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Artikel „Thumm, Theodor“ von Paul Tschackert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 169–171, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Thumm,_Theodor&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 22:23 Uhr UTC)
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Thumm: Theodor Th. (Thummius), lutherischer Theologe, † 1630. Unter den orthodoxen Streittheologen innerhalb des Lutherthums auf dem Boden der Concordienformel hat Th. durch seinen Schulstreit mit den Gießener Theologen über die menschliche Natur Christi einen gewissen Namen erhalten. Ein Schwabe von Geburt, hat er sein ganzes Leben in seinem engern Heimathskreise zugebracht. Sein Vater Gottfried Th. war Geistlicher zu Hausen, einem Dorfe in der Diöcese Brackenheim in Württemberg, als ihm daselbst am 8. November 1586 sein Sohn Theodor geboren wurde. Seine Vorbildung erhielt dieser auf den Pädagogien zu Eslingen und Stuttgart und studirte zu Tübingen im dortigen Stift. Schon 1603 erwarb er sich die philosophische Magisterwürde, erhielt, nachdem er in Stuttgart das Consistorialexamen [170] bestanden hatte, hier seine erste Anstellung als Diakonus, kam sechs Jahre später nach Kirchheim unter Teck als Pastor und Superintendent und 1618 als ordentlicher Professor in die theologische Facultät zu Tübingen. Zwölf Jahre hatte er diese Stellung inne, als er 1630 den 22. October starb. Obgleich so sein Leben höchst einfach verlief, ist sein Name doch durch die von ihm geführte Polemik innerhalb des ganzen lutherischen Protestantismus bekannt geworden, was um so bemerkenswerther ist, als gleichzeitig der dreißigjährige Krieg die Geister doch mit anderen Dingen als mit theologischer Stubengelehrsamkeit beschäftigen mußte. Es handelte sich dabei um die theologische Schulfrage nach der Beschaffenheit der menschlichen Natur Christi im sogenannten Stande der Erniedrigung. Auf Thumm’s Seite standen die Tübinger Theologen Lucas Osiander und Melchior Nicolai; ihre Gegner waren die Gießener Theologen Balthasar Menzer und Justus Feuerborn. Beide Parteien standen auf dem Boden der Concordienformel, wonach die menschliche Natur des Gottmenschen durch den Vorgang der Incarnation des Logos Antheil bekommt an den Majestätseigenschaften der göttlichen Natur desselben. Die menschliche Natur des Gottmenschen besitzt also nunmehr die Eigenschaften der Allgegenwart, Allwissenheit, u. s. w.; in Bezug auf den Besitz (griechisch ktesis) war man so einig. Man fragte sich aber, ob resp. wie die Menschennatur Christi während ihres Erdenlebens d. i. im Zustande ihrer sogenannten „Erniedrigung“ von dieser Eigenschaft Gebrauch gemacht habe. Die Gießener, welche sich für eine historische Erfassung des Erdenlebens Jesu Christi einen gewissen Sinn bewahrt hatten, behaupteten, daß die Menschennatur Christi auf den Gebrauch (griechisch chresis) ihrer göttlichen Eigenschaften verzichtet (Verzicht griechisch kenosis), die Tübinger dagegen, daß er heimlich (Verheimlichung griechisch krypsis) von ihnen Gebrauch gemacht habe. Die Gießener behaupteten demnach die Kenosis, die Tübinger die Krypsis der Chresis der göttlichen Eigenschaften der menschlichen Natur Christi. 1624 veröffentlichte Th. in diesem Streite zugleich im Namen der württembergischen Theologen seine Schrift: „Amica admonitio super decisione de quatuor per aliquot annos inter nonnullos Aug.-Conf. theologos agitatis controversis quaestionibus de omnipraesentia Christi … ad creaturas eiusdemque vera et profunda humiliatione et inanitione“ (deutsch 1624). – 1625 folgte seine Edition der Acta Menzeriana. Der dreißigjährige Krieg erstickte doch die weitere Fortführung dieses Streites. – Mit nie wankender Charakterfestigkeit hat Th. sodann gegen die Jesuiten gestritten. Durch seine schroff polemische Schrift „Christlicher und wohlgegründeter Bericht auf die Frage: ob ein evangelischer Christ auf Begehren und Nöthigen weltlicher Obrigkeit mit gutem Gewissen zur päpstlichen Religion sich begeben könne“ (1626) erregte er ihren Haß derart, daß es ihnen schließlich gelang, den Kaiser gegen den Verfasser einzunehmen, weil in dieser Schrift eine Stelle enthalten war, die als ehrenrühriger Angriff auf das katholische Kaiserhaus gedeutet werden konnte. Ein kaiserlicher Gesandter erschien am württembergischen Hofe und verlangte die Auslieferung des als gefährlich hingestellten Schriftstellers. Diesem Ansinnen wurde nun zwar nicht Folge gegeben; aber der Herzog hielt es doch für nöthig, den Professor Th. auf das Tübinger Schloß in Verwahrung setzen zu lassen. Diese Ereignisse gingen dem angegriffenen Manne so nahe, daß er zwei Jahre darauf, am 22. October 1630, starb. – Auch gegen den Calvinismus und gegen protestantische Sectirer hat Th. eine ganze Anzahl Schriften veröffentlicht. – In seinem theologischen Denken begegnet uns der Grundfehler aller altprotestantischen Orthodoxie: ihre Vertreter verwechselten die christliche Religion, den persönlichen Heilsglauben mit der schulmäßigen Formel für denselben. Daher das gehässige Sich-verketzern auf allen [171] Seiten, und auch Th. ist davon nicht freizusprechen, obgleich er unter den Streittheologen noch lange nicht der schlimmste war.

