Textdaten
Autor: Hermann von Bezzel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der erhöhte Herr
Untertitel: Joh. 17
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Furche
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


|
Der erhöhte Herr.



Von
D. Dr. von Bezzel.


|
Jesus Christus, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten.

Mors et vita conflixere,
Resurrexit Christus vere
Et cum Christo surrexere
Multi testes gloriae.

 ... Jesus lebt, das ist die allem Scheinleben entnommene und entkommene Tatsache. Untergeschichtliche Bilder zerflattern, innergeschichtliche sind auf einen kleinen Kreis beschränkt und abhängig von der Macht, die sie aufbewahrt, ob sie gütig genug ist, sie wieder aufzufrischen. Aber er ist aus der Ewigkeit in die Geschichte hereingewirkt (Act. 2, 24). Er konnte vom Tod gezwungen, aber nicht bezwungen werden. Er konnte von der Todesgewalt nur soviel erleiden, als er ihr Leidensmacht über sein Leben verstattete. Darum mußte er sich dem Tode entnehmen, weil des Vaters Ehre in Frage kam. Wenn der Vater, dem in dem Leidensgehorsam des Sohnes die höchste Genugtuung erbracht und die berechtigte Reaktion gebüßt ward, nun das Lebensopfer des Sohnes ignoriert hätte, dann wäre das entweder gottwidriger Trotz oder gottungemäße Ohnmacht gewesen. Es wäre gottwidriger Trotz und damit eine das Wesen Gottes selbst aufhebende Unwahrheit, wenn er den Sohn jetzt in Todesgewalt ließe, der ihm im Sterben den höchsten Lebensbeweis erbracht hatte. Dann würde Gott von jenem Karfreitag an einen Selbstvernichtungsprozeß beginnen, und jene Häretiker hätten recht, welche behaupten, daß mit dem Sterben des Sohnes ein Sterben Gottes beginne. An dieser Starrheit törichter Selbstbehauptung wäre er gestorben, weil er die Ehre nicht mit Jesus teilen wollte. Oder aber es wäre eine Übermacht hereingetreten, die, ob wohl erst nach der Schöpfung miteingekommen, doch den Sohn über wältigt hätte. Dann hätte Gott das Liebste dem Tode entreißen wollen, aber es nicht vermocht. „Du wirst nicht zugeben, daß dein Einiger in das Grauen der Vernichtung eingehe“ (Psalm 16, 10).

 Und nicht nur um Gottes willen tat es not, sondern auch um des Herrn Jesus willen. Denn der im Sterben ethisch sich vollendet und ein Bild des Gehorsams ohnegleichen Zug um Zug vollbracht hat, mußte in| seiner Auferstehung kosmisch vollendet werden. In seinem Erdenleben hat die immanente Herrlichkeit nur selten das Kosmische, in das es eingehüllt und eingesenkt war, durchleuchtet. Das, was die Gemeinde das Wunder ihres Herrn nennt, ist ja nichts anderes als eine scheinbar unvermittelte, spontane Durchbrechung der ethischen Gottübermacht durch die kosmische Beschränktheit; denn er hat nicht bloß den Leib getragen, sondern den Leib der Schwachheit und kraft des göttlichen Realismus nicht bloß das Sein der Menschheit sich erwählt, sondern das Sosein der ganzen, dichten Armut kosmischer Depotenziertheit, die ganze Beschränktheit fleischlichen Seins. Sollte nun dieser in der für Gott gelebten Beschränktheit bleiben? Der Leib, in den er die ganze Fülle der Lebensmacht herein bezogen, dieser Erdenleib, der ihn so oft an Leid und Tod gemahnt hat, verdient und erfordert es, daß er um des Gehorsams willen, da er kein Gefängnis des Gottesgeistes, sondern sein williger Diener war, mit an der ethischen Vollendung teilnehme. Weil der Leib in den Gehorsam der gott-menschlichen Psyche einging und weil er von dieser Gehorsamung sich treffen und bestimmen ließ, auch seinerseits die Schmerzen des Todes zu erdulden, mußte er, wenn er nicht ein wertloses Gefäß sein sollte, das der Herr Christus zerbrach, um der Menschheit den Halt des Glaubens zu entziehen, in die Herrlichkeit erhoben werden. Der Leib war das von dem Herrn ganz in sich eingezogene Lebensprinzip. Die eigentliche Einheit Jesu, was wir Harmonie des Lebens Jesu nennen, erforderte es und war bedingt dadurch, daß das ethische und kosmische Prinzip sich ganz durchdrängen. Die ganze Welt hatte er in sich hereingenommen, er hatte die Welt mit ihren Fragen und Sorgen, mit der inneren Offenbarung, die dem Weltantlitz aufgeprägt ist, in sich eingenommen, und er war es darum ihr schuldig, nachdem er das Martyrium des Todesleibes durchkostet hatte, ihn aus der Nacht zum Licht zu bringen.

 Er war es aber auch uns schuldig.

 Er ist um des Vaters, um seinet- und um unsretwillen dem Tod und Grab entgangen. Denn wenn das Grab das Letzte wäre und der Grabesstein das Siegel auf das Leben unseres Bruders geworden wäre, so stünden wir als arme Toren angesichts aller Gottwidrigkeit.  – Wir müßten uns sagen: Sünde, was kannst du uns schaden, da auch der Gehorsam niemandem etwas nützt; Gottferne, was kannst du mich gefährden, da auch die Gotteinigkeit nicht zum vollen Leben führt! Wir würden die lächelnde Resignation unsere Lebensgefährtin nennen müssen; denn der, der sich zu Tode gehofft hatte, ward getäuscht. Um unsretwillen, die wir nicht eine lebhafte, sondern eine lebendige Hoffnung haben, mußte er sich dem Grabe entnehmen.| Lebhafte Hoffnungen sind Fiebererscheinungen, von denen Nietzsche einmal sagt, daß sie im letzten Grunde Lebenstäuschungen seien. Aber die lebendige Hoffnung (1. Petri 1, 3) hat die Kraft, den Anker durch den Vorhang der Zeitlichkeit, der uns das ewig Reale neidisch noch verbirgt, hineinzuverankern in die Gründe tragfähiger und tragwilliger Gottestreue (Hebr. 6, 19). Um der lebendigen Gotteshoffnung willen war es not, daß er dem Grabe sich entnahm. Suchende, fragende Augen heften sich auf den Stein vor der Grabestür. Leiser und lauter anschwellend erhob sich die Klage: „Wir hofften, er solle Israel erlösen.“ Da, am dritten Tage, als die Hoffnung zu sterben schien und „das schwache Windlicht des Glaubens nahe dem Erlöschen“ war, hat er den Tod beschämt und die ἀφθαρσία des Lebens ans Licht gebracht. „Hinfort merk ein jeder, daß den Mann das Grab nicht gewinnen kann,“ sagt Luther.

 „Am dritten Tag auferstanden von den Toten,“ also jubiliert die bekennende Kirche. Was hätte sonst der fromme Glaube, der getäuscht sich doch nicht täuschen läßt, was hätte die kindliche Hoffnung, die entblättert doch nicht ganz welken will, von ihm gesagt? Nichts anderes, als was der Verräter auch sagen konnte: Rabbi, du unschuldiges Blut. Wir wären zu Haus gekommen und hätten einander gesagt, daß ein herrlicher Lehrer entschlafen sei und hätten einander gelobt, dieses Lehrers Andenken zu feiern, hätten bedauert, daß der Unschuldige so schwer leiden und so wenig Genugtuung haben sollte. Und jeder wäre an seinen Ort gegangen.

