Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 19 (1868), ab Seite: 407. (Quelle)
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64. Müller, Wenzel (Tonsetzer, geb. zu Tyrnau in Mähren 26. September 1767, gest. zu Baden bei Wien, 3. August 1835). Sein Vater war Pächter eines herrschaftlichen Meierhofes zu Tyrnau und übersiedelte später nach Altstadt in Mähren. Wenzel, der in früher Jugend seinen Vater verlor, zeigte bald großes Talent für die Musik und erhielt den ersten Unterricht von dem Ortsschullehrer. Aber auch dieser wurde unterbrochen, als die Mutter nach ihres Mannes Tode genöthigt war, ihren bisherigen Wohnort zu verlassen und nach Kornitz zu ziehen, wo sie ein kleines Häuschen bewohnte. Daselbst setzte sein neuer Lehrer den Unterricht in der Musik, in welcher M. Ungewöhnliches zu leisten begann, fort. Denn bald spielte M. jedes Instrument, und ehe er noch die geringsten Kenntnisse im Generalbasse hatte, setzte er zu einzelnen Gesang- oder Instrumentalstimmen das entsprechende Accompagnement. Im Alter von zwölf Jahren componirte er bereits zur Primiz seines ältesten Bruders, der sich dem geistlichen Stande gewidmet hatte, eine Messe, welche, obgleich sie in manchen Puncten noch sehr mangelhaft war, doch über die Begabung des Jungen gerechtes Staunen erregte. Der Dechant Meixner in Mährisch-Trübau erkaufte sich das Eigenthum derselben um ein mäßiges Honorar, nur in der Absicht, um den Eifer des jungen Componisten für das Studium des Generalbasses zu beleben. Bald darnach kam Müller in das Benedictinerstift Raygern bei Brünn. Hier bot sich ihm genug Gelegenheit, seine musikalischen Studien fortzusetzen und der Composition nach Herzenslust sich hinzugeben. Er erlernte im Stifte alle Blasinstrumente und schrieb verschiedene Harmoniestücke zu Tafel- und Nachtmusiken zu besonderen Feierlichkeiten, auch mehrere Kirchenstücke, bei welch letzteren ihm der tüchtige Regenschori Maurus Haberbauer hilfreich zur Seite stand, Müller’s Talent hatte ihm die Liebe des damaligen Prälaten Ottmar gewonnen, und als dieser einmal nach Johannesberg in Schlesien, der Residenz des Breslauer Bischofs Grafen Schafgotsche, zu Besuch sich begab, nahm er Müller mit. Der Breslauer Bischof, ein Freund der Musik, hielt eine treffliche Capelle, deren Director Niemand geringerer war, als der seiner Zeit so beliebte Violinspieler und Compositeur Ditters von Dittersdorf [Bd. III, S. 316]. Der Prälat von Raygern erlaubte Müller’n längere Zeit daselbst zu bleiben, und nun wurde Dittersdorf sein Freund und Lehrer. Thatsächlich spiegelt sich auch in Müller’s Werken deutlich der Einfluß, den Dittersdorf auf ihn geübt. Zugleich wurde seine Neigung für den Kirchenstyl, die übrigens nie vorherrschend gewesen, völlig zurückgedrängt. [408] Als bald darauf Müller nach seiner Rückkehr nach Raygern Brünn und dort das Theater besuchte, zog ihn die unter der damaligen Direction Waitzhofer’s mit Vorliebe gepflegte Operette vor Allem an, und nun war es sein einziger Wunsch, im Orchester eine Anstellung zu erhalten. Er erhielt endlich auch als dritter Violinspieler bald eine Stelle, jedoch mit äußerst geringem Gehalte und überdieß unter der Bedingung, eine Operette zu schreiben. Der Brünner Professor Zemank lieferte ihm das Libretto, „das verfehlte Rendezvous, oder die weiblichen Jäger“ [das vollständige Verzeichniß der Müller’schen Compositionen folgt auf S. 410], und nun machte sich M. an seine Arbeit, die er auch bald beendete. Die Composition war ganz im Dittersdorf’schen Style gehalten und fand allgemeinen Beifall, für Müller selbst aber hatte sie die erfreuliche Folge, daß er sofort zum zweiten und gar bald zum ersten Capellmeister vorrückte, und er zählte damals erst sechzehn Jahre. Diese Erfolge ermuthigten den jungen Tonkünstler, auch fand er an Anton Baumann und an Waitzhofer’s Nachfolger in der Direction, Bergopzoomer, beide später Mitglieder der Wiener Bühne, zwei Männer, die sein Talent förderten, und ihm rathend und leitend zur Seite standen. Müller von seiner Seite war auch bemüht, sich zu vervollkommnen und dieses Streben ward in seinen folgenden Arbeiten auch bald bemerkbar. Um diese Zeit besuchte Kaiser Joseph, der auf seiner Rückkehr aus Rußland begriffen war, Brünn und wohnte der Ausführung einer Müller’schen Operette bei. Die Composition fand solchen Beifall bei dem Kaiser, daß dieser nach dem Componisten fragte, und als er die näheren