ADB:Wangenheim, Karl August Freiherr von

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Artikel „Wangenheim, Karl August Freiherr von“ von Friedrich Wintterlin in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 153–155, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wangenheim,_Karl_August_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 06:14 Uhr UTC)
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Wangenheim: Karl August Frhr. v. W. entstammte einem alten thüringischen Adelsgeschlecht und wurde als Sohn des gothaischen Generals Karl Bernhard Heinrich v. W. am 14. März 1773 zu Gotha geboren, woselbst er auch seine Gymnasialbildung empfing. In Jena und Erlangen widmete er sich der Rechtswissenschaft, interessirte sich daneben aber lebhaft für alle Erscheinungen auf andern Gebieten geistigen Lebens. Als Rath in den Dienst der coburg-saalfeldischen Regierung unter dem Minister v. Kretzschmann getreten, erfreute ihn, den man als geistreichen Gesellschafter auch bei Hofe gerne sah, zugleich eine angeregte Geselligkeit. Zum Vicepräsidenten der Regierung ernannt, sah er sich – bei näherer Bekanntschaft genöthigt, sein Urtheil über v. Kretzschmann’s Verwaltung zu ändern und suchte auch seinen Fürsten von dessen Verwerflichkeit zu überzeugen. Allein ohne Erfolg, vielmehr wurde W. selbst vom Herzog des Dienstes entlassen. Klagend wandte er sich an den Reichshofrath und vertrat auch litterarisch in einem zweibändigen Werke: „Auch ein Beitrag zur Geschichte der Organisation der coburg-saalfeldischen Lande durch den Minister Th. v. Kretzschmann“ (Coburg 1805), seine Sache. Die ihm günstige Entscheidung des Reichshofraths blieb nach dem Zusammenbruch des Reichs ohne praktische Folgen für W. Entscheidend für sein ferneres Geschick war ein Auftrag der Herzogin von Hildburghausen, der ihn in Familienangelegenheiten dieser Fürstin nach Stuttgart führte. Das energische Wesen König Friedrich’s zog ihn an und er trat im J. 1806 in dessen Dienste als Leiter der Finanzen in der Stellung eines Präsidenten der Oberfinanzkammer. Nach kurzer Zeit (1811) wurde er jedoch zum Präsidenten des Obertribunals und zum Curator der Universität Tübingen ernannt. Der Freund der Wissenschaften und regen geselligen Verkehrs kam bald in die angenehmsten Beziehungen zu Professoren und Studenten. Weniger günstig für den Staatsmann war es, daß er sich unter dem Einfluß einzelner Professoren wie Eschenmayer’s ein mit naturphilosophischen Ideen durchtränktes politisches System errichtete, in welchem er zur Lösung aller Fragen einen Schlüssel zu haben glaubte. In Württemberg war im Frühjahr 1815 der Streit über die Verfassung ausgebrochen. W. trat in den Kampf ein mit einer zwischen den Ansichten des Königs und denjenigen der Stände vermittelnden, übrigens sehr doctrinären Schrift, die im Sommer 1815 unter dem Titel „Die Idee der Staatsverfassung mit besonderer Rücksicht auf Württembergs alte Landesverfassung etc.“, erschien. Sie veranlaßte den König den Verfasser zum Mitgliede einer Commission zu ernennen, die den Frieden zwischen der Krone und den Ständen herstellen sollte. Im Herbst 1815 wurden den letzteren 14 von W. aufgestellte Artikel als Grundlage für ihre Berathungen vorgelegt, die bedeutende Zugeständnisse in ihrem Sinne enthielten. Allein nur bei wenigen Ständemitgliedern wie bei Griesinger, dem großen Juristen, und Cotta, dem großen Kaufmann gelang es W., politische Unterstützung und persönliches Vertrauen zu gewinnen. Er hielt jedoch auch aufsteigenden Bedenken des Königs gegenüber an dem Ziele die Verfassung zu Stande zu bringen fest, so noch in einem im J. 1816 veröffentlichten Berichte an den König, in dem er eine Verfassung als das einzige Mittel gegen Geheimbünde pries. Trotzdem wurde seine im September 1816 erschienene Schrift „Ueber die Trennung der Volksvertretung in zwei Abtheilungen und über landschaftliche Ausschüsse“ sogar als ein Versuch Wangenheim’s, die Angelegenheit zu verschleppen, angesehen. Selbst Hegel’s Vertheidigung seiner Ideen in den Heidelberger Jahrbüchern der Litteratur (1817, Nr. 66 ff.) nützte W. bei den Schwaben nichts; auch die persönliche Verständigung mit den Ständen wurde erschwert, als er vollends seine Gegner als „Schreiber“ verspottete.

