Die Edda (Simrock 1876)/Erläuterungen/Einleitung

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Einleitung
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Einleitung.

Daß die Götter des Nordens auch die unsern waren, daß beide Bruderstämme, der deutsche und nordische, wie Sprache, Recht und Sitte, so auch den Glauben im Wesentlichen gemein hatten, daß Odhin Wuotan ist und Thôr Donar, daß Asen und Ansen, Alfen und Elben, Sigurd und Siegfried nur andere Formen derselben mythischen Namen sind, darüber bleibt uns längst kein Zweifel. Wie kommt es denn, daß wir gegen die nordische Mythologie noch immer so gleichgültig thun als ob sie uns von Haut und Haar nichts anginge?

Möglich, daß wir eben darum von den nordischen Göttern nichts wißen und wißen wollen, weil sie die unsrigen sind, denn freilich ist das nur allzusehr deutscher Charakter, überall in der Welt, in Rom und Griechenland, in England und Spanien, in Arabien, Indien und China jeden Winkel zu durchstöbern, sich in jede Sackgaße zu verrennen und dabei im eigenen Hause wie die Blinden umherzutappen.

Hätte der Einleiter vielleicht gar klüger gethan, die Einheit der nordischen und deutschen Götter den Lesern zu verschweigen? Griffen sie lieber auch nach dieser Waare, wenn sie als ausländische dargeboten würde? Es ist freilich nicht unerhört, daß ein deutscher Dichter sein Werk, um es zu empfehlen, für Übersetzung aus dem Englischen oder Schwedischen ausgab. Und die Erscheinung, daß der mattherzige Ossian bei uns so viel Glück gemacht hat[WS 1], während die lebensvollen Gestalten des Nordens und alle Kraft und Tiefe der Edda verschmäht wurden, wie läßt sie sich anders erklären als aus der schon von Klopstock beklagten Undeutschheit der Deutschen? Sollten wir das mit den Juden des alten Bundes gemein haben, daß wir vor allen Götzen des Auslandes niedersinken und die heimischen Altäre unbekränzt laßen? Wenn uns dann nur nicht der Fluch dieses unseligen Volkes trifft, in alle Welt zerstreut zu werden und des Vaterlandes verlustig zu gehen! Ein Looß, das neuerdings auch ein edles europäisches Volk betroffen hat wegen eines andern Erbfehlers, der uns leider gleichfalls anhaftet, der Uneinigkeit. Dann wär unser Schicksal beklagenswerther als [334] selbst der Juden und Polen, denn jene erhält in der Verbannung ihre angeborne Zähigkeit, diese die Vaterlandsliebe; die Deutschen aber, die sich beider Tugenden weniger zu rühmen haben, würden ganz aus der Reihe der Völker gestrichen und selbst ihre letzte Spur verweht werden.

Doch so trüben Ahnungen dürfen wir uns nicht überlaßen. Das deutsche Reich hat zwar schon seit dem Untergange der Hohenstaufen nur noch ein Scheinleben fortgeführt, und die neuen Staatenbildungen, die auf seinen Trümmern erwuchsen, haben uns einander immer mehr entfremdet. Ein Gemeinschaftliches war uns geblieben: die Sprache und die Literatur. Diesen verdanken wir es, wenn sich neuerdings unser Volk wieder als ein deutsches zu empfinden begann und die zerstückten Glieder des Reichs allmählich wieder zusammenwuchsen. In ihnen sahen wir bis 1866 den einzigen Trost, die letzte Hoffnung unseres Volkes. Aber die Sprache wird mit Fremdwörtern überfüllt, die Literatur von Übersetzungen aus allen Nachbarzungen bei Seite gedrängt: wär es zu verwundern, wenn der deutsche Sinn zuletzt den Einflüßen des Auslands erläge? Ihn und das vaterländische Bewustsein zu nähren und zu stärken, ist darum unsere nächste Pflicht und dieß können wir nur durch Wiederbelebung unserer alten Sage und Dichtung. Dieß theuerste Vermächtniss unserer Väter müßen wir der hereinbrechenden Flut sittenloser Erzeugnisse des modernen Auslands als nationalen Hort entgegenstellen, um die Wiederkehr eines patriotischen Selbstgefühls in unser Volksbewustsein anzubahnen. Der gewaltige Aufschwung, welchen die Erforschung unserer heimischen Altertümer in den letzten dreißig Jahren genommen hat, läßt hoffen, daß es damit noch nicht zu spät sei. Aber mit Erforschung unsrer Alterthümer ist es nicht schon gethan, sie wollen Neuerthümer werden, das Erbe der Väter will zum Nutzen der Enkel verwandt sein, die versunkenen, endlich erlösten Schätze unserer Vorzeit dürfen keiner zweiten Verwünschung anheimfallen: wir müßen sie ummünzen oder doch vom Rost befreit von Neuem in Umlauf setzen; den vaterländischen Göttern genügt es nicht, wenn ihre Bildsäulen in Museen aufgestellt werden, sie wollen in unsern Herzen ihre Auferstehung feiern.

Die Erkenntniss des deutschen Altertums nach allen Richtungen hin ist von zweien Brüdern wesentlich gefördert und mit Hülfe hochverdienter Mitstrebenden und Jünger zu der gegenwärtigen Blüte gebracht worden. Der Dank des Vaterlands wird ihnen nicht entgehen; ihr Name, der schon jetzt in unvergänglichem Ruhme stralt, braucht hier nicht genannt zu werden.

[335] In diesem Gefühle hab ich mich seit funfzig Jahren der Wiederbelebung unserer alten Dichtung und Sage gewidmet. Was ich auf diesem Felde zu leisten bemüht war, will ich hier nicht erwähnen. Hat es bei der Nation die Aufnahme nicht gefunden, die ich mir versprach, so liegt dieß vielleicht an ihren schweren Schicksalen, die eine höhere Hand zum Beßern lenke. Doch auch so gereichen mir meine Erfolge zur Ermuthigung und ein viel mächtigerer Antrieb ist die Überzeugung, den rechten Weg eingeschlagen zu haben.

Eine Übersetzung beider Edden besaßen wir bisher noch nicht. Von der ältern waren uns nur einzelne Lieder zugänglich gemacht, weniger unvollständig lag die jüngere vor. Selbst in Schweden und Dänemark giebt es kein Buch, das die ältere und jüngere Edda umfaßte, wie sie in dem gegenwärtigen zu gegenseitiger Erläuterung zusammengestellt sind. Durch Vereinigung beider bildet es gleichsam die nordische Bibel, und somit auch die unsrige, da der Glaube der Nordmänner im Wesentlichen mit dem deutschen übereinstimmt.

