Der Beruf der evangelisch-lutherischen Kirche zum Amt der Diakonie/10. Stunde

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10. Stunde.
Freitag Abend.

Gebet: O Herr, verleihe allen denen, welche allein bei Dir ihre Zuflucht suchen, daß sie bei Dir auch wahre, ewige Hilfe finden mögen und in Deinem Frieden alles, Welt und Feinde, überwinden können durch Jesum Christum, ihren ewigen Erbarmer. Amen.


 Es sagen die apostolischen Konstitutionen, daß die Diakonisse des „Bischofs Auge“ sein soll, das Organ der Wahrnehmung für ihn, weiter nichts. Die apostolischen Konstitutionen sind in dieser Bestimmung wahrlich noch nicht veraltet und kennzeichnen zur Genüge, wie das Verhältnis des Dienstes der Barmherzigkeit zum Amt der Lehre sein soll. Die immer weiter sich verzweigenden Obliegenheiten des geistlichen Amtes lassen dasselbe solches Auges benötigt erscheinen. Die Eindrücke, welche das Auge dem Herzen und Sinne vermittelt, fehlen in demselben: so muß das Auge nach dem Geheiß des göttlichen Herrn licht sein, um lichte Eindrücke übermitteln zu können. Man hüte sich vor Täuschungen des Auges! Sie müßte der ganze Organismus büßen! – Wie das| Amt lehrt, wehrt, handelt und regiert, so möge die Diakonie ihm die gemachten Beobachtungen, welche hinzu nötig sind, günstig leihen. – Wenn der Dienst der Barmherzigkeit aufhört, in dankbarer Ehrerbietung zum Amt der Lehre zu stehen und sich wider das Amt der Lehre erhebt, so hört es auf, Amt der Barmherzigkeit zu sein und wird seinen Lohn dahin haben. Der Apostel Jakobus weist ja im letzten Verse des 5. Kapitels die gemeinsame Aufgabe an, und sie läßt sich in ihren Einzelheiten reinlich scheiden, wenn man nur will. Es ist in diesem Hause immer eingeschärft worden, daß das Amt der Barmherzigkeit in treuem Gehorsam zum Amt der Lehre zu stehen hat. Man kann dies lesen in den ersten Diktaten Löhe’s wie in dem Diakonissenunterricht des seligen Rektors Meyer. Beide mußten darauf hinweisen, weil beide die Gefahren kannten, die dem Amt der Diakonissendienste erwachsen, wenn es auf eigne Hand „seelsorgert.“ Es ist das ein Zerrbild der Seelsorge, wenn sie unabhängig vom Amt der Lehre ausgeübt wird; denn die Seelsorge ist ein so ernstes, schweres und hartes Amt und läßt den Einzelnen so in eigene Not schauen, erfordert von ihm soviel Takt, daß es sich immer bitter rächen muß, wenn unbefugte Hände es wagen, hineinzugreifen. Möchten Sie sich das recht ernstlich gesagt sein lassen; denn die Absicht, einer andern Seele wohlzutun, ist ja oft nicht zu verkennen; aber die Ausführung scheitert an dem Mangel des innern Taktes. Der Herr allein, der in’s Verborgene sieht, weiß, wie viel gerade da gefehlt wird. Jene Seelsorge, die eigentlich die Seelsorge des berufenen Amts überflüssig machen will, ist keine; denn nirgends ist dem Diakonissendienste andere Seelsorge zugestanden, als der „Weiber Wandel ohne Wort!“ - In diesem wortlosen oder doch wenigstens äußerst zurückhaltenden Wandel liegt die höchste Kraft! – Aber andererseits wäre es doch ganz verkehrt, wenn eine Dienerin Jesu Christi nicht von Ihm zeugen würde und von der Liebe, die sie dringt; der Wandel des Weibes ohne Worte ist eben die größte Verteidigung der Wahrheit des| Evangeliums. Das ist die neidenswerte Macht, die dem Weibe übergeben ist. Daran soll es sich denn auch genügen lassen und soll in der Stille dienen, rein von allem Drängen und aller Methode. In dieser Art liegt die größte Predigt. Warum wollen Sie sich nicht an diesem hohen Berufe genügen lassen? Warum suchen Sie mehr? Es mag ja eine Zeit kommen, wo manchmal die Dienerin der Barmherzigkeit besseren Trost bringt als der Träger des Amts. Ja, es wird die Zeit kommen, wo manch ein Träger des Amtes mit leeren Gründen, die das Herz nicht mehr erwärmen, an den Krankenbetten steht, wenn sie überhaupt da stehen mögen, und