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deine Hände erfassen konnte, da löstest du dich mir in Begriffe auf, da er kannte ich dich stückweise, und es ging mir wie den Jüngern (Luk 18, 34), nun du mir ferne bist, räumlich scheinbar ferne, weiß ich: du umgibst mich, wie mich die Luft umgibt, und stehst mir zur Seiten, wie nur je ein Freund dem andern zur Seite stehen kann, „da du mir ferne warst, da warst du mir so nahe“. Denn was einst mir mühelos geschenkt und darum von mir nicht geachtet ward, das ist jetzt deiner Mühe Frucht und meiner Mühe Ziel. Ich suche dich von ganzem Herzen. Indem wir dem verklärten Herrn nahekommen wollen, enthüllt sich sein Wort, verklären sich seine Züge, tritt seine Persönlichkeit in ihrer ganzen Größe uns nahe.

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 Aber wenn es heißt: „aufgefahren gen Himmel“, ist dieser Himmel ein Begriff oder ein Ort, ist er lediglich eine Deckungsbezeichnung für etwas Unfaßbares, oder ist er immerhin eine Räumlichkeit, welche das Prinzip der Überräumlichkeit ist, ein gewisses Reich, ein gewisses ποῦ, in dem die Unbegrenztheit urständet? Hier scheiden sich, wie Sie wissen, manche Anschauungen und Lehren. Ich vertrete die Anschauung meiner Kirche und suche mir die Sache so zurechtzulegen: So gewiß ich weiß, daß das Sitzen zur Rechten ein bildlicher Ausdruck ist, weil „die Rechte Gottes überall“ ist, ein bildlicher Ausdruck für die hohe Ehre, die der Vater dem gehorsamen Sohne widerfahren läßt, so gewiß halte ich daran fest, daß, um die Welt der Räumlichkeiten und die Räumlichkeiten der Welt zu überwalten, ein bestimmter Ausgangs und Wohnort sein muß, in dem er jetzt waltet. „Dieweil wir einen großen Hohenpriester haben, Jesum, den Sohn Gottes, der die Himmelsweiten durchwaltet und durchschritten hat, so lasset uns halten am Bekenntnis“ (Hebr 4, 14). Und man liest gerne in Luthers Postille, wie er sich’s vorstellt, daß der Herr durch die Wolken hindurchzog, durch alle diese Räumlichkeiten, die unseren Horizont begrenzen, wie er an den Sternen vorbeizog, er, der helle Morgenstern aus Jakob, bis er in die menschlichen Begriffen unfaßliche Gottes nähe gelangte, in dieses Licht, da niemand zukommen kann (Empyreum), da kein Menschenauge ganz hintrifft. So sitzt er jetzt in der Verklärtheit seiner Seinsweise, in der Herrlichkeit der potenzierten Menschlichkeit bei seinem Vater – ja, in der Herrlichkeit der potenzierten Menschlichkeit; wie wir im Liede von Rambach anbetend singen: „Aber nun wird deine Bitte durch die Allmacht unterstützt, da in der vollkomm’nen Hütte die verklärte Menschheit sitzt“, so hat unsere Kirche mit Recht und die ganze christliche Kirche mit tiefem Grunde darauf hingewiesen, daß, wie der Träger der Gottesnatur sich ins Todeslos begab, da die Gottesnatur selbst nicht sterben konnte, so jetzt nicht nur der Träger der Menschennatur,

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Hermann von Bezzel: Der erhöhte Herr. Furche, Berlin 1914, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Der_erh%C3%B6hte_Herr.pdf/12&oldid=- (Version vom 5.7.2016)