Textdaten
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Autor: Johann Andreas Christian Löhr
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Titel: Das Zauberpferd
Untertitel:
aus: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, Band 2, S. 389–404
Herausgeber: {{{HERAUSGEBER}}}
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1820]
Verlag: Gerhard Fleischer d. Jüng.
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Kinder- und Jugendbibliothek München und Commons
Kurzbeschreibung:
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[389]
30. Das Zauberpferd.

In der uralten Heidenzeit wurde in Persien das Fest des Neujahrs mit großem Gelärm, mit Schauspielen, Tänzen und Gaucklerkünsten, mit Klang und Sang, mit Saus und Braus und Schmaus wohl vierzehn Tage hintereinander gefeiert, und vierzehn Tage gingen noch nachher darauf, sich von den Freudenfesten zu erholen.

Dieses Fest zog viele Ausländer an den Königshof nach Schiras, der alten Hauptstadt Persiens. Es kamen Prinzen, Fürsten und Herren, es kamen Gelehrte, Künstler aller Art und auch solche, die aus der Tasche in die Tasche spielten; natürlich fanden sich auch Lummerer, Müßiggänger und Pflastertreter, welchen das Jahr zu viel Tage hatte, mit welchen sie nichts anzufangen wußten, und Lungerer, die hier oder da einen guten Bißen wohlfeil zu erschnappen suchten, von allen Arten. Mit einem Worte, es kamen viel artige, feine, weltgewandte Leute, die Pracht und Herrlichkeit des Festes mit anzuschauen.

An einem der Tage dieses Festes trat vor den Thron des Königs ein Indier mit einem Pferde aus Holz, welches prächtig aufgezäumet und gesattelt und so kunstvoll gearbeitet war, daß man es kaum von dem schönsten persischen Pferde unterscheiden konnte.

Der Indier rühmte dem König sein Holzpferd als das größeste Wunder der Welt an, dieser aber antwortete ihm: „Dein Pferd ist allerdings höchst künstlich gearbeitet, allein es gibt schon noch Künstler in meinem Lande, die ein ähnliches hervorzubringen im Stande sein würden, oder das Deinige wohl gar noch überträfen.“

[390] „Herr, versetzte der Indier, es ist auch nicht die äußere Gestalt, worin der Werth meines Pferdes beruht, sondern deßen geheimnißvoller Gebrauch. Wer mit diesem bekannt ist, kann auf demselben nach allen Weltgegenden, in sehr kurzer Zeit und schneller als ein Vogel, durch die Luft hinkommen.“

Der König, welcher der Seltsamkeiten und Wunderdinge schon viele besaß, nahm sich vor auch dieses Pferd zu besitzen, was es auch kosten möchte; doch wollte er, als ein bedächtiger Herr, zuvor erst eine Probe von der Tugend deßelben mit seinen eigenen Augen sehen.

Sogleich trat der Indier in den Steigbügel, schwang sich leicht auf das Pferd, und erbat sich des Königs Befehle, wohin er auf seinem Luftpferde reiten solle?

Etwa sechs Meilen von Schiras lag in blauer Ferne ein hoher Berg. „Begib dich dorthin, sprach der König; du wirst am Fuße dieses Berges einen Palmbaum finden, der jetzt eben in der Blüthe stehen muß; bringe mir zum Wahrzeichen einen Blüthenzweig, so werde ich über die Schnelligkeit deines Pferdes urtheilen können.“

Der Indier drehete einen Wirbel, der sich aus der Mähne des Pferdes ein wenig erhob, und im Augenblick sauste daßelbe durch die Luft hin und stieg so schnell und hoch, daß es in zwei Augenblicken die schärfsten Augen nicht mehr sahen. Das ganze Volk begleitete ihn mit lautem Jubelgeschrei.

Kaum war eine Viertelstunde vorbei, so erschien er schon wieder in der Höhe und ließ sich mit dem blühenden Zweige zur Erde herab, welchen er zu den Füßen des Königs niederlegte.

