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Artikel „Wichelhaus, Johannes“ von Friedrich Wilhelm Cuno in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 306–309, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wichelhaus,_Johannes&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 01:01 Uhr UTC)
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Wichelhaus: Johannes W., reformirter Theologe, außerordentlicher Professor der Theologie zu Halle, geboren am 13. Januar 1819 in Mettmann, † am 14. Februar 1858 in Halle, der Sohn des gleichnamigen Pastors zu Mettmann, später zu Bonn, der sich durch Predigten über die sieben Sendschreiben der Offenbarung St. Joh. bekannt gemacht hat, und dessen Gattin Wilhelmine, einer geb. von der Heydt. Beide Eltern gehörten hochangesehenen und gottesfürchtigen Elberfelder Familien an, deren Häupter sich dem Bankgeschäfte widmeten. Da 1823 der Vater einem Rufe an die reformirte Gemeinde Elberfelds folgte, wo er den bekannten Pastor Gottfried Daniel Krummacher zum Collegen hatte, kam der junge W. in das Gymnasium daselbst, das sich alle Zeit tüchtiger Lehrerkräfte erfreute. Als der Vater 1834 nach Bonn zog, wo er für dasige junge evangelische Gemeinde vieles that, blieb W. bis zum folgenden Jahre in Elberfeld zurück. Hierauf besuchte er noch anderthalb Jahre das Bonner Gymnasium, das er sodann mit einem glänzenden Zeugniß der Reife verließ. Vier Semester studirte er nun unter Bleek, Nitzsch, Sack, Redepenning mit großem Eifer Theologie. Daneben hörte er den Philosophen Fichte und den Mediciner Nasse. Seinem Wissenstriebe gewährte die vortreffliche Bibliothek seines Vaters reichliche Nahrung. Eine große Vorliebe zeigte er besonders für archäologische Untersuchungen und für die Mathematik. Gegen das Ende seiner Universitätszeit zu Bonn wurde er mit den Schriften des Dr. theol. Hermann Friedrich Kohlbrügge (s. A. D. B. XVI, 432), aus den Niederlanden in die Rheinprovinz gekommen, um sich zu erholen, bekannt. Von dem gewaltigen Eindrucke, welchen dieselben auf den jungen Studenten machten, zeugen dessen Predigten, die er im homiletischen Seminar zu Berlin, wohin er 1838 ging, und später zu Bonn hielt. In Berlin wohnte er bei seinem Oheim, dem Oberhofprediger Strauß, und hörte mit großem Interesse die Vorlesungen Hengstenberg’s, Neander’s, des Philosophen Steffens und des Geographen Ritter. Doch blieb der Einfluß Kohlbrügge’s, nachdem er inzwischen in persönlichen Verkehr mit demselben getreten war, bei W. vorwiegend. In der schriftlichen Correspondenz mit diesem ausgezeichneten reformirten Theologen, die in brüderlichster Weise geführt wurde, sowie in dem persönlichen Umgange in den Ferien, fand W. stets die reichste Erquickung und Belehrung. Trotz seiner körperlichen Schwäche hatte W. mit äußerstem Fleiße seine akademischen Studien getrieben, auch Syrisch und Arabisch gelernt, und suchte sich nun nach einer schweren Krankheit, die ihn 1840 befiel, die venia docendi bei der theologischen Facultät zu Bonn zu erwerben. Da aber seine intimen Beziehungen zu Kohlbrügge, der wie ein Geächteter wegen seiner positiven theologischen und antiunionistischen kirchlich-reformirten Stellung bei den Professoren und preußischen Kirchenmännern angesehen wurde, allzu bekannt waren, ebenso die Proteste seiner Elberfelder Verwandten gegen die Union, so suchte Dr. Sack als zeitiger Decan der theologischen Facultät ihn durch eine ihm aufzubürdende Eidesformel in Betreff seiner Stellung zur preußischen Union von Bonn fern zu halten. Vergeblich bat W., ihm solche, wenigstens vor dem Examen, zu erlassen; [307] selbst ein Gesuch an den König hatte keinen Erfolg, während bei anderen Petenten nicht im entferntesten an solche Verpflichtung gedacht worden zwar. W. hat, wie aus seinen Schriften sich ergiebt, in späteren Jahren stets eine große Achtung vor den kirchlichen Symbolen gezeigt, jetzt aber glaubte er in der Aufrichtigkeit seines Herzens, sich noch nicht klar zu sein über seine theologische Stellung zu den kirchlichen Bekenntnißschriften, und hielt es deshalb für geboten, in solcher Lage eine Unterschrift derselben von sich zu weisen.

