ADB:Voigt, Christian Gottlob von

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Artikel „Voigt, Christian Gottlob von“ von Gustav Lämmerhirt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 752–755, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Voigt,_Christian_Gottlob_von&oldid=- (Version vom 12. Oktober 2024, 09:00 Uhr UTC)
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Voigt: Christian Gottlob von V., weimarischer Staatsminister und als solcher Amtsgenosse Goethe’s, geboren am 23. December 1743 in Allstedt als Sohn des dortigen herzogl. Justizamtmanns Gottlieb Wilhelm V., † in Weimar am 22. März 1819. Er stammt von väterlicher wie von mütterlicher Seite aus altweimarischen Familien, die zum Fürstenhause in näheren Beziehungen standen (s. die Ahnentafel bei Echstädt, opuscula oratoria, Jena 1849). Johannes V., der Urgroßvater, war als Kammerschreiber unter Herzog Wilhelm IV. Leiter des Neubaues des weimarischen Schlosses, dessen Sohn Ernst Friedrich V. bewahrte den bei Wilhelm Ernst genossenen Einfluß auch unter dem ganz anders gearteten Nachfolger Ernst August, ein Umstand, der sehr für seine ruhige Pflichttreue spricht. In dieser Beziehung war sein Enkel Christian Gottlob V., der spätere Minister, dem Großvater ähnlich. Solche Eigenschaften hatte der Knabe auch aus der Familie seiner Mutter Christiane Sophie geb. Müller überkommen. Diese war die Tochter des Leibarztes Johann Kaspar Müller, der mit rührender Sorgfalt noch als 78jähriger Greis bis kurz vor seinem Tode um das Wohl seines fürstlichen Herrn, des Herzogs Ernst August Constantin bemüht gewesen war. Stille Beharrlichkeit und Bescheidenheit, das ist denn auch das Motto des Lebensganges unseres Voigt. Schon in der Jugend zeigte es sich, daß er, um mit Schiller zu reden, eher ein philosophischer Kopf werden würde, als ein Brotgelehrter. Die fünf Geschwister (der Allstedter Amtmann besaß noch drei jüngere Söhne und eine Tochter) lernten im Vaterhause noch als Kinder Gellert’s und Gottsched’s Schriften, aber auch Klopstock’s „Messias“ kennen. Die Eindrücke, welche eine solche Bekanntschaft auf den angeborenen poetischen Sinn des ältesten Knaben gemacht hatte, begleiteten ihn auch auf die Klosterschule nach Roßleben und vertieften sich hier im täglichen Umgang mit den Dichtern des classischen Alterthums. Neben ihnen zogen die großen Historiker, ein Thukydides und Tacitus, den Schüler an. Sogar Versuche eines Ueberganges vom bloßen Recipiren zur selbständigen Bethätigung, lateinische Gedichte, finden sich schon aus der Schulzeit. Ein Zufall, der Fund einer antiken Münze des Kaisers Nerva, regte den jugendlichen Sammeltrieb nach bestimmter Richtung an. Solche Liebhabereien wurden in Jena, wo sich V. seit 1761 als Student der Rechte aufhielt, fortgesetzt. Auch nachdem er 1766 mit der Erlaubniß advocatorischer Praxis und der Stellung als Accessist an der herzoglichen Bibliothek nach Weimar übergesiedelt war, ruhten sie nicht, im Gegentheil, sie hatten sich hier lebhafter Theilnahme von Seiten eines alten Oheims zu erfreuen, des weitgereisten, humanistisch gebildeten Regierungsrathes Christian Gottlob Müller (geb. 1711, † 1786). Die nahen Beziehungen Beider sprechen sich in einem lateinischen Briefwechsel aus, auch ward V. der Erbe der großen Büchersammlung des Alten. Ex ungue leonem! Wir erkennen in diesem [753] Jüngling schon den Mann, der mitten unter seinen Acten im Stande ist, den Musen Audienz zu geben, sich dichterisch und schriftstellerisch zu bethätigen, sei es nur wenige Augenblicke zu flüchtig hingeworfenem Wort, sei es in längerer Sammlung. V. war kein Schriftsteller von Beruf, seine Gedichte aber sind doch Gelegenheitsgedichte im Goethischen Sinne, sie entspringen an großen Wendepunkten