da wird die Zeit sein, wo die Dienerin so barmherzig sein und auch das Höchste sagen muß: „Für deine Sünden in den Tod gegeben“. Aber noch ist es so weit nicht. Noch sind viel treue Träger des Amts unter uns, deren höchste Ehre es ist, Seine Gnade und Seinen Frieden zu verkündigen. Daran werden Sie einen Amtsträger erkennen, wie er an den Kranken- und Sterbebetten handelt. Nicht, daß ich Sie damit zu Richterinnen über das Amt setzen wollte. Das Amt erhebt sich über die Kritik des Tages. Es ist ja unser größtes Weh, daß wir nicht mit dem Apostel sprechen können: „Ich bin mir wohl nichts bewußt;“ aber so weit müssen wir doch kommen, dürfen zu sagen: „Es ist mir ein geringes, daß ich von Euch gerichtet werde.“ Wir gehen unaufhaltsam dem Tage entgegen, wo wir, Gott wolle es in Gnaden fügen, „selig, wenn auch nicht fröhlich“ sterben. Aber daran sollen Sie doch den Herzensstand prüfen, wie der einzelne Amtsträger zu den Kranken- und Sterbebetten steht. Es ist ja sehr schön, eine Predigt zu halten, die den Anforderungen der Neuzeit entspricht und es den „Gebildeten“ möglich macht, ohne Stirnrunzeln und Achselzucken den Mann zu hören, der die Lehre von Sünde und Teufel, Hölle und Tod in die Rumpelkammer theologischer Raritäten verwiesen habe. Aber weit schwerer ist, am Sterbebette den Sieg des Lebensfürsten kräftig zu bezeugen. Wie aber, wenn nun das Amt nicht begehrt| wird, und die Schwester doch verlangt wird? Dann sollen Sie hingehen. Halten Sie sich an die wohl erprobten Gebetbücher, an denen unsere Kirche so reich ist, da ihr der Herr eine gelehrte Zunge gegeben, daß sie wüßte, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Wenn Sie das Amt an den Kranken- und Sterbebetten vermissen, dann halten Sie sich an’s Wort und handeln Sie so, als ob das Amt da wäre. Beten Sie kaum frei, das kann man für sich tun; es mag ja Fälle geben, wo man sein Gebet „wie eine Flamme (von Zezschwitz über Löhe) ausströmen läßt“, aber es ist doch die höchste Wonne, agendarisch zu handeln und mit Gegebenen zu wuchern. Denn die Gemeinschaft mit denen, welche diese Gebete mit Tränen gemacht und fleißig gebraucht und Erhöhung derselben erfahren haben, wie der Gedanke an kommende Generationen, denen dieselben Gebete nutzen sollen, hält aufrecht. Sie bedürfen offener Augen für die Schäden der einzelnen Seele, offener Augen für die Not, welche darin steht, daß sie die einzig rechte Wahrheit, Jesum für unsere Sünde in den Tod gegeben, verlassen hat. Das Andere, was Ihnen not tut, ist der rechte Takt. Sie haben immer mit einer sterbenden Seele zu tun, wenn Sie mit einer irrenden zu tun haben. Und es ist ein weltliches Wort: „Mit Toten geh’ barmherzig um!“ Auf den rechten Takt in der Seelsorge kommt so viel an. Nur nicht drängen, sondern abwarten und Geduld haben mit einer sterbenden, weil im Irrtum lebenden Seele. Der rechte Takt wird dann Ihnen werden, wenn Sie persönlich ganz und voll erfüllt sind von dem Dank für alles das, was Ihnen der Herr durch das Amt geschenkt hat. Wenn man so sieht, wer Gutes am Krankenbette gewirkt hat, dann waren es die einfältigen Seelen. „Selig sind, die geistlich arm sind“, die sich ganz und gar unter das Joch Jesu beugen. Zum Auge der Wahrnehmung, zum richtigen Takt muß sich dann gesellen das richtige Mittel: „Er wird bedecken die Menge der Sünden.“ Der Apostel meint, er wird die Menge der Sünden in das Wort| hinein nehmen: „Auch für deine Sünden in den Tod gegeben.“ Das ist das einzig rechte Mittel, daß die Menge der Sünden bedeckt wird durch das Verdienst Jesu Christi. Sie sollen alles dem Verdienste Jesu zutrauen und befehlen und die Gnade rühmen in Wort, Wandel und Tat. Man soll nicht viel reden über das, was man bei Kranken erfahren; denn die seligsten und besten Erfahrungen bleiben doch, daß man einen Menschen in Frieden heimgehen gesehen.
