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Artikel „Weidmann, Paul“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 458–463, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Weidmann,_Paul&oldid=- (Version vom 5. Oktober 2024, 15:37 Uhr UTC)
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Weidmann *): Paul W., Dramatiker, wurde in Wien 1746 geboren und starb ebenda 1810. Er war ein jüngerer Bruder des einst. berühmten Komikers Joseph W. (s. o.) und verdankte seine Bildung einer der mit diesem zusammen besuchten Jesuitenschulen, damals in Oesterreich wol der besten Möglichkeit, ausgedehntes Wissen zu erlangen; übrigens ist er biographisch (Todesjahr?) und in seinem Schaffen mit diesem Bruder mehrfach verwechselt worden. Nach beendeten – das heißt kaum akademischen – Studien ging er in den Staatsdienst, in dem er es, 1777 als „Referendarius der königl. böhmischen Canzeley“ genannt, 1785 bis zum „Kanzelist in d. geh. Zifferkanzley“, zuletzt zum Official im k. k. geheimen Chiffreamte und vielleicht zum Hofconcipisten gebracht hatte. Bei diesem Berufe vermochte er sich reichlich litterarischer Wirksamkeit hinzugeben, und er bethätigte diese fast ausschließlich auf dramatischem Gebiete. Die Mehrzahl seiner vielen ernsten wie heiteren Schöpfungen kam auf die Bühne. In der Donau-Kaiserstadt selbst strich ihn die tadelbereite „Biedermannschronik“ als einen Wiener Schriftsteller der besseren Classe, der für die Schaubühne verschiedene gute Stücke geliefert und durch andere nützliche Schriften sich um Geschmack und Lectüre verdient gemacht habe, heraus. Sonst aber sind seine Geisteskinder sowol ihrer Zeit von etwas strengern Richtern als auch von der Litteraturgeschichte scharf genug beurtheilt worden. J. Chr. Fr. Schulz, selbst ein gehöriger Vielschreiber, zählt (1786 bez.) 1790 in „Literar. Anekdoten“ (S. 205 u. 216) unter zweit- und drittclassigen Wiener Litteraten W. an letzter Stelle, nachdem [459] dieser schon 1782 in desselben Schulz mit Erbstein (wie jene anonym) verfaßtem „Almanach der Bellettristen“ (S. 205 f.) wie folgt gekennzeichnet worden war: „Ein Allerweltsschmierer! War vor einiger Zeit noch Schauspieler in Wien, ob er noch dort ist, wissen wir nicht. Wir haben unter anderen eine ‚Originalschaubühne‘ (drei Bände, enthaltend 20 Stük) von ihm, die leicht das fadeste, elendeste, unverdauteste Zeug enthalten mag, das je auf die Bühne gebracht worden!“. Von neueren sei bloß Goedeke’s vernichtendes Votum „einer der oberflächlichsten Vielschreiber; arm an Erfindung, ohne örtliche Färbung“ danebengestellt, weil es sich nahezu damit deckt. Und doch gebührt vom Standpunkte historisch-kritischer Rückschau dem ehrlichen Willen, den ruhelosen Ansätzen dieses poetisch unveranlagten Mannes eine ordentliche Prüfung, ganz abgesehen davon daß er dem gewaltigsten und grandiosest ausgeprägten Dichtstoffe der Weltlitteratur Popularität bei weiten Auditorien und talentirten Musensöhnen, dazu wol manche fein abstrahirten Züge verliehen hat.

