Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren/Siebentes Capitel
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- Allgemeine Wirkung des Kummers auf den Körper. — Schräge Stellung der Augenbrauen im Leiden. — Über die Ursache der schrägen Stellung der Augenbrauen. — Über das Herabdrücken der Mundwinkel.
Wenn der Geist unter einem heftigen Anfalle von Gram gelitten hat und die Ursache hält noch immer an, so verfallen wir in einen Zustand der Niedergeschlagenheit; oder wir können uns auch im äußersten Grade verloren und niedergedrückt fühlen. Lange anhaltender körperlicher Schmerz führt, wenn er nicht geradezu äußerste Seelenangst veranlaßt, allgemein zu demselben Seelenzustande. Wenn wir in der Erwartung eines Leidens sind, so sind wir in Angst; wenn wir keine Hoffnung auf Erlösung haben, so verzweifeln wir.
Personen, welche an excessivem Kummer oder Gram leiden, suchen sich häufig durch heftige und beinahe wahnsinnige Bewegungen Erleichterung zu verschaffen, wie in einem früheren Capitel beschrieben wurde; wird aber ihr Leiden in etwas gemildert, dauert es aber noch fort, so haben sie keinen Wunsch mehr nach Thätigkeit, sondern bleiben bewegungslos und passiv oder schwanken gelegentlich hin und her. Die Circulation wird träge, das Gesicht bleich; die Muskeln werden schlaff, die Augenlider matt; der Kopf hängt auf die zusammengezogene Brust herab; die Lippen, Wangen und der Unterkiefer sinken alle unter ihrem eigenen Gewichte herab. Es sind daher die ganzen Gesichtszüge verlängert, und von einer Person, welche eine schlimme Nachricht hört, sagt man, daß sie ein langes Gesicht mache. Eine Gesellschaft Eingeborner im Feuerlande versuchte uns zu erklären, daß ihr Freund, der Capitän eines Segelschiffes, niedergeschlagen sei; [162] und zwar thaten sie dies dadurch, daß sie ihre Backen mit beiden Händen herabzogen, um ihr Gesicht so lang als möglich erscheinen zu machen. Mr. Bunnet theilt mir mit, daß die Eingebornen von Australien, wenn sie niedergeschlagen sind, den Mund hängen lassen. Nach lange anhaltendem Leiden werden die Augen matt und verlieren den Ausdruck; auch werden sie häufig leicht mit Thränen unterlaufen. Die Augenbrauen werden nicht selten schräg gestellt, was eine Folge davon ist, daß ihre innern Enden in die Höhe gezogen werden. Dies ruft eigenthümlich geformte Furchen auf der Stirn hervor, welche von denen eines einfachen Stirnrunzelns sehr verschieden sind; doch kann in einigen Fällen allein ein Stirnrunzeln vorhanden sein. Die Mundwinkel werden abwärts gezogen; und dies wird so ganz allgemein als ein Zeichen einer gedrückten Stimmung erkannt, daß es beinahe sprichwörtlich geworden ist.
Das Athmen wird langsam und schwach und wird häufig von tiefem Seufzen unterbrochen. Wie Gratiolet bemerkt, vergessen wir, sobald nur unsere Aufmerksamkeit lange auf einen Gegenstand gerichtet ist, zu athmen und erleichtern uns dann durch eine tiefe Inspiration; die Seufzer einer in Trauer befangenen Person sind aber als Folge der langsamen Respiration und trägen Circulation außerordentlich characteristisch.[1] Wenn der Kummer einer Person in diesem Zustande gelegentlich wiederkehrt und sich zu einem Paroxysmus verschärft, dann ergreifen Krämpfe die Respirationsmuskeln, und sie fühlt, als wenn irgend Etwas, der sogenannte globus hystericus, in ihrer Kehle aufstiege. Diese krampfhaften Bewegungen sind offenbar mit dem Schluchzen der Kinder verwandt und sind Überbleibsel jener heftigeren Krämpfe, welche eintreten, wenn man von einer Person sagt, daß sie vor excessivem Kummer ersticke.[2]
Schräge Stellung der Augenbrauen. — Allein zwei Punkte der oben gegebenen Beschreibung erfordern weitere Erläuterung, und [163] zwar sind dieselben sehr merkwürdig: nämlich das in die Höhe Ziehen der innern Enden der Augenbrauen und das Herabziehen der Mundwinkel. Was die Augenbrauen betrifft, so kann man wohl gelegentlich sehen, daß sie bei Personen, welche an tiefer Niedergeschlagenheit leiden oder voller Sorgen sind, eine schräge Stellung annehmen; so habe ich z. B. diese Bewegung bei einer Mutter gesehen, welche von ihrem kranken Sohne sprach; zuweilen auch wird sie durch völlig unbedeutende oder momentan vorübergehende Ursachen wirklicher oder vorgeblicher Trübsal veranlaßt. Die Augenbrauen nehmen diese Stellung dadurch an, daß die Zusammenziehung gewisser Muskeln (nämlich der kreisförmigen, der Augenbrauenrunzler und des Pyramidenmuskels der Nase, welche zusammen die Augenlider herabzuziehen und zusammenzuziehen streben) durch die kraftvollere Zusammenziehung der centralen Bündel des Stirnmuskels zum Theil gehemmt wird. Diese letzteren Bündel erheben durch ihre Zusammenziehung allein die innern Enden der Augenbrauen; und da die Augenbrauenrunzler in derselben Zeit die Augenbrauen zusammenziehen, so werden ihre innern Enden in eine große Falte oder einen Klumpen zusammengelegt. Diese Falte ist in der Erscheinung der Augenbrauen, wenn sie schräg gestellt sind, in hohem Grade characteristisch, wie in den Figuren 2 und 5 auf Tafel II. zu sehen ist. Die Augenbrauen erscheinen gleichzeitig etwas rauh in Folge des Umstandes, daß die Haare vorstehend gemacht sind. Dr. J. Crichton Browne hat auch häufig bei melancholischen Patienten, welche ihre Augenbrauen beständig in einer schrägen Stellung halten, „eine eigenthümliche spitze Wölbung des obern Augenlides“ beobachtet. Eine Spur hiervon ist bei der Vergleichung des rechten und linken Augenlides des jungen Mannes in der Photographie (Fig. 2, Taf. II.) zu bemerken; denn er war nicht im Stande, gleichmäßig auf beide Augenlider zu wirken. Dies zeigt sich auch an der Ungleichheit der Furchen auf den beiden Seiten seiner Stirn. Dieses spitze Wölben der Augenlider hängt, wie ich glaube, davon ab, daß nur die innern Enden der Augenbrauen in die Höhe gezogen werden; denn wird die ganze Augenbraue in die Höhe gehoben und gebogen, so folgt das obere Augenlid in einem geringen Grade derselben Bewegung.