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 „Bedecken die Menge der Sünden mit dem Verdienste Jesu Christi.“ Damit ist zunächst ihr Verhältnis zum Amt, das gemeinsame Tun mit dem Amte der Lehre ausgesprochen. Wenn ich recht sehe, wird das Amt der Barmherzigkeit einer Zukunft entgegengehen, in der es dasselbe gelüsten mag, sich vom Amte der Lehre zu lösen. Es würde damit seine Mutter verleugnen. Sie sollen aber wieder, wie so oft gesagt, vor allen Dingen beten, – wenn Sie es nicht tun, wer soll es denn tun? – daß der Herr das teure Amt Seiner Kirche recht erhalten möge. Einen Menschen, für den ich beten kann, wenn er mir auch noch so wehe getan, den habe ich lieb. Halten Sie es mit dem Amt der Lehre und lassen Sie keinen Tag vergehen, ohne daß Sie für dies Amt herzlich bitten, es möge der Herr begeisterte, treue und nüchterne Zeugen in Seine große und ernste Aufgabe senden. Besonders jetzt, wo wieder der Zulauf zum Amt der Lehre ein großer wird, haben wir den Herrn ernstlich zu bitten, daß Er die Träger desselben immer völliger mache. Das Amt leidet sehr unter der Gefahr, abgestumpft zu werden; „Denn jeder Mensch kann frömmer sein als der, der täglich fromm sein sollte.“ Die so hineinsehen in die Tiefen der Sünde einerseits und in die Gleichförmigkeit und Ruhe des Lebens auch ohne Evangelium andererseits, stehen in großer Gefahr. Darum sollen wir bitten, daß nur Bekehrte, wirklich Bekehrte, oder wenigstens solche, die in täglicher Reue und Leid vor dem Herrn stehen möchten, das Amt führen. Das Amt der Barmherzigkeit| soll gemeinsam mit dem Amt der Lehre die Wahrheit verteidigen. Hat das Amt der Lehre mehr in Wort und Wandel die Wahrheit des Evangeliums zu vertreten, so das Amt der Barmherzigkeit zunächst in dem dienenden Wandel allein. Aber dieser Wandel hat die große Verheißung, daß auch Ungläubige geheiligt werden durch solche Frauen, die gläubig treu ihrem Herrn nachfolgen. Die Macht des Evangeliums, in so schwachen Gefäßen dargestellt und eingegossen, ist eine gewaltig überzeugende.

 Den rechten Blick für die Schäden der Zeit lassen Sie sich schärfen, indem Sie alle die Zeichen und Zeiten prüfen, nach und an untrüglichem Maße, den rechten Takt lassen Sie sich schenken, mit dem Sie warten können, bis es an Sie kommt, auch mit dem Wort Zeugnis zu geben, und das rechte Mittel: Jesu Christi Verdienst preisen und rühmen, welches allein die Seelen kann selig machen. –

 Und das Amt der Lehre wird sich dann auch freundlich zu diesem Ihrem Amte begeben und wird herzlich die einzelne Dienerin der Barmherzigkeit als Mitgehilfin in gleichem Auftrage und als Geleiterin zu gleichem Ziele begrüßen. Das Ideal ist wiederum in unserer Kirche vertreten: Das organische Ineinandersein ist evangelisch-lutherisch, das unverbundene Nebeneinandersein ist reformiert, die sklavische Unterordnung ist katholisch.

