Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Kauffmann, Angelica
Band: 11 (1864), ab Seite: 41. (Quelle)
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Kauer, Ferdinand (Tonsetzer, geb. zu Klein-Thaya in Mähren 1751, gest. in Wien 13. April 1831). Der Sohn eines Schullehrers, der bereits im Knabenalter den Organistendienst bei den Jesuiten versah; später war er Hofmeister in Rumburg, kam dann nach Tyrnau, wo er zugleich das Studium der Medicin begann. Als er bald darauf sich nach Wien begab, widmete er sich ausschließlich der Musik, lebte vom Clavierunterricht, studirte bei Heidenreich den Contrapunct, und wurde endlich im Jahre 1795 Director und erster Violinist bei dem Ferdinand Marinelli’schen Theater-Orchester; auch hatte er die Leitung der Singschule über sich, welche Marinelli für junge Sänger und Sängerinen zum Behufe seines Theaters gegründet hatte. So stand K. abwechselnd als Capellmeister, Musikdirector und Compositeur bei verschiedenen Bühnen im Dienste, und aß zuletzt, nachdem er von Alter gebeugt und von schwerem Unglücke heimgesucht worden war, bei dem Leopoldstädter Theater als Bratschist das Gnadenbrot. Ein Jahr vor seinem Tode, also im Greisenalter von 79 Jahren, traf auch ihn in der Schreckensnacht vom 1. März 1830 das Unglück der fürchterlichen Ueberschwemmung. Ein dumpfes Kämmerlein im Erdgeschosse bewohnend, rettete er nichts als das nackte Leben und mußte seine ganze Habe, ja seinen größten Reichthum, den gesammten Musikalienvorrath und alle seine Arbeiten von der hereinstürmenden Fluth vernichten sehen. So zum Bettler geworden, fristete er noch ein Jahr von milden Gaben edelmüthiger Menschenfreunde sein bedauernswerthes Dasein, bis er, 80 Jahre alt, seine Seele aushauchte. Kauer’s Leben war ein unaufhörlicher Kampf mit der Existenz, der natürlicher Weise immer verhängnißvoller wurde, je mehr das Alter seine Kräfte verringerte, und der einst fast unerschöpfliche Geist zu versiegen begann. Wie viele Tausend und Tausende haben die Theater mit seinen Arbeiten verdient, wie viele frohe Abende hat er den Freunden des Scherzes und der heiteren Laune bereitet, und er mußte im Alter am Hungertuche nagen und, unbekümmert um die Noth des verlassenen Greises, tollte die Menge an ihm vorüber, neuaufgehenden, oft schwächeren Gestirnen als das seine war, zujubelnd und [42] zujauchzend! Kauer bietet reichen Stoff für eine höchst interessante Monographie, sowohl im Hinblicke auf seine ungewöhnlich große Productivität, wie auf seine zahlreichen, leider vielmehr ungerecht geschmähten als vorurtheilsfrei gewürdigten Arbeiten. Aber es wird Vieles mühsam aus Mittheilungen seiner täglich seltener werdenden Zeitgenossen und aus längst verschollenen, schwer aufzutreibenden Journalen zusammengesucht werden müssen. Die Zahl seiner Arbeiten ist kaum zu ermitteln. Es sind über 200 Opern und Singspiele; etwa 30 Kammerstücke, Symphonien, Trio’s, Quartetten und Concerte u. dgl. m. für alle Instrumente; über 20 Messen und Requiems, dann nicht weniger kleinere Kirchencompositionen, ferner eine Menge Tongemälde, Gelegenheits-Cantaten, Oratorien, Gesang-Solfeggien, Musiklehrbücher, deren mehrere weiter unten angeführt werden. Ich