Umstände in Erfahrung gebracht, den Entschluß aussprach, den jungen Müller auf kaiserliche Kosten nach Italien reisen zu lassen, wo er seine Compositionsstudien vollenden sollte. Leider vereitelte der bald darauf erfolgte Tod des Kaisers diesen Plan und wieder kam, wie so oft, ein Unglück nicht allein, das Brünner Theater brannte innerhalb Jahresfrist zweimal ab und gleich den Schauspielern und Sängern ward auch Müller brotlos und genöthigt, sich ein neues Engagement zu suchen. Ehe er ein solches fand, nahm er den Antrag zu einer Kunstreise durch Deutschland und Italien, den ihm Willmann, der pensionirte Musikdirector des Grafen Johann Palffy, gemacht, bereitwillig an und so kam M. mit der Willmann’schen Familie nach Wien. In Wien traf er mit seinem Brünner Freunde Baumann der jetzt Mitglied der Marinelli’schen Bühne war, zusammen. Baumann war bereits in mehreren von Müller componirten Operetten, welche in Wien sehr gefallen hatten aufgetreten. Die Anwesenheit des jungen Componisten bot Baumann Gelegenheit, den Director Marinelli auf den jungen vielversprechenden Tonkünstler aufmerksam zu machen. Dieser Schritt blieb nicht ohne Erfolg. Müller gab seine Weiterreise mit Willmann auf und wurde im Jahre 1786 Capellmeister bei Marinelli, der das Leopoldstädter Theater dirigirte. Erst neunzehn Jahre alt, betrat Müller hoffnungsvoll und schaffenslustig seinen neuen Wirkungskreis in der Kaiserstadt. Anfänglich hatte er aber kein großes Glück. Seine Operetten gingen gerade nicht spurlos, aber doch ohne besonders großen Beifall zu erregen, über die Bretter. Nicht so war es, als im Jahre 1795 seine Oper: „Das Sonnenfest [409] der Braminen“ zur Aufführung gelangte und über alle Maßen gefiel. Nun war das Eis gebrochen und Müller’s Ruf gesichert. In kurzen Zeiträumen folgten: „Der Fagottist“, „Pizzichi“, des Fagottisten zweiter Theil, „Das Neusonntagskind“, „Die Schwestern von Prag“, Opern, welche in Wien außerordentlich gefielen, die Runde über ganz Deutschland und Müller’s Namen allgemein bekannt und beliebt machten. Ohne Unterbrechung blieb Müller bis zum Jahre 1808 in Wien und schrieb während dieser Zeit, die vielen anderen Compositionen ungerechnet, an die achtzig Opern, Singspiele, Operetten und Pantomimen. Im Jahre 1808, als seine Tochter Therese, die als Madame Grünbaum [Bd. V, S. 393] sich den Ruf einer der ersten Sängerinen Deutschlands erworben hatte, am ständischen Theater in Prag engagirt wurde, folgte auch er einem Rufe dahin und blieb fünf Jahre, bis 1812 dort. Aber in Prag war Müller ein Fisch auf trockenem Sande; einige wenige Singspiele und davon den größeren Theil componirte er für auswärtige Bühnen, und damit hatte seine Thätigkeit während der Prager Expositur ein Ende. Treffend schildert Riehl diese Episode in Müller’s Leben mit folgenden Worten: „man berief den seltsamen Meister, der nach Devrient’s Ausdruck die Wiener Possen in jedes deutsche Ohr geheftet, daß Niemand sich derselben erwehren konnte, als Operndirector nach Prag in eine weit glänzendere und vortheilhaftere Stellung. Kaum aber hatte er sich eine Weile diesem höheren Wirkungskreise hingegeben, so ward es ihm unheimlich, es duldete ihn nicht länger bei der vornehmen Capellmeisterei, er wurde krank am Heimweh, nach seinen Volkspossen und hatte nicht Rast noch Ruhe, bis er in die Beschränkung der Leopoldstädter Bühne wieder zurückgekehrt war. Das ist der ganze Wenzel Müller, wie er in seinen unschuldigen, genügsamen, aus dem Volksmunde genommenen Liedweisen leibt und lebt, der sich bei seiner Bänkelsängerei bescheidete, der sich in ihr nur heimisch und glücklich fühlte.“ Sobald aber Müller wieder nach Wien zurückgekehrt war und seinen Capellmeisterposten im Leopoldstädter Theater eingenommen hatte, da begann seine alte Rührigkeit und Schaffenslust und er blieb Capellmeister dieser Bühne noch 22 Jahre bis an seinen Tod unter allen, seit Marinelli’s, des Gründers dieser Bühne, oft veränderten und in den letzten zwei Decennien nichts weniger als besonders günstigen Verhältnissen. Noch an die hundertdreißig Stücke componirte M. in dieser Zeit und darunter mehrere, die sich eines außerordentlichen Beifalls erfreuten, wie z. B. „die Entführung der Prinzessin Europa“, die Parodie „Tancredi“, Faust’s Mantel“, „der Schatten von Faust’s Weib“, „die moderne Wirthschaft“, „die Fee aus Frankreich“, „Aline, oder Wien in einem andern Welttheile“, „der Barometermacher auf