Als Schriften von Th. mögen außer den oben genannten noch hervorgehoben werden: „Misanthropia calvinistica“ (1620); „Tractatus theologicus de bello“ (1621); „Assertio sanae et orthodoxae doctrinae de exinanitione Christi“ (1622); „Scultetus iconoclastes“ (1621); „Synopsis doctrinae de aeterna salvandorum praedestinatione“ (1621); „De vera, reali et substantiali carnis et sanguinis Christi ... in s. coena praesentia“ (1621); „Polytropia calviniana“ (1621); „Tractatus de bonis ecclesiae“ (1621); „Apodixis theologica, Deum essentia unum, personis trinum esse, contra Photinianos“ (1622); „Panurgia Satanae Gen. III“ (1621); „Majestas Jesu Christi contra Photinianos et Jesuitas“ (1621); „Impietas Photiniana“ (1623); „Controversia de traduce s. ortu animae rationalis“ (1622); „Explicatio terminorum et distinctionum in arduo articulo iustificationis gratuitae hominis peccatoris coram Deo occurrentium“ (1620–1623); „Tractatus de haereticis non occidendis“ (1622); „Tr. de usura licita et illicita“ (1622); „Impietas Weigeliana (1622); „Consideratio trium quaestionum: a) de efficacia verbi; b) de eius modo et ordine; c) de tribus partibus hominem essentialiter constituentibus, contra Weigelianos“ (1624); „Tractatio historico-theologica de festis Judaeorum et Christianorum“ (1624); „Apocalypticus character Anti-Christi, contra Casp. Lechnerum (1624); „Idololatria Lechneriana“ (1624); „Disquisitio de jubilaeo anti-christiano et indulgentiis“ (1625); „Repetitio sanae doctrinae de majestate Christi“ (1624); „Decas exercitationum theologicarum de praecipuis quibusdam religionis christianae capitibus“ (1624); „De igne purgatorii pontificii fatuo“ (1625); „Apologia contra injustas criminationes Laur. Foreri et Casp. Lechneri de crimine laesae maiestatis Caesareae“ (1626); „Tr. de triplici Christi officio, prophetico, regio et sacerdotali“ (1626); „Tr. de verbo dei scripto et non scripto, contra pontificios“ (1623); „Errores Balth. Mentzeri et A. Feurbornii“ (1625); „Examen defensionis Balth. Mentzeri“ (1625); „Tapeinosigraphia sacra s. de exinanitione Christi“ (1623); „Kurzer Bericht etlicher streitiger Fragen über die Gegenwart des Menschen Christi“ (1625). Dazu einige andere minder erwähnenswerthe Arbeiten; verschiedene Leichenpredigten und viele Dissertationen, aufgezählt bei Zedler (s. unten).

Vgl. Witte. Memoriae theol. Dec. VII, 968 sq. – Fischlin, Biographia praecipuorum Theologorum Wirtembergensium Part. II, p. 238 sq.Zedler, Universallexikon XLIII (1745), S. 1927 ff. – Gust. Frank, Gesch. der prot. Theologie I (1862), S. 336 ff., wo auch die übrige Litteratur zum Streite der Kenotiker und der Kryptiker aufgeführt ist.