Das am allermeisten auffallende Resultat der einander entgegengesetzten Zusammenziehung der oben erwähnten Muskeln wird aber durch die eigenthümlichen sich auf der Stirn bildenden Furchen dargeboten. [164] Man kann diese Muskeln, wenn sie so in Verbindung, aber in entgegengesetzter Richtung in Thätigkeit treten, der Kürze wegen die „Gram-Muskeln“ nennen. Wenn eine Person ihre Augenbrauen durch Zusammenziehung des ganzen Stirnmuskels erhebt, so erstrecken sich quere Falten über die ganze Breite der Stirn; in dem vorliegenden Falle werden aber nur die mittleren Bündel zusammen gezogen; in Folge dessen bilden sich quere Furchen allein über dem mittleren Theile der Stirn. Die Haut über dem äußeren Theile der Augenbrauen wird gleichzeitig durch die Zusammenziehung der äußern Partien der Kreismuskeln nach abwärts gezogen und geglättet. Es werden auch die Augenbrauen durch die gleichzeitige Zusammenziehung der Augenbrauenrunzler einander genähert;[3] und diese letztere Handlung bringt senkrechte Furchen hervor, welche den äußern und herabgezognen Theil der Stirnhaut von dem mittleren und in die Höhe gehobenen scheiden. Die Verbindung dieser senkrechten Furchen mit den mittleren und queren Furchen (s. Fig. 2 und 3) erzeugt auf der [165] Stirn eine Zeichnung, welche man mit der Figur eines Hufeisens verglichen hat; streng genommen bilden aber diese Furchen die drei Seiten eines Vierecks. An der Stirn erwachsener oder nahezu erwachsener Personen sind dieselben häufig ganz deutlich, wenn die Augenbrauen in der geschilderten Weise schräg gestellt werden; bei kleinen Kindern aber sind sie in Folge des Umstandes, daß sich ihre Haut nicht leicht faltet, nur selten zu sehen oder es lassen sich bloße Spuren derselben nachweisen.
Diese eigentümlichen Furchen sind am besten in Figur 3 Tafel II. auf der Stirn einer jungen Dame dargestellt, welche in einem ganz ungewöhnlichen Grade das Vermögen besitzt, willkürlich auf die erforderlichen Muskeln einzuwirken. Da dieselbe, während sie photographirt wurde, ganz von dem Versuche absorbirt war, so war ihr Gesichtsausdruck durchaus nicht der des Kummers; ich habe daher allein die Abbildung der Stirn gegeben. Fig. 1 auf derselben Tafel, nach Duchenne's Werk[4] copirt, stellt in einem verkleinerten Maßstabe das Gesicht in seinem natürlichen Zustande von einem jungen Manne dar, der ein guter Schauspieler ist. In Fig. 2 ist er abgebildet, wenn er Kummer ausdrückt; wie aber schon vorher bemerkt wurde, sind hier die beiden Augenbrauen nicht in gleichmäßiger Art beeinflußt worden. Daß der Gesichtsausdruck ein richtiger ist, kann man aus der Thatsache schließen, daß von fünfzehn Personen, denen die Originalphotographie gezeigt wurde, ohne irgend einen Schlüssel zu dem, was mit dem Vorlegen des Bildes beabsichtigt wurde, vierzehn sofort antworteten: „verzweifelnder Kummer“, „leidendes Erdulden“, „Melancholie“ u. s. w. Die Geschichte der Fig. 5 ist einigermaßen merkwürdig. Ich sah die Photographie in dem Schaufenster eines Ladens und brachte sie zu Mr. Rejlander, um ausfindig zu machen, von wem sie gemacht worden sei, wobei ich gegen ihn bemerkte, wie pathetisch der Ausdruck sei. Er antwortete: „Ich habe sie gemacht, und der Ausdruck konnte wohl schon pathetisch sein, denn ein paar Minuten später brach der Junge in Weinen aus.“ Er zeigte mir dann eine Photographie desselben [166] Knaben in einem gemüthlichen Gemüthszustande, welche ich habe reproduciren lassen (Fig. 4). In Fig. 6 kann man eine Spur von schräger Stellung an den Augenbrauen entdecken; diese Figur ist aber, ebenso wie Fig. 7, hier mitgetheilt worden, um das Herabziehen der Mundwinkel zu zeigen, auf welchen Gegenstand ich sofort zurückkommen werde.
Es können nur wenig Personen ohne einige Übung willkürlich auf ihre „Gram-Muskeln“ wirken; nach wiederholten Versuchen gelang es indeß einer beträchtlichen Anzahl, während Andere es niemals können. Der Grad der schrägen Stellung der Augenbrauen, mag dieselbe willkürlich oder unbewußterweise angenommen worden sein, ist bei verschiedenen Personen sehr verschieden. Bei einigen, welche allem Anscheine nach ungewöhnlich starke Pyramidenmuskeln haben, hebt die Zusammenziehung der mittleren Bündel des Stirnmuskels, obschon sie energisch sein mag, wie sich durch die viereckigen Furchen an der Stirn zeigt, die innern Enden der Augenbrauen nicht in die Höhe, sondern verhindert es nur, daß sie so tief herabgesenkt werden, als es sonst der Fall gewesen sein würde. So weit ich zu beobachten im Stande gewesen bin, werden die Gram-Muskeln viel häufiger von Kindern und Frauen als von Männern in Thätigkeit gesetzt. Nur selten, wenigstens bei erwachsenen Personen, wirkt körperlicher Schmerz auf sie ein, vielmehr beinahe ausschließlich Seelenangst. Zwei Personen, welche es nach einiger Übung erlangten, ihre Gram-Muskeln wirken zu lassen, fanden, als sie sich im Spiegel betrachteten, daß sie, wenn sie ihre Augenbrauen schräg stellten, gleichzeitig unabsichtlich ihre Mundwinkel herabzogen: und dies ist häufig der Fall, wenn der Ausdruck natürlich angenommen wird.
