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Autor: William Käbler
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Titel: Der kleine Kundschafter
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Erscheinungsdatum: 1922
Verlag: Verlag moderner Lektüre G.m.b.H.
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ein Roman aus dem Wilden Westen.
Band 17 der Romanreihe Felsenherz, der Trapper.
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[1]

Felsenherz der Trapper

Selbsterlebtes aus den Indianergebieten

erzählt von

Kapitän William Käbler.



Der kleine Kundschafter.[WS 1]


[2]
Nachdruck verboten. – Alle Rechte. einschl. das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1922 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.


Felsenherz der Trapper

Zu beziehen durch alle Buch- und Schreibwarenhandlungen, sowie vom

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26
Elisabeth-Ufer 44.



Druck: P.[1] Lehmann G. m b. H., Berlin

[3]
1. Kapitel.
Der kleine Kundschafter.

Ein heulender Windstoß, der durch die enge, wild zerklüftete Schlucht fuhr und bis in die flache Felsgrotte drang, fachte das kleine Lagerfeuer zu hellen Flammen an.

Neben diesem Feuer lag auf einer wollenen Satteldecke ein blondbärtiger Trapper, der soeben mit Hilfe einer eisernen Kugelform für seine im ganzen wilden Westen berühmte Doppelbüchse neue Kugeln in der Glut gegossen hatte.

Jetzt drückte er die allzu hoch lodernden Äste mit ein paar Steinen wieder aus und tat dann die fertigen Kugeln in seine mit Glasperlen nach indianischer Art verzierte Jagdtasche.

Das in der Schlucht vielfach widerhallende Echo eines Büchsenschusses ließ ihn jäh in die Höhe fahren. Auch die beiden im Hintergrunde der Grotte stehenden Pferde, ein Rappe und ein hochbeiniger Fuchs, hatten ebenfalls wie lauschend die Köpfe vorgereckt.

[4] Der junge, stattliche Trapper erstickte das Feuer jetzt vollständig, griff nach seiner Büchse und trat ein paar Schritt aus der Grotte hinaus.

Ein plötzlicher Regenguß trieb ihm die nassen Tropfen wie Hagelkörner in das tief gebräunte Gesicht. Die Nacht war finster, und sturmgepeitschte Wolken jagten über den düsteren Himmel hin. Die Eichen und Riesentannen, die vereinzelt in der Schlucht wuchsen, rauschten und verbeugten sich vor den immer heftiger werdenden Windstößen.

In dieser Dunkelheit etwas zu erkennen, war unmöglich. Aber das Ohr des blonden Jägers, in der Wildnis vortrefflich geschärft, ersetzte ihm das spähende Auge. Mochte der Sturm auch noch so toll die Südausläufer der Gilaberge umtoben, mochte auch die Schlucht von einem nervenerregenden Konzert der Windsbraut erfüllt sein, er vernahm doch das Knacken brechender Äste, die der Sturm zu Boden geworfen hatte und die nun unter dem flüchtigen Fuße eines eiligst sich Nähernden zerknickten.

Eine Gestalt tauchte aus der Finsternis auf, ein schlanker, kräftiger Indianer, der das lange straffe Haar zu einem Schopf hochgebunden hatte und in diesem Schopf die Adlerfedern als Abzeichen der Häuptlingswürde trug.

Er kam nicht allein. Er hatte einen Knaben in den Armen, einen vielleicht vierzehnjährigen Jungen, der in derbes, selbstgewebtes Leinen gekleidet war und über den Kopf eine Mütze aus Hirschleder gezogen hatte.

Der Trapper schritt schweigend ohne jedes Zeichen von Neugier in die Grotte hinein. Der Indianer folgte ihm mit seiner menschlichen Last, legte den offenbar bewußtlosen Knaben vorsichtig auf die Decke [5] und sagte dann erst in der Komanchensprache zu dem blonden Jäger:

„Mein Bruder Felsenherz mag die Pferde satteln. Die feigen Kröten der Apachen sind aus ihren Felslöchern am Rio Pecos[WS 2] hervorgekrochen und haben diesen kleinen weißen Krieger gehetzt und verwundet. Chokariga kam gerade hinzu, als einer der Apachen den Knaben skalpieren wollte. Die Kugel Chokarigas war schneller als das Messer des Apachen. Wir werden sehr bald das Kriegsgeschrei der Pimos[WS 3]. (Schimpfname für die Apachen) hören, wenn wir diese Schlucht nicht verlassen.“

Felsenherz begann wortlos die Pferde zu satteln, während der Komanchenhäuptling sich um den Verwundeten bemühte.

Mit einem schmerzlichen Seufzer kam der Knabe jetzt zur Besinnung. Ein Pfeil war ihm in die linke Schulter gedrungen, den Chokariga, der schwarze Panther, schon vorhin geschickt herausgeschnitten hatte, als er mit dem Knaben vor der Überzahl der Apachen von dem Felsplateau wieder in die Schlucht hinabgeflüchtet war. Er hatte die Wunde nur oberflächlich verbinden können und erneuerte nun im Dunkeln mit geschickten Fingern den Verband, indem er dem vor Schmerzen Stöhnenden zuflüsterte:

„Der kleine weiße Krieger ist hier bei Freunden in Sicherheit. Er wird bereits von Felsenherz und Chokariga gehört haben.“

„Rettet – rettet die Ansiedlung!“ stammelte der Knabe kraftlos. „Im Süden – Insel im Charikahua-See – war als Späher ausgeschickt worden –“

Dann fiel er wieder in Ohnmacht.

Der Komanche hatte den Verband fertig, hob den Knaben jetzt auf seinen Rappen und führte das kluge Tier in die Schlucht hinaus nach Süden zu.

[6] Felsenherz holte ihn bald ein. Mit weiten Schritten durchwanderten sie Täler und kahle, steinige Ebenen, kamen durch tiefe Kanons und stützten dabei abwechselnd den im Sattel des Rappen liegenden Knaben, der durch den Regen genau so bis auf die Haut durchnäßt wurde wie seine Begleiter.

Felsenherz, der jetzt die Führung übernommen hatte, bog gerade in ein flaches bis in die Prärie hinabgehendes Tal ein, als der Mond hinter einem fliegenden Wolkenfetzen hervortrat und die Umgebung in ein mildes verschwommenes Licht tauchte.

Der Trapper blieb stehen. Tief unter ihm, dort, wo die Prärie begann, erglänzte im Mondlicht der Spiegel eines großen Sees.