Man ist bis auf die neueste Zeit über die Zahl und damit über die sachliche Ausdehnung seiner Dramen im Unklaren geblieben. Wurzbach’s und Goedeke’s bibliographische Daten, theils nach den Einzeldrucken, theils nach den zwei Sammlungen festgestellt, weichen mannichfach von einander ab; immerhin genügen ihre Listen zum Einblick in die Unermüdlichkeit, mit der W. seit 1771 die weltbedeutenden Bretter mit Nahrung zu versorgen strebte. Diese zwei Sammlungen – übrigens bloß aneinandergeklebte Exemplare der Einzelausgaben mit dem entsprechenden Vorblatt des Haupttitels – sind: „Deutsche Original-Schaubühne“ (5 Theile), 1775 und „Sämmtliche theatralische Werke“ (8 Bde.), ohne Jahr, aber nach 1781 veranstaltet, nicht ‚177?‘, wie Wurzbach meint, da etliche mit 1781 datirte Stücke drin stehen. Irrthümer über die Verfasserschaft rührten von seiner in den Siebziger Jahren fast durchgängig beobachteten Anonymität her und deshalb erklärt er 1781 am Anfange des 7. Bandes in der Vorrede zu „Stephan Fädinger“, künftig den Namen nicht verschweigen zu wollen, worauf er folgendes bislang unbeachtete ‚Register‘ abdruckt, das mit 1780 abzuschließen scheint: „Verschiedene Originalgedichte. ‚Karls Sieg‘ ein Heldengedicht von zehen Gesängen, mit einer Abhandlung von der Epopee. ‚Der Pfarrerkrieg‘ ein scherzhaftes Heldengedicht von drey Gesängen. ‚Die donnernde Legion‘, ein Oratorium. ‚Der Tod Theresiens‘ ein allegorisches Gemälde. Originaltrauerspiele. ‚Adelheid‘, oder die Deutschen in fünf Aufzügen. ‚Pedro und Ines‘, in 5 Aufzügen. ‚Merope‘ in 5 Aufzügen. ‚Dido‘, in 5 Aufzügen. ‚Anna Boulen‘ in 5 Aufzügen. ‚Hababach‘, oder die Eifersucht im Serail, in 5 Aufzügen. ‚Usanquei‘ oder die Patrioten in China, in 5 Aufzügen. ‚Pizarro‘, oder die Amerikaner in 5 Aufzügen. ‚Mostadhem‘, oder der Fanatismus in 5 Aufzügen. Originallustspiele. ‚Der Leichtgläubige‘, in 5 Aufzügen. ‚Der Kontrast‘, oder der Geheimnißvolle, in 5 Aufz. ‚Der Ehrgeizige‘ in 5 Aufz. ‚Die schöne Wienerinn‘, in 5 Aufzügen. ‚Die Mütter‘, oder wie soll man denn euch Mädchen ziehn? in 5 Aufzügen. ‚Der Schwätzer‘, in 5 Aufzügen. ‚Der Gefühlvolle‘, in 5 Aufzügen. ‚Der Ungeduldige‘, in 5 Aufzügen. ‚Der Stolze‘, in 5 Aufzügen. ‚Der Mißbrauch der Gewalt‘, in 5 Aufzügen. ‚Der Fuchs in der Falle‘, ein altdeutsches Lustspiel in 5 Aufzügen. ‚Der Mißtrauische‘, in 5 Aufzügen. ‚Die Schule der Freygeister‘, in 3 Aufzügen. ‚Der Bettelstudent‘, oder das Donnerwetter, in 2 Aufzügen. ‚Der Kühehirt‘, in 2 Aufzügen. ‚Die Ueberraschung‘, in 1 Aufzug. ‚Die Erziehung‘, in 1 Aufzug. ‚Der Podagrist‘, in 1 Aufzug. Originaldramen. ‚Johann Faust‘, ein allegorisches Drama, in 5 Aufzügen. ‚Das befreyte Wien‘, in 5 Aufzügen. ‚Die Folter‘, oder der menschliche Richter, in 1 Aufzug. ‚Abdallah‘, oder keine Wohlthat bleibt uns belohnt, in 1 Aufzug. ‚Der Selbstmord‘, oder der unglükliche Lottospieler in [460] 1 Aufzug. ‚Die Räuber‘, in 1 Aufzug. ‚Die dankbare Tochter‘, in 1 Aufzug; Komische Originalsingspiele. ‚Der adeliche Taglöhner‘, in 3 Aufzügen. ‚Die Bergknappen‘, in 1 Aufzug. ‚Der glükliche Schatzgräber‘, in 1 Aufzug“. Ob ‚Die Jugendfehler. Originallustspiel in fünf Aufzügen‘, 1794 anonym