liebe Fels und Meer, Stadt und Land, den norwegischen Handelsherrn in seinem egoistischen Stolze, den unterdrückten und verkommenen Lappländer mit seiner natürlichen Rache schilderte und [295] im Lichte der Poesie verklärte, ohne darum der realistischen Wahrheit den geringsten Eintrag zu thun. Der Dichter hatte dem Leser in diesem Romane eine neue, bisher kaum gekannte Welt erschlossen, eine Fülle von originellen Charakteren gebracht und zugleich das innerste Leben der verschiedensten verborgenen Völkerstämme vor ihm aufgedeckt; zugleich aber dem Ganzen den Stempel einer tiefen, sittlichen Grundidee aufgedrückt.

Ein einziges Werk von so großem Werthe hätte hingereicht, einem französischen oder englischen Schriftsteller für immer eine sorgenlose Existenz zu sichern. Der deutsche Dichter mußte sich mit einem mäßigen Honorare begnügen, trotzdem mehr als zehntausend Bände der englischen Uebersetzung allein in Amerika abgesetzt wurden. Unsere traurigen Verhältnisse und jämmerliche Zerrissenheit trugen die Schuld, daß Mügge auch nicht den geringsten pecuniairen Nutzen aus diesem Umstande ziehen konnte, weil zwar zwischen Preußen und England, aber nicht zwischen diesem und Frankfurt am Main, wo sein Roman im Verlage von Meidinger erschienen war, ein Verband zum Schutze des literarischen Eigenthums besteht. Statt daher die Früchte einer so ausgezeichneten Arbeit in Ruhe zu genießen, mußte der Dichter stets von Neuem zur Feder greifen und im Schweiße seines Angesichts für sich und seine Familie das tägliche Brod verdienen. Bis spät in die Nacht schrieb er unablässig politische Correspondenzen für verschiedene Zeitungen, größere und kleinere Novellen für das von ihm herausgegebene Taschenbuch Vielliebchen, für Wochenschriften wie die Gartenlaube, der er ein treuer Mitarbeiter war und die seine letzte literarische Arbeit, eine für dieselbe bestimmte und kurz vor seinem Tode beendete Novelle, vor kurzer Zeit veröffentlichte.

Noch auf dem schmerzlichen Krankenlager besorgte er die ihm von zugeschickten Correcturen seines letzten größeren Romans, der unter dem Namen „der Prophet“ erschienen ist und eine der interessantesten Episoden aus der deutschen Geschichte behandelt, so daß Mügge, im eigentlichen Sinne bis zum letzten Augenblicke beschäftigt, in seinem Berufe gestorben ist.

Trotzdem behielt er noch immer die nöthige Zeit, seine Liebe für das allgemeine Wohl zu bethätigen und seiner Bürgerpflicht nach allen Seiten zu genügen. So entfaltete er einen wahrhaft jugendlichen Eifer in dem Schiller-Comité, dessen literarische und artistische Betheiligung er als Vorsitzender leitete; so stiftete er in seinem Bezirk eine Darlehnscasse zur Unterstützung bedürftiger Handwerker und Geschäftsleute, die einzig und allein seiner Energie und Opferfähigkeit ihr Fortbestehen verdankte, indem er seine Mühe und die Zeit, welche sein einziges Capital war, der Hülfe und der Unterstützung seiner ärmern Mitbürger widmete und als wahrer Freund des Volkes für dasselbe sorgte. Ebenso eifrig betheiligte er sich an dem Berliner Handwerkerverein, indem er dessen Bibliothek mit der größten Umsicht und Gewissenhaftigkeit verwaltete. Wo es galt, öffentlich zu nützen und dem Volke zu helfen, fehlte Mügge sicher nie.

Von seinen vielfachen Arbeiten und Geschäften ruhte er am liebsten im Kreise seiner Familie und einiger gleichgesinnten Freunde aus. Sein gastliches Haus war der Sammelplatz der verschiedensten Stände; hier sah man den gebildeten Fabrikanten, den Kaufmann mit dem Schriftsteller und Gelehrten vereinigt um den liebenswürdigen Wirth, der die durch Beruf und Lebensstellung getrennten Elemente durch sein Gespräch anzuregen und zu gemeinschaftlichem Wirken zu verbinden wußte. Ohne Uebertreibung darf man daher sagen, daß Mügge sehr viel dazu beigetragen hat, durch seine würdige Persönlichkeit dem Schriftstellerstande in Berlin allgemeine Achtung in den ihm zugänglichen Kreisen zu verschaffen. Fest und entschieden in seiner politischen Gesinnung war er voll Milde und Nachsicht im persönlichen Verkehr, fern von jedem kleinlichen Neid und voll Anerkennung für fremdes Streben, während er selbst ohne Eitelkeit eine seltene Bescheidenheit zeigte, die sich besonders dadurch verrieth, daß er nur ungern von sich, seinen Arbeiten und seinem Leben sprach.

Dieser innern Tüchtigkeit, Gesundheit und Biederkeit entsprach die kräftige äußere Erscheinung. Vor unsern Augen steht das Bild des tüchtigen Mannes, wie er noch vor kurzem in unserer Mitte wandelte, eine hohe Gestalt mit markigen Zügen, in straffer militairischer Haltung, die noch immer den ehemaligen preußischen Soldaten leicht erkennen ließ, schlicht und einfach, natürlich in seinem ganzen Wesen, fest und entschieden in seinem Auftreten, an Leib und Seele gesund und kraftvoll wie eine deutsche Eiche.

Ein schneller, unerwarteter Tod hat ihn hinweggerafft mitten in der Reife seines Wirkens und Schaffens zur tiefen Trauer für seine Familie, die er trotz aller Anstrengungen nicht hinlänglich versorgen konnte, zum unersetzlichen Verluste für seine Freunde, Mitbürger und für die deutsche Literatur, die Wenige Seinesgleichen aufzuweisen hat, da in Mügge das Talent des Dichters mit dem Charakter des Mannes zu einem harmonischen und vollendeten Ganzen verschmolzen war.
Max Ring. 




Moderne Brunnenvergiftung.

Vergiftung der Themse – Leichenwasser – Das Wiener Trinkwasser – Unser Quellwasser – Erscheinungen in Schweidnitz und im Departement du Nord – Deutsche Polizei und deutsche Pumpen.

Wenn im Mittelalter eine verheerende Seuche unter den Völkern wüthete, so erhob sich sofort der Argwohn, daß eine Vergiftung des nothwendigsten Lebensmittels, des Wassers, daran schuld sein müsse. In Frankreich verbrannte man im Jahre 1322 eine große Zahl Aussätziger, weil es hieß, sie seien von den aus dem Lande gejagten Juden aus Rache gedungen worden, die Brunnen zu vergiften. „Sie nahmen,“ so lesen wir in der Chron. Belg. Gottfred. p. 612, „etwas von ihrem aussätzigen Blut und Harn, kneteten dann einen Teig an, mengten Krötenlaich und giftige Kräuter darunter und senkten solchen Teig, zu Kügelchen geformt, mit angebundenen Steinen in den Grund der Quellenbrunnen.“ So oft im Mittelalter eine große Epidemie über die Völker hereinbrach, hatten, nach dem allgemeinen Wahn, die Juden durch Vergiftung der Brunnen sie verursacht.

Wer sollte glauben, daß in diesem Wahnsinn ein Körnchen Vernunft steckt, daß das Verbrechen der Brunnenvergiftung vorhanden ist, und – tagtäglich von uns Allen verübt wird? Aber nicht straflos. Denn wir trinken als Folgen unserer thörichten Achtlosigkeit uns Krankheit und Tod in den Leib hinein. In vielen Gegenden haben Fieber, Ruhr, Typhus ihren beständigen Wohnsitz aufgeschlagen; die Gelehrten zerbrechen sich die Köpfe, worin der Grund des Uebels zu suchen sei; sie gucken in den Himmel, sie zerlegen die Luft, aber kein Mensch forscht nach dem verdorbenen Trinkwasser. O, wie viel des Siechthums könnte dem Menschengeschlecht erspart werden, wenn auf die Pflege der Quellen und Brunnen ein wachsameres Auge verwandt würde!

„Wasser ist das Allerbeste!“ sang Pindar in einer seiner Oden. Ob das antike Mitglied des „Vereins der Wasserfreunde“ wohl bei seinem Lobspruch geblieben wäre, wenn er im Sommer der Jahre 1857, 1858 oder 1859, zu London an dem Themseufer stehend, bei zugehaltener Nase gesehen hätte, wie die Meeresfluth alle Mauserungen der Riesenstadt – man berechnet sie täglich auf mindestens 7000 Tonnen – nach dem Herzen derselben zurückspülte? Chemisch reines Wasser – für Londons Bewohner freilich fast eine Mythe – soll aus 2 Theilen Wasserstoff und einem Theil Sauerstoff bestehen; was aber Letheby, der das Themsewasser im Jahre 1859 an 172 verschiedenen Orten und Zeiten mit dem Mikroskop und Reagensglas untersuchte, darin fand, waren Schwämme, Infusorien, Ammoniak, Schwefelwasserstoff und – nebenbei allerdings auch einiges Wasser! Blos um den pestilenzialischen Geruch dieser Stoffe einigermaßen zu dämpfen, wurden dem Flußgott im Jahre 1859 an 85,620 Centner gewöhnlichen Kalks und 9560 Centner Chlorkalk geopfert. Im Sommer desselben Jahres zahlte die Stadt für Reinigung der Themseufer die Kleinigkeit von 17,733 Pfd. Sterl.

Welches Unheil aber daraus entsteht, wenn solche Elemente sich dem Trinkwasser beimischen, ergiebt sich zur Genüge schon aus der Geschichte der neueren Cholera-Epidemien. Namentlich steht gerade in dieser Hinsicht London als trauriges Muster da. In den Jahren 1848–49 wüthete die Krankheit mit vorzüglicher Heftigkeit in mehreren Bezirken, die ihr Wasser von der Lambeth- und von der Southwark and Vauxhall-Company bezogen. Die Röhrenleitung wurde aber aus einer Stelle der Themse gespeist, wo diese bereits mit dem Inhalt eines großen Theils der Londoner Cloaken und außerdem mit dem durch die Fluth dorthin getragenen [296] Seewasser geschwängert war. Die Bewohner dieser Stadttheile tranken also ein – wenn auch immerhin verdünntes und filtrirtes – Cloaken- und Seewasser. Anfangs 1852 wählte die Lambeth-Gesellschaft für ihre Röhren- und Filtrirapparate eine höher gelegene, weder den städtischen Abgängen noch der Meeresfluth zugängliche Stelle des Stromes. Als nun in den Jahren 1853 und 1854 die Cholera abermals in London ausbrach, verloren die von der Lambeth-Company versorgten Bezirke, wo in der früheren Epidemie 12,5 pro Tausend gestorben waren, diesmal nur 3,7; hingegen betrug der Verlust der von der anderen Gesellschaft versehenen Stadttheile 13 pro Tausend gegen 11,8 der früheren Epidemie.

Wie grauenvoll jede Versündigung gegen die drei Grundlagen menschlicher Existenz: Luft, Licht und Wasser, an der allgemeinen Wohlfahrt sich rächt, und wie umgekehrt schon der kleinste Fortschritt in dieser Beziehung sich durch die segensreichsten Folgen belohnt, dafür liefert wiederum London den schlagendsten Beweis. In Wildcourt und Drury Lane sind neuerdings 13 Häuser durch Aus- und Umbau verbessert worden, wobei der Inhalt der Senkgruben in 150 Karren schwersten Kalibers und der in Kellern und sonst an Fundamenten aufgehäufte Unrath in 350 Karren weggebracht werden mußte. Unter den Dielen fanden sich 3–4 Zoll tiefe Schichten einer wimmelnden Masse von Ungeziefer jeder Art. In den Parterrewohnungen lagen die Cloaken mit dünnen Bretern verdeckt und führten ihren Gehalt unmittelbar in die Brunnen. Die 13 Häuser enthielten eine Bevölkerung von gegen 1000 Personen. Die Sterblichkeit in denselben überstieg den Durchschnitt (25 pro Tausend) ums Doppelte. Seit unter den Auspicien einer Reformgesellschaft die Häuser umgebaut und verbessert wurden, ist die Sterblichkeit auf 1/21/3, der durchschnittlichen Sterblichkeit Londons heruntergegangen.