W. wollte nunmehr sich in Heidelberg habilitiren. Es war aber eine glückliche Fügung, daß der Hofprediger Snethlage gerade damals bei einem Besuche im Hause der Großmutter von W. in Elberfeld von dem Entschlusse des jungen Gelehrten hörte. „Nein,“ ließ er sich sofort vernehmen, „der darf nicht in’s Ausland gehen.“ Er schlug hierauf Halle vor und sagte in freundlicher Weise seine Hülfe zu. Freudig bewegte Worte sendet auf die Nachricht hiervon Kohlbrügge aus Utrecht den 18. Juni 1845: „Es soll doch der Herr nach seiner Treue und Wahrheit gelobt sein, daß, da Ihre Arbeit fertig gewesen, er auch den Mann geschickt, der Sie dahin gewiesen, wo Sie Ihre Arbeit anbrächten und Ihren Wirkungskreis fänden. Wir sind mit Ihnen und mit Ihren Eltern hocherfreut. Und nun brauche ich es Ihnen nicht zu sagen, daß Sie sich froh und in guter Zuversicht auf den Weg machen. Es sei denn nun nicht Heidelberg, sondern Halle, was mir anfänglich auch mehr behagte, und was ich Ihnen allererst, wie ich meine, vorgeschlagen habe.“ – Schon damals trat es recht zu Tage, mit welchen Schwierigkeiten und Hindernissen allerlei Art W. zu kämpfen hatte, welche mit den Jahren eher zu- als abnahmen, wie aber alle Zeit die göttliche Vorsehung durch alles ihn herrlich hindurchführte.

In Halle war W. an Tholuck empfohlen, dessen erste Frage an W. in lateinischer Sprache lautete: „Welches Buch von Hegel haben Sie gelesen?“ Charakteristisch ist uns die Antwort, welche gegeben wurde: „keines“. Ueber die kirchenhistorischen Kenntnisse von W. war Thilo erstaunt. Die erste schriftliche Arbeit hatte Hupfeld abgewiesen. Die hierauf unternommene Dissertation „De Jeremiae versionis graecae Alexandrinae indole atque auctoritate“, eine Arbeit von neun Monaten, schädigte sehr die ohnehin so zarte Gesundheit ihres Verfassers. Endlich, am 17. October 1846, wurde W. das Licentiatendiplom ertheilt. Hierauf hat er eine Reihe von Jahren, zuerst mit seinem Collegen Georg August Meier, dem Verfasser einer Monographie über die Trinität, der ihm aber im J. 1849 schon durch den Tod entrissen wurde, dann mit Superintendent Zahn in Giebichenstein, in inniger Freundschaft als Privatdocent gelebt, und hat nach dem Verluste des erstgenannten allein die biblischen und reformatorischen Anschauungen an der Universität Halle-Wittenberg in unserem Jahrhundert unter mancherlei Anfeindungen vertreten. Erst im Frühjahre 1854 wurde er auf die ernsten Vorstellungen des dem bescheidenen Manne zugethanen Curators Pernice und Professors Leo zum außerordentlichen Professor ernannt, nachdem er sich wegen seiner Stellung zu Kohlbrügge und dessen Gemeinde in Elberfeld, der seine Verwandten wohl angehörten, aber nicht er, vor dem Minister von Raumer hatte rechtfertigen müssen. Seine Verheirathung mit einer gleichgesinnten Gattin brachte eine glückliche Häuslichkeit, die W. lange hatte entbehren müssen, und in die er nun gern auch seine jungen Freunde aus dem Kreise seiner Zuhörer zog. Die Zahl derselben war anfangs höchst gering, denn mit Mißtrauen kam man ihm entgegen. Mangel an Wissenschaftlichkeit wurde ihm vor allem zum Vorwurfe gemacht. Als aber einige Schweizer sich ihm erst näher angeschlossen, erweiterte sich zu seiner großen Freude der Kreis seiner Studenten vom Jahre 1850 an. „Meine Devise als Docent“, erklärte er, „ist fleißiges Sprachstudium der biblischen Bücher, Autorität der h. Schrift, klare [308] und bestimmte Fassung der Grundlehren nach dem Bekenntnisse der Reformationszeit.