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Artikel „Kretschmann, Theodor Konrad v.“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 132–140, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kretschmann,_Theodor_von&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 00:07 Uhr UTC)
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Band 17 (1883), S. 132–140 (Quelle).
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Kretschmann: Theodor Konrad v. K., sächsisch-coburgisch-saalfeldischer Minister und publicistischer Schriftsteller. Reich begabt und voll Hingebung an seinen Beruf, schroff aber ehrenhaft in seinem Wesen, dabei leidenschaftlich und ruhmsüchtig, hatte K. nach vollendeten akademischen Studien bis an sein Lebensende fast unablässig widrige Angriffe abzuwehren, oder harte Kämpfe zu bestehen, welche vermöge ihrer bisweilen tragischen Züge unser Interesse in Anspruch nehmen. K. böte deshalb an sich lohnenden Stoff zu einer psychologischen Studie. Wäre er unter gleichen Umständen an der Spitze eines großen Staates gestanden, so wäre ihm ein Blatt in der Geschichte gesichert; als coburgisch-saalfeldischem Minister und fürstlich Wittgenstein’schen Agenten droht seinem Namen die Vergessenheit. Und doch ist er für den Biographen eine bedeutsame Erscheinung. Die bunte Fülle seiner Erlebnisse ist nicht blos anziehend, sie ist auch ein lehrreicher Stoff, zumal K. mit einem Stücke deutscher Partikulargeschichte aus bewegter Zeit enge verknüpft ist. Geboren am 8. Nov. 1762 zu Bayreuth, wo sein Vater mit dem Titel eines Justizrathes die Stelle eines Regierungsregistrators bekleidete, besuchte er von 1775 das Gymnasium seiner Vaterstadt und bezog 1780 als Candidat der Theologie die Universität Erlangen; doch schon nach wenigen Monaten finden wir ihn in den juristischen Hörsälen und zeigte er für öffentliches Recht und dessen Hilfswissenschaften besondere Vorliebe. Zwistigkeiten mancherlei Art bewogen ihn, Erlangen schon 1782 zu verlassen. Er ging nach Saalfeld a. S., wurde daselbst herzoglich coburgischer Commissions-Secretarius, und begann alsbald seine litterarische Thätigkeit mit Gründung der „Staatswissenschaftlichen Zeitung“ (Kahla und Leipzig 1789 und 90), deren Fortsetzung hauptsächlich durch einen für K. höchst widerwärtigen Vorfall schon im dritten Jahre unterbrochen wurde. K. besprach in seiner Zeitschrift öffentliche Einrichtungen und Zustände mit Freimuth und Offenheit, ohne dem jeweiligen Regierungsstandpunkte Rechnung zu tragen. Es ist nun wohl möglich, daß er aus diesem Grunde in den Verdacht gerieth, in Verbindung mit dem Kriegsrathe Kranz staatsgefährliche Schriften zu verbreiten. In derselben Nacht, in der ihn seine Gattin mit einem Sohne beschenkte, wurde bei ihm durch eine eigene Hofcommission Haussuchung gehalten, und die Wegnahme seiner gesammten Privatcorrespondenz verfügt. Es stellte sich zwar schließlich die volle Unschuld Kretschmann’s heraus; allein der Vorgang machte in dem kleinen Orte Aufsehen und verleidete ihm den Aufenthalt dortselbst. Er verkaufte sein Wohnhaus und zog im Frühjahr 1791 nach Jena, wo er sich in gesteigerter litterarischer Thätigkeit auf den Lehrstuhl vorbereitete. Zunächst verfaßte er seine Dissertation: „De stupro voluntario“ (Stuttg. 1791, 4°.), wofür ihm die Stuttgarter Juristenfakultät am 15. Febr. 1791 die höchste akademische Würde, die Jenenser Hochschule die facultas legendi verlieh, von welcher er durch Abhaltung von Vorträgen Gebrauch machte. Dann erschienen bis 1794 in ununterbrochener [133] Folge sechs weitere theils staats- theils privatrechtliche Schriften (von welchen 2 größere in lateinischer Sprache abgefaßt sind). Unter ihnen verdient der „Versuch eines Lehrbuches des positiven Rechtes der Deutschen“, Bayreuth 1793. 