Der Pastor und sein Küster
Es war einmal ein Pastor, der diente dem Gelde mehr, als dem lieben Gott. Darum dachte er bei sich, als sein alter Küster zu Johannis starb:
„Was sollst du einen neuen Küster anstellen? Nach der Ernte kommen die vielen Hochzeiten, da fällt ein gutes Stück Geld ab und manche Gans und manche Speckseite, das kannst du selbst verdienen.“
Gedacht, gethan; er war von nun an Pastor und Küster zugleich; und mit jedem Tage wurde die Speisekammer der Frau Pastorin voller, und das Geld in der Kiste schwoll immer höher an. Als aber Martini kam, da die Leute ans Sterben denken und manche Leiche bei Hagel und Schnee von den Schulkindern zur ewigen Ruhe gesungen wurde, da mochte dem Pastor das Küsteramt nicht mehr behagen, und er sann und sann:
„Wie schaffst du dir das Übel vom Halse?“
Indem hörte er lustige Klänge vom Wirtshaus herüber schallen. Das war ein alter, abgedankter Soldat, der spielte auf seiner Fiedel den Bauern zum Tanze auf und sang dazu mit heller, klarer Stimme.
„Der kommt dir, wie gerufen!“ sprach der Pastor [112] bei sich, und er schickte den Knecht in den Krug, daß er den Spielmann zu ihm brächte.
Als der Soldat im Pfarrhause war, sprach der Pastor zu ihm:
„Was meint er dazu? Ich brauche einen Küster; und da er so schön singen und spielen kann, möchte ich ihm wohl zu dem Amte verhelfen.“
„Herr Pastor,“ antwortete der Spielmann, „wovon soll ich den Winter durch leben? Michaelis ist längst vorüber, und das nächste Schulgeld bringen die Kinder erst zu Marien. Da ist ’s wohl besser, ich bleibe, was ich bin, und verdiene mir meinen Unterhalt durch Spielen und Singen auf den Gütern und in den Schenken. Da giebt mir der eine Brot, der andere Fleisch, der dritte Mehl und Kartoffeln, und dieser und jener reicht mir auch wohl ein Stück Geld; das bringe ich dann meiner Frau, und wir fristen damit unser Leben.“
Mit dieser Antwort war aber dem Pastor schlecht gedient; denn der Winter rückte mit Macht heran, und er dachte mit Sorgen an die vielen Leichen, die noch kommen würden.
„Spielmann,“ versetzte er darum, „ich will ihm gerne einen Wispel Kartoffeln vorschießen; den zahlt er mir dann zu Marien ab.“
„Gut, Herr Pastor,“ erwiderte der Soldat, „ich werde die Sache mit meiner Frau bereden!“
Damit ging er zum Hause hinaus.
„Mutter,“ sprach er zu seiner Frau, „der Herr Pastor will mich zum Küster machen.“
„Und du hast doch ja gesagt!“ antwortete die Frau.
[113] „Man muß sich immer bitten lassen,“ antwortete der Mann, „morgen soll er Bescheid haben.“
Da war die Freude groß in der kleinen Hütte; und als er am andern Morgen dem Pastor gesagt hatte, seine Frau wolle ihm zu Liebe Frau Küsterin werden, zogen sie mit Sack und Pack in das Schulhaus hinein, und des Pastors Knecht trug ihnen einen Wispel Kartoffeln in den Keller, wie vorher abgemacht war.
Es dauerte aber gar nicht lange, so sprach die Küsterin:
„Mann, die trockenen Kartoffeln wollen mir nimmer schmecken, und die Spargroschen sind auf das Salz gegangen. Wenn wir doch nur ein Stückchen Fleisch hätten!“
„Das wollen wir bald bekommen!“ meinte der Küster; und als es Abend wurde, schlich er in des Pastors Schafstall und zog die beiden fetten Hammel heraus, welche die Frau Pastorin zum Winterbedarf gemästet hatte. Und es merkte auch niemand etwas davon, denn der Knecht und die Magd hatten sich müde gearbeitet und ruhten die Nacht auf ihrem Strohsacke aus; denn mehr als den einen wollte ihnen der Pastor bei den schlechten Zeiten nicht geben.