„Der Charikahua-See,“ sagte hinter ihm leise der Komanche. „Der kleine weiße Krieger sprach von einer Ansiedlung auf der Insel. Als Chokariga mit seinem Bruder Felsenherz vor sechs Monden zum letzten Male in dieser Gegend war, gab es auf der großen Insel im See drüben noch keine Blockhütten. Jetzt ist das Volk der Bleichgesichter selbst bis in diese Einöde vorgedrungen, mitten in das Jagdgebiet der Apachen.“

In seinen Worten lag etwas wie ein Vorwurf. Er war ein Indianer, und er litt schwer darunter, daß die Indianerstämme des Westens durch die weißen Ansiedler immer weiter zurückgedrängt wurden.

Felsenherz schwieg. Sein Blick glitt in die Runde. Irgend etwas schien seinen Verdacht erregt zu haben.

„Mein Bruder Chokariga mag die Büchse bereithalten,“ flüsterte er nun hastig. „Dort in jenem Gestrüpp fiel das Mondlicht auf einen blanken Flintenlauf.“

[7] Kaum hatte er die letzte Silbe ausgesprochen, als schon vier – fünf Schüsse knallten.

Feuerblitze fuhren aus dem Gestrüpp heraus. Pfeile flogen.

Die beiden Freunde hatten sich im Nu auf ihre Pferde geschwungen. Der Komanche nahm den Knaben in die Arme. Im Galopp ging es in das Tal hinab. Hinter ihnen erhob sich das Geheul der enttäuschten roten Feinde, schlüpften dunkle Gestalten aus dem Gestrüpp und zogen struppige Mustangs hinter sich her.

Es waren etwa zwanzig Apachen, denen die beiden berühmten Westmänner hier fast in die Arme gelaufen waren, – Apachen, mit den Kriegsfarben bemalt, mit bis auf die Skalplocke rasierten Köpfen, flink wie Teufel, blutgierig wie der rote Luchs der Gilaberge.

In Karriere sprengten sie jetzt den Flüchtlingen nach.

Da – Felsenherz’ Fuchs stolperte plötzlich, hätte seinen Reiter beinahe abgeworfen.

Chokariga bemerkte, wie schwer das treue Tier auf der Hinterhand lahmte.

„Dort – hinauf auf die Felskuppe!“ rief er dem blonden Trapper zu.

Auch Felsenherz hatte bereits den flachen Steinhügel bemerkt, der sich vor ihnen mitten im Tale erhob. Er erkannte ihn sofort wieder. Dort hatte er mit dem Komanchenhäuptling vor einem halben Jahre gelagert. Er entsann sich, daß der Hügel von drei Seiten steil anstieg und nur von der Südseite zu erklimmen war, daß die flache Spitze eine tiefe Aushöhlung hatte, gerade tief genug, ein Pferd dort zu verbergen.

Er schwang sich aus dem Sattel und nahm sein [8] offenbar durch eine Apachenkugel verletztes Tier beim Zügel.

Der Fuchs schleppte den linken Hinterfuß wie gelähmt nach. Es war nicht leicht, ihn die zehn Meter über das Steingeröll bis auf die Spitze des Hügels in die Mulde zu bringen. Als Felsenherz endlich in Sicherheit zu sein glaubte, als nur noch ein paar Schritt ihn von der schützenden Aushöhlung trennten, bannte ihn ein lauter Zuruf an denselben Fleck.

„Halt – schert Euch zum Teufel, wer Ihr auch seid!“ brüllte jemand hinter den Steintrümmern der Hügelspitze hervor. „Wir sind hier unserer fünf, und unsere Kugeln schmecken bitter!“

Felsenherz merkte, daß er Weiße vor sich hatte, vielleicht Goldsucher, die hier lagerten.

„Boys – die Apachen hetzen uns!“ erwiderte er rasch. „Ich bin Felsenherz, der Trapper, und -“

„Und wenn Ihr der Große Geist der verdammten Rothäute in eigener Person wäret: hier ist kein Platz für Euch! Wagt keinen Schritt weiter nach oben zu tun! Bleibt, wo Ihr seid! Die Apachen werden wir schon verjagen!“

Tatsächlich knallten sofort mehrere Schüsse, und das Geheul der Verfolger bewies, daß die Kugeln manches Opfer gefordert hatten.




[9]
2. Kapitel.
Umzingelt.

Inzwischen war auch Chokariga mit seinem Rappen und dem Verwundeten am Fuße des Hügels angelangt.

Da meldete sich der noch immer unsichtbare Sprecher von der Spitze des Hügels von neuem:

„Mr. Felsenherz, ich hoffe, daß Ihr unsere Warnung nicht in den Wind schlagt! Wir fünf schießen jeden nieder der sich der Hügelspitze nähert! Macht also kehrt und lagert Euch dort unten an der Westseite der Kuppe in den Büschen. Wir werden Euch die Apachen schon vom Leibe halten! Das Gewölk verzieht sich immer mehr, und wenn erst der Vollmond ungehindert scheint, kommt keine Rothaut an Euch heran, so wahr ich Tim Brax heiße und von den Apachen Watsipao, der Nasenlose, genannt werde.“

Felsenherz hatte von diesem Tim Brax schon sehr viel gehört. Brax war ebenfalls Trapper, jagte aber zumeist in den unwirtlichsten Teilen der Sonora und war als menschenscheu bekannt.

Der blonde Jäger, der wohl einsah, daß hier mit Gewalt nichts auszurichten war, kehrte denn auch wirklich um.

Der Komanche suchte in den am Westabhang des Hügels wuchernden Büschen einen passenden Lagerplatz aus, und wenige Minuten später waren die Pferde und der verwundete Knabe auf dieser kleinen freien Stelle dicht an der Felswand untergebracht.

[10] Tim Brax behielt recht: die Wolken verschwanden gänzlich, und die Apachen hielten sich daher auch in respektvoller Entfernung.

Nun wurde der bewußtlose Knabe nochmals verbunden. Chokariga wusch die Wunde aus und legte einen Brei von zerquetschten Wegerichblättern auf, deren kühlende und heilende Wirkung auch in Europa schon im Mittelalter bekannt war.

Der Knabe erwachte nach einer Weile. Der Mond beschien sein offenes, jetzt etwas bleiches Kindergesicht und den schmerzvoll zusammengepreßten Mund.

„Hast Du arge Schmerzen, mein Junge?“ fragte Felsenherz mitleidig.

„Ja!“ stöhnte der Knabe. „Master Felsenherz – ich flehe Euch an: rettet die Ansiedlung! Es sind gegen hundert Apachen im Anzug, und etwa vierzig halten den Mospara-Berg am Südufer des See besetzt und bauen Flöße.“

„Wie heißt Du denn, mein kleiner Bursche?“ sagte Felsenherz freundlich, indem er dem Knaben zunächst den mit Wasser gefüllten Blechbecher an die Lippen setzte und ihn trinken ließ.