seines Lebens, oder knüpfen an die maurerischen Feste der Loge „Amalia“ an, zu deren Mitgliedern auch er zählte. An den Zeitschriften des weimarischen Kreises, wie Schiller’s „Thalia“, Wieland’s „Merkur“, den beiden Litteraturzeitungen, nahm er hin und wieder activen Antheil. Am Ende seines Lebens war seine Bibliothek und besonders seine Münzsammlung zu einem bedeutenden Werthe angewachsen, letztere wurde 1831 durch Goethe’s Vermittlung für 3000 Reichsthaler von der weimarischen großherzoglichen Bibliothek angekauft. Den größten Gewinn zog aber doch Voigt’s eigene Persönlichkeit aus der steten Beschäftigung mit den Alten. Ihnen verdankt er den festen Ruhepunkt mitten im größten Drang der Staatsgeschäfte und die Milderung und Abklärung seines Wesens. „Forschen wir nach dem eigenthümlichen Grundzuge seines Wesens“, so beurtheilt ihn der Kanzler Müller, „so finden wir den höchsten Ernst der Gesinnung und jedes Strebens mit der heitersten Lebenspoesie wundersam gepaart und verzweigt, ja sein ganzes Naturell von beiden also ungetheilt durchdrungen, daß es zweifelhaft bleibt, was am meisten zu bewundern sey, ob die consequente Richtung aufs Reale, Praktische bei so lebhafter Hinneigung zur Ideenwelt; oder die ewige Jugend seines Geistes bei so ernster, sorgenvoller Lebensverwendung.“

Im J. 1770 verband sich V. mit Johanna Victoria Michaelis, geborenen Hufeland, einer Cousine von mütterlicher Seite her, zu einer sehr glücklichen Ehe, der zwei Söhne und eine Tochter entstammten. Der jüngere Sohn Christian Gottlob, geboren am 27. August 1774, † vor dem Vater am 19. Mai 1813, wird uns noch beschäftigen, der ältere starb sehr früh und die geistesschwache Tochter hat im Leben der Eltern nie eine andere Rolle als die des Sorgenkindes gespielt. V. hatte die Heirath wagen können, denn in demselben Jahre war er an die Stelle seines verstorbenen Vaters als Justizamtmann nach Allstedt berufen worden. So wohl er sich auch in der Harmlosigkeit des heimathlichen Landstädtchens fühlte, so sollte doch sein Aufenthalt dort nur sieben Jahre dauern. Im J. 1777 wurde er als Regierungsrath nach Weimar versetzt, und mit seiner Ernennung zum Geh. Assistenzrath und Mitglied des geheimen Conseils beginnt eine 28jährige hervorragende Thätigkeit als Minister (1791). Da ja Goethe sich sehr oft „über das Terrestrische zu schwingen pflegte“ und die andern Collegen wohl alt, krank und müde waren, so kann man zu Zeiten V. als daß einzige thätige Mitglied des geheimen Conseils ansehen, und doch zog ihn der Herzog nicht zu Allem heran. In politicis z. B. nicht, wie sich denn auch V. selbst in Diplomatie und Politik mehr als Dilettant fühlte. In allen Fürstenbundesangelegenheiten, auch in den Bestrebungen Karl August’s, Weimar zum Ausgangspunkt freiheitlicher Maßregeln gegen Napoleon zu machen, wie sie das neue Jahrhundert mit sich brachte, wird Voigt’s Name kaum genannt, dort tritt er hinter Goethe, hier hinter Müffling (1809–13 Vicepräsident des Landschaftscollegiums) zurück. Um so größer aber, und auch um so mehr von seinem Fürsten geschätzt, war V. als Verwaltungsbeamter. Er wurzelt mit seiner Jugend – wie Goethe – in den Anschauungen der Zeit vor der großen Revolution. Wer würde von einem solchen Manne erwarten, daß ihm die Bethätigung selbständiger Gesinnung der Regierten gegenüber der Regierung gefiele? Und doch war es so. [754] Seit 1791, über das Jahr 1809 hinweg, in welchem sich die Vereinigung der Stände der Landestheile Weimar und Eisenach-Jena zu einem Vertretungskörper vollzog, bis zur Einführung der neuen Verfassung im J. 1816, gehörte es zu Voigt’s Pflichten, die Versammlungen der Landesausschüsse vorzubereiten und zu leiten. Dieses Amt gibt ihm manche Gelegenheit, sich über seine Auffassung von den