Vor mehreren Jahren nahmen in einem anderen Bezirk Londons die Krankheiten, ohne daß irgend eine Epidemie herrschte, auffallend zu, und der abscheuliche Geschmack des Trinkwassers legte die Vermuthung nahe, in diesem die Ursache jener Gesundheitsstörungen zu suchen. Bei weiterem Nachforschen ergab sich, daß das Wasser aus der Gegend eines benachbarten, erst vor Kurzem geschlossenen Kirchhofs herstamme; wegen Mangels an Raum waren die Leichen daselbst reihenweise über einander gestapelt worden. Das quellige Erdreich hatte sich mit cadaverösen Substanzen vollgesogen; das so vergiftete Wasser war in die Brunnen gedrungen und hatte dem Wasser jene übeln Eigenschaften mitgetheilt. Nach Entfernung der Leichen verschwanden die Krankheiten.

Auch Wien, wo Typhus oder Cholera fast alljährlich ihre Magentas und Solferinos schlagen, leidet bis heut an der Ungunst eines gleich schlechten wie unzureichenden Trinkwassers. Ein großer Theil der Einwohner erhält nämlich das letztere aus dem Donaucanal, welcher fast sämmtliche Abzugsröhren der Stadt in sich aufnehmen und außerdem vier Mal jährlich die bei der Reinigung jener Canäle fortzuschaffenden Unrathsmassen beherbergen muß. Dabei fehlt es an einem einheitlich durchgeführten Abzugssystem. Je nach dem Zuwachs von Straßen wurde ohne Rücksicht auf ein planmäßiges Gefälle Röhre an Röhre, meist von höchst mangelhafter Bauart, gefügt. Diese Canäle empfangen in bunter Reihe nicht blos Regen-, Schnee- und Wirthschaftswässer, sondern auch überhaupt alle Auswurfstoffe der Residenz. Bei solchem Stande der Dinge wird eine radicale Abfuhr aller dieser Massen zur reinen Unmöglichkeit. Verwesender Unrath muß in den unterirdischen Behältern stagniren, in das Erdreich, die Brunnen dringen und eine Pandora-Büchse von Krankheiten eröffnen.

Das Wasser, welches wir trinken und zu unseren Speisen oder Gewerben brauchen, stammt – abgesehen von den Cisternen des Orients und einiger europäischer Gegenden – aus Quellen, Brunnen, Flüssen und Seen. Als Product atmosphärischer Niederschläge ursprünglich von fast vollkommener Reinheit, nimmt es vermöge der Auflösungsfähigkeit, die ihm für die allermeisten organischen und unorganischen Stoffe innewohnt, alle Eigenthümlichkeiten seiner örtlichen Verhältnisse an. Und so mag der Chemiker sein destillirtes Wasser in Sauer- und Wasserstoff zerlegen – die Natur schenkt uns nirgend reines Wasser ein. Selbst Thau, Nebel und Hagel sind nicht frei von fremdartigen, aus der atmosphärischen Luft entlehnten Theilen. Das Regenwasser enthält nicht blos Ammoniak, Salpetersäure und Kohlensäure, sondern es beladet sich überhaupt mit Allem, was es auf seinem Wege durch das Luftreich vorfindet, mit Staub und den verschiedensten pflanzlichen und thierischen Stoffen. In dem Regen, der sich mit dem aus den Oefen größerer Städte aufsteigenden Rauche verbindet, finden sich Salzsäure, Kochsalz, schweflige und Schwefelsäure.

In die stehenden oder fließenden Gewässer jagt der Wirbelwind Staubmassen und allerlei Blätter und Blüthen. Die Thiere, die sich darin aufhalten oder es vorübergehend benutzen, die Pflanzen, die sich im Wasser entwickeln, das Hochwasser, welches mächtige Uferstücke mit sich fortreißt – sie alle helfen das Wasser verunreinigen. Das gewöhnliche Brunnenwasser zeigt besonders häufig einen Gehalt von Kohlensäure, salpeter- und kohlensauren Salzen. In Flüssen findet man außer diesen noch Chlorkalium, Kieselerde, Koch- und Glaubersalz, Eisenoxyde, phosphor- und schwefelsaure Salze und organische Stoffe. Je schwerer löslich die Bestandtheile des Gefäßes, in dem sich das Wasser befindet, um so reiner wird dasselbe sein. So zeichnet das Wasser der Loka, eines Flusses im nördlichen Schweden, welcher in einem Granitbette fließt, sich vor vielen anderen durch seine Reinheit aus, indem es auf vier preuß. Quart nur 1/20 Gran an Mineralwasserstoffen enthält.

Uebrigens ist das Quellwasser, obwohl unserem Geschmack am meisten zusagend, doch im chemischen Sinne genommen am unreinsten, weil es bei seinem Ursprung immer Theile seiner Umgebung an sich reißt, vor sich herspült und auflöst. – An sich verhältnißmäßig reiner ist das Flußwasser, weil mit dem längeren Laufe des Stroms auch mehr Wasser verdunstet und die darin enthaltenen oder an Kohlensäure gebunden gewesenen Salze allmählich zu Boden sinken. Doch geschieht dies nur bei ruhiger Strömung, da jede heftigere Wellenbewegung das Absetzen von Mineraltheilen oder sonst hinzugekommenen Stoffen verhindert.

Indessen die Veränderungen, die das Wasser durch Naturprocesse erleidet, sind in der Regel demselben durchaus nicht nachtheilig, sondern verleihen ihm eben meist seinen Wohlgeschmack oder gesundheitsfördernde Eigenschaften. Wie fade, ja wie ungenießbar schmeckt Regen-, Fluß- oder destillirtes Wasser! Hingegen verdankt es einem Gehalt von Kohlensäure, ja selbst von Kalksalzen gerade seine erfrischende und belebende Wirkung, wie denn auch die segensreiche Heilkraft, welche den Mineralquellen innewohnt, nur von der Vermischung des Wassers mit erdigen Theilen herrührt.

Also nicht die Natur, sondern der Mensch, die Cultur verderben das Wasser, und fast gewinnt es den Anschein, als ob jede Erfindung, welche zur Erleichterung und Verschönerung unseres Lebens gemacht wird, eine Verschlechterung jenes unentbehrlichsten aller Lebensmittel zur Folge haben müßte. Das spüren sogar die Fische, welche bei der überhandnehmenden Dampfschifffahrt aus den Flüssen, und der unausgesetzten Beladung derselben mit den gewerblichen und häuslichen Abgängen auf den Aussterbe-Etat gesetzt zu sein scheinen!

Rastlos schreitet die Cultur fort. Die Bevölkerung der Großstädte, welche nicht Häuser genug bauen können für die Schaaren der ihnen zuströmenden Ansiedler, mehrt sich in’s Riesenhafte. Fabriken und industrielle Anlagen aller Art wuchern wie Pilze empor. Mit der stetig zunehmenden Menschenzahl steigt auch die der Kranken, und oft können die Lazarethe kaum die Unzahl der letzteren, die Friedhöfe kaum mehr die Legionen der Leichen beherbergen, wie denn London jetzt, dem ägyptischen Theben gleich, seine besondere Todtenstadt in Woking errichtet, und alltäglich einen 20 Todten-Extrazug – „hurrah, die Todten reiten schnell! – 20 englische Meilen weit in’s Land hinausschickt, weil es kaum mehr für die Lebenden, geschweige denn für die Leichen noch Raum hat. Der Erdboden, die Flüsse und Seen aber sättigen sich mit den Ausscheidungen der Menschen und Thiere, mit den Abgängen und Auswürfen des Gewerbfleißes und des Hauswesens.

So ist das Wasser von Newcastle am Tyne, woselbst fast lauter Steinkohle gebrannt wird, und namentlich die Fabriken dies Material in ungeheuern Mengen verbrauchen, ganz mit niedergeschlagenem Ruß vermischt; schöpft man davon, so sieht es aus, als ob ein Tuschpinsel darin ausgespült wäre. Uebrigens ist der Ort durch seine ungesunde Beschaffenheit und die Menschenhekatomben, die es allen Epidemien, besonders der Cholera, spendet, berüchtigt; der letzteren erlagen 1853 binnen wenigen Wochen an 2000 Personen.

Die Bewohner von Schweidnitz sahen zu ihrem Erstaunen vor etwa zehn Jahren das Wasser ihrer Weistritz sich allmählich ganz milchweiß färben. Die von dem Mikroskop als enorme [297] Wucherung von leptomitus lacteus erkannte Vegetation rührte von Melasseschlempe, dem Abgange der in der dortigen Gegend schwunghaft betriebenen Zuckerfabrikation her, welche theils direct, theils durch in die Weistritz mündende Gräben in den Fluß gebracht worden war. Als den Fabrikanten dies fortan untersagt wurde – mehrere verbrannten fortan die Rückstände zu Pottasche – hörte jene Färbung sofort auf.

Zu welchem für Boden, Luft und Wasser gleich nachtheiligen Elemente sich jene Rübenmelasseschlempe emporgeschwungen hat, geht aus einem in den Annales d’hygiène publique, Janv. 1859 mitgetheilten Bericht von Wurtz hervor. Derselbe berechnet die Gesammtmenge der Melassen-Destillationsrückstände für das Jahr 1857 allein im Departement du Nord auf 3 Millionen Cubikmeter. Eine Analyse derselben von Meurein ergab auf den Litre circa 8 Grammes unlöslicher, 11 löslicher, organischer Substanz, 7 Grammes Asche. „Die organischen Substanzen der Rückstände gehen nun überall, wo dieselben nicht von einem schnell strömenden, mächtig strömenden Strome aufgenommen werden, schnell in Gährung über, liefern für sich flüchtige Zersetzungsproducte und reduciren gelöste schwefelsaure Salze (Gyps) zu Sulphüren, aus welchen sich Schwefelwasserstoff entbindet. Dies und die andern Zersetzungsproducte der Masse verpesten die Luft in und über langsam strömenden, wasserarmen Flüssen, Seen und Teichen, in welche die Massen entleert weroen. Auch Brunnen, welche von so verpesteten Wässern ihren Inhalt beziehen, erleiden natürlich gefährliche Veränderungen, und so wird es ganz unzweifelhaft, daß eine Entleerung der fraglichen Abgänge in anderes als schnellströmendes und massenhaftes Wasser nicht geduldet werden könne.“

Auch zahlreiche andere, durch die Erfindungen der modernen Chemie und Physik theils in’s Leben gerufene, theils zu vollendeter Entwicklung und damit zu oft kolossaler Production erweckte Künste und Industrien, z. B. die Photographie, Kattundruckerei, Gasbeleuchtung, Färberei, Destillation, Tabaks-, Seifen- und Paraffinfabrikation, Gerbereien, Bleichanstalten etc. entledigen sich ihrer mannigfachen Rückstände in Gossen, Bäche und Flüsse. Niemand aber wird leugnen, daß Substanzen, wie Cyankalium, Kupfervitriol, Jod-, Chlor-, Ammoniak-, Schwefelwasserstoff und viele andere organische oder metallische Verbindungen dem Trinkwasser höchst nachtheilig sein müssen. Man wende nicht ein, daß die genannten Substanzen in allzu geringer Menge in’s Wasser gelangen, um erheblichen Schaden stiften zu können. Was dem Gift an Größe der Dosis abgeht, das ersetzt es durch die Beharrlichkeit seiner Einwirkung. Wer hat nicht von den höllischen Gebräuen der Borgia’s, der Marquise von Brinvilliers gehört, welche den Organismus ganz allmählich, aber eben so sicher untergruben, bis das Opfer erlag?

Und so zeigen sich die verderblichen Folgen jener Wasservergiftung weniger in charakteristischen, hitzigen Krankheiten oder den ausgeprägten Zügen einer Arsenik- oder Schwefelsäurevergiftung, als vielmehr in einem schleichenden, die Säfte annagenden Siechthum, welches indessen große Neigung besitzt, anderweitig hinzutretenden Krankheitsstürmen, z. B. Typhus, Ruhr und Cholera zu unterliegen. Aber sollte nicht das in Gegenden schlechten Trinkwassers heimische Heer der kalten Fieber, Gichtbeschwerden, Wassersüchten, Brustübel die Sanitätspolizei auf einen tief wuchernden Krebsschaden aufmerksam machen und belehren, daß Hülfe Noth thut, daß die moderne Cultur jenes mittelalterliche Märchen von der Brunnenvergiftung zu schrecklichem, leibhaftigem Leben gebracht hat?