 Aber am dritten Tage! – Die Gemeinde Jesu erkennt hierin die Größe, mit der die Ewigkeit an ganz bestimmte, scheinbar enteilende und fliehende Zeitformen sich wendet. So wird sie gewahr, es sei eine der größten Eigenschaften der Unmeßbarkeit, daß sie zwar von der Endlichkeit sich nicht erschöpfen, aber von der Endlichkeit sich fassen läßt. Es ist, als ob die Ewigkeit um diese Zeitverbannung trauert und nun, da die Zeit gegen sie im Tode Jesu protestiert, ihr zuriefe: dir will ich dienen um dessentwillen, der auch mir gedient hat. Hinfort nennt die Gemeinde diesen Tag: ἡμέρα κυριακή, vom Herrn, im Herrn, zum Herrn, vom Herrn in diese Zeitlichkeit eingeheftet, eingebetet und eingelitten. Es ist der Tag, nach dem alle Erdentage wie nach einer ewig leuchtenden und nie vergehenden Sonne sich orientieren. Auf diesen Tag richtet die Gemeinde ihr Auge, wenn alle Schrecken sie umringen, wenn die Nächte so lang und das Morgen rot so karg und die Abende so jäh sich zeigen. „Wächter, ist die Nacht schon hin?“ Und sie sieht zu diesem Tag hinaus, wenn sie am Abend betet: „Ja, komm, Herr Jesu, ja, komme bald.“ Das ist die Majestät des Wortes „am dritten Tage“. Nachdem er durch die samstägliche Ruhe allen Sterbefrieden| geheiligt und alles Grabesgrauen überwunden hat, ist er mit dem grauenden Morgen um die Wette über die Welt hingezogen. „O meines Herzens liebster Ostertag!“ sagt Johann Gerhard. Hinfort faßt aber auch die Gemeinde diesen Tag vom Herrn als einen Tag zum Herrn, wo sie wieder neu aufatmet von der Knechtschaft der Arbeit und von dem Frondienst der Sünde. „Über ein Kleines, und ich will euch wiedersehen.“ – Und wenn die Gemeinde mit Bernhard von Clairvaux klagt: „Dein ,über ein Kleines‘ ist ein langes ,über ein Kleines‘“, so sagt ihr jeder Sonntag: Es kommt ein letzter, ein größter und bester; denn es ist der Tag zum Herrn. Mit jedem Sonntag und Ostertag hofft die Gemeinde, daß der Herr ihr erscheine, nicht in der Armut, wie er einst unter ihr wandelte, sondern in der Klarheit, wie er einst sie wird wandeln heißen.

 Am dritten Tage ist er erweckt. Das ist das erste, was die Gemeinde lehrt. Sie lehrt im Glauben, daß Gott der himmlische Vater kraft des ihm innewohnenden Lebens alle Lebensverneinungen selbst majestätisch auf gehoben hat. Wo irgendein Nein gegen das Leben sich aufstellte und regte, irgendeine Entmächtigung der Lebensgewalt sich zeigte, wo im Grabe sich das heimliche Grauen der Verwesung von ferne spürbar machte, da hat Gott in der Lebensfülle, die er mit dem Sohne, dem Vermittler alles Lebens, teilt, allem Nein sein kraftvolles und mächtiges „Ja“ entgegengestellt, damit er gerecht bleibe in seinen Worten und rein, wenn er gerichtet wird. Und nun regen sich um den Toten all die Lebensgewalten, die sich zurückzogen, da er sie von sich weisen mußte und sie gehorsam von ihm sich entfernten, als er sie scheiden hieß. Wie dort in den Versuchungen, nahen die Engel des Herrn und dienen ihm. Er tritt in die Sichtbarkeit der Verklärung und in die verklärte Sichtbarkeit hinaus. Er ist auferweckt. Der Vater hat ihm bezeugt, daß er alles getan hat: „Dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wieder gefunden worden“ – und alles hebt nun an, fröhlich zu sein. Das „es ist vollbracht“ in der niedrigsten Stunde wird zu dem „es ist geschehen“ in der Hoheit der verklärenden Majestät. Was die heilige Vision am Kreuz geahnt und geweissagt hat, hat die Apokalypse am Thron dargestellt. Dem „es ist vollbracht“, antwortet das wundersame: „Ja, es ist geschehen“ (Offenbarung 21, 6).

 Nachdem der Vater ihn so auferweckte, hat der, der bis zum Tode gehorsam war, seinen Willen ausgesprochen und kundgetan: „Vater, ich will, daß wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast“ – und hat nun die ganze Fülle der Lebensgüter, die er nicht als Raub einst bei sich getragen hatte, in den Vollbesitz genommen, und nun ist er, während| die Freunde bebten und die Feinde triumphierten, schlecht und recht, groß und gewaltig aus dem Tod erstanden, damit der Tod auch den letzten Rest von Anspruch auf das Leben verlöre. Er ist nicht erstanden, wie einst Schleiermacher meinte, in einer Hypostasis, sondern in der Wunderbarkeit geist- und leiblicher Verklärung, so daß noch der Apostel, ehe er scheidet, der Gemeinde schreibt: „Was wir berührt und betastet haben mit unseren Händen, vom Wort des Lebens, so wenig es ist, das verkündigen wir euch“ (1. Joh 1, 1).

 Wahrhaft auferstanden heißt leibhaft auferstanden, in der ganzen Fülle dessen, was den Leib als Werk und Träger des Seelenlebens dar stellen läßt und dastehen heißt. Er ist auferstanden mit all den Zügen des Leidens, aber über diese Züge war die Psyche des Gelittenhabens gebreitet. Er ist auferstanden in der ganzen Einfachheit des Menschenlebens, aber diese Einfachheit trug den Adel der Bewährung. Er hat sich gezeigt, bald innerweltlich, indem er aß mit den Seinen, bald überweltlich, indem er ihnen sich entzog. Er ward, wie ein alter Vater sagt, die 40 Erdentage lang entwöhnt und gewöhnt. Der Erde entwöhnt: „Rühre mich nicht an“, und an die Heimat gewöhnt: „Wenn ich erhöhet werde von der Erde, werde ich sie alle zu mir ziehen.“ Er hat ihnen die Heimat nahegebracht und das Heimweh erweckt. Er hat seine Nähe ihnen gezeigt und dabei seine Ferne ihnen angedeutet. Er hat seine Herrlichkeit ihnen geoffenbart und ihre Größe ihnen geprophezeit. Er hat ihnen alles gegeben und zugleich verheißen, daß er die ganze Scheinbarkeit von diesem allen, was sie umgebe, ihnen nehmen werde. Er hat das größte Geheimnis erwirkt, das je geschehen: drei Tage Trennung, höchstes Leid, – lange Trennung, seligste Freude, und hat es gemacht, daß die Jünger, die da weinten und klagten, während die Welt triumphierte, Triumphatoren wurden in einer klagenden Welt. Auferstehung ist in Wahrheit das Schibboleth, an dem alle Lebenserscheinungen sich teilen. Nun steht die Gemeinde der Bekenner und wendet sich ganz zu den österlichen Tatsachen: du bist wahrhaftig auferstanden und denen erschienen, die dich nie mehr finden zu dürfen wähnten. Du bist nicht so gekommen, wie sie glaubten, aber du bist gekommen, da sie nicht glaubten. Lassen Sie mit drei kurzen Mahnworten für Gemeinde, Kirche und Seele diese Betrachtung ausgehen.

