Der Weg der Buhlerin. Erstes Blatt

Die vier Tageszeiten. Viertes Blatt – Die Nacht W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Erste Abtheilung (1840) von Georg Christoph Lichtenberg, Franz Kottenkamp
Der Weg der Buhlerin. Erstes Blatt
Der Weg der Buhlerin. Zweites Blatt
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Der


Weg der Buhlerin.


Sechs Blätter.
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Der


Weg der Buhlerin.


Erstes Blatt.
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DER WEG DER BUHLERIN.
THE HARLOT’S PROGRESS.
I.

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Der Weg der Buhlerin.


(The Harlot’s Progress.)




Erstes Blatt.


Durch gegenwärtige sechs Blätter hat Hogarth hauptsächlich zuerst den großen Ruhm gegründet, den er, trotz aller Anfechtung von einer Menge jetzt vergessener Menschen, immer ungeschwächt, ja selbst bis auf diese Stunde sogar ungetheilt, genossen hat. Der Beifall, mit welchem sie aufgenommen worden sind, ist unbeschreiblich. Er erhielt 12,000 Subscribenten dazu; man hat sie zur Beherzigung auf Kaffee-Tassen gebracht, und auf Sonnenfächern dargestellt, zur Beschauung bei der Hitze und zum Darunterwegschielen in der Noth. Die witzigsten Köpfe der damaligen Zeit haben die handelnden Personen dieser Stücke zur Unterstützung ihrer unsterblichen Einfälle citirt; Theophilus Cibber hat sie als Pantomime auf die Bühne gebracht, und andere haben selbst einzelne Begebenheiten [216] in denselben zu Operetten ausgesonnen. Es war ihnen leichter, den Menschen in dieser untrüglichen Camera obscura nachzuzeichnen, als nach der Natur. Sehr natürlich. Es ist dieses leider recht das Prärogativ dieses papiernen Alters der Welt, daß, seitdem das Universum in den Buch- und Bilderhandel gekommen ist, Tausende von Schriftstellern und Künstlern für den direkten Strahl der Natur erblindet sind, die ganz gut sehen, so bald dieser Strahl von einem Bogen Papier reflectirt wird. Glücklich, wenn die Reflexion immer die erste, und das Blatt selbst immer so plan, so rein und so spiegelhell ist, als dieses, das uns unser großer Künstler hier vorhält.

Das Werk ist überschrieben: The Harlot’s Progress, die Fortschritte der Buhlerin. Ich habe es in unserer Ueberschrift den Weg der Buhlerin genannt. Ich hoffe, daß in diesem sehr verständlichen Ausdruck, die etwas biblische Form hinlänglich und gehörig ersetzt, was ihm, mit dem Englischen verglichen, an Präcision abgehen möchte. Es ist nicht das ganze Leben, was Hogarth hier gibt, sondern nur jedesmal eine einzige Scene aus jeder Periode desselben, die sich durch auffallende Abstufung von der vorhergehenden unterscheidet. Mit reiner, selbst sanfter Unschuld seiner Heldin fängt er an, und endigt mit dem tiefsten Verderben. Dies ist der Weg der Buhlerin. – Hier wenigstens.

Die Heldin des Stückes ist die Tochter eines armen Dorfpredigers[1], in Yorkshire. Vater und Tochter sieht man beide auf dem [217] ersten Blatt. Sie, im Vorgrunde, so eben von dem elenden Wagen abgestiegen, der sie, wie man aus dessen Aufschrift sieht, aus jener Provinz brachte, stehend; den Vater im Hintergrunde, nicht so wohl reitend als bloß zu Pferd. Wie das Mädchen da steht! Eine hohe Schönheit ist sie, wie man sieht, freilich nicht. Hogarth war kein Schönheitsmaler, auch ist er in seinem ganzen Leben, so viel ich weiß, nur von zwei Personen dafür gehalten worden, davon war die eine Er selbst, und die andere seine selige Frau. Allein was dem Mädchen an hoher Schönheit abgeht, wird durch höhere Gesundheit, kindliche Simplicität und sanfte Unschuld mit großem Gewinn ersetzt. Ihr Anstand, wie man sieht, ist übrigens der einer derben, reinlichen, braven Dorf-Mamsell, aus der sich was machen ließe – und das geschieht auch. Der Knochenbau an ihr scheint in dem gröbern Dienst der Ceres und Pomona etwas in die Breite getrieben zu seyn. Beim Einsammeln von Vergiß mein nicht, Maßliebchen, Veilchen und der übrigen Busenblümchen der verliebten Schwärmerei wäre der Guß vielleicht feiner gerathen. Indessen sie ist noch tief in ihren Zehnen[2], und wächst noch, auch gehört sicherlich vieles von dem Eckigen in ihrem Zuschnitt auf die Rechnung des Dorfschneiders.