259 S. 8°. besondere Erwähnung. Das dem Gönner Kretschmann’s, dem Minister Freih. v. Hardenberg, gewidmete Buch enthält nur das Staatsrecht, das den zweiten Theil bildende Privatrecht ist unbearbeitet geblieben. Die Vorrede liefert eine kurze Methodologie, und erörtert die mannigfachen Abweichungen von dem durch Pütter’s Schule begründeten Systeme; wie denn K. auch in der Wissenschaft nicht der herrschenden Meinung, sondern eigenen Forschungsergebnissen folgt. So erblickt er, um nur einen charakteristischen Zug anzuführen, den Staatszweck nicht in der allgemeinen Sicherheit oder dem Gemeinwohle; ihm ist der Staat „eine öffentliche Zuchtanstalt, durch welche man die Menschen mit Aufopferung aller Individualität auf eine höhere Stufe der Entwickelung führen müsse“! Kretschmann’s Schrift ist aber auch darum lesenswerth, weil manche Ansicht des Docenten K. von jener des Minister K. merklich abweicht. Diese in der gelehrten Welt nicht unbeachtet gebliebenen Arbeiten verschafften ihm Ende 1792 einen Ruf als außerordentlicher Professor der Rechte in Erlangen, kurze Zeit darauf forderte ihn Freih. v. Hardenberg, der damals Minister in den fränkischen Herzogthümern war, auf, in den preußischen Verwaltungsdienst zu treten. Nach Kretschmann’s eigener Erzählung gab ihm der Kampf zwischen Preußen und Sachsen um das Hoheitsrecht über das früher Kretschmann’sche Rittergut Caulsdorff a./S. Veranlassung (1792) in preußische Dienste zu treten. Er lieferte der preußischen Regierung das Material zu einer siegreichen Entscheidung, und wurde im März 1793 von König Friedrich Wilhelm als Regierungsrath in Bayreuth bestätigt. K. hatte vorzüglich die auswärtigen Verhältnisse zu bearbeiten, welche Aufgabe die ganze Kraft eines tüchtigen Reichspublicisten in Anspruch nahm. Nachdem die Krone Preußen mit Antrittspatent vom 5. Januar 1793 die Regierung über die fränkischen Fürstenthümer übernommen hatte, sollten nun die nach Inhalt und Umfang vielfach bestrittenen Hoheitsrechte dieses Gebietes geregelt und daher die staatsrechtlichen Verhältnisse aller Nachbarn und Insassen rechtlich geprüft werden. Wie verwickelt und vielgestaltig die öffentlichen Zustände des deutschen Reiches damals waren, davon kann man sich durch einen Blick auf Kretschmann’s Ausarbeitung überzeugen, welche sich auf nicht weniger als 44 Nachbarterritorien zu erstrecken hatte! So begegnen wir in dem bunten Verzeichnisse betheiligter Nachbargebiete u. a.: 3 Kurstaaten, 5 geistlichen, 4 weltlichen Fürstenthümern, 5 Reichsgrafschaften, 6 Reichsstädten, 4 Reichsritterschaften, 9 Prälaturen und 2 Reichslehen. Schon gegen Schluß des J. 1795 hatte K., durch gute Vorarbeiten unterstützt, sein Gutachten beendet, das er – nach Berlin berufen, in Gegenwart Klüber’s (des Vertrauensmannes Hardenberg’s in reichsrechtlichen Fragen) in mehreren Sitzungen vortrug. Da sich Klüber alsbald mit der Rechtlichkeit der aufgestellten Grundsätze und mit der actenmäßigen Entwickelung des Gegenstandes einverstanden erklärte, erfolgte 1796 die allerhöchste Sanction im Sinne des Kreschmann’schen Entwurfes. Er hatte sein Referat gerade in dem Zeitpunkte – Ende 1795 – vollendet, wo die neue Organisation der oberen Landesbehörden in Preußisch-Franken in Vollzug kam; er wurde aus dem Regierungscollegio in die Kriegs- und Domänen-Kammer verpflanzt; schon nach wenigen Monaten – im Frühjahr 1795 erfolgte seine Versetzung an das Landesministerium der Fürstenthümer, unter Ernennung zum vortragenden Rathe in Hoheitssachen. Eines der ersten Geschäfte in dieser neuen Stellung war die Abnahme des Huldigungseides auf Grund der neuen geordneten staatsrechtlichen Verhältnisse. Ein sehr peinliches Geschäft, da man diesen Eid, wodurch man längst gewohnten Verhältnissen [134] entsagen sollte, als gezwungen ansah, und meist nur ungern ablegte. Durch die Prüfung der Hoheitsrechte hatte sich K. von Seite der fränkischen Ritterschaft manche Beschuldigung und manchen Tadel zugezogen, bei dem neuen Commissorium mehrten sich die gehässigen Angebereien und verbitterten ihm viele Stunden. Welch’ geringer Werth indessen solchen Angebereien beigelegt