Das Vermögen, die Gram-Muskeln gehörig in Thätigkeit zu bringen, scheint wie beinahe jede andere menschliche Fähigkeit erblich zu sein. Eine Dame, welche zu einer Familie gehörte, die dadurch berühmt war, daß sie eine außerordentliche Anzahl großer Schauspieler und Schauspielerinnen hervorgebracht hat, und welche selbst den hier besprochenen Ausdruck „mit merkwürdiger Präcision“ wiedergeben kann, erzählte dem Dr. Crichton Browne, daß ihre ganze Familie diese Fähigkeit in einem merkwürdigen Grade besessen habe. Wie ich gleichfalls von Dr. Browne höre, soll sich dieselbe erbliche Neigung bis auf den letzten Nachkommen der Familie erstreckt haben, welcher zu dem Roman „Red Gauntlet“ von Sir Walter Scott Veranlassung [167] gegeben hat; der Held wird hier aber beschrieben, als zöge er seine Stirn bei einer jeden starken Gemüthserregung in eine hufeisenförmige Figur zusammen. Ich habe auch eine junge Frau gesehen, deren Stirn beinahe gewohnheitsgemäß in dieser Weise zusammengezogen zu sein schien, unabhängig von irgend einer während der Zeit gefühlten Erregung.
Die Gram-Muskeln werden nicht sehr häufig in's Spiel gebracht; da ferner ihre Thätigkeit oft nur momentan ist, so entzieht sie sich leicht der Beobachtung. Obgleich die Ausdrucksform, wenn sie zur Beobachtung kommt, ganz allgemein und augenblicklich als die des Kummers oder der Sorgen erkannt wird, so ist doch nicht eine Person unter einem Tausend, wenn sie den Gegenstand nicht eingehend studirt hat, im Stande, genau anzugeben, was für eine Veränderung an dem Gesichte des Leidenden vorgeht. Wahrscheinlich liegt hierin der Grund dafür, daß diese Ausdrucksform, soviel ich bemerkt habe, in keinem Werke der Dichtung, auch nicht einmal beiläufig, erwähnt wird, mit Ausnahme des „Red Gauntlet“ und einem einzigen andern Romane; es gehört aber die Verfasserin des letzten, wie mir gesagt worden ist, zu der oben erwähnten berühmten Familie von Schauspielern, so daß ihre Aufmerksamkeit vielleicht speciell auf diesen Gegenstand hingelenkt worden ist.
Die alten griechischen Bildhauer waren mit dieser Ausdrucksform wohl bekannt, wie es an den Statuen des Laokoon und des Schleifers zu sehen ist; wie aber Duchenne bemerkt, verlängerten sie die queren Furchen auf der Stirn über deren ganze Breite und begiengen damit einen großen anatomischen Fehler; auch ist dies bei einigen modernen Statuen gleicherweise der Fall. Jene wunderbar sorgfältigen Beobachter haben indessen wahrscheinlicherweise eher mit Absicht die Wahrheit zum Zwecke der Schönheit geopfert, als daß sie einen Fehler gemacht hätten; denn rechtwinklige Furchen auf der Stirn würden am Marmor keinen großartigen Anblick dargeboten haben. So viel ich ausfindig machen kann, wird diese Ausdrucksform in ihrem vollständig entwickelten Zustande nicht oft von den alten Meistern auf Gemälden dargestellt, ohne Zweifel aus derselben Ursache. Doch theilt mir eine Dame, welche mit dieser Ausdrucksform vollkommen vertraut ist, mit, daß sie in Fra Angelico's Abnahme vom Kreuz in Florenz ganz deutlich von einer der Personen rechter Hand dargeboten wird; ich selbst könnte noch einige wenige andere Beispiele hinzufügen.
[168] Dr. Crichton Browne widmete auf meine Bitte dieser Ausdrucksform bei den zahlreichen in der West-Riding-Irrenanstalt unter seiner Behandlung stehenden geisteskranken Patienten eingehende Aufmerksamkeit; auch kennt er Duchenne's Photographie von der Thätigkeit der Gram-Muskeln sehr gut. Er theilt mir mit, daß die letztern bei Fällen von Melancholie und speciell von Hypochondrie beständig in energischer Thätigkeit gesehen werden können; und die von ihrer fortwährenden Zusammenziehung abhängigen, bleibend vorhandenen Linien oder Furchen sind für die Physiognomie der zu diesen beiden Classen gehörenden Geisteskranken characteristisch. Dr. Browne beobachtete in meinem Interesse eine beträchtliche Zeit hindurch sorgfältig drei Fälle von Hypochondrie, bei denen diese Gram-Muskeln beständig zusammengezogen waren. Einer dieser Fälle betraf eine 51 Jahre alte Wittwe, welche sich einbildete, alle ihre Eingeweide verloren und in Folge dessen einen leeren Körper zu haben. Sie hatte einen Ausdruck großer Trübsal und schlug ihre halbgeschlossenen Hände stundenlang rhythmisch zusammen. Die Gram-Muskeln waren permanent zusammengezogen und die obern Augenlider waren gewölbt. Dieser Zustand hielt Monate lang an; dann wurde sie hergestellt und ihr Gesicht nahm nun seinen natürlichen Ausdruck wieder an. Ein zweiter Fall bot nahezu dieselben Eigenthümlichkeiten dar; doch waren hier außerdem noch die Mundwinkel herabgezogen.
Auch Mr. Patrick Nicol hat mit großer Freundlichkeit für mich mehrere Fälle in der Sussex-Irrenanstalt beobachtet und mir in Bezug auf drei derselben ausführliche Einzelnheiten mitgetheilt; diese brauchen jedoch hier nicht angeführt zu werden. Aus seinen Beobachtungen an melancholischen Patienten schließt Mr. Nicol, daß die innern Enden der Augenbrauen beinahe immer mehr oder weniger in die Höhe gezogen sind, wobei die Falten auf der Stirn mehr oder weniger deutlich markirt werden. In einem Falle, bei einer jungen Frau, war zu beobachten, daß diese Falten in beständigem Spiele oder beständiger Bewegung begriffen waren. In einigen Fällen sind die Mundwinkel herabgezogen, häufig aber nur in einem unbedeutenden Grade. Ein gewisses Maß von Verschiedenheit in dem Ausdrucke der verschiedenen melancholischen Patienten konnte beinahe immer beobachtet werden. Allgemein hängen die Augenlider matt herab; die Haut in der Nähe ihrer äußern Winkel und unter ihnen ist gefurcht. Die Nasenlippenfalte, welche von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln herab läuft [169] und welche bei weinerlichen Kindern so auffallend ist, ist häufig bei diesen Patienten deutlich ausgesprochen.