In ihrem Anzuge, so ländlich einfach, wie ihr ganzes Wesen, ist indessen nicht die kleinste Lüge; nichts ist zu weit auf- und nichts zu weit hervorgebauet. Hut und Schnürleibchen und Halstuch schützen und bewahren, was man ihnen anvertraut hat, mit Treue, ohne Prahlerei und mit dem kleinmöglichen Aufwand, wie Bienenzellen. Im ersten keine unbesetzte Etagen, und im letzteren nichts von leerer Gallerie. Das Gesichtchen, das unter ersterem ruht, spricht mit beredtem Stillschweigen, [218] allgemein verständlich, und Jedem offen, für sich, und bedarf keiner Erläuterung; über die letztern hingegen, wo bloß Conjecturen verstattet sind, hat Flora die fast überflüssige Bürgschaft geleistet, und ihr Röschen vorgesteckt: Jugendblüthe mit Unschuld. Von da geht die Fortification abwärts in der gewöhnlichen Manier, mit drei- bis vierfachem Walle fort bis zu den parallelen Füßchen. Wenn der Commandant sich nicht bestechen läßt, so ist von der Seite Hoffnung für die Campagne. – An der Seite hängt ein Nadel-Kißchen und ein Scheerchen, und von dem rechten Arme ein Bündelchen herab, vermuthlich von der weinend-scheidenden armen Mutter zuerst dahin gehängt, zur Beschäftigung unterwegs und zur Erquickung. Von der gänzlichen Resignation in der Haltung der Arme und von der Schüchternheit im Blick, gehört allerdings vieles auf die Rechnung des Wiederscheins von der vornehmen Uhr der Staatsdame, mit welcher das gute Kind hier en rapport gesetzt ist. Wer Ihro Wohlgeboren sind, soll der Leser zu seiner Zeit erfahren. Noch haben wir es mit der Unschuld zu thun, und kommen daher gleich auf den armen Vater.

Da sitzt er auf dem treuen Familien-Stück, einem erbarmungswürdigen Schimmel[3], der vermuthlich nun schon seit sechszehn Jahren sein mögliches gethan hat (was freilich andere Geschöpfe Gottes besser thun könnten), den armen Reiter mit einer Frau und zehn lebendigen Kindern, bei einer Einnahme von hundertundfünfzig Thalern netto in dem reichen Lande zu unterstützen, dem sie alle zugehören. Eine traurige Figur fürwahr! Das Leder an den Knieen ist im schweren Dienste durchgekniet, und von der Natur nur so obenhin wieder geflickt. Die Form des Halses [219] und die Stellung der Beine, die etwas von Kuh und etwas von der Schnitzbank haben, machen die Sache um kein Haar besser. Auch kann man nicht sagen, daß das Pferd durch die Figur seines Reiters, wie wohl zuweilen geschieht, gehoben würde. Dieser ist selbst so was im Dienst der hohen Kirche, wie sein treuer, vierfüßiger Diener allenfalls in jedem hohen Marstalle seyn würde. Auch Er ist alt, steif, baufällig, und hat sich im schweren Dienst – (gerechter Himmel!) – durchgeknieet, und ebenso, wie sein Freund, nun wohl ohne Hoffnung auf ein weicheres Lager. Man sehe nur hin auf den lechzenden Mund und die Lichtblicke auf den Knöcheln der verdorrten Hand! Man erwartet in ihr eher die Sense des allgemeinen Freundes der lebenden Natur, als den Zügel. Er sitzt in seinem Amtshabite da, dem einzigen im Hause, der noch auf der Heerstraße auf den Respect rechnen konnte, den man dem Stande der Unschuld unter demselben gewiß versagt haben würde; selbst die Beinkleider nicht ausgenommen. Sie sind sicherlich durchgeknieet, und die hohe Stiefel-Kappe nicht bloß Zierde, sondern zugleich Schutz gegen Spott und gegen Lappenfraß. Alle Zierde in der Welt sollte so was seyn: Decus et tutamen. Die abgeregnete, abgebleichte und abgekämmte Perücke ist hier von großer Bedeutung. Es war nicht schön von der Reformation, daß sie der Tonsur, die sich immer am Ende noch wohl selbst einmal hilft, die Perücke erlaubte, und doch der schwer zu ersetzenden Tonsur der Perücke selbst, wenn sie einmal eintritt, die Kaputze nahm, die alles gut gemacht hätte. In Deutschland hat man gar keinen Begriff von dem, was die Perücke des Geistlichen (the Clergyman’s Wig) in England ist. Nicht? – Nein! O! wenn man mir viel widersprechen will, so sage ich gerade heraus, man weiß in Deutschland gar nicht, was Perücken sind. Was wir haben, sind bloße Präparate von Perücken. Um kurz von der Sache zu kommen: in Rücksicht auf Würde und Eindruck sind sie dort völlig der Bart der Alten, nur daß die Haare auf der negativen Seite sitzen. Und der Form nach? Gut, ich will wenigstens die des Geistlichen beschreiben; in der Blüthe versteht sich; Linnéisch. Jedermann weiß, wie die Zwiebeln blühen. Die Blümchen bilden, zusammen genommen, eine Art von Sphäre, die auf [220] dem hohlen Zwiebel-Halm wie gespießt, hoch und fest sitzt. Nun denke man sich unter dem hohlen Halm den Hals, und von jener Sphäre so viel Blümchen von vornen weg, als nöthig ist, eine Maske, und von oben so viel, als erfordert wird, einen Hut aufzunehmen, jedoch ohne Maske und Hut, so hat man ganz die Gestalt, und selbst die Farbe einer englischen Clergyman’s Wig Ich weiß nicht, ob es verwirrte Phantasie oder sonst eine Metastase von Dichtergabe bei mir ist, aber ich habe oft, bei schönen Sommerabenden, wenn ich die hohlen und magern Halme nicht mehr deutlich sehen konnte, mich unmöglich enthalten können, ein blühendes Zwiebelfeld für einen englischen Kirchen-Convent zu halten. Nun werfe man noch einen letzten Blick auf das beregnete Schaaf-Fell unseres Armen, dort auf dem Schimmel. Hogarth spricht hier zum Herzen, und der Himmel behüte, daß wir dem kleinsten Zuge, der dorthin führt, eine andere Richtung geben sollten! Er redet, sage ich, gerade hin zu dem Herzen derer in der Welt, die wissen, was es dem Redlichen für ein Bürsten und Reiben und Kämmen kostet, ehe er dahin kömmt, immer unverschuldet, nicht einmal öffentlich die armseligsten Insignien seines Standes und Ordens aufstellen zu können; des Ordens, dem er vor den Augen des ewigen Richters oft wohl mehr Ehre machen mag, als der zeitige Commandeur. Es ist hier Ernst, theuerster Leser, und deßwegen bitte ich dich noch um einen Augenblick. O! ritte doch einmal diese Todten-Figur, in luftiger Gestalt, wie Lenorens Wilhelm beim Gatterthor, an der Decke des Saals hin, wo der Bischof oder der Rector ihr Te Deum – – schmausen, oder sprengte auf der Schnitzbank über den Weg, wo Sie es in einer Kutsche mit flüchtigen Vieren, rennen; und sähen in diesem Bilde den Mann ihres Fleisches, ihres Blutes, ihres Ordens (ihrer Perücke, könnte man sagen), der sein Te Deum bei größerem Verdienst sein ganzes Leben durch hungern mußte; es würde besser werden mit der armen Geistlichkeit in dem reichen England. – Doch das ist Poesie. Weg damit – in diesen Tagen.

