BLKÖ:Lentner, Joseph Friedrich

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
Nächster>>>
Lentulay, Emerich
Band: 14 (1865), ab Seite: 363. (Quelle)
[[| bei Wikisource]]
Joseph Friedrich Lentner in der Wikipedia
Josef Friedrich Lentner in Wikidata
GND-Eintrag: 116910283, SeeAlso
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für Wikipedia 
* {{BLKÖ|Lentner, Joseph Friedrich|14|363|}}

Lentner, Joseph Friedrich (Dichter, geb. zu München 18. December 1814, gest. zu Meran in Tirol 23. April 1852). Gehört seinem ganzen Denken und Dichten nach dem schönen Lande Tirol an, in dem er so lange gelebt, das er in so vielen seiner anmuthigen Schriften verherrlicht hat und in dem er endlich seine letzte Ruhestätte gefunden; es kann ihm also eine Stelle in diesem Werke nicht versagt werden. Er selbst verlegte die Wiege seines Hauses in’s tirolische Achenthal, an den grünen See, wo im grauen Alterthum seine Vorväter an der Lände gewohnt und daher ihren Namen (Ländner, Lentner) empfangen hätten. Er dachte sich’s, wie sein Biograph Ludwig Steub in gar anmuthiger Weise erzählt, gerne aus, daß von jener Urheimat her der Zug in seinem Herzen rühre, der ihn immer und immer wieder nach Tirol führte. Wenn jedoch die geschichtlichen Thatsachen ihre Geltung vor Allem behaupten müssen, so sei bemerkt, daß Lentner’s Großvater Buchhändler in München war, die Handlung im Jahre 1810 seinem Sohne Joseph übergeben habe, dem am 18. December 1814 unser Joseph Friedrich L. geboren worden. Joseph Friedrich, oder wie er kürzer gewöhnlich Fritz genannt wurde, besuchte die Gymnasialclassen, zeigte früh eine nicht unbedeutende Anlage zum Zeichnen und Malen und wurde auch in diesen Künsten unterrichtet. Nebenbei betrieb er fleißig das Studium der Sprachen. Nach beendeten Gymnasialclassen widmete er sich, auf den Wunsch seines Vaters, aber nicht aus eigenem Antriebe, dem Geschäfte des Buchhandels, das er im Hause der Eltern zu lernen begann, seit 1835 aber in Innsbruck bei Felician Rauch fortsetzte. Hier lebte er mehrere Jahre im Kreise heiterer Freunde, erquickte sich an den Reizen und Herrlichkeiten einer unsagbar schönen Natur und machte zugleich culturhistorische Studien. Die erste Frucht derselben war sein „Tiroler Bauernspiel“, womit er, wie Steub schreibt, „dem tirolischen Volke das erste Ehrengeschenk dargebracht hat“. Es ist dieß eine Erzählung von Anno Neun, in welcher Andreas Hofer, Spekbacher, Pater Haspinger auftreten, und durch welche sich eine Liebesgeschichte rührend und traurig hindurchwindet. Von Innsbruck ging L. [364] nach Wien, wo er anderthalb Jahre in Diensten der Wimmer’schen Buchhandlung arbeitete, dann aber nach München zurückkehrte. Um diese Zeit war ihm, um mit Steub zu reden, „die Handelschaft mit Koch- und Gebetbüchern, diesen bojoarischen Hauptartikeln, so widerwärtig geworden“, daß er entschlossen war, einen anderen Beruf zu wählen. Das Schriftstellerthum schien ihn noch am meisten anzuziehen und mit Franz Trautmann redigirte er damals längere Zeit die „Münchener Lesefrüchte“, bald aber meinte er seinen wahren Beruf in der Kunst zu finden und übte sich demnach fleißig im Malen. So veröffentlichte er in jener Zeit eine Sammlung illustrirter Sprichwörter, ging mit dem bekannten westphälischen Maler Engelbert Seibertz nach Prag, wo damals Ruben, mit dem beide von München her befreundet waren, als Director der Akademie in höchst anregender Weise wirkte. Seit Neujahr 1842 lebte L. zu Prag, zeichnend, malend, dichtend, in