Der Küster brachte darum die Hammel glücklich in das Schulhaus. Dort schlachteten sie die Tiere und legten das Fleisch in das Faß; die Felle aber trug die Küsterin früh, ehe die Sonne aufging, in die Stadt und verkaufte sie an den Gerber. Das setzte ein paar Groschen ab für Hering und Salz; und auch ein Quart Branntwein kaufte sie ein, denn ausgediente Soldaten mögen gerne einen trinken.
[114] Am andern Morgen war im Pfarrhause großes Geschrei.
„Herr Pastor,“ rief Krischan, der Knecht, „unsere Hammel sind gestohlen!“
Der Pastor schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Aber was war dabei zu machen! Die Hammel waren weg und blieben weg. Lange wußte er gar nicht, wo sie geblieben sein könnten; da nahm ihn eines Tages seine Frau beiseite und sprach:
„Höre, Vater, die Hammel hat kein anderer gestohlen, als unser neuer Küster. Bei trockenen Kartoffeln macht kein Mensch ein so fröhliches Gesicht, als die Küstersleute jetzt aufsetzen.“
Die Rede leuchtete dem Pastor ein. Aber den Dieb überführen, daß er die Sache gestand, das war die schlimme Geschichte. Haussuchung abhalten im Dorfe, dann hätte er’s mit allen Bauern verdorben; und aus freien Stücken gestand der Küster nicht ein, davor hütete er sich wohl. Endlich rief die Frau Pastorin:
„Vater, ich hab’ es gefunden! Wir stecken meine alte Mutter in die große Kiste und geben sie dem Küster zur Aufbewahrung; dann wird sie wohl hinter die Sache kommen.“
Der Rat gefiel dem Pastor, und die alte Großmutter mußte in den Kasten hinein; und damit sie nicht Hunger litte, gaben sie ihr allerhand gute Dinge mit auf den Weg. Dann ging der Pastor zum Küster und sprach zu ihm:
„Küsterchen, ich muß verreisen, und bei diesen schlechten Zeiten ist man seines Geldes nirgends sicher. [115] Ich hab es darum in die große Kiste gepackt. Sei er so gut, und heb’ er ’s mir auf, bis ich zurückkehre.“
„Recht gern,“ erwiderte der Küster; und des Pastors Knecht und Magd griffen zu und trugen den großen Kasten in des Küsters Stube.
Um Mittag setzten sich die Küstersleute zu Tische und aßen. Da sprach der kleine Sohn:
„Mutter, des Pastors fette Hammel schmecken doch besser, als trockene Kartoffeln.“
„Halt’s Maul, Junge,“ rief der Vater, „du wirst uns noch einmal verraten! Dann schlag’ ich dir aber die Knochen im Leibe entzwei.“
In dem Augenblicke stieß die alte Großmutter den Deckel der Kiste auf, steckte den Kopf heraus und sagte:
„Ich habe es mir immer gedacht, daß ihr die Hammel gestohlen hättet; nun könnt ihr es nicht mehr leugnen.“
„I, du verdammter Spion,“ rief der Küster voll Zorn, „willst du das Land verraten?“
Dann ergriff er einen Hammer und schlug damit der alten Großmutter so lange auf den Kopf, bis sie tot war. Darauf nahm er ein großes Stück Wurst und eine Semmel von den Lebensmitteln, die in der Kiste lagen, und steckte es ihr in den Hals, daß es schien, als ob sie daran erstickt wäre. Darnach nagelte er die Kiste wieder zu.