Rechten der Stände auszusprechen. Wer den Brief an Frankenberg vom 13. Januar 1809 liest (bei Jahn, Voigt, S. 76: „… Mit bloßen affirmirenden Versammlungen ist wenig Ehre einzulegen … Es ist immer etwas Gutes aus verständiger Opposition zu nehmen, nämlich die wahre Aufklärung und Bestätigung. Ein dumpfes Jasagen läßt Despotism oder Mangel an nachdrücklicher Deliberation angewöhnen …“), der glaubt nicht V., sondern seinen späteren Nachfolger Watzdorf zu hören. Im übrigen waren seine Grundsätze auf Wohlstand des Landes und Hebung der geistigen Bildung gerichtet, befanden sich also ganz im Einklang mit denen seines jungen Herrn. Ihre Verwirklichung wurde allerdings in hohem Maße durch die Ungunst der Zeitverhältnisse gehemmt.

Seit 1788 war V. an der Oberaufsicht über die wissenschaftlichen und Kunstanstalten des Landes und der Leitung der Universität Jena betheiligt. In dieser Stellung bewährte er besonders eine gewisse Leichtigkeit des Urtheils über Personen und ihren Werth. Wen er nach seinem inneren Gehalte erkannt und an die richtige Stelle gehoben hatte, den vertheidigte er wohl auch darin gegen Angriffe, wie die Beispiele Fichte’s und Eichstädt’s zeigen. Hier war er Goethe überlegen. Die Blüthe der Universität um die Wende dieses Jahrhunderts ist also hauptsächlich sein Werk. Finanziell bescheidener gestellte Hochschulen pflegen ja Docenten nur so lange halten zu können, bis sie berühmt werden. Dann kommen glänzende fremde Bewerbungen und entführen die Berühmten. Diesen Nachtheil, dem auch Jena natürlich unterworfen war, wußte Voigt’s Findigkeit für junge aufkeimende Talente und seine freudige Bereitwilllgkeit, ihnen ebene Bahn zu schaffen, wenigstens zu mildern. Hegel, Schelling, Fichte, Fries, Thibaut, Reinhold, Feuerbach, Hufeland u. A. waren auf diese Weise wenigstens eine Zeit lang dort gefesselt. Die „metallischen Argumente“ standen schon für gewöhnlich unter den Mitteln Voigt’scher Verwaltung in zweiter Linie, um wie viel mehr zu Zeiten des hereinbrechenden Napoleonischen Elends. Damals machte die Universität ihre schwerste Krise durch und drohte sogar sich ganz aufzulösen. Damals auch war es, wo V., trotz aller Schwachheit der Geldmittel des Staates, ja gerade deshalb, als Finanzminister und Kammerpräsident (seit 1803) seine Genialität entfaltete. Um den gewaltigen Anforderungen der schweren Zeit an Kriegscontributionen und Unterhaltungskosten für die Truppen zu genügen und doch zu gleicher Zeit die laufenden Bedürfnisse nicht ganz unbefriedigt zu lassen, gab es einen Ausweg. V. griff über die Mittel des Landschaftsvermögens hinaus und nahm das damals noch von diesem getrennte fürstliche Kammervermögen zur Hebung der Landesnöthe, wofür es ja eigentlich nicht bestimmt war, in Anspruch. Beschränkung der Ausgaben für die Bedürfnisse der herzoglichen Familie mußte unter diesen Umständen freilich selbstverständlich werden, aber es glückte dafür auch, sich ohne völlige Verarmung in bessere Zeiten hinüberzuretten und den Pflichten des Staates den Unterthanen gegenüber trotz des übermächtigen Unglücks nichts zu vergeben. Alle Gehalte und Pensionen wurden pünktlich gezahlt, der Schloßbau und die Erweiterung des fürstlichen Haushalts bei Vermählung des Erbprinzen Karl Friedrich mit der Großfürstin Maria Paulowna (1804) konnten angemessen durchgeführt werden, ja sogar Künste und Wissenschaften darbten nicht ganz. Die Verminderung des [755] Kammervermögens war freilich auch ein Uebel und machte sich in der folgenden stilleren Zeit als solches bemerkbar (s. A. D. B. XLIV, 384). Aber es war doch ein verschwindend kleines Uebel, das man eben mit in den Kauf nehmen mußte. Karl August erkannte das Verdienst seines Ministers durch dessen Erhebung in den Adelsstand an (30. Januar 1807).

