ADB:Münnich, Burchard Christoph Graf von

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Artikel „Münnich, Burchard Christoph Graf von“ von August Mutzenbecher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 19–21, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BCnnich,_Burchard_Christoph_Graf_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 19:50 Uhr UTC)
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Münnich: Burchard Christoph Graf v. M., geb. am 9. Mai 1683 zu Neuenhuntorf in der Grafschaft Oldenburg, war der zweite Sohn des Deichgräfen Anton Günther v. M. (s. d.). Nachdem er in seiner Jugend eifrig mathematischen Studien obgelegen und den Beschäftigungen, zu welchen den Vater Beruf und Neigung führten, lebhaftes Interesse entgegengetragen hatte, unternahm er schon in seinem 16. Jahre eine Reise durch Holland nach Frankreich, wo ihm in Paris eine Ingenieurstelle bei der elsässischen Division angeboten wurde, die er jedoch ausschlug, weil er befürchtete, gegen sein Vaterland kämpfen zu müssen. Auf seiner Rückreise in die Heimath wurde er (1701) in Darmstadt zum Hauptmann ernannt und nahm als Compagniechef in dem hessen-darmstädtischen Contingent der Reichsarmee an der Belagerung und Eroberung von Landau (1702) Theil. Die Ruhe, in welche er nach der kurzen kriegerischen Thätigkeit in der Garnison und am Hofe zu Darmstadt sich versetzt sah, sagte seinem aufstrebenden Sinne nicht zu; obgleich er im J. 1705 mit dem Hoffräulein Christine Lucretia v. Witzleben sich vermählt und durch Vermittelung seines Vaters eine Ernennung zum fürstlich-ostfriesischen Oberingenieur mit dem Auftrage, „so oft seine ausländischen Dienste es zugeben“, insbesondere beim Deich- und Sielwesen „guten Rath und Anweisung zu geben“, erhalten hatte, so trat er doch (1706) als Major der Garde zu Fuß in das in englischem und holländischem Solde stehende hessen-kassel’sche Corps ein, welches dem Prinzen Eugen von Savoyen über die Alpen zu Hülfe zog. Er kämpfte bei Castiglione und wirkte mit bei der Belagerung und Erstürmung der Festungen Oberitaliens. Nachdem die Franzosen Italien verlassen hatten, kehrte er für kurze Zeit nach Deutschland zurück, eilte dann aber nach den Niederlanden, wo sein Corps an den siegreichen Feldzügen des Prinzen Eugen sich betheiligte. Er führte dasselbe in der Schlacht bei Oudenarde (1708) und bei den Eroberungen von Lille, Gent, Brügge und Tournay und wurde nach dem Siege bei Malplaquet (1709) in Anerkennung seiner Tapferkeit zum Oberstlieutenant befördert. In dem Treffen bei Denin (1712) fiel M. schwer verwundet in französische Kriegsgefangenschaft und wurde nach Paris gebracht, wo er, von allen Seiten mit Zuvorkommenheit behandelt, namentlich auch Fenelon’s Umgang sich erfreute. Schon 1713 gelang es ihm sich loszukaufen; er wurde zum Obersten des Kettler’schen Infanterieregiments ernannt, fand aber in den folgenden Jahren zugleich Gelegenheit, bei den von dem Landgrafen Karl unternommenen Hafen- und Kanalanlagen bei Karlshafen seine Kenntnisse im Wasserbau zu verwerthen. Allein dieser Wirkungskreis genügte ihm nicht. Er trat 1716 als Oberst in die Dienste des Königs August II. von Polen, wurde 1717 Generalmajor und Generalinspector der polnischen Truppen, gab indeß schon 1721 in Folge von Mißhelligkeiten mit dem Feldmarschall Grafen von Flemming diese Aemter wieder auf und begab sich nach Rußland, wo ihm Peter der Große die Stelle eines Generalingenieurs und Generallieutenants hatte anbieten lassen. Nach einem Besuche in der oldenburgischen Heimath übernahm er die Ausführung eines Werkes, welches seinen Namen auf dem Felde des Wasserbaues verewigt hat, die Erbauung des die Wolchow mit der Newa verbindenden Ladogakanals, „welcher Petersburg und Kronstadt die Lebensmittel, der Flotte die Baumaterialien zuführen und Rußlands Handel mit dem übrigen Europa blühend machen sollte“. Münnich’s Energie gelang es die Arbeit so zu fördern, daß schon im J. 1728 die Schifffahrt auf dem Kanale eröffnet