wurde, zeigt am besten, daß man trotzdem K. die nothwendig gewordenen Vorarbeiten zu der Umformung der unteren Aemter in den Markgrafenthümern übertrug. Es gab aber auch Wenige, welche mit den administrativen Zuständen von Ansbach-Bayreuth vertrauter gewesen wären als gerade er; überdieß lehrte die spätere Erfahrung, daß er für organisatorische Einrichtungen ein auffallendes Geschick besaß, und so fand sein Organisationsplan die Billigung Hardenberg’s und die Bestätigung des Königs. Es giebt Beamte, welche ihren Hauptgenuß in Steigerung ihrer Leistungen durch Verbindung verwandter Arbeiten mit ihren Berufsarbeiten finden. Zu diesen nie rastenden Beamten zählte K. So gab er neben seinen wahrlich nicht geringfügigen Büreauarbeiten 1794 und 95 im Verein mit dem um die Rechtswissenschaft in den Fürstenthümern vielverdienten Präsidenten Freih. v. Völderndorff die „Staatswissenschaftliche und juristische Litteratur“ heraus, welche in Monatsheften die namhaftesten Werke auf staats- und privatrechtlichem Gebiete in Form kurzer Recensionen zur Kenntniß der Leser brachte. In den Jahren 1796 bis 1799 bearbeitete er mit Hänlein das „Staatsarchiv der königl. preuß. Fürstenthümer in Franken“ (Bayreuth 8°. 2 Bde.), eine größere Sammlung von Staatsschriften, welche Bezug auf die Staatsverfassung der fränkischen Fürstenthümer haben, und aufklärende Aufschlüsse über diesen Theil des deutschen Territorialstaatsrechts geben. Dazwischen besorgte er, und zwar ohne jedes Entgelt – 1797 die Einrichtung der Finanzverwaltung der Grafschaft Pappenheim, begann sodann im Sommer 1797 das Debitwesen des in Vermögensverfall gerathenen Kammerherrn, Freih. v. Wurster auf Wilhermsdorf in einer für diesen höchst günstigen Weise zu bereinigen, und brachte 1798 die Regierungsangelegenheiten, das Finanzwesen und die Organisation der Besitzungen des Grafen Giech zu Thurnau in Ordnung. Aeußerst anerkennende Dankschreiben der Betheiligten bekunden die Uneigennützigkeit des Verfahrens und die befriedigende Lösung der Aufgaben. Und doch sollte sich eine bittere Erinnerung an diese Akte der Gefälligkeit knüpfen. Freiherr v. Wurster hatte 1797 Kretschmann’s Gattin in des Mannes Abwesenheit einen Rehbock, ein Paar Rebhühner und Gartenfrüchte im Gesammtwerthe von 2 fl. 36 Xr. übersandt; da jene das Geschenk (gegen ein Trinkgeld von 4 fl. 30 Xr.) annahm, wurde ihr Gatte in zwei Instanzen wegen Bestechung verurtheilt. Diese Verurtheilung kränkte ihn tief, zumal er dieselbe auf Gehässigkeit zurückführen zu müssen glaubte. (Er hat im ersten Bande seiner Zeitschrift „Staat und Hof“ alle betreffenden Actenstücke veröffentlicht.) Wegen Kretschmann’s ungewöhnlicher Brauchbarkeit in und außerhalb der Amtsstube übertrug ihm Hardenberg 1797 das Generaldepartement bei dem Landesministerium nebst der Controle über die einschlägigen Geschäfte. Er bereitete u. a. nun eine Landesvermessung, dann eine Landesbeschreibung vor, und trat mit auswärtigen Staatsmännern über neue staatliche Einrichtungen in regen Meinungsaustausch. Im Spätjahre 1797 starb König Friedrich Wilhelm II. Das fränkische Landesministerium wurde aufgelöst und mit dem Generaldirectorium in Berlin vereinigt, Hardenberg nach Berlin berufen, K. als zweiter Kammerdirector in Bayreuth ernannt. Schwer enttäuscht zog er 1797 von Ansbach nach Bayreuth, nachdem er 1795 von Bayreuth nach Ansbach gezogen war. Er hatte sich für seine außergewöhnlichen Leistungen auch außergewöhnliche Anerkennung erwartet; das Fehlschlagen dieser sicheren Hoffnungen erweckte bei dem ehrgeizigen Manne bittere Gefühle; indeß erfolgte nachträglich eine solche Anerkennung, indem er 1801 unter besonderer [135] Betonung der so ersprießlich geleisteten Dienste in den preußischen Adelstand erhoben wurde. K. blieb nicht lange in Bayreuth; 1801 trat er in sächsisch-coburgische Dienste, welcher Dienstübertritt auf seinen späteren Lebensgang maßgebenden Einfluß äußerte. Als Herzog Franz im gedachten Jahre die