Der deutsche Staatsbürger kann sich über Vernachlässigung Seitens einer hochweisen Polizei nicht beklagen. Mit Musteraugen bewacht sie sein Kommen und Gehen, sein Thun und Lassen.

Warum erweist sie seinem Essen und Trinken eine so stiefmütterliche, nur den Mahl- und Schlachtgroschen berechnende Aufmerksamkeit? – Schädliche Geheimmittel werden so gut wie straflos öffentlich feilgeboten und verkauft. Zuckerbäcker und noch vielmehr die Tapeten- und Spielzeugfabrikanten versetzen allen Verboten zum Hohn ihre Waaren mit Arsenik. Kein Hahn kräht danach, ob ein Brauer das zu seinem Gewerbe nöthige Wasser zehn Schritt unterhalb der Stelle herholt, wo der Hauptunrathscanal einer Stadt in den Fluß mündet.

Hier ist noch eine würdige Aufgabe für den Thätigkeitstrieb einer wohllöblichen Polizei. Ein wenig mehr Sorgfalt auf den Schutz der wichtigsten Lebensbedürfnisse, und wir wollen ihrem Eifer in allem Uebrigen gern ein wenig Ruhe gönnen. Die Sicherheitspolizei gehe ein wenig bei der Gesundheitspolizei in die Schule. Was eine solche zu thun habe, um das Wasser vor Schimpf und Gift zu wahren, lernen wir aus Pappenheim’s Handbuch der Sanitätspolizei II. Bd. II. Abth. S. 604. Sie hat „festzustellen, von welcher Stelle das Wasser gepumpt werde, was für Ausgüsse in der Nähe dieser Stelle stattfinden, wie das Wasser an der Pumpstelle beschaffen sei, welche Abgänge oberhalb der Pumpstelle in den Fluß kommen, wie die Reservoirs des Werkes beschaffen seien, wie die oberen Schichten des Filtersandes sich betreffs des Schlammgehaltes verhalten, was für Röhren das Werk verwende, wie beschaffen (mikroskopisch und chemisch) das Wasser bei den Consumenten ankomme, ob es event. Blei, und ob es Eisen führe, endlich, ob die Art des Wasserverkaufs ein Aufspeichern des Wassers bei den Consumenten nöthig mache. Diese Feststellungen sind nicht ein für alle Mal, sondern zu verschiedenen Zeiten, mehrmals im Jahre zu machen.“

Und nun bitten wir demüthigst um Verzeihung, wenn ein großer Theil des Folgenden sich mit einem sehr undelicaten und sehr unästhetischen Gegenstände beschäftigt. Fallet nicht in Ohnmacht, geneigter Leser und holde Leserin! Die Regionen, in die wir euch hinabführen, stehen nicht im besten Geruche! Wir befassen uns jetzt mit dem Behälter, der euren der Natur täglich mehr oder weniger reichlich abgestatteten Zoll aufnimmt, mit – („Nachbarin, Euer Fläschchen!“) mit dem Abtritt, und zwar dem Theile desselben, welcher zur eigentlichen Herberge der Excrementalstoffe bestimmt ist.

Die diesem Zwecke dienenden Orte sind entweder unter- oder oberirdisch belegen.

Die unterirdischen bestehen der großen Mehrzahl nach aus besonders dazu eingerichteten Gruben; seltener dient ein unter den Durchgangsröhren befindliches, stehendes oder fließendes Wasser zur Aufnahme der Entleerungen.

Eine nachlässige und fehlerhafte Bauart begünstigt die Durchtränkung des feuchten, umliegenden Erdreichs mit Abtrittsjauche; die mit dieser geschwängerten Bodenflüssigkeiten vereinigen sich nach hydrostatischen Gesetzen mit den benachbarten größeren Wässern (Flüssen, Quellen, Brunnen). Für das Unheil, welches der Genuß eines dermaßen inficirten Trinkwassers anzustiften vermag, sprechen die oben mitgetheilten Belege ganz hinlänglich. Je seltener die Ausräumung dieser Gruben erfolgt, um so größer die Neigung des Bodens zu solchen verderblichen Einsaugungen.

(Schluß folgt.)




Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.

Von Claire von Glümer.
X.

Mit Künstlern und Kunstgenossen stand Wilhelmine Schröder-Devrient bis auf wenige Ausnahmen im freundlichsten Verhältniß. Sie war so begeistert für alles Schöne, so liebenswürdig in der Anerkennung jedes Verdienstes, jedes tüchtigen Strebens, vor allem so hinreißend und gewaltig in ihren eigenen Schöpfungen, daß sich der echte Künstler durch den Verkehr mit ihr erhoben, gefördert, begeistert fühlen mußte. Mittelbar, durch den belebenden Einfluß, den sie übte, hat sie vielleicht eben so viel geschaffen, wie durch eigene Thätigkeit. Sie war die Muse, deren Erscheinen genügt, um überall neues Leben, neue Blüthen hervor zu zaubern.

Richard Wagner sagt in seinem Vorwort zu den „drei Operndichtungen“:

… „Die Schröder-Devrient war es, die in mir einen Enthusiasmus edlerer Bedeutung anfachte. Die entfernteste Berührung mit dieser außerordentlichen Frau traf mich elektrisch: noch lange Zeit, bis selbst auf den heutigen Tag, sah, hörte und fühlte ich sie, wenn mich der Drang zu künstlerischem Gestalten belebte.“ – Robert Schumann’s köstliches Lied: „Ich grolle nicht,“ ist nicht allein Wilhelmine Schröder-Devrient gewidmet, es ist gleichsam aus ihrer innersten Seele hervorgeklungen. Und wie [298] manche Rolle ist für sie geschaffen, wie manchem bildenden Künstler hat sie durch die plastische Schönheit ihrer Darstellungen die herrlichsten Vorbilder gegeben!

Ueber den Einfluß, den sie unmittelbar in ihrem Berufe übte, herrscht nur eine Stimme. Sie war im vollen Sinne des Wortes die Seele des Ganzen, das belebende, durchgeistigende, zusammenhaltende Princip. Jede Einzelnheit des darzustellenden Kunstwerkes behielt sie im Auge; sie ruhte nicht, bis jeder Ton, jede Miene, jede Bewegung harmonisch zum Ganzen strebte, und wenn es in mancher Beziehung für die Mitspielenden schwer war, sich neben ihr, neben der Gewalt ihrer Leidenschaft zu behaupten, so war es auf der anderen Seite wieder, als strömte eine Kraft von ihr aus, die Alles mit Feuer und Leben durchdrang.

Für ihre Dresdner Kunstgenossen war Wilhelmine Schröder-Devrient der beste Kamerad: anspruchslos, theilnehmend bei Freude und Leid, aufrichtig in Lob und Tadel, und von unermüdlicher Gefälligkeit. Ihre Börse, ihr Einfluß, ihr Talent standen jedem zu Gebot, der Anspruch daran machte, und besonders waren es die Schwachen, Unterdrückten, Schlechtbesoldeten, deren sich Wilhelmine in Wort und That eifrig annahm. Das Corps de Ballet, der Chor, die Mitglieder des Orchesters waren ihre erklärten Schützlinge; eine Kränkung, eine Ungerechtigkeit, die diesen wiederfuhr, nahm sie wie eine persönliche Beleidigung auf und kannte keine Rücksicht, wenn es galt ihre Lieblinge zu vertheidigen oder zu rächen.

Einmal z. B. wurde eine Composition des Kapellmeisters Morlacchi einstudirt. Morlacchi dirigirte selbst, war sehr übler Laune, hatte tausenderlei auszusetzen und rief endlich, indem er heftig mit dem Taktirstocke ausschlug: „Noch’mal singen! die Stelle war ganz schlecht, die Choristen haben gesungen wie die Schweine, wie die deutschen Schweine!“ Die Beleidigten selbst sowie die anwesenden Sänger und Sängerinnen blieben stumm, denn Morlacchi, ein intrignanter, rachsüchtiger Mensch, war damals eine sehr einflußreiche Persönlichkeit, und so wagte Niemand sich gegen ihn aufzulehnen. Nur Wilhelmine Schröder-Devrient trat mit blitzenden Augen aus dem Hintergrunde hervor. „Wenn Er doch einmal von Schweinen spricht,“ rief sie aus, „so will ich Ihm nur sagen, daß Er seine italienische Schweinemusik selber singen kann!“ dabei warf sie dem Herrn Hofkapellmeister ihr Notenblatt hin, kehrte ihm den Rücken und ging nach Hause.

Unermüdlich war sie, wenn es galt Andern ihre Aufgaben zu erleichtern. Manchem Sänger, mancher Sängerin hat sie ihre Rolle bis in die kleinste Kleinigkeit, Note für Note, Schritt für Schritt einstudirt. Es sind Künstler darunter, die später einen großen Ruf erlangt und in thörichter Eitelkeit Wilhelminens Einfluß auf ihre künstlerische Bildung vergessen oder doch verleugnet haben. – Einem etwas ungelenkigen jungen Mann, der es ihrer Verwendung verdankte, daß er aus dem Chor hervorgezogen und zum Solosänger ausgebildet wurde, hat sie stundenlang das Hinfallen eingeübt; mit einer Sängerin hat sie sich sechs Wochen lang gepeinigt, um sie die ersten Worte im Fidelio sprechen zu lehren. Von nah und fern wurde sie in Anspruch genommen. So habe ich unter ihren Papieren einen Brief von Frau Anschütz aus Wien – vom 6. Mai 1839 – gefunden, in dem es unter Anderm heißt:

„Empfangen Sie also unsern herzlichen, innigen Dank, daß Sie so gütig waren, meiner Auguste bei einer so schwierigen Aufgabe wie die Fenella in der Stummen von Portici hülfreich beizustehen. Ich wünsche weiter nichts, als daß Augustens Auffassungsvermögen von der Art gewesen sein möge, daß sie im Stande war, den poetischen Geist ihrer liebenswürdigen Lehrerin einigermaßen zu begreifen und durch Fleiß und Aufmerksamkeit die Mühe einer solchen Führerin zu belohnen. Sie schrieb mir voll Freude, daß sie mit dieser Leistung sehr glücklich gewesen sei und dies nur Ihrer vortrefflichen Leitung zu verdanken habe. Ueberhaupt scheint sich ihr junges Herz nicht nur der gefeierten Künstlerin, sondern mehr noch der liebenswürdigen, herzlich guten Frau zugewendet zu haben, denn in jedem Briefe gedenkt sie Ihres Namens und stets mit einer Wärme, daß sich schon manchmal eine kleine Eifersucht in mir hätte regen können; doch fand ich ihre Neigung auch wieder sehr natürlich, da es uns Allen ja auch nicht anders gegangen ist.“ – Und Wilhelmine selbst schreibt in einem Briefe aus Mannheim vom 31. Juli 1853 – als sie längst von der Bühne abgegangen war:

… „Eine Episode in meinem Stillleben hier war die vierzehntägige Anwesenheit von Fanny la Grua mit ihrer Mutter. Sie wünschte meinen Rath und meine Anweisung für vier bedeutende Rollen, welche sie zum Herbst in Wien singen soll. Die Rollen waren: Fidelio, Euryanthe, Doña Anna und Romeo! Vierzehn Tage waren allerdings eine kurze Frist; – ich habe für diese Rollen mein halbes Leben gebraucht.“

Von den gewöhnlichen Künstlerkrankheiten: Neid, Schadenfreude, Eifersucht, ist Wilhelmine Schröder-Devrient immer frei geblieben. Sie war stolz auf ihre künstlerische Begabung, sie wußte, daß sie schön war, aber eitel war sie in keiner Beziehung und nie hat sie sich nach ehrgeiziger Künstler und eitler Frauen Art durch die Bewunderung verletzt gefühlt, die Anderen zu Theil wurde. Gegen die Verirrungen des Geschmacks, die Überschätzungen des Mittelmäßigen, die launenhaften Bevorzugungen der Mode hat sie freilich immer, gewöhnlich in derb sarkastischer Weise, Opposition gemacht – und die davon Betroffenen haben ihr das nie verziehen –; aber was wirklich der Bewunderung werth war, hat Niemand freudiger begrüßt als Wilhelmine. Für Pepita’s Schönheit z. B. war sie ganz begeistert; von der Grazie der Taglioni sprach sie noch in der letzten Zeit mit Entzücken, und als sich im Mai tanzende Bayaderen in Dresden sehen ließen, wurde sie von der Anmuth dieser Mädchen so hingerissen, daß sie während der Vorstellung ein kostbares Armband abnahm und es der schönsten der Tänzerinnen umlegte.