Reisen“, „die musikalische Schneiderfamilie“, „die schwarze Frau“, „Moisasur’s Hexenspruch“, „der Alpenkönig und der Menschenfeind“, „die gefesselte Phantasie“, „Frau von Drescherl“ u. a. Müller war 68 Jahre alt geworden, als er, im Hochsommer 1835, zu Baden bei Wien einem Nervenfieber erlag. Die Summe seiner dramatischen Compositionen erhebt sich nach sorgfältiger Aufsuchung seiner Werke auf 224 Opern, Operetten, Singspiele und Pantomimen. Außer diesen schrieb er eine nicht minder große Menge kleinerer Compositionen, als Ouverturen, Entreacte, Menuette und [410] Tänze für die Redoute, dann Harmoniestücke, Cantaten, Symphonien, Messen, darunter eine große Messe für die PP. Serviten in der Rossau und ein großes musikalisches Kriegsgemälde in vier Sätzen mit Chören und türkischer Musik, das in Prag am 24. Juni 1810 von der Prager Tonkünstler-Gesellschaft zum Vortheile ihres Versorgungs-Institutes aufgeführt wurde. Müller war im Leben freundlich und heiter, ein biederer, rechtlicher, ordnungsliebender, in seinen Handlungen stets sehr consequenter Mann. Sein ungetrübter, unverstimmter Charakter spricht sich auch in seinen Compositionen aus, die jeden, der sie hörte, zum Frohsinn stimmten, und originell erdacht, verständlich und leicht sangbar waren. Der alte Haydn selbst sagte von ihm, daß er unnachahmlich, in seinem Genre ihm keiner gleich war und wohl schwerlich Jemand wieder gleichen würde. Wohl ist nach seinem Tode noch viel Wienerische Volksmusik geschrieben, aber Müller bisher von Keinem seiner Nachfolger erreicht worden. Als man ihn in Baden zu Grabe trug, geschah es unter den Tönen eines Chores und eines Trauer-Marsches, den Niemand geringerer als Conradin Kreuzer zu des dahingegangenen Capellmeisters Begräbnißfeier componirt hatte, und in welchen eben so sinnig als rührend die Melodie des durch ganz Europa gesungenen Liedes von Müller: „Lieber kleiner Gott der Liebe“ verwebt war. Wie schon bemerkt worden, war eine Tochter Müller’s, Therese, nachmalige Grünbaum, eine berühmte Sängerin ihrer Zeit, die deutsche Cataloni genannt, und auch deren (1814 zu Prag geborne) Tochter Karoline längere Zeit eine Zierde der Berliner Oper, die sich im J. 1844 mit dem Braunschweigischen Hofschauspieler Bercht verheirathete, dem sie nach Braunschweig folgte, wo sie lange Zeit als Musiklehrerin thätig war. Die letzten sieben Lebensjahre lag sie schwer krank darnieder, bis sie der Tod am 26. Mai 1868 von ihrem Leiden erlöste. Wenzel Müller’s Witwe lebte – oder lebt noch – in Wien in den dürftigsten Umständen. Sie mußte zwanzig Jahre hindurch als Dienstmagd ihr spärliches Brot mühsam sich verdienen, und als sie durch Blindheit gezwungen, auch nicht mehr dienen konnte, befand sie sich in solcher Armuth, daß im Jahre 1862 für dieselbe im Sperlsaale (am 17. November) eine Wohlthätigkeits-Akademie gegeben werden mußte.

I. Wenzel Müller’s Compositionen zu Opern, Operetten und Singspielen, welche wirklich aufgeführt wurden, in chronologischer Folge. Die mit einem Stern (*) bezeichneten haben sehr gefallen; bei denjenigen, welche gedruckt erschienen sind, ist außerdem, daß sie mit durchschossener[WS 1] Schrift gesetzt sind, Verlagsort und Verleger in Klammern genannt.
Für das Brünner Theater. 1783. 1) „Das verfehlte Rendezvous“, Operette. – 2) „Die Reisenden in Salamanca“, Operette.
1784. 3) „Doctor Faust“. – 4) „Die stolze Operistin“.
1785. 5) „Der adelige Pächter“. – 6) „Gandelin“, Pantomime. – 7) „Roxolane“, Pantomime. – 8) „Harlekin auf dem Paradebett“, Pantomime. – 9) „Hans Tomerl beim Essen“, Pantomime. – 10) „Horra und Kloska“, Pantomime.
Für das Leopoldstädter Theater in Wien. 1786. 11) „Der verstellte Narr aus Liebe“. – 12) „Der lebendige Sack“.
1787. 13) „Der König auf der grünen Wiese“. – 14) „Die Elektrisir-Maschine“.
1788. 15) „Das Glück ist kugelrund“.
1789. 16) „Der Vogelkrämer“.
1790. 17) *„Das Sonnenfest der Braminen“ (Mainz, Schott; Mannheim, Heckel; Braunschweig.
1791. 18) *„Der Fagottist, oder die Zauberzither“, erster Theil (Mannheim, Heckel; Bonn, Simrock).
1792. 19) „Das Glück der Unterthanen ist ein guter Fürst“. – 20) *„Die Odaliken, oder [411] die Löwenjagd“. – 21) „Pizzichi“, zweiter Theil des „Fagottisten“ (Braunschweig).
1793. 22) „Die Schneider“. – 23) *„Das Neusonntagskind“ (Wien, Artaria; Berlin, Hummel; Mannheim, Heckel; Bonn, Simrock).
1794. 24) *„Die Schwestern von Prag“ (Braunschweig). – 25) „Johannes Posthorn“.
