ADB:Trömer, Johann Christian

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Artikel „Trömer, Johann Christian“ von Erich Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 636–639, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tr%C3%B6mer,_Johann_Christian&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 02:26 Uhr UTC)
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Trömer: Johann Christian T., der radebrechende „Deutsch (oder: Deusch) Franços Jean Chrétien Toucement“, stammt aus Dresden. E. Götze läßt ihn 1698 geboren sein; Angaben seiner Gedichte weisen auf das Jahr 1696 oder 1697 (Juli 1727: „bald dreißig Jahr“; December 1740: „Jck bin schon alte Mann und bald ahlb neunsigk Jahr“; August 1746: er hat Erfahrungen von neunundvierzig Jahren). Aus Reimen, die auch seine Zeugung in Schlesien, seine Bildung im Mutterleib und seine Geburt läppisch beschreiben, erfahren wir, daß der Vater, vielleicht Hofjäger, „ehn brave Franceman“ (?), die Mama „ehn brave deutsche Weib“ war, und sie diesen ihren mittleren Sohn im eigenen Hause bei leidlichem Wohlstand durch einen Informator unterrichten ließen. Nach dem Tode der Mutter kam er in einen Dresdener Buchladen, den er für einige Zeit, als ihm der Vater rasch eine liebe „Stiefel-Mama“ gegeben“, mit einem Leipziger vertauschte, um von da eine „gute Condition“ in Nürnberg, vielleicht in der Lochner’schen Buchhandlung, anzutreten. Die folgende verworrene Zeit will er Studirens halber in Leipzig, Wittenberg und wieder Leipzig verbracht haben; doch kann ihm das Burschenleben, dessen Suiten er beschreibt, auch als nicht theilnehmendem Zuschauer bekannt geworden sein. Seine Bildung zeigt [637] nirgends höheren akademischen Charakter. Der Tod des Vaters, dann des älteren Bruders brachte dem unsteten Gesellen nur ein geringes Erbe. Er scheint in Leipzig und in Wittenberg den Buchhandel weiter betrieben zu haben und gab an letzterem Ort, falls das kein Versteckspiel ist, im Selbstverlag als „Ehn lustigk Fransoß“ „Jean Chrétien Toucement“ seine früheste Publication 1728: „Ehn Curieuse Brief“, tagebuchmäßiger Bericht über den Aufenthalt des preußischen Königs und des Kronprinzen am kursächsischen Hof während des Januars und Februars. Alsbald hatte er sich gegen einen Leipziger Nachdrucker zu wehren, im September 1729 auch gegen die steife Verurtheilung seiner Sprachmengerei durch „Parthenomusi Ehren-Rettung der durch einen unteutsch Teutsch-Französischen Poeten violirten Pallas“ (Februar; Alexandriner). Sein erstes Gedicht galt der Hochzeit einer Stiefcousine; es ist am 8. Juli 1727 von Comtes le petit Coq (Gräfenhainichen?) datirt. Im Februar 1729 trat er in den Dienst des Herzogs Johann Adolf von Sachsen-Weißenfels, an dessen Geburtstag er in einer Komödie mitwirkte, und war, drei kurze von Reisen unterbrochene Dienstperioden hindurch, Kammerdiener, Kellerschreiber, Theaterdirector – oder verdienen die einschlägigen Verse keinen vollen Glauben? Wie es in anderer Richtung auffallen muß, daß T. von Schlesien und Böhmen so wenig zu sagen weiß und die Schilderung eines Wiener Aufenthaltes mit kahlen Schnurren ohne jeden Localcharakter füllt. Er hat den letzten Herzog von Weißenfels in Danzig wiedergesehen und noch 1746 an der Feier der Verleihung des Hosenbandordens persönlich als Gratulant theilgenommen. 1730 beobachtete und besang er das große Feldlager oder „Campement“ bei Mühlberg; er berief sich beim Kurfürsten auf jene frühere Schilderung der Dresdener Hoffeste, um die Erlaubnis zum Druck zu erlangen. Was ihn zu mehrjährigem Aufenthalt nach Danzig führte, inzwischen 1732 flüchtig nach Paris, steht dahin, zumal da er bei der Verlobung mit einer Kammerjungfer seiner Gönnerin, der Herzogin von Kurland, sich als stellenlos bezeichnet. Das Bombardement der Stadt durch die Russen zerstörte seine Bibliothek. Er wandte sich mit einer drolligen deutsch-französischen Klageschrift an den Feldmarschall Grafen v. Münnich, erhielt eine gespickte Börse und das Versprechen gewichtiger Empfehlung in Petersburg, wohin er im September 1734 mit seinem Gönner, als Reisespaßmacher, abging. Aber trotz den freien Mahlzeiten und manchen Trinkgeldern