Regierung von Coburg übernahm, hatte sich trotz 30jähriger kaiserlicher Sequestration die traurige Finanzlage des fürstlichen Hauses nicht gebessert. Der Herzog, von dem Wunsche nach Entfernung der kaiserlichen Debitcommission beseelt, wandte sich, da seine Räthe keine Mittel rascherer Schuldentilgung wußten, auf Vorschlag des regierenden Fürsten Heinrich LI. von Reuß – eines Schwagers der Herzogin – persönlich an K., mit dem er in Bayreuth Unterhandlungen pflog. Der Befragte arbeitete sofort einen Finanz- und Operationsplan aus, den der Herzog und dessen Rathgeber billigten, worauf K. zur Durchführung seiner Vorschläge mit Urlaub im Februar 1801 nach Coburg ging. Binnen Kurzem wurde er jedoch nach ehrenvoller Entlassung aus dem preußischen Staatsdienste zum dirigirenden Landesminister von S.-C.-Saalfelden ernannt, wozu der Herzog als Zeichen besonderer Dankbarkeit unterm 5. Octbr. 1805 den Titel „Excellenz“ fügte. Der neue Minister ging mit der ihm eigenen Energie und Rührigkeit an seine Aufgabe. Vor Allem sollte die Verwaltung in allen ihren Zweigen besser organisirt, der allzu gemächliche Geschäftsgang in ein rascheres Tempo gebracht, die schlaff gewordenen Zügel von der Regierung mehr an sich gezogen werden. Während einer „60jährigen, schläfrigen Regierung“ hatte sich mancher Mißstand eingeschlichen, mancher unbrauchbare Diener war durch einen fähigeren zu ersetzen. Anfangs ging Alles gut, und der Reformator fand bei den Landständen wie seinen Untergebenen williges Gehör; doch bald sollte sich das Blatt wenden. K. stieß im Fortgange seiner Organisation, namentlich bei seinen Finanzoperationen von Hinderniß auf Hindernisse. Fast jede neue Maßregel rief neue Einwürfe, neuen Widerstand hervor, ja selbst die Agnaten des Hauses, der k. k. Feldmarschall Josias, Onkel, und Feldmarschall-Lieutenant Ludwig Karl, Bruder des regierenden Fürsten, ließen kaum eine Gelegenheit ungenützt, wider den Minister in demonstrativer Weise aufzutreten, obwol der Herzog, ein friedliebender Regent, nach Kräften bemüht war, die Eintracht zu erhalten. – Es kam jedoch durch tactloses Benehmen der Prinzen zu solchen Zerwürfnissen, daß Herzog Franz durch Befehl vom 16. Juli 1804 seiner „sämmtlichen treuen Dienerschaft und den Pensionärs jede selbst die entfernteste Verbindung“ mit gedachten Prinzen untersagte. Auch die harmlosesten Verfügungen, wie die Anordnung neuer Numerirung der Häuser führte in Coburg Ende Februar 1803 auf dem Stadthause und in Versammlungen zu tumultuarischen Auftritten. Zur Aufrechterhaltung der Regierungsgewalt wurde sogar Reichshülfe nöthig, und 2 Schwadronen kursächsischer Dragoner mußten als Manutenenztruppen in dem sonst so friedlichen Coburg einrücken. So ausgedehnt und vielseitig auch die geschilderte Opposition war, so ging sie eigentlich nur von zwei Personen aus – von dem Vicepräsidenten v. Wangenheim, der in Wesen und Charakter von seinem Gegner durchaus verschieden (Gervinus, Gesch. d. 19. Jahrh., Bd. 2, S. 460 ff.), später (1815–18) während der Verfassungsstreitigkeiten in Württemberg als dortiger Minister eine hervorragende Rolle spielte; dann von dem Landesdirector (Kammerpräsidenten) v. Könitz, der gleich Wangenheim einem ausgebreiteten Adelsgeschlechte Thüringens entstammte und der nach Kretschmann’s Berufung unter Beibehaltung erwähnter Stelle als geheimer Rath zu Sachsen-Meiningen in dortige Dienste trat. Diese beiden mächtigen Männer, mit den Verhältnissen des Fürstenthums aufs innigste vertraut, und von weit reichendem Einflusse durch ihre Abkunft bei den Agnaten des Hofes, durch ihre Stellung beim Beamtenthume, [136] durch ihre Verwandtschaft bei dem Adel, durch ihren Namen und ihren Grundbesitz bei der Bürgerschaft hatten den Plan gefaßt, K. zu stürzen, der ihnen persönlich verhaßt war, dessen Unternehmungen sie mit dem Landeswohle unvereinbar hielten und dessen Finanzwirthschaft als eine gewagte ihr Mißtrauen erweckte. Namentlich war es v. Wangenheim – anfänglich ein warmer Verehrer und Anhänger Kretschmann’s, – der nun für den Schluß des Etatsjahres (Mai 1804) Kassendefekte und Staatsbankerott ankündigte, wodurch der ohnehin schwankende Kredit nachhaltig erschüttert wurde. So war die Lage eine peinliche und gespannte, K. aber keineswegs der Mann, dieselbe besser zu gestalten. Die fortwährenden Reibungen mit den Agnaten und Landständen, die Widerwilligkeit der Büreaukratie, die unverhehlte Abneigung der Bürgerschaft, dazu die Kränkungen der Seinigen durch den hoffähigen Adel (den K. in seinem Grimme „Hofdomestiquen“ schalt). All’ das reizte ihn bei seinem heftigen und rücksichtslosen Wesen immer mehr, und riß ihn bisweilen zu Gewaltmaßregeln fort, wohin auch der Versuch einer einseitigen Aenderung der Landesverfassung zu rechnen ist. Um sich selbst zu decken, zog er den Herzog weit mehr in das Parteigetriebe als nöthig, ja selbst klug war, da Jedermann in Coburg wohl wußte, daß hinter den schroffen Erlassen nicht der milde Herzog, sondern dessen leidenschaftlicher Minister stand. Gerade um diese Zeit leistete aber auch K. dem Staate wesentliche Dienste, indem er nach längeren Verhandlungen mit Gotha den Staatsvertrag vom 5. Mai 1805 abschloß, welcher das lästige Paragialverhältniß (Ducange s. v. partagium) mit Saalfelden, überhaupt den seit 1670 bestandenen „nexus Gothanus“ löste, wodurch Saalfelden unter die Alleinhoheit Coburgs kam und letzteres außerdem einige staatsrechtliche Vortheile erwarb (Hof und Staat, Band 3, Ziff. XIX, S. 104–108).

K. durchschaute den Könitz-Wangenheim’schen Plan, er suchte ihm zuvorzukommen, was bei dem unbegrenzten Vertrauen, mit dem ihn der Herzog und damals auch dessen Gemahlin beehrten, leicht gelang. Doch hielt sich K. bei diesen Unternehmungen scheinbar im Hintergrunde, und ließ dem Hofe nahe stehende Personen als handelnd in die vorderen Reihen treten. Wangenheim wurde 1804 wegen seines unbotmäßigen Benehmens der Stelle als Vicepräsident entsetzt, Könitz um dieselbe Zeit wegen seiner Umtriebe als Landesdirector des Hochverrathes und der Majestätsbeleidigung angeklagt, unter Suspension von seinem Amte. Zugleich trachtete K. durch eine gewandt und bestechend abgefaßte „Beurkundete Darstellung der Staats- und Finanzverwaltung der Sachsen-Coburgisch-Saalfeldischen Lande unter der Regierung des dermal regierenden Herzogs Franz“ (April 1805, 4°) das Mißtrauen zu zerstreuen, auf welches namentlich seine Finanzverwaltung stieß; ein Versuch, der von K. schon durch ein Paar frühere Berichte über die „Organisation der coburg-saalfeldischen Lande“ sowie durch eine Conferenz aller Betheiligten scheinbar nicht ohne jeden Erfolg angestellt worden war. Allein trotz Gelingens des Planes hatte sich der Minister bei demselben doch verrechnet. Wangenheim und Könitz hatten ihre Stellen verloren, – nicht aber ihren Einfluß. Mit der äußersten Erbitterung setzten sie den begonnenen Kampf fort und griffen nun gleichfalls zur Feder. – Wangenheim veröffentlichte ein zweibändiges Werk, betitelt: Beitrag zur Geschichte der Organisation etc. etc. durch Kretschmann etc. von K. A. v. Wangenheim, 2 Thle. – Theil I. Dienstentlassung des Präsidenten v. Wangenheim. – Theil II. Die Finanzoperationen, 1805. Der Herzog ließ Wangenheim ausweisen, dieser floh und fand eine Weile bei dem Truchseß auf der Bettenburg, einem Muster deutschen Ritterthums in jener romantischen Zeit, ein Asyl, später lebte er in anständiger Verbannung in Tübingen, und kam von hier an den württembergischen Hof. Welcher Geist die Schrift des Herrn v. Könitz durchweht, besagt schon der Titel: „Beitrag zur Geschichte der Desorganisation [137] der Sächs. Cob. Saalfeld. Lande“. Neben diesen beiden Werken befaßten sich aber noch zahlreiche Broschüren und Aufsätze mit der Kretschmann’schen Administration, so daß über diesen Gegenstand eine kleine Litteratur erwuchs, welche theilweise in einem besonderen Schriftchen besprochen ist (Sammlung kleiner Schriften über die Organisation der S.