„Edward Smitson,“ erwiderte der Junge dann. „Mein Vater Albert Smitson ist der Gründer der Ansiedlung im Charikahua-See. Vor vier Monaten trafen wir mit acht Ochsenwagen dort ein. Wir sind englische Auswanderer und zählten insgesamt 24 Köpfe, davon zehn Männer. Ein Trapper namens Channing war unser Führer. Er riet uns, die über eine halbe Meile lange, fruchtbare Insel zu besiedeln, da die Apachen dort nie hinkämen. Der See ist bei ihnen verrufen. Vor drei Tagen zeigten sich dann die ersten Apachen am Südufer, erschossen zwei von unseren Männern und zogen sich auf den Mospara-Berg zurück, weil mein Vater sie mit dem großen Flachboot, [11] unserer schwimmenden Festung, angriff. Ich erbot mich, als Kundschafter die Umgegend des Sees abzusuchen und festzustellen, ob noch mehr Apachen nahten. Ich wäre dem anrückenden Trupp auch in die Hände gefallen, wenn der Häuptling mich nicht im letzten Augenblick gerettet hätte.“

Er schwieg erschöpft.

Da meldete sich Tim Brax wieder von der Spitze des Hügels.

„He – Mr. Felsenherz, ich werde Euch an einem Lasso einen Trank hinablassen, den Ihr dem kleinen Burschen eingeben sollt, damit er das Wundfieber leichter übersteht.“

Wirklich kam denn auch an einen Lederriemen eine Flasche herab, und Felsenherz zögerte nicht, von deren Inhalt den Knaben trinken zu lassen.

Dann rief er Brax zu:

„Hört mal, Tim Brax, weshalb wollt Ihr uns eigentlich zwingen, hier unten auszuharren?! Es ist wenig kameradschaftlich von Euch, daß Ihr –“

„Spart Eure Worte,“ unterbrach Watsipao ihn. „Wir raten Euch, recht bald Eure Flucht fortzusetzen. Der neue Tag zieht schon herauf. Seht zu, daß Ihr an den See hinabgelangt. Die Apachen sind durch unsere Schüsse nach Norden verscheucht worden. Der Weg nach Süden ist offen.“

Chokariga, der bisher am Westrande der Büsche Wache gestanden hatte, glitt jetzt lautlos herbei.

„Das Bleichgesicht rät das Richtige,“ sagte er zu Felsenherz. „Mein Bruder mag seinem Fuchs die Kugel aus dem Schenkel schneiden. Ich werde einen Verband herstellen.“

Das kluge Tier ließ ohne Widerstand die kleine Operation vornehmen. Die Kugel saß dicht unter [12] der Haut und es war nicht weiter schwer, sie zu entfernen.

Gleich darauf brachen die beiden Freunde auf.

Edward Smitson wurde auf dem Rappen in bequemer Lage festgebunden, und dann ging es in raschem Schritt das breite Tal weiter abwärts. Tim Brax hatte sich nicht mehr gemeldet und auch Felsenherz’ Abschiedsgruß nicht beantwortet.

Bis zum Seeufer hinab waren es noch etwa zweitausend Meter. Die beiden berühmten Westmänner hatten davon aber kaum die Hälfte zurückgelegt, als aus einer Seitenschlucht ein berittener Apachentrupp, etwa dreißig Krieger hervorsprengten.

Die Lage der Freunde war verzweifelt. Mit dem verwundeten Knaben und dem stark hinkenden Fuchs schien eine Flucht unmöglich. Außerdem gab es auf dreihundert Meter nicht die geringste Deckung. Keine Baumgruppe, keine Felsanhäufung bot hier auf der kahlen Talsohle Deckung.

Nur eins kam den beiden den Apachen wohlbekannten Prärieläufern zu statten: ihr Ruf als unfehlbare Schützen und gefährliche Gegner im Nahkampf! – Oft genug schon hatten die Apachen, ihre erbittertsten Feinde, böses Lehrgeld gezahlt, wenn sie geglaubt hatten, Felsenherz und der schwarze Panther könnten ihnen nicht mehr entgehen; oft genug schon hatten die beiden sich in der Gewalt dieses wilden indianischen Reitervolkes befunden und waren dem ihnen zugedachten Marterpfale doch immer wieder entgangen.

Diese Furcht vor den nie fehlenden Büchsen der berühmten Jäger zeigte sich auch jetzt in der Art, wie die Apachen den Angriff unternahmen.

Der zuerst dicht geschlossene Haufen der heranjagenden [13] Rothäute breitete sich zweihundert Meter vor den Westmännern, die hinter ihren Pferden, die Büchsen im Anschlag, Posto gefaßt[WS 4] hatten, fächerartig aus und bildete einen Kreis um die kleine Gruppe von Tieren und Menschen.

Kein Schuß fiel. Felsenherz und Cholariga sparten ihre Kugeln für einen kritischeren Zeitpunkt auf und begnügten sich damit, die Feinde im Auge zu behalten, die ihrerseits nur zur Hälfte mit schlechten Steinschloßflinten, sonst mit Pfeil und Bogen bewaffnet waren. Keiner der Apachen wagte es, den Umringten sich bis auf Schußweite zu nähern.

So verstrichen wohl fünf Minuten, ohne daß etwas besonderes sich ereignete.

„Mein Bruder Felsenherz wird sehr bald das Kriegsgeschrei eines größeren Apachentrupps vernehmen“, sagte da der Häuptling verächtlich. „Die feigen Kröten der Pimos wollen uns hier nur festhalten, bis ihre Verstärkung heran ist. Wir werden die Zügel unserer Pferde um den Arm schlingen und nach dem See hin durchzubrechen suchen.“

Es war das in der Tat das einzige Mittel, den Feinden zu entgehen. Felsenherz mit seinem blessierten Fuchs schritt nun voran, die treue Büchse halb erhoben.

Die Apachen wichen aus. Ihr Kreis bewegte sich im selben Tempo vorwärts wie die beiden Freunde.

Dem blonden Trapper war das Verhalten der Rothäute jetzt ein Rätsel. Es lastete auf ihm wie die Vorahnung eines Unheils, das weder sein roter Bruder noch er richtig abschätzen konnten. Dieses fast unheimliche Schweigen, mit dem die Apachen den Zurückweichenden sozusagen das Geleite gaben, [14] schien ihm auf irgend eine indianische Teufelei hinzudeuten. Aber umsonst zergrübelte er sich den Kopf, was die blutgierigen, rachsüchtigen Feinde planen könnten. Daran, daß sie Verstärkung erwarteten, wie Chokariga annahm, glaubte er nicht.