Den dritten[1] Tag war der Pastor schon von der Reise zurück und ließ die Kiste in das Pfarrhaus schaffen. Als er aber den Deckel geöffnet hatte, schrie er laut auf und rief seine Frau herbei.
„Das ist der Geist der Gierigkeit,“ sagte er fromm, [116] „was ist doch die Sündenschuld unserer alten Mutter groß! Konnte sie nicht langsam essen? Nein, sie mußte sogleich das große Stück Wurst und die ganze Semmel auf einmal in den Mund bringen. Das haben wir davon, daß wir auf die braven Küstersleute so schändlichen Verdacht hatten!“
„Du hast recht, Väterchen,“ antwortete die Frau Pastorin, „aber wie schaffen wir nur die Leiche beiseite! Denn kommt es heraus, daß sie in der Kiste an Wurst und Semmel gestickt ist, so heißt es im ganzen Dorfe, sie sei eine Hexe gewesen, und bei uns ginge es nicht mit rechten Dingen zu.“
„Wir wollen den Küster bitten, daß er sie auf dem Kirchhof unter dem Gebüsch vergräbt, wo es noch wenig gefroren hat,“ meinte der Pastor, „und den Bauern sagen wir, Großmütterchen sei zu deiner Schwester gereist. Und dort mag sie bleiben, bis Gras über die Geschichte gewachsen ist.“
„So gefällt ’s mir auch!“ sagte die Frau, und der Pastor ging zum Küster, drückte ihm zehn Thaler in die Hand und bat ihn, er möge doch in der Nacht die alte Großmutter beerdigen, die plötzlich gestorben sei. Der Küster war damit einverstanden, that die Leiche in einen großen Sack und legte sie in der Schulstube nieder.
Als es dunkel geworden war, nahm er den Sack auf den Buckel; aber er ging nicht auf den Kirchhof damit, sondern in des Pastors Schweinestall. Dort schnitt er den Schweinen die Hälse durch, und auf das letzte setzte er die alte Großmutter und gab ihr das [117] blutige Messer in die Hand, daß es aussah, als habe sie die Tiere umgebracht.
Am andern Morgen wollte das Mädchen futtern; da sah sie die Bescherung.
„Herr Prediger, Herr Prediger,“ rief sie erschrocken, „Großmutter hat alle Schweine umgebracht! Auf dem einen sitzt sie und hat das blutige Messer noch in der Hand.“
„Du mein Gott!“ schrie der Pastor und kam mit der Nachtmütze in den Schweinestall gelaufen. „Die alte Frau hat’s doch mit dem Bösen gehalten. Wie ist’s möglich! Wie ist’s möglich!“
Darauf lief er zum Küster und erzählte ihm die Geschichte.
„Aber Herr Pastor,“ antwortete dieser, „das kann ich gar nicht glauben; ich hab’ die alte Großmutter ja gestern erst begraben!“
Sprach’s und ging mit dem Prediger in den Schweinestall.
„Hu, hu, hu!“ rief er und trat drei Schritte zurück, „es ist doch richtig!“
„Küsterchen“, sprach der Pastor und that gar freundlich, ei so freundlich, „bring’ er sie noch einmal auf den Kirchhof!“
„Nein, damit geb’ ich mich nicht wieder ab“, entgegnete der Küster.
„Hier sind fünfzig Thaler,“ erwiderte der Pastor; und als der Küster das Geld blinken sah, lachte ihm das Herz im Leibe, und er sprach:
[118] „Meinetwegen, Euch zu Liebe will ich es noch einmal thun; aber öfter geschieht es nicht wieder.“
„Und die Schweine bringt er auch gleich über die Seite,“ rief die Frau Pastorin, „denn was die Tote abgestochen hat, können wir nicht essen.“
„Ich mag es auch nicht,“ sprach der Küster, „aber ich werde es verbuschen,“ und dann schaffte er die alte Großmutter und die abgestochenen Schweine in das Schulhaus hinüber; und er und seine Frau hatten den Tag über zu thun, um Wurst zu stopfen und Pökelfleisch einzulegen und Schinken und Speckseiten in den Rauchfang zu hängen.