Mit der Poesie versteht sich; denn bei dem armen Pastor und seiner Tochter müssen wir noch einen Augenblick verweilen. Der Alte hat sie, [221] als das erste unter seinen Kindern, das Gangbarkeit für die Welt von der Natur erhielt, nach der Stadt begleitet, Sie auf dem Karren, und Er – auf dem armen Schimmel; Er wählte zwischen zwei Stoßmaschinen, und wählte für sich die wohlfeilste, nicht die bequemste. Sie kommen beide eben in der Glocke (the Bell-Jen) in Woodstreet, einem bekannten Wirthshause, an. Der Alte liest die Adresse eines Empfehlungs-Schreibens: To the Right Reverend Bishop – London (An den Hochwürdigen in Gott andächtigen Bischoff – London). Ein Empfehlungsschreiben, das treffen kann, wenn es nicht blind geladen ist. Er hat die Brille nicht bei sich, und studirt mühsam an der Adresse. Diesen Augenblick macht sich der Schimmel zu Nutz, nachzuholen, was er unterwegs versäumt hat, und greift gierig nach dem Packstroh von irdenem Geschirre, das hier zum Verkauf steht. Blumentöpfe, Schüsseln und Pfannen, und was es sonst sein mag, alles leer, stürzt darüber dem Hungernden entgegen. Sehr ominös. Vermuthlich wird, wenn es hierüber zur Sprache kömmt, die Rechnung für leere Schüsseln sehr viel mehr betragen, als manche volle unterwegs gekostet haben würde, die man verweigert hat, und als die ganze Ersparniß bei der Stoßmaschine, und als (die Hoffnungen abgerechnet) der ganze Werth des Briefchens an den in Gott Andächtigen! Doch wir müssen weg von dieser Jammerscene, es ist noch viel zu thun.

Lebe also wohl, du armes Paar, wir sehen uns so bald nicht wieder. Leide noch einige Zeit mit Geduld die wenigen Stöße deines gemeinschaftlichen Schicksals, die noch zurück sein könnten, bis zu dem großen Gnadenstoße der Natur hin, der Allem ein Ende macht. Er wird dir zugleich, guter Alter, den Anblick des unaussprechlichsten Jammers ersparen, der deiner lieben Maria wartet. Noch weißt du es nicht, daß der Zug, den du da von York her mit deinem treuen Diener anführtest, ein Leichenzug war, durch den die Tugend, und folglich die Glückseligkeit deiner Tochter zum schrecklichsten Grabe gebracht wird! Und du, treuer Schimmel, in dessen Seite ich so eben gleich hinter dem Sporn deines Reiters, ein Fleckchen von Wichtigkeit erblicke, das dem Künstler nur einen Druck mit dem Griffel, aber dir dein theures Blut gekostet hat, [222] glaube mir, ich habe bei der Entdeckung dreifach für dich gefühlt. Es war mir leid, so kurz vor unsrem Scheiden, noch diese Conjunction zwischen dir und deinem Herrn zu entdecken. Aber tröste dich. Die Gleichheit zwischen euch ist dennoch sehr viel größer, als du denkst. Auch Er hatte sein ganzes Leben hindurch einen unbarmherzigern Reiter, als du, und es würde dem Künstler mehr als einen Strich gekostet haben, die Narben darzustellen, die das arme Opfer hier jetzt mit der geistlichen Copri-Miseria[4] bedeckt.

