Textdaten
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Autor: W. Zimmermann
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Titel: Eberhard im Bart
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30–31, S. 469–472; 487–490
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[469]

Eberhard im Bart.

Ein deutscher Fürst wie er sein soll.
Von Dr. W. Zimmermann.


Herzog Eberhard zerschlägt das Siegel seines tyrannischen Vetters Heinrich.
Originalzeichnung von Camphausen in Düsseldorf.


Gerade einen Monat, nachdem zu Stuttgart der hundertjährige Geburtstag eines Fürsten unter den Dichtern gefeiert worden war, wurde in derselben Stadt der vierhundertjährige Geburtstag eines andern Württembergers gefeiert, der nicht blos ein geborner Fürst war, sondern ein Fürst durch innern Werth mit Thaten unter den geborenen Fürsten. Wenn der Dichterfürst am 10. November geboren war, so war dieser Fürst unter den Regenten am 10. December geboren. Am 10. December 1859 waren es vierhundertvierzehn Jahre, daß Eberhard im Bart, der erste Herzog von Württemberg, geboren wurde.

Es giebt wohl keinen andern Fürsten in der deutschen Geschichte, von welchem so urkundlich und thatsächlich, wie von diesem, nachgewiesen werden kann, daß sein Leben rein, lauter und uneigennützig nächst Gott nur dem Volke angehört hat und der Nation, seinem engern und, noch vor diesem, dem großen deutschen Vaterlande. Wenige Länder in der Welt, geschweige in Deutschland, mag es geben, welche Ursache und Gelegenheit haben, in so kurzer Zeit hintereinander die Geburtstage zweier Landsleute zu feiern, wie Württemberg den Geburtstag seines Eberhard und seines Schiller, welche beide nicht blos große Männer, sondern große Menschen waren.

Eberhard ist der erste deutsche Fürst, welcher die Rechte des Volkes seinen Fürsten gegenüber in schriftliche Urkunden brachte, sie besiegeln und beschwören ließ. Und zwar war dies ganz allein sein eigener Gedanke; er that es nur aus eigenem freien Antrieb, aus vorausschauender und vorsorgender Liebe für Volk und Land. Er ist der Vater der geschriebenen Verfassung Württembergs in ihren Grundlagen und Hauptgewähren; derjenige, der zuerst klar erkannt und es ausgesprochen hat, daß das ungetheilte Wohl von Fürst und Volk dauernde Sicherheit nur habe, wenn es ruhe auf [470] einem in Rechtsform gebrachten, verbrieften und beiderseitig beschworenen Vertrag.

Er nahm das aus der Kenntniß der menschlichen Natur und Seele, seiner eigenen zunächst; denn seine ersten Regierungsjahre waren böse gewesen. Fünf Jahre war er alt, als sein Vater starb, welcher im vierzehnten Jahre selbstständig die Regierung eines Landes angetreten hatte. Dieser frühe Verlust des Vaters hatte für den Sohn eine Erziehung zur Folge, wie sie ein Fürst nicht haben soll. Er hat es später oft gesagt: „Eine schlechte Erziehung von Fürstenkindern ist die Quelle der meisten Uebel für Volk und Fürstenhaus.“ Seine Mutter war eine treffliche Frau, in seltenem Grade gebildet für ihre Zeit. Sie trat aber schon im zweiten Jahre ihres Wittwenstandes außerhalb Württembergs in zweite Ehe mit dem Erzherzog Albrecht von Oesterreich, und Eberhard blieb als Waise in Württemberg zurück. Doch sie wußte ihren Liebling unter einem ausgezeichneten Lehrer. Das war Johann Fergen; er ist bekannt in der Geschichte der Wissenschaft seiner Zeit unter dem deutschen Namen Fergenhans, unter dem griechischen Gelehrtennamen Nauclerus, der vertrauteste Freund und Mitarbeiter Reuchlin’s und der Lehrer Melanchthon’s auf der Universität zu Tübingen. Das war der Ferge, welchem die Mutter die Fähre vertraut hatte, ihren Sohn Eberhard zu führen. Er war weder Mönch noch Priester, dieser helle, freie Geist. Aber aus Haß gegen die Mutter, welche „lateinische“ Briefe schrieb, hatten die Vormundschaftsräthe, welche ritterliche Kriegsleute, aber ohne humane Bildung waren, dem Lehrer befohlen, aus dem jungen Fürsten keinen Lateiner zu machen; es sei genug, wenn er deutsch lesen und schreiben lerne. Ihre Absicht war, ihn unwissend und den Geschäften abhold zu erhalten, damit sie selbst in seinem Namen regieren könnten. Fergenhans wurde strenge von ihnen überwacht: die lateinische Sprache, damals die allgemeine Geschäftssprache, blieb vom Unterrichte ausgeschlossen, und Naucler hatte keinen Raum, als durch die Geschichte, die Länder- und Völkerkunde und durch einzelne Wahrheiten auf den aufgeweckten Kopf und das Gemüth des überaus lebhaften Knaben zu wirken. Nicht viel sitzen über’m Lernen, sondern ritterliche Leibesübungen treiben und der Fürst eines Ritterhofes werden, wie seine Ahnen, die alten Eberharde – das sollte er nach dem Wunsche und der Ansicht der adeligen Vormundschaftsräthe. In seinem vierzehnten Jahre thaten sie, was ihm wohl gefiel; mit Vollendung desselben entfloh er der vormundschaftlichen Gewalt seines Oheims, erklärte sich für volljährig und trat die Selbstregierung des Landes an. Sie hatten die Zustimmung der Städte dazu gewonnen und ihn dazu beredet; sicher, daß er sie regieren und seinen Leidenschaften die Zügel schießen lasse.

Das Letztere geschah. Der vierzehnjährige Landesherr stürzte sich in den Strudel des wildesten Lebens. Er umgab sich mit jungen adeligen Gesellen. Die schöne Zeit verfloß unter allen Arten von Jagdvergnügen, von ritterlichen Uebungen – in diesen that es ihm bald keiner zuvor – unter Spiel und Tanz und frohen Gelagen. Aber im zweiten Stück hatten sich die Räthe verrechnet, der fürstliche Wildfang durchschaute die selbstsüchtige Absicht, in der sie seine Mündigsprechung gefördert hatten; er, der bei seinem Ehrgeiz in Allem der Erste sein wollte, hatte keine Lust, der Spielball seiner alten Räthe zu sein, und die jungen adeligen Genossen seiner Freuden und Ritterspiele waren eben so eifrig, die alten Räthe aus ihren Stellen zu verdrängen und sich selbst in deren Einkommen und Einfluß zu setzen.

Der Knabe im Fürstenhut nahm seine jungen Günstlinge zu seinen Räthen an und schob die alten bei Seite. Bitter getäuscht sahen diese, wie die Verwilderung der gewaltigen Leidenschaften, die sie aus Eigennutz nicht zur rechten Zeit gezügelt hatten, sich gegen sie selbst wandte und nichts mehr nach ihnen fragte. Selbst seinem Lehrer Naucler gab er zu verstehen, daß er für jetzt unpassend sei, er gab ihm eine Pfründe als Kirchherr zu Brackenheim, an der fernsten Landesgrenze, und der ehrwürdige Fergenhans zog sich darauf zurück. Eberhard aber schien die Freiheit, Landesherr zu sein, da nichts Edles mehr Raum am Hofe hatte, nur dazu benützen zu wollen, sich selbst und das Land zu Grunde zu richten, auf die eigene Gesundheit, wie auf den Wohlstand und die Sittlichkeit seines Landes hinein zu stürmen. Nicht blos Tage und Nächte wurden durchschwärmt, sondern mit der wilden Jagd seiner leichtsinnigen Junker warf er sich, wie auf das Wild des Waldes, so auf die Unschuld und die Schönheiten des Landes, das er auf und ab durchzog. Es war nicht ein Leben für die Schönheit, nicht ein Suchen des Lohns nach der Arbeit des Tages im Genuß der Liebe, in der Gunst der Frauen; es war ein wüstes, frevles Treiben, das in Haus und Hütte einfiel mit dem Wollustzahne des Raubthiers. Ja, Tag und Nacht schwelgte er oft mit seinen überlustigen Gesellen – in den Nonnenklöstern. Das wüste Hofleben häufte nicht blos Schulden auf das Land, sondern Steuerbedrückungen widerrechtlicher Art mit seinem Wissen, auf sein Verlangen, und mehr noch ohne sein Wissen, durch seine gewissenlosen Räthe und Diener. Die gewaltsam geknickten Lilien und der unter den ungerechten Steuern zusammengedrückte arme Mann erschienen ihm als in der Erinnerung aus seiner ersten Jugendzeit auftauchende Geister oft später, nachdem er Alles gethan, sie zu sühnen, selbst noch auf dem Todtenbette.