innigem Verkehr mit Christoph Ruben, Engelbert Seibertz und Max Haushofer [Bd. VIII, S. 87], von Hoch und Niedrig gern gesehen. Seine Kenntnisse des Prager Lebens hat er in der Novelle „Diebsgelüste“, welche in der „Europa“ abgedruckt erschien, niedergelegt. Mit einem Male gab L. seinen Aufenthalt in Prag auf, meinte auch mehr Anlage zum Dichten als Malen zu haben, stellte also das Malen ein, und da sich damals bereits sein Lungenleiden, aus dem sich auch alle Ruhe- und Rastlosigkeit in seinem Leben erklärt, bemerkbar machte, folgte er dem Rathe von Aerzten und Freunden, sich wenigstens den Winter über in einem wärmeren Klima niederzulassen. Seine Wahl fiel auf Meran, und da er von Hause aus nicht ohne Vermögen war, beschloß er dort als deutscher Schriftsteller zu leben. Auf dem Wege nach dem Süden, als er vom Jaufen herab in’s Passeierthal gestiegen war, schrieb er in das Fremdenbuch im Sandwirthshaus seine „Elegie an Andreas Hofer“. In ihren Fußtapfen entwickelte sich, wie Steub erzählt, damals auf den Blättern jenes Albums eine Freimüthigkeit der Sprache, wie man sie in Tirol seit 1809 nicht mehr verspürt hatte, weßwegen denn bald amtlich eingeschritten und um diesem Treiben ein Ende zu machen, das Blatt sammt allen gleichgesinnten folgenden herausgeschnitten wurde. Daraus erklärt sich auch die von späteren Touristen öfter gerügte Abgeschmacktheit des Hofer’schen Denkbuches [vergleiche mein Lexikon Bd. IX, S. 146, III. b) „Das Hofer-Denkbuch“]. In Meran lebte L. ganz seinen poetischen Neigungen und vertiefte sich in die inhaltreiche farbige Geschichte des tirolischen Mittelalters. Die Lieder Oswalds von Wolkenstein und die Schicksale des Herzogs Friedl mit der leeren Tasche waren es, die ihn zumeist beschäftigten, und von ihm stofflich zu einem Roman verarbeitet werden sollten. Mittlerweile hatte L.’s Vater ein niedliches Landgut zu Peiting am Lechrain gekauft, und die historischen Erinnerungen dieser Gegend hatten L. für einige Zeit jenen des schönen Landes Tirol abwendig gemacht. Was er aus dem Munde des Landvolkes an Ort und Stelle gesammelt, erschien auch in poetischer Verbrämung bereits im Jahre 1842 im Stuttgarter „Morgenblatte“ unter dem Titel: die „Sagen aus dem Lechrain“. Zwei Jahre später aber trat er mit dem obenerwähnten Roman „Ritter und Bauer. Roman in 4 Büchern“, 3 Bände (Magdeburg 1844, Baensch, 2. Auflage ebd. im nämlichen Jahre, gr. 12°.), vor das Publicum. Während [365] die erste Hälfte des Romans, wie Steub meint, an schweren Ueberladungen leidet, hat der Dichter in der zweiten seine Flügel aus dieser Latwerge herausgearbeitet und mit frischem Thau gewaschen. Wie indeß L. zu jenem Ueberlauf von geilen Farben gekommen, weiß sein Freund nicht zu sagen; vielleicht lag’s in der Atmosphäre, in der er schrieb – denn bekanntlich war ja damals Meran im katholischen Deutschland der Muttersitz dieser schmalzig erhabenen Tonart. Noch vieles andere entstand während seines vieljährigen Aufenthaltes in Meran, was an verschiedenen Orten in Journalen zuerst einzeln veröffentlicht, später aber in seinem „Novellenbuch“, 3 Bde. (Magdeburg 1848, 8°.), gesammelt erschien. In die Zwischenzeit, 1844, fällt eine Reise nach Oberitalien, welche L. mit seinem Bruder im Frühling genannten Jahres unternommen hatte und die Bekanntschaft mit dem in neuerer Zeit viel genannten Dr. Streiter, bei dem zu Paiersberg bei Botzen L. mit seinem Bruder gastliche Aufnahme gefunden. Aber auch ein anderes, fast für Lentner’s Aufenthalt