Jetzt war der König entschloßen, das Pferd um jeden Preis zu erlangen, denn solch ein kostbares Kleinod hatte er in seinem [391] Schatze nicht, und dieses allein schien ihm mehr werth, als alle übrigen Kostbarkeiten, die er besaß, zusammengenommen.

„Ich danke Dir, sagte er zu dem Indier, daß Du mich mit einer solchen Kostbarkeit bekannt gemacht hast, und um Dir zu beweisen, wie hoch ich es achte, bin ich bereit es zu kaufen, wenn Du es ablaßen willst.“

„Herr, erwiederte der Indier, ich wußte wohl, daß der mächtigste Monarch auf Erden, der seiner Weisheit wegen allenthalben gepriesen ist, mein Wunderpferd nicht nur schätzen, sondern auch zu besitzen wünschen würde, und ich bin bereit, es den hohen und edeln Wünschen Ewrer Majestät zu überlaßen. Aber ich weiß nicht, ob Ihr die Bedingung zu genehmigen geruhen werdet, unter welcher ich es allein abstehen kann. Ich habe dem Meister und Erfinder deßelben meine einzige Tochter dafür gegeben und demselben versprochen, es nur durch Tausch in andere Hände kommen zu laßen.“

„Wohl! antwortete der König, ich bin zum Tausch bereit. Wähle Dir unter meinen Provinzen und Städten eine aus, welche Dir gefällt, ich trete sie Dir ab.“

Die Gedanken des Indiers aber gingen um Vieles höher hinauf. „Herr, sagte er, verzeihet. Nur um den Besitz der Prinzeßin, Eurer Tochter, kann ich mein Pferd vertauschen.“

Die Großen des Hofs lachten theils, theils wurden sie unwillig, theils bedenklich über die ausschweifende Forderung des Indiers, der König selbst aber schien sichtlich zu schwanken. Das Pferd war einzig in seiner Art, aber die Prinzeßin in der ihrigen gar nicht. Was sollte er thun?

Als der Thronerbe Firuz Schah, ein feuriger Prinz, die Unschlüßigkeit des Vaters merkte, sagte er: „Wie? gnädigster Herr, ist es möglich, daß Ihr einen Augenblick über die vermeßene [392] Forderung dieses Gaucklers zweifelhaft sein könnet? Ich bitte Euch zu bedenken, was Ihr Eurem uralten Fürstenstamm schuldig seid; was fremde Höfe sagen würden? und ob der verwegene Indier nicht vielleicht daran denken möchte, mit der Prinzeßin ein Recht auf den Thron zu erlangen und durch nichtswürdige Künste das Reich zu erlangen, wo alsdann auch das Pferd wieder in seinen Besitz käme.“

Der Vater schwieg so still, als hätte er in unsern Tagen gelebt, wo die in kurzer Zeit weise gewordenen Söhne die Väter hofmeistern. Er schwieg still und dachte blos das Seinige, und als er genug gedacht hatte, sprach er laut: „Wir wollen Uns nicht übereilen. Auch wird es gerathen sein, noch eine Probe mit dem Pferde vorzunehmen, aber durch eine andere Person als den Indier selbst.“

Kaum hatte der König das gesagt, als Prinz Firuz, der seine Kühnheit und seinen Scharfsinn gern bewundert sahe, schon auf dem Pferde saß und durch die Lüfte, zum Erstaunen des ganzen Volkes, dahin flog, und Allen aus dem Gesicht kam.