Obgleich bei geisteskranken Personen die Gram-Muskeln häufig in beständiger Thätigkeit sind, so werden sie doch in gewöhnlichen Fällen zuweilen unbewußt durch lächerlich unbedeutende Veranlassungen in momentane Thätigkeit gebracht. Ein Herr machte einer jungen Dame als Belohnung ein widersinnig kleines Geschenk; sie gab vor, beleidigt zu sein, und als sie ihm Vorwürfe machte, nahmen ihre Augenbrauen eine äußerst schräge Stellung an, wobei die Stirn die gehörigen Falten bekam. Eine andere junge Dame und ein junger Mann, beide in ausgelassener Laune, sprachen eifrigst mit außerordentlicher Geschwindigkeit auf einander los; dabei bemerkte ich, daß, so oft die junge Dame besiegt wurde und ihre Worte nicht schnell genug hervorbringen konnte, ihre Augenbrauen schräg nach oben gezogen wurden, wobei sich dann rechtwinklige Furchen auf ihrer Stirn bildeten. Gewissermaßen hißte sie in dieser Weise jedesmal die Nothflagge; sie that dies ungefähr ein halbes Dutzend Mal im Laufe weniger Minuten. Ich machte weiter keine Bemerkung über die Sache; bei einer andern Gelegenheit aber bat ich sie, ihre Gram-Muskeln in Thätigkeit zu setzen; ein anderes junges Mädchen, welches dabei war und dies willkürlich thun konnte, zeigte ihr, was dadurch beabsichtigt werde. Sie versuchte es nun wiederholt, doch mislang es ihr vollständig. Und dennoch war eine so unbedeutende Veranlassung zur Trauer, wie das Gefühl nicht im Stande zu sein schnell genug zu sprechen, hinreichend, diese Muskeln immer und immer wieder in energische Thätigkeit zu versetzen.
Der durch die Zusammenziehung der Gram-Muskeln hervorgerufene Ausdruck des Grams oder Kummers ist durchaus nicht auf Europäer beschränkt, scheint vielmehr allen Menschenrassen gemeinsam zuzukommen. Ich habe wenigstens glaubwürdige Schilderungen erhalten in Bezug auf das Vorkommen desselben bei den Hindus, den Dhangars (einem der ursprünglichen Bergstämme von Indien, folglich zu einer ganz andern Rasse gehörig als die Hindus), den Malayen, Negern und Australiern. Was die letztern betrifft, so beantworteten zwei Beobachter meine Fragen bejahend, gehen aber in keine Einzelnheiten ein. Doch fügt Mr. Taplin meinen beschreibenden Bemerkungen die Worte hinzu: „dies ist genau zutreffend“. Was die Neger anlangt, so beobachtete die Dame, welche Fra Angelico's Gemälde gegen mich erwähnte, [170] einen Neger, welcher ein Boot auf dem Nil an einem Taue zog; als er auf ein Hindernis stieß, sah sie, wie seine Gram-Muskeln in heftige Thätigkeit versetzt und auf der Mitte der Stirn scharf ausgesprochene Falten gebildet wurden. Mr. Geach beobachtete einen Malayen in Malacca, dessen Mundwinkel stark herabgezogen waren, dessen Augenbrauen schräg standen und bei welchem kurze tiefe Gruben auf der Stirn vorhanden waren. Dieser Ausdruck währte nur eine kurze Zeit; Mr. Geach bemerkt dazu: „es war ein sehr fremdartiger Ausdruck, dem sehr ähnlich, welchen eine Person darbietet, die über irgend einen schweren Verlust eben in Weinen ausbrechen will.“
Die Eingebornen von Indien sind, wie Mr. H. Erskine gefunden hat, mit dieser Ausdrucksform ganz gut bekannt; Mr. J. Scott, vom botanischen Garten in Calcutta, hat mir mit großer Freundlichkeit eine ausführliche Beschreibung zweier Fälle geschickt. Er beobachtete eine Zeit lang, während er selbst nicht gesehen wurde, ein junges Dhangar-Weib von Nagpore, die Frau eines der Gärtner, welche ihr kleines im Sterben begriffenes Kind pflegte; dabei sah er deutlich, wie die Augenbrauen an den innern Enden in die Höhe gezogen waren, die Augenlider matt herabhiengen, die Stirn in der Mitte gefurcht und der Mund leicht geöffnet war mit stark herabgedrückten Mundwinkeln. Er trat dann hinter einer Wand von Pflanzen vor und redete die arme Frau an; sie fuhr zusammen, brach in eine Fluth bittrer Thränen aus und beschwor ihn, ihr Kind zu heilen. Der zweite Fall betraf einen Hindustani-Mann, welcher in Folge von Armuth und Krankheit gezwungen war, seine Lieblingsziege zu verkaufen. Nachdem er das Geld erhalten hatte, blickte er wiederholt auf das Geld in seiner Hand und dann auf die Ziege, als sei er noch in Zweifel, ob er es nicht zurückgeben solle. Er gieng dann zur Ziege, welche fertig aufgebunden war, um fortgeführt zu werden; das Thier erhob sich und leckte ihm die Hände. Seine Augen schwankten unstät von der einen zur andern Seite; sein „Mund war theilweise geschlossen, die Mundwinkel sehr entschieden herabgedrückt“. Endlich schien sich doch der Arme dazu zu entscheiden, daß er sich von seiner Ziege trennen müsse; und nun wurden, wie Mr. Scott sah, die Augenbrauen leicht schräg gestellt mit der characteristischen Faltung oder Schwellung an den innern Enden, es waren aber keine Falten auf der Stirn vorhanden. Der Mann stand eine Minute lang [171] so da; dann brach er nach einem tiefen Seufzer in Thränen aus, hob seine beiden Hände auf, segnete die Ziege, drehte sich herum und gieng davon, ohne sich noch einmal umzusehen.