“ Besondere Betonung legte er auf die Lehre der Prädestination, welche man als die dogmatische Seele der ganzen Reformationsbewegnng ansehen kann. In seiner biblischen Dogmatik bekennt W. von dieser Lehre: „Es ist an dem, daß keine Lehre so entstellt, nach menschlichen Voraussetzungen und fleischlichen verkehrten Begriffen so verunglimpft und verketzert ist, als die Lehre der Prädestination. Aber ich schäme mich derselben nicht. Es handelt sich hier um die Ehre Gottes und um die wahrhaftige Seligkeit. Mit der Prädestination steht oder fällt die Lehre der Rechtfertigung allein aus Glauben. Die Lehre der Schrift darüber ist in den klarsten und unumstößlichsten Worten abgefaßt.“

Was aber vor allem den theologischen Standpunkt von W. kennzeichnet, das ist seine unbegrenzte Hochachtung vor der Bibel als dem von Gottes Geiste inspirirten Worte Gottes, von welcher er mit Freudigkeit, wo sich dazu die Gelegenheit bot, Zeugniß ablegte. Diese seine volle Ueberzeugung, daß die heilige Schrift von Anfang an bis zu Ende wahr ist, daß sie wirkliche Geschichte enthält, keine Mythen, wie die moderne Theologie will, und daher als einzige Offenbarung Gottes zu verehren sei, zog sich als rother Faden durch alle seine Vorträge hindurch. Als Charakteristikum dieser Offenbarung, durch die sie sich von allem Menschenwerk scheidet, galt ihm das Zeugniß des h. Geistes von dem Abfall des Menschen von Gott und der Kampf, in den deshalb die h. Schrift mit der Weisheit einer Gott entfremdeten Welt tritt, die sie als Thorheit ansieht. Mit dem aber, was thöricht ist vor der Welt, hielt es W. mit dem Apostel Paulus 1. Kor. 1, 27, wie manchen Spott er darüber auch zu tragen hatte; denn er mußte es unter harten inneren Kämpfen erfahren, wie seine Verdienste um die theologische Wissenschaft nur von Wenigen gewürdigt wurden. Und diese seine treu ihm ergebenen Zuhörer wies er dann zu seinem Lehrer Kohlbrügge, als dessen treuer Schüler, zu dessen Gemeinde in Elberfeld, als dem Modell einer wahrhaft reformirten Gemeinde, und zu dessen Schriften, denen er die tiefen Einblicke in den Sinn des prophetischen Wortes Alten Testamentes und die originellen exegetischen Erklärungen zu verdanken hatte. Mit großem Verständnisse verarbeitete er die besten Gedanken seines ebengenannten Lehrers für seine Vorlesungen. Diese Reproduction läßt vieles in seiner Darstellung ganz neu erscheinen.

Eine Ferienreise führte ihn zu seinen in Liverpool wohnenden Geschwistern und nach London, wo er auf dem Britischen Museum syrische Manuscripte durchsah, wie denn das Syrische und die Peschito in späteren Jahren sein Lieblingsstudium bildeten. Oft sprach er es aus, daß das rechte Verständniß des Neuen Testamentes erst aus dessen syrischer Uebersetzung zu gewinnen sei. Neben Exegese beschäftigte er sich auch viel mit der Kirchengeschichte, während er für Belletristik nichts übrig hatte. Einst sprach er begeistert im Kreise seiner jugendlichen Freunde über die Vorgänge bei dem Convenant, wie man es bei dem stillen und nichts weniger als beredten Manne nicht erwartet hätte. Wo es die Wahrheit und die Ehre seines Herrn galt, da konnte W., der bei seiner Schüchternheit anfangs nur stets mit Furcht den Lehrstuhl betreten konnte, mit seltenem Muthe auftreten, wie er das in den Jahren 1848 und 1849 that, so daß selbst Professor Tholuck, der ihn sonst sehr ignorirte, von ihm sagte: „Man kann sich in diesen Tagen an den jungen Mann anlehnen“.