So ging es denn Schritt für Schritt vorwärts dem Charikahua-See entgegen. Das Tal machte unweit des Seeufers noch eine letzte Krümmung. Die Aussicht nach dem großen Gewisser hin war daher den Freunden seit einer Weile versperrt.

Als sie sich jetzt der Biegung immer mehr näherten, wo die Talwände bis auf etwa hundertfünfzig Meter zusammentraten, löste sich der Kreis der Feinde auf und bildete nur noch zwei Trupps von je fünfzehn Mann, die nun vor und hinter den Flüchtlingen, wie bisher der menschliche Ring, in steter Bewegung blieben.

Felsenherz hatte die Krümmung kaum hinter sich, als er auch in vielleicht fünfhundert Meter Entfernung auf dem im Sonnenlicht glitzernden Spiegel des Sees ein großes, plumpes Fahrzeug mit zwei Masten bemerkte, welches, ähnlich einem Fährschiff gebaut, vorn und hinten je eine feste Blockhütte mit flachem Dach und rundum eine hohe Brustwehr besaß. Auch die Dächer der Blockhütten waren von solchen Brustwehren umgeben und bildeten daher gleichsam zwei Verteidigungstürme auf dem Deck. Ohne Zweifel war dies das Flachboot, von dem der tapfere kleine Edward Smitson gesprochen hatte.

Hinter den Brustwehren sah der blonde Trapper die breitrandigen Strohhüte und Filzhüte mehrerer Ansiedler, sah auch einmal ein bärtiges Gesicht auftauchen.

Er pries es als einen glücklichen Zufall, daß das [15] Boot dem Ufer so nahe war. Durfte man doch hoffen, daß die Ansiedler die Apachen durch Schüsse verjagen und es so den drei Umzingelten ermöglichen würden, schwimmend an Bord zu gelangen.




3. Kapitel.
Rote Piraten.

Auch der schwarze Panther schien die Nähe des Flachbootes ebenso günstig aufzufassen, denn er rief jetzt seinem weißen Bruder zu:

„Das große Kanoe der Blaßgesichter wird unsere Rettung sein. Mein Bruder Harry (Felsenherz hieß ja in Wahrheit Harry Felsen und war ein geborener Deutscher) mag mit dem Hute winken, damit die weißen Männer auf uns aufmerksam werden.“

Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, als die dreißig Apachen ein schrilles Wutgeschrei ausstießen. Sie fürchteten, daß ihnen die verhaßten beiden Westmänner entkommen könnten. Wenigstens deutete der blonde Trapper sich dieses fast tierische Gebrüll auf diese Art.

Felsenherz und Chokariga packten ihre Büchsen fester. Es war ja bestimmt damit zu rechnen, daß die Apachen ihnen den Weg nach dem See verlegen würden.

Man war jetzt noch etwa achtzig Mieter vom Ufer und hundertfünfzig Meter von der schwimmenden Festung entfernt. Die Entscheidung nahte. Die Rothäute hatten sich zu einem Trupp vereinigt und zogen links von den beiden Freunden im Schritt dahin. [16] Sie schienen zu beraten, ob sie einen offenen Angriff wagen sollten.

Da entschlossen die Westmänner sich zu einem kecken Streich. Hastig tauschten sie ein paar Worte aus, schwangen sich dann auf ihre Pferde und jagten nach rechts dem Seegestade zu. Zwar lahmte Felsenherz’ Fuchs bei den ersten Sprüngen so stark, daß der Trapper damit rechnete, sein braves Tier würde zusammenbrechen. Aber der edle Fuchs, der die beste indianische Dressur besaß, mochte ahnen, daß es hier galt, das Letzte herzugeben. Mit jedem Galoppsprung legte sich die Unsicherheit seiner Bewegungen, und bevor die Apachen sich noch recht von ihrer Überraschung erholt hatten, trieben die Freunde ihre Pferde bereits in das Wasser hinein. Hoch spritzte die klare Flut unter den wuchtigen Pferdeleibern auf. Der sandige Seeboden fiel so steil ab, daß die Tiere sehr bald schwimmen mußten.

Der schwarze Panther ließ sich aus dem Sattel gleiten, da sein Rappe die doppelte Last seines Herrn und des verwundeten Knaben nicht getragen hätte. Er schwamm neben dem Rappen her. Seine Büchse hatte er am Sattelknopf befestigt, damit er sie vor Nässe schützte.

Die Rothäute jagten herbei und eröffneten nun ein unregelmäßiges Feuer auf die Fliehenden. Kugeln und Pfeile zischten ins Wasser, waren aber überraschend schlecht gezielt.

Das Flachboot trieb wie vorhin mit einer leichten Strömung nach Westen weiter.

Felsenherz der jetzt die Brustwehren genauer beobachten konnte, wunderte sich, daß die Ansiedler ihnen nicht zu Hilfe kamen.

Jetzt erst stieg ein ungewisser Verdacht in ihm [17] auf, man konnte hier in eine raffiniert vorbereitete Falle geraten sein.

Noch fünfzig Meter trennten die Flüchtlinge von der schwimmenden Festung.

Dann – dann war der blonde Trapper seiner Sache gewiß: er hatte soeben festgestellt, daß die von den Hüten beschatteten Gesichter nicht Europäern, sondern Indianern, Apachen gehörten! Nur der graubärtige Mann, den er ebenfalls vorhin bemerkt hatte, war ein Weißer.

Jetzt glaubte die das Flachboot besetzt haltende Schar der roten Piraten sich vollends zeigen zu dürfen. Der Rückweg nach dem Ufer war den Flüchtlingen ja abgeschnitten. Jetzt sprangen hinter den Brustwehren etwa fünfzig Rothäute empor. Ihr gellendes Triumphgeschrei vereinigte sich mit dem des kleineren Trupps, der am Ufer sich verteilt hatte, damit man die verhaßten Gegner lebend in die Hände bekäme.

Felsenherz und Chokariga sahen ein, daß sie den Apachen unter diesen Umständen nicht entgehen könnten. Als das Flachboot jetzt mit Hilfe langer Ruder, die durch Löcher der erhöhten Reling hindurchliefen, näher herangetrieben wurde und als einer der Rothäute, ein hagerer, sehniger Krieger mit zahlreichen Adlerfedern in der Skalplocke, kein anderer als der Oberhäuptling der schnelle Büffel, ihnen zurief, sich zu ergeben, erwiderte Chokariga stolz:

„Die feigen Kröten der Pimos haben nicht gewagt, uns am Lande anzugreifen. Chokariga verachtet sie. Er wird am Marterpfahle zu sterben wissen.“

Das Flachboot war heran.