Der Indier warf sich erschrocken vor dem Thron des Königs nieder, und sagte: „Herr, ich bürge für kein Unglück, das dem Prinzen widerfahren kann. Seine Hoheit hat ohne Zweifel wahrgenommen, daß ich beim Aufsteigen in die Luft einen Wirbel drehete. Aufgestiegen ist er nun auch, aber er hat an das Herabkommen nicht gedacht. Entdeckt er nicht noch einen sehr verborgenen Wirbel, so kommt er bis über die Sterne hinaus und fährt in den Himmel; ich aber bin unschuldig.“

„Unschuldig? Du verruchter Schwarzkünstler? brüllte des Königs Löwenzorn. Unschuldig? – Sperrt ihn in das engste und festeste Gefängniß, und ist der Prinz nicht in drei Monaten zurück, so soll er mit seinem Leben mir zahlen!“

[393] Was auch der Indier, ja selbst der Großvezier vorstellten, so half es nichts. Der Sultan beharrte dabei, was Er wolle, das sei die wahrhafte Gerechtigkeit, und alle Sultane der Welt, die jemals gewesen wären, oder jemals kommen würden, wären oder würden mit ihm gleiches Glaubens sein.

Darin hatte er Recht, und mithin wurde der Indier eingesperrt; das Fest aber endigte sich kläglich.

Prinz Firuz mit seinen hohen Gedanken stieg höher und immer höher, und es wurde ihm immer banger und banger und in der Angst begriff er, daß man zu hohe Gedanken haben und in der Welt zu hoch steigen könne.

Er stieg! Er drehete und zog an dem Wirbel hin und her, aber er stieg, und war bald über die Erde hinaus, von der er keinen Berg und kein Thal, kein Land und kein Meer mehr sahe. Das aber sahe er, daß seine Scharfsichtigkeit Blödsichtigkeit, und seine Kühnheit Dummheit gewesen sei. Er fürchtete sich die erhabene Physionomie an den Mond, oder an den Sternen zu zerschellen, oder gar über Gott hinauszukommen, über den siebenten Himmel hinaus, in die leere Unermeßlichkeit, wo die Prinzen sich eben so wenig zu finden wißen als andere Menschenkinder, wie sehr sie auch Philosophen sein mögen.

Mitten in seiner Angst dachte er: „Ich bin der Prinz Firuz, und mein Vater ist König von Persien – es kann daher mir nichts Uebels begegnen.“

Sein Glaube betrog ihn nicht. Er hatte endlich wohl geahndet, daß vielleicht zum Hinunterreiten ein anderer Wirbel nöthig sein möchte als zum Hinaufsteigen. Er suchte und fand. Unter dem rechten Ohre des Holzpferdes fand er einen sehr verborgenen [394] Wirbel, welchen er kaum gedrehet hatte, als er zur Erde herabsank, aber in mäßiger Bewegung.

Tiefer und immer tiefer sank das Pferd herab, indeßen es immer mehr und mehr dunkel ward. Er war zuletzt schon wieder unter dem aufgegangenen Monde herab und sehr beunruhigt über den Ort, wo sich das Pferd herablaßen möchte, als es auf einmal nach Mitternacht still stand.

Entkräftet stieg er ab und fand sich auf dem platten Dache eines großen Palastes, welches ringsumher mit einem Marmorgeländer umgeben und mit Bäumen und Blumen besetzt war. Eine Treppe führte von dem Dache in den Palast hinunter, aber er zweifelte, ob er dieselbe hinabsteigen sollte, denn er wußte nicht, wo er war und ob man ihn feindselig oder freundschaftlich aufnehmen würde?

Indem er noch schwankte, kam eine Dame im leichten Nachtkleide die Treppe herauf. Es war die Prinzeßin von Bengalen, die hier auf ihrem Landhause sich aufhielt, und weil sie nicht hatte schlafen können, heraufgekommen war der lieblichen Nachtkühle zu genießen.

Sie erschracken Beide ein wenig vor einander, aber Firuz Schah sahe bald, daß er eine Prinzeßin vor sich hatte, und warf sich vor ihr nieder ihre Gnade anzuflehen. Er sagte, wer er sei und erzählte ihr das Wunder seines Hierseins, nebst aller Gefahr und Noth auf seinem Luftritte, und indem er ihr, trotz des trüglichen Scheins der Nacht, viel Artiges über ihre Anmuth und Schönheit gesagt hatte, bat er um ihren Schutz.