In Deutschland war der Eifer der christlichen Priester leider mit zu großem Erfolge bemüht, das Heidentum bis auf die letzten Spuren zu tilgen. Von der eigenthümlich deutschen Gestalt des germanischen Glaubens sind uns fast nur Andeutungen erhalten. Am meisten ist der Verlust unserer heidnischen Götter- und Heldengesänge zu beklagen, welche den lebendigsten Ausdruck der ursprünglich deutschen Weltanschauung enthalten haben müßen. Ein glücklicherer Stern hat im Norden über dem Glauben unserer Väter gewaltet. In Island, dem abgelegensten Winkel der Erde, blieb er gleich den Gluten des Hekla unter Schnee und Eis der Gletscher geborgen. Wollen die Deutschen nun die ihrem Geiste eingeborenen und noch einwohnenden Götter verehren, wollen sie den Geist ihrer ältesten Geschichte zu sich sprechen laßen, so müßen sie nach diesem äußersten Thule wandern, und die Früchte kosten, die unter dem starrsten aller Himmel gereift sind.

Als um das Ende des zehnten Jahrhunderts auch in Island das Christentum eingeführt wurde, blieb es durch seine Armut und Entlegenheit vor der Überhandnahme des ausländischen Geistes bewahrt. Nach dem fernen kalten Eilande lockte fremde Geistliche kein Anreiz. Seine Priester waren Eingeborene, zwar auch im Auslande in der neuen Glaubenslehre und der Kunst des Schreibens unterrichtet, doch der Liebe zu ihrem einsamen Vaterlande, seiner Sprache, seinen Sitten und Eigentümlichkeiten nicht entwöhnt. Während daher in Deutschland der Glaubenseifer der christlichen Priester und Mönche alle einheimische, mit dem Heidentum verwachsene [336] Bildung auszutilgen beflißen war, wurden Islands Geistliche die Pfleger der volksthümlichen Sprache, Sitte und Überlieferung, ja durch die im Ausland erlernte Schreibekunst erst die Gründer der altnordischen Literatur. Die Runenschrift war von sehr eingeschränktem Gebrauch gewesen; nun aber empfingen sie das lateinische Alphabet, in das nur einzelne Runenzeichen zur Bezeichnung eigenthümlich nordischer Laute Aufnahme fanden. Bald wurden auch auf Island selbst Schulen gegründet, die älteste zu Skalholt von Isleif dem ersten Bischof Islands. Eine andere stiftete der berühmte Sämund Sigfusson, wegen seiner Gelehrsamkeit hinn frôdi genannt (geb. 1056 † 1133) auf seinem Erbgute zu Oddi, wo auch Snorri Sturlason (geb. 1178 † 1241) der Verfaßer der Heimskringla, des großen nordischen Geschichtswerks, seine erste Bildung empfing.

Dem Sämund wird die Sammlung der Eddalieder zugeschrieben, den Snorri hält man für den Verfaßer der jüngern Edda, letzteres wohl mit Unrecht, ersteres wenigstens ohne Beweis; doch mag damit die frühe Entstehung dieser Sammlung richtig bezeichnet sein. Was hätte der Isländer, sobald ihm die Schreibekunst überliefert war, aufzuzeichnen sich mehr beeilen sollen als diese herlichen Lieder, das Kostbarste, womit ihn die Heimat ausgesteuert hatte? Nächst diesen brachte er nichts aus Norwegen herüber, das durch die Schrift zu feßeln ihm so angelegen sein muste als seine Göttersagen, und damit wird er schwerlich bis zu Snorris Zeit gewartet haben. Doch wir wenden uns einer nähern Betrachtung beider Werke zu.


1. Eddalieder.

1. Eine Sammlung mythologischer und epischer Lieder mit prosaischen Zwischenreden pflegt man die ältere Edda zu nennen, auch wohl die poetische oder Sämundische, Alles im Gegensatz gegen die s. g. jüngere, welche in Prosa abgefaßt ist und dem Snorri zugeschrieben wird. Von allen diesen Bezeichnungen ist aber keine ganz ohne Bedenken. Aelter heißt die Sammlung wohl insofern mit Recht als die meisten in ihr enthaltenen Lieder früher entstanden sein müßen als die Haupttheile der s. g. prosaischen Edda, deren Text mit Belegstellen aus diesen Liedern verbrämt ist. Da indes nur aus einigen, nicht aus allen Liedern Stellen angeführt werden, während das Alter anderer zweifelhaft bleibt, so könnte die durchgreifende Richtigkeit dieser Benennung wohl angefochten werden. Poetisch mag sie im Gegensatz gegen die dem Snorri zugeschriebenen nur insoweit heißen, als letztere von den wenigen eingewebten Belegstellen abgesehen in Prosa verfaßt ist; aber auch jene besteht nicht aus lauter poetischen Stücken [337] vielmehr sind einige derselben als Sinfiötla-Lock und Drâp Niflunga gleichfalls in Prosa geschrieben, und den Liedern selbst fehlt es nicht an prosaischen Eingängen, Schlüßen und Zwischensätzen, welche sie erläutern und vervollständigen sollen, während jene selbständigen Prosastücke zwischen die Heldenlieder eingeschoben scheinen damit der Leser aus ihnen eine Übersicht der ganzen Sage gewinnen könne. Endlich kann das sogar in Frage gestellt werden ob dieser kostbaren Sammlung der Namen Edda gebühre. Wir werden sehen, daß er in Bezug auf das jüngere Werk kaum zu beanstanden ist, und da dieß aus den Liedern schöpft und beide an den mythischen Überlieferungen des Nordens einen gemeinschaftlichen Gegenstand haben, so war es natürlich, sie mit gleichem Namen zu bezeichnen. Die erhaltenen Handschriften unserer Sammlung legen ihr aber diesen Namen noch nicht bei. Der Bischof Brynjulf Swendsen zu Skalholt jedoch, welcher im Jahr 1643 die älteste derselben, den sogenannten codex regius, auffand, setzte der Abschrift, welche er davon besorgen ließ, mit eigener Hand den Titel Edda Sæmundar hinns frôda, Edda Sämund des Gelehrten, vor und dieß ist das einzige Zeugniss dafür, daß diesem Buch der Name Edda gebühre. Auf keinem festern Grunde beruht es zugleich, wenn es dem Sämund zugeschrieben wird. Für den Verfaßer der Lieder soll er damit nicht ausgegeben werden, nur die Rolle des Sammlers wird ihm zugedacht: aber auch dafür wißen wir die Gründe nicht, welche den Bischof Brynjulf zu solcher Annahme bestimmten. Die Lieder selbst sind mit wenigen Ausnahmen so altertümlich, daß sie aus christlicher Zeit nicht herrühren können; das Solarlied aber muß ihr angehören, da es christliche und heidnische Vorstellungen mischt, weshalb es als nicht eddisch von uns ausgeschloßen wird, obgleich es sich in allen Handschriften findet; jedoch liefern wir es, seiner großen Schönheit wegen, in einem Anhange nach. Daß es von Sämund gedichtet sei, hat Bergmann in seiner Untersuchung über Gylfaginning (La fascination de Gulfi, Strassbourg et Paris 1861) wahrscheinlich gemacht. Gleichen Ursprung schreibt man auch dem dritten Gudrunenlied zu.