1795. 26) *„Cora“, Oper. – 27) „Der Alte überall und nirgends“, erster Theil; – 28) „Der Alte überall und nirgends“, zweiter Theil (Braunschweig).
1796. 29) *„Lustig lebendig“. – 30) *„Der unruhige Wanderer“, erster Theil. – 31) „Nanette“. – 32) *„Das Schlangenfest in Sangora“. – 33) „Oesterreich über Alles, wenn es nur will“. – 34) „Eugen der Zweite“. – 35) *„Orion“.
1797. 36) „Die getreuen Oesterreicher, oder das Aufgebot“. – 37) *„Es ist Friede“. – 38) *„Das lustige Beilager“. – 39) *„Die schöne Marketenderin“. – 40) *„Die zwölf schlafenden Jungfrauen“, erster Theil.
179. 41) „Wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sorgen“. – 42) *„Die zwölf schlafenden Jungfrauen“, zweiter Theil. – 43) *„Der Sturm, oder die bezauberte Insel“.
1799. 44) *„Der unruhige Wanderer“, zweiter Theil. – 45) *„Der dreißigjährige A-B-C-Schütze“. – 46) „Der Jahrmarkt zu Grünewald“.
1800. 47) *„Die Zigeuner“. – 48) *„Die zwölf schlafenden Jungfrauen“, dritter Theil. Gerber führt noch einen vierten Theil auf. – 49) *„Die schöne Griechin in Alexandrien“. – 50) *„Der Bettelstudent“. – 51) *„Der Teufelstein bei Mödling“.
1801. 52) *„Der eiserne Mann“, erster Theil. – 53) *„Der Schuster Feierabend“.
1802. 54)*„Der eiserne Mann“, zweiter Theil. – 55) „Ritter Don Quixote“.
1803. 56) *„Die unruhige Nachbarschaft“. – 57) „Das Bergfest“. – 58) Das ruhige Dörfchen“. – 59) „Das neuerrichtete Kaffeehaus“.
1804. 60) *„Die schwarze Redoute“. – 61) „Der Bäcker-Aufzug“. – 62) *„Evakatel und Schnudi“. – 63) *„Die kleinen Milchschwestern“. – 64) „Die Bewohner der Türkenschanze“. – 65) „Die Braut in der Klemme“.
1805. 66) „Der Lumpenkrämer“. – 67) „Die Göttin der Gestirne“. – 68) *„Der Bettler-Ball“. – 69) „Das Sommer-Lager“. – 70) „Die Berggeister“. – 71) „Martin Mocks“.
1806. 72)„Die Körbe aus der Türkei“. – 73) „Megära“. – 74) *„Hildegunde und Sigbersky“. – 75) *„Die neutravestirte Alceste“.
1807. 76) „Rosaura Bellino“. – 77) „Goda“. – 78) „Farina und Laskina“. – 79) „Die Insel Lilliput“, Pantomime. – 80) „Die bezauberte Schneiderwerkstatt“.
1809, 1809, 1810, 1811 u. 1812. In Prag geschrieben. 81) „Samson“. – 82) „Simon Plattkopf“. – 83) „Die Wunderlampe“. – 84) „Der Thunichtgut“. – Für andere Bühnen. 85)„Conradin von Schwaben“. – 86) „Reichold und Clarina“. – 87) „Die Grafen Sudomirsky“. – 88) „Don Silvio, oder der blaue Schmetterling“. – 89) „Die Nachtwandlerin“.
Wieder für die Leopoldstädter Bühne in Wien. 1813. 90) *„Der Windmüller und der Schloßgärtner“. – 91) *„Der österreichische Grenadier“. – 92) „Die Jungfrau von Wien“, Parodie. – 93) *„Der Kosak in London“.
1814. 94) *„Die Kosaken in Wien“. – 95) „Fee Zenobia“, Pantomime. – 96) „Wiens froheste Erwartung“. – 97) „Malachus“, Pantomime. – 98) „Hugo der VII.“ – 99) *„Der Vater ist wieder da“. – 100) „Hans von der Humpenburg“. – 101) „Die Prinzessin von Cacambo“.
1815. 102) „Herr von Schabel“. – 103) „Die Bekanntschaft im Leopoldstädter Theater“. – 104) „Maria Stuttgardin“, Parodie. – 105) „Otto von Löwenstein“. – 106) *„Die alte Ordnung kehrt zurück“. – 107) „Die Wolfsburg“. – 108) *„Der lebendigtodte Hausherr“. – 109) „Die Katze“. – 110) „Das Landhaus bei Wien“.
1816. 111) „Der Hund des Aubri“, Parodie. – 112) *„Der Fiaker als Marquis“. – 113) „Die Zwergen-Insel“. – 114) „Die Riesen“, Pantomime. – 115) „Die Eipeldauer Zeitung“. – 116) „Der Familienschmuck“. – 117) *„Die Schmauswaberl“. – 118) „Die unvermuthete Hochzeit“. – 119) *„Die Entführung der Prinzessin Europa“ (Wien, Haslinger). – 120) „Das Thal der Gnomen“. – 121) „Die Prellerei in der Narrengasse“. – 122) „Der Orang Utang“.