 Es sagt ein alter Vater, dreierlei Bedingungen müßten erfüllt wer den, wenn man wirklich des Auferstandenen froh werden solle. Es genüge nicht Engelsbotschaft, denn auch diese könne den Zweifel nicht beseitigen; und es genügen nicht, fahre ich weiter, Gottes Zusagen und Eidsprüche; denn das ist das furchtbare Vorrecht des Menschenwillens, daß er der überredenden| Gotteskraft sich entziehen und der überzeugenden Gotteswahrheit sich verschließen kann. Aber dreierlei hat die Kraft, den Auferstandenen festzuhalten. Erstlich: man muß mit Maria von Magdala die Gewalt böser Geister erfahren haben. Nenne du den Geist des Hochmuts, des Neides, den Geist der Begehrlichkeit oder des Gelüstens, den Geist der Bitternis und den Geist des Zweifels, der seiner nie mehr froh und seiner nie mehr satt werden will, und sprich du von den Geistern, die allem widersprechen, was Leben heißt und dir zurufen: Tor, der du von einem Kommenden er wartest, was das Gegenwärtige dir weigert, und nenne du den Geist der Freude an der Sichtbarkeit, daß dir das Ärgernis keine Kraft und die Torheit des Kreuzes keine Weisheit ist. Wem der Herr auf sein Ringen diese Geister gebannt hat, der hat ein Ostern. Ein solcher Mann hat wie Maria von Magdala die Aufgabe und den inneren Trieb, aus seiner Gabe und Habe dem Herrn mitzuteilen. Justin der Märtyrer sagt in einem seiner Gespräche: „So gering auch meine Kleinheit sein mag, so hätte ich doch gern etwas Großes von Christus ausgesagt.“ Die Kirche Jesu Christi, die erlöste Gemeinde unseres erhöhten Herrn, erwartet, erbittet, versieht sich zu Ihnen, daß sie etwas Großes von Ihrem Gott und Heiland aussagen. Daß unsere gebildeten Männer sich vorm Kreuz flüchten und unsere sogenannten Fortgeschrittenen einen Toten umringen, daß sie auf das Grab dort hinstarren, als sei es geschlossen und schließlich als höchste Weisheit ein armseliges „Vielleicht“ erbringen, das sei Gott geklagt. Aber wir, die in aller Fährlichkeit des Lebens, durch alle Widerwärtigkeiten des Berufes, durch alle Schrecknisse des Widerspruchs böse Tage eben in den Tagen des Treuseinwollens durchgelebt haben, – möchten, können es nicht ändern. Wir könnten es auch leichter haben, wenn wir Jesu Grab und Jesu Grabessieg umdeuteten. Wir könnten auch wohlgelittener sein, wenn wir mit Redeblumen das Geheimnis des Todes Jesu umflechten und umschmücken würden, als daß wir die Dornenkrone dem Todesüberwinder aufs Haupt setzten. Wir könnten auch lebensfreudige und -mächtige und wohlangesehene Leute sein, wenn wir das Grab leichthin überdecken und das Kreuz glätten und die Osterbotschaft als eine fromme und frohe Dichtung etwas zur Seite stellen wollten.
.
 Aber um des Trotzes willen, der Männern geziemt, und um der Treue willen, die Knechten so wohl ansteht, und um der Zutätigkeit willen, die wir dem Freunde schulden, sprechen wir: Wir sind Zeugen seiner Auferstehung und wollen der Welt sagen, daß „er lebt und auferstanden ist, daß er in unserer Mitte schwebt und ewig bei uns ist.“ Mit Luther, dem Vater und Sänger der Kirche, wollen wir bekennen: „Es war ein wunderlicher| Krieg, da Tod und Leben rungen; das Leben, der behielt den Sieg, es hat den Tod verschlungen.“ Nur der erlebt Ostern, der dem Osterfürsten dient. Es ist so groß von Jesus, daß er sich noch dienen läßt, der da mehr denn zwölf Legionen Engel schon und selbst in seiner Leidenszeit um sich wußte. Es ist so rührend von ihm, daß er sich an deine und meine Armut binden will, er, dem alle Chöre der Erhöhten zu Diensten stehen. Aber weil er in die Persönlichkeit eines Mannes selbstwillig eingegangen ist und so die Person als höchstes Lebensgeheimnis erhoben hat, will Er, daß unser ganzes Leben ein Dienst sei. Nicht Ihre Lebensanschauungen, nicht Ihre Lebenswirkungen, sondern Ihre Lebenspersönlichkeit will er. Also dient man dem Herrn mit Freuden: „Was ich jetzt lebe, das lebe nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“

 Und das Letzte. Von Maria wird gesagt, daß sie die Salbe nahm und zu Jesu Füßen ergoß. Was können wir Jesu Größeres geben, als daß wir uns in die jetzt noch bestehende Niedrigkeit des Herrn einbeziehen lassen und soweit dies Evangelium in der ganzen Welt gepredigt wird, zu seinem Gedächtnis etwas tun? Und wenn’s nur der Kampf gegen eine Lieblingssünde wäre und die Opferung einer Lieblingsgewohnheit bedeutete und die Hingabe eines Lieblingsgedankens bewirkte, nur einer oder der andere herzukäme und sagte: Aus meinem Leben ist mir nicht viel übrig geblieben, aber was mir übrig blieb, das will ich hier bringen, es wäre nicht umsonst. Nicht mit den Taten, die die Geschichte verzeichnet noch mit den Heroismen, welche die Chroniken melden, will er geehrt sein, sondern mit dem Gehorsam, der den Becher kalten Wassers zu reichen sich nicht weigert und der ins Elend sich schickt, um das Elend zu verklären und zu tilgen. Der erlebt Ostern und der bekommt den Anblick des aus aller Todesangst zum Leben leibhaft und wahrhaft Erhöhten, der das Geheimnis seines Lebens im Dienst sucht.

 Lassen Sie mich schließen.

 Jesu Auferstehung war mit innerer Notwendigkeit vorbereitet, ein Werk des Vaters um des Sohnes willen, ein Werk des Sohnes um des Vaters willen, ein Werk der beiden durch den Geist um unsertwillen. Jesu Auferstehung hat eine prophetische und historische Bedeutung; denn die Verklärung des Mikrokosmos Jesu geht auf die Weissagung hinaus. Ebenso wird der ganze Kosmos dem Tode entnommen werden, auch meine, das Sterbegesicht tragende Leiblichkeit. Ostern und die Ostertatsache ist eine große Weissagung, so daß die alte Kirche immer wieder bei den Worten: „Er ist auferstanden“ antwortet: „Und ich werde auch auferstehen.“ Wir sehen den Leib mit immer größerer Ehrfurcht als eine Wohnstätte des lebenspendenden| Geistes an, wir schonen sein, wir ehren ihn, wir schätzen und schützen ihn, wir bewahren ihn vor allem Unreinen, allem Gemeinen und dem, was die Sache zu nennen mir verbietet. Wir bewahren ihn, damit Ostern aus ihm herausdringe und die Lebensgedanken ihn ganz übermächtigen. Denn das ist Ewigkeit und ewiges Gericht, daß der Leib ganz gestaltet wird nach der Innengestalt, die er birgt. Um der Gerechtigkeit willen muß der Leib entweder von den Gedanken, unter denen er gelitten, befreit und durch die Gedanken, an denen er sich erquickt, verklärt werden, oder er rächt sich für die bösen Gedanken und sinkt in den Abgrund. Das ist Gerechtigkeit im Himmel und auf Erden, daß der Leib ganz nach der Gedankenwelt bestimmt wird, die ihn Zeit seines Lebens durchwirkte und durchwohnte. Jesu Auferstehung weissagt: Jeder Kosmos ist nicht zum Vergehen, sondern zum Bleiben angelegt. Der eine zum Bleiben wider Willen das ist ewiges Lebenmüssen, der andere zum Bleiben nach Willen, Wunsch und Gebet – und das ist ewiges Lebendürfen. Der eine Kosmos wird durch die Auferstehung Jesu in ein fortwährendes Leben genötigt, der andere in ein ewiges Leben verklärt. Der eine Mensch wird durch die Auferstehung Jesu an sich gebunden, damit er erfahre, was dort Richard III. sagt: Ich bin selbst allein, daß er an sich trage, unter sich leide, seiner nimmer froh unter sich vergehe und doch nie seiner ledig werde, und der andere, daß er seinen Herrn und König wiederfinde. „Jesus ist geworden der Erstling unter denen, die da schlafen.“ Er ist Urheber des Lebens, Anfänger und Urständer aller neuen Lebensregung und aller neuen Lebensentwickelung, indem er sich mit uns zusammenschließt und spricht: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Der Gott des Friedens, dem der Herr durch sein Kreuz die von uns verschuldete, furchtbare Spannung aufgetan hat, der Gott des Friedens, der von den Toten herausgeführt und heraufgeführt hat den großen Hirten der Schafe durch das Blut des neuen, weltüberwindenden Bundes, mache uns nun fertig in allem guten Werk, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was vor ihm gefällig ist durch Jesum Christum, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Hebr 8, 20 u. 21.