der hohen Herrschaften war ihm die russische Hauptstadt ein zu theures Pflaster, trotz dem Alexandrinerschwall an Münnich, die Kaiserin, den sächsischen Gesandten u. s. w., und obwol er betheuerte, nur auf dem Papier ein Peter Squenz, übrigens ein frommer stiller Mann zu sein, wollte die Sehnsucht nach „ehne charge“ sich nicht erfüllen. Der Graf reiste ab: „und ick bin Monsieur Nicks“. Ende November 1735 ließ er „Des Deusch Franços Adieu“ an Petersburg in Quart drucken, Neujahr 1736 gab er noch den satirischen Lebenslauf des Hofnarren Petrillo, vermuthlich eines die Concurrenz witternden Gegners, zum Besten und machte sich dann, reichlich beschenkt, auch im Besitz von allerlei russischen Brocken, auf den Heimweg. Er heirathete in Danzig am 3. April 1736 seine Jungfer Meister, reiste voraus nach Leipzig, holte die Gattin dann in Berlin ab und mag sehr bald von der Pleiße wieder an die Elbe gezogen sein. Im September datirt er die erste Gesammtausgabe von Leipzig. Die Wanderjahre, im ersten Sammelband 1736 anfangs wirr, dann mit sicherer Chronologie und ausführlich verewigt, lagen nun hinter ihm. Von 1736 bis zu den Opernschilderungen vom März 1756 hat er nur noch kleinere Gelegenheitsgedichte veröffentlicht, etliche Epithalamia für Freunde, eine Masse Festcarmina und Bettelverse an den Hof. So läßt er im März 1741, Weib und Kind erwähnend und alle Ausgaben vorrechnend, seinen Ruf aus der Neustadt zum Thron erschallen. [638] Er bekommt unter anderem zwei Pferde geschenkt, bewohnt ein „Strohpalais“ mit Garten in Laubegast, kränkelt, ist 1745 „ehn Witber Mann“, entwirft 1746 Kriegsbilder, versäumt an keinem „Josephatag“ und wann sonst Gelegenheit zum Gratuliren war submiß aufzuwarten und fand offenbar, selbst wenn er einen lästigen Nachbar beim „Lanßpapa“ als der gute, treue, arme Deutschfranzos verklagte, seine Rechnung. Nach dem „Dresdener Anzeiger“ (1756 Nr. 19; von Götze benutzt) war er „Ober-Postcommissär, seit 1738 auch Straßen- und Alleen-Bau-Aufseher“, doch ist in den Gedichten von diesen Aemtern nicht die Rede, während sie die „Function eines sogenannten lustigen Raths am Hofe des Königs von Polen, August’s III.“ wohl bezeugen. Eine zierliche Dresdener Handschrift, mit seiner – eigenhändiger? – Federzeichnung, führt dreist Beschwerde darüber, daß T. das von Brühl versprochene Galakleid noch nicht bekommen habe, und der König, den offenbar die Schilderung, wie ein Reiher bei der letzten Beize einen Pagen beschmutzte, heiter und günstig stimmen soll, wird gleich noch um einen Eimer Rheinwein und ein Service angegangen. T. erlag am 1. Mai 1756 einem Schlagfluß.

Diesem culturhistorisch interessanten, bedientenhaften Lebenslauf entspricht die ganze spielerige, schmeichlerische, gierige Reimerei, die Sachsens höchste Herrschaften sich Jahrzehnte lang huldvoll gefallen ließen, die aber auch in Petersburg ergötzte. Das gebrochene Deutsch-Französisch war nichts ganz Neues, aber bisher nur gelegentlich angewandt, um etwa den mit Prinz Eugen redenden Villeroy (Uhse, Wohlinformirter Poet S. 87) oder deutsche Ausländerei zu kennzeichnen, wie Holberg, die Gottschedin, Gellert einen Hansfranzen oder einen Sotenville mit welschen Brocken ausstatten und Lessing Riccauts Gemengsel von der „Plump Sprak“ des besten Deutsch abstechen läßt – bei T. wie schon bei Rebhu, ist es ein alberner Spaß, der sich dreißig Jahre in Permanenz erklärte. Allerdings ist T., obgleich er Wiederholungen nicht scheut, nie um neue Wendungen in seinen flüssig hingeplauderten Alexandrinern verlegen. Immer wieder verkündigt eine leichte, mechanische Stegreifpoeterei den Preis der gnädigsten „Lanßmama“. Ein paar discrete Zötchen am übelberufenen Schlußstein von Hochzeitsgedichten oder in der scherzhaften Empfehlung eines perfecten Kammerdieners für Damen scheinen im Zeitalter und Vaterland Picander’s unverfänglich. T. hatte Talent für realistische Schilderung: Spuren davon zeigt sogar die Beschreibung der endlosen Hoffeste für Friedrich Wilhelm I. und den künftigen großen Friedrich, im höheren Maße mancher Dresdener Redouten oder pomphafter Opern und Ballets, der Leipziger Fischerstechen und Studentenmusiken. Der Deutschfranzos