Wir haben daher hier, wie ich nicht zweifeln kann, den Schlüssel zur Lösung des Problems, warum sich unter dem Einflusse des Kummers die mittlern Bündel des Stirnmuskels und die Muskeln rings um das Auge in Opposition zu einander zusammenziehen, — mag ihre Zusammenziehung eine länger anhaltende sein, wie bei den melancholischen Geisteskranken, oder momentan vorübergehen, wie in Folge irgend einer unbedeutenden Ursache der Trübsal. Wir haben alle als Kinder wiederholt unsere ringförmigen Muskeln, Augenbrauenrunzler und Pyramidenmuskeln zusammengezogen, um während des Schreiens unsere Augen zu schützen; unsere Vorfahren haben viele Generationen hindurch vor uns dasselbe gethan; und obgleich wir wohl mit fortschreitenden Jahren leicht das Ausstoßen von Schmerzensschreien verhindern können, wenn wir uns in Noth fühlen, so können wir doch der langen Gewohnheit wegen nicht immer eine leichte Zusammenziehung der eben genannten Muskeln verhindern; wir bemerken in der That weder deren Zusammenziehung bei uns selbst, noch versuchen wir, sie aufzuhalten, wenn sie nur unbedeutend ist. Die Pyramidenmuskeln scheinen aber weniger unter der Controle des Willens zu sein, als die andern damit in Beziehung stehenden Muskeln; und wenn sie ordentlich entwickelt sind, kann ihre Zusammenziehung nur durch die antagonistische Zusammenziehung der mittlern Bündel des Stirnmuskels gehemmt werden. Das Resultat, welches notwendigerweise daraus folgt, daß diese Bündel energisch zusammengezogen werden, ist das Ziehen der Augenbrauen schräg nach innen und oben, das Zusammenfalten ihrer innern Enden und die Bildung rechtwinkliger Furchen auf der Mitte der Stirn. Da Kinder und Frauen viel reichlicher weinen als Männer und da erwachsene Personen beiderlei Geschlechts nur selten weinen, ausgenommen bei geistiger Trübsal, so können wir einsehen, warum man die Gram-Muskeln, wie es meiner Meinung nach der Fall ist, viel häufiger bei Kindern und Frauen in Thätigkeit sieht als bei Männern, und bei erwachsenen Personen beiderlei Geschlechts nur in Fällen geistiger Trübsal. In einigen der vorhin angeführten Fälle, so in dem des armen Dhangar-Weibes und des Hindustani-Mannes, folgte der Thätigkeit der Gram-Muskeln sehr schnell ein bitteres Weinen. In allen Fällen von Noth, mag dieselbe groß oder klein sein, strebt unser Gehirn in Folge langer Gewohnheit danach, gewissen Muskeln einen Befehl zum Zusammenziehen zu senden, als wären wir noch immer Kinder im Begriffe
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/184&oldid=- (Version vom 31.7.2018)