Napoleon, der Unstern des ganzen Zeitalters, sollte auch in Voigt’s friedliches Familienleben zerstörend eingreifen. Der geliebte Sohn, Christian Gottlob d. J., „der beste Freund seines Vaters“, dem er auch als Geh. Regierungsrath schon dienstlich nahestand, ward durch Gewaltthat den Eltern von der Seite gerissen. Im April 1813 war er mit seinem Freunde, dem Kammerherrn v. Spiegel, wegen einer militärischen Indiscretion von den Franzosen verhaftet worden und sollte in Erfurt erschossen werden. Zwar wurden Beide auf Verwendung der Herzogin Luise vom Kaiser selbst wieder freigegeben. Allein der Gedanke, füsilirt zu werden, hatte den Sohn so erschüttert, daß er am 19. Mai einem Fieber erlag. Dieser Trauerfall nahm den alten Herrn schwer mit. Aus seinem Hause schien ihm die Seele gewichen zu sein, und seit Jahren war er doch gewohnt gewesen, sich aufs Haus zu beschränken. Die fröhlichen Ilmenauer Tage, da er und sein jüngerer Bruder (Johann Karl Wilhelm V., der Bergrath, 1752–1821, Verfasser einer „Geschichte des Ilmenauer Bergbaues“) mit Goethe den Freundschaftsbund geschlossen, und in treuer, gemeinsamer Arbeit für das dortige Bergwerk ihm täglich näher gekommen waren, lagen längst hinter ihm. Goethe und V. sahen sich nur noch seltener persönlich, wenn auch ihre Correspondenz nie abbrach. Schiller und Herder waren nicht mehr, das Verhältniß mit Wieland hatte sich eben durch den Tod gelöst, andere Freunde, wie Böttiger in Dresden, Frankenberg in Gotha, der alte Roßlebener Genoß Berghauptmann v. Trebra in Marienberg, waren weit entrückt. Und damit nicht genug: der Tod riß ihm auch die Gattin noch von der Seite. So mochte es denn wohl ein traurig-süßes Gefühl für V. sein, als die Nichte seiner ersten Frau, Amalie Osann geborene Hufeland, Wittwe des Regierungsraths Heinrich Gottfried Osann, ihm am 31. October 1815 die Hand zu einer zweiten, einer „Seelenehe“ bot. Und wie sie ihm eine treue Gattin ward, so war er ihren Söhnen erster Ehe, Friedrich und Gottfried Osann, ein sorgender Vater. Erfrischend und erheiternd stand sie ihm zur Seite, bis nach drei Jahren „seine Psyche entfesselt ward“. V. starb nach über 50 Dienstjahren als erster Beamter des Staates, er war Präsident des seit Einführung der Verfassung neugegründeten Staatsministeriums und Kanzler des erneuerten Falkenordens. Sein Nachfolger im Finanzfach wurde v. Gersdorff.

Nekrolog im Weim. Regierungsblatt 1819. – Denkrede … gehalten zu Weimar (in der Trauerloge) am 16. April 1819 (vom Kanzler Müller). – Nekrolog (von Böttiger) in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 16. April 1819. – Otto Jahn, Goethe’s Briefe an Chr. G. v. Voigt. Leipzig 1868. – Ludwig Geiger, Aus Alt-Weimar. Berlin 1897, besonders S. 239–294.