Mehrere Lassos fielen mit wohlgezieltem Wurf den beiden Westmännern über die Köpfe. Mit brutaler Gewalt zogen die Apachen die Schlingen zu und hißten die Halberwürgten an Bord, wo diese [18] sogleich gefesselt und jeder an einen Mastbaum gebunden wurden. Die Pferde und den verwundeten Knaben brachten ein paar Krieger an Land.

Mit höhnischem, haßerfülltem Funkeln seiner dunklen Augen trat jetzt der schnelle Büffel auf Felsenherz zu.

„Der große Geist hat endlich den berühmten Jäger in meine Gewalt gegeben,“ sagte er, indem er mit seinem Skalpiermesser spielte. „Diesmal wird Felsenherz uns nicht entfliehen. Wir werden dieses Kanoe der Blaßgesichter mitten im See verankern. Dann werden der räudige Hund von Komanche und der weiße Jäger uns nicht entschlüpfen können. Wenn die Krieger des schnellen Büffels die Ansiedlung auf der Insel erobert haben, wird in den Dörfern der Apachen ein großes Jubelgeschrei sich erheben. Alle Blaßgesichter werden dann den Tod am Marterpfahle finden.“

Er untersuchte darauf Felsenherz’ Fesseln und ließ ihn noch durch drei weitere Lassos an den Mast festbinden. –

Es mochte jetzt etwa neun Uhr vormittags sein. Das Flachboot wurde von den Apachen nach der Mitte des Sees gerudert, wo aus dem Wasser zwei Felsspitzen eines Riffes meterweit hinausragten. An diesen Felszacken befahl der schnelle Büffel das Fahrzeug zu vertäuen.

Der blonde Trapper kannte den Charikahua-See bereits. Das Flachboot lag jetzt gerade so, daß er die nach Westen zu sich erstreckende, bewaldete große Insel deutlich in etwa achthundert Meter Entfernung vor sich hatte. Hinter den Uferwäldern der Insel sah er ein paar Rauchsäulen aufsteigen. Dort lagerten vielleicht die Belagerer der Ansiedlung, deren Bewohner [19] sich wahrscheinlich in eine besonders starke Blockhütte zurückgezogen hatten.

Dann nahte sich der schwimmenden Festung ein leichtes Floß, das von acht indianischen Kanoes gezogen wurde. Der schnelle Büffel und dreißig Apachen begaben sich auf das Floß und die Kanoes und hielten auf die Insel zu. Nur elf ältere Krieger blieben als Wächter an Bord zurück. Je drei von ihnen hockten vor den Gefangenen, den blanken Tomahawk in der Hand. Die anderen vertrieben sich die Zeit mit Angeln.

Felsenherz war so festgebunden, daß er seinem Freunde Chokariga, der an den anderen Mast ebenfalls aufrecht gefesselt war, den Rücken zukehrte. Eine Verständigung zwischen den beiden Jägern war also unmöglich. Der Oberhäuptling hatte es eben an nichts fehlen lassen, eine Flucht der wertvollen Gefangenen zu vereiteln.

Der blonde Trapper rief sich jetzt, während seine Blicke über den im Sonnenschein gleißenden See und die wildzerklüfteten, fernen Uferberge nochmals hinglitten, die Vorgänge der verflossenen Stunden nochmals ins Gedächtnis zurück. Er tat es hauptsächlich deswegen, weil ihm das Verhalten jenes Tim Brax, der ihm und Chokariga den Zutritt zu der Hügelspitze verwehrt und ihnen dann geraten hatte, den See aufzusuchen, höchst seltsam und geheimnisvoll vorkam. Brax war ja als Sonderling bekannt, aber Felsenherz hatte noch nie gehört, daß der alte Jäger, den die Apachen Watsipao, den Nasenlosen, nannten, jemals einen Kameraden im Stiche gelassen hätte. Jedenfalls war Brax den Apachen genau so verhaßt wie Felsenherz und der schwarze Panther, und es erschien ganz ausgeschlossen, daß er etwa aus Hinterlist die beiden Freunde in diese ernste Lage gebracht hätte.

[20] Weshalb also hatte der alte Brax mit solcher Bestimmtheit gefordert, die Freunde sollten die Spitze des Hügels nicht betreten? – Felsenherz fand hierfür nur eine Erklärung. Brax mußte auf dem Hügel irgend etwas zu verbergen haben! – Was aber wohl? – Und hierüber zerbrach der blonde Jäger sich umsonst den Kopf.

Dann fiel ihm etwas anderes ein. Er hatte doch vorhin hier an Bord einen graubärtigen Weißen bemerkt. Wo war dieser geblieben? Der Mann schien sich doch hinter der Brustwehr frei bewegt zu haben! Steckte er jetzt etwa unter Deck? War es ein Verbündeter der Rothäute und wollte er sich vor den Gefangenen nicht sehen lassen?

Felsenherz Gedanken erhielten erst eine andere Richtung, als er nun vier der Wächter gewahrte, die soeben aus der vorderen Deckhütte eine kleine, etwa ein und ein viertel Meter lange Kanone mit Holzgestell herausschleppten und verwundert bei Tageslicht betrachteten.

Auch die übrigen Apachen scharten sich voller Neugier um das Vorderladergeschütz, das ihnen fraglos etwas völlig Neues war.

Sie rieten hin und her, wozu das eiserne dicke Rohr mit dem kleinen Loch am Ende wohl dienen sollte.

Dann trat der älteste von ihnen an Felsenherz heran.

„Der weiße Jäger kennt das Land der Bleichgesichter,“ begann er zögernd, da er nicht recht wußte, wie er die Frage in Worte kleiden sollte. „Die Bleichgesichter brachten dem roten Manne vieles, was diesem fremd war. Kann Felsenherz uns sagen, wozu dieses eiserne Rohr dient?“

Der blonde Trapper, dem man das Geschütz jetzt [21] näher gerückt hatte, sah genau, daß es geladen sein mußte. Das Zündloch enthielt einen pfropfenähnlichen Verschluß von trockenem, leicht brennbaren Moos. Außerdem war ja auch mit Bestimmtheit anzunehmen, daß die Ansiedler als sie die Anwesenheit der Apachen am Ufer gespürt hatten, alle Abwehrmaßregeln getroffen hatten, die ihnen zu Gebote standen. Mithin wurden sie auch fraglos das Geschütz für alle Fälle geladen haben. Das Flachboot kannte ja den Apachen erst später in die Hände gefallen sein. Edward Smitson hatte hiervon noch nichts gewußt.

Der Moospfropfen sollte ganz ohne Zweifel das Pulver im Rohr vor Feuchtigkeit schützen. Dies alles schoß dem Trapper im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf. Gleichzeitig kam ihm ein verwegener Gedanke, wie er vielleicht die Wächter von dem Boote vertreiben könnte.