Eben so enthusiastisch war sie in der Anerkennung künstlerischer Leistungen. Stundenlang konnte sie von Sophie Schröder, von der Rachel, von der Doche erzählen und ihnen mit begeistertem Gesicht ganze Scenen nachspielen. „Die Rachel war meiner Mutter gleich in der Gewalt der Leidenschaft und der Wahrheit des Ausdruckes,“ sagte sie; „aber an plastischer Schönheit übertraf die Rachel alle Künstlerinnen der Welt.“

Als Wilhelmine die Doche in der Dame aux camélias gesehen hatte, war sie von dem Aufschrei: „Ich kann nicht mehr!“ womit die Schwindsüchtige nach der Versöhnung mit dem Geliebten zusammenbricht, so erschüttert, daß sie sich weinend in ihren Wagen warf, weinend zu Hause ankam und sich stundenlang nicht fassen konnte. „Das war vollendete Kunst! das war wirkliches Leben!“ rief sie aus, als sie davon erzählte.

Nach einem Concerte des Pianisten Henselt – den 14. Januar 1837 – schrieb sie in ihr Tagebuch: „Henselt! meine Seele neigt sich in wehmüthigem Schauer vor seinem Genius, der mit einem Flammenschwert über unsere Häupter hinschwebt. Heilige Begeisterung, begeisterter Wahnsinn strömt aus diesen Fingerspitzen! Blasser, Armer, Kranker, Glücklicher, bald Aufgelöster! soviel Gottheit kann dein feiner Körper nicht lange beherbergen!“

Bei einer Gesellschaft im Carus’schen Hause kamen Wilhelmine Schröder-Devrient und die Ungher-Sabatier zusammen. Wilhelmine sang Schubert’sche Lieder, wie sie nach ihr wohl nie wieder gesungen werden. Ihre Zuhörer waren tief ergriffen – und doch war der Beifall noch größer, noch anhaltender, als nach ihr die Ungher Sabatier ein paar neapolitanische Volkslieder von wunderbarer Frische und Anmuth vortrug. Aber die wärmste Bewunderung, der herzlichste Dank wurde der Sängerin von Wilhelmine Schröder-Devrient zu Theil, die ihr mit dem Ausdruck des höchsten Entzückens gegenüberstand und immer mehr zu hören verlangte. In der Freude an der Kunst vergaß Wilhelmine alle Nebenbuhlerschaft, und wie oft ist sie im geselligen Verkehr in liebenswürdigster Bescheidenheit in den Schatten getreten, um anderen Talenten Raum zu geben!

Im December 1848 gastirte die dänische Tänzerin Lucile Grahn in Dresden. Sie hatte, wie sie mir selbst erzählte, längst gewünscht, Wilhelmine Schröder-Devrient kennen zu lernen, aber es gelang ihr nicht, die Ersehnte an einem dritten Ort zu treffen – von der Bühne war sie damals schon zurückgetreten, und sie zu besuchen, wagte Lucile nicht, weil sie gehört hatte, daß sich die große Künstlerin über das Ballet im Allgemeinen sehr geringschätzend auszusprechen pflegte. Dennoch war Wilhelmine bei jeder Vorstellung Lucile’s im Theater, und die junge Tänzerin sah mit Zittern und Zagen nach dem Platze im Amphitheater, wo die Gefürchtete saß. Anfang Januar 1849 ging das Gastspiel zu Ende, und Lucile war eines Morgens eifrig mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt, als ihr eine fremde Dame mit einem prachtvollen Blumenstrauße gemeldet wurde. Es war Wilhelmine Schröder-Devrient, die der jungen Künstlerin einen Abschiedsgruß [299] bringen wollte. „Ich habe der Tanzkunst bis jetzt wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl ich alle ihre Berühmtheiten kenne,“ sagte sie in ihrer bezaubernd freundlichen Weise; „aber seit ich Sie gesehen habe, schwärme ich für Ihre Kunst. Da sehen Sie meine Hände, sie sind ganz roth, so habe ich geklatscht.“

… Ich verließ Dresden überglücklich, daß mein höchster Wunsch so reizend in Erfüllung gegangen war,“ erzählt Lucile Grahn in ihrem Briefe. „Ich baute Luftschlösser, wie ich oft mit ihr schöne Stunden verleben würde – aber die Maitage von 1849 machten meinen schönen Plänen ein Ende. Als ich wieder nach Dresden kam, war die geniale Frau schon abgereist und, wie es damals hieß, auf immer. Ein Jahr später hatte ich doch das Glück, sie in Berlin wiederzusehen, als ich dort gastirte. Sie suchte mich abermals auf, denn ich hatte ihre Ankunft noch nicht erfahren. Wir blieben dann einige Tage zusammen. Wie liebenswürdig war sie! Wie flog die Zeit, als wir da zusammen plauderten! Späterhin schickte sie mir ihr liebes Bild – es hängt in meinem Boudoir, und Alle bewundern ihre geistreichen Züge und ihre schwungvolle Handschrift.“ Unter das Bild hatte Wilhelmine geschrieben: „Der würdigsten Priesterin Terpsichorens zum freundlichen Gedächtniß an Wilhelmine Schröder-Devrient.“

Aber nicht immer wurde Wilhelminens Entgegenkommen freundlich erwidert. Die erste Kränkung in dieser Beziehung erfuhr sie in Berlin, als sie dort in den zwanziger Jahren gastirte. Sie wollte die Iphigenie in Tauris geben – früher eine Glanzrolle der Mildner-Hauptmann – machte der berühmten Frau einen Besuch, bat sie, der Vorstellung beizuwohnen und ihr über Auffassung und Darstellung der Rolle rückhaltslos ihr Urtheil zu sagen.

Frau Mildner, eine sehr große, stattliche Dame, richtete sich noch höher auf als gewöhnlich, sah die junge Künstlerin von oben herunter an, mit einer Miene, die deutlich sagte: was erlaubt sich das kleine Ding? und erwiderte nach inhaltschwerer Pause mit würdevollem Kopffchütteln: „Nein, mein liebes Kind, das kann ich nicht! Ich habe die Mildner-Hauptmann in dieser Rolle gekannt und mag nach ihr keine Andere darin sehen.“

Noch schlimmer erging es Wilhelminen mit der Rachel. Nachdem sie die große französische Tragödin ein paar Mal gesehen hatte, ließ sie ihr durch einen gemeinsamen Bekannten sagen, wie sehr sie sich danach sehne, ihr die Hand zu drücken und ihr mündlich ihre tiefe Bewunderung auszusprechen. „Antworten Sie der Dame, daß ich Männerbesuche sehr gern empfange,“ erwiderte die Rachel, „daß ich mir aber aus Frauenbesuchen und Frauenbewunderung nicht das Geringste mache.“

Auch in anderer Beziehung hat Wilhelmine wunderliche Erfahrungen machen müssen. Im Jahre 1849 oder 50 war sie in Schlangenbad, und bald nach ihr traf eine andere Sängerin von europäischem Rufe ein. „Sie kam und machte mir ihren Besuch,“ schreibt Wilhelmine. „Als sie mir gemeldet wurde, stand ich auf, um ihr entgegen zu gehen – ich fand es sehr liebenswürdig, daß sie mich aufsuchte – aber wie soll ich den Eindruck beschreiben, den ich empfing, als sie beim Eintritt in’s Zimmer auf die Kniee fiel, den Saum meines Kleides faßte und ihn küßte! Ich wußte nun, daß sie eine Komödiantin war, hob sie auf, so schnell ich konnte, – denn solche Scenen sind mir in den Tod zuwider – und fing ein vernünftiges Gespräch mit ihr an. – Einige Tage später circulirte in Schlangenbad das Gerücht, ich hätte den Musikern dafür, daß sie Morgens am Brunnen die Marseillaise gespielt, ein Dutzend Flaschen Wein geschickt. Es war eine Verwechselung, ein Herr hatte den Leuten das Geschenk für das Lied „Gott erhalte Franz den Kaiser“ zustellen lassen! Ich legte übrigens kein Gewicht auf die Sache und ignorirte sie, wie so viele auf meine Rechnung erfundene gute oder schlechte Geschichten. So hatte ich das Alles fast vergessen, als ich einige Tage später bei der jungen Sängerin anklopfte, um ihr meinen Gegenbesuch zu machen. Das Fräulein wäre nicht zu Haus, sagte der Diener, als ich meinen Namen nannte. Aber sie hatte gesungen, als ich in’s Vorzimmer trat; ich ließ mich also nicht abweisen und ging mit einem Scherz auf den Lippen dem Diener nach in den Salon – sah noch, wie die fliehende Künstlerin im Nebenzimmer verschwand, und stand Aug’ in Auge ihrer englischen Gesellschafterin gegenüber, die mir mit allem Stolze ihrer Nation zuschnarrte: „You shall never see Miss …, never!“ Ich lachte ihr natürlich in’s Gesicht, ging wieder heim und wußte durchaus nicht, was ich aus diesem Benehmen machen sollte, bis ich später erfuhr, daß ich das Glück, mit der Dame zu verkehren, durch den Korb Wein verscherzt hatte.“

Auf der andern Seite hat Wilhelmine Schröder-Devrient aber auch in der Künstler- und Dichterwelt Anerkennung und Verehrung im reichsten Maße gefunden. Unter ihren Papieren sind Briefe von Mendelssohn, Spontini, Meyerbeer, Ferdinand Hiller, Clara Schumann, Liszt und Bronsart; von Seidelmann, Cornet, beiden Genasts; von der Anschütz, der Ungher-Sabatier und Lucile Grahn; von Rietschel, Laube, Holtei, Theodor Hell und Böttiger; von Helmine von Chezy und Elise Polko, die Zeugniß dafür geben; selbst der Gelehrtenstand hat ihr durch Raumer und Carus seine Huldigungen dargebracht. Den Briefwechsel mit Carus, der aber erst in spätere Jahre fällt, bin ich ermächtigt vollständig abdrucken zu lassen. Hier folgen jetzt nur einige der früheren Briefe.

Darmstadt, 21. Oktober 1830. 
„Erst heute, holdseligste der Frauen, komme ich dazu, mit meiner liederlichen Handschrift auf Ihre zierliche Epistel zu antworten, weil die Entscheidung der Großherzogin erst gestern erfolgt ist … .
Es ist gestern befohlen worden, Ihren ersten Auftritt auf Dienstag, den 2. November, als Euryanthe festzusetzen; die zweite Gastrolle würde auf Sonntag den 7. fallen, und es ist dazu Don Juan gewählt worden.
Wie es bei uns zugeht, davon erlassen Sie mir wohl eine Schilderung. Kommen Sie nur aber ja gewiß; Sie werden wie der Geist über den Wassern schweben, und so lange Sie singen, müssen die streitenden Elemente schweigen.
Meine Frau grüßt Sie, von der Hoffnung Sie zu bewundern im Voraus entzückt. Küstner ist in Leipzig, Türkheim in Seligkeit, Madame Krüger in der Probe (vom Barbier), Viele in Wuth, Alles in Confusion! und der Teufel überall!
Wüßte man nur, daß Sie bei Zeiten eintreffen wollten, so käme man Ihnen mit Jubelklang entgegen. Mich finden Sie bis Mitternacht auf der Chaussee, damit ich der Erste sei, der Ihnen sein Willkommen zuruft.
Ihr Verehrer 
C. von Holtei.“  
Stuttgart, 18. Mai 1837. 
„Minna-Euryanthe, – Minna-Iphigenie – doch wozu die Namen der Kunstgebilde, wenn ich Minna Schröder begrüße? – Schon lange wollte ich Ihnen, hohe Künstlerin! einige Erinnerungsworte zurufen – indeß in Ihrer Wunderschöpfung Euryanthe lebt und blüht, wollt’ ich Ihnen gern schon so lange sagen, auch der Dichterin zu gedenken, die ahnungsvoll sie für Sie geschaffen.
Heut, da ein liebenswerther, junger Mann vom Neckarstrand – eine wahre Maiblüthe vom Lebensbaum der Poesie – nach London geht, gebe ich ihm diese Worte mit, die mein Andenken bei Ihnen auffrischen sollen. Empfangen Sie gütig und wohlwollend Herrn Niclas Müller und begeistern Sie ihn zu neuen Liedern; mir aber gönnen Sie die Hoffnung, auf deutschem Boden noch mehr als einen Ihrer Triumphe mitfeiern zu helfen und Blumen in Ihre unverwelklichen Kränze zu winden. Mit der feurigsten Bewunderung, verehrte Künstlerin!
Ihre Ergebene  
Helmine v. Chezy, geb. Fr. Klencke.“ 


Dresden, 10. Mai  
„Hochverehrte Künstlerin!
Wenn Ihnen an der Anerkennung eines ci-devant Kunstcollegen etwas liegt, so erlaube ich mir, Ihnen durch diese Zeilen vorläufig zu sagen, daß mich Ihre gestrige Gesammtleistung der Rebecca entzückt und das alte Blut in Wallung gebracht hat.
Ich sah diese Darstellung niemals von Ihnen und bin nun zu der Ueberzeugung gekommen, daß die wahren lyrischen Künstler auch schlechte Libretti und verwutzelte Partituren zu unverdienter, in natura nicht gegründeter Anerkennung heben können! – denn ich heiße ein Libretto schlecht, das ganz überflüssige Figuren hat und ohne Causalnexus zusammen gemacht ist, und eine Musik verwutzelt, die sich in durchgehenden Noten der Mittel- und Füllinstrumente gefällt, um deutsche Schulmeister-Grammatik darzuthun.
Apollo und alle neun Musen erhalten Sie! wenigstens so lange noch, bis Eine kommt, die Sie nachahmt, die Ihnen nachstrebt! Erreichen wird Sie wohl schwerlich Eine, und so halte ich es für Pflicht, Ihnen meinen aufrichtigen, herzlichen Dank und wahre Hochachtung hierdurch auszusprechen. Wahre

[300] Kunst müssen wir unter uns selbst festhalten und anerkennen, denn für den Troß ist dergleichen – Caviar.