versteht es, den sächsischen Bauer vor dem Prunktheater, die Nürnberger Kräutlerin, das Danziger Fischerweib in echter landskräftiger Mundart reden zu lassen. Grobianisch, aber lustig malt er den Hausknecht, der die mit Vogelleim bestrichene Abtrittsbrille am Gefäß fortschleppt; der komischen Fopperei mit dem Hansarsch von Rippach verdankt er ein Winkelchen in den Faust-Commentaren. T. hat die alte Novelle von den drei Buckligen (Him, Ham, Hum; 8. December 1742) nicht ungeschickt in seinem Jargon erneuert, und das Kauderwelsch gezwungen, die berühmte Sage vom Schmied von Jüterbogk und dem Tod in Knittelversen weitläufig wiederzugeben (Ausgabe 1745 S. 174; 1772 I, 80). Das große Sammelproduct „Ehn lustigk Lebenlauf und artigk Avanture“ in sechs ungleichen Theilen enthält manche lebendige, drastische Partie, aber der geistige Standpunkt wird weder in Nürnberg höher genommen, noch in Paris, wo T. Modedamen und Abbés, Schuhputzer und Pflastertreter weitschweifig vorführt, noch in Petersburg, wo ihn die Kutscher besonders interessiren und ärgern, noch in den preußischen Residenzen, deren Localschilderung heute eben nur eine örtliche Theilnahme erregen kann. Darum [639] ist „Ehn Brief an Ehn kroß Ehrr von Potsdam und Berlin“ (1730) durch L. Schneider in den Mittheilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams V, 34 auszugsweise wiederholt worden (die benutzte Edition von 1736 zeigte auf dem Einband in Goldlettern die Aufschrift „Zugabe zum Vogelkönigs-Gewinn bei dem Troemer’schen Schießen, den 14. Juni 1738“). Die Beschreibung des Campements (1730) ist immerhin, da sie unter die gemeinen Soldaten, ja zu Wald- und Feld-„Banisen“ herabsteigt, viel lebendiger als J. U. König’s unsagbar steifleinenes Heldengedicht „August im Lager“, und für die Belagerung Danzigs bietet T. manchen frischen Zug. Zeitgenossen fanden in seinen „Schönen Raritäten und Spielwerk“ eine flache Unterhaltung und ließen sich durch die Anaphern und Epiphern „Adjeu … ick muß ßu Auhs marchir“ in Athem halten. Die ungeheure Naivetät, daß dieser servile Deutschfranzos in seiner „Description von Paris“ es wagte, einen deutschen Herrn Ochs als französelnden Monsieur Bœuf à la mode zu verspotten, fiel kaum auf. Ernst hat ihn wohl Niemand genommen. Die vornehmere Kritik schritt an ihm vorbei.

Es erschienen „Jean Chretien Toucement des Deutsch Franços Schrifften mit viel schön Kuffer Stick, Kanß Complett, mehr besser und Kanß viel vermehrt. ßu Leipßigck bey die Auteur und ock bey Johann Christian Troemer“ 1736 (534 S.); verändert in prächtigem Druck „Die Avantures von Deutsch Franços mit all sein Scriptures“ … 1745 (die Zahl wie auch in der folgenden Ausgabe rebusmäßig gedruckt) in Nürnberg bei J. G. Lochner (568 S. und ein biographisches Register; der Königin gewidmet; vorn ein stattliches Portrait, das beste aber im Foliodruck „Die ahlb deusch Pegasus“ 19. März 1754). Dürftig ausgestattet sind „Jean Chretien Toucement des Deutsch Franços Schrifften . . . Kanß Complett mit den zweiten Theil vermehrt“ Nürnberg bei G. N. Raspe 1772 (408 und 310 S.). Der erste Band entfernt sich wieder von der Redaction des Jahres 1745; der zweite enthält unvollständig die einzeln, zum Theil sehr schön gedruckten und mehrfach illustrirten Gedichte der Zeit von 1736 an, deren manche in die „Neu-eröffnete historische Correspondenz von Curiosis Saxonicis“ Dresden 1746 ff. übergegangen waren. Die Königliche Bibliothek zu Dresden ist an solchen Foliodrucken reich. Die Namensform „Trömel“ in Litteraturgeschichten und anderen Werken zeigt, daß man in seine Schriften nur oberflächlich blickte, da er sich mehrmals nennt, z. B. im Petersburger Gedicht vom 19. Januar 1735: „Und eihß Jean Chrétien Toucement, und ock, Hans Christian Trömer“, reimend auf „Römer“ (vgl. die Weißenfelser Verse vom 23. Februar 1729). Das Richtige stellte Weigand in seinem Deutschen Wörterbuch 2. Aufl. I, 650 nach einer Mittheilung S. Hirzel’s, mit Angabe auch des Oberpostcommissaramtes und des Begräbnißtages, fest. Götze in Goedeke’s Grundriß IV, 24. Einzelne Drucke hat mir Herr Oberbibliothekar Dr. F. Schnorr v. Carolsfeld in Dresden mit gewohnter Güte zugesandt.