1817. 123) „Der Geist am Hafnerberg“. – 124) „Der Vitzliputzli“. – 125) „Der Tiger im Zaubergebirge“, Pantomime. – 126) „Die modernen Bauern“. – 127) *„Tancredi“, Parodie (Wien, Haslinger). – 128) „Mai, Juni, Juli“. – 129) „Frau Gertrud“, Parodie der Ahnfrau. – 130) „Die Ruinen von Scharfenstein“. – 131) *„Faust’s Mantel“ (Wien, Haslinger).
[412] 1818. 132) „Mathias von Bimsstein“. – 133) *„Der verwunschene Prinz“. – 134) *„Der Schatten von Faust’s Weib“ (Wien, Haslinger). – 135) „Die Schlafenden im Walde“. – 136) *„Die travestirte Zauberflöte“. – 137) „Halb Fisch, halb Mensch“.
1819. 138) *„Tisch’ deck’ dich“ (Wien Haslinger). – 139) „Das fliegende Rössel“, Pantomime. – 140) „Der Cur-Streit in Baden“. – 141) „Die alte und die neue Schlagbrücke“. – 142) *„Der Kirchtag in Petersdorf“. – 143) „Eine Kinder Operette“. – 144) „Der Hölle Zaubergaben“. – 145) „Die Zwillingsbrüder“.
1820. 146) „Der Sturz vom Thurme“. – 147) „Die Brüder Lüderlich“. – 148) „Barthel’s Traumbuch“. – 149) *„Die Ausspielung des Theaters“. – 150) „Ueberall zu früh“. – 151) „Die bezauberte Braut“. – 152) *„Adler, Fisch und Bär“.
1821. 153) *„Pachter Valentin“. – 154) *„Die moderne Wirthschaft“ (Wien, Haslinger). – 155) *„Die Fee aus Frankreich“ (Wien, Haslinger).
1822. 156) „Die neue Medea“. – 157) „Die Wilden in Indien“. – 158) *„Nina, Nanette und Nanerl“. – 159) *„Die Affen-Komödie“. – 160) *„Die verkehrte Welt“. – 161) *„Aline, oder: Wien in einem anderen Welttheile“ (Wien, Haslinger). – 162) *„Die Witwe aus Ungarn“.
1823. 163) *„Wien, Paris, London und Constantinopel“ (Wien, Diabelli). – 164) „Sechzig Minuten nach zwölf Uhr“ (Wien, Haslinger). – 165) „Der Raubritter“, Pantomime. – 166) „Der Schutzgeist guter Frauen“. – 167) *„Der Sohn des Waldes“. – 168) *„Der Barometermacher auf Reisen“ (Wien, Haslinger).
1824. 169) „Die Fee und der Ritter“. – 170) „Das bezauberte Goldstück“. – 171) *„Der blaue und der rothe Geist“, Zauberspiel (Wien, Diabelli).
1825. 172) „Der schwarze See“, Zauberspiel (Wien, Diabelli u. Comp.). – 173) *„Amosa“, Zauberposse (Wien, Diabelli u. Comp.). – 174) „Der Zauberkuckuk“, Pantomime. – 175) *„Die musikalische Schneiderfamilie“, komisches Liederspiel (Wien, Diabelli u. Comp.). – 176) *„Jacob in Wien“, Posse (Wien, Diabelli u C.).
1826. 177) *„Jacob in der Heimat“, Posse (Wien, Diabelli). – 178) „Die Zauberlampe“. – 179) „Amönine“. – 180) *„Der erste Mai“, Pantomime. – 181) *„Herr Joseph und Frau Baberl“. – 182) „Der Zauberring“, Pantomime. – 183) „Fido savant, der Wunderhund“. – 184) „Columbinens Glück“, Pantomime. – 185) *„Glück in Wien“. – 186) *„Die Fee in Krähwinkel“.
1827. 187) „Harlekin als Taschenspieler“, Pantomime. – 188) *„Die schwarze Frau“ (Wien, Haslinger). – 189) „Vitzliputzli“, neue Bearbeitung des im Jahre 1817 (Nr. 124) aufgeführten Singspiels. – 190) „Der Hahn im Korbe“. – 191) „Der Eisenkönig“. – 192) *„Moisasur’s Hexenspruch“ (Wien, Haslinger).
1828. 193) *„Die gefesselte Phantasie“ (Wien, Diabelli u. Co.). – 194) „Felix Maus“. – 195) „Die Begebenheiten zur Marktzeit“. – 196) „Sieben Mal anders, oder Langohrs Verwandlungen“. – 197) *„Der Alpenkönig und der Menschenfeind“, Zauberspiel (Wien, Diabelli; Hamburg, Cranz).
1829. 198) „Die fröhliche Insel“. – 199) „Faschingsleiden“. – 200) „Die Drachenhöhle“. – 201) „Der Zitherschläger“. – 202) *„Frau von Drescherl“.
1830. 203) „Alcidor, oder die Ruinen auf dem Harzgebirge“. – 204) „Der schwarze Bräutigam“. – 205) „Der schönste Kranz“. – 206) „Werthers Leiden“. – 207) „Die schädlichen Zaubergaben“.
1831. 208) „Die goldenen Aepfel“. – 209) „Die Bettlerbraut“. – 210) „Die lustige Hochzeit ohne Bräutigam“. – 211) „Der Maler und der Farbenreiber“. – 212) „Der Großvater“. – 213) *„Der Sieg des guten Humors“.