Ist das der Fürst, wie er sein soll? wird man wohl fragen, im Angesicht der Aufschrift dieses Artikels. Das ist der Fürst, wie er nicht sein soll; es ist der Fürst, der vierzehnjährig an die Regierung gesetzt wurde; sein eigenes und seines Landes Unheil. Aber im achtzehnten Jahre trat der Knabe im Fürstenhut, zum Staunen und Schrecken seiner bisherigen Umgebung, zum Staunen und zur Freude des Landes, als Mann hervor, ganz umgewandelt. Attempto! sprach er im Latein der Zeit; “ich wag’s!“ zu deutsch. Das blieb der Wahlspruch seines Lebens; wo man noch heut ein Bild von ihm sieht, ist dieses Wort angebracht. Was war es, was er wagte? – Er war mitten drin in der Freiheit des Regierens und Genießens, als er plötzlich nicht mehr das war, was er bisher war; als er sein „bisheriges Selbst abschaffte“ und seine bisherige Gesellschaft und Ton und Art am Hof und im Land. Die plötzliche Veränderung in ihrer ganzen Größe zeigt sich am klarsten in einer That: in seinem achtzehnten Jahre reformirte der Fürst jene Nonnenklöster, die bisher die Tummelplätze seiner Freuden waren, in Person, unter Drohung, sie zu schließen, wenn sie sich nicht besserten. Er verbot jeden männlichen Zutritt.

Zwischen Stadt Urach und Dettingen im Württemberger Lande, eine kleine halbe Stunde von dem Bergschloß Hohenurach, in einem wilden Felsthal, sieht man heutzutage den Fohlenhof Güterstein. In wasserreichen Monaten springt hoch oben herab von der Mitte der Felsenwand der Brühlbach, ein schöner Wasserfall, gegen hundert Fuß abstürzend und dann über Felsgeröll hinab in vielen kleinen Wasserfällen schäumend und weiterrauschend in’s Thal der Erms. Dort, in einem Halbkreis, umgürtet von gelbrother Felsenwand, lag damals auf einer kleinen Wiesenanhöhe die „Carthause Güterstein“, aus Wilhelm Hauff’s Lichtenstein den Lesern bekannt. Eberhard’s Vater und sein Oheim hatten dieses Carthäuserkloster errichtet. Propst daselbst war Conrad von Münchingen, gewöhnlich „der alte Vater“ genannt, ein Bild von Weisheit und Ehrwürdigkeit.

Dieser ist es, um welchen sich, wie um seinen Angelstern, Eberhard von da an bewegt, wo er ein Anderer zu sein sich entschlossen hat. Dieser war es wohl auch, der im rechten Augenblick die Seele des Jünglings berührte, ihm das Auge über sich selbst öffnete und das weckte, was Gutes in ihm wie im Todesschlafe lag. Der Mutter Mahnung, Naucler’s, des fernen Lehrers, Erinnerung an Hercules am Scheidewege und an die letzten Worte seines sterbenden Vaters mögen zusammengetroffen sein mit dem Zustande des Fürsten, dessen Gesundheit litt unter dem, was er ihr zumuthete. Aber gewiß war es des alten Carthäusers im wohl wahrgenommenen Augenblick mitten auf’s Herz geführter Schlag, unter welchem der alte Mensch, in seiner Wildheit bereits abgeschwächt, sterbend zusammenbrach und der neue Mensch auferstand.

Der Verfall seines Hauses, die böse Wirthschaft, unter welcher das Land litt, und die Gestalten der alten Eberharde, des „Erlauchten“ und des „Greiners“, unter denen Württemberg blühend geworden, standen jetzt vor seinem Auge. Er wollte für das Land werden, was jene ihm einst waren, und mehr als sie. Er entließ zuerst von sich sein Schwelgen und Umherschwärmen; zugleich entließ er die Genossen seines Müßigganges, die Lehrer und Pfleger seiner Ausschweifungen, seine Verführer und unfähigen Räthe; die einen verbannte er, die andern stahlen sich davon. Die Luft des Hofes reinigte sich plötzlich. Der unter lauter unwissenden, rohen und seichten Gesellen gelebt, umgab sich jetzt mit erfahrenen, weisen und ernsten Räthen, lebte nur den Geschäften und dem Entschluß, wieder gut zu machen, was er bisher böse gemacht. In keinen Fürsten hatte die Natur so viel Liebe zur Weisheit und zur Wissenschaft gelegt. Bisher war keine Spur davon an’s Licht getreten. [471] Jetzt, über Nacht, brach sie mit Macht hervor und wuchs zum Erstaunen.

Vier Jahre noch festigte er sich, seine Grundsätze und seine Gesundheit im Heimathlande. Dann führte er einen Vorsatz aus, in das heilige Land zu gehen. Es war in seinem dreiundzwanzigsten Jahre; er konnte dabei die Welt sehen und sich bilden, aber eben so sehr trieb es ihn, den Schauplatz seiner Verirrungen auf einige Zeit zu verlassen, nach dem Glauben des Jahrhunderts Sühne zu holen am Heiligen Grabe, und dann, wenn indeß vollends, weniger durch die Zeit, als durch das Licht seiner in den Augen der Zeitgenossen heiligen Pilgerfahrt, die Erinnerung seines früheren Lebens im Lande sich verwischt hätte, wiederzukehren in neuer Weihe für sein Volk, als ein innerlich und äußerlich Entsühnter. Er ernannte einen Regimentsrath, an die Spitze desselben den berühmten Johanniterritter Georg von Ehingen, der im Morgenlande gegen die Türken gestritten und Frankreich, Spanien, Portugal und Marokko bereist hatte, eben so kenntnißreich als tapfer. Er machte sein Testament und brachte es selbst zur Verwahrung in die Carthause von Güterstein.

Am 10. Mai 1468 empfing er zur Pilgerfahrt die Weihe durch den Abt von Herrenalb, Johann von Udenheim, der aus seinem schönen Schwarzwaldthal herabgekommen war, den jungen Fürsten, den Schirmherrn seines Klosters, zur Fahrt einzusegnen. Knieend vor dem Hochaltar der Carthause zu Güterstein, über dem Grabe seines Vaters und seiner Brüder, leistete Eberhard das Gelübde, umgeben von seinen Freunden, seiner Mutter, ergrauten Dienern seines Hauses und Männern aus dem Volk. Dann nahm er Abschied von ihnen und besonders von dem alten Vater, und ging über die schwäbische Alp in’s Gebirge der Alpen, nach Venedig, von da zu Schiff über die Inseln des Mittelmeers an’s heilige Grab, wo er den Ritterschlag empfing. Er besuchte die heiligen Orte, fuhr zurück über Cypern, Rhodus und Candia nach dem untern Italien. Denn Italien, Rom, Siena, Florenz, Bologna zu sehen, war von vornherein in seinem Plane gewesen. Bereichert mit Anschauungen, kam er über Tyrol wieder in sein Land. Auf der Reise hatte er den Bart wachsen lassen, was bei Fürsten damals nicht mehr Sitte war, und doch behielt er ihn bei sein Lebenlang. Daher sein Beiname „der Bärtige“, am gewöhnlichsten „Eberhard im Bart“. „Ludwig im Bart“ hatte das Volk auch seinen mütterlichen Großvater, den Kurfürsten von der Pfalz, geheißen.