Fleisch hatten sie nun genug; aber wo blieb der Kuchen? Der Küster machte deshalb am Abend, daß er in das Backhaus kam, wo die Frau Pastorin den Teig zu den Weihnachtsstollen in dem Backtrog eingesäuert zu stehen hatte. Den rührte er um, daß er ganz fertig ward; dann nahm er die alte Großmutter und stellte sie an den Backtrog, daß sie mit aufgestreiften Armen in dem Teige stand.
Mit Tagesanbruch eilte die Frau Pastorin in den Garten, um den Teig im Backhause fertig zu rühren. Da fiel sie von einer Ohnmacht in die andere; und als sie endlich wieder zu sich kam, ließ sie ihren Mann durch die Magd rufen und schickte ihn, nachdem er den Schaden besehen hatte, zu den Küstersleuten.
„Ist die alte Hexe wiedergekommen?“ riefen diese ihm schon von weitem zu.
„Ja, lieber Küster, und sie hat mir den ganzen Weihnachtskuchen verdorben. Drinnen im Backhaus steht [119] sie und rührt den Teig ein. Thu’ er mir den Gefallen, und schaff’ er die alte Hexe noch einmal auf den Kirchhof.“
„Das dritte Mal thu’ ich ’s nicht“, sagte der Küster eifrig, „sonst hat der Teufel teil an mir.“
„Ach Küster, lieber Küster,“ jammerte der Pastor, „die Alte macht mich grauhaarig vor der Zeit. Hier sind noch einmal fünfzig Thaler.“
„Gut, Herr Pastor,“ antwortete der Küster, „Euch zuliebe will ich Leib und Seele daran wagen.“
„Lohn’s ihm Gott,“ sagte der Pastor, „und den Teig schaffe er auch beiseite! Was die Toten angerührt haben, dürfen die Lebenden nicht essen!“
Der Küster schaffte darauf die alte Großmutter und den Mehlteig in das Schulhaus, und die Küsterin hatte wieder den ganzen Tag zu schaffen, daß sie den schönen Weihnachtskuchen in ihrem Backofen gar bekam. Der Küster sann indessen nach, wie er dem Pastor einen neuen Streich spielen könne.
Endlich hatte er’s gefunden: Der Pastor hatte in seinem Pferdestall eine braune Stute, einen roten Wallach und ein zweijähriges Fohlen zu stehen, das im nächsten Jahre eingespannt werden sollte. Auf das Fohlen nun hatte es der Küster abgesehen.
Er schlich sich, als es dunkel wurde, auf den Pfarrhof und zog das Fohlen aus dem Stalle. Draußen setzte er ihm die alte Großmutter auf den Rücken und band sie mit einem Stricke fest, daß sie nicht herunterfallen konnte; dann gab er ihr eine geladene, gespannte Pistole in die Hand und führte das Füllen in den Wald hinaus und band es dort an einen Fichtenbaum. Darauf ging er wieder [120] nach Hause, legte sich ins Bett und schlief ein und erwachte nicht eher, als bis ihn der Pastor aus dem Schlafe weckte und schrie:
„Küster, lieber Küster, wach’ er auf, man hat mir mein Fohlen gestohlen!“
„Wer wird denn gleich von Stehlen reden, Herr Pastor!“ erwiderte der Küster. „Habt Ihr das Füllen nicht den Sommer über auf der Koppel gehabt?“
„Da ist es gewesen,“ antwortete der Pastor.
„Je nun, dann wollen wir doch erst einmal draußen nachsehen, ob es sich nicht im Walde verlaufen hat!“ versetzte der Küster.