Es bleibt hienach zweifelhaft ob die Sammlung der Eddalieder von Sämund angelegt sei; daß sie nicht von ihm gedichtet sind, ist ganz entschieden, wenn wir von jenen beiden absehen, deren später Charakter eine solche Annahme eher möglich macht. Die echten alten Lieder werden überhaupt nicht auf Island gedichtet sein: den Isländern gebührt nur das Verdienst der Erhaltung und Aufzeichnung; sie brachten sie schon aus dem Mutterlande mit hinüber. Wann sie dort entstanden seien, läßt sich nicht [338] angeben; die ältesten glaubt man schon dem sechsten Jahrhundert zuschreiben zu müßen. Von den Heldenliedern ist es sogar wahrscheinlicher, daß sie nur Übersetzungen Deutscher sind, da sie am Rhein, in Frankenland spielen.

Dem Inhalte nach beziehen sich nämlich die Eddalieder theils auf die Götter, theils auf die Helden, weshalb man einen mythologischen und epischen Theil zu unterscheiden pflegt. Auch wir legen diese Eintheilung zu Grunde, indem wir Götter- und Heldensage sondern. Doch giebt es auch hier Übergänge: so könnte das Hyndlulied und das Rigsmal mit gleichem Fug zu der einen wie zu der andern Gattung gezählt werden. Wir haben sie als den Übergang zur Heldensage bildend an den Schluß der Götterlieder verwiesen. Für die Heldensage bleiben uns dann nur solche Lieder übrig, welche der deutschen Heldensage entsprechen, indem sie sich wie die Nibelungen und die Gedichte des Heldenbuchs auf den Kreiß von Siegfried und Ermenrich beziehen. Das Grottenlied, welches hievon eine Ausnahme machen würde, haben wir deshalb aus der Skalda oder jüngern Edda herüber zu nehmen Bedenken getragen. Zu den mythologischen Liedern ist hier auch das Spruchgedicht Hawamal gestellt, obgleich es seines ethischen Gehaltes wegen eigentlich einer dritten Reihe angehörte, in der es aber allein stehen würde. Indes enthält es so viel mythische Bezüge, daß seine Stellung unter den reinen Götterliedern gerechtfertigt ist. Sollen wir auch die Rücksichten angeben, die uns innerhalb der beiden Hauptabschnitte bei Anordnung der Lieder geleitet haben, so war bei den Heldenliedern der Fortschritt der Begebenheiten maßgebend, was freilich auf die vereinsamt an der Spitze stehende Wölundarkwida keine Anwendung findet; die Götterlieder, bei welchen diese Rücksicht nicht durchgriff, sind zugleich nach Kreisen, d. h. so geordnet, daß die beisammen stehen, welche sich auf dieselbe Gottheit beziehen. Der Wöluspa, die eine Übersicht über den ganzen nordischen Glauben gewährt, folgen die zum Mythus Odhins gehörigen Lieder; das letzte, das zugleich Thors Wesen erläutert, bildet den Übergang zu dessen Kreise. Diesem folgen dann drei auf Freyr bezügliche Lieder, so daß die Trilogie Odin, Thor und Freyr unserer Anordnung zu Grund liegt. Den Schluß machen jene beiden, welche den Übergang zur Heldensage vorbereiten.


2. Edda.

2. Die sogenannte jüngere Edda führt diesen Namen nur in der isländischen Handschrift zu Upsala, welche der schwedische Reichskanzler De la Gardie dahin schenkte; doch scheint er ihr zu gehören, da schon im 14. Jahrhundert [339] die Dichtkunst Eddulist und die Gesetze des Dichtens Eddureglur genannt werden (Grimm G. D. Spr. 761), was sich auf das ihr angehängte Skaldskaparmal beziehen muß. Edda bedeutet, wie aus Sn. 202 und dem Rigsmal hervorgeht, Eltermutter und es ist, wie Grimm am angeführten Orte sagt, ganz im Sinne des Altertums, daß die Großmutter dem Kreiß ihrer Kinder und Enkel von der Vergangenheit Kunde giebt.

Dieß Werk findet sich sowohl in Handschriften als in den Ausgaben mit einem andern verbunden, dem man den Namen Skâlda beizulegen pflegt. Die Grenze zwischen beiden ist aber nicht leicht zu bestimmen. Rask rechnet in seiner Ausgabe nur die beiden Mythensammlungen Gylfaginning und Bragarödur zur Edda, alles Übrige zur Skalda. Grimm zieht aber auch das nun folgende Skaldskaparmal, mit dem bei Rask die Skâlda beginnt, zur Edda, von welcher er also nur den, nach Snorris Hattalykill oder Hattatal d. i. Versweisenschlüßel oder Auszählung der Versweisen entworfenen, Bragarhættir genannten Abschnitt und die noch ferner angehängten nach Priscianus und Donatus verfaßten drei Abhandlungen Latinustafrofit (de alphabeto), Malfrädinnar grundvöllr (fundamentum grammatices) und Malskruds Frädi, auch Figurar i rödinnu (figurae orationis) genannt; ausscheidet. Eine nähere Betrachtung der hier in Frage kommenden Theile wird dieß erläutern. [1]


a) Gylfaginning.

1. Der erste Abschnitt, welcher seinen Namen Gylfaginning (Gylfes Verblendung) oder Hars lygi (des Hohen d. h. Odhins Lügen) spätern Abschreibern zu verdanken scheint, schließt sich in seiner Einkleidung an das dritte Lied der ältern Edda an, welches den Namen Wafthrudnismal führt. Wie dort Odhin unter dem Namen Gangradr einen mächtigen und weisen Riesen besucht, um sein Wißen auf die Probe zu stellen, und so ein Wettstreit beginnt, bei dem das Haupt des Unterliegenden zu Pfande steht, so wird umgekehrt hier die Weisheit der Götter auf die Probe gestellt, und auch sie würden, wenn sie die vorgelegten Fragen nicht zu lösen wüsten, sich überwunden bekennen und der Willkür des Siegers unterwerfen müßen. Gylfi, ein mythischer König von Schweden, begiebt sich nach Asgard, um [340] zu erfahren, woher dem Asenvolk seine Macht komme. Wie in Wafthrudnismal Odhin sich Gangradr nennt, nimmt er den Namen Gangleri an, der gleich jenem den Wanderer bezeichnet. Die Götter machen ihm aber ein Blendwerk oder Gaukelspiel vor und zeigen sich ihm nicht in ihrer wahren Gestalt, sondern beantworten seine Fragen von einem dreifachen Hochsitze aus unter den Namen Hars, Jafnhars und Thridis, d. i. des Hohen, Gleichhohen und des Dritten. Die vorgelegten Fragen, auf welche sie keine Antwort schuldig bleiben, geben Veranlaßung, die Hauptlehren des nordischen Götterglaubens in Erzählungen darzulegen, welchen man den Namen Dämisögur, Beispielreden, gegeben hat.


b) Bragarödur.