Da war eine Freude durch’s ganze Land, als Eberhard wieder kam. Und auch er freute sich, wieder unter seinem lieben treuen Volke zu sein; die große Welt, die er gesehen, und die fremden Völker und Höfe hatten ihm die Liebe zu seinem Land und Volk nicht gemindert, sondern gemehrt. So ein treuherziges Volk und solche Sitteneinfalt hatte er, wie er sagte, weder im Süden noch im Osten gefunden. Nur Eines vermißte er in seiner Heimath, was er in Italien gesehen, die Blüthe der Kunst und der Wissenschaft.

So wenig groß von Person Eberhard war, so war doch der gedrungene Jüngling von gewaltiger Stärke und ritterlicher Gewandtheit und in der ersten Jugend sehr kriegerisch gesinnt. Ganz anders kam er aus Italien zurück: die Palme des Morgenlandes wählte er zu seinem Symbol; von da an sah man diese neben seinem Wappen gemalt, mit seinem Wahlspruch „Attempto“ umwunden. Er wagte es, von nun an ein Palmbaum zu werden, frucht- und segensreich, friedebringend für sein Volk.

Ehe er bei der Heimkehr seine Mutter, seine Räthe, seine Freunde sah, besuchte er den „alten Vater“ zu Güterstein. Später besuchte er seinen Oheim, den Pfalzgrafen Friedrich zu Heidelberg. Da weilte er länger. Dieser kriegerische Fürst, welcher „der Siegreiche“ heißt, war zugleich von tiefer Einsicht in Staatsgeschäften und bekannt durch seine Liebe zu den Wissenschaften. Da sah Eberhard, wie man einen Staat verwalten mußte, wenn das Land blühen sollte; da sah er die trefflichen Lehranstalten, die segensreiche Universität, die tüchtigsten Männer in den Stellen. Solche wollte er auch für sein Land haben. Der Gedanke, eine Hochschule in seinem Lande zu errichten, hatte ihn nicht mehr verlassen, seit er Bologna, die berühmteste Universität der damaligen Welt, auf seiner italienischen Reise gesehen hatte.

Es fügte sich, daß er eine Gattin fand, welche eine höhere Geistesbildung hatte. Das war Barbara, die Tochter des Markgrafen von Mantua, aus dem Hause Gonzaga. Vom Vater her Italienerin, war sie von der Mutter her eine Deutsche. Sie liebte das Volk so sehr, daß sie bei einer Theuerung, die ihr als sehr schwer für das Landvolk geschildert wurde, zu ihren Begleitern auf der Weinsteige bei Stuttgart sagte: „sie wolle lieber Speck und Erbsen mit den Bauern essen, als daß das Volk hungere.“ Neunundzwanzig Jahre alt war Eberhard, als er sich mit ihr vermählte. Glücklich, wie sie anfing, blieb diese Ehe bis an’s Ende. Sein Gedanke, eine Universität in seinem Lande zu gründen, konnte an dieser Frau nur einen Geist finden, der ihn darin bestärkte und förderte. Ebenso dachte und sprach seine Mutter Mechthilde. Nicht überall hatte er, seitdem er mit diesem Gedanken umging, Aufmunterung gefunden. Einst, noch in Welschland, hatte er mit einem Herrn darüber gesprochen, und dieser ihn angeschaut und gefragt, was er denn für ein Land und Gebiet habe, daß er es so herrlich mit einer Universität zu zieren würdig achte. „Ich habe zwar,“ antwortete Eberhard, „ein Land, das nicht das allerköstlichste, ja wohl ziemlich gering ist: aber dennoch weiß ich mich eines sonderlichen Nutzens und einer köstlichen Frucht von meinem Lande zu rühmen, der Treue und Liebe meines Volkes, eines jeglichen unter meinen Unterthanen.“ – Dieser Liebe und Treue seines Volkes einen dauernden Dank abzutragen, war der eine Beweggrund zu seiner Universität. Ein anderer war, daß er täglich zu erfahren hatte, was ihm damit abging, daß er selbst nicht in Wissenschaften unterrichtet worden war. Oft kam er auf Reichstagen und in fremden Landen unwillig auf seine Vormünder zu sprechen und pflegte zu sagen: „die Wissenschaft, Künste und Sprachen seien Niemand so sehr von Nöthen, als eben einem Fürsten.“ Ein dritter Beweggrund von ihm war, daß er seine Zeit begriff, daß er, wie alle höheren Geister, eine Vorahnung dessen hatte, was das nächste Jahrhundert in seinem Anbruch bringen sollte; er wollte auch das Seine dazu thun, das Geschlecht für die neue Zeit vorzubereiten.

Der Geist, der im Sturm der hussitischen Bewegung durch die Welt gegangen war, war zwar vorübergerauscht, schon fünfzehn Jahre zuvor, ehe Eberhard in der Wiege lag, aber er hatte unauslöschlich tiefe Spuren eingedrückt in viele Stätten und in viele Gemüther. Der „alte Vater“ in der Carthause zu Güterstein war kein Pfaffe, und der schöne helle Glaube, den er in des jungen Eberhard Kopf und Herz pflanzte, empfing sein Licht durch diesen Carthäusermönch. Wie war die Bibel in Deutschland damals selten in lateinischer Sprache, geschweige in deutscher! Aber Eberhard hatte das Glück, das geistvollste Buch des neuen Testaments schon in seiner Jugend deutsch lesen zu können, das Evangelium des Johannes. Das war sein Handbuch. Eberhard hatte aber auch die Geschichte der Hinrichtung der Glaubenszeugen Huß und Hieronymus gelesen. Auch diese hatte er sich eigen in’s Deutsche übersetzen lassen, und er hatte tief bewegt in Constanz am Bodensee die Stätte betreten, auf welcher die Scheiterhaufen einst standen, auf welchen Huß und Hieronymus für die Wahrheit verbrannt wurden. Er fühlte sich dadurch erweckt, den heiligen Kampf gegen Aberglauben und geistlichen Fanatismus, welchen jene begonnen, auf seine Art fortzusetzen. Aus allem dem reifte vollends in ihm der Entschluß, wie er wörtlich in der Urkunde es ausdrückt, „helfen zu graben den Brunnen des Lebens, woraus von allen Enden unsichtbar möchte geschöpft werden tröstliche und heilsame Weisheit zur Erlöschung des Feuers menschlicher Unvernunft und Blindheit, und eine hohe allgemeine Schule aufzurichten.“

In einem Zeitraum von sechzehn Monaten wurde Alles für die neue Hochschule von ihm begonnen und ausgeführt, am Fuße des Sitzes der alten Pfalzgrafen zu Tübingen. Am 3. Juli 1477 lud er auf seine Hochschule das In- und Ausland ein, und am 14. September wimmelte es schon in den Straßen Tübingens von Fremden und Eingebornen aus Schwaben, Franken und der Schweiz. Selbst die hohen Schulen von Paris und Bologna besaßen nicht mehr und nicht höhere Privilegien und Freiheiten, als er seiner Stiftung gab. Am 1. October wurden die Vorlesungen eröffnet. Die ausgezeichnetsten Männer rief er dahin aus dem Ausland. Johann Naucler leitete ihn dabei. Unter den Berufenen war auch der nachher so berühmt gewordene Johann Reuchlin, der große Humanist und Lehrer der Staatswissenschaft. Dieser wurde bald unter Eberhard’s vertrauten Räthen einer der Ersten. Eberhard selbst blieb die Seele seiner Hochschule. Obgleich Stuttgart später die eigentliche Residenz war, so wurde doch Tübingen sein Lieblingsaufenthalt, und man sah ihn häufiger zu Tübingen als in Stuttgart oder Urach.