habe, so viel mir möglich gewesen, von seinen Arbeiten aus alten Catalogen zusammengesucht und gebe im Folgenden eine Uebersicht dieser Ergebnisse. Von Kauer’s Opern, Operetten und Tongemälden: „Die Serenate“, Operette für Wien; – „Ritter Willibald oder das goldene Gefäss“, ebd.; – „Die Unschuld auf dem Lande“, Kinder-Oper; – „Kaspar’s Zögling“, desgl.; – „Das Mayenfest“; – „Bastien und Bastienne“, die bisher genannten schon im Jahre 1794 in Wien, aufgeführt; – „Der Waffenschmidt“, Operette, 1798 zu Breslau gegeben und die Musik als geistvoll bezeichnet; – „Das Donauweibchen“, 1. Theil, für’s Clavier gestochen (Braunschweig 1800); – „Das Donauweibchen“, 2. Theil, davon sind nur die Ouverture und mehrere Arien für’s Clavier gestochen; – „Das Faustrecht in Thüringen“, davon mehrere Arien für’s Clavier gestochen (Wien, bei Koželuch); – „Grauhüttchen“, Operette in 3 Acten (109) – „Die Sündfluth oder Noah’s Versöhnungsopfer“, 1809 aufgeführt; – „Die Sternenkönigin“; – „Das Turnier zu Ponthien“, in 3 Acten; – „Die Belagerung von Oczakow“– „Nelson’s grosse Schlacht“, für das Pianoforte mit Begleitung einer Violine und Violoncello (Wien 1801, gr. Fol.), dem Prinzen August von England zugeeignet. Von seinen kleineren Compositionen, als Liedern, Fantasien, Tänzen, Variationen u. dgl. m., folgende: „Canatina: „Das lass ich wohl bleiben“, aus der Oper „Willibald“ für’s Clavier“ (1796); – „Sonata per il Cembalo con Viol.“ (Wien 1798); – „Sonata con Variazioni sopra: Ich bin lüderlich, du bist lüderlich etc. per il Cembalo“ (Wien 1798); – „XII variations p. le Clav. de l’air: Nel cor più non più mi sento“ mit Gelinek’s 6 Variationen zusammen gestochen (Offenbach 1793); – „VI Variations p. le Clav. av. Viol. et Violoncelle sur: Mama mia non vi sdegnate etc.“ (Wien 1797, bei Koželuch); – „VI Variat. p. le Clav. sur: Ich bin der Schneider etc.“ (ebenda); – „VI Variat. p. le Clav. sur: „Die Mädeln betrachten mich hinten und vorn“ (ebenda); – „XII ungarische Tänze für Klavier mit 4 Händen“ (Wien 1797); – „Fantasia per il Cembalo solo“ (Wien, Artaria); – „Sonata militare per Cembalo“; – „Gran Trio à Violine, Viola et Violoncelle“. Ferner hat Kauer folgende musikalische Unterrichtsbücher herausgegeben: „Kurzgefasste Violinschule für Anfänger“ (Wien 1787, Artaria); – „Kurzgefasste Clavierschule für Anfänger“ (ebd. 1787, Artaria, gr. Fol.); – „Kurzgefasste Anweisung das Violoncell zu spielen“ (Speyer 1788, Boßler); – „Kurzgefasste Anweisung die Flöte zu spielen“ (Wien 1788, gr. Fol.); – „Singschule nach dem neuesten System der Tonkunst“ [43] (Wien 1794, Artaria); – „Neue Clarinettschule“ (ebd. 179., bei Bermann); – „Kurzgefasste Violinschule nebst Tonstücken zur Uebung“ (ebd., bei Bermann); alle diese Schulen sollen, wie Becker in seiner „Darstellung der musikalischen Literatur“ berichtet, „sehr schlecht und unrichtig zusammengestellt sein“. Sei jedoch dem wie ihm wolle, gewiß war Kauer’s erstaunliche Fruchtbarkeit dem Gehalte seiner Arbeiten nicht günstig, aber auch scheint ihm die strenge Kunstkritik eben nicht grün gewesen zu sein und gerade aus diesem Anlasse möchten wir auf Gerber’s vermittelnde Worte hindeuten, die in den Quellen angeführt werden.

