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Artikel „Wiborada, Die heilige“ von Friedrich Lauchert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 304–306, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wiborada_die_Heilige&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 19:35 Uhr UTC)
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Wiborada: Die heilige W. Nach den alten Lebensbeschreibungen stammte W. von vornehmen Eltern aus alemannischem Stamme; eine genauere Bezeichnung ihrer Heimath geben dieselben nicht. Nach einer späteren Tradition, deren Ursprung und Zuverlässigkeit sich nicht näher controliren läßt, wäre sie in „Klingen in dem Turgöw“ geboren (so Murer; Neugart mit Berufung auf Murer: in arce Klingensi); andere sagen Klingen im Aargau (Stadler, Burgener; letzterer beruft sich für seine ganze Erzählung auf eine handschriftliche „Geschichte des Klosters St. Gallen aus dem Kloster Rheinau“, ohne über deren Alter etwas zu sagen); wieder andere neuere Autoren nennen Klingnau im Aargau (v. Arx, Schrödl im Kirchenlexikon XI, 370). Eine Andeutung über ihr Geburtsjahr, resp. eine solche Angabe über ihr erreichtes Alter, aus welcher sich auf jenes ungefähr ein Rückschluß machen ließe, findet sich in den Quellen nicht. Aus ihrer Jugend wird erzählt, daß sie von Kindheit an allen weltlichen Vergnügungen abgeneigt, nur dem Gebet und frommen Werken gegen die Kranken und Armen leben wolle. Doch lebte sie bis an den Tod ihrer Eltern mit diesen zusammen und pflegte sie mit kindlicher Pietät. Von ihrem Bruder Hitto, der Priester war, lernte sie die Psalmen auswendig beten. Von einer mit ihm nach Rom gemachten Pilgerfahrt kehrte sie mit dem Entschluß zurück, sich ganz von dem Leben in der Welt zurückzuziehen, und sie bewog auch ihren geistlichen Bruder dazu, als Mönch in das Kloster St. Gallen einzutreten; derselbe wurde später vom Kloster als Propst der St. Mangkirche in St. Gallen bestellt. Sie selbst ging auf Veranlassung des Bischofs Salomon (III.) nach Konstanz (nach dem Berichte des Hepidannus) und lebte zuerst dort eine Zeitlang als Klausnerin. Nach einiger Zeit aber begleitete sie den Bischof wieder nach St. Gallen und lebte nun zunächst vier Jahre (seit 912) in einer Zelle bei St. Georgen (in cella quadam in montibus sita, iuxta ecclesiam S. Georgii, parva constructa mansiuncula; Hartmann), oberhalb St. Gallen. Nach vier Jahren aber wurde sie, was nach der Notiz in den Annales Sangall. majores im Jahre 916 geschah (Mon. Germ. hist., Script. T. I p. 78, zu diesem Jahre: Wiberat reclusa est; entsprechend auch in den Chroniken des Hermannus Contractus und des Bernoldus), auf ihre Bitten von dem Bischof in einer Zelle unmittelbar bei der St. Mangkirche zu St. Gallen auf lebenslänglich eingeschlossen. (Die Vitae von Hartmann und Hepidannus geben dagegen keine [305] bestimmtere Zeitangabe und lassen es sogar nicht einmal klar erscheinen, von welchem Bischof Salomon die Rede ist, so daß die Herausgeber der Acta Sanctorum die angegebenen Daten in die Zeit des Bischofs Salomon II. setzen konnten und für den Anfang des Lebens in der ersten Zelle zu St. Georgen das Jahr 887, demnach für die Einschließung in der Zelle bei St. Mang das Jahr 890 annahmen.) Seitdem verkehrte sie nur durch das Fenster ihrer Klause mit der Außenwelt. Bald zu hohem Ansehen gelangt, wurde sie von vielen, von Vornehmen und Geringen, als Beratherin in geistlichen und leiblichen Nöthen aufgesucht. Unter denjenigen, denen sie durch ihren frommen Rath eine geistliche Mutter war, wird besonders der heilige Ulrich, der spätere Bischof von