2. Eine ahnliche Einkleidung hat der zweite Abschnitt, welcher den Namen Bragarödur, Bragis Gespräche, führt. Auch sie ist einem Liede der ältern Edda abgeborgt. Nach Ögisdrecka, d. i. Ögirs Gastmal, bewirthete der Meergott Ögir die Asen und brauchte bei der Beleuchtung seiner Halle Goldlicht statt des Feuerlichts, ein Mythus, der das Leuchten des Meeres von den in ihm versunkenen Schätzen abzuleiten scheint. Dieß kehrt sich nun in Bragarödur wieder um, denn hier ist es Ögir, zwar nur als ein zauberkundiger auf Hlesey wohnender Mann bezeichnet, welcher die Asen besucht und von ihnen wie Gylfi mit Gaukelspiel empfangen wird; statt des Goldlichts aber hat nun Odhin Schwertlicht, was seiner Eigenschaft als Siegsgott gemäß ist. Bei Tische sitzt Ögir neben Bragi, welche ihm die vorgelegten Fragen durch mythische Erzählungen beantwortet. Die letzte derselben bezieht sich auf den Ursprung der Dichtkunst, worüber Bragi, als der Skalde der Götter, schickliche Auskunft giebt.


c) Skâldskaparmâl.

3. Hieran schließt sich nun Skaldskaparmal, welches die Skaldenkunst zum Gegenstand hat, indem es die dichterischen Ausdrücke, namentlich 1. Kenningar, auf Mythen anspielende Umschreibungen, 2. Ukend heiti, einfache Benennungen wie jene, welche Alwismal aufzählt, 3. Fornöfn, in der Skaldenkunst gebräuchliche Namen der Männer, Frauen, Schwerter, Schiffe u. s. w. lehrt und aufzählt, erstere auch nach ihren mythischen Beziehungen deutet, wobei auf bekannte Skaldenlieder hingewiesen wird. Einigemal findet sich Veranlaßung, größere Stücke aus der Götter- und Heldensage einzuflechten. Auch dieß ist in Fragen Ögirs und Bragis Antworten [341] eingekleidet und bildet so eine Fortsetzung des vorhergehenden Abschnitts, aber eine unpassende, da Cap. 33 von Ögir selbst erzählt wird, der doch der Fragende sein soll. Doch mag Grimm wohl berechtigt erscheinen, auch Skaldskaparmal zur Edda zu rechnen, besonders da Bragarödur sonst gar zu geringen Umfang erhalten würde. Entgegen steht indes, daß Bragarödur jetzt von Skaldskaparmal durch ein Eptirmali (Nachwort) geschieden ist, welchem Grimm selbst schon ein ziemlich hohes Alter zugesteht.

Vielleicht erklärt sich aber diese Anordnung daraus, daß man die reinmythologischen Erzählungen von den folgenden Belehrungen über die Skaldenkunst und ihre hergebrachten Umschreibungen und Benennungen sondern wollte, in welcher Absicht man den Eingang des Skaldskaparmals, welchen die Bragarödur jetzt bildeten, von dessen Haupttheile löste und als eine selbständige Sammlung mythischer Erzählungen den in Gylfaginning enthaltenen gleichartigen Berichten anhing. In den Handschriften ließ man aber auch noch den Haupttheil des alten Skaldskaparmals folgen, welcher nun mit den nach Snorris Hattalykill bearbeiteten Bragarhättir u. s. w. die Skalda bildete.

Wenn nun die Dichtkunst Eddulist und die Gesetze des Dichtens Eddureglur benannt wurden, so scheint es allerdings, daß man das ganze, die Skalda mit umfaßende Werk Edda genannt habe. Fragt man dagegen, von welchem seiner Theile dieser Name auf die andern übertragen ward, so wird man nicht auf die letzten rathen, da es der Großmutter wohl geziemt, ihre Kinder und Enkel von Göttergeschichten zu unterhalten, nicht aber sie in den Kunstausdrücken der Dichtersprache einzuweihen.

Hienach glauben wir Skaldskaparmal als zur Edda nicht gehörig betrachten zu müßen, wenn wir auch zugeben, daß Bragis mythische Erzählungen, die wir Bragarödur nennen, ursprünglich selbständig doch einmal dessen Eingang gebildet haben, ein Zusammenhang, welchen wir nur dann wieder herzustellen hätten, wenn es sich um eine Ausgabe jenes Lehrbuchs der Skaldenkunst handelte. Mit diesem aber den Leser zu behelligen, der in der Edda nur mythische Erzählungen sucht, bestimmen wir uns nicht. Doch haben wir die dem Skaldskaparmal eingefügten Stücke aus der Götter- und Heldensage, welche so gut als die Erzählungen der beiden ersten Abschnitte im Munde der Eltermutter klingen, ausgehoben und zu einem dritten Abschnitte vereinigt, so daß wir nicht weniger, wohl aber mehr liefern als man in einer Übersetzung der Edda zu erwarten berechtigt ist. Auch diese Stücke sind hier gleich den Dämisögur (Capitel, wörtlich Gleichnissreden) [342] der eigentlichen Edda mit fortlaufenden Nummern versehen und so die 58 Dämisögur der beiden ersten Abschnitte auf die Zahl 65 gebracht. Wenn wir künftig eine derselben citieren, so geschieht es mit D (Dämisaga) und der beigesetzten Zahl der Gleichnissrede. Daß Snorri weder unsere beiden ersten Abschnitte, noch Skaldskaparmal verfaßt habe, geht daraus hervor, daß hier wie dort die mythischen Anschauungen des Nordens im Ganzen noch mit unschuldiger Gläubigkeit vorgetragen und dem Urtheile des Verfaßers selten unterworfen werden, wie es Snorri in der Ynglingasaga, dem ersten Theil der Heimskringla, zu thun pflegt, oder wie es gar in der Vorrede (formâli) und den beiden Schlußreden (eptirmâli) geschieht, die wir ihrer barbarischen Mönchsgelehrsamkeit wegen ausgeschloßen haben. In dieser Überzeugung hat uns auch Bergmanns Ausführung nicht wankend gemacht.