 Melanchthon schloß seine letzte Vorlesung über das Ostergeheinmis mit dem Vers, mit dem Sie mich jetzt auch schließen lassen wollen:

Fac, ut possim demonstrare,
Quam sit dulce te amare,
Tecum pati, tecum flere,
Tecum semper congaudere.


Herr, gib, daß ich möge zeigen,
Wie es selig, dir zu eigen, –
Mit dir leiden, mit dir streiten –
Dir einst ewig stehn zur Seiten.

|
Aufgefahren gen Himmel.

 Während die Berichte von der Auferstehung des Herrn bei aller Differenz im kleinen und unwesentlichen mit einer geradezu mikroskopischen Genauigkeit das Wunder, soweit es darstellbar ist, uns nahebringen, so daß ein großer Leugner sagte, wenn man die Auferstehung glaube, wisse man freilich nicht, wie man sie anders darstellen solle, sind die Berichte über die Himmelfahrt geradezu dürftig zu nennen. Hier war zu berichten, was kein Auge gesehen, was kein Ohr gehört, was in keines Menschen Herz gekommen ist, zu dessen Darstellung uns Worte gebrechen und unsere Begriffe nimmer hinreichen. Solange der Herr den Seinen auf Erden sich versichtbart hatte, war er auch noch begrifflich ihnen näher, konnte er, wenn auch nicht zureichend, von dem Worte bezeichnet werden, das er geschaffen und durchgeistigt hatte. Aber von der Stunde an, in der er sich der Sichtbarkeit entnahm, reichten die Begriffe für diesen Prozeß nicht mehr hin. Das hat Gott bereitet dem, der ihn liebhatte; die Jünger aber sahen ihrem Meister nach, wie er in die Welt der Unsichtbarkeit hinaustrat.

 Wie unsere Gedanken im Gebet, in der Kontemplation schließlich diese Seinswelt verlassen, um in einer Welt zu erwachen, die uns jetzt noch so fern ist, weil wir wieder in die Räumlichkeit zurückkehren müssen, so ist unser Herr in der verklärten Leibespersönlichkeit hinausgetreten oder lieber hineingehoben in die Welt nicht der Begriffe, nicht der Vorstellungen, nicht in eine Welt subtiler Gedanken, die schließlich sich verflüchtigen müßten, sondern in die Welt der seligen Wirklichkeiten. Denn nicht an dem ist es, daß erst Begriffe diese Welt darstellen müßten, sondern umgekehrt, diese Welt der Wirklichkeit, die mit der Wahrheit sich geeinigt hat, die Welt der ganz durchheiligten Wirklichkeiten ist es, welche den Herrn aufgenommen hat; und wenn wir nichts weiter von diesem Geheimnis wüßten, dann wäre uns ein Wort von besonderer Bedeutung, nämlich das Wort, daß die Jünger nun mit Freuden an ihr Tagewerk gingen, ein Wort, das Luther zum tiefsinnigen Ausspruch brachte: „Da du mir nahe warst, da warst du mir so ferne, nun du mir fern bist, bist du mir so nahe.“ Da du nahe warst, faßlich, greiflich, menschlich nahe, da ich deine Züge ansehen und| deine Hände erfassen konnte, da löstest du dich mir in Begriffe auf, da er kannte ich dich stückweise, und es ging mir wie den Jüngern (Luk 18, 34), nun du mir ferne bist, räumlich scheinbar ferne, weiß ich: du umgibst mich, wie mich die Luft umgibt, und stehst mir zur Seiten, wie nur je ein Freund dem andern zur Seite stehen kann, „da du mir ferne warst, da warst du mir so nahe“. Denn was einst mir mühelos geschenkt und darum von mir nicht geachtet ward, das ist jetzt deiner Mühe Frucht und meiner Mühe Ziel. Ich suche dich von ganzem Herzen. Indem wir dem verklärten Herrn nahekommen wollen, enthüllt sich sein Wort, verklären sich seine Züge, tritt seine Persönlichkeit in ihrer ganzen Größe uns nahe.
.
 Aber wenn es heißt: „aufgefahren gen Himmel“, ist dieser Himmel ein Begriff oder ein Ort, ist er lediglich eine Deckungsbezeichnung für etwas Unfaßbares, oder ist er immerhin eine Räumlichkeit, welche das Prinzip der Überräumlichkeit ist, ein gewisses Reich, ein gewisses ποῦ, in dem die Unbegrenztheit urständet? Hier scheiden sich, wie Sie wissen, manche Anschauungen und Lehren. Ich vertrete die Anschauung meiner Kirche und suche mir die Sache so zurechtzulegen: So gewiß ich weiß, daß das Sitzen zur Rechten ein bildlicher Ausdruck ist, weil „die Rechte Gottes überall“ ist, ein bildlicher Ausdruck für die hohe Ehre, die der Vater dem gehorsamen Sohne widerfahren läßt, so gewiß halte ich daran fest, daß, um die Welt der Räumlichkeiten und die Räumlichkeiten der Welt zu überwalten, ein bestimmter Ausgangs und Wohnort sein muß, in dem er jetzt waltet. „Dieweil wir einen großen Hohenpriester haben, Jesum, den Sohn Gottes, der die Himmelsweiten durchwaltet und durchschritten hat, so lasset uns halten am Bekenntnis“ (Hebr 4, 14). Und man liest gerne in Luthers Postille, wie er sich’s vorstellt, daß der Herr durch die Wolken hindurchzog, durch alle diese Räumlichkeiten, die unseren Horizont begrenzen, wie er an den Sternen vorbeizog, er, der helle Morgenstern aus Jakob, bis er in die menschlichen Begriffen unfaßliche Gottes nähe gelangte, in dieses Licht, da niemand zukommen kann (Empyreum), da kein Menschenauge ganz hintrifft. So sitzt er jetzt in der Verklärtheit seiner Seinsweise, in der Herrlichkeit der potenzierten Menschlichkeit bei seinem Vater – ja, in der Herrlichkeit der potenzierten Menschlichkeit; wie wir im Liede von Rambach anbetend singen: „Aber nun wird deine Bitte durch die Allmacht unterstützt, da in der vollkomm’nen Hütte die verklärte Menschheit sitzt“, so hat unsere Kirche mit Recht und die ganze christliche Kirche mit tiefem Grunde darauf hingewiesen, daß, wie der Träger der Gottesnatur sich ins Todeslos begab, da die Gottesnatur selbst nicht sterben konnte, so jetzt nicht nur der Träger der Menschennatur,| sondern die ganze Menschenpersönlichkeit und Menschheit in die Verklärung erhoben wurde. Nicht Gottes Natur kann im Tode versinken –, wenn wir singen: O große Not, Gott selbst ist tot, so wissen wir, der Träger der menschlichen Natur hat sich dem Tode anvertraut. Aber das dürfen wir mit großer Freude wissen, daß er die gesamte Menschennatur nicht bloß in die Möglichkeit, sondern in die Wirklichkeit der Heimat versetzt hat. Hinfort weiß die Gemeinde im Streit, daß hoch über ihr und doch ganz ihr nahe das verklärte Menschtum thront, hinfort weiß sie, daß alle ihre Leidenskämpfe, all die Anfechtungen, die sie durchmißt, vorbereiten auf den Eingang in die Verklärung ihrer Natürlichkeit. Denn ein Dreifaches ist es, was der verklärte, in seine ganze Herrlichkeit heimgekehrte Herr und König erwirkt.