-C.-S. Lande, s. l. 1804). v. Wangenheim und v. Könitz (beziehungsw. die Landstände) begnügten sich aber nicht mit den erwähnten Streitschriften, sie wandten sich auch (letztere sogar während schwebender Verhandlungen unter Aufzählung von nicht weniger als 36 gravamina) mit Beschwerdeschriften wider die herzogliche Regierung, d. i. wider K. an den Reichshofrath. Das Gleiche thaten die erwähnten Agnaten und Prinz Ludwig erhob noch außerdem bei dem Reichkammergerichte gegen den Minister wegen Injurien eine Diffamationsklage. Sämmtliche Beschwerdeführer stellten offenbar zu Folge Uebereinkommens gleichzeitig bei dem Reichshofrathe die Bitte: um eine kaiserliche Commission zur Untersuchung der bisherigen Verwaltung Kretschmann’s. Der Staatsgelehrte und Kanzler der Universität Landshut, Dr. Gönner, war als herzoglicher Bevollmächtigter Monate lang mit Widerlegung dieser bogenreichen Beschwerdeschriften an das oberste Reichsgericht beschäftigt. Durch den Inhalt des Gönner’schen Berichtes über die landständische Beschwerde fühlte sich ganz unerwartet der coburgische Deputirte und vormalige sachsen-meining’sche Geheimrath Franz Josias v. Hendrich verletzt. Er veröffentlichte 1806 eine dickleibige, 314 Seiten umfassende Vertheidigungsschrift, deren Spitze gegen K. gerichtet war, den Hendrich für den eigentlichen Verfasser des Gönner’schen Berichtes hielt. Hendrich’s Ausführungen sind herb, und eben so wenig objektiv wie Alles was in dieser ganzen Sache geschrieben wurde. Allein bei der Abneigung, welche gegen den Angegriffenen herrschte und bei der hohen Achtung, welche der aus angesehener Familie stammende Verfasser genoß, erregte das Actenstück großes Aufsehen. Kretschmann’s Lage wurde in der That von Monat zu Monat schwieriger; die Zahl der Gegner wuchs, die Zahl der Anhänger sank. Es gehörte die ganze Thatkraft, das ganze Selbstvertrauen und der ganze Ehrgeiz Kretschmann’s dazu, um unter solchen Verhältnissen auf dem Posten zu bleiben und all’ diesen Widerwärtigkeiten muthig die Stirne zu bieten. Indeß verletzte dieser neue Angriff K. tief. Er begehrte vom Herzog Cabinetsjustiz, und da der Herzog diese ablehnte, so war es dem Gekränkten unerträglich an einem Orte mit einem Manne zu leben, den sein strafender Arm nicht zu erreichen vermochte. Er ging „aus Gesundheitsrücksichten“ nach Bocklet, einem kleinen Bade unfern Kissingen, auch nach Theres, einem Klostergute bei Schweinfurt, das er kurz vorher erworben hatte, und leitete von dort die Regierungsgeschäfte. Die Erlasse aus jener Zeit sind zwar von Coburg datirt, die Privatschreiben aber von einem der letztgenannten Orte. Ein schwacher Hoffnungsstrahl beleuchtete Kretschmann’s Verhältnisse, als am 6. Juli 1806 des Herzogs Bruder, Ludwig mit Tod abging; mit ihm schied einer der mächtigsten und heftigsten Gegner vom Schauplatze, doch alsbald erbleichte dieser Schimmer. Am 9. Dec. 1806 starb der regierende Herzog; K. verlor hierdurch seine Hauptstütze. Damals lag des Herzogs ältester Sohn, Erb-Herzog Ernst, als preußischer General krank in Königsberg. Die durchziehenden Franzosen betrachteten Coburg als Feindesland und Villemain nahm es unter Belassung der bisherigen Beamten am 27. Januar 1807 in französische Verwaltung. So gesellte sich zu den inneren Wirren und dem beklagenswerthen Hinscheiden des regierenden Fürsten, des Herzogs Franz, ein drittes Mißgeschick: feindliche Invasion. Wie hoch und leidenschaftlich damals die politischen Wogen noch im Innern des Ländchens gingen, lassen in drastischer Weise die Unruhen ersehen, welche am 10. Jan. 1807 bei Verhaftung des coburgischen Landschaftsdeputirten Freih. v. Imhof auf [138] Hohenstein wegen Aufwiegelung gegen den leitenden Minister ausbrachen. Man entsandte nach den ruhigen Ortschaften Eilboten, und in den Dörfern der Herren von Hendrich, Könitz und Imhof wurde die Sturmglocke gezogen. Hunderte von Bauern eilten zu Imhof’s Befreiung nach