Am 30. October 1816 starb König Friedrich. König Wilhelm begann alsbald mit einer Reihe von Reformen auf allen Gebieten. W. übernahm das [154] Cultusministerium im sogenannten „Reformministerium Wangenheim-Kerner“. Aber die Verfassungsangelegenheit rückte nicht vorwärts. W. wurde immer unpopulärer, man warf ihm in Stuttgart die Fenster ein. Schließlich veranlaßten ihn Meinungsverschiedenheiten mit dem zum Leiter der Finanzen berufenen weiland westfälischen Minister Malchus im November 1817 seinen Abschied zu nehmen. Das Verfassungswerk wurde ohne ihn wesentlich durch Cotta’s vermittelnden Einfluß zu Stande gebracht, er selbst aber zum Gesandten am Bundestage ernannt. Seine angenehmen gesellschaftlichen Formen, seine vielseitigen Interessen verschafften ihm viele Freunde in Frankfurter Kreisen, seine Thätigkeit und Geschäftskunde machten ihn bald auch zu einem angesehenen Mitgliede des Bundestags. Er gab sich Mühe auf politischem, wirthschaftlichem und kirchlichem Gebiete einen engeren Bund der constitutionellen Staaten des „reinen Deutschlands“ gegenüber Oesterreich und Preußen, die Verwirklichung der sog. Triasidee, welche auch seinem naturphilosophischen Grundsatze von der Einheit in der Dreiheit als dem Gesetz alles Lebens entsprach, zu Stande zu bringen. Mit einer wechselnden Zahl gleichgesinnter Collegen leistete er Metternich’s Politik hierdurch mehrere Jahre tapferen Widerstand, hierbei freilich der Welt das eigenthümliche Schauspiel einer Partei von Gesandten bietend, die eine mit der ihrer Regierungen bisweilen nicht einmal übereinstimmende eigene Politik trieben. Außerhalb des Bundestags entwickelte er eine besonders lebhafte Thätigkeit bei den Conferenzen der Staaten der oberrheinischen Kirchenprovinz, die er am 24. März 1818 zu Frankfurt eröffnete und von welchen er die Herstellung des Episcopalsystems erwartete. Auch die Zollvereinsangelegenheiten fanden sein regstes Interesse. Zunächst auf Gestaltung eines Sonderzollvereins für sein „reines Deutschland“ bedacht, war er der Mittelpunkt der Darmstädter Handelsconferenz von 1820, wo er entsprechend der Haltung seiner um das Zustandekommen lebhaft bemühten Regierung zwischen den rheinischen Freihändlern und den bairischen Schutzzöllnern zu vermitteln sich bemühte, ohne daß es gelungen wäre, in Darmstadt ein greifbares Resultat zu erzielen. Noch in späteren Jahren als König Wilhelm auf den Anschluß Württembergs an den preußischen Zollverein hinarbeitete, unterstützte W. nun, ebenfalls einen einheitlichen Zollbund als Ziel vor Augen, diese Bemühungen. Am Bundestag aber waren dem Fürsten Metternich W. und seine Partei immer unbequemer geworden. Schon im Sommer 1822 hatte ersterer mit Preußen „die Epuration des Bundestags“, worunter er die Verdrängung jener verstand, insgeheim verabredet. Nach Beendigung des Veroneser Congresses betrachtete er dies als nächste Aufgabe. Gleichsam zum Unterpfand für die Wiederherstellung der namentlich durch eine Erklärung Württembergs gegen das Veroneser Rundschreiben gestörten Freundschaft dieses Landes mit den Großmächten, verlangten Oesterreich und Preußen im Frühjahr 1823 direct Wangenheim’s Abberufung, die, doch erst im Juli 1823, dann auch erfolgte.

W. lebte in der Folgezeit zunächst in Dresden, dann in Coburg, seine Zeit zwischen der Geselligkeit und den Wissenschaften theilend. Die Entwicklung der politischen Dinge verfolgte er mit reger Aufmerksamkeit. Im J. 1833 wollte ihn ein württembergischer Wahlkreis in den Landtag wählen. Allein dort drang nach lebhafter Debatte die Ansicht durch, daß nach der Verfassung der Gewählte in Württemberg wohnen müsse. In der hierdurch veranlaßten Schrift „Die Wahl des Freiherrn v. Wangenheim, K. württ. Staatsministers a. D., in die württemb. Ständeversammlung“ (1832), legte er noch eine Art von politischem Glaubensbekenntniß ab. Zwei Schriften: „Oesterreich, Preußen und das reine Deutschland auf der Grundlage des deutschen Staatenbundes organisch zum deutschen Bundesstaat vereinigt“ (Weimar 1849) und „Das Dreikönigsbündniß und die [155] Radowitz’sche Politik“ (1851), zeigen, daß die Triasidee ihn noch immer beherrschte. Am 19. Juli 1850 ist W. zu Coburg gestorben. Es gibt von ihm ein Oelbild, gemalt von Ferd. Hartmann, in der Staatsgalerie zu Stuttgart und eine Zeichnung nach dem Leben von S. Diez (1843), lith. von J. Wölfle.

v. Treitschke, historische u. politische Aufsätze I, 1886, S. 197 ff. – Derselbe, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. 2 u. 3 a. m. O. – Pahl, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, Tübingen 1840, S. 412 ff. – Beiträge zu einer Familiengeschichte der Freiherrn v. Wangenheim, von F. H. A. v. Wangenheim, als M. gedr., Göttingen 1874, S. 447 ff. – K. V. v. Riecke, Zur Vorgeschichte des deutschen Zollvereins (Auszüge aus Briefen des Freiherrn v. W.) in Württ. Vierteljahrshefte für Landesgeschichte, II, 1879, S. 101 ff.