Der Pastor war damit einverstanden, und sie ritten hinaus. Der Küster hatte sich schnell auf den Rücken des Fuchswallachs geschwungen, so mußte der Prediger mit der braunen Stute fürlieb nehmen. Als sie nun am Walde angelangt waren, sprach der Küster:
„Hier wird es stecken! Reitet Ihr links herum, ich reite zur Rechten!“
Sobald er aber den Pastor aus den Augen verloren hatte, machte er, daß er zu dem Baume kam, an dessen Stamm er das Fohlen gebunden, und löste es von dem Stricke. Das hatte kaum seine Freiheit wieder erlangt, so warf es den Kopf in die Höhe; und als es in der Ferne die Mutter roch, sprang es in großen Sätzen auf die braune Stute zu.
„Herr Gott, die alte Hexe!“ schrie der Pastor, als er das Fohlen erblickte, warf die Stute herum und gab ihr die Sporen, auf daß er so schnell, wie möglich, den Pfarrhof erreichte. Je mehr er aber die Stute anspornte, [121] um so schneller lief auch das Fohlen; denn es bangte sich nach der Mutter.
„Krischan, schlag den Thorweg hinter mir zu!“ rief der Pastor in Todesangst, als er den Knecht erblickte; und der that auch, wie ihm sein Herr geheißen hatte. Aber das Füllen wußte sich Rat; es sprang mit gewaltigem Satze über die Gartenhecke, und von der Erschütterung schnappte der Hahn zu. Krach! ging der Schuß los, und die Schrotkörner fuhren dicht an des Pastors Kopf vorbei in das Scheunenfach.
Da hatte er allen Mut verloren und kroch auf den obersten Boden und rief vom Eulenloch her dem rückkehrenden Küster zu:
„Schaff’ er mir das alte Weib vom Halse, und er bekommt hundert Thaler und das Fohlen obendrein!“
„Da soll mich Gott vor bewahren,“ gab ihm der Küster zurück, „auf den Kirchhof bringe ich die Hexe nimmermehr! Eingraben nutzt nichts; ich werde sie auf den Kreuzweg tragen. Wenn’s gerade keine Erzzauberin ist, kommt sie dann nimmermehr.“
„Ja, ja, auf den Kreuzweg, das ist gut!“ meinte der Pastor und warf dem Küster einen Beutel mit hundert Thalern zu; und der Küster steckte das Geld in die Tasche und führte das Fohlen samt der Großmutter in das Schulhaus hinein.
Gegen Abend machte er sich diesmal wirklich mit ihr auf den Weg nach dem Kirchhofe. Als er aber auf der Dorfstraße war, sah er einen Kramjuden auf einem Stein am Wege sitzen und schlafen; und vor ihm stand sein Sack, den er mit Wollen- und Leinenzeug angefüllt [122] hatte, um es zum Weihnachtsfest an die Leute zu bringen. Eins fix drei hatte der Küster das Zeug aus dem Sack herausgepackt und dafür die Großmutter hineingelegt, dann machte er, daß er mit dem Zeuge und dem leeren Sack in das Schulhaus zurückkam.
Der Jude war so müde, daß er die ganze Nacht auf dem Steine zubrachte; denn in den Krug ging er nicht, dazu war ihm der Groschen Schlafgeld zu schade. Als nun der Morgen anbrach, sprach er bei dem Prediger vor und fragte ihn, ob er nichts zum Feste einkaufen wolle.
„Kram deinen Pack nur auf,“ erwiderte der Pastor. Kaum hatte der Jude jedoch den Knoten gelöst und den Sack zurückgeschlagen, so rief er:
„Weh mir, weh mir, was ist geschehen! Hab’ ich gehabt Zeug, steckt nun im Sack eine Leiche.“
Und da er, wie alle Juden, vor Toten eine große Furcht hatte, lief er davon, ließ Sack und Pack im Stich und wurde in dem Dorfe nie wieder gesehen.