 Er verklärt zunächst seinen Leib. Immer mehr müssen wir daran festhalten, daß der heimgekehrte Heiland auch jetzt noch geschichtliche Prozesse erlebt, daß er von einer Klarheit zur anderen sich durchringt, sich durchsetzt. So gewiß er in den Strom der Geschichte und ihrer folgegemäßen Entwickelung hier in der Niedrigkeit sich begeben hat, so gewiß steht er jetzt in dem seligen Strom eines Prozesses, nicht ad infinitum, was ein Widerspruch in sich selbst wäre – ein Fortschritt ins Unendliche ist der eminenteste Rückschritt, weil Aufhebung von Gesetz und Wesen des Fortschritts –, sondern er steht in der immer größeren Durchlebung des erhörungsgewissen Prozesses: Vater, verkläre mich mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. Nun weichen vom Herrn all die Andeutungen und Umrisse der Verklärung, es fallen zurück all die Unterpfänder eines Vollendetwerdens, nun gehen weg alle Anzeichen der durchwaltenden Majestät, Weissagungen werden Erfüllungen, Andeutungen werden Geschehnisse, und Symbole werden das, was sie ausdrücken und bezeichnen.

 In dieser verklärten Menschlichkeit aber verklärt er immer wieder sich in den Seinen, damit von ihnen durch ihn der Strahl auf den Vater falle, den er einst unter und vor ihnen leidend verklärt hat. In dieser Verklärung verklärt er, sich zu Ehren, dem Vater zu Lob und Preis den geheimnisvollen Leib seiner Kirche.