Bitte, lassen Sie mich wissen, wann ich Sie dieser Tage zu Hause treffe, um Ihnen Alles das und mehr mündlich zu wiederholen.
Ihr ganz ergebenster
Cornet.“ 


Berlin, 20. Sept. 1838.  
… Ihre Euryanthe war bewunderungswürdig; Sie haben aus dem zum Theil thörichten Text gemacht – mehr als man erwarten kann. Wie Sie dem Lysiart zuerst entgegentraten: ich fuhr unwillkürlich zusammen. Unübertrefflich! – An der nächsten Wendung, dem dummen Unglauben, dem Wahn: Mittheilen einer Historie und Treubruch sei dasselbe – sind Sie unschuldig. Hätten Sie dem Lysiart eine derbe Ohrfeige gegeben und dem Adolar gesagt, er sei ein Schafskopf, so wäre die Oper ohne den 3. Act zu Ende gekommen. In diesem hätte Weber ein paar hohe Noten nicht setzen und Sie hätten sie streichen sollen. Man kann sie fast nicht heraus singen, sondern muß schreien, was freilich die Meisten jetzt am meisten bewundern. Ich habe vor Allem das Milde, Gefühlvolle, Weiche in Ihrem Piano bewundert; ein Beweis, daß Sie immerfort lernen und üben. Das Genie hat Ihnen Gott in seiner Gnadenwahl gegeben; das stelle ich Ihnen nicht in Rechnung. Erfüllen Sie nun aber Ihren Beruf nicht, so verdienen Sie, daß er seine Gabe Ihnen entziehe. Also vorwärts, marsch, auf Reisige los! Auf Wiedersehen. Ihr ergebenster, dienstwilligster
v. Raumer.“ 


Im Febr. 1841 hatte Mendelssohn in Concert-Angelegenheiten an Wilhelmine geschrieben und den Brief adressirt:
An Madame Schröder-Devrient,
berühmte Künstlerin
 in Dresden.

Wahrscheinlich hatte sie eine Bemerkung darüber gemacht, denn in Mendelssohns nächstem Briefe heißt es zum Schluß:

… „Und die Adresse kann auch diesmal nicht geändert werden. Wenn einer von den hundert deutschen Titeln ’mal mit der That geführt wird, da darf er nicht fehlen. An die Frau Hof- oder Kammer-Sängerin adressirte ich Ihre Briefe mein Lebtag nicht.“
Der letzte Brief von Mendelssohn, der sich unter Wilhelminens Papieren befindet, ist vom 2. März 1845 und lautet:
„Liebe Madame Devrient!
Ich schreibe Ihnen diese Zeilen, um Sie zu bitten, am Palmsonntag in Dresden die Sopran-Partie in meinem Paulus zu singen. Es liegt mir so viel daran, es thäte mir so leid, wenn Sie gerade dann abwesend wären und nicht mitwirkten, daß ich nicht unterlassen kann, Ihnen diese meine dringende Bitte auszusprechen, obwohl ich von Herrn Capellmeister Reissiger gehört habe, daß Sie Ende März Ihre Urlaubsreise antreten und Anfang April schon zu Gastvorstellungen verpflichtet sind. Aber könnten Sie denn für den Palmsonntag nicht zurückkehren oder den ganzen Anfang der Reise aufschieben? Mit einem Wort: ist es unmöglich, daß Sie mir meine Bitte erfüllen? Seien Sie mir über jene Zumuthung nicht böse, aber ich kann’s mir und mag’s mir gar nicht denken, daß Sie abwesend wären, wenn ich zum ersten Male irgend etwas von meiner Musik in Dresden aufführen soll. Wenn Sie meine Bitte erfüllten, so thäten Sie mir und meinem Werke einen Gefallen, für den wir Beide Ihnen gewiß auf’s Herzlichste dankbar sein würden, freilich ich noch mehr als das Werk, das wohl noch dankbarer sein könnte und sollte als es ist. Indessen ich habe mir’s müssen von so mancherlei Leuten vorsingen lassen, gut und schlecht, ganz und getheilt (von einem dies Stück, von dem Anderen das), theatralisch und langweilig – nun möchte ich’s ’mal so hören, wie ich mir’s gedacht habe. Deshalb komme ich mit meinem Anliegen und deshalb bitte ich, erfüllen Sie mir’s.
Immer Ihr ganz ergebener
Felix Mendelssohn-Bartholdy.“ 





Auch ein Menageriebild.

Von Guido Hammer.

Welchem Naturfreunde wäre eine Menagerie nicht anziehend? Liegt doch schon darin ein ungemeiner Reiz, daß wir diese fremdartigen Thiere, die uns bereits in der Schule als grell colorirte Abbildungen in irgend einem Naturgeschichtsbuche entzückt und mit Sehnsucht nach ihrem wirklichen Anblick erfüllt haben, nun als Originale vor uns sehen.

Für mich ist, ich will es nicht leugnen, schon der Geruch einer Thierbude, der für empfindsamere Nasen, als die meinige, abscheulich sein mag, eine Art von Wonne; denn er regt in mir theils alte, schöne Erinnerungen auf, theils beflügelt er mir die Phantasie und versetzt mich in die Tropenländer unter mächtige Katzengeschlechter, phantastisch geformte Gazellen und buntgefiederte Vögel, oder nach dem eisigen Norden, wo nur noch der Eisbär und die Robben eine Rolle spielen. Doch auch ohne Träumerei ist hier Poesie und Größe genug. Welch wundersamen, immer und immer neuen, tiefernsten Eindruck übt nicht der Anblick eines Löwen auf das Menschenherz! Trotz seiner jämmerlichen Beschränktheit, in der man gewöhnlich den „Wüstenkönig“ in Menagerien zu sehen gewohnt ist, verleugnet er seinen Adel nicht; ja, selbst durch Gefangenschaft, schlechte Pflege und Hunger verkümmert, ist die machtvolle Schönheit des edeln Thieres nicht ganz zu brechen, und immer noch bleibt es im Besitz eines unnennbaren Zaubers, der durch das menschliche Mitleid, das wohl kein Thier um seiner Gefangenschaft willen so in Anspruch nimmt, als der Löwe, eher erhöht, als geschwächt wird. Wie gewaltig wirkt allein der Anblick und Ton des Gähnens, das andere Geschöpfe in der Regel verunziert, aber den furchtbaren Mähnenträger keineswegs in seiner Würde beeinträchtigt! Nun vollends, wenn der Mächtige seine Stimme, sei es im Zorne, sei es um Nahrung zu fordern, ertönen läßt – wie erhaben und überwältigend ist diese Schwester des Donners! Denkt man sich das volle, markerschütternde Gebrüll eines Löwen in Freiheit, der in seiner vollen Schönheit und wilden Majestät die Steppen durchstreift und männiglich verkündet, daß er zu jagen ausgezogen, so begreift man, wie der Dichter zu seinem „Löwenritt“ gekommen [301] Alle Thiere erzittern vor dieser Stimme, und der Mensch, sollte er nicht von Empfindungen beherrscht werden, die, wenigstens bei den Civilisirten und Gebildeten, sich bis zum Gebete zu Dem, der so Machtvolles und Herrliches geschaffen, erheben?

An elastischer Eleganz der Formen und Bewegungen wird der Löwe zwar durch den Tiger übertroffen; aber weit steht dieser an edler Mächtigkeit hinter seinem königlichen Verwandten zurück. Jener eigenthümliche Geist des Löwen, möchten wir sagen, fehlt dem Tiger; er ist eben nur äußerlich schön. Diese körperliche Schönheit ist aber in der That bewundernswürdig. Schon die Färbung, vorzugsweise des Königstigers, ist gegen die schlichte Farbe des Löwen so sinnebestechend, daß er darin den letztern bedeutend übertrifft. Auch die Formen, wie gesagt, sind ebenmäßiger, gerundeter und anmuthiger, sowie seine Bewegungen geschmeidiger und fast einschmeichelnd. Doch der lauernde Katzenblick im echten ungemähnten Katzenkopfe ordnet ihn tief unter, so interessant er auch sonst, selbst in seiner Schattenseite, ist. Sowohl alle seine Vorzüge, als alle seine Mängel zeichnen das ganze übrige Katzengeschlecht aus, es seien nun andere Arten von Tigern, oder Panther, Leoparden, Unzen, Jaguare und wie sie sonst heißen, bis auf unsere Hauskatze herab.

Wie diese beiden Hauptträger des Katzengeschlechts, der Löwe und der Tiger, unendlich Interessantes bieten, so kann man in einer Menagerie von Käfig zu Käfig gehen, und immer wird man sich anregen und erlaben können; man betrachte nur Bären, Hyänen, Wölfe und sonstiges Raubzeug, oder die schlanke, dunkeläugige Gazelle in ihren verschiedenen Arten, oder die plumpen Ueberbleibsel der Vorwelt, den Elephanten, das Rhinoceros oder gar das Nilpferd; kurz, bis herab auf den Spaßmacher, den Affen, ja in kleinen Schaubuden selbst bis zu den einheimischen Waldthieren, die nicht jeder immer Gelegenheit hat zu sehen, wie Dachs, Fuchs, Marder etc., – Alles bietet eben so viel Belehrendes als Unterhaltendes und poetisch Erhebendes.

Nun haben die Menagerien aber noch eine Seite, die mich eigentlich zu diesem Artikel veranlaßt hat, ich meine die dabei beschäftigten Menschen, überhaupt das ganze Darum und Daran. Wer hat z. B. nicht mit angenehmer Neugier den Einzug eines Menageriebesitzers in einer Stadt beobachtet? Da kommen die gelb oder blau angestrichenen geheimnißvollen Wagen, wovon gewöhnlich der vordere einen kleinen Hausstand bildet. Da giebt es blumengeschmückte Fenster mit Jalousien und eine gemüthlich rauchende Esse. Hinterher gehen angekettet dickköpfige, mürrische Bulldoggen von reinster Race. Im Coupé aber, das man eher einen kleinen Vorsaal nennen könnte, schaukeln sich Kakadu’s und indische Raben, mit denen sich wohl die Frau des Besitzers, die unter Blumenstöckchen sitzt, freundlich unterhält. Sie zeichnet sich gewöhnlich durch Corpulenz und durch auffallend viel Ringe, die sie an den zehn dicken Fingern vertheilt trägt, aus, so wie sie gewöhnlich viel, man möchte sagen, Familienähnlichkeit mit den Normalbulldoggen hat, die verbissen unter dem Wagen hinschreiten.