Wenn es in den isländischen Annalen, deren Abfaßung noch vor 1400 fallen soll, von Snorri heißt: Hann samsetti Eddu ok margar adrar frœdibœkur ok islendskar sögur, so könnte dieß Zeugniss höchstens beweisen, daß er die verschiedenen Theile der Edda und Skalda zusammengesetzt und zu Einem Buche verbunden habe; für seine Verfaßerschaft an Einem dieser Theile kann es nicht geltend gemacht werden. Und selbst das scheint uns nicht wahrscheinlich, daß das ganze Edda und Skalda umfaßende Werk, wie es jetzt vorliegt, aus seiner Hand hervorgegangen wäre, namentlich halten wir die Vorrede mit den beiden Schlußworten für seiner eben so unwürdig als die j. Edda selbst für ihn noch zu rein im altheidnischen Geiste gehalten ist.

Der Zusammensetzer des Buchs, welches außer der Edda noch so vielerlei unter dem gemeinschaftlichen Namen Skâlda zusammengesetzte Abschnitte enthält, hatte offenbar ein Handbuch für junge Skalden im Sinn, in welchem sie Alles vereinigt finden sollten, was sie zu ihrem Berufe von der alten Götter- und Heldensage, den Gesetzen der Dichtkunst und Beredsamkeit zu wißen brauchten. Denn an den Höfen christlicher Könige, der Bekehrer des Nordens, lebte das Heidentum noch sehr im Bewustsein und war das Christentum noch so wenig lebendig geworden, daß die Skaldenpoesie stäts auf die heidnische Götter- und Heldensage anspielte, sich christlicher Anschauungen aber gänzlich zu enthalten pflegte. Der Verfaßer von Gylfaginning wollte nun eine Übersicht der Götterlehre geben, um das innere Verständniss der alten, in der Form einfachen Eddalieder zu vermitteln. Dem Verfaßer von Skaldskaparmal, zu welchem Bragarödur den Eingang bildete, lagen mehr die schwierigen und überkünstelten Skaldenlieder [343] am Herzen, zu deren Erklärung Mancherlei abzuhandeln war. In seinem Hattalykill nahm Snorri ohne Zweifel schon auf Bildung junger Skalden Bedacht und noch mehr hatten die Verfaßer der folgenden Abschnitte, sowie der Zusammensetzer des Ganzen ihr Absehen auf die Unterweisung der Jugend gerichtet.

Unser Verfahren, aus Skaldskaparmal nur die eingeschobenen mythischen Erzählungen auszuheben, hat den Nachtheil, daß die unter den Kenningar sich findenden, in Fragen und Antworten gekleideten kurzen Charakteristiken der Götter und göttlichen Wesen, gleichfalls wegbleiben. Da diese doch Mancher vermissen möchte, weil sie für das Studium der Mythologie so wichtig sind als manche Dämisaga der jüngern Edda, so laße ich sie nachstehend folgen:

1. (C. 4.) „Wie ist Thor zu bezeichnen? So, daß er der Sohn Odhins und der Jörd genannt wird, Magnis und Modis Bruder, Sifs Gemahl, Ullers Stiefvater, Miölnirs und des Stärkegürtels sowie Bilskirnirs Besitzer, Asgards und Midgards Vorfechter, der Jötune und Zauberweiber Feind und Tödter, Hrungnirs, Geirröds und Thriwaldis Besieger, Thialfis und Röskwas Herr, des Midgardwurms Gegner, Wignis und Hloras Pflegesohn.

2. (C. 5.) Wie ist Baldur zu bezeichnen? Als der Sohn Odhins und der Frigg, Nannas Gemahl, Forsetis Vater, Hringhorns und Draupnirs Besitzer, Hödurs Feind, der Hel Geselle, der beweinte Gott.

4. (C. 6.) Wie ist Niördr zu bezeichnen? So, daß er Wanengott, Wanensprößling oder schlechtweg der Wane heiße, Freys und Freyjas Vater, der spendende Gott.

5. (C. 7.) Wie ist Freyr zu bezeichnen? So, daß er Njörds Sohn, Freyjas Bruder genannt wird, oder gleichfalls Wanengott, Wanensprößling oder schlechtweg der Wane, Erntegott und Reichtumspender. Er wird auch Belis Feind, Skidbladnirs und des Ebers Gullinbursti, der auch Slidrugtanni heißt, Besitzer genannt.

6. (C. 8.) Wie ist Heimdal zu bezeichnen? Als der Neun Mütter Sohn und der Götter Wächter, oder der weise Ase, Lokis Gegner, der Wiedererkämpfer Brisingamens. Heimdals Haupt heißt das Schwert, denn es wird gesagt, er sei mit eines Mannes Haupt durchbohrt worden. Von ihm handelt das (verlorne) Heimdalslied, und das Schwert heißt seitdem Manns Miötudr (Meßer, Schöpfer), denn das Schwert ist des Manns Miötudr (Durchbohrer). Heimdal ist Gultops (des Rosses) Besitzer, Wagaskers und Singasteins Heimsucher, weil er dort mit Loki um Brisingamen stritt; desgleichen heißt er Windhler. Ulf Uggis Sohn hat in der Husdrapa diese [344] Sage ausführlich dargestellt, wobei erwähnt wird, daß die Kämpfer die Gestalt von Meerkälbern annahmen. Er ist auch Odhins Sohn.

7. (C. 9.) Wie ist Tyr zu bezeichnen? Als der einhändige As, des Wolfs Fütterer, Kampfgott und Odhins Sohn.

7. (C. 9.) Wie ist Bragi zu bezeichnen? Als Idhuns Gemahl, der erste Liederschmied, der langbärtige Ase, und Odhins Sohn.

8. (C. 11.) Wie ist Widar zu bezeichnen? Ihn mag man den schweigsamen Asen heißen, des Eisenschuhs Besitzer, des Wolfs Fenrir Feind und Tödter, der Götter Rächer, der väterlichen Stätten Bewohner und Erben, Odhins Sohn, der Asen Bruder.

9. (C. 12.) Wie ist Wali zu bezeichnen? So, daß er Odhins Sohn und der Rinda heiße, Friggs Stiefsohn, der Asen Bruder, Baldurs Rächer, Hödurs Feind und Tödter, der väterlichen Stätten Bewohner und Erbe.

10. (C. 13.) Wie ist Hödur zu bezeichnen? Als der blinde Ase, Baldurs Tödter, Mistilteins Schießer, Odhins Sohn, der Geselle Hels, Walis Feind.

11. (C. 14.) Wie ist Uller zu bezeichnen? Als Sifs Sohn, Thôrs Stiefsohn, Schrittschuh-Ase, Bogen-Ase, Jagd-Ase, Schild-Ase.

12. (C. 15.) Wie ist Hönir zu bezeichnen? So, daß er Odhins Gefährte, Sitz- und Redegeselle heiße, oder der schnelle Ase, der Langfuß, der Pfeil- (oder Ernte-) König.