Über die Ursache der schrägen Stellung der Augenbrauen im Leiden. — Mehrere Jahre lang schien mir keine Ausdrucksform so verwirrend zu sein wie diejenige, die wir hier betrachten. Was könnte die Ursache sein, daß sich bei Kummer oder bei Sorgen allein die mittleren Bündel des Stirnmuskels in Verbindung mit denen rings um das Auge zusammenziehen? Es scheint hier eine complicirte Bewegung vorzuliegen zu dem alleinigen Zweck, Gram oder Kummer auszudrücken; und doch ist dies ein verhältnismäßig seltener Ausdruck, der auch häufig übersehen wird. Ich glaube, die Erklärung ist nicht so schwierig, wie es auf den ersten Blick erscheint. Dr. Duchenne theilt eine Photographie des vorhin erwähnten jungen Mannes mit, als er nach aufwärts auf eine stark erleuchtete Fläche sah, dabei zogen sich seine Gram-Muskeln unwillkürlich in einer übertriebenen Art zusammen. Ich hatte diese Photographie vollständig vergessen, als ich an einem sehr hellen Tage, die Sonne hinter mir, während ich ausritt, einem Mädchen begegnete, dessen Augenbrauen, wie sie zu mir heraufsah, außerordentlich schräg gestellt wurden mit den eigenthümlichen Furchen auf der Stirn. Dieselbe Bewegung habe ich dann unter ähnlichen Umständen bei mehreren späteren Gelegenheiten beobachtet. Bei meiner Rückkehr nach Hause ließ ich drei meiner Kinder, ohne ihnen eine Andeutung meines Zweckes zu geben, so lange und so aufmerksam, wie sie nur konnten, nach dem Gipfel eines hohen, gegen den äußerst glänzenden Himmel stehenden Baumes hinsehen. Bei allen dreien wurden die kreisförmigen Muskeln, die Augenbrauenrunzler und die Pyramidenmuskeln energisch durch Reflexthätigkeit in Folge der Reizung der Netzhaut zusammengezogen, damit ihre Augen vor dem hellen Lichte geschützt würden. Sie versuchten aber ihr Äußerstes, aufwärts zu sehen, und nun ließ sich ein merkwürdiger von krampfhaften Zuckungen begleiteter Kampf zwischen den ganzen Stirnmuskeln oder nur seinem mittleren Theile und den verschiedenen Muskeln, welche dazu dienen, die Augenbrauen herabzuziehen und die Augenlider zu schließen, beobachten. Die unwillkürliche Zusammenziehung der Pyramidenmuskeln verursachte eine quere und tiefe Runzelung auf dem Basaltheile ihrer Nasen. Bei einem [172] der drei Kinder wurden die ganzen Augenbrauen momentan erhoben und gesenkt, und zwar durch die abwechselnde Zusammenziehung des ganzen Stirnmuskels und der die Augen umgebenden Muskeln, so daß die ganze Breite der Stirn abwechselnd gefurcht und wieder geglättet wurde. Bei den zwei andern Kindern wurde die Stirn nur in der Mitte gefurcht, wodurch sich rechtwinklige Falten bildeten; die Augenbrauen wurden schräg gestellt, ihre innern Enden faltig geschwollen, — bei dem einen Kinde zeigte sich dies in einem unbedeutenden Grade, bei dem andern in einer scharf markirten Weise. Diese Verschiedenheit in der schrägen Stellung der Augenbrauen hieng dem Anscheine nach von einer Verschiedenheit in ihrer allgemeinen Beweglichkeit und von der Kraft der Pyramidenmuskeln ab. In diesen beiden Fällen wirkten die Muskeln unter dem Einflusse eines starken Lichtes auf die Augenbrauen und die Stirn in genau derselben Weise und mit jeder characteristischen Einzelnheit, wie unter dem Einflusse des Kummers oder der Sorgen.
Duchenne gibt an, daß der Pyramidenmuskel der Nase weniger unter der Controle des Willens steht als die andern Muskeln rings um das Auge. Er bemerkt, daß der junge Mensch, welcher so gut auf seine Gram-Muskeln, ebenso wie auf die meisten seiner übrigen Gesichtsmuskeln wirken konnte, seine Pyramidenmuskeln nicht zusammenziehen konnte.[5] Es ist indessen ohne Zweifel diese Fähigkeit bei verschiedenen Personen verschieden. Der Pyramidenmuskel dient dazu, die Haut der Stirn zwischen den Augenbrauen, gleichzeitig mit deren innern Enden, herabzuziehen. Die mittlern Bändel des Stirnmuskels sind die Antagonisten des Pyramidenmuskels; und wenn die Thätigkeit des letztern besonders gehemmt wird, so müssen die mittlern Bündel jenes zusammengezogen werden. Wenn daher bei Personen mit kräftigen Pyramidenmuskeln unter dem Einflusse eines hellen Lichts ein unbewußtes Streben eintritt, das Herabsenken der Augenbrauen zu verhindern, so müssen die mittlern Bündel des Stirnmuskels in Thätigkeit gesetzt werden; und wenn deren Zusammenziehung hinreichend stark ist, die Pyramidenmuskeln zu überwältigen, so werden sie zusammen mit der Contraction der Augenbrauenrunzler und der kreisförmigen Muskeln in der eben geschilderten Weise auf die Augenbrauen und die Stirn wirken.
[173] Wenn Kinder schreien oder in Weinen ausbrechen, so ziehen sie, wie wir wissen, die Kreismuskeln, die Augenbrauenrunzler und die Pyramidenmuskeln zusammen, ursprünglich zum Zwecke, ihre Augen zusammenzudrücken und sie hierdurch vor einer Blutüberfüllung zu schützen, später dann aus Gewohnheit. Ich erwartete daher bei Kindern zu finden, daß, wenn sie versuchten entweder den Ausbruch des im Anzuge begriffenen Weinens zu verhindern oder das Weinen zu unterdrücken, sie die Zusammenziehung der obengenannten Muskeln in derselben Weise hemmen würden, wie wenn sie nach aufwärts in helles Licht sehen, daß folglich häufig die mittlern Bündel des Stirnmuskels in Thätigkeit kommen würden. Demzufolge begann ich selbst, Kinder zu solchen Zeiten zu beobachten, und bat Andere, darunter mehrere Ärzte, dasselbe zu thun. Es ist nothwendig, sorgfältig zu beobachten, da die eigenthümlich entgegengesetzte Wirkung dieser Muskeln bei Kindern nicht nahezu so deutlich ist wie bei Erwachsenen, weil bei ihnen die Stirn nicht so leicht gefaltet wird. Ich erkannte aber bald, daß bei derartigen Gelegenheiten die Gram-Muskeln sehr häufig in sehr entschiedene Thätigkeit kamen. Es würde überflüssig sein, hier sämmtliche Fälle anzuführen, welche beobachtet wurden; ich will nur einige wenige einzeln mittheilen. Ein kleines, anderthalb Jahr altes Mädchen wurde von mehreren andern Kindern gequält; ehe es in Thränen ausbrach, wurden die Augenbrauen ganz entschieden schräg gestellt. Bei einem etwas ältern Mädchen wurde dieselbe schräge Stellung beobachtet, wobei die innern Enden der Augenbrauen deutlich faltig anschwollen; gleichzeitig wurden auch die Mundwinkel nach abwärts gezogen. Sobald es in Thränen ausbrach, änderten sich sämmtliche Gesichtszüge und die besondere Ausdrucksform verschwand. Nachdem ferner ein kleiner Junge geimpft worden war, was ihn zu heftigem Schreien und Weinen gebracht hatte, gab ihm der Arzt eine zu diesem Zwecke mitgebrachte Apfelsine, was dem Kinde ungemeines Vergnügen machte; als es zu weinen aufhörte, wurden alle die characteristischen Bewegungen beobachtet, mit Einschluß der Bildung der rechtwinkligen Falten auf der Mitte der Stirn. Endlich begegnete ich auf der Straße einem kleinen, drei oder vier Jahre alten Mädchen, welches von einem Hunde erschreckt worden war; als ich sie frug, was ihr begegnet sei, hörte sie auf zu weinen und im Augenblicke wurden ihre Augen in einem außerordentlichen Grade schräg gestellt.