So erwiderte er denn nach kurzem Überlegen:

„Die roten Söhne Manitous müssen an das Moos, das in dem Loche am Ende des Rohres steckt, einen Feuerbrand halten. Dann werden sie merken, wozu das eiserne Rohr dient.“

Alle weiteren Fragen beantwortete er durch dunkle Andeutungen, durch die die Neugier der Rothäute nur noch gesteigert wurde.




4. Kapitel.
Der Kanonenschuß.

Die Apachen traten an die Brustwehr und berieten sich leise. Sie trauten dem weißen Jäger nicht. Aber wie alle Naturkinder waren sie überaus wißbegierig ihnen unbekannten Dingen gegenüber.

[22] Schließlich siegte diese Neugier. Einer von ihnen setzte einen Kienspan in Brand. Die anderen zogen sich neben den Vordermast auf das Vorschiff zurück.

Felsenherz sah, daß die Richtung des Rohres die fraglos aus Bleikugeln bestehende Ladung des Geschützes gerade nach der andren Seite des Vorschiffes lenken mußte.

So ungern er stets Menschenblut vergoß: hier handelte es sich nicht nur um sein eigenes und seines Freundes Leben, sondern auch um das der Ansiedler, ihrer Frauen und Kinder!

Unter diesen Umständen durfte er nicht zögern, die Feinde nach Möglichkeit zu schädigen und ihnen einen solchen Schreck einzujagen, daß sie in kopfloser Flucht schwimmend das Weite suchten.

Deshalb rief er jetzt dem Apachen zu, der bereits den brennenden Kienspan mit ängstlich vorgerecktem Arm dem Zündloche des kleinen Schiffsgeschützes nahe hielt:

„Der rote Krieger mag das eiserne Rohr mehr zur Seite schieben, sonst wird er nichts erreichen.“

Der ahnungslose Apache blickte Felsenherz erst mißtrauisch an, tat dann aber doch, was dieser ihm geraten hatte.

„Halt!“ rief der Trapper wieder, als er bemerkte, daß das Geschütz nun die gewünschte Richtung hatte. „Wenn der rote Krieger sich fürchtet, mag er mir die rechte Hand losbinden. Felsenherz wird ihm dann beweisen, wie das eiserne Rohr sprechen kann.“

Dieser Zweifel an seinem persönlichen Mute veranlaßte den Apachen, den Kienspan rasch auf das Zündloch zu legen.

Kaum drei Sekunden später entlud sich das Geschütz schon mit ohrbetäubendem Knall.

[23] Pfeifend schlug der Bleihagel in den Haufen der dicht beieinanderstehenden Apachen ein.

Gellende Schmerzenschreie schrillten durch die Luft. Nur drei der Rothäute waren unverwundet geblieben. In panischem Schreck sprangen sie über die Brustwehr in den See hinab und suchten schwimmend dem Unheil zu entgehen.

Der Krieger, der die Lunte in der Hand gehabt hatte, war vor Entsetzen rücklings auf das Deck gestürzt, hatte sich dann aufgerafft und war gleichfalls mit einem Satz über die hohe Reling verschwunden.

Vorn lagen Tote und Verwundete in wirrem blutigen Knäuel umher. Hätte Felsenherz diese furchtbare Wirkung des Schusses voraussehen können, dann würde er doch vielleicht gezögert haben, diese verderbliche List anzuwenden.

Das Stöhnen der verwundeten drang dem blonden, hochherzigen Trapper wie eine schwere Anklage ins Ohr. Nur zu bald sollte sein Gewissen jedoch völlig beruhigt werden.

Aus der hinteren Deckhütte wälzte sich jetzt jener Graubart, den der Trapper vorhin hinter der Brustwehr erkannt hatte, an Deck. Er war an Händen und Füßen gefesselt und machte verzweifelte Anstrengungen, mit den auf dem Rücken zusammengebundenen Händen das Jagdmesser des Apachen zu erfassen, das diesem entfallen war, als der Schuß losging.

Hierbei fiel ihm nun der breitrandige Strohhut vom Kopf, und Felsenherz bemerkte, daß des Alten Haupthaar von schwarzem Blut zu einer dichten Masse verklebt war, während in der Mitte des Schädels ein rundes Stück der Kopfhaut fehlte.

Der Mann war also von den roten Bestien bei lebendigem Leibe skalpiert worden!

Jetzt hatte der Alte das Messer wirklich erfaßt. [24] Jetzt arbeitete er sich zu Felsenherz hin, richtete sich stöhnend etwas auf und durchsägte dessen Fußsesseln.

Gerade als er dann auch die anderen Riemen halb durchschnitten hatte, war einer der leichter verwundeten Apachen auf die Vorgänge auf dem Achterdeck aufmerksam geworden. Sein rechter Oberarm war zerschmettert. So riß er denn mit der Linken das lange Skalpiermesser aus dem Gürtel und schnellte sich, wenn auch taumelnd, mit drei Sätzen vorwärts.

Der Warnungsruf des Trappers kam zu spät. Schon hatte der blutbespritzte Krieger dem alten Manne das Messer von hinten ins Herz gestoßen, gab dem Umsinkenden dann einen Fußtritt und wollte die Klinge jetzt Felsenherz in die Brust jagen.

Der blonde Westmann wußte, daß Leben und Sterben jetzt von seiner Gewandtheit allein abhing. Seine Beine waren frei. Sein rechter Fuß flog empor, traf den Apachen vor den Unterleib.

Wie ein Ball rollte der Krieger über das Deck.

Ein paar kraftvolle Rucke, und Felsenherz hatte auch die bereits halb zerschnittenen letzten Riemen zerrissen.

Zwei Sprünge – und er hatte den Tomahawk des vor Schmerzen sich krümmenden Apachen in der Hand.

Zwei weitere Sprünge, und das funkelnde Schlachtbeil durchhieb des schwarzen Panthers Fesseln.

Kaum war Chokariga der Bande ledig, als er einem anderen Apachen Messer und Tomahawk abnahm.

Felsenherz wandte sich um. Er wollte nicht Zeuge der Blutarbeit sein, die der Komanchenhäuptling nun verrichtete. Krachende Tomahawkhiebe und letzte Sterbeschreie, Aufklatschen der ins Wasser Geworfenen und der schrille Kriegsruf des Häuptlings drangen [25] ihm ins Ohr, als er sich jetzt über den sterbenden Graubart beugte, der ihm noch mit verzweifelter Anstrengung zuflüsterte:

„Rettet meine Gefährten! Rettet die Frauen! Eine Bucht zieht sich in die Insel hinein. Dort am Ufer in dem größten Blockhaus verteidigen sie sich. Es sind nur noch sechs Männer. Alle übrigen tot. Meine Tochter Luzie ist entführt worden –“

Dann sank sein Kopf matt zur Seite, und er hauchte mit einem schmerzlichen Seufzer sein Leben aus.