13. (C. 16.) Wie ist Loki zu bezeichnen? Als Farbautis und Laufeyjas, die auch Nal heißt, Sohn, als Byleists und Helblindis Bruder, als Vater Wanargandrs (des Wolfs Fenrir) und Jörmungandrs (des Midgardswurms), so wie der Hel, Naris (oder Nörwis) und Alis; als Blutsfreund und Vaterbruder der Asen, Odhins Sitz- und Reisegefährte, als Geirröds Heimsucher und seiner Truhe Zierde, als der Dieb des Bocks, der Riesen, Brisingamens, und der Äpfel Iduns, als Sleipnirs Verwandter, Sigyns Gemahl, der Götter Feind, als Beschädiger des goldnen Haars der Sif, als Unheilschmied, der verschlagene Ase, der Götter Verleumder und Betrüger, als Anstifter des Mordes Baldurs, der gefeßelte Ase, Heimdals und der Skadi Gegner.

14. (C. 19.) Wie ist Frigg zu bezeichnen? Als Fiorgyns Tochter, Odhins Gemahlin, Baldurs Mutter, Jörds Nebenbuhlerin, so wie der Rinda, der Gunlöd und Gerdas, Nannas Schwieger, der Asen und Asinnen Herscherin, Fullas, des Falkenhemdes und Fensals Herrin.

14. (C. 19.) Wie ist Freyja zu bezeichnen? Als Njörds Tochter, Freys Schwester, Odhs Gemahlin, der Hnossa Mutter, als des Walfalls (der auf dem Schlachtfeld Fallenden) und Sessrumnirs Eigentümerin so wie [345] der Katzen und Brisingamens, als Wanengöttin, Wanenjungfrau, die thränenschöne Göttin. Die Asinnen können alle so bezeichnet werden, daß man sie mit den Namen einer andern Göttin benenne und von Besitztum, Werk und Erlebniss oder Geschlecht eine nähere Bezeichnung hernehme.

15. (C. 21.) Wie ist Sif zu bezeichnen? Als Thors Gemahlin, Ullers Mutter, die haarschöne Göttin, Jarnsaxas Nebenbuhlerin, die Mutter Thruds.

15. (C. 22.) Wie ist Idun zu bezeichnen? Als Bragis Gemahlin, der Äpfel Hüterin (die das Heilmittel sind gegen der Asen Altern), als des Riesen Thiassi Raub, der sie den Asen entführte.

17. (C. 23.) Wie ist der Himmel zu bezeichnen? Als Ymirs Hirnschädel, und daher der Riesen Schädel und der Zwerge Arbeit oder Last, oder als Westris, Austris, Sudris, Nordris Helm, als der Sonne, des Monds und der Sterne Land, als der Luft, der Erde und der Sonne Helm oder Haus.

18. (C. 24.) Wie ist die Erde zu bezeichnen? Als Ymirs Fleisch, Thors Mutter, Onars Tochter, Odhins Braut, Friggs und Rindas und Gunlöds Nebenbuhlerin, Sifs Schwieger, als des Hofs der Winde und des Wetters Grund und Boden, als der Thiere Meer, als der Nacht Tochter, Audrs und des Tags Schwester.

19. (C. 25.) Wie ist das Meer zu bezeichnen? Als Ymirs Blut, der Götter Heimsucher, Rans Gemahl, der Ögirstöchter Vater, deren Namen diese sind: Himingläwa, Duwa, Blodughadda, Hefring, Udr, Hrön, Bylgia, Bara, Kolga; als die Erde Rans, der Ögirstöchter und der Schiffe (wobei alle Schiffsnamen, Kiele u. s. w. zu brauchen sind), so wie der Fische und des Eises; als der Seekönige Weg und Straße, als der Eilande Ring, als des[WS 2] Sands, des Seetangs und der Riffe Haus; als der Angelruthen, der Seevögel und der Winde Haus.

20. (C. 26.) Wie ist die Sonne (Sôl) zu bezeichnen? Als die Tochter Mundilföris, als des Mondes (Manis) Schwester, Glenurs Gemahlin, als Feuer des Himmels der Luft.

21. (C. 27.) Wie ist der Wind zu bezeichnen? Als Forniots Sohn, Ögirs und des Feuers Bruder, der Bäume Brecher, Schade und Mörder, als Hund oder Wolf der Bäume, Segel und Segelstangen.

22. (C. 28.) Wie ist das Feuer zu bezeichnen? Als des Windes und Ögirs Bruder, des Holzes und der Häuser Mörder und Verderber, als Halfs Mörder, als Sonne der Häuser.

23. (C. 29.) Wie ist der Winter zu bezeichnen? Als Windswalis Sohn, der Würmer Mörder, der Vögel Krankheit, Zeit der Stürme.

[346] 24. (C. 30.) Wie ist der Sommer zu bezeichnen? Als Swasudrs Sohn, der Schlangen Trost, der Vögel Freude, fruchtbare Zeit.

25. (C. 32–34.) Wie ist das Gold zu bezeichnen? Als Ögirs Feuer, Glasirs Laub, als Sifs Haar, Fullas Haarband, Freyjas Thränen, der Riesen Wort, Stimme und Rede, als Draupnirs Tropfen, Draupnirs und der Augen Freyjas Regen oder Schauer, als der Asen Buße für Otrs Mord, als Saat auf Fyriswall, Helgis Grabdecke, als der Hand und aller Flüße Feuer, als Stein und Klippe oder Glanz der Hand. Ögirs Feuer heißt es, weil Ögir, als er von Odhins Gastmal heimfahren wollte, Odhin und die Asen nach dreier Monden Frist zu sich einlud. Bei dieser Fahrt waren Odhin, Niördr, Freyr, Tyr, Bragi, Widar, Loki und die Asinnen Frigg, Freyja, Gefion, Skadi, Idun, Sif. Thor war nicht zugegen, weil er gen Osten gefahren war Riesen zu tödten. Und als die Götter saßen, ließ Ögir leuchtendes Gold auf den Estrich tragen, das wie Feuer die Halle durchstralte und erleuchtete, wie in Walhall Schwertfeuer gewesen war. Hier schmähte Loki alle Götter und erschlug Ögirs Diener Fimafeng; sein anderer Diener hieß Eldir. Ran hieß Ögirs Gemahlin, deren neun Töchter oben genannt sind. Bei diesem Gastmal trugen die Speisen und das Öl sich von selber auf, und alles geschah von selbst was zur Bedienung gehörte. Da bemerkten die Asen, daß Ran ein Netz habe, womit sie alle fing, die sich der See vertrauten. Darum heißt das Gold Ögirs Feuer. Glasirs Laub heißt es, weil in Asgard vor Walhall ein Hain steht, Glasir genannt, dessen Laub ganz aus rothem Golde besteht, wie diese Zeilen bezeugen:


Glasir steht   mit goldnem Laub
Vor Sigtyrs Saal.