in Tirol verhängnißvolles Ereigniß fällt in jene Zeit. Es zeigte sich gegen die Jesuiten, welche das Gymnasium in Innsbruck unter ihrer Leitung hatten, eine „wilde Gährung“ und diese war in einem Artikel der „Allgemeinen Zeitung“: „Die poetischen Regungen in Tirol“, einigermaßen zum Ausdruck gekommen. Wer die vormärzlichen Zustände mitgelebt, kann sich leicht eine Vorstellung machen von der Aufregung, die in maßgebenden Kreisen über diesen „Blitz aus heiterem Himmel“ herrschte. Noch schlimmer wirkte ein zweiter solcher Blitz, nämlich der Klageruf über die altgewohnten Verwüstungen, welche die Etsch im Herbste anzurichten pflegte und in welchem die alte aber ewig brennende Frage der Etschregulirung leise berührt wurde. Auch dieser Klageruf tönte aus der Augsburgerin in’s schöne Land Tirol und nach Wien herüber. Als aber von den Nothleidenden an der Etsch dem bald erkannten Verfasser des Klagerufes – und dieser war Niemand Anderer als Lentner – eine Dankadresse gebracht wurde, da kam von Innsbruck der Befehl, L. habe Tirol schleunigst zu verlassen. Das war für den leidenden L., dem die Meraner Luft Lebensbedürfniß geworden, ein schwerer Schlag. Aber tüchtige Freunde halfen, unter diesen Dr. Streiter, Kleinhanns, der Landrichter von Meran, u. A., und es wurde der Erlaß erwirkt, L. könne noch einige Zeit (bis Ende April) in Meran verbleiben, wenn er sich tadellos benehme, keine die Regierung kritisirenden Aufsätze schreibe, und überhaupt die Landesgesetze über Censur strenge beobachte. Als dann bald darauf der Salzburger Advocat und nachmalige Statthalter Oberösterreichs Dr. Alois Fischer nach Meran kam, wurde der Erlaß, der die Ausweisung L.’s enthielt, ganz zurückgenommen. Und das war ein Glück für Lentner, aber auch eines für die Meraner, wie gleich erzählt werden soll. Um jene Zeit hielt Erzherzog Johann seine Festreise von Innsbruck, Bregenz, durch das Vintschgau südwärts, mit seiner Gemalin und dem Grafen von Meran, den der Vater den Tirolern persönlich vorstellen und ihrer Liebe und Anhänglichkeit empfehlen wollte. Um den geliebten Fürsten in einer Weise zu empfangen, die seiner und des Landes würdig und überdieß neu war, galt es einen erfinderischen Kopf damit zu betrauen, der dergleichen festlichen Mummenschanz in passender Weise zu ersinnen, einzurichten und zu leiten verstand. Dazu war L. der rechte [366] Mann, und in der That löste er diese ihm hochwillkommene Aufgabe in so gelungener Weise, daß noch heute dieses erhebenden Festes im Lande mit wehmüthig süßem Entzücken, als eines leider vergangenen, gedacht wird. Der Erzherzog selbst dankte Lentner für so manche Freude, die er ihm und seinem Hause verschafft. Bemerkenswerth ist es, daß der amtliche „Tirolerbote“ von diesen Festlichkeiten, welche das Volk im Etschlande dem Erzherzoge gab, kein Wort berichtet. Einiges über die äußerst sinnigen Festzüge und sonstigen Feierlichkeiten erzählt Steub in der in den Quellen erwähnten Lebensskizze L.’s. Das Jahr 1846 bescheerte L. endlich eine Aufgabe, die so ganz nach seinem Herzen war. Der damalige Kronprinz von Bayern, Max, der nachmalige, zu früh für des Volkes Glück und Segen hingeschiedene König, beschloß des „Bayerlandes Volksthum gleichsam zu inventarisiren“. Alles was sich in Städten und Dörfern, in allen Ortschaften zu Berg und Thal noch an altem deutschen Herkommen finden ließe, sollte der Sammler aufzeichnen, zusammentragen, vergleichen und auslegen. Lieder und Sagen, Volksmeinungen und Bauernregeln, Glauben