erschienen, dem 7. Bande der 2. Gesammtausgabe eingeheftet und von Wurzbach gleichfalls W. zugetheilt, von ihm ist, bezweifle man. Jedoch sind mehrere in dieser Liste fehlende, in der zweiten Sammlung enthaltene dramatische Arbeiten sicher von ihm, weil mit dem Namen gezeichnet, so folgende vier von 1781: „Peter der Große ein heroisches Originalschauspiel“, dem Großfürsten ‚Paul Petrowitz‘, d. i. dem nachherigen Kaiser Paul, mit einer höchst speichelleckerischen Dedication zugeeignet; „Der Phönix oder Die Prüfung der Herzen ein Lyrisches Fest“, welches dreiactigen ‚heroischen Singspiels‘ Haupttheil ‚Die vom Amor entführte Grazie. Ein Prolog. Verfaßt Auf die Brauttage der durchlauchtigsten Prinzessin Elisabeth von Würtemberg‘ vorausgeht, ‚Das Göldene Zeitalter der Liebe ein Anakreontisches Ballet in Drey Aufzügen‘, eine genaue Prosabeschreibung der Pantomimen, folgt; „Stephan Fädinger, oder Der Bauernkrieg ein Originaldrama in fünf Aufzügen“; „Der Eulenspiegel, ein Allegorisches Schauspiel aus dem neunzehnten Jahrhundert“. Zeigen ihn die ersteren zwei als höfischen Dichter in der niedrigen Schablonenweise des sogenannten aufgeklärten Despotismus, so tritt er in den letzteren beiden plötzlich in Berührung mit den modernen Ideen, die am Ausgange des Decenniums ihres Erscheinens den Sieg der neuen Weltanschauung durch die That heraufführten.

Zum authentischen Material für das Verständniß von Weidmann’s Wirksamkeit gehören etliche ‚Vorberichte‘ seiner Dramen, die sich theoretisch, meist ästhetisch oder dramaturgisch, über einschlägige Ansichten verbreiten. Derjenige zu ‚Adelhaid‘ (1772) – spielt in Marbod’s und Drusus’ Sphäre – trägt der mächtigen teutonischen Strömung der Gerstenberg-Klopstock’schen Aera, die Denis u. A. in Wien propagirt hatten, mit patriotischen Floskeln Rechnung, der zu ‚Anna Boulen‘ (1771) spricht sich vernünftig über die Stellungnahme des Dramatikers zu geschichtlichen Persönlichkeiten dahin aus: „Man sucht Züge aus der Geschichte, eine Moral mit Anstand anbringen zu können; man schreibt seine Helden, nicht wie sie gedacht, sondern wie sie hätten denken sollen“, der zu ‚Dido‘ (1771) deutet den Unterschied der Behandlung desselben Stoffs in der Epopöe und im Trauerspiel an, der zur ‚Schule der Freygeister‘ (1772) stellt sich das Problem, analog Cervantes’ Satire wider die Ritterroman-Wuth durch komische Schilderung das Lächerliche der ‚Modewitzlinge‘ aufzudecken, der zum ‚Phönix‘ vertheidigt das Recht ‚schicksamer‘ Originalgedichte über fürstliche Familienfeste, endlich der Vorbericht zum ‚Eulenspiegel‘ entrollt innerhalb der Einkleidung eines ‚Traums des Herausgebers‘, einer nüchternen Dante-mäßigen Vision, folgendes fesselnde Gemälde vom damaligen Zustande des deutschen Theaterwesens: „Der Ruhm unserer Schaubühne gründet sich izt auf Originale, und wir erwärmen unsere Herzen mit vaterländischem Feuer, wo sich der Deutsche in der Schilderung deutscher Sitten erkennt. Wir haben unter anderen regelmässigen Stücken eine Gattung von allegorischen Schauspielen, welche die Nation durch die Neuigkeit besonders unterhält, weil in solchen Dramen die Dichter sich ihrer feurigen Einbildungskraft