Unsere Heldin, das gute, ehrliche Dorfmädchen, steigt also, aus Yorkshire kommend, in London, im Wirthshause zur Glocke ab. Das gesunde Landpflänzchen wird aus seinem nativen Erdreich in den unermeßlichen Garten verpflanzt, mitten unter Düngsalze und Insecten, die man in Yorkshire nicht kennt, von tausendfacher Form; sie geräth auch, unglückseliger Weise, sogleich auf eines der infamsten Beete, weit und breit. Noch ehe sie wurzeln kann, bringt ihr das Insect, (ich rede hier von Ihro Wohlgeboren mit der vornehmen Uhr), den giftigen Stich bei, der ihren geraden Schuß, für diese Zeitlichkeit wenigstens, auf immer verderben wird. Dieses hängt so zusammen:

Hogarth läßt das Mädchen aus Yorkshire kommen. Warum aus Yorkshire? Der Künstler und Schriftsteller für die Nachwelt, thut keinen Strich ohne Bedeutung. Yorkshire liefert (ich rede hier mit dem Statistiker) die schönsten Mädchen; von Pferden wissen sie es schon. Und der Wagen, mit den ärmsten, nicht gerade den häßlichsten dieser Geschöpfe beladen, kehrt wöchentlich in der Glocke in Woodstreet ein, oder spricht da wenigstens an. Dieses ist die Scene. Zur weitern Ausmalung derselben nur noch ein Paar Worte. Ueber der Hausthüre sieht man das geschachte Feld. Was das bedeutet, ist oft ein Zankapfel auch noch neulich in englischen Monatsschriften gewesen. Der Streit scheint aber nun entschieden. Es ist das Zeichen, das alle Häuser, worin starke [223] Getränke geschenkt werden, nothwendig führen müssen. Die Familie Warren, die ein so geschachtes Feld im Wappen führt, hat nämlich bis diese Stunde ein ausschließendes Recht, Freiheit zu einem solchen Schank zu ertheilen, und es ist herkömmlich, zur Erleichterung der Taxensammler, dieses Wappenfeld über die Thür und an die Thürpfosten groß malen zu lassen, damit sie die Häuser, selbst in der Ferne, erkennen können[5]. Es kömmt in den Werken unseres Künstlers verschiedentlich vor, so wie die Menschen, die in solchen Häusern gewöhnlich angetroffen werden. Der Hof des Hauses liegt, wie man sieht, in einem Winkel. Wenn auch in der Nachbarschaft Häuser stehen, die eine gute Seite haben, so zeigen sie diesem Platze wenigstens nicht die respectabelsten. Das Haus zum Beispiel, linker Hand, mit der Gallerie, könnte seinem Nachbar nicht leicht etwas Schlechteres weisen. Auf der Gallerie, die, im Vorbeigehen zu merken, theils auf Pfosten steht, theils an Stangen hängt, sieht man zwei umgestülpte Töpfe. Es scheint dieses ihr gewöhnlicher Aufenthalt am Tage zu sein, frische Luft da zu schöpfen; des Nachts ziehen sie sich zum Dienst der Familien, deren Zahl da oben also zugleich durch sie bezeichnet wird, gehörig zurück. Auf dem ausgespannten Seile hängt Wäsche oder etwas, was diesen Morgen im Wasser war; ob zu künftigem Gebrauch am Leibe, oder bloß in limbo der Papiermühle, ist von einem Stück wenigstens nicht wohl auszumachen. Das Mädchen, das da oben herabsieht, hält, wo nicht ein Paar Stiefel, wenigstens ein Paar Seifstrümpfe, die mit Wasser stark versetzt zu sein scheinen. Es soll vermuthlich etwas abfließen; und sie scheint diesem Tropfbade für die Vorübergehenden mit Hoffnung eines guten Erfolgs zuzusehen.

In diese elende Winkelschenke hat sich, alles dieses Elendes ungeachtet, der Mann begeben, den man mit etwas verschobenen Waden in [224] der Hausthür stehen sieht. Schon der Umstand, daß er einen Diener mit einem Haarbeutel hinter sich stehen hat, und zwar einen, wie man sieht, ergebensten, läßt nichts Geringes vermuthen. Er ist auch bloß hierher gekommen, um den Wagen mit Yorkshireschen Mädchen abzuwarten, um den Vorkauf beim Ausladen zu haben. Außer dem Trabanten hinter sich, mit dem Haarbeutel, hat er auch noch eine Staatsdame mit dem cul de Paris vor sich, die offenbar zu ihm gehört. Wer mag der Mann seyn? Dieses soll nun der Leser umständlich erfahren.

Der Mann da, mit einem Fuße im Hofe, und mit dem andern noch im Hause, die linke Hand auf einen Stock gestützt, und mit der Rechten in einem Privatgeschäfte begriffen, ist der berüchtigte Oberst Charters. Wer da weiß, mit welcher Leichtigkeit Hogarth Gesichter und Formen traf, den muß es freuen, auf diesem Blatte die Physiognomie und die Figur eines der größten Schurken aufbewahrt zu sehen, die der Grabstichel je verewigt hat. Es kommen in unserem Drama unter den handelnden Personen zwei vor, die beide am Galgen gestorben sind, aber dieser Mensch ist nicht darunter; nicht als wenn er minder hängenswerth gewesen wäre. Nichts in der Welt weniger. Er wurde bloß deßwegen nicht aufgeknüpft, weil er zu den unzähligen Betrugskünsten, die zum Galgen führen, und worin er Meister war, noch sehr weislich die hinzustudirt hatte, selbst den Galgen um seine Gebühren zu schnellen. Nie ist wohl ein Galgen mehr beeinträchtigt worden, als an dem Tage, da diese Bestie auf dem Bette starb. Denjenigen unter unsern Lesern, die mit Pope, Swift, Arbuthnot und überhaupt den classischen Schriftstellern der Engländer aus der damaligen Zeit bekannt sind, oder die ein Vergnügen darin gefunden haben, den Geist und Charakter dieses Volks auch in den Monstrositäten zu studiren, die ihre Criminalgerichtshöfe jährlich aufstellen, werden wir hier nichts Neues sagen. Gauner, H....jäger, Schurke und Oberst Charters hieß gleichviel. Pope, um geschwind von der Sache zu kommen, sagt gar einmal:

[225]       Chartres and the Devil[6]

Chartres und der Teufel. Das klingt fast wie Compagnie-Handel. Sie hatten auch so etwas von Verkehr mit einander, wie in unsern Tagen wiederum ein Chartres[7] in Frankreich mit eben jenem warmen Comptoir hatte, und ich glaube, es hätte dem Teufel keine Schande gemacht, einige seiner neuesten Briefe auf Nantes und Bordeaux mit: Gebrüder Charters und Comp. zu zeichnen.