Prinz, sagte sie, Ihr seid in ein Land gekommen, wo die Gastlichkeit und Menschlichkeit mit allen ihren milden Sitten zu [395] Hause sind. Aber Ihr bedürft ohne Zweifel Nahrung und sodann der Ruhe, und sollt mir ein willkommener Gast sein.

Hierauf führte sie ihn in den Palast hinab in einen prächtig erleuchteten Saal, weckte ihre Leute und ließ eine Menge Gerichte auftragen, von welchen er wählte, was ihm gefiel, und sich dann zur Ruhe begab.

Weil der Prinz herzlich müde war, so hatte er eben noch nicht Zeit gehabt sich in die Prinzeßin zu verlieben, obwohl er bei dem Schein der Wachslichter gesehen hatte, wie wunderschön sie war. Er legte sich nieder und schlief fest.

Nicht also aber die Prinzeßin. Sie begab sich auch zur Ruhe, aber sie schlief nicht, sondern war beunruhigt, denn das Bild des schönen Prinzenjünglings stand immer vor ihren Augen, wiewohl dieselben geschloßen waren.

Am andern Morgen schmückte sich die Prinzeßin sehr sorgfältig, denn sie wußte wohl, daß Kleid und Schmuck mit Geschmack ausgewählt, die Schönheit erhöhen.

Sie ließ sich bei dem Prinzen zuerst anmelden, und dieser war bereit sie zu empfangen.

Hier setzten die Beiden sich mit den allerzierlichsten und gekünsteltsten Worten und Sitten einander in die angenehmste Unterhaltung von der Welt, aber nicht nur mit verbindlichen und lieblichen Redensarten und Worten, sondern auch mit entzündenden Blicken und Gebehrden beschoßen sie sich, und den Prinzen trafen die Augen und Mienenpfeile der Prinzeßin also sehr, daß selbst die Sporen an seinen Halbstiefeln verwundet wurden.

Bald war die Rede von ewiger Treue und Liebe, und von dem Glück einer solchen Luftlustreise, die Herzen zusammenführt, welche Natur und Schicksal für einander bestimmt hätten. In [396] zwei Tagen sprachen die sämmtlichen Hofleute der Prinzeßin von der seltsamen Gunst des Schicksals, zwei Liebenswürdigkeiten, so seelenverwandte Seelen einander zuzuführen, und behaupteten das wundersame Holzpferd müße eigends dazu erfunden sein, daß beide prinzliche Naturen zum gegenseitigen Anschauen ihrer Göttlichkeit hätten gelangen können.

Acht Tage waren schon verfloßen, ohne daß seine Hoheit, der Prinz Firuz, an Allerhöchstdero Herrn Vater gedacht hätten, als aber die Prinzeßin ihn aufforderten, dem König, ihrem Herrn Vater, sich vorzustellen, deßen Hauptstadt nur einige Stunden entfernt war, fand großes Bedenken statt, weil Seine Hoheit weder Kleid noch Gefolge noch Geld hatten, welches Alles von der Prinzeßin anzunehmen, das Zartgefühl Höchstderoselben fast zu verwunden schien. Dagegen fand es Prinz Firuz nicht unzart, die Prinzeßin zu überreden, sich mit ihm auf das Zauberpferd zu setzen, und dem Könige Persiens sich als künftige Schwiegertochter vorstellen zu laßen.

Sie hatte alle Anstalten getroffen, daß, außer ihren Vertrautesten, Niemand im Palaste ihre Abwesenheit bemerkte. In zwei, drei Tagen glaubte sie durch die Kraft des Holzpferdes mit dem Prinzen wieder zurück zu sein und dieser könnte in den wenigen Tagen Alles dazu einrichten, daß ihm ein großes Gefolge nachkäme, mit welchem er sich denn dem Könige von Bengalen vorstellen und um die Prinzeßin werben könnte.

So hatten sie es sich Beide ausgedacht.