Felsenherz, der neben ihm gekniet hatte, erhob sich.

Der schwarze Panther trat auf ihn zu. „Mein Bruder Harry mag die große Büchse wieder laden,“ sagte er kurz. „Die Pimos sollen den Charikahua-See für alle Zeiten fürchten lernen.“

Eine finstere Entschlossenheit sprach aus des Komanchen edlen Zügen.

Felsenherz Blicke ruhten prüfend auf dem Nordufer des Sees. Dort war das Tal zu erkennen, in dem die Freunde am Morgen von den Apachen umzingelt so bange Minuten durchlebt hatten. Dort bewegten sich jetzt am Ufer fünf Reiter, ohne Zweifel Weiße, wie man trotz der Entfernung unterscheiden konnte.

„Wir werden Tim Brax an Bord nehmen.“ erklärte Felsenherz und deutete auf die Reiter.

„Mein weißer Bruder hat recht.“ nickte der Häuptling. „Es ist Tim Brax mit seinen Freunden.“

Dann wurde das Flachboot losgebunden, und die Westmänner ruderten das schwere Fahrzeug langsam dem Nordufer zu.




[26]
5. Kapitel.
In letzter Minute.

Zu ihrer großen Freude erkannten sie dann in zwei etwas abseits weidenden Pferden ihren Fuchs und ihren Rappen wieder. Außerdem aber sahen sie weiter nordwärts im Tale mehrere tote Apachen liegen. Ohne Zweifel war also Tim Brax mit seinen vier Freunden hier mit den dreißig Rothäuten, die Felsenherz und Chokariga absichtlich bis zum See gedrängt hatten, handgemein geworden.

Der nasenlose Trapper rief jetzt den beiden vom Ufer aus zu: „Hallo, Boys! Wir wollten uns gerade so ein wenig nach Euch umschaun! Ist es denn wahr, daß die Apachen die Ansiedlung bereits angegriffen haben? Dort drüben im Gebüsch haben mir auch den kleinen Edward gebettet, den wir den verwünschten Rotfellen glücklich entrissen. Auch Eure Büchsen könnt Ihr wiederhaben!“

Der verwitterte, magere Brax, so recht das Urbild des Trappers, wirkte infolge der fehlenden Nase recht abstoßend, war aber doch ein Mann von Herz, wie er schon dadurch jetzt bewiesen hatte, daß der Knabe von ihm sorgfältig aufs neue verbunden worden war.

Die fünf Männer kamen mit ihren Pferden an Bord. Auch der kleine Edward fand in einer der Deckhütten ein weiches Lager. Er war jetzt bei Besinnung und drückte Felsenherz und dem schwarzen [27] Panther in heller Wiedersehensfreude immer wieder die Hände.

Tim Brax’ Freunde waren ebenfalls erprobte Savannenläufer. Nur einer von ihnen machte einen mehr städtischen Eindruck, war sorgfältig gekleidet und wurde von Brax mit einer gewissen Hochachtung stets mit „Sennor Pacharo“ angeredet. Als Felsenherz jetzt erzählte, auf welch abenteuerliche Weise er die Apachen von der schwimmenden Festung verscheucht hatte, und daher auch den Tod des alten, skalpierten Ansiedlers schilderte, rief dieser Pacharo schmerztbewegt:

„Oh, – es ist mein Schwiegervater Thomas Halper! Mr. Felsenherz, Sie sollen jetzt alles erfahren. Mein Schwiegervater lebte bis vor seiner Übersiedlung hier her in der mexikanischen Stadt Matamaros. Ich heiratete seine Tochter Luzie gegen seinen Willen. Der alte Mann hatte einen ganz unbegründeten Haß gegen mich. Ich bin Ranchero (Besitzer einer Viehfarm). Plötzlich verschwand meine Frau. Ich traf zum Glück bei der Suche nach ihr Tim Brax, der mir seinen Beistand versprach. Er war es, der endlich ermittelte, daß drei Weiße meine Frau gewaltsam entführt und daß sie sich einem nach dem Norden gehenden Auswandererzuge angeschlossen hatten. Kurz: mein Schwiegervater war es gewesen, der Luzie in diese gefährlichen Indianergebiete mitgeschleppt hatte, nur um sie mir wieder zu entziehen. Deshalb warb ich noch drei andere Fallensteller an, und wir fünf folgten den Auswanderern, deren Spuren jetzt nach so vielen Monaten nur ein Mann von Tim Brax vielfachen Erfahrungen noch entdecken konnte. So kamen wir schließlich nach mancherlei Abenteuern hierher. Ich schlich mich auf die Insel und konnte mich denn auch bis an meines Schwiegervaters Blockhütte heranpirschen. [28] Luzie folgte mir sofort freiwillig. Gerade als wir auf einem kleinen Floß über den See setzten, hatten die Ansiedler die Apachen bemerkt und wechselten mit ihnen die ersten Schüsse. Wir fünf und Luzie bezogen dann das sichere Lager auf jener Felskuppe. Nun wißt Ihr, Mr. Felsenherz, weshalb wir Euch nicht auf die Spitze des Hügels ließen. Ihr solltet Luzie nicht sehen. Es sollte geheim bleiben, wer sie entführt hatte. Jetzt haben wir meine Frau, um sie hier nicht einer Gefahr auszusetzen, auf dem Hügel zurückgelassen, der, wie ich Euch nur andeuten darf, ein Geheimnis besonderer Art enthält. Jedenfalls ist Luzie dort völlig sicher, selbst wenn Apachenspäher die Kuppe erklimmen sollten.“

Währenddessen war das große Flachboot von Tim Brax und den drei Pelzjägern bis in die Mitte des Sees gerudert werden.

Der von Süden, also auch von der langgestreckten Insel herüberwehende Wind trug der Besatzung der schwimmenden Festung jetzt den Knall zahlreicher Schüsse zu.

Der Komanchenhäuptling erklärte sofort:

„Die Apachen wissen, daß sie mit Hilfe der großen Donnerbüchse (er meinte die Kanone), bald von der Insel vertrieben sein werden. Sie wollen daher um jeden Preis die in dem einen Blockhaus eingeschlossenen Ansiedler in ihre Gewalt bringen. Die weißen Jäger tun gut, mit aller Kraft das große Kanoe vorwärtszurudern.“

Alle Mann mühten sich jetzt an den langen Rudern ab. Nur Tim Brax handhabte das Steuer. Selbst der Häuptling griff mit zu. Das Flachboot kam daher immer mehr in Fahrt.