mit mehr Freyheit überlassen können. Dieß Fach der dramatischen Dichtkunst ist eine neuentdeckte Mine, wo der Witz unerschöpfliche Reichthümer finden kann, das Vergnügen gesitteter Zuschauer zu vervielfältigen. Athen und Rom … Deutschland wetteifert nun in jener Kunst … die wiedervereinigten Musen reichen einander die Hände, um den Ruhm Deutschlands zu erheben. Die Werke der Dichter sind nicht mehr dem Muthwillen, und Eigendünkel seichter Köpfe preißgegeben, die ganze Nation [461] macht sich izt ein rühmliches Geschäft daraus, durch ihre bescheidenen und einsichtsvollen Urtheile die Kunst auszubilden, zu verfeinern, und Genien aufzumuntern … Der rasende Garrikismus ist von der Schaubühne verbannt; jedem Mitgliede ist sein Platz von der Natur und von der Kunst angewiesen …“

Am Schlusse mehrerer Vorreden äußert sich W. auch über die Metrik. Diese ist in Wirklichkeit bei ihm fast überall völlig verlottert, so sehr er sich auch den Anschein gibt, sie handhaben zu können. Er besitzt kein Gehör, und so sind seine Verse meistens schier unlesbar, außer Durchschnittsversen der Gottsched’schen Epoche, der W. im ganzen zurechnet, dem Alexandriner, der einigermaßen erträglich klingt. Experimente wie in ‚Adelhaid‘, wo er vorausschickt: „Was die Versart betrifft, bediente ich mich der vollkommenen Jamben, wie sie die Alten in ihren Trauerspielen gebrauchten. Der zweyte, vierte und sechste Fuß ist ein Jambus. Die andern Glieder sind durch verschiedene Füße ausgefüllet“, oder in dem „deutschen Originaltrauerspiel“ – dies scheint er zu betonen, um seine Unabhängigkeit von Maffei und dessen Nachbildner Voltaire, zu denen er sich als natürlich in Gegensatz stellt, auszudrücken – „Merope“ (1772), wo er, „aus Neugier einen Versuch mit leichtfließenden Hexametern“ – ohne Ahnung von deren Gesetz und Rhythmus – macht, obwol ihm mit den Alten der Jambus als „bester Vers für das Trauerspiel“ gilt. Hingegen war W. zweifellos sprach- und litteraturkundig: ersteres beweist z. B. seine nicht unwitzige französische Zueignungsschrift an eine beliebige ungenannte Gönnerin zu ‚Die Mütter‘ (1773), wo die französelnde Sucht verspottet und am Ende die Unterschrift noch in ‚Votre très-humble P. Chasseur‘ übersetzt ist, letzteres die Vergleiche und Mottos aus Vergil, Camoens, Racine, Young und Cervantes, dessen Tendenz er an erwähnter Stelle hübsch aufspürt. Wurzbach erhebt den innern Werth dieser vielen dramatischen Schöpfungen auf eine höhere Stufe: er mißt ihm Erfindungsgabe und die Absicht menschliche Schwächen zu geißeln, bei, was ihm gegenüber Localthorheiten auch mit vollster Wirkung auf die Lachmuskeln seiner Wiener gelungen sei, vermißt jedoch ebenfalls Zeit und Geduld zum Ordnen und Feilen; auch läßt er in einer Periode, da Buchdramen noch nicht an der Tagesordnung waren, ihre Menge für ihre zeitgenössische Schätzung sprechen. Einer nähern Einsicht scheinen sie als Niederschläge des theatralischen Geschmacks im subjectiven und objectiven Sinne gewiß schon aus culturgeschichtlichen wie auch aus litterarhistorischen Gesichtspunkten höherer Aufmerksamkeit werth, als ihnen das heutige Studium von Zeit und Gattung geschenkt hat.