[472] Eberhard lag daran, das Genie und Talent durch nichts zu hemmen. Er stellte die Lehrer seiner Hochschule in der Besoldung so gut, daß sie unentgeltlich in allen Fächern lehren konnten und mußten. Er wollte, Niemand solle durch Armuth gehindert sein zu studiren; das Talent müsse den Weg zu den höchsten Stellen des Staates aufschließen, nicht Reichthum. Darum setzte er selbst auch für Studirende, die ohne Mittel, aber mit Talent kämen, zahlreiche und ausreichende Stipendien aus, und seinem Vorgange folgten Einzelne und ganze Gemeinden; sie blieben nicht in der Freigebigkeit hinter ihm zurück. Am freigebigsten stiftete seine Mutter, die Erzherzogin Mechthilde, und Fergenhans.

Eberhard erkannte die vielen und feinen Fäden, aus welchen der Geist, der „am sausenden Webstuhl der Zeit saß“, sein Werk wob, die geistige Entwicklung der Menschheit, das freie Denken der Laienwelt. Daran schloß er sein Streben an. Darum stellte er vorzugsweise nur Laien, nicht Geistliche, an seiner Hochschule an. Darum hob er das Volk. Er hatte erkannt, daß der Geist in der Zeit auf das Emporkommen des Bürger- und Bauernstands den Fortschritt der Welt gründen wollte, und die Aufgabe sei, die volle Entwicklung dieser anzubahnen, und damit die wahre Civilisation, die höhere geistige Bildung einzuleiten und allgemein zu machen.

Unter dem Volke Licht und Veredlung zu verbreiten, ließ Eberhard treffliche Schriften aus fremden Sprachen verdeutschen, nicht nur geschichtliche Werke der alten Welt, sondern auch theologische und poetische, medicinische und mathematische. Ebenso ließ er die Sprüche Salomo’s und Sirach’s und noch mehrere Male das Evangelium des Johannes verdeutschen, durch seine Professoren: Summenhart, der aus Paris gekommen, aber ein Württemberger war, durch den Speyrer Gabriel Biel und durch Reuchlin, seinen Geheimschreiber, denn die meisten seiner Professoren waren zugleich auch seine Geheimräthe. Unter den Classikern, die er verdeutschen ließ, waren namentlich die Geschichtswerke der Römer Livius und Sallust, und einige Reden des Demosthenes. Alle diese Schriften ließ er durch den Druck verbreiten. Kaum erst, um das Jahr 1440, hatte Guttenberg die Buchdruckerkunst erfunden, und schon im Jahre 1475 hatte Eberhard eine Buchdruckerei in seinem Lande, zu Blaubeuren, gleich darauf eine zu Urach, unter Conrad Feiner, und eine dritte, im Jahre 1486 zu Stuttgart. In keinem Lande wurde damals so viel gedruckt als in dem kleinen Württemberg. Eberhard hatte sogleich die Bedeutung der Presse erkannt, als das kräftigste Hülfsmittel zu allgemeiner und specieller Verbreitung der Bildung. So wurde er der Begründer der Wissenschaften in seinem Lande und der Aufklärer für das ganze südliche Deutschland, der Bildner seines Volkes und der Erste, welcher kirchliche Reformen vornahm.

Er war ein geschworner Feind der „faulen“ Mönche, und sah mit großem Mißfallen ihre Menge und ihre Ausartung. Er griff auch in die Mönchsklöster auf eigne Faust als Reformator ein. Um mit dem Papste sich zu verständigen und dessen Genehmigung für beabsichtigte größere Reformen zu gewinnen, reiste er persönlich nach Rom, vierzehn Jahre, nachdem er es auf seiner Rückkehr aus dem Morgenlande zum ersten Male besucht hatte. In seinem Gefolge war namentlich Reuchlin. Papst Sixtus IV. empfing diesen kleinen Fürsten aus Deutschland, der nichts war als der Graf von Württemberg, mit einer Auszeichnung, wie er sie großen Monarchen Europa’s nicht gewährte. Es war damals noch nicht sowohl der Ruf von dem vielgeltenden Einfluß am Kaiserhof, bei Fürsten und Städten der deutschen Lande, was ihn dazu bestimmte – denn dieser bildete sich erst nachher zu solcher Höhe: es war die geistesmächtige und charaktervolle Persönlichkeit, die dem Papste die hohe Achtung abzwang, und die Einsicht, daß so ein Mann geschont werden müsse, um ihn nicht der Kirche gefährlich werden zu lassen.

Es war dem Papste Allerlei über Volk und Land Württemberg hinterbracht worden, unter Anderem, was das für ein „gewaltthätiges“ Volk sei. Es hatte nämlich der römische Hof öfters auch in den württembergischen Landen Eingriffe in die geistlichen Lehen zu thun versucht, wie überall. Durch Briefe und Bullen hatte man in Rom sich herausgenommen, hin und her Kirchen zu vergeben an solche, welche sich die Stellen mit Geld erkauft hatten. Die Unterthanen von Württemberg und der dazu gehörigen Grafschaft Mömpelgard hatten aber auch ihrerseits sich heraus genommen, die Rechte ihrer Herren zu handhaben, und wenn sich einer anmeldete, mittelst solcher römischen Bullen Besitz von den Kirchen zu nehmen, so kam er bös weg. Sie haben ihn, so war dem Papst Sixtus hinterbracht worden, auf das höchste Dach der Kirche gesetzt; von Hunger abgemattet, sei er endlich heruntergefallen. Sei einer nicht zu Tode gefallen, so sei er ertränkt worden oder habe er die Pergamentbulle auffressen müssen. – Der Papst fragte nun den Grafen Eberhard in der Audienz darüber. „So lang ich Herr im Lande bin,“ antwortete Eberhard, „hat noch Niemand vom römischen Hofe sich unterstanden, mir einigen Eintrag zu thun. Aber ich wünsche auch nicht, daß man es wage, sonst würde ich solches Unternehmen gleichmäßig bestrafen; und wenn ich es nicht bestrafte, so dürften meine Unterthanen die Meinung von mir fassen, daß ich ein Bastard und ganz aus meiner Ahnen Art geschlagen sei. Diese haben das Recht der Vergebung geistlicher Lehen mit Vergießung ihres Bluts im heiligen Lande erworben, und alle meine Vorfahren haben dieses Recht standhaft behauptet. Ich werde davon nicht abweichen.“ – Verwundert über die muthige Sprache und die Festigkeit dieses Grafen aus dem Lande der Schwaben sagte Papst Sixtus zu ihm, „er thue sehr wohl daran,“ verehrte ihm die goldene Rose, welche an diesem Tage, dem Sonntag Lätare, die Päpste seit alter Zeit zum Geschenk für irgend einen Fürsten der Christenheit zu weihen gewohnt waren, und stimmte den Verbesserungen zu, welche der Graf in Kirchensachen seines Landes zu machen gedachte.

Die Unterredungen mit diesem Schwaben hatten dem hochgebildeten, aber ganz verweltlichten Italiener auf dem Stuhle Petri Bewunderung eingeflößt. Zwei Cardinäle wurden vom Papste zu seinem Ehrengeleit befehligt. Aber auf dem Wege zur Peterskirche wurde einer derselben an der Seite Eberhard’s – von einem Banditen erstochen. Diese Ordnung in der Hauptstadt der Christenheit, solche Frucht päpstlicher Volks- und Christenerziehung gefiel dem Grafen schlecht.