Wie Kohlbrügge, so hat auch W. nie Propaganda gemacht für das reformirte Bekenntniß; vielmehr hat er, wie jener, seine Schüler in die h. Schrift hineingeführt, durch welche sie dann erst zum Bekenntniß gelangt sind. Uebrigens hat W. auch von lutherischen Theologen manche Würdigung erfahren. Seine in der wissenschaftlichen morgenländischen Zeitschrift erschienenen Aufsätze haben [309] das Staunen Oehler’s hervorgerufen. Sein trefflicher Commentar zur Leidensgeschichte Christi, eine Fundgrube archäologischer und philologischer Gelehrsamkeit, wird heute noch selbst von theologischen Gegnern anerkannt. Ueber seinen Tractat „Ueber das Sacrament der h. Taufe gegen die neuen Wiedertäufer“ (Elberfeld 1852) hat sich Professor Hengstenberg sogar gefreut. Dagegen ist W. selbst nach seinem Tode, ebenso wie Kohlbrügge, in mannichfacher Weise von solchen, die reformirt sein wollen, und sind es nicht, bis heute angefeindet worden, wie denn in den letzten Jahren auch in Amerika geschah. – Man hat von einer Kohlbrügge-Wichelhaus’schen Schule gesprochen nach Analogie dieser und jener theologischen Schule alter und neuer Zeit, aber mit Unrecht. Denn beide Männer haben, wenn sie auch in neuer lebendiger Weise die alte Wahrheit des Wortes Gottes und der Lehre vor allem der reformirten Kirche gelehret, doch keine neuen Doctrinen, keine besonderen theologischen Systeme aufgestellt, wenn gleich nicht in Abrede gestellt werden kann, daß sie zur Vertiefung der Christologie manche Anregungen gegeben. Wir werden daher besser von dem Freundeskreise derselben sprechen, der sich mit den Jahren weit ausgedehnt hat und dessen theologische Mitglieder sich nicht bloß in verschiedenen Ländern Europas, sondern sogar unter den Presbyterianern Amerikas u. a. vorfinden und als das gute Ferment positiven Glaubens und gesunden reformirten Wesens gegen den schrankenlosen Subjectivismus unserer Zeit und deren Gefahren sich erweisen. Wir nennen nur von den älteren Schülern Wichelhaus’, von denen bereits eine große Anzahl gestorben ist, Pastor Dr. A. Zahn in Stuttgart, Prof. Dr. Böhl in Wien, die Schweizer Künzli, Bula, Johner, Herter und Wolfensberger, Huber zu Löhningen bei Schaffhausen, Langen in Osnabrück und den Unterzeichneten; in den Niederlanden Pastor H. Lütge zu Amsterdam, die Brüder Locher, Gobius du Sart; in Böhmen-Mähren Franz Sebesta, Sara u. A. Nach dem Ableben Wichelhaus’ wurden dessen an seine jungen Freunde gerichteten Briefe von diesen gesammelt und veröffentlicht. Sie bilden ein herrliches Vermächtniß, eine ausgezeichnete Anleitung für Studenten und Candidaten der Theologie, worin sie die besten Rathschläge und feinsten Winke zum Studiren und Meditiren, zum Hören und Predigen finden. Die meisten Mitglieder dieses Kreises sind seitdem auch selbst als theologische Schriftsteller hervorgetreten. Großes Verdienst hat sich der erwähnte Dr. Zahn erworben durch Herausgabe der hinterlassenen Vorlesungen von W. über das Evangelium St. Matthäi und St. Johannis, des 1. Petribriefes und Briefes St. Jacobi, der vortrefflichen, leider unvollendet gebliebenen Biblischen Theologie, sowie ausgewählter Stücke aus Moses, den Propheten und Psalmen. Es ist nur zu beklagen, daß nicht die Commentare Wichelhaus’ über die Psalmen und Jesaias publicirt worden sind. Die Erklärung zur Genesis hat Pastor Richter herausgegeben. – In neuester Zeit hat das Calwer Kirchenlexikon eine ganz löbliche Berichterstattung über W. gebracht. Sein edler, friedfertiger Geist, sowie seine charaktervolle Theologie werden daselbst rühmend anerkannt. Die Leiche von W. wurde nach Elberfeld gebracht und auf dem lieblichen Friedhofe der niederländisch-reformirten Gemeinde bestattet.

A. Zahn, Der Großvater. Ders., Aus dem Leben eines reformirten Pastors. Ders., Vorrede zu der Bibl. Theologie. – Ev.-reform. Kirchenztg. f. 1868 u. 1881. – H. van Druten, Hoe Dr. Kohlbrügge Predik. wert. Leiden 1884. – Lebensskizze Kohlbrügge’s von Wichelhaus, ergänzt durch Böhl. Elberfeld 1884. – Handschriftliches.