BLKÖ:Löschenkohl, Johann

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
Band: 15 (1866), ab Seite: 400. (Quelle)
[[| bei Wikisource]]
Hieronymus Löschenkohl in der Wikipedia
Hieronymus Löschenkohl in Wikidata
GND-Eintrag: 11857387X, SeeAlso
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für Wikipedia 
* {{BLKÖ|Löschenkohl, Johann|15|400|}}

Löschenkohl, Johann (Kupferstecher, geboren in der Grafschaft Berg um die Mitte des 18. Jahrhunderts, gest. zu Wien zu Anfang des 19. Jahrhunderts). Ueber seine Bildungs- und. frühere Lebensgeschichte ist nur bekannt, daß er zuerst Goldarbeiter gewesen; später hat er sich als Kupferstecher und höchst industriöser und thätiger Kunsthändler in Wien sehr bekannt gemacht. Als Kupferstecher besaß er eine nicht gemeine Geschicklichkeit, so hat z. B. sein Blatt, „Die Wiener Neujahrfeier bei Hofe, 1782“ (35 Pariser Zoll lang und 241/2 Zoll breit) seiner trefflichen [401] Ausführung wegen künstlerischen Werth. In einem Saale, wo das Bild der Kaiserin Maria Theresia hängt und die Büste der russischen Kaiserin aufgestellt ist, befinden sich, theils sitzend, theils stehend gruppirt, der Kaiser Joseph, der Erzherzog Maximilian, der Großfürst und seine Gemalin, Herzog Friedrich Eugen von Württemberg und seine Gemalin, die Prinzessin Elisabeth, der Prinz Friedrich August Ferdinand von Württemberg, Fürst Kaunitz, die Heerführer Oesterreichs: Graf Lacy, Graf Hadik, Freiherr von Loudon, Graf Nádasdy, Fürst Liechtenstein und Graf Wurmser, ferner der russische Fürst Soltikow und seine Gemalin, eine geborne Fürstin Dolgoruky. Jede der genannten Personen ist sehr gut getroffen. Das Blatt, ein wahres historisches Gedenkblatt, kostete, als es erschien, zwei Ducaten. Die Bildnisse der darauf befindlichen Personen waren aber auch einzeln im Kupferstich erschienen. Später faßte L. minder das künstlerische als das rein geschäftliche Moment in’s Auge und richtete seine Hauptspeculation auf die Benützung des Augenblickes der Gegenwart. Löschenkohl war der Gelegenheitsbilder-Fabricant, oft, wie Gräffer witzig bemerkt, schon anticipando. Alle möglichen neuen Vorfallenheiten wurden benützt, die Eröffnung der Josephinischen Akademie, der Luftballon, der Emser Congreß u. m. a. Die französische Revolutionsperiode gab natürlich den reichhaltigsten Stoff. Dabei war Löschenkohl ein guter Patriot und manifestirte seinen Franzosenhaß in seiner Weise. Die Franzosen wurden immer als zaundürre, ausgehungerte, zerlumpte Vautriens dargestellt. Auf einem Bilde hält ein solcher eine große Weltkugel in den magern Händen und sperrt den Rachen auf, um sie zu verschlingen. Auf einem anderen Blatte sehen wir über ein Dutzend Soldaten, die alle zusammen nicht die Courage haben, einen einzelnen österreichischen Uhlanen, der noch dazu ein ausgestopfter ist, anzugreifen. Ein anderes Blatt in Quer-Folio zeigt uns: Orleans sterbend auf dem Bette, der Teufel bringt ihm eine Arzeneiflasche, worauf steht: „Trink, Orleans, es ist Blut“; ein anderes gleich großes einen Reiter, dessen Kopf an der Stelle des Pferdekopfes, während der Pferdekopf auf des Reiters Schultern und ohne Zügel, mit der Unterschrift: „Der Franzos, das dumme Roß, ist zügellos“. Das war in Löschenkohl’s Tagen Zeitgeschmack. Aber trotz höchst mangelhafter Zeichnung und Colorirung – denn die Dinge wurden mit einer Hast ohne Gleichen auf den Markt geworfen und blieb zu einer besseren Ausführung gar keine Zeit übrig – riß man sich förmlich darum. Von dem Kupferstiche: „Marin Theresia’s letzte Stunde“, wurden in wenigen Tagen siebentausend Exemplare, das Stück zu zwei Gulden, verkauft. Gräffer in seiner drastischen Schreibweise meinte: „was gäbe man darum, die ganze Sammlung dieser Gelegenheits-Bilder, eigentlich Karikaturen, zu besitzen oder nur betrachten zu können? Eine Schaustellung à la Prater gegen Entré; reich könnte man werden. Löschenkohl ward es auch“. In seiner rastlosen industriösen Thätigkeit producirte er unermüdlich und immer etwas Anderes, Silhouetten, Miniaturporträts, Kalender; legte eine Dosenfabrik, eine Fächerfabrik, eine Knopffabrik an und brachte mancherlei in die Mode. L. war eine der Originaltypen Wiens im 18. Jahrhundert, [402] dem in einem Culturbilde aus jenen Tagen sein Platz nicht fehlen darf. Auch die Gegenwart bietet ähnliche Erscheinungen wie L., aber es fehlt ihnen der gesunde Humor, die frische originelle Unbefangenheit, Vaterlandsliebe und Fleiß.

Frankl (Ludw. Aug.), Sonntagsblätter (Wien, 8°.) I. Jahrg. (1842), S. 527, im Aufsatze: „Wiens Kunsthandlungen vor einigen Decennien“; II. Jahrg. (1843), S. 697: „Zur Charakteristik österreichischer Schriftsteller“. – Gräffer (Franz), Kleine Wiener Memoiren (Wien 1845, 8°.) Bd. II, S. 193. – Nagler (G. K. Dr.), Neues allgemeines Künstler-Lexikon (München 1838, Fleischmann, 8°.) Bd. VIII, S. 6. – Meusel (Joh. Georg), Miscellaneen artistischen Inhalts (Erfurt, Kaiser’sche Buchhandlung, 8°.) Vierzehntes Heft (1783), S. 121. – Löschenkohl’s Charakteristik von Gräffer wird die obige Skizze ergänzen helfen: „Löschenkohl ist der unermüdliche fixfingerige Fabricant des Tages, der Stunde, des Augenblicks. Seine bemalten Zeitbildchen sind exekrabel; aber der Name des Gegenstandes steht darunter und sie werden gekauft. Man balgt sich um sie. Löschenkohl ist der ikonographische Zeitungsmann. Die Neunziger und die neuen tumultarischen Jahre sind überreicher Stoff. Heute langt die Nachricht einer Schlacht an, morgen liefert Löschenkohl sie gestochen. Er improvisirt, er anticipirt Scenen der Tagesgeschichte. Robespierre dictirt noch: Auf dem Kohlmarkt (dort hatte Löschenkohl sein Gewölbe) ist er schon guillotinirt. Der Mann, nämlich Löschenkohl, als Kaufmann hat die rechte Industrie, er macht den Leuten Unterhaltung und sich Geld. Er ist sonst brav, bei ordinärem Aeußeren sehr verständig und lustig, wenn er zufällig nicht krank ist.“