 Das corpus mysticum, das eigentliche geheimnisvolle Wesen in der Erscheinung des Herrn, heißt jetzt auf Erden, wie es der Epheserbrief in seinem 1. und 4. Kapitel meint, heilige Kirche. Er hat hier auf Erden etliche Getreue sich geworben und sie als ein Ferment in die Zeit, als ein Salz in die gärende Weltzersetzung, als ein Licht in die finstere Weltgeschichte eingesenkt. Wo irgendwie die Welt an ihrer Geschmacklosigkeit| stirbt, an sich selbst hingegeben dem Zersetzungsurteile des Unschmackhaften und Ungewürzten verfällt, da hat er seine armen Jünger als Salzkraft eingestiftet. Wo zwei oder drei in der Größe ihres Heilandes klar, lauter, ernst, mit der Rücksichtslosigkeit, die der Wahrheit eignet, mit der Barmherzigkeit, die die Liebe braucht, wirken und walten, da geben sie das Zeugnis eines wunderbaren Dienstes. Um ihretwillen wird die Welt geschont. Wo die Finsternisse überhandnehmen, wo scheinbar zerteilte Nebelstreifen wieder zu neuem Gewölke sich zusammenballen und anscheinend überwundene Vorurteile mit neuer, dämonischer Kraft aus gestattet, auf den Plan treten, da sind seine Jünger das Licht der Welt. Was sie meinen, was sie denken, wo sie hoffen, wie sie bitten, will die Welt nicht anerkennen und kann doch der Einwirkung nimmer sich entziehen. Diese wenigen Getreuen, denen keine große Zahl verheißen ist – und sie ist doch unzählbar –, diese geringen Leute, die all ihr Wissen auf das Eine konzentrieren, daß sie des Gekreuzigten Eigentum und Knechte seien, will er, der verklärte Herr, immer mehr durchwalten und durchherrschen. War es früher die Einwirkung Jesu, so ist es jetzt die Einwohnung, war es früher die Fürbitte des leidenden Herrn, die sie trug, so ist es jetzt die große hohepriesterliche Interzession des Verklärten. Denn er tritt für seine Gemeinde ein nicht als für eine in der Praxis schon reine, sondern in der Thesis rein gewordene, er wendet sich an seinen Vater mit der Bitte für diese wenigen, die sich seines Wortes nicht schämen, seinen Namen nicht verleugnen. Hinfort, sagt Luther, erhebt er seine Hände und spricht: Dieses Blut ist mit nichten umsonst geflossen, und weist auf seine Striemen, die auch der Verklärung nicht weichen: dieses Leid habe ich für die Meinen erduldet. Nun weiß die streitende Kirche auf Erden, die sich, je älter sie wird, desto ärmer bekennt, nun weiß die Gemeinde der Getreuen, die viel verlernen muß, damit sie das Eine lerne und bewahre – dieser klaffende Hiatus zwischen Wirklichkeit und Seinsollen werde ausgetan; denn er bittet für sie. Dieses Gebet des erhöhten Herrn und Meisters dürfen wir so fest im Glauben fassen, daß das Gebet zu ihm, der für uns gebetet hat, ein Atemholen innerster Notwendigkeit ist. Wenn wir jetzt oft hören: Ich bete zu Gott durch Jesus und lieber durch Jesus als zu Jesus, so ist das nur eine Scheinbarkeit. Denn die Jünger müssen sich beugen vor dem, dem der Vater einen Namen gegeben hat, der über alle Namen ist; und in der Anbetung Jesu, des Verklärten, liegt letztlich der Zusammenschluß des Streites mit dem Frieden, der Sünde mit der Versöhnung, des Stückwerks mit der Erfüllung, des Armen mit dem Reichtum. Nicht direkter Zusammenschluß mit dem Vater, sondern Zusammenschluß mit ihm, der| nicht bloß um die Sünde weiß, sondern der sie durchmessen hat. Dem himmlischen Vater ist die Sünde etwas Fremdes, Unvertrautes, Unverträgliches, aber dem Sohne, der ins Leid der Sünde sich gab und die Sünde mit all ihren Reizungen und Lockungen, mit ihrer Schwächlichkeit und ihrem Glanze durchlitt, an seiner Persönlichkeit durchkostet hat, ist sie das abgründige Geheimnis, dem ins Angesicht sehend er für die betet, die versucht sind, daß sie zu ihm flüchten. Ich kann dem himmlischen Vater die Fülle der Versuchungen, die mich umringen, nie so darschildern, wie dem, zu dem die ganze Kirche ruft: Der du trägst die Sünde der Welt, erbarme dich meiner! Denn ich habe hier nicht die Erinnerung anzusprechen, die jetzt im Lichte der Heimat und in der Kraft der Herrlichkeit zerrönne, sondern ich wende mich an sein ewig heiliges treues Gedächtnis, an die Zeichen des Leidens, die er trägt, erinnere ihn durch seine Leiblichkeit an die Zeit, da die Sünde ihm Not machte. Lassen Sie das Gebet zum Hohenpriester, der für uns betet, eine Kraft sein, die alle dogmatischen Prämissen und alle Einreden überwindet, glauben Sie! Und wenn das Gebet zum erhöhten König nichts anderes wäre denn der Zusammenschluß der im Kampf Stehenden mit dem bereits zum Siege Gelangten, so wäre es etwas Großes.
.
 Wir treten durchs Gebet zu Jesus hin, der den Kampf nach seiner Tiefe und Weite, nach seiner Größe und Schwere durchmaß. Wie der Apostel einmal sagt, der verklärte Herr hat uns ein ὑπόγραμμον, d. h. dieses kurz, kompendiarisch zusammengedrängte Lebensbild hinterlassen, das jetzt von der Glorie des Sieges überstrahlt ist. Er hat uns, den Gliedern der streitenden Kirche, mit wenigen Zügen in faßlicher Weise gleichsam als Abc für den Anfänger die ganze Ernstlichkeit des Leidens hinterlassen und diese Ernstlichkeit des Leidens durch die Gewißheit verherrlicht, daß aus dem Leide, wenn es ernstlich getragen wird, die Freude, und aus der Schwachheit, so sie innerlich durchkostet wird, die Kraft sich erhebe. So betet die Gemeinde zu ihrem Herrn: Deute mir dieses Zeichen, verkläre dieses Zeichen in mir, laß mich dir ähnlich werden durch das Geheimnis: vom Leiden zum Ruhm, von Schwachheit zur Kraft. So verklärt er auf das Gebet der Seinen hin, durch den Zusammenschluß der Leidenden mit dem Sieger diesen geheimnisvollen Leib seiner Kirche, er verklärt ihn durch Wort und Sakrament. Jedes Wort des Herrn, das er hier in seinem Erdenleben sprach, ist jetzt von der Majestät der Erfüllung überleuchtet und durchhellt. Zu jedem Wort steht jetzt die Gewißheit: so, wie er sprach, und da, wo er sprach, und die zeitliche Umschränkung, das alles ist aus der Enge des Speziellen in die Welt des seligen| Allgemeinen erhoben. Was er dem sinkenden Petrus zuredete, was er dem zweifelnden Thomas zusprach, was er dem armen Paulus in Trübsalsnächten Tröstliches bot, das ist aus der speziellen Beziehung heraus mir und dir vermeint. Er wendet, indem er den einzelnen sich zuwendet, der ganzen Menschheit sein Wort zu. Das ist das Wort des Herrn Christus, das, in den wenigen Kapiteln der Schrift verfaßt, von zitterndem Kiel nachgeschrieben ist, mit strauchelnden, aber nicht fehlsamen Zügen. Das Wort des Herrn, auf ärmlichen Saiten gesungen, die aber gestimmt und gerührt sind von dem großen Meister aller Lobestöne, aller Liebesklänge, ist jetzt aus der Enge der nächsten Bezogenheit in die Weite seiner Kirche gestellt. Indem er so seinen mystischen Leib verklärt, wird er die Fülle des, der alles in allem erfüllt, mit dem Unscheinbarsten das Größte dar bietend, mit dem verklingenden, vergehenden Wort die Fülle der Ewigkeiten erschließend. Vielleicht ist der Rat nicht ganz verächtlich: Nehmen Sie jeden Tag ein Wort des Herrn Jesu als Ihnen zugesprochen, folgen Sie dem Rat des teuren, schriftgelehrten Mannes Joh. Albr. Bengel: „So kein Name genannt ist, da setze getrost deinen Namen ein, und wo ein Name genannt ist, da darf der deine auch stehen. Lassen Sie ein Wort Jesu in seiner Unmittelbarkeit auf sich wirken, und geben Sie wohl acht, ob dann nicht wenigstens die Sehnsucht in den tiefsten Gründen des Herzens erwache. „O, daß es so wäre, wie du gesagt haben sollst!“ Das ist dann eine Erfüllung des Jesusgebetes: Heilige sie in deiner Wahrheit, dein Wort ist die Wahrheit; mache mein, dein Wort zu dem ihren, schließe meine Erfahrung mit ihrem Erfahrenwollen, ihre Erfahrungen mit meiner Treue zusammen!
.
 Er verklärt aber seinen heiligen Leib, die Kirche auf Erden, mit seinem Sakrament; denn so gewiß er jetzt verklärt in der Majestät ist, so gewiß verklärt er sich zugleich auch in den unscheinbaren Zeichen der Natürlichkeit. Weil das tägliche Brot unmittelbarste Nahrung und der Wein seligste Erquickung ist, will er mit seiner geistleiblichen Persönlichkeit allen, die nach ihm Verlangen tragen, als tägliches Brot und selige Erquickung sich zu eigen geben. Er läßt sich, der verklärte Herr, in diese armen Zeichen bannen, er durchwaltet die Unscheinbarkeit einer – so meint man wohl – sinnbildlichen Handlung und erhebt das Naturmysterium sättigender Gnade zum Gnadenmysterium überschwenglicher Güte. Das ist es, daß er seine Gemeinde mit den primitivsten Mitteln zur höchsten Höhe erhebt, daß er, wenn es ihm gleich möglich wäre, in unfaßbaren Dingen von Größe, Reichtum und Weisheit der Gemeinde sich zuzueignen, mit den allerunscheinbarsten und dem Anscheine nach ungenügendsten Mitteln ihr sich| darbietet, sich dargibt, damit man sieht, wie die Kategorien groß und klein von der Sünde beherrscht werden, wobei wir geneigt sind, das Große nur nach Quantität und das Kleine nur nach äußerlichen Maßstäben zu bemessen. Ihm war es vorbehalten, das Kleine und Unscheinbare in der Tiefe auszugestalten und so das Große und Bedeutsame in der Niedrigkeit zu geben. Er hat in seinem eigenen Leben das Kleine und Unscheinbare zur Herrlichkeit der Gottesnatur je und dann erhoben, er hat in den kleinsten Zeichen seine wunderbarsten Taten getan und will dir sagen, es sei Sünde, wenn man quantitativ messe, und größte Gnade, wenn man qualitativ messen darf, es sei unrecht, wenn man auf Größe ausgeht. „Dir genügt meine Gnade,“ wie wenn, sagt ein alter Lehrer, einem Fischlein gesagt würde: Meer, kannst du ihm genügen? Meeresfluten, könnt ihr ihm genug Labung und Herberge spenden? In einer Zeit, die nach Quantitäten ausschaut, von Massenerfolgen träumt und sich vermißt, das Reich Gottes mit Zahlen und Ziffern zu bauen, bedarf es der evangelischen Nüchternheit: Mir genügt deine Gnade, die das Unscheinbare durchgütet, das Kleine und Unbedeutende zu Trägern höchster Lebens- und Machtoffenbarungen erwählt. Das ist evangelischer Glaubenstrotz, daß er im Niedrigen wohnt, das Kleine klein läßt und das Unscheinbare als Angeld ewiger Erfüllung und Vollendung annimmt. Wenn die Morgenröte wie eines Mannes Hand breit am Himmel unserer Gedanken aufsteigt, dann laßt uns an dieser Morgenröte glauben, daß der Tag naht, und wenn eine Seele aus ihren Irrtümern wieder zum Kreuz gelangt, dann laßt an der einen Seele uns die Gewißheit haben: Es ist nicht umsonst! Und wenn da und dort wieder eine Persönlichkeit – denn Persönlichkeiten schafft er und nicht Personen – zu Jesus Christus sich wendet, dann soll diese eine Persönlichkeit uns Angeld und Bürgschaft dafür sein, daß er wirkt.

 So verklärt er durch Wort und Sakrament seine Gemeinde auf Erden und gibt ihr dazu dieses elementare Ringen um persönliches Christentum. Wir leiden unter dem Ballast der Geschichte, tragen schwer an den falschen Maßstäben, an die der Herr der Kirche uns manchmal zur Strafe verkauft. Es ist uns bange darum, ob wir nicht selbst dem Erfolge frönen und die feilste Tagesgröße als den eigentlich regierenden Gott anerkennen. So flüchten wir zu ihm in dieser Zeit der Gnade und beten:

Mache mich einfältig, innig, abgeschieden,
Stille und in großem Frieden,
Mach’ mich reines Herzens, daß ich deine Klarheit,
Schauen mög’ in Geist und Wahrheit,
Laß mein Herz überwärts wie ein Adler schweben
Und in dir nur leben.

| Denn der Herr, der für seine Kirche flehend eintritt, daß sie immer völliger werde, verlangt, daß nach seinem Urbild sich das Abbild forme, und bittet, daß die Kirche werde, wie ihr Herr in Ausmessung von Zeit und Raum und in der Ausnutzung der in ihnen gebotenen Gelegenheiten.