Er hatte zu viel in Rom gesehen, um nicht aus dieser Stadt und ihrem Blutgeruch wegzueilen zum Besuch dessen, welchen Papst Sixtus auf den Tod haßte, zu Lorenzo von Medici, welcher sein Florenz zu einem Sitz der Wissenschaften und Künste gemacht hatte, wie sonst keiner damals in der Welt war. Viel von dem, was er in diesem Wissenschafts- und Kunststaat zu Florenz gesehen, begleitete ihn als unvergeßliche Erinnerung in sein Land zurück; noch näher und öfter verkehrte er seitdem mit den Lehrern seiner hohen Schule; und hatte er bisher schon die Gewohnheit, wo er etwas Wichtiges und Unbekanntes vernahm, solches in seiner Schreibtafel zu verzeichnen, so nahm er jetzt seine Schreibtafel noch mehr zur Hand, hörte mit offeneren Sinnen den Unterredungen der wissenschaftlichen Männer zu, fragte und ließ sich belehren. Denn in ihm widersprach Alles einem blinden Annehmen und Glauben; er wollte in Allem Ueberzeugung, für sich und für Andere. Dieser Graf im Bart war einer der Geister, welche der Reformation und der neuen Zeit voranschritten, einer, in welchem der protestirende Verstand bei tief inniger Religiosität mächtig war, lange seiner Zeit voraus, und in welchem Gedanken zur Klarheit kamen und durch ihn in’s Leben heraustraten, an deren Verwirklichung in der Welt die kommenden Jahrhunderte arbeiteten und zum Theil noch heute arbeiten in schwerem Kampfe.

„Keinen heißeren Wunsch,“ sagt sein Vertrauter Summenhard in seiner Gedächtnißrede auf den Grafen, „hatte Eberhard, als daß er noch eine allgemeine Kirchenversammlung, eine Reformation in Haupt und Gliedern erleben möchte.“ Vorerst that er das Seine im kleinen Kreise, und zwar darin Alles, was er konnte, damit der Geist frei werde und die Bildung allgemein, damit es licht werde in der Werkstatt und im Hause des Landmanns. Im deutschen Bürger und Bauer und in Regierungen, welche auf diese sich stützen, sah er Deutschlands Zukunft. Die Formen des Bisherigen in Kirche und Staat erschienen ihm veraltet, ausgenützt, überlebt. Das Volk sollte in den Vordergrund treten, Möncherei und Ritterthum, geistliches und weltliches Mittelalter sah er dem frischaufblühenden Volksleben und seiner zukunftreichen Kraft gegenüber als etwas Unhaltbares und Abgestandenes an. Aus seinem deutschen Bibelwort hatte er, wie er sagte, sich herausgelesen, daß „Menschen aus allen Ständen, Geistliche, Edle und Bürger, in Gemeinschaft leben und sich Alle als gleich betrachten sollten.“

[487] Im Sinne dieser Gleichheit der Stände sagte Eberhard auch in der Stiftungsurkunde für sein Stift Sanct Peter im Einsiedel im Jahre 1492: „Es sei ihm durch innere Erleuchtung eingefallen, da er in seiner Herrschaft und Regierung dreierlei Stände habe, Geistliche, Adel, Städte und gemein Volk, aus diesen dreien Ständen einen Convent zu errichten. Darin sollen zwölf Canonici, Priester und Kleriker, unter einem Propst oder Vater, sodann vierundzwanzig Laienbrüder unter einem Meister, davon zwölf vom Adel und zwölf aus den Bürgern, zusammen in Gemeinschaft leben. Ihr Name soll sein „St. Petersbrüder“. Alle Brüder, Geistliche und Laien, sollen mit einander freundlich wandeln, als wahre Brüder und Kinder eines himmlischen Vaters, keiner sich über den andern erheben, sondern gedenken, daß sie Alle gleich von einem ersten Vater Adam kommen und in gleicher Weise geboren worden, auch durch eine Pforte des Todes vor das strenge Gericht und Urtheil Gottes kommen müssen, da kein Unterschied sein wird zwischen Edeln und Unedeln, zwischen Pfaffen und Laien, Reichen und Armen.“

Die Regeln, unter welche er dieses Stift St. Peter stellte, war die verbesserte Regel der „Brüder des gemeinschaftlichen Lebens“. Das Gelübde ging dahin, auf weltliche, gelehrte und kirchliche Ehren zu verzichten, das Leben zwischen fromme Uebungen und Studien zu theilen, auf christlich-wissenschaftliche Jugendbildung, auf das Lesen der Schrift in der Volkssprache zu wirken, und den Frieden des eigenen Herzens zu suchen. Die Bibel in deutscher Sprache zu lesen, war eine Hauptvorschrift der Brüder des gemeinschaftlichen Lebens. Er suchte nach dieser Regel sämmtliche Chorherrenstifter seines Landes zu reformiren. Auch die Klöster reformirte er; besonders ist darunter das Augustinerkloster zu Tübingen zu nennen.

Diese Reform des „Augustinerklosters“ ist von doppelter Bedeutung für Deutschland und für die Welt geworden. Durch Eberhard’s Reform reiheten sich auch manche Mönche unter die Studirenden der Universität. Unter diesen Mönchen war Johann Staupitz. Summenhard’s bester Schüler war er bald geworden, darauf Prior des Augustinerklosters zu Tübingen. Das war der Mann, welcher nachher Generalvicar des Augustinerordens, Professor der Theologie an der hauptsächlich unter seinem Rath und seiner Leitung neugegründeten Universität Wittenberg, vertrautester Freund des Kurfürsten von Sachsen, Friedrichs des Weisen, sein Gesandter in wichtigsten Angelegenheiten geworden ist und zugleich der Lehrer des Reformators Luther, derjenige seiner Freunde, dessen sittlicher und geistiger Einfluß auf denselben größer war, als der irgend eines andern. Staupitz war es auch, durch welchen Melanchthon nach Wittenberg berufen wurde. So hat Staupitz auf Eberhard’s neuer Universität sich gebildet, von Eberhard frühe ausgezeichnet und auch oft beigezogen zu dem Gelehrtenkreise, welchen Eberhard, so oft er in Tübingen war, um sich zu versammeln pflegte, traulich darin weilend, nicht als Fürst, sondern als Freund unter Freunden, als einer Ihresgleichen. Alle Etikette war da verbannt, wenn er im Hause seines Kanzlers Naucler beim einfachen Mahle mit diesen seinen Männern der Wissenschaft beisammen saß. Aber auch Melanchthon erhielt seine Hauptbildung zu Tübingen. Denn auch dieser war vom Jahre 1512 an daselbst, zuerst als Student, dann als Lehrer, und von da kam er nach Wittenberg. Eberhard war zwar nicht mehr irdisch, als Melanchthon nach Tübingen kam, aber er ging aus von Eberhard’s Anstalt, und seitdem Viele, deren Licht geleuchtet hat in der Welt. Das Augustinerkloster zu Tübingen, welches Eberhard reformirte, und in welchem Staupitz zuerst Mönch, dann Student, darauf Prior war, ist dasselbe Haus, welches nachher unter dem Namen des Tübinger Stifts weltbekannt geworden ist durch die großen Männer, die daraus hervorgingen, und deren Ruf weit über die Grenzen Deutschlands hinaus drang. Nicht blos Theologen, sondern Männer auf jedem Gebiete des Wissens, Staatsmänner und Diplomaten, Minister an deutschen und ausländischen Höfen, viele Professoren deutscher Hochschulen, Dichter und Künstler und die beiden größten deutschen Philosophen sind aus diesem „Stift“ hervorgegangen.