Sennor Pacharo, der ja bereits auf der Insel gewesen war und die Bucht kannte, rief dem alten Trapper [29] die nötigen Weisungen zu, wie er steuern sollte.

Man konnte jetzt schon die Uferbäume genau erkennen, konnte jeden einzelnen Schuß vernehmen und hörte auch das wilde Gebrüll der angreifenden Rothäute, die nach einer drüben aufsteigenden Qualmsäule zu urteilen ein paar der Blockhütten in Brand gesteckt haben mußten.

Nun bog das plumpe Fahrzeug in die etwa vierzig Meter breite Bucht ein. Kaum hatte es hier in dem engen Fahrwasser eine kurze Strecke zurückgelegt, als vom linken Ufer aus den Büschen ein förmlicher Hagel von Pfeilen und Kugeln sich über das Flachboot ergoß. Brax erhielt eine Kugel in den linken Oberarm, während zwei seiner Freunde durch Pfeilschüsse schwer verletzt wurden.

Felsenherz, der schon vorher das Schiffsgeschütz auf das Dach der vorderen Deckhütte geschafft hatte, sprang jetzt eilends hinauf, blies die bereitgehaltene Lunte an und schickte den Bleihagel der bis zur Mündung geladenen Kanone in das Ufergestrüpp. Dem überlauten Knall des Schusses folgte ein wildes Wutgebrüll. Eine Schar von einigen zwanzig Apachen flüchtete aus den Büschen über eine Lichtung in den dichteren Wald.

Nachdem der blonde Trapper das Geschütz rasch wieder geladen hatte, half er seinem roten Bruder beim Rudern, da Sennor Pacharo und der einzige unverwundet gebliebene Fallensteller genug mit den Verletzten zu tun hatten.

Das Flachboot glitt um eine Halbinsel herum. Auf der Südseite dieser Halbinsel lagen die Blockhütten der Ansiedler und auch das sogenannte Beratungshaus, das zugleich als Festung für den Fall der Not dienen sollte und daher mit einem Palisadenzaun und einem tiefen Wassergraben umgeben war.

[30] Im selben Augenblick, als das schwerfällige Fahrzeug nahe genug gekommen, um mit dem Geschütz in den Kampf eingreifen zu können, erhoben die Apachen ein helles Triumphgeschrei, da es ihnen soeben geglückt war, den Palisadenzaun, der von der Sonne vollkommen ausgedörrt war, an mehreren Stellen in Brand zu setzen und einzelne Pfähle einzureißen. Durch zwei dieser offenen Stellen stürmten jetzt die Rothäute unter Führung ihres durch Felsenherz’ und Chokarigas Flucht noch mehr zur Mordgier entflammten Oberhäuptlings hinein und auf die große Blockhütte zu, in die der kleine Rest der Verteidiger sich zurückgezogen hatte. Eine dieser offenen Stellen der Umzäunung lag so, daß Felsenherz vom Dache der Deckhütte gerade hineinschauen konnte. Auf dem Hofe des Beratungshauses wimmelte es von Apachen. Der blonde Trapper zielte kurz, schob das Geschütz in die nötige Richtung und feuerte es ab. Die Wirkung war furchtbar. Nicht weniger als zwanzig Apachen wurden niedergemäht. Die anderen, obwohl noch gegen hundert Krieger, flohen sofort in die Wälder der Insel und suchten auf Flößen und Kanoes das Ufer des Sees zu erreichen. Hierbei wurden sie jedoch abermals von dem Flachboot aus so wirksam beschossen, daß sie die Hälfte ihrer Krieger verloren und froh sein mußten, mit ihren Pferden das Weite suchen zu können.

Von den Männern der Ansiedlung lebten nur noch sechs, von den Frauen fünf. Alle übrigen waren bei der Verteidigung ihrer neuen Heimat gefallen.

Da die Überlebenden damit rechnen mußten, daß die Apachen sehr bald mit Verstärkung zurückkehren würden, um die erlittene Schlappe wettzumachen, nahmen sie des Komanchenhäuptlings Angebot gern an, der ihnen im Jagdgebiet seines Stammes einen Platz ihrer Niederlassung anweisen wollte. Dort fanden [31] die vielgeprüften eine sichere Heimat und ihr gutes Auskommen. Auch Sennor Pacharo erreichte mit seinem Gattin glücklich seinen Rancho an der mexikanischen Grenze. Über das Geheimnis der Felskuppe wird noch einiges im nächsten Band zu sagen sein.


Nächster Band:

Die Biberjäger.


[Verlagswerbung] Die gewaltige Steigerung aller zur Herstellung der Felsenherz-Bücher benötigten Materialien zwingt uns, diese Ausgabe in der vorliegenden Ausstattung erscheinen zu lassen. Um den Preis möglichst niedrig zu halten, haben wir den Umfang auf 32 Seiten herabgesetzt.

Die bisher erschienenen Hefte 1 bis 16 führen die Titel:

Bd. 01: Die Felsenfarm.

Bd. 02: Das Geheimnis der Llano Estacado.

Bd. 03: Der Kundschafter von Fort Kavett.

Bd. 04: Das Blockhaus am Nugget-Bach.

Bd. 05: Die Buschklepper am Kolorado-Spring.

Bd. 06: Die Goldgräber der Icarilla-Berge.

Bd. 07: Die Mumie Matazumas.

Bd. 08: Der Schatz der Azteken.

Bd. 09: Die belagerte Hazienda.

Bd. 10: Das Geheimnis des Cambusino.

Bd. 11: Das Häuptlingsgrab am Juan-Fluß.

Bd. 12: Die beiden Trumms.

Bd. 13: Das Vermächtnis des Buschkleppers.

Bd. 14: Tom Brack, der schwarze Häuptling.

Bd. 15: Der Medizinmann Omakati.

Bd. 16: Die Büffeljäger.

Wir bitten unsere Leser, uns auch fernerhin treu zu bleiben und unsere Felsenherz-Hefte, die mit zu den billigsten und besten gehören, zu empfehlen.

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO. 26, Elisabeth-Ufer 44.



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  1. Vorlage: V.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. In Band 19, Das Geheimnis des Zuni, wird auf Seite 6 als Titel Rote Piraten genannt.
  2. Der Rio Pecos entspringt nahe Santa Fe und fließt durch New Mexico und Texas. Er mündet in den Rio Grande.
  3. Die Pima sind, richtigerweise, ein eigenes Indianervolk, welches in Arizona (USA) und Sonora (Mexico) lebt. Die Bezeichnung Pimos wurde für die Pima am Gila und Salt River gebraucht. Sie waren mit den Apachen verfeindet.
  4. Posto fassen = sich auf seinen Posten begeben, sich aufstellen