Dr. Crichton Browne widmete auf meine Bitte dieser Ausdrucksform bei den zahlreichen in der West-Riding-Irrenanstalt unter seiner Behandlung stehenden geisteskranken Patienten eingehende Aufmerksamkeit; auch kennt er Duchenne's Photographie von der Thätigkeit der Gram-Muskeln sehr gut. Er theilt mir mit, daß die letztern bei Fällen von Melancholie und speciell von Hypochondrie beständig in energischer Thätigkeit gesehen werden können; und die von ihrer fortwährenden Zusammenziehung abhängigen, bleibend vorhandenen Linien oder Furchen sind für die Physiognomie der zu diesen beiden Classen gehörenden Geisteskranken characteristisch. Dr. Browne beobachtete in meinem Interesse eine beträchtliche Zeit hindurch sorgfältig drei Fälle von Hypochondrie, bei denen diese Gram-Muskeln beständig zusammengezogen waren. Einer dieser Fälle betraf eine 51 Jahre alte Wittwe, welche sich einbildete, alle ihre Eingeweide verloren und in Folge dessen einen leeren Körper zu haben. Sie hatte einen Ausdruck großer Trübsal und schlug ihre halbgeschlossenen Hände stundenlang rhythmisch zusammen. Die Gram-Muskeln waren permanent zusammengezogen und die obern Augenlider waren gewölbt. Dieser Zustand hielt Monate lang an; dann wurde sie hergestellt und ihr Gesicht nahm nun seinen natürlichen Ausdruck wieder an. Ein zweiter Fall bot nahezu dieselben Eigenthümlichkeiten dar; doch waren hier außerdem noch die Mundwinkel herabgezogen.
Auch Mr. Patrick Nicol hat mit großer Freundlichkeit für mich mehrere Fälle in der Sussex-Irrenanstalt beobachtet und mir in Bezug auf drei derselben ausführliche Einzelnheiten mitgetheilt; diese brauchen jedoch hier nicht angeführt zu werden. Aus seinen Beobachtungen an melancholischen Patienten schließt Mr. Nicol, daß die innern Enden der Augenbrauen beinahe immer mehr oder weniger in die Höhe gezogen sind, wobei die Falten auf der Stirn mehr oder weniger deutlich markirt werden. In einem Falle, bei einer jungen Frau, war zu beobachten, daß diese Falten in beständigem Spiele oder beständiger Bewegung begriffen waren. In einigen Fällen sind die Mundwinkel herabgezogen, häufig aber nur in einem unbedeutenden Grade. Ein gewisses Maß von Verschiedenheit in dem Ausdrucke der verschiedenen melancholischen Patienten konnte beinahe immer beobachtet werden. Allgemein hängen die Augenlider matt herab; die Haut in der Nähe ihrer äußern Winkel und unter ihnen ist gefurcht. Die Nasenlippenfalte, welche von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln herab läuft
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/178&oldid=- (Version vom 31.7.2018)