1832. 214) „Das Ideal oder der höchste Preis“. – 215) *„Bruder Lüftig, oder Faschingstreiche“. – 216) „Das Zauberbuch, oder die Braut aus der Waldhütte“. – 217) „Enzian und Lucian“.
1833. 218) „Der Kampf des Glücks mit dem Verdienst“. – 219) „Die Erscheinung um Mitternacht, oder der Geist des Widerspruchs“. – 220) „Die Erdgeister und der Brillenhändler“. – 221) „Die dreifache Heirath“. – 222) „Ritter Stiefeldon“.
1834. 223) „Die Zauberlaterne“. – 224) „Die Testamentsklausel“. – 225) „Asmodi, oder das böse Weib und die Schlangen“, Müller’s letzte Composition.
II. Quellen zu Wenzel Müller’s Biographie. Oesterreichischer Bürger-Kalender (Wien, 8°.) 1846, S. 218. – Telegraf (Wiener Localblatt) 1838, Nr. vom 14. Juli 1858: „Wenzel Müller“. – Allgemeine [413] Theater-Zeitung, herausg. von Adolph Bäuerle (Wien, gr. 4°.) 28. Jahrg. (1835), Nr. 161 u 162: „Wenzel Müller, der eigentliche Schöpfer echter Volks-Musik“, Biographische Skizze von Wilhelm Blum. – Die Gartenlaube, Herausgegeben von Ernst Keil (Leipzig, 5°.) 1867, S. 776: „Das Donauweibchen in Prag“. – Didaskalia (Frankfurter Unterhaltungsblatt, 4°.) 1853, Nr. 37 u. 38: „Wenzel Müller“ – Europa (Leipzig, schm. 4°.) 1866, Nr. 51: „Ein vergessener Mann“. – Zellner’s Blätter für Theater, Musik und Kunst (Wien, 4°.) 1864, Nr. 8. – Fremden-Blatt von G. Heine (Wien, 4°.) 1868, Nr. 153. – Neu-Wien (ein Localblatt, 4°.) 1858, Nr. 35. – Gratzer Zeitung 1860, Nr. 42. – Riehl (W. H.), Musikalische Charakterköpfe. Ein kunstgeschichtliches Skizzenbuch (Stuttgart und Tübingen 1853, J. G. Cotta, 8°.) S. 1–15: „Wenzel Müller“ [Eine geistvolle Charakteristik (das Treffendste daraus folgt weiter unten), die leider mit einem Irrthume[WS 2] beginnt und in ihrem Verlaufe noch manchen hinzufügt. So wird gleich zu Anbeginn und dann Seite 11 Wenzel Müller als Componist der „Teufelsmühle am Wienerberge“ bezeichnet und daran eine längere Betrachtung angeknüpft, die natürlich nicht ganz am Platze ist, da ja nicht Wenzel Müller, sondern Ferdinand Kauer der Componist der „Teufelsmühle“ ist. Dann wird er S. 3 ein „ächtes Wiener Kind“ genannt, nun aber ist Wenzel Müller im Jahre 1767 zu Tyrnau in Mähren geboren und kam erst im Jahre 1786, als er im zwanzigsten Jahre stand, nach Wien. Dann wird S. 12 der nachstehende Zug, mit welchem Wenzel Müller charakterisirt werden soll (!!!), von ihm erzählt: „In seinen alten Tagen“, erzählt Riehl, „soll Wenzel Müller oft geäußert haben, er begreife nicht, wie man so großes Wesen von Mozart machen könne, Mozart habe nur sieben Opern geschrieben, er, Wenzel Müller, aber habe über zweihundert Opern gemacht, und dazu noch einen ganzen Haufen Musik für die Kirche. Diese Taxation charakterisirt den alten Bänkelsänger.“ Diese ganze Stelle ist theils unrichtig, theils bitter. Der alte Bäuerle, als er Müller’s Charakteristik von Riehl und diese Stelle las, that – ich citire wörtlich – den Ausspruch: „Das alles zusammen ist erstunken und erlogen, Wenzel Müller hat nie so etwas gesagt, er war Mozart’s größter Verehrer“.] – Allgemeiner musikalischer Anzeiger, herausg. von Castelli (Wien, 8°.) 1829, S. 153; 1831, S. 28, 1832, S. 12, 1835, S. 132. – Dlabacz (Gottfried Johann), Allgemeines historisches Künstler-Lexikon für Böhmen … (Prag 1815, Haase, 4°.) Bd. II, S. 352. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1835, 8°.) Bd. III, S. 730 [nach dieser gest. am 1. August 1833] – BrockhausConversations-Lexikon, 10. Auflage, Bd. X, S. 721. – Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Angefangen von Dr. Julius Schladebach, fortgesetzt von Ed. Bernsdorf (Dresden, R. Schäfer, gr. 8°.), Bd. II, S. 1063 und Nachtrag, S. 266. – Gaßner (F. S. Dr.), Universal-Lexikon der Tonkunst. Neue Handausgabe in einem Bande (Stuttgart 1849, Frz. Köhler, Lex. 8°.), S. 52. – Gerber (Ernst Ludw.), Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler (Leipzig 1813, Kühnel, gr. 8°.), Bd. III, Sp. 515. – Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände (Hildburghausen, Bibliographisches Institut, gr. 8°.), Bd. XXII, S. 344, Nr. 48.