und derselbe mit seinen 32 Schleusen im J. 1732 in seiner ganzen Länge von fast 15 deutschen Meilen dem Verkehr übergeben werden konnte. Seiner Thätigkeit, die gleichzeitig einen erheblichen Theil der Leitung des gesammten Militärwesens umfaßte, fehlte die Anerkennung nicht: Katharina I. verlieh ihm den Alexander-Newski-Orden (1726), Peter II. ernannte [20] ihn zum General der Infanterie (1727) und erhob ihn in den Grafenstand (1728), – zum deutschen Reichsgrafen ernannte ihn später (1741) der Kurfürst von Sachsen als Reichsvicar –, die Kaiserin Anna machte ihn zum Mitgliede des geheimen Cabinets, zum Generalfeldzeugmeister, zum Präsidenten des Kriegscollegiums und endlich nach Gründung der Landcadettenanstalt in Petersburg und Befestigung der ukrainischen Linie zum Generalfeldmarschall (1732). Auf Betreiben Ostermann’s und Biron’s, die mit Neid auf Münnich’s steigenden Einfluß bei der Kaiserin Anna blickten, wurde er unter Verleihung des Andreasordens (1734) an die Spitze der russischen Truppen gestellt, welche der Bewerbung des Kurfürsten Friedrich August von Sachsen um die polnische Krone Nachdruck geben sollten. Er belagerte Danzig, wohin Stanislaus Lesczinski geflohen war, nahm das bei Weichselmünde gelandete französische Hülfscorps gefangen und erzwang die Capitulation der Stadt; Polen unterwarf sich dem ihm von Rußland bestimmten Könige. Inzwischen war in Petersburg, um die Scharte auszuwetzen, welche die russischen Waffen im nordischen Kriege am Pruth erlitten hatten, ein neuer Krieg gegen die Türken beschlossen. M. erhielt den Befehl (1735), in der Ukraine an die Spitze der Truppen zu treten. Er erstürmte (1736) die von den Tartaren zum Schutze der Krim errichteten Linien, eroberte Perecop, besetzte Koslow und zerstörte Baktschi-Sarai, die Residenz des tartarischen Chans, konnte aber bei den großen Verlusten, die das Heer erlitten hatte, seinen Plan, bis Kaffa vorzudringen, nicht ausführen, sondern mußte in die Ukraine zurückkehren. Der Feldzug des Jahres 1737 sollte die Mündung des Dnjepr und Bug der russischen Herrschaft unterwerfen; die Festung Otschakow wurde nach einer kurzen und kühnen, wenn nicht tollkühnen Belagerung und Erstürmung als Trümmerhaufen in Besitz genommen und gegen die zum Entsatz erschienenen türkischen Truppen vertheidigt; der Gedanke, Bender anzugreifen, mußte indeß aufgegeben und das Heer wiederum in die Ukraine zurückgeführt werden. Der dritte Feldzug (1738) galt den beiden wichtigsten türkischen Grenzfestungen, Bender und Chotschim. M. drang auf beschwerlichem Zuge bis zum Dnjester vor, fand es jedoch nicht möglich den Uebergang zu erzwingen und sah sich durch den Ausbruch der Pest sogar in die Nothwendigkeit versetzt, Otschakow aufzugeben. Erst der Feldzug des nächsten Jahres (1739) schien M. dem Ziele seiner Pläne nähern zu wollen. Er rückte, mit Umgehung des tartarischen Gebiets, ohne auf die Neutralität Polens Rücksicht zu nehmen, über den Dnjester vor, erstürmte das türkische Lager bei Stawutschane, eroberte Chotschim, überschritt den Pruth und besetzte die Moldau, in deren Hauptstadt Jassy er feierlich einzog. Aber der schimpfliche Friede, den Oesterreich, Rußlands Verbündeter, zu Belgrad mit den Türken übereilt abschloß (18. September 1739), bewog die Kaiserin, gleichfalls einen Frieden anzunehmen, der die Eroberungen des Siegers zum größten Theile preisgab. Bei seiner Rückkehr nach St. Petersburg wurde M. mit Auszeichnung empfangen und zum Oberstlieutenant des von Peter dem Großen errichteten Preobraschenski’schen Garderegiments ernannt. Nach dem bald nachher (1740) erfolgten Tode der Kaiserin Anna stürzte er den von derselben für die Dauer der Minderjährigkeit ihres Nachfolgers Iwan zum Regenten designirten Biron und ließ Iwan’s Mutter Anna, die Gemahlin des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig, zur Regentin erklären, die ihm dann die Stelle eines ersten Ministers verlieh. Aber nur kurze Zeit blieb er an der Spitze der Geschäfte; eine Meinungsverschiedenheit