Nun zur nähern Schilderung dieses Geschöpfs. Wir wollen mit der Note zu jener Stelle aus Pope’n den Anfang machen; mit kalter Prosa.

Franciscus Charters, ein Mann, der wegen aller Arten von Laster infam war. Als Fähnrich wurde er einer Betrügerei wegen vom Regiment gejagt, (drummed out of the Regiment) hinaus getrommelt. Bald darauf jagte man ihn aus Brüssel ähnlicher Vergehungen wegen, und trommelte ihn endlich aus gleichen Ursachen aus Gent hinaus. Nach hunderterlei Betrügereien beim Spieltische, fing er endlich an, Geld gegen unerhörte Interessen auszuleihen, forderte große Strafgelder, wenn etwas nicht so richtig fiel, wie es sollte, und Prämien für den geleisteten Dienst. Diese Interessen, Strafgelder und Prämien schlug er wieder zusammen zu einem Kapital, und wenn endlich der Zahltermin eintrat: so griff er auf die Stunde zu. Durch die unermüdete Aufmerksamkeit auf die Laster sowohl als die Bedürfnisse und Thorheiten seiner Nebenmenschen, erwarb er sich ein unermeßliches Vermögen[8]. Sein Haus war [226] ein beständiges Bordel. Zweimal wurde er wegen Nothzucht angeklagt, auch schuldig befunden, aber pardonirt. Bei einem dritten Processe von gleicher Beschaffenheit, kam er nicht so leicht weg, er mußte in Newgate sitzen, und große Summen bezahlen. Er starb 1731 in seinem 62. Jahre. Bei seinem Leichenbegängnisse erregte das Volk einen großen Aufstand. Es wollte den Leichnam aus dem Sarge reißen, und schmiß endlich todte Hunde zu ihm in das Grab. Die vortreffliche Grabschrift, womit der berühmte Dr. Arbuthnot dieses Ungeheuer aus der Welt hinaus in eine infamirende Unsterblichkeit getrommelt hat (denn getrommelt wird wirklich ein wenig dabei), ist freilich sehr bekannt, aber mancher Leser wegen steht sie, dünkt mich, hier nicht am unrechten Ort. Die Übersetzung ist in einigen wenigen Stellen nicht ganz wörtlich:

HIER
SETZT SEIN IM LEBEN SCHON ANGEFANGENES FAULEN
WEITER FORT
FRANCISCUS CHARTERS,
der
MIT NICHT ZU BEUGENDER BESTAENDIGKEIT
und
NUR VON IHM ALLEIN JE ERREICHTER GLEICHFOERMIGKEIT DES LEBENS,
trotz
ALTER UND SCHWÆCHLICHKEIT
IN STÆTER AUSUEBUNG JEDES LASTERS BEHARRTE,
dessen der Mensch fähig ist,
VERSCHWENDUNG UND HEUCHELEI ALLEIN AUSGENOMMEN.
VOR JENER SICHERTE IHN
UNERTRÆGLICHER GEIZ,
vor dieser
UNVERSCHÆMTHEIT OHNE GLEICHEN.
[227]
So
EINZIG ER DURCH UNWANDELBARE VERDERBTHEIT DER SITTEN WAR,
SO GLUECKLICH WAR ER
IN ANHÆUFUNG VON REICHTHUM,
denn
OHNE HANDEL, OHNE EIGENTLICHES GEWERBE,
OHNE VERWALTUNG OEFFENTLICHEN GELDES,
und ohne eine
DER BESTECHUNG WERTHE STELLE IM STAATE,
erwarb er sich, oder vielmehr, erschuf er sich
DAS VERMŒGEN EINES FÜRSTEN.
Er war
DER EINZIGE MENSCH SEINER ZEIT,
der
ZU BETRUEGEN WUSSTE,
OHNE DIE MASKE DER EHRBARKEIT,
und der seine
URSPRÜNGLICHE NIEDERTRÆCHTIGKEIT NOCH BEIBEHIELT,
ALS ER SCHON HERR WAR VON 60000 THALERN DES JAHRES;
der,
TÆGLICH DES GALGENS WUERDIG
für das,
WAS ER WIRKLICH THAT,
endlich
DAZU VERDAMMT WURDE FÜR ETWAS,
WAS ER NICHT THUN KONNTE.[9]
Der du dieses
MIT GERECHTEM UNWILLEN LIESEST, WANDERER,
denke nicht,
DASS SEIN LEBEN FÜR DICH UNNÜTZ WAR.
[228]
Die Vorsicht
LIESS DIE VERRUCHTEN KNIFFE DIESES SCHEUSALS ZU,
künftigen Zeitaltern
DEUTLICH BEWEIS UND BEISPIEL ZU GEBEN:
wie gänzlich Nichts
UNERMESSLICHER REICHTHUM IN DEN AUGEN
DES ALLMÆCHTIGEN IST,
da er ihn
EINEM MANNE GEWÆHRTE,
der vielleicht
DER GRŒSSTE SCHURKE WAR, SEITDEM DIE WELT STEHT.