III. Porträt. Unterschrift: Wenzel Müller, Kapellmeister, Georg Decker del., 1835, F. Wolf lith.[WS 3] Gedr. bei Leykam u. Comp. (Wien, Fol.), sehr selten.
IV. Müller’s Charakteristik von Riehl. „Wenzel Müller’s Meisterschaft“, schreibt Riehl, „liegt darin, daß er den echten Bänkelsängerton so unübertrefflich wahr in seinen Zauberpossen wiedergegeben hat. Er ist der größte Bänkelsänger, den die ganze Geschichte der deutschen Musik aufzuweisen hat, ein musikalischer Schartenmeyer, nur in weit tieferem und umfassenderem Sinne; ein Mann, der den Keim des Poetischen, die Kraft des deutschen Volksthums auch in dem Gesange der Jahrmarktrhapsoden erkannte – und dazu gehörte der Tiefblick des Genies – der das Volkslied in seiner vollen, zärtlichen Rohheit auf die Bühne brachte, dabei ein ganzer Oesterreicher … voll frischer harmloser Laune und gutmüthiger Lustigkeit, dem ein Ländler, welchen er vielleicht einem fahrenden blinden Geiger abgehorcht, über alle italienischen Arienschnörkel ging, ein wahrhaft nationaler Tondichter. – Müller’s Zauberopern, denen jetzt ein gebildetes und erwachsenes Publicum aus dem Wege geht, haben ihrer Zeit ganz Deutschland berauscht. Die uralten Volksschwänke, die sich ein Menschenalter vorher in Wien, als ihrem letzten Zufluchtsorte, versteckt [414] hatten, begannen, von Wenzel Müller’s unwiderstehlichen Volksweisen getragen, wieder einen wahren Siegeszug bis zur Nord- und Ostsee, ja über’s Meer nach England. Und es geschah, daß selbst die größten und idealsten Meister deutscher Tonkunst des Einflusses sich nicht erwehren konnten, der von dem großen Bänkelsänger der Leopoldstadt über ganz Deutschland ausging. Der Humor des österreichischen Volksliedes wurde das Urbild alles deutschen musikalischen Humors überhaupt. Wenzel Müller war nur ein kleiner Meister. Ich weiß nicht, ob er je in seinem Leben ein ordentlich durchgearbeitetes Musikstück fertig gebracht hat. Aber, daß der kleine Meister ein Lied gesungen, wie: „Wer niemals einen Rausch gehabt“, und hundert ähnliche, dieß werden ihm gar viele große Meister darum doch nicht nachmachen. – Bei vielen seiner Lieder kommt man in Zweifel, ob er sie dem Volke, oder das Volk sie ihm gestohlen. Man muß sich dabei durch die meist erbärmlich platten und poesielosen Texte, die er componirte und die sich wahrhaftig nicht wie Volksdichtungen ausnehmen, nicht irre machen lassen. Ich habe es versucht, einigen seiner anmuthigsten und kindlichsten Weisen echt volksthümliche geistesverwandte Poesien von Hoffmann von Fallersleben unterzulegen, und beides sitzt zusammen, wie aus Einem Guß. Man meint, Dichter und Musiker müßten dieselbe Person gewesen sein, so innig schmiegen sich Wort und Ton aneinander. Das macht, der alte Sänger der Wiener Zauberpossen und der moderne Poet haben aus Einem Born geschöpft, aus dem Born des echten Volksliedes, und gerade bei der ungeheuer Verschiedenheit der ganzen Weltanschauung, der Ziele und Mittel dieser beiden Männer, ist jener geglückte Versuch der beste Beweis, daß beide den rechten Ton getroffen haben. Wenzel Müller, der Vater der wiedererstandenen Volksposse, war bei Dittersdorf, dem großen Begründer der deutschen komischen Oper, in die Lehre gegangen; aber Dittersdorf, so leichtfließend, so humoristisch er auch gearbeitet haben mag, ist noch ein tiefsinniger gelehrter Musiker, ja wohl gar ein Pedant neben dem lustigen, leichtblütigen Wenzel Müller; er ist ein feiner, kokett zierlicher Kosmopolit, neben dem derben, durch und durch österreichischen Volksmann. Und so viel dieser auch für’s Theater setzte, hat er doch nichts geschrieben, was eigentlich den Namen einer Oper verdiente, musikalische Schwänke sind’s, dramatische Bänkelsängerspiele. Wenzel Müller ist selten im höheren Sinne humoristisch, er ist bloß meist lustig und niedrig komisch; er ist oft flach bis zur äußersten Trivialität, stellenweise sehr langweilig, schreibt sich selber ab; zur rechten Durchbildung der Kunstformen hat er die Geduld nicht, und in der technischen Gediegenheit des Satzes ist er durchaus kein Hexenmeister. Alle diese Schwächen hängen auch dem wirklichen Volksgesange an. Das Volkslied ist gewöhnlich nur in Einem Stücke schön, und ebenso ist Müller nur in einem Stücke, in seinem Bänkelsängertone, ein Hexenmeister. Er ist volksthümlich wie Hanswurst, wie Wastel, wie Kasperl. Diese dramatische Bänkelsängerei ist zwar von geringer Herkunft, aber doch von altem Namen, sie hat eine lange kunstgeschichtliche Ahnenreihe, einen stolzen Stammbaum. Er treibt