Eine solche ist nur zweien zu theil geworden, dem Schwank „Der Bettelstudent“ (1776) und dem ‚allegorischen Drama‘ „Johann Faust“ (1775). Des ersteren „gute Laune“ als Ursache seines Bühnenglücks (Schlögl, Vom Wiener Volkstheater, 1883, S. 114) – z. B. 8. Juli und 30. Dec. 1787 als zweiactige komische Oper mit Musik von Winter auf dem Mannheimer Nationaltheater aufgeführt (vgl. dessen „Protokolle“ von 1781–89, hg. von Martersteig, 1890, S. 372 u. 457) – erkannte schon der anspruchsvolle W. Menzel (Gesch. d. dtschn. Dchtg. III, 60) an, ohne den wahren Grund dafür zu ahnen, daß dies „Originallustspiel in zwey Aufzügen“, das wol auf dem ‚Churfürstl. Theater zu München‘ 1777 seine Première erlebte (bezüglicher Druck in München Staatsbibl. u. Universitätsbibl.), seinen Ursprung von Burkard Waldis (s. d.), dem trefflichsten Fabulisten des Reformationshumanismus, nahm. Bolte’s und Seelmann’s Ausgabe „Niederdeutscher Schauspiele älterer Zeit“ (1895) S. *46 merken dies und die bezeichnende Moralisirung des Themas, sowie die Schar von Singspielen an, die sich wenigstens bis 1839 Weidmann anlehnten (vgl. auch Aug. Hartmann, Volksschauspiele in Oesterreich u. Bayern ges., 1888, S. 380); A. v. Weilen i. d. Jahresber. f. neuere dtsch. Litteraturg. 4. Bd. IV 4, 1 weist die selbst aufgestellte Abhängigkeit von Boccaccio [462] (Goedeke2 § 259 [nicht 258]; S. 314, 40) zurück. Grillparzer (Werke5 XVII, 248) bemerkt (1843): „Die deutsche Posse ‚Der Bettelstudent‘ ist die Cueva de Salamanca von Cervantes“, wozu Sauer im Register (S. 260) W. als Verfasser nachträgt. Die Anfang der Achtziger unsers Jahrhunderts von Wien aus den Erdball erobernde Operette F. Zell’s (= Camillo Walzel) und Rich. Genée’s „Der Bettelstudent“ hat keinen Zusammenhang damit. – Weidmann’s Faust-Drama ist schon vielfach besprochen und zergliedert worden, durchgängig aber sehr ungünstig; als typisch sehe man W. Scherer’s (Gesch. d. d. L., S. 703) und K. Fischer’s (s. u.) Ueberblick. Es wurde als ‚Johann Faust. Ein allegorisches Drama von 3 Aufzügen. Zum Erstenmahl Aufgeführt auf der kgl. Prager Schaubühne von der von Brunianischen Gesellschaft‘ und anonym im selben Jahre 1775 ebenda und mit staatlicher Censur in München gedruckt. Am 16. Mai 1776 gelangte es, von Josef Michl componirt, auf das Münchner „Deutsche (Hof)Theater“ (vgl. General-Anzeiger der Münchner Neuesten Nachrichten zu Nr. 492 vom 22. Oct. 1896), wurde aber nach dem ersten Male verboten, ferner dargestellt in den nächsten sechs Jahren zu Ulm, Nördlingen und mehrfach in Nürnberg. Schon damals wurde das, wenn man den Maßstab anlegt, ob die Behandlung dem Faust-Problem genügt, mißlungene Werk, sei es aus Speculation oder Unverständniß, wiederholt als Lessing’s verschwundene Bearbeitung bezeichnet, und diesen kaum glaublichen Irrthum hat der Neuherausgeber des Rarität gewordenen Stückes, Karl Engel (1877, 2. Ausg. 1882), aufgefrischt. Die Entgegnungen auf diese These – vgl. Archiv f. Litteraturgesch. VII, 146 f. und Danzel-Guhrauer’s „Lessing“2 I, 448 Anm. 1 – haben mannichfache interessante Einzelheiten ans Licht gebracht, wovon genannt seien: R. M. Werner im Anzgr. f. dtsch. Altert. III, 203 f., 281 und Goethe-Jahrb. XIV, 248; Aug. Sauer, ‚J. W. von Brawe‘ (wo S. 40 f. Weidmann’s ‚Schule der Freygeister‘ auf Brawe’s ‚Freigeist‘ zurückgeführt wird), S. 90, 94, 96, 100 f., 105, 112, 115; Goedeke, Götting. gel. Anz. 1882, S. 1088; H. Pfeilschmidt in der Vereinspublication „Altes und Neues aus dem Pegnes. Blumenorden“ II, 176–188 (dazu Blätt. f. lit. Unterh. 