Nun, das heiße ich einmal eine Grabschrift. Sit tibi terra levis, Charters, mit deinen todten Hunden.

Es ist wahr, es wird hier, wie wir schon erinnert haben, etwas getrommelt. Wenn man aber den großen und gesetzten Charakter des Dr. Arbuthnot dabei betrachtet, dessen Schriftstellerei nichts weniger als ein Phrases-Handel war, so verliert das Zeugniß durch seine poetische Form nichts von seiner Kraft, und hat den Werth von Prose.

Warum man solche Grabschriften nicht auf Kirchhöfen liest? Fürwahr, wenn man auf einem Kirchhofe spazieren geht, und da die steinernen Empfangscheine liest, die unser aller Mutter gegen vernagelte Kisten ausstellt, die man bei ihr deponirt hat: so kann man nicht anders als glauben, daß sie entweder eine sehr reiche und gute Mutter sein müsse, die willens sei, dereinst die Defecte aus ihren eigenen Mitteln zu erstatten, oder eine sehr einfältige, die sich von manchem Trauerhause ganz erbärmlich schnellen läßt. Ich muß gestehen, daß ich beim Lesen der Grabsteine nicht selten in die Verlegenheit gerathen bin, kaum zu wissen, welches denn nun eigentlich die Seite der Herrlichkeit sei. Denn wahrlich! keine glücklichere Welt als die, in welcher die Gräber alles ohne den kleinsten Rabatt liefern müßten, was sie da, laut Quittung, empfangen haben, oder die, in welcher alles, was nicht gehenkt [229] wird, solches Probe-Gut wirklich wäre, als aus derselben hierher abgeliefert worden sein soll.

Nun nur noch ein Paar Zeilen des Tout comme chez nous wegen: Einige Tage nach Charters Tode soll, wie man sagt, in der Edinburger Zeitung hinten, mitten unter den Steckbriefen, die man über Diebe, neue Bücher und Universal-Arzneien ausstellt, um den Leser aufzumuntern, theils zu fangen, theils sich selbst fangen zu lassen, folgender rührender Artikel gestanden haben:

Stennihill bei Edinburgh den 22. May 1732[10]. „Gestern Abend zwischen 5 und 6 Uhr, vertauschte unser theuerster Gemahl und Vater, der Wohlselige Herr Oberst[11], Franciscus Charters von Amsfield, in einem Alter von 62 Jahren, nach einer gänzlichen Entkräftung, sein mühseliges und thatenvolles Leben, mit der frohen Ewigkeit. Religion und Vaterland beweinen in ihm einen tapferen Verfechter, die Waise einen gütigen Vater, und die Armuth einen unermüdeten Wohlthäter. Diesen schweren Schlag, der die Provinz in Trauer hüllt, fühlt niemand tiefer als wir, seine tiefgebeugten Erben. Ueberzeugt von dem Antheil, den nicht bloß unsere Freunde, sondern die Welt an diesem Verlust nimmt, verbitten wir uns alle Condolenz.“

Helena Charters. 
N. Charters, Gräfin von Weems.

Dieser Charters, 60000 Thaler Revenüen schwer, begibt sich in diesen schmutzigen Winkel, bloß um die Mädchen-Post aus Yorkshire abzuwarten. Der Kerl hinter ihm ist ein gewisser John Gourlay, [230] den Charters meistens um sich hatte, besonders bei Gelegenheiten, wo etwas für’s Haus angeschafft werden sollte, eine Art von Spürhund. Um die Lippen dieses edeln Paares schwebt etwas, nicht sowohl kosendes, als wirklich kostendes, von so ekelhafter Wirkung, daß es allein schon die Hand jedes braven, ehrliebenden Kerls reizen könnte, sich in geballter Form mit beschleunigter Bewegung, ohne weitere Untersuchung, darauf zu legen. Sie trauen indessen auch ihrer eigenen Figur, der Unschuld gegenüber, nicht, und haben zwischen sich selbst und dieses arme, unerfahrene Dorfmädchen, ein Aneignungsmittelchen einzuschieben für nöthig erachtet. Dieses sind Ihro Wohlgeboren, ein alter, abgefeimter Lockvogel, der sonst eigentlich bloß Zotenliedchen pfeift, aber doch noch bei solchen Gelegenheiten den naiven, ländlichen Waldton anzustimmen weiß, um den freien Flug der Vögelchen des Himmels nach londonschen Käfigen hinzuleiten. Ein berüchtigtes Weib, nicht gehängt, aber eines Todes gestorben, der an Schimpflichkeit nur um ein kleines Paar Stufen geringer war, als der Galgentod, aber in jeder anderen Rücksicht sehr viel empfindlicher. Es ist nämlich das Porträt einer in jenen Tagen allgemein gekannten und verabscheuten Madam Needham, gemeiniglich Mother Needham (Mutter Needham) genannt. Sie unterhielt ein liederliches Haus in Park place, einer Sackgasse, wenn ich nicht irre, die auf St. Jame’s street, eine der Hauptstraßen der Stadt, stößt. Mutter hieß sie vermuthlich, weil ihr die Tugend und die Ehre ihrer Zöglinge so sehr am Herzen lag, als ihre eigene. Auch diese hat Pope verewigt[12]. Er nennt sie die fromme Needham. Eine Kupplerin und Hurenwirthin aus bloßer Ironie fromm zu nennen, wäre ein viel zu alltäglicher Spaß gewesen für einen so witzigen Mann. Nein! sie war wirklich fromm, und trieb die Frömmigkeit, so wie sie von Tausenden getrieben wird, richtig, nach der Uhr. Sie wusch sich jeden Morgen und Abend durch Gebete, nach den [231] besten Recepten, und alle Sonntage hatte sie große Wäsche; die übrige Zeit war sie auf dem Comptoir oder sonst in Geschäften. Vielleicht wird man glauben, sie wäre eine Betschwester gewesen. So etwas würde Popens Einfall noch mehr herabsetzen, denn was ist alltäglicher als Hurenwirthinnen, die Betschwestern sind? Nein! Sie soll wirklich bei ihrem Gebete zuweilen gedacht haben, und das ist differentia specifica, und so wird der Einfall Popens würdig. Man merkt nämlich ausdrücklich von ihr an, daß sie oft weinend den Himmel angefleht habe: Ihr Gewerbe doch – zu – segnen, damit sie – dereinst, von solcher Schande befreit, – ihm ganz im Geist und in der Wahrheit – dienen können möge. War das eine Betschwester? Indessen, diese wohlgemeinte Bitte wurde ihr vom Himmel abgeschlagen. Sie wurde ergriffen, an den Pranger gestellt, und schon beim zweitenmale (dreimal sollte sie die Operation aushalten) von dem Pöbel, einem ganz analogen Sprüchworte gemäß:

„Ich liebe den Verrath und hasse den Verräther,“

so mißhandelt, daß sie starb, ehe es zum dritten Versuch kam. – Das ist doch wohl mehr als gehängt.

Hier steht sie, freilich stark verwittert; der Bewurf fängt an abzufallen, so wie an der Wand des Wirthshauses, die ihrem Kopfe, bedeutungsvoll, zum Grunde dient. Indessen den noch übrigen Reizen die Flucht möglich zu erschweren, hat sie die Hauptschlupflöcher, durch die sie zu entwischen pflegen, mit Pflästerchen verklebt und die verblichenen vermuthlich aufgefrischt. Ich kann mich irren, aber so oft ich diese Nase ansehe, kann ich mich unmöglich enthalten, an Brillenzwang und Schnupftaback zu denken. Uebrigens sieht man wohl, daß das Gesichtchen, zumal der allerliebste Mund, alles mögliche thut, die abschreckenden Spuren zu maskiren, die eine fünfzigjährige Praxis in mancher Gegend zurückgelassen hat. Um ihr Herz dem des armen Mädchens durch die Fingerspitzen näher zu bringen, hat sie den Handschuh ausgezogen, denn die oratorische [232] Figur, womit dieses hier geschieht, wirkt nicht durch Kalbfell. Und so sinkt denn das arme Vögelchen in magnetischen Schlaf, während dessen man es in den Käfig einer vermeintlichen Staatsdame steckt, der aber ein Hinterthürchen nach Charters Hecke hat, und so ist – alles und alles verloren! – Und auch dieses geschieht, während unser guter Alter über dem Studium einer Adresse das Absteigen vergißt. Also auch da wird auf Rechnung des armen Teufels zerbrechliche Waare – umgeworfen, die kein Bisthum je wieder leimen wird. So viel vermag ein Recommandations-Schreiben!

So viel von dem wesentlichen Inhalt dieser ersten Scene. Nun noch einiges von der Ausstaffirung. Rechter Hand, unten im Winkel, steht ein ganz beträchtlicher Koffer, mit M. H. auf dem Deckel gezeichnet. Er enthält des Mädchens Aussteuer bei dieser ihrer Vermählung mit – der Schande und dem Verderben. Hogarth hat nämlich seiner Heldin mit einer Art von Gnadenwahl, die nichts in der Welt rechtfertigen kann, den Namen Mary Hackabout gegeben, der nicht sowohl ihren Charakter, als ihr künftiges Schicksal ausdrückt. Das hätte er bleiben lassen sollen. Das englische Zeitwort to hack drückt, von einem weiblichen Geschöpf gebraucht, allen nur möglichen Schimpf aus, womit es belegt werden kann. Mamsell Maria Jedermanns ist noch die gelindeste Übersetzung, wenigstens frei von den häßlichen Nebenbegriffen, die von dem englischen Worte schwer abzuhalten sind, unter die sich sogar die von Sattel und Zeug mischen sollen. Wozu soll dieses bei einem solchen Werke der Kunst? Und wenn das Mädchen Hackabout hieß, wie hieß denn der arme, unschuldige Vater? Es macht fürwahr dem Geschmack der Deutschen Ehre, daß sie dergleichen Verräthereien der Dichter an ihren Helden gar nicht, oder wenigstens mit Widerwillen dulden. Wehe auch dem Schriftsteller, der seinen Helden, um ihnen Aufmerksamkeit zu verschaffen, ein Titelchen kaufen muß. Hogarth hatte dieses am allerwenigsten nöthig. Er setzt die Geschichte des Mädchens so durch, und schildert ihr Leben so deutlich, daß man sie am Ende für [233] eine Hackabout[13] halten würde, und wenn der Sattler die Susanna selbst auf den Koffer genagelt hätte. Und so, dünkt mich, ist es recht. Lateinisch, Griechisch oder Hebräisch gehen dergleichen Namen noch wohl durch, man hat sich da an ihre Bedeutung gewöhnt, so wie an die von Doctor und Magister, die nunmehr, hier und da, den Werth von Taufnamen zu erhalten anfangen. Die Theophilie manches Theophilus steht auf gleichem Fuße mit der Gebenedeitheit des eingefleischten BenedictusSpinoza. Pandemchen[14] wäre vielleicht, wenn Hogarth denn doch seine Absicht hätte verrathen wollen, der schicklichste Name gewesen. Der Name steht, so viel ich weiß, in keinem Kalender – es müßte ein Frauenzimmer-Kalender sein und die lese ich nicht. Gleich neben dem Koffer liegt eine arme Gans, fast strangulirt durch die Adresse um den Hals (ungefähr wie der arme, Prediger zu Pferd durch die seinige). Sie heißt: To my lofing Cosen in Temsstret in London (An meinen liewen Fetter in der Tems-Gase). Neue Orthographie, mit ältlicher Unbesonnenheit in schwesterlicher Verbindung, wie gewöhnlich. Wo soll nun dieses Pandemchen eigentlich hin? Denn in Thamesstreet, einer der tobendsten und wimmelndsten Straßen in London, wohnen die liewen Fetter, die unadressirte Gänse mit Herz und Mund willig annehmen, zu tausenden beisammen. Das arme Thier ist also gerade so adressirt, wie du, gutes Mariechen, und vermuthlich deine armen Yorkshireschen Reisegefährtinnen dort in dem Wagen, die noch weiter wollen, und denen es [234] an liewen Fettern auch nicht fehlen wird! Noch liegt da auf der Erde eine verpackte Kiste mit einer Adresse. Wir erwähnen ihrer bloß, um dem Leser zu sagen, daß die Adresse auf dem Original eben so vorsätzlich unleserlich ist als hier. Es ist also bloß etwas Allgemeines, was bei dergleichen Gelegenheiten immer vorkömmt, z. B. eine Kiste, die die Erfüllung ihres cito, citissime mit Geduld tagelang abwartet, bis endlich ein treuer Wagenknecht, der nicht lesen kann, oder ein schlauer Dieb, der sich nicht darauf einläßt, die Besorgung übernimmt.