[174] Wir haben daher hier, wie ich nicht zweifeln kann, den Schlüssel zur Lösung des Problems, warum sich unter dem Einflusse des Kummers die mittlern Bündel des Stirnmuskels und die Muskeln rings um das Auge in Opposition zu einander zusammenziehen, — mag ihre Zusammenziehung eine länger anhaltende sein, wie bei den melancholischen Geisteskranken, oder momentan vorübergehen, wie in Folge irgend einer unbedeutenden Ursache der Trübsal. Wir haben alle als Kinder wiederholt unsere ringförmigen Muskeln, Augenbrauenrunzler und Pyramidenmuskeln zusammengezogen, um während des Schreiens unsere Augen zu schützen; unsere Vorfahren haben viele Generationen hindurch vor uns dasselbe gethan; und obgleich wir wohl mit fortschreitenden Jahren leicht das Ausstoßen von Schmerzensschreien verhindern können, wenn wir uns in Noth fühlen, so können wir doch der langen Gewohnheit wegen nicht immer eine leichte Zusammenziehung der eben genannten Muskeln verhindern; wir bemerken in der That weder deren Zusammenziehung bei uns selbst, noch versuchen wir, sie aufzuhalten, wenn sie nur unbedeutend ist. Die Pyramidenmuskeln scheinen aber weniger unter der Controle des Willens zu sein, als die andern damit in Beziehung stehenden Muskeln; und wenn sie ordentlich entwickelt sind, kann ihre Zusammenziehung nur durch die antagonistische Zusammenziehung der mittlern Bündel des Stirnmuskels gehemmt werden. Das Resultat, welches notwendigerweise daraus folgt, daß diese Bündel energisch zusammengezogen werden, ist das Ziehen der Augenbrauen schräg nach innen und oben, das Zusammenfalten ihrer innern Enden und die Bildung rechtwinkliger Furchen auf der Mitte der Stirn. Da Kinder und Frauen viel reichlicher weinen als Männer und da erwachsene Personen beiderlei Geschlechts nur selten weinen, ausgenommen bei geistiger Trübsal, so können wir einsehen, warum man die Gram-Muskeln, wie es meiner Meinung nach der Fall ist, viel häufiger bei Kindern und Frauen in Thätigkeit sieht als bei Männern, und bei erwachsenen Personen beiderlei Geschlechts nur in Fällen geistiger Trübsal. In einigen der vorhin angeführten Fälle, so in dem des armen Dhangar-Weibes und des Hindustani-Mannes, folgte der Thätigkeit der Gram-Muskeln sehr schnell ein bitteres Weinen. In allen Fällen von Noth, mag dieselbe groß oder klein sein, strebt unser Gehirn in Folge langer Gewohnheit danach, gewissen Muskeln einen Befehl zum Zusammenziehen zu senden, als wären wir noch immer Kinder im Begriffe [175] laut aufzuschreien; diesem Befehle aber sind wir durch die wunderbare Gewalt des Willens und durch die Gewohnheit theilweise entgegenzuwirken im Stande, obschon dies unbewußt geschieht, so weit es die Mittel des Gegenwirkens betrifft.
Über das Herabdrücken der Mundwinkel. — Diese Handlung wird durch die Depressores anguli oris ausgeführt (s. K. in Fig. 1 und 2, S. 22). Die Fasern gehen nach abwärts auseinander, während das obere convergirende Ende rund um die Mundwinkel und an der Oberlippe ein wenig innerhalb der Lippenwinkel[6] befestigt ist. Einige der Fasern scheinen Antagonisten des großen Jochbeinmuskels zu sein, andere die Antagonisten der verschiedenen, zum äußern Theil der Oberlippe gehenden Muskeln. Die Zusammenziehung dieser Muskeln zieht die Mundwinkel, mit Einschluß des äußern Theils der Oberlippe und selbst, in einem geringen Grade, der Nasenflügel nach unten und außen. Ist der Mund geschlossen und wirkt nun dieser Muskel, so bildet die Commissur oder die Verbindungslinie der beiden Lippen eine gekrümmte Linie mit der Concavität nach unten[7] und die Lippen selbst, besonders die Unterlippe, werden meist ein wenig vorgestreckt. Der Mund in diesem Zustande ist recht gut in den beiden Photographien von Mr. Rejlander dargestellt (Taf. II, Fig. 6 und 7). Der obere Knabe (Fig. 6) hatte gerade zu weinen aufgehört, nachdem er von einem andern Knaben einen Schlag in's Gesicht bekommen hatte, und es war gerade der richtige Moment ergriffen worden, ihn zu photographiren.
Der Ausdruck für Gedrücktsein, Kummer oder Niedergeschlagenheit, wie er sich als Folge der Zusammenziehung dieses Muskels darstellt, ist von einem Jeden bemerkt worden, der über den Gegenstand geschrieben hat. Wenn man sagt, daß eine Person „den Mund hängen läßt“, so ist dieser Ausdruck mit dem synonym, daß er gedrückter Stimmung ist. Das Herabziehen der Mundwinkel kann, wie bereits nach der Autorität des Dr. Crichton Browne und des Mr. Nicol gesagt worden ist, oft bei den melancholischen Irren gesehen werden und war sehr gut in einigen, mir von dem erstern der genannten [176] Herren gesandten Photographien von Patienten mit starker Neigung zum Selbstmord ausgesprochen. Bei Menschen, die zu verschiedenen Rassen gehören, ist es beobachtet worden, namentlich bei Hindus, bei den dunklen Bergstämmen von Indien, bei Malayen und, wie mir Mr. Hagenauer mittheilt, bei den Eingebornen von Australien.