So war Graf Eberhard einer der Hauptvorbereiter der Reformation. Aber dieser Mann der friedlichen Künste, von welchem sein Volk nach seinem Tode sang:

„Was Eberhard fing an,
Blieb wie Ceder lang bestahn,“

trug eben so gut, wie das Friedenskleid, auch das eiserne Wamms und führte gewaltige Schwertschläge. Der eiserne Fürst und der Ritter war auch sehr nöthig in der Zeit, wo das Recht der Faust so zügellos wieder überhand genommen. Während dieses auf so vielen Punkten Deutschlands hart lastete, zog der Kaufmann nirgends so sicher seine Straße, als im Württemberger Lande und nachher sogar im ganzen Lande Schwaben, als Eberhard oberster Hauptmann des schwäbischen Bundes war. Wie von den leichtfertigen Nonnen und Mönchen, eben so war „der Mann im Bart“ von dem räuberischen Adel Schwabens gefürchtet, und vom Adel der angrenzenden Lande. Er hatte Exempel statuirt; so mild er war, so schrecklich war er in seiner Gerechtigkeit gegen Landfriedensbrecher [488] und Räuber ohne Ansehen der Person. Noch leben in der Erinnerung und Sage des Volkes und in volksthümlichen Dichtungen diese seine Thaten. An mancher Mallstatt am steinernen Tisch saß „der Mann im Bart“, unerwartet erschienen, zum Schrecken der Vorgeladenen, die einen anderen Vorsitzer erwartet hatten, und oft ließ er improvisirte Gerichtsschranken ziehen; überwiesene Landfriedensbrecher kamen niemals mehr weit von dieser Stätte; er sorgte dafür, daß sie dem Lande und Volke nicht mehr schadeten. Keine Fürbitte ihrer vornehmen Angehörigen vermochte jemals in solchem Fall das Herz dieses sonst so milden Menschen zu rühren. Andere Richter und Fürsten fürchteten den Haß und die Rache der Verwandten und Verbündeten solcher Landfriedensbrecher, und die Gerechtigkeit drückte oft ein Auge zu; der Graf im Bart kannte keine Furcht und keine Rücksicht, als die auf Gott, das Gesetz und das Volk, dessen Schirm zu sein, sein Amt war. Oft suchte er mit einer auserlesenen Schaar seiner Tapfersten die adeligen Wegelagerer auf und überfiel sie in ihren Schlupfwinkeln; oft zog er ganz allein durchs Land und trat plötzlich im Wald unter gelagerte Haufen solcher schädlichen Leute, ohne daß einer ihn antastete. Es war die niederwerfende Macht seiner Persönlichkeit und seines Charakters, jene Macht, welche so geheimnißvoll und unwiderstehlich auf die Masse der Menschen wirkt.

In jener Zeit, in welcher die Vaterlandsliebe unter den Deutschen, unter Groß und Klein, so sehr krankte, der Gemeingeist schwand, und besonders die Fürsten, aber auch die Städte des Reichs nur für sich selbst sein wollten und nur das Ihre suchten, da leuchtete der Graf im Bart als ein Vorbild eines echten Fürsten des Reiches, und der Kaiser hatte an ihm in allen großen Vaterlandsfragen einen Halt und Sprecher auf den Reichsversammlungen und auf den Fürsten- und Städtetagen. „Ein deutscher Fürst,“ pflegte Eberhard zu sagen, „hat zwei Pflichten, die erste, daß er sich an seinen Kaiser und die Reichsstände halte, und mit ihnen den gemeinen Nutzen des Vaterlandes befördern helfe; die zweite, daß er für seiner Unterthanen Wohlfahrt sorgfältig sei.“

Die Berichte aller deutschen Zeitgenossen rühmen einstimmig seine Einwirkungen in die allgemeinen deutschen Angelegenheiten. Er war berufen und that das Seine, das verwirrte Reich zum Frieden, zu einer festeren Verfassung bringen zu helfen, er war die Seele der Einigungen und Bündnisse der Zeit. Nie blieb er aus, wenn der Kaiser zur Heeresfolge rief, und erhielt mehr als einmal des Kaisers besonderen Dank für seine Bereitheit zur Reichshülfe, gegen den Burgunder, nach Italien, gegen die Ungarn und Türken. Er war einer der ersten Fürsten, der in den schwäbischen Bund trat und mit Nachdruck für denselben thätig war, jenen Bund, der so viel that für Frieden und Ordnung im Reiche. Des Grafen Beitrittsurkunde wurde zum Grunde gelegt bei den andern Fürsten, welche noch hinzu kamen. Er war der Erste, der dem Könige Maximilian eine treffliche Zahl Hülfsvölker in die Niederlande führte und die oberdeutschen Städte nach sich zog; er berieth mit ihnen zu Ulm diese Sache. Er hatte das gleiche Vertrauen des Königs, des Erzkanzlers und der Reichsstände. Er bewirkte die Verlängerung des schwäbischen Bundes. Er war der gewählte oberste Feldhauptmann desselben. Wie viel er darin that, dafür zeugte am lautesten, daß die Bundessachen stockten, als sein persönlicher Einfluß aufhörte durch seinen frühen Tod. Kaiser Maximilian sandte ihm das goldene Vließ und den Antrag, ihn zum Herzog zu machen, ihn und seine Nachfolger.

Da nahm der Graf erst nach längerem Bedenken und Unterhandeln die Herzogswürde an, unter der ausdrücklichen, vom Kaiser zugestandenen Bedingung, „daß seinem Land und dessen drei Ständen ihre verfassungsmäßigen Rechte auf’s Neue und für alle künftigen Zeiten gewährleistet und gesichert werden.“ So sollte nach dieses Fürsten Willen sein geliebtes Württemberg im Falle des Aussterbens des Mannsstammes, der damals nur auf wenigen Augen ruhte, als Freistaat, vom Geiste der Verfassung, die er feststellte, belebt, ein ungehemmtes und unbelastetes Dasein haben, unmittelbar unter dem Kaiser.

So ausgezeichnet und fruchtbar Eberhard’s Thätigkeit für die Verbesserung und Befestigung des deutschen Reiches war, und so schön seine Liebe zum gemeinsamen deutschen Vaterland hervorleuchtete: so thätig und so voll Liebe war er für sein Heimathland Württemberg. Die Lust seines Lebens war Thätigkeit für das Wohl des Volkes, und wie von den größten Fürsten mächtigster Reiche das so oft mit Uebertreibung gerühmt wird, war er in seinem Lande Tag und Nacht in Arbeit, ohne daß das eine Uebertreibung des Lobes wäre. Bis zu dem Geringsten im Haushalt seines Landes und seinen Hofes umfaßte seine unermüdete Thätigkeit Alles von den wichtigsten Regierungssachen an. Einfachst war er in seiner Lebensweise, manchem verwöhnten Adeligen und Bürgerlichen oft ärgerlich sparsam; er war es, um viel thun und geben zu können für das Beste von Land und Volk, für seine neuen Anstalten und Einrichtungen, ohne dadurch Land und Volk zu belasten. So viel er Neues schuf im Lande, so zahlte doch das Volk unter ihm weniger als unter seinen Vorfahren und Nachfolgern. Das unter ihm zu einem Ganzen vereinigte Württemberg hatte weniger zu steuern, als vor ihm jeder einzelne Theil des in zwei Hälften getheilten Landes. Die Mittel dazu waren die höchste Einfachheit in seinem eigenen Haushalt und die durch ihn erst hervorgerufene Entwickelung mancher zuvor unbenutzter innerer Hülfsquellen des Landes, aber auch der Ruhm seiner Persönlichkeit im Reiche.