und Aberglauben, Gebräuche im Winter und Sommer, bei Geburten, Hochzeiten und Sterbefällen, ältere und neuere Trachten, die Arten des Haus- und Feldbaues, kurz das ganze Thun und Lassen in soweit es nicht in das sprachliche Gebiet einschlug, das schon Andreas Schmeller in seinem bayerischen Wörterbuche in mustergiltiger Weise behandelt, das Alles sollte nunmehr zusammengesucht werden. Es ist hier nicht am Platze, darzustellen, mit welcher Freude und welcher Rastlosigkeit sich L. dieser schönen Aufgabe unterzog. Er hatte Ober- und Niederbayern, Bayerisch-Schwaben, den bayerischen Wald, einen Theil der oberen Pfalz durchwandert, durchforscht und alles nach der oben angeführten Uebersicht Angedeutete aufgezeichnet, gesammelt und das Ergebniß dieser Pilgerschaft seinem königlichen Herrn in einer Unzahl von Heften des reichsten anziehendsten Inhalts überreicht. An der Fortsetzung und Vollendung seiner Arbeit hinderte ihn der Tod. Während L. den Sommer über für sein Bayerland in unermüdlicher Weise thätig war, verlebte er den Winter in Meran, mit Sichten und Ordnen der im Sommer gesammelten Materialien und mit sonstigen poetischen Arbeiten beschäftigt. Am Charsamstage, 3. April 1847, erhielt er eine Vorladung zum Landgerichte, wo ihm eröffnet wurde, daß er im Mai g. J. in seine Heimat sich zu begeben und nie wieder nach Meran zurückzukehren habe. Die Ursache dieses unerklärlichen Befehls konnte L. nicht ergründen, er selbst hatte dieses Mal nicht den geringsten Anlaß zu einer solchen Maßregel gegeben. Alle Versuche von seiner und von Seite selbst einflußreicher Freunde blieben erfolglos und mit dem Bescheide, daß auch andere Orte das für seine Gesundheit erforderliche günstige oder noch vortheilhaftere Klima besitzen, war jede weitere Erörterung in dieser Angelegenheit abgeschnitten. Als Strafe gegen die verbotene Rückkehr wurden ihm drei bis sechs Monate Gefängniß nebst Schub angedroht. In dieser seiner Noth wendete sich L. an den Erzherzog Johann. Jedoch bevor von da eine Entscheidung herablangte, mußte er, wollte er nicht die angedrohte Strafe auf sich laden, sich auf die Fersen machen. Immer noch eine Zurücknahme dieser Maßregel erwartend, zog er sich anfänglich in ein Versteck zurück und fand es für einige Zeit in Löwenberg, wo ihm der Besitzer dieser Burg, Herr Kirchlechner, [367] ein solches durch längere Zeit freundlich gewährte. Als aber die nahegelegenen Landgerichte ihm zu sehr auf der Fährte waren, zog er endlich mit Dingelstedt über Finstermünz hinaus gegen Bayern und nach München, wo ihm Freunde zum Willkomm die Nachricht brachten, daß die Wiener Hofkanzlei den Vollzug des Bannes eingestellt habe. Im Herbste 1847 kehrte also L. in sein geliebtes Etschland zurück, begrüßt von dem lauten Jubelruf seiner zahlreichen Freunde. Er brachte den Winter 1847 und 1848 in Meran zu, wo er die „Gesellschaft des Stehweins“, einen heiteren Bund mit scherzhaften ritterlichen Gebräuchen, Ordensfesten, Panieren und Liedern, gründete. Die Gesellschaft löste sich später auf, als einige Mitglieder derselben, die nicht unabhängig waren, ob ihrer Theilnahme daran, Unannehmlichkeiten erfahren mußten. Da brachte der März 1848 die Lenzbotschaften von Wien auch nach Meran. Die Stimmung darüber war in den verschiedenen Kreisen eine verschiedene, aber der Rath der Stadt hatte Beleuchtung und einen Festzug auf freier Straße beschlossen und zu diesem auch Lentner geladen, der ja bisher „in allen Ehrentagen der guten Stadt oft mehr