 Haben wir so von den Beziehungen der Schwester zum Amte gesprochen, so lassen Sie mich jetzt beginnen: Die Schwester und das Mutterhaus.

 Wenn ein Reich mit ihm selbst uneins wird, wie mag es bestehen, und je größer die Schar der Schwestern wird, desto mehr fürchten wir, die berufenen Leiter dieses Hauses, daß sich der Dissensus einstelle, ohne daß wir es ahnen. Es sind ja die Leiter irrende und fehlende Menschen, aber doch solche, die sich vom Herren wollen bekehren, lenken und leiten lassen, und um ihres Amtes willen soll man ihnen mit Vertrauen entgegen kommen. „Seid friedsam mit ihnen.“ Es kann mit Fug das| Wort jenes alten römischen Schriftstellers hieher bezogen werden: „Es ist die Sache des Soldaten, daß er die Großtaten des Feldherrn sich selber zueigne, während er für die Fehler des Heeres den Feldherrn verbindlich macht.“ „So soll es nicht sein unter Euch“, sondern die innere gliedliche Verbindung muß also sein, daß „einer des andern Last trägt.“ Es wird viel gefehlt durch Mangel an innerer Zusammengehörigkeit, und muß erschreckend wirken, wenn allmählich „Konventikel“ sich bilden. Zwar halte ich das für etwas gesundes, wenn im Rahmen der Gesamtheit Kreise mit besondern Anschauungen sich bilden, wenn unbeschadet der gemeinsamen Ziele, unbeschadet der angelobten Treue, einzelne sich näher zusammenschließen, um besonderer Aufgaben willen, wie im großen Ganzen der Kirche. Wenn aber in diesen engeren Kreisen gegen die Gesamtziele gehandelt wird, dann wolle der Herr den leitenden Persönlichkeiten diejenige Rücksichtslosigkeit schenken, die in solchen Fällen das einzig Richtige ist. Man kann ja den einzelnen Persönlichkeiten nicht Sympathieen vorschreiben, aber den Gehorsam kann man vorschreiben, und wenn der innere noch nicht da ist, muß der äußere erzwungen werden. Meisterlosigkeit und Subjektivität sollen nicht geduldet werden. Wer die Bürde des Amts trägt, der habe auch die Würde ganz und voll. Nicht Liebe wird zunächst verlangt, aber Gehorsam. Nicht Sympathieen werden umworben, die mögen kommen oder ausbleiben, aber der Gehorsam wird ernstlich gefordert werden. So lange das nicht der Fall ist, ganz und bloß, so lange steht die einzelne Schwester nicht recht zu ihrem Mutterhause. Das Frondieren hat nie gut getan, und wir leben hier in sehr durchsichtigem Gehäuse. Da, wo so viele Geister auf einen Platz gebannt sind, wo so viel Blicke auf die einzelne Persönlichkeit gerichtet sind, werden allmählich auch Gedanken gelesen, sie sickern durch die Mauern. Darum ist es auch notwendig, daß man alle gute Treue erzeige. Etwas anders ist es, wo man mit Recht glaubt, daß die leitenden Persönlichkeiten irren.| Das wollte Gott nicht, daß diese oben auf einsamer Höhe stehen, in das Bewußtsein unantastbarer Fehllosigkeit mit hoher Würde gehüllt, sondern daß allezeit solche Persönlichkeiten um sie sind, die da nicht in knechtischer Schmeichelei ihren Obern huldigen, sondern die das rechte Wort sprechen zur Zeit und zur Unzeit, „Paladine der leitenden Persönlichkeiten.“ Dann ist es wohlbestellt in einem Mutterhause. Im ganzen ist ja, Gott lob, das Gefühl der Zusammengehörigkeit vorhanden; aber ob nicht manchmal der Gehorsam ein treuerer sein könnte? Es ist ja schwer gehorchen; aber es ist auch lohnend, und gerade die Herrschenden wissen am besten, daß Gehorchen viel leichter ist, als Befehlen. Wenn man aber recht zu seinen Obern steht, dann kann man auch freudig gehorchen, es liegt eine große erziehliche Macht in dem Gehorsam.