Die Reise ging fort, und in wenigen Stunden war man in der Nähe von Schiras. Es verstehet sich aber, daß der Prinz nicht auf dem Holzpferde mit der Prinzeßin in Schiras einzog; denn das wäre sehr unschicklich gewesen; sondern er stieg mit ihr auf einem [397] nahen Landhause des Königs ab, und ließ sie unter der Pflege des Hausverwalters, er selbst aber ritt auf einem prächtigen Pferde an den Hof des Königs von Persien.

Das Lärmen mit Pauken, Hörnern, Trompeten und Trommeln, das Jauchzen des Volkes und die Verwirrungen der Freude, welche die Ankunft des Prinzen hervorbrachte, sind nicht zu beschreiben, und waren um so größer, da man schon Trauer um ihn, als um einen Todten, angelegt hatte. Der Indier wurde hochgnädig in Freiheit gesetzt mit dem Bescheid, sich sein Unglückspferd auf dem Landhause zu holen und damit zu entfernen.

Der Prinz erzählte dem Vater, was ihm begegnet sei, und bat um deßen Einwilligung zur Verheirathung mit der Prinzeßin von Bengalen, die er augenblicklichst erhielt.

Der König wollte in seiner großen Freude die Prinzeßin mit seinem ganzen Hofe selbst abholen, in seinen Palast einführen und sogleich mit seinem Prinzen vermählen, aber alle diese frohe Mühe hatte ihm der Indier erspart.

Voller Wuth und sinnend auf Rache eilte er zum Landhause, wo sich sein Pferd befand. Daß auf demselben eine Prinzeßin von Bengalen, die Braut des Prinzen, mitgekommen sei, hatte ihm nicht verborgen bleiben können, da sich das Gerücht davon am Hofe und in der Stadt verbreitet hatte.

Der Indier kam auf dem Landhause an, und der gutmüthige Hausverwalter freuete sich über die Befreiung deßelben, denn er wußte, um welcher ungerechten Ursache willen derselbe eingekerkert worden war.

„Den König, sagte der Indier, hat vor Freuden über die Rückkunft seines Sohnes der Schlag gerührt, und die Aerzte geben ihm nur noch einige Stunden Leben. Er will noch vor seinem Ende [398] die Gemahlin seines Prinzen sehen, der von seinem Bette nicht weg darf. Ich soll sie eiligst auf meinem Pferde ihm zuführen. Laß die Prinzeßin einen großen Schleier überwerfen und sich sogleich hinter mich aufs Pferd setzen.“

In der Bestürzung geschahe, was der Indier verlangte, und dieser erhob sich mit der Prinzeßin auf dem Pferde in die Luft.

Eben hatte der König den Zug nach dem Landhause angetreten, als der Indier mit lautem Frohlocken über der Stadt mit seiner Beute erschien und dem Könige und deßen ganzem Hofe Trotz bot.

Was half alles Jammern und Wehgeschrei und was nützten alle Verwünschungen! Der Indier hatte die Prinzeßin und flog mit ihr davon.

Der Prinz Firuz war entsetzt über die listige Bosheit des Indiers, aber er begriff, daß hier nur Entschloßenheit und Muth vielleicht noch retten könnten, nicht aber unthätiges Klagen. Er setzte seinen Gang nach dem Landhause fort, wo der Verwalter, der schon von dem Unheil unterrichtet war, vor ihm niederfiel und den Todt von der Hand des Prinzen erwartete. Dieser aber entschuldigte ihn und klagte seine eigene Unvorsichtigkeit an.

Der Prinz ließ sich aus einem nahgelegenen Kloster eine Derwischkleidung bringen, versahe sich mit Perlen und Diamanten statt des Reisegeldes, und ging in der Mitternacht fort, mit dem festen Vorsatz nicht wiederzukommen, er hätte denn seine Seele, sein Leben wiedergefunden, nämlich die Prinzeßin. Er ging fort, aber freilich aufs Ungewiße hin.