aus Gefälligkeit als aus eigenem Antriebe beigestanden hatte“. Lentner kam auch und aus tiefstem Grunde des Herzens mitthuend, schritt er, zudem als Festredner, freudig und hoffnungsvoll im Zuge. In fröhlichster Stimmung war der Zug vor das k. k. Landgericht gekommen, wo der Bürgermeister Haller die Proclamation laut vorlas, als mit einem Male der Ruf erscholl: „Pereat Lentner“. Den Gassen- und nichtsnutzigen Schulbuben war – von wem, kann nur errathen und nicht bewiesen werden – dieser Ruf eingelernt und von dem blöden Bauernvolke gedankenlos nachgeheult worden. Das „Pereat Lentner“ tönte nun immer wieder von Zeit zu Zeit in den Gassen Merans und dauerte mehrere Tage fort, auch an den Gassenecken fand man diesen Schimpf angeschrieben, so daß L., um diesem wüsten Treiben – denn die Buben, die es schrieen, betranken sich bei den Weinbauern außerhalb der Stadt und kehrten im trunkenen Zustande in die Stadt zurück – sich zu entziehen, für einige Tage nach Botzen und von da nach Bayern ging, wo er seine Schrift: „Tirol vor und nach dem 13. März, geschrieben im Juli 1848“ (München 1848, Kaiser, gr. 8°.), jedoch ohne sich zu nennen, veröffentlichte. Die gewonnenen Revolutionsanschauungen legte er aber später in einer Novelle: „Einer wie Alle“, nieder, welche Steub „das Beste nennt, was man über deutsche Anlage zum Staatsumwälzen schreiben kann“. Im Herbste, nachdem diese gemachte Stimmung einer gesunderen Anschauung der Dinge Platz gemacht, kehrte L. nach dem geliebten Meran zurück, wo er mit einem köstlichen Mummenschanz, den er für den Carneval 1849 erdacht, einerseits die Herzen von Tausenden gewann, während andererseits die Schulmädchen der Englischen Fräulein alle Tage ein Vaterunser mehr beten mußten für die „Fastnachtnarren“. Indessen trat aber auch an Meran als den der Gesundheit wegen vielfach besuchten Ort, die Neuzeit mit ihren Forderungen ernst heran und es galt, den beliebten Curort in einen entsprechenderen Zustand zu versetzen als es der bisherige war. Da war L. mit seiner gesunden Lebenspraxis hilfreich zur Hand und wirkte in dem für das Fremdenwesen geschaffenen Rath auf das thätigste. So wurde Lentner den Meranern immer werther, und diese bezeigten ihm ihre Theilnahme [368] so oft sich ihnen Gelegenheit darbot; als er wieder einmal für kurze Zeit nach Bayern ging, gaben sie ihm zu Ehren ein schönes Abschiedsfest und „Sie sind ein Meraner, und müssen bei uns bleiben“, war beim Festmahl der Gruß, den der Scheidende freudig mit der That erwiederte, daß er im Winter wieder in Meran saß. Im Herbste 1850 fand zur Einweihung des Meraner Schießhauses, bei dem auch L. nicht wenig thätig sich erwiesen, ein Festschießen Statt, wozu sich auch Erzherzog Johann als Schütze eingefunden hatte. Bei den aus diesem Anlasse stattgehabten Festlichkeiten war wieder L. der leitende Geist, der den edlen Schützen in sinnigster Weise im Kreise der Seinigen zu begrüßen und zu ehren verstand. Als im Jahre darauf L. sein Annele, eine Meranerin, zum Brautaltare führte, da feierten nun die Meraner ihren treuen Genossen auf gar rührende Weise. Der Rath von Meran verlieh L. das Ehrenbürgerrecht der Stadt. Für so viele und langjährige Verdienste um die Ehre der Stadt gebührte ihm dieser ehrenvolle Lohn zu seiner Vermälung mit einem Fräulein von Meran. L. selbst nahm diese Huldigung mit namenloser Freude auf und schrieb darüber an einen Freund: „Ich setze einen besonderen Werth darauf und bin stolz über die Anerkennung einer Gemeinde, als