Gerber (Ernst Ludwig), Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler (Leipzig 1790, Breitkopf, Lex. 8°.) Bd. I, Sp. 707. – Desselben Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler (Leipzig 1813, Kühnel, gr. 8°.) Bd. III, Sp. 18 u. f. – Oesterreichische National-Encyklopädie, herausgeg. von Gräffer und Czikann (Wien 1835, 8°.) Bd. II!, S. 161 [nach dieser geb. in Böhmen um 1770]. – Nouvelle Biographie générale … publiée par MM. Firmin Didot frères sous la direction de M. le Dr. Hoefer (Paris, 1850 et s., 8°.) Tome XXVII, p. 479. – Realis, Curiositäten- und Memorabilien-Lexikon von Wien (Wien 1846, gr. 8°.) Bd. II, S. 99. – Dlabacz (Gottfr. Joh.), Allgemeines historisches Künstler-Lexikon für Böhmen u. s. w. (Prag 1815, Haase, kl. 4°.) Bd. II, Sp. 45. – Gaßner (F. S. Dr.), Universal-Lexikon der Tonkunst. Neue Handausgabe in einem Bande (Stuttgart 1849, Franz Köhler, Lex. 8°.) S. 476. – Universal-Lexikon der Tonkunst. Angefangen von Dr. Julius Schladebach; fortgesetzt von Ed. Bernsdorf (Dresden 1856, R. Schäfer, gr. 8°.) Bd. II, S. 577. – Becker (Carl Ferdinand), Systematisch-chronologische Darstellung der musikalischen Literatur von der frühesten bis auf die neueste Zeit (Leipzig 1836, Robert Friese, 4°.) S. 325, 349, 355, 362, 367, 373.[BN 1]Zur musikalischen Charakteristik Kauer’s. Gerber, der in der ersten Ausgabe seines „Historisch-biographischen Lexikons der Tonkünstler“ unsern Kauer eben nicht glimpflich beurtheilt und „von herzlich schlechten Proben seines Componisten- und Schriftstellertalentes spricht“, widerruft in der zweiten Auflage seines Werkes jenes Urtheil gänzlich; namentlich aber schreibt er bezüglich des „Donauweibchens“ folgende Worte: „Auf das berüchtigte Donauweibchen in den kritischen Theater-Journalen zu schimpfen, gehört gegenwärtig zum guten Tone; indeß sich trotz aller dieser üblen Nachrede, alt und jung, vornehm und gering hinzudrängen, um das Haus und die Theatercasse zu füllen, so oft es gespielt und wiederholt wird. In der That eine sonderbare Erscheinung! Da ich nie Gelegenheit gehabt habe, das Stück zu sehen, so kommt es mir um so weniger zu, den Herren Kunstrichtern zu widersprechen, wenn sie an dem unnatürlichen, läppischen und tollen Inhalte des Stückes Aergerniß nehmen. Was ich aber von der dazu gehörigen Musik, freilich auch nur für Blasinstrumente arrangirt, ohne ein gesungenes Wort gehört habe, das Alles war niedlich, munter, gefällig, witzig und voll neuer artiger Gedanken und Einfälle. Welcher Mensch, der Sinn und Ohr für Musik hat, kann es also einem ehrlichen Manne verdenken, wenn er sich an einer solchen Musik ergötzt? Mögen Andere, die nur Sinn für die sogenannte Harmonie des Versbaues haben, immerhin die Tragödie und mit ihr die Kunst des Dichters bewundern, wie er die Ausgelassenheit der Leidenschaften, das triumphirende Laster und die leidende Unschuld mit lebendigen Farben schildert und dem Zuhörer die Thränen des Mitleids entlockt. Macht uns aber ein Künstler durch seine Kunst einen frohen Augenblick, was jetzt eben nicht zum Alltäglichen gehören möchte: so sey er willkommen und wäre es auch in Gesellschaft eines Donauweibchens! Der gebildete Mann, durch die Musik erheitert, wird über die Thorheiten im Stücke lächeln, und der Pöbel, den zu bessern doch alle Kunst, selbst des ersten Tragikers, verloren seyn möchte, findet hier wenigstens Gelegenheit, sich einmal auf eine unschuldige Weise zu erlustigen. Man mache, statt alles Schimpfens auf die schlechten Opern und auf den schlechten Geschmack der Opern-Liebhaber, lieber bessere Opern, oder aber schaffe sich musikalische Ohren an, so wird das Vergnügen über die Schönheiten in der Darstellung der einen Kunst, das Mißvergnügen über die Gebrechen in der andern verdecken und ertragen helfen.“

Berichtigungen und Nachträge

  1. E Kauer, Ferdinand [Bd. XI, S. 41].
    Handschr. biogr. Notizen nach seinen eigenhändigen Aufzeichnungen und ein vollständiges Verzeichniß seiner Compositionen (bis 1826 deren 233) im Archiv der Gesellschaft u. s. w., wie bei Haas. [Band 26, S. 395]