Gelenkt wird dieser Hauptwagen gewöhnlich von dem unvermeidlichen – echten oder – je nachdem die Mittel der Direction es erlauben – unechten Mohr. Die anderen eisenbeschlagenen, festverschlossenen Wagen, aus denen der neugierige Blick wohl dann und wann durch ein vergittertes Guckloch einen Lama- oder Straußenkopf erhascht, sind von Wärtern umgeben, die durch fremdländischen Accent die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Zuweilen passirt es freilich auch, daß ein guter, alter Bekannter so einen kauderwälschenden, mit einem Fez geschmückten, bartstarrenden Angestaunten durch den Anruf: „Herr Jeses, Petzold, wo kommst Du den her?!“ als ehrlichen Eingeborenen verräth.

Ist die Menagerie aufgestellt, so kann man das Thierbudenpersonal erst recht in seiner Eigenthümlichkeit kennen lernen. Der Schwarze spielt, einem gewissen Publicum gegenüber, stets eine hervorstechende Rolle. In Folge dessen raucht er auch stets geschenkte Cigarren, die ihm gern von solchen verabreicht werden, die einen unnennbaren Reiz, ja Stolz darin finden, mit dem „Mohr“ gut bekannt zu sein. Wer sich aber die Freundschaft des Menageriebesitzers durch Freihalten in der Restauration, die der Thierbändiger zum Frühstück und Abends zu besuchen pflegt, erworben hat, wird unter Gleichgesinnten, aber weniger Glücklichen, eine angesehene und beneidete Person. Solche fehlen natürlich, als Abonnenten, niemals bei der Hauptfütterung und Bändigungsvorstellung, wo sie beim Eintreten des Löwenbezwingers durch freundlichen, laut zugerufenen Gruß ihre Intimität mit der wichtigen Persönlichkeit vor dem Publicum zu bekunden suchen. Dabei gewöhnen sie sich gern die vier Wochen über, während welcher die Truppe in der betreffenden Stadt weilt, den fremden Dialekt der Wärter an, so daß es wohl vorkommt, daß einer oder der andere von den Zuschauern sie mit zum Menageriepersonal zählt, zumal sie sich gern die Freiheit herausnehmen, in dem Raume dicht vor den Käfigen, wo nur die Wärter zu gehen haben, sich aufzuhalten. Wird ein Solcher bei vorkommender Gelegenheit in der Voraussetzung, er gehöre zum Etablissement, um eine Auskunft gebeten, so wird sein Glück vollständig. Schlau weiß er es zu umgehen, seine nur gastliche Stellung zu verrathen, und giebt in meisterhaft nachgeahmtem Tone eines „Erklärers“ die gewünschte Belehrung. – Doch betrachten wir den Thierbändiger selbst einmal näher und zwar bei einer Vorstellung, so kann man ihm die vollste Anerkennung nicht versagen; denn man hat seinen Muth und seine Talente zu bewundern, mit welchen er sich die Bestien unterthan zu machen verstanden. Mit Gerte bewaffnet, mit bloßen muskulösen Armen tritt er unerschrocken unter die zähnefletschenden und widerstrebenden, mächtigen Katzen und zwingt sie nach seinem Willen zu handeln. Natürlich geht er dabei mit echter Thierbändiger-Charlatanerie zu Werke, indem er augenverdrehend und gesichterschneidend gleichsam die Carricatur einer wilden Bestie spielt, von der es ja richtig ist, daß sie das Auge des überlegenen Menschen scheut, jedenfalls aber vorzugsweise den ruhigen, durchdringenden, desto mächtiger wirkenden Blick des Herrn der Schöpfung. Daß dabei die betreffenden Thiere in ihrer wirklichen oder andressirten Aufgeregtheit stets ein höchst interessantes Schauspiel bieten, ist natürlich. – Hinsichtlich des übrigen Menageriepersonals bietet sich noch eine Seite, die mir stets, namentlich in kleineren Etablissements, die größte Heiterkeit erregt hat; ich meine das Erklären der Thiere von dem „Explicator“. Man könnte diesen Actus die traditionelle „höhere Sohte“ nennen; denn was dabei in Bezug auf Vaterländer der Thiere, deren Eigenschaften, Wildheit, Alter und noch zu erwartende Größe gefabelt wird, geht in’s Großartige. In größeren Menagerien nimmt man’s mit der Wahrheit genauer.

Neuerdings bestrebt man sich sogar ernstlicher, mehr eine wirklich wissenschaftliche Belehrung zu bieten. Nur die verschiedenen Arten, wie Panther, Leoparden, Unzen u. s. w., werden noch oft genug verwechselt, und bei Erklärung der Hyänen kann man sich von der stereotypen Redensart, daß sie „die Leichen ausgraben und lebendig auffressen“, noch nicht recht trennen. Dann bleibt es ein komischer Zug, daß zuletzt für Vorzeigung halbtodter Schlangen, die in ihrer Hinfälligkeit jedenfalls das geringste Interesse bieten, eine kleine „Recommandation“ beansprucht wird, der Viele lieber entsprächen, wenn ihnen die Ansicht erspart bliebe. Ich wenigstens habe eine ordentliche Aversion für den unvermeidlichen Holzkasten, woraus irgend ein Zipfel einer wollenen Decke hervorguckt, und an dessen Fuße sich die Wärmflaschen herumtreiben, die dazu bestimmt sind, die verborgenen abgematteten Reptilien nothdürftig an das Klima ihres Vaterlandes zu erinnern. Für Manche mag es allerdings ein Genuß sein, den Wärter sich so einen glatten Schlangenkopf in den Mund stecken zu sehen, und sie stecken dafür vielleicht gern ihr Scherflein in die vorgehaltene Büchse. Doch Thatsache soll es sein, daß sich in einer solchen Sammelbüchse beträchtlich viel Hosenknöpfe finden, die vom Publicum des dritten Platzes wohl weniger aus Ironie, als öfter aus Mangel an landesüblichen Münzsorten beigesteuert werden. Und ich will es nur gestehen, daß ich in meiner Knabenzeit auch einmal zu dergleichen Contribuenten gehört, was mir schlecht bekam. In der Hast des Abdrehend nämlich war am bezüglichen Knopfe ein Stückchen Tuch mit hängen geblieben, und „schon hatt’ ihn verschlungen der gähnende Mund“, d. h. den Knopf, doch hervorschaute das Stückchen Hosenbund, welches der edle Knecht mit stolzer Resignation erfaßte und den am Zwirnsfaden schaukelnden Knopf wieder hervorzog, mich fixirte und – freilich nur lächelnd, aber zu meiner tiefsten Beschämung weiter schritt. Im Vergleich zu diesem äußerst beredten Lächeln würde mich der Anblick einer Klapperschlange weniger alterirt haben, oder wenn der Tiger ausgebrochen wäre, ich hätte mich mit dankbarem Herzen fressen lassen. Wahrscheinlich rührt aus jener Zeit meine Antipathie gegen das Vorzeigen der Schlangen mit obligater Büchse her.

Aber um auf die naturgeschichtliche Erklärung kleiner Menageriebesitzer [302] zurückzukommen, so will ich ein jüngstes Erlebniß dieser Art mittheilen.

Da gab’s einen Käfig mit allerhand Gethier zu sehen, wie Waschbären, Armadill, Marder, Fuchs, Hauskatzen, Hunde, Kaninchen, Meerschweinchen, ein Rehkälbchen u. s. w., alle scheinbar in zärtlicher Eintracht untereinander lebend. Auch hier wurden nun die Zuschauer mit einer Explikation regalirt, die wirklich originell war. Da hieß es unter anderm von dem Rehkälbchen, das vielleicht erst unlängst in der Dresdener Haide gehascht und gepascht worden war: „Hier sehen die Herrschaften einen der kleinsten Hirsche der Welt; sein Vaterland ist Brasilien.“ Brasilien spielt nämlich eine große Rolle unter den Vaterländern der verschiedenen Thiere; es klingt so recht ausländisch, so recht „praßlig“. Dann war die eine gemüthliche Hauskatze eine indische, die andere aber mit abgehacktem Schwanze und kreuzlahm, daß sie hinten zusammenkauerte, sollte ein Bastard zwischen Katzen und Kaninchen sein. Und das Publicum? O, das Publicum ist die Gläubigkeit selbst. Es glaubte auch, daß der Hund, weil er roth aussah, ein Bastard von Hund und Fuchs sei. Die Kaninchen und Meerschweinchen waren ägyptisch, Fuchs sibirisch, Marder wieder brasilianisch. Die Waschbären blieben unverfälscht, dagegen mußte das Armadill sich gefallen lassen, zu fürchterlichen „Sohten“ ausgebeutet zu werden. „In seinem Vaterlande Aegypten“, hieß es, „saugt es den Krokodilen die Eier aus und gräbt sich, wenn das Ungeheuer dazu kommt, augenblicklich – man staune – sechs Fuß unter die Erde und entgeht so der Rache der Krokodilmama“. Aber nicht genug! „Hat das Armadill keine Krokodileier zur Hand, so geht es auf die Kirchhöfe, scharrt die Leichen aus und frißt sie“ – ich will nicht selbst lügen und dazu setzen: lebendig auf, aber „frißt sie auf,“ sagte er wirklich. Das Publicum betrachtete jedoch das harmlose Thierchen nach so schamlosen Verleumdungen mit nervösem, gespanntestem Interesse und schüttelte die Häupter ob seines scheußlichen Charakters.

Nachdem ich mit einem richtigen Neugroschen meiner Verbindlichkeit für Anschauung eines vertrockneten tättowirten Neuseeländer-Kopfes nachgekommen war, schritt ich ergötzt zur Bude hinaus, um draußen noch einem Lieblingsgenuß zu fröhnen, nämlich die Aushängebilder der Menagerie zu betrachten. Hier waren mit wahrhaft fleischfresserischer Phantasie die blutigsten Scenen zwischen phantastisch geformten Menschen, Löwen, Tigern, Schlangen u. s. w. dargestellt, die von salatgrünen Palmen und kornblumenblauen Gebirgen überragt wurden. Daß drin in der Bude kein einziges von den hier abgebildeten Thieren zu sehen war, fand ich so charakteristisch, daß es mir leid gethan hätte, wenn es anders gewesen wäre.




Zur Geschichte des Aberglaubens.

Nr. 4

Ich kann mir leicht denken und weiß es, wie schwächere Menschen unter mancherlei mystischen Eindrücken leiden, und will eben deßhalb etwas von meinen Selbstcuren erzählen; vielleicht geschieht es nicht ohne Nutzen für manchen Befangeneren. –

Es ist nämlich ganz eigenthümlich, wie jedem Bildungsgrad zum Trotz die Hinneigung zum Aberglauben falsche, lächerliche Combinationen und Trugschlüsse veranlaßt, bis sich in dieser Richtung eine solche Begriffsverwirrung einstellt, die alle vernünftigen Anlagen auflöst, den Verstand völlig corrumpirt und schließlich eine dergestaltige Zerstörung des Nervensystems zur Folge hat, daß solche Menschen zuweilen für die Gesellschaft förmlich unbrauchbar werden. –

Giebt es einen Menschen, der mit verdorbenem, krankhaftem Nervensystem schon aus der Kinderstube kam, so war ich es. Ich verstand es prächtig, Andere zu schrecken, – vielleicht nur deßhalb, weil ich alle Schauer der etwa dennoch möglichen Wahrheit meiner Erzählungen selber mit empfand. Eine dunkle Stube, in welcher ich allein sein sollte, – eine Leiche im Hause, das Sprechen einer ungehört eingetretenen Person – Träume etc., derlei unbedeutende und unvermeidliche Veranlassungen setzten mich fieberhaften Aufregungen von tagelanger Dauer aus; und wäre mir nicht das derbe Leben zu Hülfe gekommen, das während meines Aufenthaltes in der Militärschule und den darauf folgenden sechs Jahren eines Kasernen-Lebens hinreichend Gelegenheit fand, meine naturwüchsige zweite Menschenhälfte auszubilden: – ich wäre, davon bin ich überzeugt, ein unter magnetischen Inspirationen vegetirender, für’s praktische Leben völlig unbrauchbarer Mensch geworden.