über die in dem österreichisch-preußischen Kriege zu befolgende Politik – M. wollte Friedrich den Großen unterstützen, Anna an Oesterreich sich anschließen – veranlaßte ihn seine Aemter niederzulegen und in der Voraussicht einer nahenden neuen Staatsumwälzung Vorbereitungen zu treffen, um Rußland zu verlassen. Als jedoch im November 1741 durch eine Revolution, die in einer [21] einzigen Nacht sich abschloß, Peters des Großen jüngste Tochter, Elisabeth, den kaiserlichen Thron bestiegen hatte, wurde neben Ostermann auch M. als Anhänger der gestürzten Regentin und Gegner der neuen Herrscherin gefänglich aufgeholt, vor Gericht gestellt und zum Tode verurtheilt, die Todesstrafe indeß in eine Verweisung nach Sibirien verwandelt (Januar 1742). Zwanzig Jahre lebte M. als Verbannter in Pelim, begleitet von seiner zweiten Gattin und seinem Hausprediger. Peter III. berief sofort nach seiner Thronbesteigung (1762) ihn zurück und setzte ihn in seine Stelle als Generalfeldmarschall wieder ein. Katharina II. übertrug ihm (1762) das Generaldirectotat der Seehäfen und Kanäle und den Bau des baltischen Hafens zu Rogerwik bei Reval. Mit Eifer entwarf der Greis einen neuen Plan für diese schon von Peter dem Großen projectirte Anlage und mit jugendlicher Begeisterung ging er an die Ausführung; die Vollendung des Werks erlebte er nicht mehr, dasselbe verfiel nach seinem Tode. – M. starb am 16. October 1767; von seinen Kindern überlebten ihn drei Töchter und ein Sohn, Ernst, Oberhofmeister und Geheimer Rath unter Katharina II. Seine großen und vielseitigen Verdienste um Rußland ergeben sich aus der vorstehenden Skizze; Katharina II. würdigte dieselben mit dem Ausspruche: „Ist gleich Münnich nicht ein Sohn, so ist er doch ein Vater des russischen Reiches.“ Was den Feldherrn betrifft, so mag Friedrichs des Großen Urtheil eine Stelle finden: Le comte de Münnich était à la tête de l’armée Russe. C’était le Prince Eugène des Moscovites; il avait les vertus et les vices de grands géneraux: habile, entreprenant, heureux: mais fier, superbe, ambitieux et quelque fois trop despotique et sacrifiant la vie de ses soldats à sa reputation. Die Richtigkeit dieses Urtheils, selbst der letzten scharfen Aeußerung, kann vielleicht nicht bezweifelt werden; bei der Erwägung der Thatsachen, aus denen auf die Fehler des großen Mannes geschlossen wird, darf aber nicht vergessen werden, zu welcher Zeit und unter welchen Verhältnissen er lebte und wirkte. Für seine Tüchtigkeit auf dem Felde friedlicher Thätigkeit zeugen seine Werke; auch hier entwickelte er eine Energie, die keine Hindernisse kannte, eingedenk des Paulinischen Wortes, das er gern im Munde führte: „Eifer ist gut, wenn es immerdar geschieht um das Gute.“ Ueber das große Unternehmen, auf welches er noch am Abend seines Lebens mit Stolz blickte, gab er Nachricht in dem Recueil des écluses et des travaux du grand canal de Ladoge; seine Ansichten über die Verwaltung des Reichs legte er nieder in der auf Katharinas II. Veranlassung entworfenen, erst nach seinem Tode erschienenen Schrift „Ébauche pour donner une idée de la forme du gouvernement de l’empire de Russie“, und noch in seinem 81. Lebensjahre verfaßte er eine, 36 Jahre nach seinem Tode gedruckte (Oldenb. Zeitschr. von 1803, Bd. I, S. 105 ff.), ausführliche Vorstellung, in welcher er dem Regenten seines Heimathlandes, dem Könige Friedrich V. von Dänemark, Vorschläge wegen Erbauung von Kanälen, Erhaltung der Deiche und Verbesserung der Wege in den Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst machte, eine Schrift, die einen glänzenden Beweis liefert, nicht nur von der Liebe des Verfassers zu seinem Vaterlande und von seinem „wahren und beständigen Eifer“ für das Interesse desselben, sondern auch von der Geistesklarheit, welche selbst dem Greise noch eigen war, und von dem Scharfblicke, mit dem er auch das Kleinste nicht übersah.

G. A. v. Halem, Lebensbeschreibung des russ.-kaiserl. Generalfeldmarschalls Grafen v. M., 1803.