Noch deßelben Tages kam der Indier in das Paradies der Welt, in das Königreich Kaschmir, unweit der Hauptstadt in einem Lustgehölze an. Da es ihn hungerte und die Prinzeßin Durst hatte, so ließ er sich nieder, stieg mit der Prinzeßin vom Pferde ab, und [399] ging umher Obst zu suchen, welches Hunger und Durst zugleich stillte, und fand deßen bald genug.

Als Beide sich mit dem Obste erfrischt hatten, wollte der Indier mit der Prinzeßin weiter ziehen, sie aber weigerte sich, sich wieder aufs Pferd zu setzen. Seine liebkosenden Worte waren vergebens, seine Drohungen waren es auch. Da wollte er sie mit Gewalt hinaufheben, aber sie widersetzte sich mit der Kraft der Verzweifelung, sie stieß den Indier, sie kratzte ihn mit den Nägeln, sie schlug ihn mit geballter Faust ins Gesicht; das würde ihr jedoch wenig geholfen haben, denn gegen die Stärke des Indiers hätten sich ihre Kräfte bald genug erschöpfen müßen. Aber ihr entsetzliches Gekreisch half.

Mitten im heftigsten Faustkampfe kam eine Schaar Reiter daher, die Beide umringten. Sie bestand aus dem Sultan von Kaschmir und deßen Gefolge, mit welchem er von der Jagd zurückkehrte.

„Wer bist du? fragte der Sultan den Indier, und was hast du mit dieser Dame vor?“ – „Herr, sagte der freche Mensch, wer hat sich darein zu mischen, wenn ich mein ungehorsames Weib züchtigen will?“

Da erhub die Prinzeßin ihre flehende Stimme und sagte: „Herr, glaubt diesem trotzigen Räuber nicht, der mich auf diesem verwünschten Zauberpferde dem Prinzen von Persien geraubt hat. Ich bin eine Prinzeßin von Bengalen.“

Der Sultan war ein Herr von tiefer Einsicht und von schneller Gerechtigkeit und von unerschütterlichem Muthe. Er las in der erhabenen Miene der Dame, in ihrer Schönheit und in ihren thränenvollen Augen die Wahrheit ihrer Aussage und mit einem einzigen Streich seines guten Säbels flog der Kopf des unbewehrten Indiers ab.

[400] Da lagen Kopf und Rumpf des Räubers und die Prinzeßin war von ihm befreit.

Der Sultan von Kaschmir war auch ein Herr von Welt und Lebensart und beklagte den Unfall, welcher der Schönen widerfahren sei, ließ sie in seinen Palast bringen und sie auf die ausgesuchteste Weise von den Damen seines Hofes bedienen und entfernte sich, indem er ihren Dank verbat, damit sie sich völlig erholen könne.

„Das ist ein edelmüthiger Fürst, dachte die Prinzeßin, und in seinen Gesinnungen fast so erhaben als der Prinz Firuz. Ohne Zweifel wird er uns Beide wieder miteinander vereinigen, wenn er unsere Liebe und unser Unglück gehört haben wird.“

Am andern Morgen wurde die Prinzeßin durch den Lärm der Pauken und Trommeten und anderer Instrumente aus süßem Schlummer geweckt. Sie wußte nicht, wozu der Lärm solle, und ob er nicht gar ihr zu Ehren angestellt sei? – Sie stand auf und kleidete sich so kostbar an, als sie konnte.

Kaum war sie mit ihrem Schmuck fertig, als der Sultan, der sich davon hatte Nachricht geben laßen, ins Zimmer trat und ihr erklärte, der Freudenlärm sei zu Ehren ihrer Vermählung mit ihm selbst, zu welchem er sich sogleich entschloßen hätte, als er sie im Gehölze erblickte.

Die Prinzeßin fiel in Ohnmacht, als sie von der Ehre hörte, die ihr zugedacht war. Der Sultan bildete sich ein, das sei eine Folge vom freudigen Schrecken, und gab sich alle Mühe sie bald wieder zu sich zu bringen; sie erholte sich aber nicht so schnell wieder, als er gehofft hatte, und als sie wieder zu sich kam, war sie überaus entkräftet.