Coburg, wurden indeß vom Prinzen Ferdinand rasch zerstreut. – Zum Glücke fand die Franzosenherrschaft in Folge des Tilsiter Friedens ein baldiges Ende, und schon am 8. Aug. 1807 übernahm der junge Herzog die Regierung. K. schöpfte vermöge seiner Elasticität neuen Muth, er wollte das Land von den Wunden der Occupation heilen, und dasselbe politisch wie administrativ neu organisiren, wobei er sich mit dem Gedanken trug, seine Schöpfung unter die Garantie des allgewaltigen Franzosenkaisers zu stellen. Es war dies in jener unglückseligen Rheinbundzeit, in welcher die deutschen Staaten gegenseitigen Haltes und Schutzes völlig entbehrend, ihre Anlehnung bei dem großen Eroberer suchten. Bereits unterm 20. Juni 1807 hatte der Minister dem Herzoge über seine weitreichenden Pläne Bericht erstattet; nach wiederholter Prüfung der vorgelegten Entwürfe durch herzogliche Räthe und den französischen Intendanten Dumolard erklärte sich der Herzog (nach Kretschmann’s Erzählung) mit den aufgestellten Grundsätzen und Anschauungen im Wesentlichen einverstanden. Zur besseren Erledigung der Sache reiste nun K. mit dem Herzoge oder zu dem Herzog nach Paris. Durch das Andrängen verschiedener deutscher Geschäftsträger ließ sich indessen der Herzog, welcher überhaupt für die Kretschmann’schen Neuerungen in Wirklichkeit nicht besonders eingenommen gewesen sein mag, bewegen, die mit dem französischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten bereits eingeleiteten Unterhandlungen wegen kaiserlicher Bestätigung der coburgischen Constitution abzubrechen. Mit bitteren Gefühlen und trüben Sinnes reiste K. in die Heimath, wobei er dem Wunsche Ausdruck gab, „sich auf einige Zeit von den Geschäften zurückzuziehen“. Wer wäre auch gleichmüthig geblieben, der mit K. einerseits das Bewußtsein hatte, das Beste des Hofes und Landes anzustreben, andererseits aber die Erkenntniß, nichts ausrichten zu können. Trotzdem war der herzogliche Erlaß vom 26. Januar 1808, welcher wegen Kretschmann’s „fortdauernder Kränklichkeit“ die Ministerialgeschäfte in die Hände einer Commission legte, für diesen ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel. Maßlos ja beispiellos ist nun die Sprache, welche er gegen den Herzog, welche er gegen dessen Regierung führt; zahlreiche Nörgeleien bei der Geschäftsübergabe, mehrfache Ersatzforderungen an die Regierung kennzeichnen die äußerst erregte Stimmung. Im Juni 1808 waren endlich alle geschäftlichen Punkte bereinigt und das Verhältniß mit Coburg vollständig gelöst. K. wohnte nun auf seinem einsamen Klostergute Theres im heutigen Unterfranken, etwas später in Bonn und hiermit beginnt der Schlußakt dieses Lebensdramas. Ein Mann mit solch bewegter Vergangenheit konnte unmöglich müßig bleiben. Zunächst drängte die Schilderung seiner Diensterlebnisse, zu welchem Zwecke er eine Zeitschrift „Hof und Staat“ (1808–1810, Bd. I. II. III. 1) gründete. Ihre Lektüre gewährt ein hohes psychologisches Interesse, von Blatt zu Blatt wird der Ton subjektiver, gereizter, und der Verfasser, allenthalben lauernde Feinde witternd, befand sich noch 1810 in einer krankhaften Gemüthserregung. Unmittelbar nach Kretschmann’s Abgang von Coburg hatten ihn einige Mitglieder des hohen Adels, darunter rheinische und westphälische Standesherren um staatsrechtliche Vertretung gebeten, die er auch bereitwillig übernahm, weil er gerade auf diesem Gebiete von Jugend auf gearbeitet hatte. Die zahlreichen Territorialänderungen, welche sich damals im heil. römischen Reiche deutscher Nation und meist auf Kosten der kleineren Fürsten vollzogen, machten diesen einen Berather und Fürsprecher doppelt nothwendig. Die Vielzahl der Geschäfte erheischte aber auch des Consulenten unmittelbare Nähe, weshalb K. für einige Zeit seinen [139] Wohnsitz in Bonn aufschlug. Unter den Familien, welche seine Rechtshülfe häufig in Anspruch nahmen, befanden sich außer den Leiningen auch die Fürsten von Bentheim-Steinfurt, und