Dieß ist das schönste Holz bei Göttern und Menschen.“


3. Eddische Verskunst.

Von der nordischen Poetik wird der Leser schwerlich mehr zu wißen verlangen als nöthig ist, über die Form der mitgetheilten Eddalieder ins Klare zu kommen, und dazu gehören wenige Worte.

Zunächst wird die Abwesenheit des Endreims auffallen, welchen die eddische Dichtung so wenig kennt als die deutsche der ersten Periode, der aber in beiden durch den Stabreim (Alliteration) ersetzt wird. Wenn der Endreim auf dem Gleichklang der Auslaute beruht, die von dem Vocal der betonten Reimsilbe an übereinstimmen müßen, so fordert der Stabreim den [347] Gleichklang des Anlauts, d. h. der Reim besteht nur in der Übereinstimmung der Anfangsbuchstaben betonter Silben, wobei die Vocale für Gleichlaute gelten, mithin einer für den andern eintritt; es gilt sogar für schöner, wenn verschiedene Vocale die Anlaute bilden. Z. B.:


Einst war das Alter,   da Ymir lebte.


Die reimenden Anfangsbuchstaben heißen Stäbe, deren gewöhnlich dreie zu Einem Reime gehören. Davon ist Einer der Hauptstab, die beiden andern heißen Nebenstäbe. Letztere werden in der ersten Halbzeile verbunden, und dem Hauptstab, der in der folgenden steht, vorausgeschickt, wie in dem angeführten Beispiele oder in diesem:


Ich will Walvaters   Wirken künden,


ist der Hauptstab kein einfacher Anlaut, sondern einer der beiden zusammengesetzten St oder Sp, so müßen es auch die Nebenstäbe sein. Z. B.:


Am starken Stamm   im Staub der Erde.


Dasselbe gilt im Nordischen von Sk; wieweit dieß aber auf unser Sch Anwendung findet, ist zweifelhaft. Nach unserer Meinung nur soweit es jenem sk entspricht; mithin fiele das aus sl sm sn sr sw entstandene Sch als unorganisch nicht unter die Regel. Wenn also in Schatz der Hauptstab stünde, so würden die Nebenstäbe nicht in Schwert oder Schlag gefunden werden dürfen und Halbzeilen wie:


Mit Schwertschlägen   den Schatz erwerben


wären unrichtig gereimt. Ich gesteh indes, daß ich die Regel vom zusammengesetzten Anlaut, die etwas Willkürliches hat, indem nicht einzusehen ist warum sie nur von diesen Consonantenverbindungen gelten soll, zwar gern berücksichtigt habe, ihr aber nicht immer genügen konnte; die Lieder werden dadurch eher gewonnen als verloren haben. Dem Übersetzer sind ohnedieß in diesen kurzen Zeilen die Hände schon zu sehr gebunden. In eigenen Gedichten, die eine freiere Bewegung verstatten, wird ohne Benachtheiligung des Sinnes auch dieß Gesetz in seiner Strenge gehandhabt werden können. Ist der Hauptstab ein einzelner Laut, so dürfen die Nebenstäbe aus zusammengesetzten Anlauten bestehen. Ein anderes Gesetz, daß die zweite Hauptzeile mit dem Hauptstab beginnen müße, ist schon im Norden nicht strenge durchgeführt, indem man drei Silben als sog. mâlfylling (Redefüllung) voraustreten läßt; in Deutschland hat es nie gegolten, wie folgende Zeilen aus Muspilli u. s. w. beweisen:

[348]
1.
Sêlida âno sorgûn: dâr nist nêoman siuh.

Dâr ni mak denne mâk   helfan vora demo muspile.
Denne daz preita wasal   allaz varprennit,
Enti vuir enti luft   iz allaz arfurpit:
Wâr ist denne diu marha   dâr man mit sînên mâgon piec?
Ni weiz mit wiu puazê: sâr verit si za wîze.

2.
Visc flôt aftar watare,   verbrustun sînâ vetherûn.


Nicht immer entsprechen dem Hauptstab zwei Nebenstäbe; oft läßt man sich an Einem genügen, z. B.:


Hohen und Niedern   von Heimdals Geschlecht.


Vier Langzeilen oder acht Halbzeilen der beschriebenen Art bilden ein Gesetz (erendi, vîsa). Z. B.:


Ihn mästet das Mark   gefällter Männer;
Der Seligen Saal   besudelt das Blut.
Der Sonne Schein dunkelt   im kommenden Sommer,
Alle Wetter wüthen:   wißt ihr was das bedeutet?


Diese einfache, volkstümliche Sangweise, in welcher die meisten Eddalieder gedichtet sind, führt den Namen Fornyrdalag, der ihren frühern Ursprung bezeichnet. Es ist der altepische Vers der Nordmänner, aus Langzeilen von acht Hebungen gebildet, die sich auch in den deutschen stabreimenden Gedichten finden, welche Otfried zuerst in zwei Hälften zerlegte und statt der Stäbe durch Reime verband. Als eine Unterart des Fornyrdalags, das auch Starkadarlag heißt, wird aber auch das Liodhahâttr bezeichnet, in welchem z. B. Hawamal und Wafthrudismal gedichtet sind, wie es sich überhaupt für das Lehrhafte eignet. Hier ist die erste mit der zweiten, die vierte mit der fünften Halbzeile in der bekannten Weise gebunden, während die dritte so wie die sechste Zeile mit sich selber reimt, indem sie gewöhnlich zwei, zuweilen auch drei Reimstäbe zählt. Z. B.:


Widar und Wali   walten des Heiligtums,
Wenn Surturs Lohe losch.
Modi und Magni   sollen Miölnir schwingen
Und zu Ende kämpfen den Krieg.


Diese Strophe zerfällt also in zwei gleiche Hälften, jede von drei Zeilen, von welchen die beiden ersten nur Halbzeilen sind, die dritte aber eine Langzeile ohne Einschnitt, weshalb sie bald zwei bald drei Stäbe hat. [349] Mit geringer Veränderung läßt sich aber der Einschnitt herstellen und diese Langzeile in zwei Halbzeilen zerlegen. Z. B.:


Wenn die Lohe   Surturs losch.


Oder:


Und den Krieg   zu Ende kämpfen.


Hieraus ergiebt sich, wie das Liodhahattr aus der zuerst beschriebenen Weise des Fornyrdalags entsprang und nur eine Variation desselben ist, weshalb es nicht selten zweifelhaft bleibt ob eine achtzeilige oder sechszeilige Strophe anzunehmen ist. Man findet auch neunzeilige, dem Liodhahattr angehörige Gesetze, die sich dann in drei gleiche Theile zerlegen. Ebenso wird das zuerst besprochene gewöhnlich achtzeilige Gesetz, auf welches wir den Namen des Fornyrdalags einschränken dürfen, oft durch vier weitere Strophen gemehrt, anderer Abweichungen nicht zu gedenken.