In ihrer Entkräftung aber hatte sie noch Kraft genug über ihre Lage nachzudenken. Sie sahe, daß der edelmüthige Sultan [401] ein Mann sei, mit dem man nicht lange handeln könnte, und nahm ihre Maaßregeln. Sie fing an irre zu reden und sprach in unterbrochenen Zwischenräumen immer verworrener. Sie schien zu schlummern und fuhr dann heftig aus dem Schlummer auf; ja, endlich fuhr sie auf den Sultan zu, als wollte sie über ihn herfallen und schrie dazu, als ob sie mit dem Indier handgemein geworden wäre.

Der Sultan wurde bestürzt, entfernte sich, und überließ die Kranke ihrem Frauenzimmer; aber aus der Hochzeit ward deßelben Tages nichts, und die nächsten Tage ward auch nichts daraus, denn die Verwirrung wollte sich nicht geben.

Es wurden nach und nach die gelehrtesten Aerzte des ganzen Königreichs herbeigerufen, die wirklich auch allesammt sehr gelahrt herausbrachten, daß diese Krankheit eine Art wahnsinniger Verrückung, fast etwa wie eine Raserei sei, von welcher einige Arten heilbar wären, andere aber unheilbar. Sie verordneten Pulver, Pillen und Tränke, welche die Kranke auch zuweilen in guten Stunden einnahm, zuweilen aber den Aerzten an den Kopf warf. Niemals ließ sie einen Arzt so nahe an sich kommen, daß er ihr den Puls befühlen konnte. Wollte es aber einer wagen, so gerieth sie in Wuth, sprang zu und zerkratzte ihm das Gesicht so sehr, daß aus der gelahrten Miene eine Jammermiene wurde. Zuletzt wollte sich gar kein Arzt mehr finden, welcher Lust hatte den großen Lohn zu verdienen, welchen der Sultan dem verhieß, welcher die Prinzeßin heilen würde.

Firuz Schah war indeßen in aller Herren Ländern umhergereist, und hatte nach Neuigkeiten von Prinzen und Prinzeßinnen und von den Fürstenhöfen gefragt, aber er hatte nichts erfahren. Endlich hörte er in Indien viel von einer Bengalischen Prinzeßin reden, die [402] an dem nämlichen Tage ihren Verstand verloren, an welchem der Sultan von Kaschmir sich mit ihr hätte vermählen wollen.

Jetzt hatte Firuz einen Fingerzeig und reiste nach der Hauptstadt Kaschmirs, eilte an den Hof des Sultans und ließ sich ihm vorstellen. Er that sehr geheimnißvoll und sagte, obwohl er nur ein Derwisch und kein Arzt sei, habe er doch auf seinen langen Reisen und durch vieles Nachdenken manche wunderkräftige Arzeneien aufgefunden, auf welche die Herren Aerzte nicht zugekommen wären. Verhalte es mit der Krankheit sich also, wie man ihm beschrieben hätte, so wolle er, wenn man ihm in Allem gewähren ließe, seinen Kopf als Pfand für ihre Heilung einsetzen. Er sprach mit so viel Sicherheit, als wär er ein Jahrlang als Marktschreier umhergezogen, und der Sultan faßte großes Vertrauen zu ihm und ließ ihn gewähren.

Der Derwisch betrachtete die Prinzeßin erst von einem höher liegenden Kabinette aus. Er sahe sie, er hörte sie ein trauriges Lied singen, und er wurde überzeugt, daß sie seine vermißte Angebetete und die Krankheit Verstellung sei, und schritt zur Kur.

Als er sich, nachdem sich Jedermann bis aus der geöffneten Thür des Zimmers hatte entfernen müßen, dem Bette der Prinzeßin allzusehr nähern wollte, vergaß sie den Respekt gegen die Derwischkleidung und wollte auf den Herannahenden zu. Er aber fing leise an die erste Strophe eines persischen Liedes zu singen, welches er sie gelehrt hatte. Sie wurde aufmerksam und ließ ihn mit der zweiten Strophe so nahe herankommen, daß er ihren Puls befühlen konnte.