Ich muß, um das Nachfolgende in’s gehörige Licht zu stellen, noch einige Worte voraussenden. Verkenne mich Keiner in der Schilderung meiner Geisterseher-Erlebnisse. Ich bin nicht etwa ein zaghaft schwächlicher Mensch, sondern der Wahrheit getreu darf ich von mir sagen, daß ich stets ein couragirter Bursche war, der vor einer sicheren Gefahr niemals zurück schreckte. Ein durch meine militärische Erziehung kräftiger und ebenmäßiger Körper befähigte mich schon früh, als Turner und Fechter Ungewöhnliches zu leisten. – Todesfurcht war mir immer fremd geblieben; ich habe es vermocht, ruhig im Kugelregen zu stehen, ja vielleicht um ungenügender Veranlassungen willen muthig und muthwillig mein Leben auf’s Spiel zu setzen; so wie mir noch heute Keiner, der mich kennt, festen Willen und Entschlossenheit absprechen wird; – und dennoch habe ich viel unter abergläubischen Kindereindrücken gelitten. – Alles das zusammengenommen, maße ich mir nun das Recht an, vor den verderblichen Einflüssen des Aberglaubens, die selbst dem Gebildeten und Hochherzigen gefährlich werden können, laut zu warnen und Eltern recht eindringlich darauf aufmerksam zu machen, wie nothwendig es ist, Kinder geistesfrei zu erhalten und ihnen schon bei Zeiten die Grundbegriffe einer gesunden Logik an die Hand zu geben. Und nun zur Sache.

Ich verließ meine Militär-Carriere und wurde Schauspieler. Dieser Stand mit all seiner Exklusivität der Existenz war es, der mir am meisten zusagte. Wenn nun während meiner Militärzeit meine mystischen Anlagen schlummerten und nur hier und da mit träumerischen Beängstigungen spukten, so wurden dieselben jetzt unter den Einflüssen meines neuen Standes mit verdoppelter Gewalt lebendig. –

Nach mancherlei tollen Erlebnissen führte mich ein Engagement nach H… – fröhlichen Angedenkens. – Ich war in der Vollkraft meiner 26–27 Jahre und mit dem Entschluß ausgerüstet, meiner kränklichen Hinneigung zum Aberglauben, dessen Lächerlichkeit ich recht wohl einsah, ohne mich von ihm befreien zu können, ein Ende zu machen, als ich erfuhr, daß ein dicht am evangelischen Friedhof jener Stadt gelegenes Haus erst seit kurzer Zeit wieder von einer Familie bewohnt werde, nachdem dasselbe ein paar Decennien als Geisterschloß gemieden und umgangen war, weil sich in demselben ein Gespenstersaal befinde, wo ein Poltergeist sein Unwesen treibe. Gleichzeitig kam mir zur Kenntniß, daß zwei Zimmer, dicht an jenen Gespenstersaal grenzend, das eine mit der Aussicht nach dem Friedhof, das andere nach einem schönen Garten gelegen, zur Zeit noch unbewohnt seien.

Mein Entschluß war gefaßt. Ich miethete gegen ein Billiges die beiden hübschen Zimmer und zog trotz meiner Aversion, die ich jedoch vor Niemandem aussprach, dort ein. – Es ist überhaupt ein vortreffliches Mittel gegen eigene Schwäche anzukämpfen, wenn man es über sich zu gewinnen sucht, frei und offen mit ihr zu verkehren. Nun hatte ich meinen ganzen Nervenstärkungs-Apparat beisammen. Ein Geistersaal sammt Poltergeist – vor meinen Fenstern der Friedhof – geisterhafte Stille und Einsamkeit – und eine ganze Bibliothek von Schauergeschichten, die sich alle an dem verrufenen Ort meines Aufenthaltes zugetragen haben sollten. „Giebt es etwas von alledem, was Dich so oft mit Furcht und Schauder erfüllte,“ sagte ich mir, „so muß Dir hier etwas davon begegnen, und dann werde daraus was wolle; und begegnet Dir nichts, dann giebt es auch nichts, und Du wirst von Deiner unseligen Albernheit geheilt sein!“

Aus dieser Selbstansprache, lieber Leser, wirst Du erkennen, mit welchen Gefühlen ich meine Geisterburg bezog. Ich war entschlossen, jedem Geräusch, jeder Erscheinung zu begegnen und nicht eher zu ruhen, bis ich die letzte Veranlassung ermittelt, Wahrheit [303] oder Täuschung ergründet haben würde. Obwohl mir in der ersten Zeit nichts Außerordentliches begegnete, hatte ich dennoch mit dem Verfolgen von Kleinigkeiten viel zu tun, so zwar, daß ich in den ersten Tagen aus einem gelinden Fieber gar nicht herauskam. Doch die Gewohnheit hilft viel, und binnen ein paar Wochen war ich mit meiner Situation vollständig vertraut und ruhig. – Solcher Art kehrte ich eines Abends, es mochte zwischen 10 und 11 Uhr gewesen sein, aus dem Theater nach meiner Wohnung zurück, welche, wie schon erwähnt, außerhalb der Stadtmauer dicht am Kirchhof gelegen war und die ich auf zwei Wegen zu erreichen vermochte: entweder direct quer über den Friedhof, wo sich eine Hinterpforte befand, welche nach einer Küche des Hauses führte, von wo aus ich gleich nach meiner Wohnung hinaufsteigen konnte; oder auf einem Umwege, der die Friedhofsmauer umgehend durch eine förmliche Schlucht in den Garten und nach der Vorderfront des Hauses führte.

Ich hatte den Uriel Acosta in Gutzkow’s gleichnamigem Stücke gespielt und war ungewöhnlich erregt. Als ich auf meinem Heimweg aus dem Thor der Stadtmauer trat, lag der Friedhof auf einem kleinen Hügel in herbstlicher Mondbeleuchtung vor mir, und tiefe Stille war über die Natur gebreitet. Mechanisch schritt ich, kaum das Geräusch meiner eigenen Schritte vernehmend, dem mir gerade gegenüber liegenden offenen Eingang zum Friedhof entgegen, zu dem etwa zwanzig breite, steinerne Stufen empor führten.

Mit einem Male haftete mein Blick auf einer etwa achtzig Schritte vor mir gleichsam dem Boden entwachsenen Gestalt, die geräuschlos vor mir her schritt und die ich mit Entsetzen im nächsten Augenblick – als meine eigene erkannte! denn sie war mit demselben Almaviva und niedrigen Hut wie ich bekleidet, welche Tracht mich in der Stadt auffällig genug machte, da Niemand außer mir ein derartiges Kleidungsstück trug. Ich stand starr, – durch meine Glieder schoss es kalt und heiß, – ich war augenblicklich unfähig vor oder rückwärts zu schreiten – irgend einen Entschluss zu fassen. – Meine Blicke nur blieben starr nach dem Gegenstande meines Schreckens gerichtet, der sich indeß unbekümmert um mich und, wie es mir schien, geräuschlos schwebend vorwärts bewegte, die Stufen emporstieg, bis er in der Friedhofsmauer verschwand. Erst nachdem die Erscheinung vorüber war, fand ich Kraft mich wieder zu sammeln und schwankte einen Augenblick, welchen Weg ich einschlagen sollte, um nach meiner Wohnung zu gelangen, obgleich ich sonst immer den Weg über den Friedhof zu nehmen gewohnt war.

„Du bist ein Narr!“ rief ich mir mit lauter Stimme zu, und mit dem Ton aus der Brust kehrte auch wieder der Mut in dieselbe ein. Glaube mir, lieber Leser, es gehörte wirklich einiger Mut dazu, um mit festen Schritten jetzt die Stufen zum Friedhof hinauf meinem Doppelgänger nachzugehen. Ich betrat mit wahrscheinlich ungewöhnlich weit aufgerissenen Augen den Friedhof, der in heller Mondscheinbeleuchtung vor mir lag, vermochte aber nichts Befremdliches dort zu erblicken; denn die Gräber und Grabsteine, zwischen welchen ich nun meinen Weg nahm, hatten schon seit Wochen für mich nichts Unbekanntes mehr. So erreichte ich das Haus und trat, ohne erst nach meinem Zimmer hinauf zu steigen, gleich im Erdgeschoss ins Versammlungszimmer der Familie K., wo sich, wie gewöhnlich, sämtliche Familienglieder zur Einnahme des Abendbrotes versammelt hatten und meiner ungewöhnlich verzögerten Ankunft harrten. Erstaunt rief man mir entgegen: „Was ist Ihnen, Walter? wie sehen Sie aus?“ denn meine jüngsten Erlebnisse mochten einige Zeichen ungewöhnlicher Erregtheit auf meinem Gesicht zurückgelassen haben.

Kaum im Stande mein inneres Beben zu verbergen, erzählte ich, wie ich eben mich selber habe nach dem Friedhofe schreiten sehen, und war überrascht, gar keine Wirkung meines Entsetzens auf meine Zuhörer zu verspüren, als mein College, der Baritonist B., welcher häufig Gast beim Abendtisch der Familie K. gewesen, wo wir dann oft bis spät in die Nacht bei Musik und Sang fröhlich beisammen waren, aufstand und an mich herantretend sagte: „Na, höre, Bruder, hätte ich ahnen können, daß ich Dir solchen Schreck bereiten würde, so hätte ich meine Gefälligkeit bei Seite gelassen.“ Und hierauf folgte eine höchst einfache Erklärung des ganzen Herganges. Nach beendigter Vorstellung verließ ich mit gewöhnlicher Schauspielereile die Garderobe, fand es aber für gut, meiner ungewöhnlichen Aufregung wegen erst einen Gang durch die Straßen der Stadt zu machen, ehe ich meine Wohnung aufsuchte, um das Abendbrot einzunehmen. In meiner Zerstreutheit hatte ich mich nicht meines mitgebrachten Mantels (Almaviva) bedient, sondern ging im einfachen Überrock fort. College B., bei der Aufführung des Uriel Acosta nicht beschäftigt, hatte im Auditorium die Vorstellung mit angesehen und wollte mich aus der Garderobe abholen, um mit mir gemeinschaftlich den für ihn ungewohnten Weg über den Friedhof zu machen, fand mich jedoch dort nicht mehr, wohl aber den von mir zurückgelassenen Mantel (Almaviva), den er sich umhing, um ihn mir nach Hause zu bringen, da Frostwetter einzutreten drohte. Das Übrige versteht sich von selbst. Ich hatte in meinem Schreck kopfloser Weise nicht bemerkt, daß ich selber besagten Mantel gar nicht auf den Schultern trug, und mit einem Wort jeden vernünftig verbindenden Gedanken verloren. Wir lachten alle, und ich freute mich herzlich, eine erwünschte Lehre erhalten zu haben.

Während dessen hatten wir unsere gewohnten Plätze zur Einnahme des Abendbrotes besetzt und harrten der nahen Genüsse, als die Thür aufflog und die Köchin, eine kräftige, hochgewachsene Siebenbürger Sächsin, todtenbleich, mit ihrer Küchenlampe in der Hand, hereinstürzte und mit den Worten: „Der Tod – der Tod – der Tod ist da!“ mitten in der Stube zusammenbrach. Alles sprang erschreckt auf und der Magd zu Hülfe, denn wir glaubten, der etwas starken Person sei ein Schlaganfall oder sonst ein heftiges Uebelsein nahe getreten. Bald jedoch vermochte sie uns verständlich zu machen, daß es an der Hinterpforte vom Kirchhof aus geklopft habe, und sie in der Meinung, es käme noch Jemand zu spätem Besuch, habe geöffnet und statt eines Menschen den leibhaftigen Tod vor sich stehen gesehen.

Der Hausherr selbst ergriff ein Licht, und ich, ihm noch voraus eilend, betrat mit ihm die Küche. Kaum dort angelangt hörte ich deutlich abermals an die erwähnte Thüre pochen. Wir sahen uns Beide, ohne ein Wort zu sprechen, an. Das Pochen wiederholte sich, und leises Wimmern wurde vernehmbar. Ich, der eben erst Belehrte, wollte die Früchte meiner überstandenen Cur erproben und trat nahe an die Thüre, der Hausherr mit dem Lichte in der Hand folgte mir, zieht, um die Thüre zu öffnen, das Drückerschloß zurück, ein eindringender kalter Windstoß verlöscht das Licht, indem ich auf die Schwelle hinaustrete; im selben Augenblicke schlägt die Thüre hinter mir zu und fällt in’s Schloß, während ich draußen auf dem Kirchhof stehe, und mir hart gegenüber im grünlichen Mondlicht ein augenscheinlich dem Grabe entstiegener, in weiße Laken gehüllter, zitternder und wimmernder Leichnam! Auf’s Neue mit Entsetzen erfüllt, wollte ich zurücktreten, woran mich jedoch die festverschlossene Thüre verhinderte, so zwar, daß ich mich der Nothwendigkeit preisgegeben sah, mich mit dem Unbegreiflichen zu verständigen. Der Athem war mir eingefroren, und ich vermochte nicht meine nächsten Gedanken laut werden zu lassen, bis es endlich unter herculischer Anstrengung: „Was giebt es hier?“ aus mir herausbrüllte. –

„Ist der Herr Schulmeister nicht da?“ wimmerte in kläglichem Ton die Gestalt mir zurück. „Ich muß zum Herrn Schulmeister! Ist der Herr Schulmeister nicht hier?“ wimmerte es nun wie in einem Athem, während die jämmerliche Gestalt im Froste bebend jetzt und jetzt zusammen zu brechen drohte. Während dessen hatte man sich im Hause gefaßt und auf’s Neue Licht herbei gebracht, worauf mein College B. zu mir heraustrat und wir uns entschlossen, den halbnackten, nur in ein Hemd und Bettlaken gehüllten Menschen anzufassen und nach erwärmten Räumen des Hauses zu bringen. Die furchtbare Erscheinung löste sich bald natürlich auf.