1893, S. 403–405); G. F. Pfeiffer, Klingers Faust (1890), S. 93 f.; L. Fränkel im Goethe-Jahrb. XIV, 291 f.; Ed. Sack, Frkf. Ztg. Jg. 38 Nr. 258, 1. Mgbl., Anm.; A. v. Weilen, Dtsch. Literaturztg. 1894, S. 111; (O. Heuer im) Katalog der Frankfurter Faust-Ausstellung von 1893, S. 61 f.; derselbe i. d. Bericht. des Freien dtsch. Hochstifts. N. F. X, 50*; P. M. Reber, Erinnerung an Goethe’s Faust in Wort u. Bild (1895), S. 3; L. Fränkel i. d. „Gegenwart“ XLIX, Nr. 5, S. 72 f.; R. Warkentin, Nachklänge der Sturm- und Drangperiode in Faustdichtungen, S. 3–7; Th. Hampe i. d. Mitthlgn. des Vereins f. Gesch. d. St. Nürnberg XII, 291 f. u. 297; E. Horner i. d. Sammelschrift „Ein Wiener Stammbuch. Carl Glossy gewidmet“ (1898), S. 109 f. u. 113. Eine harte Abfuhr erlitt die Lessing’sche Autorschaft besonders in Kuno Fischers Abhandlung „Ein litterarischer Findling als Lessing’s Faust“ in „Nord und Süd“ I (1877), S. 262–283 (Abdruck in s. „Kritischen Streifzügen wider die Unkritik“ S. 31–85 [= Kl. Schriften (4) S. 313–367]), freilich ohne W. zu kennen. O. Heuer’s Annahme an erstgenanntem Orte, das dem Frankfurter Freien dtsch. Hochstifte gehörige Exemplar, auf dem Engel’s Neudruck beruht, sei das einzige gerettete, gilt bloß für den Münchner Neudruck des Prager Originals: ein Exemplar von letzterem ist seit der Auction der Franz Haydingerschen Bibliothek zu Wien 1876 (vgl. deren Katalog, I. Abth., S. 59, Nr. 831) verschollen; einen Wiener Druck, wie ihn Wurzbach für 1775 sichtlich ohne Autopsie in der Reihe der Weidmann’schen Dramen anführt, gibt es nicht.

Zu und von sonstigen litterarischen Leistungen Weidmann’s ist noch zu erwähnen, daß das von ihm selbst angeführte Heldengedicht „Karls Sieg“ denjenigen [463] Karl’s V. bei Mühlberg 1547 meint, daß „Der Pfarrerkrieg … , ein scherzhaftes Heldengedicht“ auch „die Parochiade“ betitelt und außer in einer Wiener Ausgabe von 1776 in einer ebensolchen von 1781 belegt wird, bei Goedeke2 IV, 2339, der auch „Die Nonnenschlacht, ein scherzhaftes Gedicht. Wien 1782“ nennt, dazu wol noch „Seladoniade. Ein scherzhaftes Heldengedicht in fünf Gesängen. Prag 1779“ (s. Goedeke1 II, 637, 397); ferner „Der Almanach der Liebe“ (1783; dahinter ein „Verzeichniß Weidmanns sämmtlicher Werke“, wovon mehrere nicht nachweisbar), episch-anakreontisch, in H. Hayn’s „Bibliotheca Germanorum erotica“2, S. 341 (Münchn. Staatsbibl.), ebenso die ebenda von Hayn mit dem Prädicate „beides zahm“ verzeichneten „Charakteristischen Satyren nach den Temperamenten, gesammelt von Weidmann“ (Dessau u. Lpz. 1784; Berlin Kgl. Bibl.), wie „Almanach“ ohne Vornamen; diese spiegeln den Cholerikus, Sanguinikus, Melancholikus, Phlegmatikus und besonders Mixtus in Satyren (und Epigrammen) wieder, die in der analogen Reihenfolge den Männern Wendel, Filsing, Schwaner, Segel, Helsing zugeschoben werden. Letzteres Product und einige sonst unbelegte dramatische verzeichnet auch Wurzbach; das von Goedeke Joseph W. (s. o.) zugeschriebene Stück „Der Dorfbarbier“ nennt Wurzbach ein Singspiel (Wien 1801) von Paul W. Fernbach’s „Theaterfreund“ nennt „Adelheid“, „Merope“, „Stephan Fähdinger“ (S. 148) u. a. s. v.