Die Prinzeßin hatte ihn ungeachtet der Verhüllung bald erkannt, und indem er heimliche Worte zu ihr murmelte und seltsame Zeichen dazu machte, gab er ihr nur Anweisung, wie sie zu Werke gehen solle, und auf welche Weise sie sich befreien wollten. Sie [403] sollte nur, mit mancherlei Rückfällen, allmählig gesund zu werden scheinen, und auf dem Zauberpferde wolle er sie davon führen.

Wie erfreut war der Sultan über den außerordentlich günstigen Anfang der Heilung; und als am dritten Tage die Prinzeßin den Sultan empfing und mit ihm vernünftige Worte sprach, war er so entzückt, daß er fast Luftsprünge in seiner Sultanskrone gemacht hätte. Er erklärte den Derwisch für den ersten und einzigen Arzt der Welt, zum geheimen Oberbergrath und zweitem Oberstallmeister, zum geheimen Schlüßelträger und zufolge deßen, natürlich, zum ersten Leibarzt, der ihm Unsterblichkeit verschaffen müßte.

Seit acht Tagen waren die Anwandelungen der Prinzeßin immer seltener und schwächer geworden, aber in den nächsten acht Tagen kam es nicht weiter mit ihr. Früh vier Uhr hatte sie jeglichen Tag heftige Anwandlungen, und der Derwisch sagte, hier sei noch Etwas von Zauberei verborgen, wohinter er, alles Fragens bei der Prinzeßin ungeachtet, nicht kommen könnte. Hätte er nur heraus, woran es hier hinge, so sollte sie der Sultan jede Stunde heirathen können.

„Wetter! sagte der Sultan; Herzensfreund! Sie ist auf einem verdammten Pferde, welches in meiner Schatzkammer steht, durch die Luft hier angekommen, und in dem Pferde liegt die Zauberei gewiß und wahrhaftig, glaube ich!“

Euer Scharfsinn betrügt Euch nicht, sagte der Derwisch. Dann schwieg er mit sinnender Miene und zählte und rechnete an den Fingern; dann that er seinen Mund auf und sagte: „Befehlt, daß man mir in Allem, was ich verordnen werde, streng folge; übermorgen um fünf Uhr soll sie gesund sein, oder ich will mein Leben verloren haben.“

[404] Uebermorgen kam. Alles Hofgesindel stand im Schloßhofe in frühester Morgenstunde im Kreise, und in der Mitte des Kreises stand das Zauberpferd; rechts deßelben die Prinzeßin, links der Derwisch, und an jeder Seite ein Hofdiener. In einem innern und engern Kreise dampften Wunderkräuter auf heißen Pfannen und dicker Rauch stieg zum Himmel auf. Jetzt mußten die Diener der Prinzeßin aufs Pferd helfen und daßelbe sinnig und stillschweigend herumdrehen, indem er mancherlei wohlriechendes Kraut und Holz mit murmelnden Worten auf die Pfannen warf, unter welchen ein Feuer war unterhalten geworden.

Jetzt, als der Rauch am dicksten aufstieg, rief er den Dienern zu: „Eilt schnell in den äußern Kreis und rettet Euch.“

Indem sie entflohen, schwang er sich aufs Pferd, drehete den Wirbel, stieg in die Luft auf und rief dem Sultan und dem Hofe, freundlich mit der Hand winkend, ein: „Lebt wohl!“ zu.

Dahin flogen sie. Wie aber der Sultan ihnen nachfluchte, dann jammerte, dann sich einmal übers andere einen Esel, einen rechten dummen Waldesel schalt, worin er eben sowohl Recht behielt wie in allen übrigen Dingen; wie die Reitenden die beiderseitigen Aeltern aufsuchten und diese überglücklich waren, sie aber sich dann vermählten und grausam überglücklich waren, und was dergleichen mehr ist, ist zu erzählen nicht nöthig.