  1. Eigentlich eines so genannten Curate, eines von den armseligen Geschöpfen, die, wie selbst Johnson das Wort definirt, von einem andern gemiethet werden, den Dienst statt ihrer zu versehen. – Die Seelen der Gemeinden sollen darunter gewöhnlich eben nicht leiden (und das unterhält die Anordnung), hingegen der Leib des Constituenten würde leiden, wenn die Einrichtung anders wäre. Ich habe diesen Constituenten in der Folge einigemal den Rector genannt, denn so heißen sie wirklich in vielen Fällen. Die Klage hierüber ist in England allgemein, und Hogarth mit seiner Satyre hier sehr richtig.
  2. She is in her Teens, sagen die Engländer von einem Mädchen zwischen zwölf Jahren und zwanzig, weil die dazwischen fallenden sieben Zahlen sich alle in teen endigen: thir-teen – nine-teen (dreyzehn – neunzehn). Miss in her Teens ist ein bekanntes Schauspiel von Garrik. Man hält die Zeit, da die Mädchen anfangen zu zehnen, fast für gefährlicher als die, da sie anfangen zu zahnen.
  3. Roucquet sagt: die englischen Geistlichen ritten gewöhnlich Schimmel. Also Schwarz auf Weiß. Da Roucquet mit Hogarth bekannt war, und dieser vermuthlich um die Bemerkung gewußt haben muß, so ist es höchst wahrscheinlich, daß der launige Britte dem leichtgläubigen Franzosen die Schnurre aus Muthwillen aufgebunden hat. Dieses gibt zugleich eine muthmaßliche Probe ab, wie Hogarth’s Commentar über seine Werke ausgefallen seyn würde, wenn er einen hinterlassen hätte.
  4. Copri-miseria, Jammer-Deckel, der bedeutungsvolle Name einer Art Ueberröcke (weltlicher versteht sich) in Italien.
  5. Die neueste Untersuchung hierüber befindet sich in Gentleman’s Magazine. September 1794. S. 797.
  6. Moral. Essays Ep. III. v.20.
  7. Herzog von Orleans, vorher Duc de Chartres – Nomen et Omen. Man erinnere sich an den Herzog Regenten. Der nannte sich selbst einen roué, er starb aber bloß rouable, so wie sein Namens-Vetter in England bloß pendable gestorben ist.
  8. Man schätzte seine jährliche Einnahme auf mehr als 60000 Rthlr.
  9. Die Erklärung dieser Stelle wird mir der gütige Leser schenken. Die Einleitung zu der Grabschrift enthält bereits, was zum Verständniß derselben nöthig ist.
  10. So werden Ort und Sterbetag in dem Gentleman’s Magazine von jenem Jahre angegeben, und nicht wie oben 1731.
  11. Wie ein ausgetrommelter pendabler Fähnrich noch als pendabler Oberst habe sterben können, ist nur von einem solchen Tausendkünstler begreiflich.
  12. Dunciad. I. v. 323.
  13. Kate Hackabout, Käthe Hackabout, war ein um das Jahr 1730 berüchtigtes, öffentliches Mensch. Man weiß von ihr nur, daß sie ihrer öffentlichen Aufführung wegen festgesetzt, und ihr Bruder um dieselbe Zeit gehenkt worden ist.
  14. Vom Griechischen πανδημος, was alles Volks ist. Selbst die, die der Name trifft, werden ihr Schicksal erträglicher finden, wenn sie erfahren, daß es sogar eine Venus Pandemos gab, so wie eine Venus Urania. Entschuldigungen gewährt die neue Mythologie, unstreitig die richtige, noch mehr.