Es ist bös in der Geschichtschreibung, daß man gewöhnlich Alles, was zur Zeit der Regierung eines Fürsten, aber durch Andere Gutes geschieht, auf den Fürsten selbst zurückführt und nur seinen Namen dafür nennt, als hätte er es gethan, ja gar allein gethan, und daß man das Böse nur seinen Räthen zuschreibt und diese dafür nennt. Der Graf im Bart ist einer der Wenigen, von welchen erweislich ist, daß das Gute, welches unter ihm geschah, entweder zuerst und allein von ihm ausging, oder durch ihn geschah, wenn der Gedanke von einem seiner Räthe kam, wenigstens so durch ihn geschah, daß er thätig dabei mitwirkte, und daß er gerade diese Räthe sich aussuchte, und ihren Rath nicht bloß verlangte, sondern auch unverlangt, selbst dann und da, wo es ihm unbequem oder unangenehm war, ihn hörte, sich ihm fügte, sich unter ihn beugte. Das geschah urkundlich mehr als einmal. Der edle Mensch und die Liebe zu Volk und Vaterland waren größer in diesem Fürsten als sein Selbstgefühl, als die Vorstellung von seiner Fürstenwürde; größer die Ehrfurcht vor der Wahrheit, vor der Freimüthigkeit einsichtsvoller, erfahrener Männer, als der Glaube an seine eigene Einsicht und Ansicht. Niemand war weiter entfernt als er, an eine Art besonderer Erleuchtung der Geburt und des Thrones zu glauben.

Während die Fürsten um ihn her nach Unumschränktheit trachteten und dafür arbeiteten, arbeitete der Graf im Bart an der Freiheit seines Volkes und an der Beschränkung der Fürstenmacht. Sein eigenes Beispiel in der Jugend, und was er täglich an seinen zwei Vettern vor Augen sah, machte es ihm zur unerschütterlichen Ueberzeugung, daß Unumschränktheit heillos sei für Fürst und Volk, und brachte ihn zu dem Entschluß, „der Willkür feste Riegel vorzuschieben“, und sein Volk „dagegen und gegen die Verschwendung seiner Nachfolger zu schützen.“

Seine zwei Kinder waren ihm frühe gestorben. Als seine Nachfolger waren seine zwei Vettern in Aussicht, Graf Eberhard der jüngere und dessen Bruder Heinrich. Dem Letztern hatte er die überrheinischen Herrschaften des Württembergischen Hauses in Verwaltung gegeben. Der hauste in der Grafschaft Mömpelgard so, daß der Graf im Bart ihm erklärte, er habe nicht zur Regierung eines Dorfes, geschweige eines Landes sich tüchtig gezeigt.

Als seine Frevel und tollen Streiche sich mehrten, seine früher nur zeitweise Geistesabwesenheit in völlige Geisteszerrüttung zum Verderben von Land und Leuten überging: da, um den Namen und das Wohl Württembergs zu wahren, rief der Graf im Bart ihn nach Stuttgart und ließ ihn, als er ihn so sah, wie er war, in einen Ring geschlossen, auf die Feste Hohenurach gefangen führen. Eigenhändig, mit Hammer und Beißzange, zerschlug der Graf im Bart in Gegenwart der Ehefrau und seiner zwei Kinder, worunter der nachmalige Herzog Ulrich, das silberne Siegel des Geisteszerrütteten, damit derselbe nichts mehr rechtskräftig verfügen, dem Volke nicht mehr schaden könne.

Dieses Unglücklichen älterer Bruder war von der Narrheit der Verschwendung besessen und in einem wüsten Leben an Leib und Seele verkommen. Und der sollte der Nachfolger des Grafen im Bart werden. Gegen den, gegen seine und seiner Gesellen Willkür, hatte der Graf im Bart frühzeitig eine Schutzmauer aufgerichtet. Durch Vertrag, den der Kaiser bestätigte, hatte er eine Regimentsordnung gemacht, wie es nach seinem Tode gehalten sein solle. Dieser leichtfertige Vetter sollte nur unter der Bedingung zur Regierung kommen, daß er einen Landhofmeister und einen Ausschuß von Zwölfen aus den drei Ständen, aus Adel, Prälaten [489] und Bürgerschaft, als Mitregenten zur Seite habe, Männer, von dem Grafen im Bart persönlich und namentlich als die Würdigsten bezeichnet. Das Volk und des Volkes Wohl ist es, worauf es ankommt, nicht der Fürst, sagte der Graf im Bart damit. In dem gleichen Geiste hatte er schon früher die Mündigkeit des Landesfürsten auf achtzehn, später sogar auf zwanzig Jahre hinaufgerückt. Er wußte, was durch Jahre Unmündige einem Lande schaden konnten; aber er wußte auch, daß es lebenslang Unmündige gebe. Er hatte ja seine Vettern vor Augen. Darum setzte er dem jüngern Eberhard für den Fall, daß er zur Regierung käme, den Regimentsrath als Vormundschaft. Sollte auch dieser, der so untauglich zur Regierung sich zeigte, dennoch zur Regierung kommen, so sollte er sein Lebenlang nicht eigentlich regieren, sondern in Wahrheit und Wirklichkeit der Regimentsrath, die edelsten und erfahrensten Männer des Landes, auf Grund der von Eberhard im Bart gemachten Regimentsordnung und in Uebereinstimmung mit der Landschaft zusammengesetzt aus den Ständen des Landes.

Begabt, wie wenige Fürsten, zur Selbstherrschaft in unumschränkter Form, hat Eberhard im Bart selbst die ständische Vertretung belebt und gefördert. Kein Kaiser, kein Fürstencongreß, kein zuvor in der Noth gegebenes Fürstenwort, das er einzulösen gehabt hätte, hat ihn dazu bestimmt; auch nicht das gereifte Bewußtsein, das Verlangen oder Drängen seines Volkes, wie das anderswo der Fall war, in späterer Zeit und an anderem Ort. Geliebt und geehrt im Reiche, genoß der Graf im Bart eine unbegrenzte Liebe seines eigenen Volkes. „Wenn Gott nicht Herrgott wäre, so müßte unser Eberhard Herrgott sein!“ sagten die Württemberger.

Das, um was neuerdings so oft Minister im falsch verstandenen Interesse ihrer Fürsten mit den Ständen sich streiten, und was so oft als etwas, das der Fürstenwürde entgegen sei, dargestellt werden will, das hat ein württembergischer Fürst, der Graf im Bart, ohne irgend einen Anlaß von seinem Volk aus, aus eigenen freien Stücken, aus Tag und Nacht für sein Volk sinnender und thätiger Liebe, seinem Lande gegeben, und zwar nicht blos als ein Recht, sondern als eine heilige Pflicht des Volkes. Das ist das Recht der Steuerverwilligung durch die ständische Vertretung; nicht im metternich’schen Sinne einer die alten Verfassungen fälschenden Politik, sondern im wahren Sinne des Worts. Als Recht wie als Pflicht war es ausdrücklich ausgesprochen, dem das Testament des Grafen im Bart, seine Regimentsordnung und Verfassung, nicht einhaltenden Nachfolger – die Steuern zu verweigern. Das hat der Graf im Bart als heiliges Vermächtniß seinem Volke, und den deutschen Fürsten und Völkern zur Nachahmung hinterlassen. Das ist das sogenannte „Eberhardinische Testament“, die Grundlage der heutigen württembergischen Verfassung.