wäre mir Orden oder Adelsbrief von einem Könige zugewendet“. Jedoch war dieses Glück zu groß, um von langer Dauer zu sein. Sobald der Bezirkshauptmann Kopp von dieser durch den Meraner Stadtrath aus eigener Machtvollkommenheit verliehenen Auszeichnung Kunde erhalten hatte, machte er sofort eine Verordnung vom 7. März 1850 geltend, welcher zufolge nur österreichische Staatsbürger Gemeindeangehörige eines Ortes im österreichischen Kaiserstaate sein können. Er hob nun den ungesetzlichen Gemeindebeschluß wieder auf und forderte unter Einem den Meraner Magistrat auf, die Lentnern ausgestellte Urkunde wieder von ihm zurückzufordern! Lentner – der einige Wochen Bürger des von ihm so geliebten Meran gewesen – sandte das von ihm geforderte Document zurück, von dem er sich mit schwerem Herzen getrennt. Es war dieß wohl der letzte Schmerz, der seinem treuen Herzen geschlagen worden. Das Uebel, an dem er seit Langem krankte, nahm nun immer entschiedener den tödtlichen Charakter an. L. litt und arbeitete in Meran, er schrieb in dieser seiner letzten Zeit an der oberwähnten Ethnographie Bayerns, einige Novellen, welche auch gesammelt als „Geschichten aus den Bergen“ Magdeburg 1851, Baensch, 8°.) erschienen sind, etwas Tirolisches, wie die Schilderungen zu den „Tirolischen Landschaften“, welche Gregor Baldi in Salzburg herausgab, und welche wohl L.’s allerletzte Arbeit gewesen sein mochten. Als der Frühling 1852 nicht mehr ferne war, brach sein Lungenleiden heftiger los und er verschied, ohne den Lenz zu erleben, nach kurzer Krankheit, erst 38 Jahre alt, in den Armen seiner Gattin, an der Wiege seines Töchterleins in Meran. Seine schöne Büchersammlung hatte er dem Gymnasium in Meran vermacht. Als man seine Leiche zu Grabe trug, berichtet Steub, beeilte sich Stadt und Land, ihm die letzte Ehre zu erweisen. Man erinnert sich nicht, seit Menschengedenken in Meran einen solchen Zug von Leidtragenden gesehen zu haben. Die deutschen Fremden gingen dem deutschen Dichter zu Liebe, die Meraner Bürger dem langjährigen Gaste und Ehrenwart der Stadt, und auch die edlen Bauern von Mais und von Algund wollten noch ein Vaterunser für ihn beten, der sie so [369] oft in den Festlichkeiten der letzten Jahre durch seine herzlichen Reden begeistert hatte. Sein Andenken wird in jenen Gegenden noch lange blühen, wenn schon Alle vergessen und verschollen sind, die ihm das Leben unnützerweise sauer gemacht. Was L.’s übrige literarische Arbeiten betrifft, so sind deren noch vor seinem Tode die in seiner frühesten Schriftstellerperiode – noch vor Auerbach geschriebenen ersten Dorfgeschichten „Geschichten aus den Bergen“ (Magdeburg 1851, Baensch, 8°.), nach seinem Tode aber der durch seinen Freund Ludwig Steub herausgegebene Nachlaß, u. z. dessen erster Band: „Der Plattebner und seine Kinder“ (Stuttgart 1855, Scheitlin, 8°.) erschienen. Die Inn-Zeitung brachte im Jahre 1862 von Nr. 234 an seine „Chronika von Schloß Lebenberg“, die wohl mit den von Lentner selbst ausgeführten lieblichen Randzeichnungen und Initialen und mit den Bildern voll Humor eine selbstständige Ausgabe verdiente. Vieles andere findet sich im Stuttgarter Morgenblatt, in den Fliegenden Blättern und in der Hauschronik. Eine andere Chronik wäre jene auf der Malerherberge zu Frauen-Chiemsee, welche, wie ein Berichterstattet in der neuen Münchener Zeitung meldet, übel geschützt sein soll. Doch auf dieß Alles dürfte ja sein Freund und Biograph Steub wohl sein Augenmerk schon gerichtet haben.

Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz (Leipzig, 8°.) Jahrg. 1853, Nr. 6, S. 193: „Joseph Friedrich Lentner. Deutsches Dichter- und Künstlerleben“. Von Ludwig Steub. [Ein gemüthvolles Lebensbild, zu dem langjährige Freundschaft ihre frischesten Farben geliehen.] – Ergänzungs-Conversations-Lexikon (Ergänzungsblätter) der neuesten Zeit. Herausg. von Dr. Fr. Steger (Leipzig und Meißen 1853, Lex. 8°.) Bd. VIII, S. 684. – Neue Münchener Zeitung 1855, Beilage zu Nr. 153 u. 154, und zu Nr. 276. – Inn-Zeitung 1862, Nr. 234–236 [wird in den genannten Nummern, der in den darauf folgenden mitgetheilten „Chronika von Schloß Lebenberg“ Lentner’s Lebensabriß vorausgeschickt]. – Didaskalia (Frankfurter Unterhaltungsblatt, 4°.) 1852, Nummer vom 6. Mai. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1861, Nr. 220 [im Feuilleton dieser Nummer: „Zur Protestanten-Hetze in Meran“, heißt es unter anderem: „Den Fremdenbesuch verdankt Meran außer seinen natürlichen Reizen zunächst dem Schriftsteller und Journalisten Friedrich Lentner, dessen vortreffliche Feder sich der Schilderung der seltenen Naturschönheiten gewidmet hatte. Seit seiner Anwesenheit mehrte sich die Zahl der Fremden von Jahr zu Jahr, und Lentner war es hauptsächlich, der den Curgästen auf alle Weise den Aufenthalt angenehm zu machen wußte. Dadurch ist er der größte Wohlthäter der Gegend geworden. In den Localen der von ihm gegründeten Gesellschaft sammelten sich bald Vertreter aus allen Gauen Deutschlands u. s. w.]. – Neuer Nekrolog der Deutschen (Weimar, B. Fr. Voigt, kl. 8°.) XXX. Jahrg. (1852), S. 277. – Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände (Hildburghausen, Bibliogr. Institut, gr. 8°.) IV. Suppl. Bd., S. 423. – Gottschall (Rudolph), Die deutsche National-Literatur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Literarhistorisch und kritisch dargestellt (Breslau, Trewendt, 8°,) Zweite verm. u. verb. Aufl. (1861), Bd. III, S. 658 [daselbst heißt er unrichtig Leutner. Gottschall erwähnt seiner flüchtig als Verfassers der südbayerischen Volksgeschichten. Hier sei nun bemerkt, daß Lentner selbst in der Vorrede zu seinen freilich erst 1851 erschienenen „Geschichten aus den Bergen“ darauf aufmerksam macht, daß seine Berggeschichten schon entstanden waren, ehe Berthold Auerbach die „Dorfgeschichten entdeckt und wie billig seine Nachahmer gefunden habe“].