Aelteste Angaben in (De Luca,) Das gelehrte Oesterreich (1778), I2, S. 243; Faschingskrapfen für die Herren Wiener Autoren von einem Mandolettikrämer (1785, vgl. Goethe-Jahrb. XIV, 294; jetzt in der Faust-Sammlung von Dr. E. G. Stumme in Leipzig), S. 41 sub Weidmann: „Potz tausend! bald hätt’ ich Sie gar vergessen. Nein doch! Sie müssen auch von meinen Krapfen essen“); Meusel, Gelehrt. Deutschland VIII, 392; bisher unberücksichtigte Lebensskizze mit Bibliographie in Pierer’s Universal-Lex.2 33 (1846), 420 a, Supplemente dazu 6 (1847), 552 a („später zum Hofconcipisten ernannt“, Tod 1811); Goedeke, Grundr. z. Gesch. d. dtsch. Dicht.1 II S. 608 Nr. 301, S. 637 Nr. 396, S. 1070 Nr. 636, ders. 2. Aufl. IV S. 2339 und V S. 313–315 (auch § 21961); Wurzbach, Biogr. Lex. d. Kaiserth. Oesterr. 53, 272 f. (Hauptsammlung des Materials). Correcturen zur Lebensbeschreibung und Wirksamkeit in oben angegebenen Untersuchungen der „Faust“-Frage, z. B. Pfeilschmidt’s und des Unterzeichneten (Goethe-Jahrh., s. o.), bei beiden der ‚Carl Weidmann Referendarius etc.‘ zu streichen, jedoch unaufgeklärt.[1] – Betreffs seiner Stoffe fand W. fast nirgends für Parallelen bei Litterarhistorikern Rücksicht, fehlt z. B. bei denen, die die „Merope“-Fabel vornahmen: Sallwürk, Ausg. Von Voltaire’s „Merope“, 1881, S. 1 ff., R. Schlösser, Zur Gesch. u. Krit. von Gotters Merope, 1890, S. 38 ff., G. Hartmann, Merope im ital. u. frzs. Drama, 1892, S. 1 u. 78 f.; E. G. Teichmann, Merope im ital. u. frzs. Drama, XXIII. Progr. d. Realgymn. Borna, 1896; nur Hartmann’s Recensent Stiefel, Ztschr. f. frzs. Spr. XV, II 45 weist W. nach.

[458] *) Zu Bd. XLI, S. 459.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 463. Z. 11 v. u.: betreffs des Paul Weidmann’schen „Faust“ trage ich nach: K. Engel, Zusammenstellung der Faust-Schriften2 (1885), S. 206, citirt etliche Widerlegungen seiner Lessing-Hypothese, behauptet, der Verfasser sei für den Augenblick nicht festzustellen, und verzeichnet unter Nr. 528 die zweite Auflage (1882) seines 1877er Druckes, wo er Lessing’s behauptete Autorschaft fallen läßt und die wider seine Hypothese 1877/78 erschienenen Widerlegungen aufzählt. [Bd. 44, S. 577]