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 Es ist für leitende Persönlichkeiten nicht bloß hier, sondern in allen Kreisen keine Gefahr größer als die der Menschenverachtung. Wenn man sieht, mit welchen Mitteln man sich Sympathieen erkaufen könnte, wenn man wahrnimmt, wie Sympathieen gemacht werden, so ekelt einen dieser losen Speise. Aber es wäre furchtbare Sünde, wenn man sich von der Menschenverachtung, ja nur zu ihr fortreißen ließe, weil sie aus großem Hochmut entstände. „Lieber, verachte den nicht, für den Christus gestorben ist.“ Es muß nur darauf von Ihnen recht gesehen werden, daß Sie immer weg von allem Menschlichen allein auf das Amt Ihrer Vorstände sehen. Das schließt ja nicht aus, daß man es treulich auch sonst mit ihnen meint, es schließt es vielmehr ein. Aber über allen Persönlichkeiten stehe der freudige Gehorsam zu den Vorständen, welche ihre Aufgabe durchaus nicht zu lösen vermögen, wenn sie nicht freudigen Gehorsams zu Ihnen sich versehen können. Zuerst Amt, dann Person. Habt sie (die Leiter) desto lieber um ihres Amtes willen; wenn man deß gewiß ist, daß der Herr Gott Seine Hand über Wahl und Berufung der Einzelperson gehalten hat, so darf man in dem Amt auch die begnadete (und| belastete) Person lieben. Die Aufgabe wird immer größer; so ist hier mein Wort, das ich nie zurücknehmen werde: „Centralisieren! Nur die strengste monarchische Verfassung kann retten.“ Wir leben nicht im Freistaat. Gerade da, wo unserer Sache eine gewisse Orginalität gewahrt wurde, wo Ihre in Gott ruhenden Väter diese Originalität mehr gepflegt haben, als dem oberflächlichen Beschauer zunächst gut erscheint, gerade da muß die Originalität in Schranken gehalten werden durch das Gebot der Zucht. Das ist nicht Originalität, wenn man seine Sonderbestrebungen und Einzelwünsche geltend macht, sondern das, wenn man den gemeinsamen Weg geht, ohne die eigene Ueberzeugung zu verleugnen. „Auf daß sie alle eins seien“, aber nicht, daß sie alle in langweiliger Einförmigkeit einhergehen. Je selbstbewußter die einzelne Persönlichkeit ihrem Herrn und Heiland gegenübersteht, desto leichter wird ihr das Gehorchen. Ja, der Herr verleihe uns, den Leitenden, daß wir mit fester Hand alle Sonderinteressen niederhalten und, unbekümmert um Lob oder Tadel, den einen Weg gehen, den der Herr meint. Man kann nie hoch genug von seinem Amte denken. Hier muß der Satz gelten, und wenn er noch so hart klingt: „Gerechtigkeit geschehe, und wenn die Welt zu Grunde ginge.“ Wir haben in der Kraft des Herrn die sich Erhebenden zu demütigen, aber den Demütigen in hingebender dienender Liebe nahe zu sein. Wir haben die Pflicht, andere auf diesem Wege zu bewahren. Es geht durch die ganze Zeit der Hauch der Treulosigkeit, sonderlich gegenüber unserm einigen Herrn: „Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche.“ Es geht ein Verlangen aus, alle Bande zu zerreißen und alle Seile der Ordnung zu lösen, „wir aber gehören nicht zu denen, die da weichen und verdammet werden, sondern, die da bleiben.