Der Pastor aber ging zum Küster und sprach:
„Nun hatte er die alte Hexe so hübsch über den Kreuzweg gebracht, da muß sie der dumme Jude finden und zu mir ins Haus schleppen. Küsterchen, trag’ er sie noch einmal über den Kreuzweg!“
„Bei Leibe nicht, Herr Pastor,“ antwortete der Küster, „da ist mir denn doch meine Seele zu lieb!“
„Ach, Küsterchen, es gilt eine gute Sache,“ bat der Pastor, „er soll auch noch einmal hundert Thaler erhalten.“
„Über den Kreuzweg tragen nützt nichts mehr,“ [123] erwiderte der Küster und strich die hundert Thaler ein, „ich werde die alte Hexe über neun Grenzscheiden tragen. Wenn das nicht hilft, dann hilft nichts mehr.“
„Thu’ er das, Küsterchen,“ sagte der Pastor, „ich werde auch recht für ihn beten.“ Sprach’s und ging davon.
„Jetzt ist er genug gerupft,“ dachte der Küster, „die Federn müssen ihm wieder wachsen!“ Er nahm den Sack mit der alten Großmutter und ging damit, als es dunkel wurde, auf den Kirchhof.
Wie er aber in das Gebüsch kam, saßen da zwei Diebe, die hatten dem Großbauern den ganzen Speck aus der Räucherkammer gestohlen. Als sie den Küster mit dem grauen Sacke auf dem Buckel erblickten, dachten sie, es wäre ein Gespenst, und flohen davon und versteckten sich hinter einem Grabhügel; die beiden Säcke mit Speck ließen sie unter dem Buschwerk zurück.
„Ende gut, alles gut!“ sagte der Küster, nahm die beiden neuen, weißen Säcke mit Speck und kehrte damit in das Schulhaus zurück, die alte Großmutter aber ließ er liegen.
Nachdem er fort gegangen war, sprachen die Diebe unter einander:
„Was ist denn das? Grau kam es an, und weiß geht es fort!“ und sie bekamen einen solchen Schrecken, daß sie am liebsten über die Kirchhofmauer auf und davon gegangen wären. Doch in den Säcken stand ihr Namenszeichen, das konnte sie verraten; sie machten sich also auf, um den Speck wieder aufzuladen. Als sie nun statt der zwei Säcke nur den einen Sack erblickten, freuten sie [124] sich über das Gespenst, daß es ihnen den Speck gelassen habe.
„Es war ihm nur um die Säcke zu thun,“ sagten sie; und dann machten sie, daß sie mit dem langen Sack in ihre Wohnung kamen. Dort knüpften sie ihn auf und fanden die alte Großmutter darin.
„Du mein Gott,“ riefen sie erschrocken, „es hat all unsern Speck gefressen und die Säcke obendrein, und dann hat es sich in seinen eigenen Sack gelegt, daß wir es darin begraben sollen!“
Damit das Gespenst ihnen ja keinen Schaden zufügen möchte, trugen sie es darum noch in selbiger Nacht auf den Kirchhof zurück und fanden dort ein offenes Grab, das der Totengräber den Tag zuvor gegraben hatte.
„Schau,“ sprach der eine zum andern, „das hat die Leiche mit ihren eigenen Händen gekratzt und konnte es nicht wieder zuschütten; darum hat sie sich in den Sack gelegt, daß wir sie begrüben.“
Dann legten sie die alte Großmutter fein säuberlich in ihrem Sacke in die Grube hinein und warfen die Erde darauf.
Da hat sie gelegen und wird auch liegen bleiben bis auf den jüngsten Tag. Der Küster aber hatte Hammel- und Schweinefleisch, Weihnachtskuchen und Zeug und Geld und ein starkes, junges Pferd und zwei Säcke mit Speck obendrein. Jetzt konnte er aushalten, bis Marien kam und die Kinder das Schulgeld brachten.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: driten