Auf der anderen Seite des Friedhofes lagen nämlich einige Baracken schlechter Holzgebäude, welche in Ermangelung anderer Räume zu Filialspitälern eingerichtet waren. Von dort war ein Nervenfieber-Kranker entsprungen, auf den Friedhof und nach der Küchenthüre gelangt, wo er, ein Schulamtscandidat, in seiner Vision beim Herrn Schulmeister Einlaß forderte und so all den heillosen Schreck verursachte. Man eilte nach dem Spital hinüber, holte die schlafenden Krankenwärter herbei und brachte den Kranken wieder in Sicherheit; – ich aber war für alle Zeiten derartig curirt, daß ich von nun an nie wieder den Kopf ganz und gar verlor, und begegnete mir etwas Außerordentliches, was bei der Sonderbarkeit meines Wohnortes, wo ich 1 Jahr und 9 Monate verblieb, allerdings noch einigemal geschah, so kam ich nie wieder ganz außer Fassung; daher mir auch keine eigentliche Schauergeschichte mehr vorkam.

Durch das Aufsuchen und Bestehen dieser und ähnlicher Ergebnisse [304] von denen ich nur ein paar flagrante Fälle hier erzählte, gelang es mir nun wohl, mich der Knechtschaft des groben Aberglaubens und dessen häufig unberechenbar nachtheiligen Folgen zu entreißen. Ich hatte glücklicherweise eine kräftige Natur, die manchen heftigen Stoß, ohne positiven Schaden zu nehmen, auszuhalten vermochte, – wie aber mit schwächeren Constitutionen? – Man sehe sich nur um, und man wird zaghaften, unentschlossenen, nervösen Menschen in Masse begegnen, die unter den Einflüssen jetzt freilich kaum mehr klar bewußter Jugendeindrücke bis in ihr spätes Alter leiden.




Blätter und Blüthen.

Wie ein Gänserich seine Hausehre vertheidigte. – In Nr. 11 des Jahrg. 1860 der Gartenlaube theilt Dr. Brehm eine Beobachtung mit, welche allerdings als eine Ehrenrettung der so oft der Dummheit anklagten Gans angesehen werden muß. Diese Erzählung hat mich an eine sehr ergötzliche Scene erinnert, welche ich vor mehreren Jahren auf einem reich bevölkerten Hühnerhofe erlebte, und die, weil dabei außer dem Haupthelden, einem wackeren Gänserich, die ganze Bevölkerung des Hofes mehr oder weniger betheiligt war, durch die Mannigfaltigkeit der handelnden Persönlichkeiten noch bedeutend an Interesse gewann.

Die Fenster meines Zimmers gingen auf einen großen Hof, in welchem sich Hühner verschiedener Racen, Enten, Tauben und Gänse, Hunde und Katzen, und zuweilen auch eine Ziege, jedes in seiner Weise, umhergetrieben. Der ihnen gegebene Raum war groß genug, um jeder Thierart die ihrer Natur entsprechende Thätigkeit zu erlauben, ohne die übrigen erheblich zu beeinträchtigen; und es waren bei reichlichem Futter selbst Streitigkeiten um des täglichen Brodes willen bei weitem nicht so häufig, als in den meisten Sphären der gebildeten Menschheit. So erfreute sich das bunte Völkchen schon Jahre lang des Lebens, und manches fette Stück Geflügel hatte durch Vermittelung der Küche seine Menschwerdung vollbringen müssen; da trat plötzlich eine traurige Wendung der Dinge ein. Großes Leid kam über die Bewohner des Hofes, und die bis dahin so friedliche Republik wurde zur absoluten Monarchie, in der die äußerste Beschränkung der persönlichen Freiheit nicht einmal mit „gloire“ übertüncht war.

An einem unglücklichen Tage fiel es dem Hausherrn ein, die Zahl seiner Hühnervögel durch einen Puter, bei uns Welscher[2] genannt, und seine zwei Gemahlinnen zu vermehren. Friedlich zog der Welsche ein in die Republik, er schien sich zuerst nur auf dem neuen Gebiete orientiren zu wollen und hielt sich fern von der übrigen Gesellschaft, scheinbar zufrieden mit dem Bewußtsein der Größte zu sein unter der Hühnerwelt. Stieg er auch stolz einher, mit hoch getragener Nase, erfüllt vom Gefühle seiner höchsteigenen Herrscherwürde, so beschränkte er sich doch auf solche friedliche Manifestationen und erlaubte sich vor der Hand keinerlei Eingriffe in die Rechte seiner Hofgenossen. Doch schon nach einigen Wochen fand er, daß die Freiheit allzu groß sei unter seinen Mitbürgern; das Bedürfniß einer kräftigen Handhabung der Polizeigewalt schien ihm so dringend, daß er wohl aus angeborener Vorliebe für dieses schöne Fach, das Fundament eines Musterstaates, diese allerhöchstselbst übernahm. Die Enten, welche bisher der sehr ungentilen Liebhaberei für schmutzige Pfützen gefröhnt hatten, wurden unbarmherzig verjagt, sobald sie sich den Abflüssen der Küche näherten, die Gänse durften nicht mehr in dem allgemeinen Wasserbehälter baden, den Tauben wurde das unnütze Umherlaufen aus dem Hofe verwehrt, und selbst die Hähne verschiedener Racen mußten, als nicht hoffähig, es sich gefallen lassen, das sonnige Revier zu meiden, in welchem Allerhöchstsie kollernd und die Flügel schleifend zu promeniren geruhten. Sowie auch anderwärts die Polizeiwillkür sich endlich mit dem Pietismus zu associiren pflegt, so bemächtigte sich zuletzt des großen Autokraten die Ueberzeugung von der Sündhaftigkeit dieser Welt, und er begann mit rühmlichem Eifer gegen die Verirrungen des Fleisches bei Andern anzukämpfen. Hatte bisher das Hofgeflügel ungestört der Liebe gepflegt, so war ihm nun plötzlich in dem neuen Dictator ein Sittenrichter erstanden, welcher ganz im Geiste des Muckerthums eben so streng gegen Andere, als nachsichtig gegen sich selbst, bei jeder verdächtigen Annäherung sich auf das zärtliche Paar stürzte und durch wüthende Bisse und Flügelschläge, verbunden mit lauten Aeußerungen seinen Unwillens, sich bemühte, bei ihnen den Regungen der Natur feindlich entgegenzutreten. So war denn das „Intravimus ut agni“ bereits in das „Regnavimus ut lupi“ übergegangen; ohne allerhöchste Erlaubniß war es den Bewohnern des Hühnerhofes nicht mehr erlaubt sich ungestört zu ernähren oder zu vermehren; da trat ganz unerwartet ein Ereigniß ein, welches den großen Imperator nicht allein in die gebührenden Schranken zurückwies, sondern sogar den bis dahin am meisten verfolgten Gänserich zur Herrschaft im Hühnerhofe erhob.

Eine der Gemahlinnen des Gänserichs hatte zu brüten angefangen und sich zu diesem Behufe in einen verborgenen Winkel eines Magazins zurückgezogen, wohin ihr der Hoftyrann nicht folgen konnte; um so größer aber war dessen Zorn, sobald die arme Gans hervorkam, um in möglichster Eile ihr Futter zu verzehren; sie war dann jedesmal seinen heftigsten Verfolgungen ausgesetzt, wurde zerzaust und gebissen, und mußte meistens noch ungesättigt zu ihrem Neste zurückeilen, um die Eier nicht erkalten zu lassen. Mehrmals hatte ich schon solche Scenen von meinem Fenster angesehen, ohne sie verhindern zu können; nicht immer war Jemand in der Nähe, der der armen Dulderin hätte beistehen können: da stürzte sich eines Tages der Gänserich mit solcher Wuth auf den Welschen und setzte ihm durch Bisse und Flügelschläge so sehr zu, daß der übermüthige Usurpator bald schmachvoll und blutend die Flucht ergriff und sich vor dem gerechten Zorne des beleidigten Gatten verkroch. Mit triumphirendem Geschrei und Flügelschlag verkündete der Gänserich männiglich seinen Sieg und das Morgenroth der erkämpften Freiheit, und seit dieser Lection wagte der Welsche nie wieder irgend ein Thier anzugreifen. Sein Muth war gebrochen, seit er ernsten Widerstand gefunden hatte, und das übrige Hofgeflügel, welches die Niederlage mit angesehen, nahm ferner keine Notiz von dem gestürzten Tyrannen. Der Friede war nun wieder hergestellt, und die Herrschaft offenbar auf den Gänserich übergegangen, der sich nicht um die Sittenpolizei kümmerte, sondern nur bei etwaigen Kämpfen der Hähne intervenirend einschritt. Hielt er sich auch gegen das Hofgeflügel in den Grenzen der Gleichberechtigung, so zeigte er doch bald eine so unerbittliche Feindschaft gegen die damals schon umfangreichen Damenkleider, daß er sich in dieser Hinsicht bald sehr mißliebig machte, und der Hausherr mußte ihn trotz seiner sonstigen ehrenwerthen Eigenschaften den Hausfriedens wegen dem heiligen Martinus opfern. Gleicht dieser in allen seinen Theilen ohne alle Zuthat erzählte Fall nicht einem Stück aus der Geschichte der Menschheit? Zeigt nun nicht der wackere Gänserich, wie auch wir fremder Anmaßung gegenüber verfahren sollten?
Dr. Gergens. 




Für Mütter und Erzieherinnen.

Bei Ernst Keil in Leipzig ist erschienen und in allen soliden Buchhandlungen vorräthig:
Hauserziehung und Kindergarten.
Vorträge für Frauen und Jungfrauen,
welche für die Familie oder den Kindergarten sich zu Erzieherinnen bilden wollen.
Von Auguste Herz.
24 Bog. eleg. brosch. 25 Ngr.

Dem weiblichen Geschlechte, welchen bisher für die Hauserziehung gar keine oder doch nur eine sehr mangelhafte Vorbildung empfing, wird in diesem vortrefflichen Buche zum ersten Male eine nach rationellen Grundsätzen festgeordnete praktische Anleitung zur Pflege und Erziehung der Kinder bis zum sechsten Jahre geboten. Die zweite Abtheilung des Buches dagegen beschäftigt sich ausschließlich mit den Kindergärten, giebt eine Darstellung des Zweckes und der Bedeutung derselben, schildert die Kindergärtnerin im Kreise der Kinder und in der Uebung ihrer Pflichten, die innere Einrichtung, Verwaltung und Leitung der Kindergärten, giebt Winke über den Unterricht, namentlich über den Religionsunterricht, und schließlich unter Aufführung einer reichen Anzahl von Beispielen die Regeln beim Spielen und Beschäftigungen, beim Zeichnen und Turnen.

Allen edlen Frauen und Jungfrauen, denen die heilige Angelegenheit der Menschbildung Ernst ist, empfehlen wir dieses eben so praktische wie gemüthreiche Buch.




Kleiner Briefkasten.

Mde. in St. Petersburg. Müssen leider Ihre Offerte ablehnen.

Ch. Der angekündigte Artikel von W. Zimmermann wird in einer der nächsten Nummern erscheinen.

Fr. in Th. Angenommen.

J. in Lausgk. Der zweite Artikel über „Telegraphie“ erscheint schon nächstens.



  1. Postkutsche.
  2. Mit dem Namen „Welscher“ bezeichnet man am ganzen Oberrhein, sogar im Elsaß, die Franzosen.