Augsburg, genannt, der als Schüler im Kloster St. Gallen in ein solches Verhältniß zu ihr getreten sei, und dem sie, wie seine und ihre Biographen berichten, auch seine künftige Würde vorher gesagt haben soll. Nach den von Meyer von Knonau (Ekkehart, S. 213 f.) angeführten Daten scheint jedoch ein solches Schülerverhältniß Ulrich’s zu W. chronologisch unmöglich zu sein. (Anders wäre es freilich, wenn man mit den Acta SS. annehmen dürfte, daß W. schon seit den Zeiten Salomon’s II. als Inclusa zu St. Gallen gelebt hätte.) Dem Herzog Burkart von Schwaben soll sie sein gewaltsames Ende (926), wenn er das geraubte Klostergut nicht zurückgebe, geweissagt haben. In der Nähe ihrer Klause ließen sich andere fromme Frauen nieder, unter denen als die hervorragendste die vornehme Jungfrau Rachild genannt wird, die sich auf ihre Veranlassung im J. 920 in eine Zelle nahe der ihrigen einschließen ließ; † 946. Den Einfall der Ungarn in St. Gallen im J. 926 und ihren dadurch herbeigeführten gewaltsamen Tod soll W. im vorhergehenden Jahre in einer Vision vorhergeschaut haben. Abt Engelbert traf auf ihren Rath, als die Ungarn heranrückten, Vorsichtsmaßregeln zum Schutz seiner Mönche, mit denen er das Kloster verließ, um sich in einen geschützten Zufluchtsort zurückzuziehen, und zur Rettung der Schätze des Klosters; sie selbst widerstand den Bitten und Aufforderungen, ihre Klause zu verlassen und sich zu retten. Am 1. Mai 926 (das früher auch angenommene Jahr 925 ist falsch) geschah der Einfall der Ungarn in St. Gallen. Da sich diese in ihrer Erwartung reicher Beute getäuscht sahen, versuchten sie vor ihrem Abzuge noch vergeblich, die St. Mangkirche in Brand zu stecken. Einige aber stiegen durch das abgedeckte Dach in die Klause der W. ein, in der Meinung, dort verborgene Schätze zu finden. Als sie darin aber nur W. im Gebete fanden, entkleideten sie dieselbe bis auf das Cilicium und brachten ihr drei tödtliche Wunden am Haupte bei. Dies geschah an demselben 1. Mai; am folgenden Morgen, also am 2. Mai, starb W. an ihren Wunden; zurückgebliebene Klosterleute fanden sie in der blutbespritzten Zelle. Als nach acht Tagen der Abt und die Mönche zurückkehrten, wurde ihr Leichnam feierlich zur Erde bestattet. Wegen ihres gewaltsamen Todes durch die Heiden wurde sie bald als Martyrin betrachtet, und schon im folgenden Jahre gab der Abt ihrem Bruder Hitto, dem Propst von St. Mang, den Auftrag, den Jahrestag ihres Todes als den einer heiligen Jungfrau bei St. Mang feierlich zu begehen. Ihre nach Ekkehart’s Angabe (Casus S. Galli, c. 56) inzwischen schon von zwei (nicht genannten) früheren Päpsten in die Hand genommene Heiligsprechung erfolgte am Anfang des Jahres 1047 durch Papst Clemens II., auf Betreiben des Kaisers Heinrich III.

Vita S. Wiboradae auctore Hartmanno, monacho S. Galli, in den Acta Sanctorum Maji T. I. p. 284–296, zum 2. Mai, und herausgeg. v. Waitz in den Monumenta Germaniae hist., Script. T. IV, p. 452 ss.Vita S. Wiboradae auctore Hepidanno, in den Acta SS., l. c., p. 293–308.
[306] Murer, Helvetia sancta (Luzern 1648), S. 213–225. – Neugart, Episcopatus Constantiensis, Pars I, T. I (1803) p. 273–275. – I. von Arx, Geschichte des Kantons St. Gallen, Bd. I (1810), S. 212 ff., 215 f. – Stälin, Wirtembergische Geschichte, Bd. I (1841), S. 432 f. – Stadler, Vollständ. Heiligenlexikon, Bd. V, S. 782. – Burgener, Helvetia sancta, Bd. II (1860), S. 350–356. – Meyer von Knonau in seiner Ausgabe von Ekkeharti Casus S. Galli (Mittheilungen z. vaterländ. Gesch., herausg. vom hist. Verein in St. Gallen, XV u. XVI, 1877), S. 203 f., 208, 209, 213 f., 276.