Wenn Kinder schreien, so ziehen sie die Muskeln rund um die Augen fest zusammen und dies zieht die Oberlippe in die Höhe; da sie dabei ihren Mund weit offen halten müssen, so werden auch die Niederzieher-Muskeln, welche zu den Mundwinkeln gehen, in starke Thätigkeit gesetzt. Dies verursacht allgemein, aber nicht ausnahmslos eine winklige Biegung in der Unterlippe an beiden Seiten in der Nähe der Mundwinkel. Das Resultat davon, daß auf die Ober- und Unterlippe in dieser Weise eingewirkt wird, ist, daß der Mund eine viereckige Gestalt annimmt. Die Zusammenziehung der Niederzieher-Muskeln ist am besten bei kleinen Kindern zu sehen, wenn sie nicht heftig schreien und besonders gerade, ehe sie beginnen oder wenn sie aufhören zu schreien. Ihr kleines Gesicht nimmt dann einen äußerst bemitleidenswerthen Ausdruck an, wie ich beständig bei meinen eigenen Kindern beobachtete, wenn sie im Alter von ungefähr sechs Wochen und zwei oder drei Monaten waren. Zuweilen wird, wenn sie gegen einen Weinanfall ankämpfen, der Mund in einer so übertriebenen Weise gekrümmt, daß er hufeisenförmig wird und dann wird der Ausdruck des Elends zu einer lächerlichen Carricatur.
Die Erklärung der Zusammenziehung dieses Muskels unter dem Einflusse des Gedrücktseins oder der Niedergeschlagenheit folgt allem Anscheine nach aus demselben allgemeinen Principe wie die der schrägen Stellung der Augenbrauen. Dr. Duchenne theilt mir mit, daß er aus seinen nun während vieler Jahre fortgesetzten Beobachtungen zu dem Schlusse kommt, daß dies einer der Gesichtsmuskeln ist, welcher am wenigsten unter der Controle des Willens steht. Diese Thatsache dürfte in der That schon aus dem gefolgert werden, was so eben über Kinder gesagt wurde, die zweifelhaft zu weinen anfangen oder es versuchen, mit Weinen aufzuhören; denn dann beherrschen sie allgemein sämmtliche andere Gesichtsmuskeln wirksamer als die Niederdrücker der Mundwinkel. Zwei ausgezeichnete Beobachter, welche sich keine Theorie über die Sache gemacht hatten, einer derselben ein Arzt, beobachtete sorgfältig für mich einige ältere Kinder und Frauen, wie dieselben unter etwas entgegenwirkenden Kämpfen sich [177] allmählich dem Punkte näherten, in Thränen auszubrechen; beide Beobachter waren darüber sicher, daß die Niederzieher-Muskeln eher in Thätigkeit zu treten begannen, als irgend einer der andern Muskeln. Da nun die Niederzieher wiederholt viele Generationen hindurch während der frühen Kindheit in heftige Thätigkeit versetzt worden sind, so wird Nervenkraft nach dem Princip lange associirter Gewohnheit streben, nach denselben Muskeln ebenso wie nach den andern Gesichtsmuskeln hinzuströmen, sobald im spätern Leben selbst ein leichtes Gefühl der Trübsal empfunden wird. Da aber die Niederzieher etwas weniger unter der Controle des Willens stehen als die meisten andern Muskeln, so können wir erwarten, daß sie sich häufig in leichtem Grade zusammenziehen werden, während die andern unthätig bleiben. Es ist merkwürdig, eine wie geringe Herabdrückung der Mundwinkel dem Gesicht einen Ausdruck von Gedrücktsein oder Niedergeschlagenheit gibt, so daß eine äußerst unbedeutende Zusammenziehung dieser Muskeln hinreichend ist, diesen Seelenzustand zu verrathen.
Ich will hier eine unbedeutende Beobachtung erwähnen, da sie dazu dient, den vorliegenden Gegenstand zusammen zu fassen. Eine alte Dame mit gemüthlichem, aber in Gedanken vertieftem Ausdruck saß mir in einem Eisenbahnwagen nahezu gegenüber. Während ich nach ihr hinsah, bemerkte ich, daß ihre Depressores anguli oris sehr unbedeutend, aber doch entschieden zusammen gezogen wurden; da aber ihr Gesicht so glatt und mild wie immer blieb, so dachte ich nur darüber nach, wie bedeutungslos diese Zusammenziehung war und wie leicht man getäuscht werden könnte. Der Gedanke war kaum in mir aufgestiegen, als ich sah, wie sich die Augen der Dame plötzlich so mit Thränen füllten, daß sie beinahe überflossen; dabei sank ihr ganzes Gesicht in sich zusammen. Nun konnte darüber kein Zweifel bestehen, daß irgend eine schmerzliche Erinnerung, vielleicht an ein längst verlorenes Kind, ihr durch die Seele zog. Sobald ihr Sensorium in dieser Art afficirt wurde, überlieferten gewisse Nervenzellen aus langer Gewohnheit augenblicklich einen Befehl an alle Respirationsmuskeln und an die Muskeln rings um den Mund, sich auf einen Anfall von Weinen bereit zu machen. Diesem Befehl wurde aber durch den Willen, oder vielmehr durch eine später erlangte Gewohnheit das Gegengewicht gehalten; sämmtliche Muskeln gehorchten diesem Einflusse, mit Ausnahme der Depressores anguli oris, welche in geringem Grade sich zusammenzogen. Der Mund wurde [178] nicht einmal geöffnet, die Respiration war nicht beschleunigt, und kein Muskel wurde afficirt, ausgenommen diejenigen, welche die Mundwinkel herahdrücken.