Sein ganzes Dichten und Trachten ging dahin, das Volk gegen jede Willkür, gegen jeden Gewaltmißbrauch des Regierenden zu sichern. Das ständische Recht der Selbstbesteuerung ist zwar ein altes gewesen in den vorderösterreichischen und württembergischen Landen, und kommt urkundlich als solches schon auf dem Landtage von 1464 vor. Aber es schlief wieder ein, und der Graf im Bart erst stellte es nicht nur wieder her, sondern durch einen geschriebenen Verfassungsartikel für alle Zeiten fest. So saßen von da an Ritterschaft, Prälaten und Landschaft, d. h. aus jeder Stadt einer vom Gericht und einer von der Gemeinde, auf den Landtagen zusammen, „um in den Sachen zu rathen und zu thun, als sich gebühren würde.“ Er gab Württemberg die erste vertragsmäßige Grundverfassung, und selbst in den Regimentsrath setzte er vier Bürger neben vier Ritterschaftliche und vier Geistliche. In allen diesen Anordnungen spricht sich, wie die Liebe zum Bürgerstand, so die Einsicht aus, daß der Bürgerstand jetzt in den Vordergrund zu treten habe, und die Theilnahme des Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten das Zeitgemäße sei; drei Jahrhunderte voraus begriff der Graf im Bart die Bedeutung des „dritten Standes“, und zog ihn selbst in die Berathung und in die Beschlußnahme über die Staatsverwaltung.

So war der Reichstag von Worms gekommen im Jahre 1495, auf welchem der Kaiser ihm zum Danke erklärte, daß er Willens sei, ihm die herzogliche Würde zu verleihen. Der Kaiser willigte in alle Bedingungen Eberhard’s, wodurch er dem Volke Württembergs seine eigenen Gesetze, seine eigenen Rechte und Freiheiten gegen jede Willkür, gegen jeden Wechsel zu wahren suchte.

Ob Eberhard auf der Grafen- oder der Herzogsbank saß, sein Geist, seine Beredsamkeit, seine Rechtlichkeit hatten unter allen Fürsten des Reichs ein Uebergewicht; und als auf eben diesem Reichstage zu Worms, statt um die Sache, um die Herstellung des inneren Rechtszustands im Reiche, sie vielmehr um Sitz, Titel und Rang sich stritten, da erklärte Eberhard geradezu: „ihm sei es nicht um die Ehre des Sitzes, sondern nur um den Nutzen der Berathungen zu thun, und er wolle gerne hinter dem Ofen sitzen, wenn nur die Sache, über die man sitze, zu Stande komme.

Auf diesen Reichstage war es auch, wo jenes Wort Eberhards fiel, das von Dichtern besungen ist und im Munde des Volkes lebt. An einem Abende luden die Herzoge von Sachsen dem neuen Herzoge zu Ehren, wie der Kaiser es ihm zuvor gethan, die Fürsten des Reiches zu einem Mahle. Die Vorzüge der verschiedenen deutschen Länder kamen zur Sprache. Die von Sachsen rühmten ihre reichen Silberbergwerke, der Pfalzgraf am Rhein seine köstlichen Weine und Früchte, die von Baiern ihre schönen Städte. Eberhard im Bart, der neue Herzog, hörte ihnen zu und schwieg. „Nun,“ sprach Herzog Albert von Sachsen, „warum lassen wir den Herzog von Württemberg nicht auch von seinem Lande reden?“ – Es mochten die Fürsten sich wohl etwas fühlen, daß sie Herzoge von großen und reichen Landen waren, dem Mann im Barte gegenüber, der trotz seines kleinen Landes soeben Herzog wie sie geworden war und mehr als sie galt beim Kaiser und im Reiche. – „Ich kann,“ antwortete der Herzog im Bart bescheiden, „mein Land nicht groß herfürziehen, denn ich habe ein geringer Land als Euer Liebden alle; aber Eines gleichwohl, dünkt mich, mag ich rühmen: wohin ich komme in meiner Herrschaft, wenn ich mich etwa verritten hätte, im Feld oder im dicksten Wald, ganz allein, und wäre müde, so dürfte ich ganz ohne alle Furcht und Sorge einem Jeglichen meiner Unterthanen, möcht’ ich treffen, wen ich wollte, das Haupt in den Schooß legen und sicher schlafen.“ Alle Fürsten umher gestanden, daß er bessere Schätze und Güter habe als sie. „Herzog im Bart, Ihr seid der Reichste!“ hat der Dichter einem der Fürsten in den Mund gelegt.

Fünf Monate dauerte der Reichstag zu Worms, sieben Monate Eberhard’s Herzogswürde. Heimgekehrt zur Freude seines Volkes, fing er an zu kränkeln. Er erkannte das Ziel seines Wirkens. In den letzten Tagen des Februars 1496 versammelte er seine vornehmsten Räthe im Schlosse zu Tübingen um sich und legte ihnen in feierlicher Rede ihre Pflichten gegen das Vaterland an’s Herz. Die Herzogin tröstete er mit liebreichen Worten. In tiefer Rührung standen die Räthe umher. Kurz zuvor noch hatte er die wohlthätigsten Anordnungen für die Armen im Lande eingeführt. Drei Tage lang lag er in schwerem Kampf, er vermochte nicht zu reden. Auf einmal erhob er sich, saß ganz aufrecht im Bette zu Aller Verwunderung und sprach deutlich, daß es Alle hören konnten: „Gott, Schöpfer Himmels und der Erden, ich bitte Dich, Du wollest mir zu erkennen geben, wenn ich einmal einem meiner Unterthanen wider Recht gethan habe und überlästig gewesen bin, damit solches ihm von meinem Hab und Gut wiederum erstattet werde; oder wenn solches auch nicht genug ist, so hast hier meinen Leib, barmherziger Gott, züchtige ihn immerfort und schone dort der Seele!“

Laut seines letzten Willens wurde von allen Kanzeln des Landes verkündet, daß, falls er Jemand durch unziemliche Reden an der Ehre gekränkt oder erzürnt oder an Leib und Gut beschädigt hätte, diese Personen ihm um Gotteswillen verzeihen wollen, und daß er es seinen Erben auf das Gewissen gebunden habe, jeden Schaden zu ersetzen. Ebenso nach seinem letzten Willen wurde er still und einfach, ohne allen Prunk, begraben in der Kirche zu St. Peter im Einsiedel, seinem Lieblingsort; eingekleidet in die blaue Kutte der Brüder des gemeinsamen Lebens, in der Mitte des Laienbrüderchors. Da ruhte er vierzig Jahre, bis das Stift abbrannte, wo dann sein Sarg nach Tübingen in den Chor der dasigen Stiftskirche gebracht wurde. Ein einfacher Stein bezeichnete in St. Peter sein Grab, nichts darauf, als sein Name, sein Geburts- und Todestag. Die Besten im deutschen Reiche trauerten um ihn.

Nach drei Jahren wallete Kaiser Max zu seinem Grabe in St. Peter im Schönbuch. Als er auf dem einfachen Stein stand, sprach er zu den Umstehenden: „Hier liegt ein Fürst, weise und tugendhaft wie keiner im Reich. Sein Rath hat mir oft genützt.“

Der Kaiser kam herüber von Rottenburg am Neckar und von [490] Reutlingen, des Reiches Stadt. Hier hatte er den Nachfolger Eberhard’s im Bart, Eberhard den Jüngern, durch Kaiserspruch für immer des Landes Württemberg entsetzt und Alles bestätigt, was die württembergischen Stände gethan hatten. Diese hatten nach zwei Jahren schon ihrem zweiten Herzog, auf Grund des Eberhardinischen Testaments, den Gehorsam aufgekündigt, weil er den Vertrag gröblich und vielfach gebrochen hatte, unter welchem ihm allein gehuldigt worden war, und welchen der erste Herzog, Eberhard im Bart, aufgerichtet hatte als Schutzmauer für die Freiheit und das Wohl seines Volkes gegen Willkür und Tyrannei.

Im Schloßhof zu Stuttgart steht seit einem Jahre das eherne Standbild Eberhard’s, von König Wilhelm gesetzt.