seine Wurzeln hoch hinauf bis zu jenen Schwänken des Mittelalters, wie sie zwischen heiligen Mysterien auf den Gassen gespielt wurden. In Wien hat seit alten Tagen die „Burleske“ das Feld gewonnen, länger als irgendwo sonst trieb Hanswurst hier sein Wesen auf der Bühne, und das Improvisiren, dieser eigentliche Lebensnerv der Volksposse ging aus den Wiener Theatern immer noch im Schwunge, als es anderwärts längst abgeschafft war. Ja, in Wien ließ sich der Hanswurst eigentlich niemals ganz verbannen, wie in Norddeutschland, und während ihn die norddeutsche Pedanterie eben erst von den Brettern gejagt hatte[1], sangen sich die lustigen Wiener durch Wenzel Müller’s Melodien flugs wieder in einen neuen Hanswurst ein, und dieser war der leibliche Sohn des alten, wenn er nun auch Kasperl oder sonstwie hieß. Was auch außerdem noch von derartigen Figuren unter der Firma von Frankfurter Hampelmännern, Berliner Bummlern u. dgl. m. auf der Bühne geblieben ist, das ist durch Wenzel Müller gerettet, denn ohne seine Musik hätte Niemand die Ahnherren dieser Gestalten in der Wiener Volksposse verdauen mögen. Indem er uns die letzten Trümmer des historischen Hanswurst überlieferte und mit seinem keckem Naturalismus wider die Pedanterie der Schule focht, war er der Bänkelsänger, ein Mitkämpfer [415] der literarischen Stürmer und Dränger und Lessing’s, und Schiller’s und Goethe’s, so unclassisch auch seine Erscheinung in so classischer Gesellschaft sich ausnehmen mag. Denn es lief diese Wiener Volks- und Zauberoper, wie sie Wenzel Müller selbstschöpferisch zur höchsten Blüthe brachte, doch keineswegs wiederum auf den bloßen Schwank, auf jene Kette von Späßen und Intriguen des alten Hanswurst hinaus, sie vereinigte im glücklichen Falle Alles, was die damalige dramatische Gegenwart bewegte, im Spiegel einer grotesken Caricatur. Das damals florirende Ritterschauspiel mit seinen grimmig ernsten Helden und minniglichen Frauen ward hineingezogen, dazu die neuerschlossene Feen- und Zauberwelt mit all ihrem Gespensterspuk. Man wußte oft nicht recht, ob es mehr auf Scherz oder auf Ernst abgesehen sei. Das Schauerliche mischte sich manchmal in einer Weise mit den tollsten Späßen und Schnurren, daß selbst die spätere romantische Schule noch hieran lernen konnte. Die Shakespeare-Begeisterung der Gebildeten hatte hier ihr handgreiflich volksthümliches Seitenstück gefunden. – Wenzel Müller hat lang gelebt in seiner lustigen Arbeit, das begreift sich. Er hat über zweihundert Volkspossen und Zauberopern aus dem Aermel geschüttelt, das stimmt zur ganzen Art seiner Production. Wer solche Sachen nicht aus dem Aermel schütteln kann, der soll überhaupt davon lassen, und wessen Gewissen nicht weit genug ist, um die Sünden einer aus dem Aermel geschüttelten Arbeit ruhig mitzunehmen, der ist nicht zum Bänkelsänger geboren. – Ja, Müller starb erst im Jahre 1835. Er hatte seinen Namen überlebt, aber keineswegs seine Werke. Das ist ein seltenes Schicksal. Der Greis konnte täglich hören, wie seine Lieder im Munde des Volkes fortlebten, wie seine Gedanken und Formen nachgeahmt, ausgebeutet und umgearbeitet wurden; aber fast Niemand gedachte mehr, daß diese Lieder und Formen und Gedanken von ihm herrührten, und hätte es der alte Mann nicht behauptet, so würden’s ihm die Wenigsten geglaubt haben. Es liegt wohl ein eigener Reiz in einem solchen Incognito, aber gewiß auch eine Höllenmarter für eine ehrgeizige Seele. Das ist Wenzel Müller schwerlich gewesen. Schon deßhalb verachte keiner die Müller’schen Possen, weil sie ein so großer historischer Beweis von der siegenden[WS 4] Kraft des Volksliedes in Deutschland sind. – Wenzel Müller hat viele Schüler und Nachfolger gehabt und doch ist keiner über ihn hinausgekommen, sie sind vielmehr hinter ihn zurückgegangen. Er ist der Anfang und das Ende, der einzige vollgiltige dramatische Bänkelsänger. Die Wiener Volkspossen vegetiren noch fort und wuchern pilzenhaft, aber Deutschland berauscht sich nicht mehr an ihnen. Es fehlt eben der rechte Musikant, es fehlt der Bänkelsänger.“

  1. In Hamburg in St. Pauli blüht der Hanswurst heute noch so, wie zu Wien einst in seiner glorreichsten Zeit. Es ist doch nicht Alles so, wie Herr Riehl sagt, so geistreich es auch klingt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. hier kursiv gesetzt.
  2. Hier irrt Wurzbach. Wenzel Müller schrieb doch die Musik zu „Die Teufelsmühle am Wienerberg“. Kauer schrieb die Musik zu „Das Donauweibchen“.
  3. Vorlage: lyth.
  4. Vorlage: siegengenden