4. Poetischer Werth.

Über den poetischen Werth der Edda hat sich bei uns noch kein Urtheil festgestellt und konnte es kaum so lange noch keine Nachbildung vorlag. Nur die Thrymskwida, freilich eines der schönsten Lieder, hat in Chamissos doch nicht ganz genügender Übertragung Anerkennung gefunden. Mir wird man kein Urtheil zutrauen, weil Übersetzer gewöhnlich überschätzen. Doch würde ich, wenn man mich gleichwohl hören wollte, gerne zugeben, daß nicht Alles von gleicher Kraft ist, wie denn selbst manche der besten und ältesten Lieder durch spätere matte Zusätze geschwächt sein mögen. Ich gestehe gern, daß mir Gripisspa wenig und selbst das dritte Sigurdslied nur in seinen echten alten Theilen einen mächtigen Eindruck macht. Sogar in Wafthrudnismal und Grimnismal, wie eigenthümlich und großartig sie angelegt sind, finde ich im Einzelnen das mythologische Verdienst bedeutender als das poetische. Von ersterm dünkt mich Alwismal eine schwache Nachahmung, wie Grôugaldr von Odhins Runenlied, einem ursprünglich selbständigen Theil des unschätzbaren Hawamals. Auch die drei Gudrunenlieder schlag ich nicht zu hoch an; im ersten, dessen Verdienst ich sonst anerkenne, erregt mir zwar nur der Schluß Bedenken; das dritte ist offenbar spät und unter fremden Einflüßen entstanden, und selbst das zweite, dem großer Reiz beiwohnt, ermangelt doch der vollen Kraft der alten Lieder. So auch Oddrunargratr, das ein unechtes schon romantisches Motiv in die Sage bringt. Beßer sind die beiden Atlilieder, obwohl überkünstelt und der alten einfachen Größe fern, die in Gudrunarhwöt und [350] Hamdismal überraschend wieder auftritt. Diese und die beßern alten Lieder sind es allein, auf die ich Gewicht legen will. Ich rechne aber dahin von den Götterliedern besonders Wöluspa, Wegtamskwida, Thrymskwida, Harbardsliod, Hymiskwida und Skirnisför; von den Heldenliedern vor allen noch das Wölundurlied, die beiden von Helgi dem Hundingstödter, das Bruchstück (?) eines Brynhildenliedes und Brynhildens Todesfahrt; das andere Sigurdslied, Fafnismal und Sigurdrifumal nicht zu vergeßen, deren epischer Gehalt vielleicht noch aus Deutschland überkommen, im Norden aber stark mit Eddischen Zuthaten schon in alter Zeit versetzt ist. Wie knapp und abgerißen die Weise dieser alten Lieder sei, so scheinen sie mir doch in wildkühner Erhabenheit hoch über Allem zu schweben, was bis auf Goethes Faust eine moderne Literatur darbietet. Griechische maßvolle Ruhe darf man hier nicht suchen und eigentliche Schönheit, an die nur Thrymskwida rührt; aber dafür entschädigt der starke, unbeugsame Sinn des Nordens, dessen ungekünstelten Naturlaut wir in diesen Volksliedern vernehmen. Von den Mythen der jüngern Edda hat schon Grimm geurtheilt, daß sie uns reiner und ursprünglicher überliefert sind als selbst die griechischen.

Alles zusammengenommen ist die Edda ein unschätzbares Kleinod, das wir uns längst wieder hätten aneignen sollen. Denn uns gehört sie so gut wie den Dänen und Schweden, die sich gewöhnt haben, sie als ihr ausschließliches Eigentum zu betrachten. Aber die Göttersage war uns ursprünglich mit ihnen gemein und die landschaftliche Färbung und eigentümliche Ausbildung, die sie im Norden empfing, hebt unsern Anspruch nicht auf und wir sollten ihn um so eifriger geltend machen als sich von ihrer reindeutschen Gestalt nur so wenige Bruchstücke erhalten haben. Noch stärker ist unser Anspruch auf die eddische Heldensage, welche ihren deutschen Ursprung nicht verläugnen kann und noch in ihrer nordischen Gestalt durch die Hauptpersonen, die darin auftreten, und die Orte, wo sich die Begebenheiten zutragen, an Deutschland gebunden bleibt. „Die Sage kann,“ sagt W. Grimm, „wenn sie verpflanzt wird, Namen und Gegend völlig verändern oder vertauschen; erkennt sie aber in der Fremde die Heimat noch an, so liegt darin ein großer Beweis ihrer Abkunft. Der Grundstoff kam aus Deutschland, das Wort im weitesten Sinne genommen, herüber, und wahrscheinlich in Liedern, die in der Darstellungsweise den nordischen ähnlich waren.“ Neuerdings hat Jacob Grimm (Haupts Zeitschrift 1, 3) auch aus der unnordischen, deutschen Ursprung verrathenden Gestalt der Namen den Beweis geführt, daß „der Norden von unsern Vorfahren empfing was er uns rettete.“ Daß der Baldursmythus deutsch ist, beweist die Mistel, [351] die ihren Namen vom Mist der Vögel hat, in deren Magen ihr Same reisen muß; der Norden kennt das Wort in diesem Sinne nicht. Ebenso ist Sifs Name niederrheinischen Ursprungs und noch bei uns im Gebrauch in Maria Sif: sie ist eine Regengöttin, von Sifen, Regnen benannt, vgl. Handb. §. 111. So bedeutet auch nach Handb. §. 115 Freyjas Halsband Brisingamen den Schatz der Brisinger oder Breisacher, also das Rheingold, nicht wie neuerdings Uhland wollte, den Bernstein der Preußischen Ostseeküste. Die Ansicht, daß ein Theil der deutschen Heldenlieder, welche Karl der Große aufzeichnen ließ, unter den eddischen geborgen sei, wenn auch in nordischer Sprache, ist, soviel ich weiß, noch von Niemand ausgesprochen; sie ruht auf den vorausgeschickten Gründen.

Fußnoten


  1. Die sämmtlichen Stücke, welche Rasks Ausgabe der Edda und Skalda enthält, sind der Reihe nach folgende: I. Edda. 1. Formali. 2. Gylfaginning. 3. Eptirmali. 4. Bragarödur. 5. Eptirmali. II. Skalda. 1. Skaldskaparmal. a) Kenningar b) Okend heiti. c) Fornöfn. 2. Bragarhättir 3. Ritgiördir hinn islensku malfrädi. a) Latinu-Stafrofit. b) Malfrädinnar grundvöllr. c) Figurar i rödinnu.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. „Ossians Gesänge“
  2. Vorlage: „der“