 Es ist doch etwas Wunderbares, wie ein Wort den Jüngern entging, sobald ihr Herr und Heiland von der Erde geschieden war, das Wort σχολάζειν, das den alten Griechen so bedeutsam war, das Wort der sinnenden, sich behagenden und pflegenden Muße. Den Aposteln ist es entfallen, statt dessen heißt es ἐξαγοράζειν τόν καιρόν.

 Diese Auskaufung, Ausnutzung und Ausdienung der Zeit ist eine Folge der Verklärung ihres Herrn. Bisher saßen sie am Markte und haben die teuerste Ware, die Gott diesem armen Leben gegönnt hat, die Zeit nutzlos verstreichen lassen. Seitdem ihr Herr daheim ist, ist ihnen jede Minute eine Gottesgabe – Luk. 19, 13: „Handelt, bis ich wiederkomme.“ Und darum, schreibt der Apostel, werden wir nicht müde. Ob das, was in die Zeitlichkeit hineingestellt ist, verfällt, so wird doch der innere Glaube, mit dem wir der Zeit uns bemächtigen, von Tag zu Tag erneut. Es ist wundersam, wie fortan jeder Christ in der Nachfolge seines Herrn die Zeit ausnützt und wirkt, solange es Tag ist, weil er der enteilenden Zeit eine sich versittlichende Wirkung beimißt, andererseits darum auch sie versittlicht. Die Zeit, ein indifferenter Begriff, wird das, was wir sie werden lassen. Wehe uns, wenn die Stunden, die sich von uns wenden, unbewuchert und unverzinst in die Ewigkeit vorauseilen und uns anklagen, daß wir ihrer nicht gebraucht haben. Wehe uns, wenn die Tage, auch die Tage der sogenannten Ruhe vorübergehen, und unbenutzte Gelegenheiten wider uns klagen. Der hat keine Ewigkeit des Segens zu erwarten, der keine Zeit der Arbeit kennt. Darum lassen Sie uns als Diener des verklärten Herrn und Heilandes unsere Zeit, die flüchtigen Minuten ausnutzen und wissen, er werde, was im Gehorsam seiner Gebote und im Heimweh nach seiner Wiederkunft geschah, nicht ganz verachten!

 Er hat den Raum seiner Kirche gegönnt, daß sie den kleinen Acker, da er sie hingestellt hat, durchgeistige und durchwalte. Es ist neuerdings, auch bei solchen, die es ernst meinen, Gepflogenheit, in die Weite zu blicken. Wenn irgendeine Tätigkeit nicht vielberühmt ist und nicht viele andere Kreise hereinbezieht, erscheint sie als wertlos. Das ist ein Mißtrauen gegen das fernhin tragende und fernhin wirkende Wort Gottes. Je mehr wir gerade den Ort, da uns Gott hingestellt hat, und den Beruf, in dem er uns stehen läßt, innerlich erfassen, desto weitere Kreise dürfen wir ziehen. Je mehr wir im Kleinen Treue halten, desto mehr wird er uns zu einer Kraft werden| lassen. Alles, was sich von Eigenem her auf weite Einflüsse anlegt, weist der Herr als unrein zurück. Man herrscht nur, indem man dient, man erobert nur, indem man gehorcht, man erreicht nur etwas, indem man treu ist. Lassen Sie uns die Räume, in die er uns hineingestellt hat, wenn sie nicht in die Weite gehen, in der Tiefe beherrschen und erobern, helfe ein jeder dazu, daß evangelische Lebensarbeit so im Augenblick, der sie gebietet, wie am Orte, dem sie entstammt, ganz und voll geschehe!

 Und nun laßt die Fülle von Beziehungen aus der Enge hervorquellen, laßt uns werben um einzelne Seelen, ringen um einzelne Personen und uns mühen um einzelne Beziehungen! – Nun sehen wir auf einmal, wie groß die Arbeit ist, in die er uns gestellt hat. Es ist die Verklärung seines geheimnisvollen Leibes dem Herrn hoch angelegen; denn er hat die Kirche auf die Erde gestellt, damit die Erde genesen könne, und der Welt sie eingestiftet, daß die Welt an ihr Heil und Heilskraft habe. Tote Kirchengebilde fallen um, Kirchensysteme haben ihre Zeit und vergehen, Kirchenordnungen tragen ihr zeitliches Gewand, das zerschleißt und abfällt; aber das Geheimnis der um Christus sich mühenden Seele, die sich allein auf ihn beschränkt, um dann in große, soziale Ideen sich wieder einzureihen, wird die Welt überwinden. So gewiß es das Vorrecht des Christen ist und die Pflicht seiner Lebenserhaltung, mit seinem Herrn ein Mysterium zu haben, in das kein anderer hineinsehen kann, so gewiß der Herr, der nicht von einer allgemeinen Sünde, sondern von meiner Ichsünde mich erlöst hat, dieses Geheimnis, das er mit mir durchlebt hat, teilt, so gewiß schließen sich dann alle, die durch sein Blut Vergebung der Sünden empfangen haben, aneinander. Die Kirche Jesu Christi ist ein innerliches Ding, sie baut er aus, damit er endlich in ethischer Hinsicht die Welt verkläre, wie er im kosmischen Prinzip die Welt überhaupt erfüllt hat. Er will im dritten Leibe, der ihn umgibt, sich verklären.