“ Nichts ist größer, als so herrschen, daß man es nicht merkt. Das erbitten Sie uns. Es muß Ihnen ein sonderliches Anliegen sein, zu Ihrem Mutterhause recht treu zu stehen. Wer zu direktem oder indirektem Ungehorsam Ihrem Mutterhause gegenüber| Sie irgendwie veranlassen möchte, den müssen Sie meiden. Darin besteht wahrlich nicht die kindliche Treue zum Mutterhaus, daß man die manchfachen, unleugbaren – und auch nicht geleugneten – Schäden schonungslos aufdeckt, sondern darin, daß man auf Fehler barmherzig aufmerksam macht. Man soll uns nicht verschweigen, wo wir fehlen, wir wollen es ihnen gegenüber auch nicht tun; aber es soll die rechte Ehrerbietung gewahrt werden denen, welchen Ehre gebührt, denen, die der Herr an die Spitze gestellt hat. Sie bedürfen dieser Ehrerbietung gar sehr, der Treue, wenn sie nicht erlahmen sollen. Es ist ja ohnehin, auch im Besitze mit dieser Treue, so schwer. Sie haben manchmal den Eindruck sinkender Welten. Stützen Sie unsere Hände durch Ihr Gebet, auf daß wir siegen mögen über uns selbst, über unsere offnen und geheimen Feinde, über die Gefahren, die aus unserm Naturell, aus unserer Schwachheit und Fehlsamkeit erwachsen müssen. Beten Sie für uns, das ist der beste und der größte Dank, den Sie uns erstatten können. Es muß für Sie ein großer Gedanke sein, einem solchen Hause anzugehören, und Stolz kann auch Christentugend sein. „Worauf bist Du so stolz! Auf meine Heimat!“ Wer nicht Liebe zur irdischen Heimat hat, wie kann der Liebe haben zu dem Jerusalem, das droben ist? „Wer seine Mutter nicht liebet, die er sieht, wie kann der Gott lieben, den er nicht siehet?“ Wer das Mutterhaus nicht liebt, dem er angehört, wie kann der das himmlische Vaterhaus lieben? Das stehe fest und unwandelbar: Wer nicht das Mutterhaus liebt, der liebt auch das Vaterhaus droben nicht. Wenn es an dem wäre, daß man nur auf Kosten des Vaterhauses droben das Mutterhaus lieben könnte und dürfte, so müßten die Steine auseinanderbersten; aber es ist glücklicherweise nicht an dem. Noch ist bei aller Sünde die Gnade sehr mächtig, und bei aller Schwachheit werden Siege errungen, die dem Herrn wohlgefallen. Eben darum lieben Sie Ihr Mutterhaus in rechter Treue, in der Liebe, welche manche Schäden schön findet und manches Schöne schädlich.| Lieben Sie Ihr Mutterhaus in der Liebe, welche auch die Einfachheit und die manchmal noch sich zeigende Primitivität kindlich achtet und liebt. Und wer das Mutterhaus liebt, liebt auch die Persönlichkeiten, die an ihm gewirkt haben. „Der ehrt die Toten, der, wie sie wünschen, lebt.“ Und wir sind die letzten, welche dieser Ehrung der Toten irgend Abbruch machten. Freuet Euch, daß ihre Namen im Himmel angeschrieben sind. Diese Ehrung bezeigt sich doch wahrlich nicht in äußeren Formen weder nach der einen noch nach der andern Seite, sondern in dem bleibenden Danke gegenüber dem Herrn, dem diese Persönlichkeiten nachgegangen sind und nachgeführt haben. Warum will man in den Dank für Tote und ihre einstige Treue Schattierungen hineinbringen, in die Pietät falsche Gefühle mengen? Ehren Sie die Toten, die im Herrn starben, deren einer gründete, der andere baute. „Es ist aber weder der da pflanzet, noch der da begießet etwas, sondern Gott allein, der das Gedeihen gibt“, und wenn sie jetzt da stünden, so würden sie von sich selber hinweisen auf Den, der sie erlöst hat. Ihr Dank wird sich ja zunächst auf Den beziehen, den Sie gekannt und geliebt haben, auf