Sobald der Mund dieser Dame, ihrerseits ganz unwillkürlich und unbewußt, begann, die für einen Anfall von Weinen gehörige Form anzunehmen, konnten wir beinahe sicher sein, daß etwas Nervenkraft durch die lange gewohnten Canäle zu den verschiedenen Respirationsmuskeln, ebenso wie zu den Muskeln rings um das Auge und zu dem vasomotorischen Centrum, welches den Blutzufluß zu den Thränendrüsen beherrscht, überliefert werden würde. Für die letztere Thatsache haben wir in der That einen deutlichen Beweis in der Erscheinung, daß ihre Augen leicht mit Thränen gefüllt wurden; wir können dies auch verstehen, da die Thränendrüsen weniger unter der Controle des Willens stehen als die Gesichtsmuskeln. Ohne Zweifel bestand zu derselben Zeit eine gewisse Neigung in den Muskeln rings um das Auge sich zusammenzuziehen, gewissermaßen, um sie vor dem Überfülltwerden mit Blut zu schützen; diese Zusammenziehung wurde aber vollständig überwältigt und ihre Augenbrauen blieben ungefurcht. Wären die Pyramidenmuskeln, die Augenbrauenrunzler und die Kreismuskeln der Augen so wenig dem Willen gehorsam gewesen, wie sie es bei vielen Personen sind, so wären sie in geringem Grade beeinflußt worden; dann würden sich auch die mittlern Bündel des Stirnmuskels in Antagonismus zusammengezogen haben und ihre Augenbrauen würden schräg gestellt worden sein mit rechtwinkligen Furchen auf der Stirn. Ihr Gesicht würde dann noch deutlicher, als es that, den Zustand der Niedergeschlagenheit oder vielmehr des Kummers ausgedrückt haben.
Durch Vergegenwärtigung solcher Schritte wie der vorstehend geschilderten können wir einsehen, woher es kommt, daß, sobald irgend ein melancholischer Gedanke durch das Gehirn zieht, eine eben wahrnehmbare Herabziehung der Mundwinkel oder ein leichtes Erheben der innern Enden der Augenbrauen eintritt, oder daß selbst beide Bewegungen combinirt werden, und unmittelbar darauf ein leichtes Erfüllen der Augen mit Thränen erfolgt. Ein Zug von Nervenkraft wird mehreren gewohnten Canälen entlang fortgeleitet und ruft auf jedem Punkte, wo der Wille nicht durch lange Gewohnheit bedeutende Gewalt des Eingreifens erlangt hat, eine Wirkung hervor. Die oben erwähnten Thätigkeiten können als rudimentäre Spuren der [179] Schreianfälle betrachtet werden, welche während der frühesten Kindheit so häufig und so anhaltend sind. In diesem Falle, wie in vielen andern, sind allerdings die Vermittlungsglieder wunderbar, welche bei der Erzeugung der verschiedenen Ausdrucksformen im menschlichen Gesicht Ursache und Wirkung mit einander verbinden; sie erklären uns die Bedeutung gewisser Bewegungen, welche wir unwillkürlich und unbewußt ausführen, so oft gewisse vorübergehende Erregungen durch unsere Seele ziehen.
- ↑ Die obigen descriptiven Bemerkungen sind zum Theil meinen eigenen Beobachtungen entnommen, hauptsächlich aber Gratiolet (De la Physionomie, p. 53, 337; über das Seufzen, p. 232), welcher den ganzen Gegenstand sehr gut erörtert hat; s. auch Huschke, Mimices et Physiognomices Fragmentum physiologicum, 1821, p. 21. Über das matte Ansehen der Augen s. Dr. Piderit, Mimik und Physiognomik, 1867, S. 65.
- ↑ Über die Wirkung des Kummers auf die Respirationsorgane s. besonders noch Sir Ch. Bell, Anatomy of Expression, 3. edit. 1844, p. 151.
- ↑ Bei den vorstehenden Bemerkungen über die Art und Weise, wie die Augenbrauen schräg gestellt werden, bin ich der, wie es scheint, ganz allgemeinen Ansicht aller der Anatomen gefolgt, deren Werke ich über die Thätigkeit der oben genannten Muskeln zu Rathe gezogen oder mit denen ich mich unterhalten habe. Ich werde daher im ganzen Verlaufe dieses Werkes eine ähnliche Ansicht von der Wirkung des corrugator supercilii, orbicularis, pyramidalis nasi und der Stirnmuskeln festhalten. Dr. Duchenne indessen glaubt, — und jede Folgerung, zu welcher er gelangt, verdient ernstliche Erwägung, — daß es der von ihm sourcilier genannte Augenbrauenrunzler sei, welcher den innern Winkel der Augenbrauen erhebe und ein Antagonist des oberen und inneren Theils sowohl des Kreismuskels als auch des pyramidalis nasi sei (s. Mécanisme de la Physion. Humaine, 1862, folio, Art. V. Text, und Figuren 19 bis 29; Octavausgabe 1862, p. 43, Text). Er gibt indessen zu, daß der Corrugator die Augenbrauen zusammenziehe und dadurch senkrechte Furchen über der Nasenwurzel oder ein Stirnrunzeln verursache. Er glaubt ferner, daß nach den äußern zwei Drittheilen der Augenbrauen zu der Augenbrauenrunzler in Verbindung mit dem oberen Theile der Kreismuskeln wirke; wobei hier beide in Antagonismus zum Stirnmuskel stehen. Wenn ich mich nach Henle's Abbildung (Holzschnitt, Fig. 3. S. 23) richte, so bin ich nicht im Stande einzusehen, wie der Corrugator in der von Duchenne geschilderten Art wirken kann. S. auch über diesen Gegenstand Prof. Donders' Bemerkungen in den: „Archives of Medicine“ Vol. V. 1870, p. 34. Mr. J. Wood, welcher so bekannt wegen seiner sorgfältigen Studien über die Muskeln des menschlichen Körpers ist, sagt mir, er glaube, die Schilderung, die ich von der Wirkung des Augenbrauenrunzlers gegeben habe, sei correct. Es ist dies aber kein Punkt von irgend welcher Bedeutung in Bezug auf die Ausdrucksform, welche durch die Stellung der Augenbrauen hervorgebracht wird, noch von irgend welcher Bedeutung in Bezug auf die Theorie ihres Ursprungs.
- ↑ Ich bin Dr. Duchenne sehr für die Erlaubnis verbunden, diese beiden Photographien (Fig. 1 und 2) durch den Proceß der Heliotypie aus seinem Foliowerke reproduciren zu lassen. Viele der vorstehenden Bemerkungen über das Falten der Haut, wenn die Augenbrauen schräg gestellt werden, sind seiner ausgezeichneten Erörterung über diesen Gegenstand entnommen.
- ↑ Mécanisme de la Physion. Humaine. Album, p. 15.
- ↑ Henle, Handbuch der Anatomie des Menschen. Bd. 1. 1858. S. 148. Fig. 68 und 69.
- ↑ s. die Schilderung der Wirkung dieses Muskels bei Duchenne, Mécanisme de la Physionomie Humaine. Album (1862) VIII., p. 34.
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