jener von Sayn-Wittgenstein; letzterer war überdieß wegen starker Ueberschuldung seit 1806 unter staatlichen Sequester gestellt. Als 1816 mit dem Herzogthum Aremberg die Grafschaft und der Fürst von Wittgenstein an Preußen kamen, hielt letzterer diesen Zeitpunkt für geeignet, um sich gewaltsam von der lästigen Sequestration zu befreien. Er nahm auf Kretschmann’s Rath die unter preußische Administration gestellten Kassen für sich in Beschlag und erklärte die preußische Debit- und Administrations-Commission kurzweg für aufgehoben. K. kam Ende December 1816 von Berlin, wohin er in Angelegenheiten des Fürsten gereist war, nach Wittgenstein, um als „fürstlicher Bevollmächtigter“ die Sache weiter zu führen. Da in Wittgenstein von Seite der Anhänger des Fürsten Unruhen zu befürchten waren, ließ der Oberpräsident Vincke „um diesem empörenden, das Ansehen des preußischen Gouvernements kompromittirenden Unternehmen Maß und Ziel zu setzen“, am 30. Dec. 1816 den fürstlichen Domänen-Director Kölle nebst K. verhaften und nach Hagen in der Mark, am 29. Septbr. 1817 nach Düsseldorf in Stadtarrest abführen. K. wurde wegen Verleitung zu eigenmächtigen gesetzwidrigen Eingriffen in die Polizei- und Finanzverwaltung der Grafschaft Wittgenstein in Untersuchung gezogen und durch Erkenntniß vom 17. Decbr. 1817 zu 3000 fl. rheinisch verurtheilt, doch sollte im Falle des Unvermögens an Stelle der Geldbuße eine Gefängnißstrafe von 2 Jahren und 10½ Monaten treten. In seiner Erbitterung ließ der Verurtheilte in die von Professor Dr. Oken in Jena herausgegebene Isis (Jahrgang 1818, Heft 3) im Mai 1818 ein Pasquill voll Schmähungen auf Vincke einrücken, dem er wegen seiner Verhaftung ganz besonders grollte. Neue Kriminaluntersuchung war die Folge dieses unüberlegten Racheaktes. In dieser traurigen Lage wandte sich der Pasquillant unter Betonung seiner in den fränkischen Fürstenthümern geleisteten Dienste an des Königs Gnade, welche ihm auch durch Cabinetsordre vom 5. Octbr. 1819 in vollem Umfange zu Theil wurde. Indeß scheint die gänzliche Abwickelung der Sache noch einige Zeit in Anspruch genommen zu haben, da K. erst Mitte December 1819 Düsseldorf verlassen und in die fränkische Heimath reisen konnte. Dort setzte er seine Thätigkeit als Consulent fort, die ihn zu häufigen Reisen veranlaßte. Auf einer derselben erkrankte er und starb 57 Jahre alt nach kurzem Unwohlsein am 15. Januar 1820 zu Kassel mit Hinterlassung von einer Wittwe und 10 Kindern. K. hat in Coburg ein übles Andenken hinterlassen. Allein wie ehrgeizig, wie leidenschaftlich er auch war, immer hat er sich als einen unablässig schaffenden Mann erwiesen, welcher ohne Eigennutz auf Ausfüllung seiner Stellung und auf Erringung der vorgesetzten Zwecke Bedacht nahm. – Ein Verzeichniß seiner Schriften findet sich bei Stepf, Gallerie aller juridischen Autoren, Bd. 4, S. 513 und bei Fikenscher, Gel. Fürst. Bayreuth, Bd. 5, S. 153–55.

Meusel, Bd. 4, S. 268. 69. – Bd. 10, S. 143. – Bd. 14, S. 563. Bd. 18, S. 437. – Fikenscher a. a. O. S. 550–55. – Fikenscher, Beitr. z. gel. Gesch., S. 394 ff. – Derselbe, Orat. p. 30. – Stepf a. a. O. – Hendrich, Vertheidigung gegen die dem vorm. S. Mein. w. geh. Rath Franz Josias v. H. als Coburgischen Landesdeputirten gemachten Anschuldigungen s. l. 1806. – Hof und Staat. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften herausgegeben von Th. v. Kretschmann, Bd. 1 und 2 (Bamberg und Würzburg 1808 und 1809) und Bd. 3, Heft 1 (Erlangen 1810). – (Gönner), Bericht des Herrn Herzogs von S.-C.-Saalfeld an den ksrl. Reichshofrath über die Beschwerden der Prinzen Friedrich und Ludwig, Coburg Mai 1805. – (Gönner), Bericht etc. über die Dienstentlassung des ehemaligen Vicepräsidenten v. Wangenheim, [140] Coburg Mai 1805. (Gönner), Bericht etc. wider die Landstände des Fürstenthums Coburg, Mai 1805. – A. Fleischmann, Zur Gesch. des Herzogthums Sachsen-Coburg etc. etc. Heft I, S. 109–112. K. pr. Staatsarchiv zu Berlin.