 So die Weltverklärung; denn die Fürbitte und Fürsorge des Herrn hat als letztes Ziel, daß alles dem Vater untergeordnet würde, widerwillig das eine, weil es muß, freudigen Willens das andere, weil es darf, daß der Vater an den einen geheiligt werde, die ihn nicht heiligen wollen, und von den anderen geheiligt werde, die ihn als ihren heiligen Gott preisen. Die Allmacht des verklärten Heilsmittlers ist ja nicht eine schöpferische, sondern eine erneuende und vollendende. Schöpferische Allmacht ist die des Vaters, erlösende, vereinigende, verinnernde die des Sohnes. Und so herrscht er durch das Gebet der Treue, durch die Fortwirkung seines allerheiligsten Verdienstes, durch die Auswirkung seiner Heilsmittlertätigkeit, bis alle Feinde zu seinen Füßen gelegt sind. Vielleicht| ersehen wir ein wenig, wie das Zeichen, dem widersprochen wird, das große ἡμίωρον vorbereitet, von dem die Offenbarung, (8, 1) redet, das Schweigen, wo die einen sich vor ihm verbergen und die anderen nach Worten suchen, ihn zu preisen, die heilige Stille, wo entmächtigt seine Feinde und vollmächtig seine Knechte ihn umringen: er allein ist würdig, zu nehmen Lob, Ehre, Preis, Macht, Dank und Ruhm. Vielleicht ahnen wir, daß, während die Welt zum letzten Kampf gegen den Herrn ausholt, er lächelnd solchem Treiben zusieht, weil er weiß, wie es endet. Denn so gewiß die Wahrheit in ihrer Herrlichkeit sich durchsetzt und über alle Wirklichkeit der Antithesen triumphiert, bis sie selbst zur vollbeherrschenden Wirklichkeit geworden ist, so gewiß wird der Herr nicht rasten, bis er von allen Knien angebetet und von allen Zungen Huldigungen empfangen wird. So verklärt er diese Welt, unter der er wohnte, in der er litt, an der er starb, in die ihm ganz homogene, mit ihm ganz harmonierende Seinsweise. Jetzt, sagt Luther einmal, ist Werkeltag, und das Unkraut zeugt wider den Säemann; aber über ein kleines wird der Werktag aufhören und die ganze Natur ihr Sabbatkleid anziehen, und das Unkraut als ein nicht sein sollendes wird ausgetan: das bindet in Bündlein, daß man es verbrenne! Es ist unserer Kirche, der Kirche der Reformation diese glaubhafte und glaubensstarke Hoffnung auf Weltvollendung oft abhanden gekommen. Wir fürchten, daß die Welt mit einer Antilogie enden solle oder, wie es im 17. Artikel der Augustana heißt: Wir glauben, daß nur eine selige Weltvollendung Gott entspricht; wir wissen aber, daß es keine vollendende Allmachtsliebe gibt, die nicht im Zorn sich behauptet, und daß es keine verklärende Herrlichkeit Jesu geben kann, die nicht in der Gegensätzlichkeit sich bewahrt–und denken zu wenig daran, daß er alle seine Feinde nicht zu Freunden umwenden kann, noch will, noch darf, aber daß er alle seine Feinde entmächtigt, damit sie wider ihr Wollen bezeugen müssen, er allein sei Herr. Wenn er aber alle Dinge dahin gebracht haben wird, daß nur das Gute, Wahre und Schöne ihnen immanent ist, als Lebensgesetz den einen, als Lebenszerstörung den anderen, dann hat er seine verneuende und verklärende Mission erfüllt, dann ist seine verklärte Leiblichkeit ganz durchheiligt und durch geistigt, ist sein Werdeprozeß abgeschlossen, ist er ganz verklärt. Dann ist auch seine Kirche allen Widrigkeiten und Fährnissen entnommen, sie ist aus einer ecclesia viatorum zu einer ecclesia beatorum, aus der Kirche der Wandersleute in eine Kirche der Seligen verklärt, dann ist auch die große Antithese von Lüge und Wahrheit, von Sein und Seinsollen ausgetan, und es ist nur ein Name und ein Wort; und dann, sagt Paulus 1. Kor. 15: καὶ αὐτός ὁ υἱὸς ὑποταγήσεται τῷ ὑποτάξαντι <span title="in der Vorlage: 'αὐτῳ'" class="anno" style="color: #00AA00;;">αὐτῷ τὰ πάντα.| Was er im Leiden einst tat in Folge unserer Abkehrung und Untreue, das wird er in Herrlichkeit einst tun aus Folge unserer Zuwendung zu ihm. Er will mit seiner Gemeinde sich dem Vater unterordnen, eine heilige Subordiniertheit nicht des Wesens, sondern des Willens, damit Gott sei alles in allem. Er wird dann, da er für nichts mehr zu beten und nichts mehr zu vertreten hat, sich an die Spitze der Lobsagenden stellen. Noch ist er der heilige Verklärer alles nach Vollendung Ringenden; wenn aber alles vollendet sein wird, wird er der erste sein, der in den Preis der ewigen Vollendungsgröße einstimmt und ihn anhebt, er wird es sein, der Himmel und Erde und all ihr Heer, auch dich und mich, zur Herrlichkeit des Lobes ermuntert und ermutigt, er wird dann zeigen, daß Loben Leben ist. So glauben wir, daß der gen Himmel gefahrene Herr und König unser gedenkt. In dem wunderbaren Himmelfahrtslied – ich kenne kein schöneres – Joh. Zwicks, des Reformators von Konstanz, heißt es:

Die seh’n hinauf, und er herab,
An Lieb und Treu geht ihn’n nichts ab,
Bis sie zusammenkommen.

 Die Gewißheit, daß in unseren Kampf der Herr betend und stärkend herabblickt, läßt uns mit Freudigkeit und mit dem Mut, ihm alles zu sagen, immer wieder zu ihm kommen, und die Sehnsucht berechtigt zum Gebet: ἔρχου ταχύ, ἔρχου ταχέως, komme bald, komme schnell. Nicht in die letzte Stunde, aber in eine der letzten Stunden, in eine große Vorhalle von Weltscheidung und Weltentscheidung sind wir eingetreten, es kristallisiert sich auf der einen Seite alle Kraft der Leugnung und des Widerspruchs, auf der anderen Seite heben alle Wahrheits- und Glaubenskräfte an sich zu verfestigen. Es ist eine große Zeit, weil nicht mehr um die und jene, sondern um die eine große Frage es geht: Wer ist der, der also durch Jahrhunderte zur Gemeinde sprach? Lassen Sie uns an dem Bekenntnis festhalten, für das unsere Väter landesflüchtig, ehrlos, wehrlos, heimatlos geworden sind, an dem Bekenntnis, für das sie Spott zur Ehre nahmen. Es ist nicht an dem, daß Kompromisse erobern – Kompromisse bringen Verluste –, aber die männliche Selbständigkeit und Überzeugtheit der Jünger Christi soll den Sieg erlangen; es ist nicht an dem, daß wir dem wechselnden Zeitgeist und den Zeitmeinungen unseren Tribut zahlen müßten, um so dem Herrn Christus Eingang in Herz und Meinung zu verschaffen, sondern es ist an dem, was er in einer wichtigen Stunde gesagt hat: Weil ihr bei mir beharrt habt in der Stunde der Anfechtungen, will ich euch auch bei mir behalten. Was ein jeder unter uns für Christus tun kann, ist sehr wenig, sehr unscheinbar und unbedeutend.| Aber das lassen Sie unser tägliches Gebet werden, daß man an uns erkenne Christi Art und Werk, daß aus uns erstrahle der, der uns täglich neu macht und der uns heiligt. Nicht darauf kommt es an, wie viel wir erreichen, sondern darauf, daß er etwas an uns erreicht; nicht danach fragt er, ob wir etwas Großes erbringen, sondern das begehrt er, daß etwas Ganzes und Echtes wird.

 Der Herr aber, zu dem wir im 25. Psalm beten: Schlecht und recht das behüte mich; denn ich harre dein, – und der in dem armen Nathanael einen Jünger nach seinem Herzen erkannte, weil er kein Falsch hatte, nehme von uns Scheinwesen, Scheinbegeisterung, falsche Rechtgläubigkeit – zum Lobe seiner Herrlichkeit und Gnade, auf daß, wenn er kommt und anklopft, wir ihm bald auftun, ihm sagen: Meister, ich habe getan, was du befohlen hast, und das selige Wort hören: Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freuden! Amen.

|
Die Furche
Akademische Monatsschrift

Unter Mitwirkung von Dr. iur. Berg-Wesenberg – Prof. D. Goeters-Bonn – Prof. D. Gruner-Bern – Prof. Hans Haberl-Wien – Dr. phil. Schneider-Gießen – J. R. von Loewenfeld-Wolfsburg – Gottlob Schrenk-Bielefeld – Dr. med. Zander-Halle und zahlreichen Kommilitonen

in Gemeinschaft mit
Pfr. Hermann Kieser
Basel
und Lic. Fr. Siegmund-Schultze
Berlin
herausgegeben von
Dr. phil. G. Niedermeyer,
Berlin-Lichterfelde.
Verlag von Martin Warneck, Berlin.
Die Zeitschrift erscheint Mitte des Monats.
Preis M. 1.60.


„Der hier dargebotene Aufsatz ist ein Sonderabdruck aus der Furche,
Jahrgang IV, Heft 7 und 8.“


Die Furche ist zu beziehen durch:


Die Deutsche Christliche Studentenvereinigung, Berlin C. 2,
Kleine Museumstraße 5 b.