meinen in Gott ruhenden Vorgänger; aber auf ihn allein soll er nicht so wenig als auf die Person des unvergeßlichen Löhe. All der Dank gebührt Dem allein, der ein Herr der Geister ist. Ach, daß in diesem Mutterhause nie aussterbe die Pietät gegen die Toten! Der Geist des Herrn will keine Schablonen und wehet, wo er will und wie er will. Der Geist des Herrn hat auch wieder andere Zeiten, aber wir wollen uns doch dessen freuen, daß Er immer wieder das rechte Wort schenkt, wenn man Ihn darum bittet. Es wäre sehr mißgetan und würde nur traurig sein, wenn man sich feierlich erst verwahren müßte gegen den Vorwurf der Pietätslosigkeit. Der Herr schenke Ihnen allen die rechte Pietät, welche auch die Beschränkung geliebt, die vergebene Sünde geliebt hat um dessen willen, der vergeben hat. So sollen Sie zu Ihrem Mutterhause stehen. Und wenn ich zunächst von den| beiden Männern sprach, die dieses Mutterhaus leiteten, die in Anbau und Ausbau Großes geleistet haben, so darf ich doch auch schließen mit einem Hinweis auf treue und große Schwestern unter uns, die heimgegangen sind, deren Gedächtnis in sinniger Weise durch die Epitaphien Ihres Mutterhauses gefeiert und bewahrt wird. Ihr Größtes war, in der Einfachheit viel zu leisten. Ja, gedenken Sie jener großen Schwestern unter uns, welche einfach ihren Weg gegangen sind, und bleiben Sie bei der Einfachheit. Davor darf ich ja als Ihr Seelsorger Sie warnen, daß nicht unter Ihnen einreiße ein Geist, der der Bequemlichkeit huldigt, es sind doch viele Schwestern aus Verhältnissen gekommen, die nur einfach genannt werden können, und das ist ja an sich kein Schade. Je anspruchsloser der Mensch ist, desto näher ist er seinem Herrn, der nicht hatte, da Er Sein Haupt hinlegen konnte, über alles aber verbinde der Herr Sie und uns zur gemeinsamen Aufgabe. Man spüre uns es ab, daß wir Ewigkeitsluft atmen. Beten Sie für uns, daß wir alles unter dem einen Gesichtspunkt der frohen Ewigkeit an sehen. Dann wollen wir mit dem Apostel rühmen: „Unsere Trübsal, die zeitlich und sehr leicht ist, schaffet eine ewige und über alle maßen wichtige Herrlichkeit“ uns, die wir in Ewigkeitsluft leben und von ihr leben. Gott verleihe uns all den Seinen Ewigkeitsgedanken aus Gnaden. Amen.

Ich will Dich immer treuer lieben,
Mein Heiland, gib mir Kraft dazu.
Die Welt hat mich lang’ umgetrieben!
Nun schenkst Du mir die wahre Ruh:
Die Ruh, mit der nichts zu vergleichen,
Der alle Königskronen weichen,
Die uns den Himmel offen zeigt,
Ach, daß ich ganz in Lieb’ zerflösse,
Vor Deiner Liebe Wundergröße,
Die alles Wissen übersteigt.


| Gebet: Hilf, o Herr, daß dieses Haus, welches auf dem ewigen Grundstein Deines lieben Sohnes ist erbaut, auch auf diesem ewigen Fels des Heils stets gegründet bleibe. Schenke ihm, daß alles Weh unter Dein Kreuz sich stelle, daß alle Freude von Dir geläutert werde. Verleihe, ewiger Herr, daß alles, was geschieht in Worten oder Werken, im Namen Jesu Christi geschehe, der in diesem Hause gefeiert ist und durch dies Haus soll gepriesen werden jetzt in Schwachheit, dermaleinst in ewiger Vollendung, wenn alles neu geworden. Ja Herr, hilf und segne Dein Volk in ewigem Gedenken. Amen.





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