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Artikel „Stunz, Joseph Hartmann“ von Hans Michael Schletterer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 759–762, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stunz,_Joseph_Hartmann&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 21:10 Uhr UTC)
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Stunz: Joseph Hartmann St. (Stuntz), geboren am 23. Juli 1792 in Basel, † am 18. Juni 1859 in München, Sohn von Joh. Baptist St. (s. o.). Er kam frühzeitig nach Wien, wo Salieri sein Lehrer wurde, dann nach der bairischen Hauptstadt, wo er den Unterricht P. v. Winter’s genoß. Nachdem er wiederholte Reisen nach Italien gemacht, und dort für die Theater in Mailand, Venedig, Turin verschiedene Opern geschrieben, ließ er sich in München nieder. An des infolge vorgerückten Alters zurückgetretenen Ferd. Fränzl’s Stelle, dem er schon länger assistirt hatte, wurde er 1824 Vicecapellmeister (Chordirector), und übernahm dann nach Winter’s bald darauf erfolgtem Tode, 1826, dessen Functionen als Hofcapellmeister und Operndirigent, allerdings mit sehr geringem und unzureichendem Gehalt. Mit seinem Eintritt in diese Aemter verknüpfte sich eine wichtige Neuerung. Bisher war man in der Capelle gewohnt, daß der Dirigent vom Platze des Concertmeisters aus die Direction des Orchesters mit der Violine besorgte. St. leitete dasselbe aber vom Clavier aus, was großen Widerspruch erregte und sehr unwillig aufgenommen wurde. Als an seine Stelle als Orchesterdirigent später Moralt trat, der wieder zur alten Praxis zurückkehrte, gab sich allgemeine Befriedigung kund. Sein Nachfolger als Vicecapellmeister wurde Aiblinger, in der Oper aber Fr. Lachner (1836), der mit alten Mißbräuchen dann allerdings energisch aufräumte. Die Stellung eines Münchner Hofcapellmeisters war übrigens eine ganz eigenartige. Er hatte nur geringen Einfluß auf das Repertoire und die Rollenbesetzung, dirigirte in der Oper auch fast nie, [760] sondern mußte nur für Einrichtung und, wurde es nöthig befunden, Umarbeitung oder Bereicherung der Partituren durch Einlagen, für Composition aller Gelegenheitsstücke, deren man am Hofe bei jeder Gelegenheit bedurfte, sorgen, das Einstudiren überwachen und für würdige Darstellung bedacht sein. Auch das wurde nach Lachner’s Anstellung anders, der Opern- und Concertdirection allein in die Hände nahm. So blieb die hauptsächlichste Thätigkeit des Hofcapellmeisters auf seinen allerdings sehr in Anspruch nehmenden Kirchendienst beschränkt. Verstimmt durch den ungenügenden Erfolg seiner Opern, von denen er sich so viel erhofft hatte, zog St. sich mehr und mehr aus der Oeffentlichkeit zurück, und beschäftigte sich nur noch mit geistlichen Dingen, wie er denn seine Arbeitskraft zuletzt ausschließlich nur kirchlichen Compositionen widmete. Von diesen wurde aber leider fast nichts veröffentlicht, obwohl ihre Zahl eine sehr große gewesen sein muß. Gedruckt sind nur: „Messe“ (A), „Graduale“, „Stabat mater“, „Grabgesang“ und wenig anderes. Aber bevor er sich nun so vor der Außenwelt mehr und mehr verschloß, widmete er sich einem Gebiete, auf dem er unvergängliches leisten und, obwohl in beschränktem Kreise, wirklich treffliches bieten sollte. Die Jahre seiner Manneskraft fielen in die goldne Zeit des Männergesangs. Er war Zeitgenosse von Mendelssohn, Kreutzer, Fr. Schneider, Dürrner, Silcher, Zöllner, Marschner, Kalliwoda u. a. An jeden dieser Namen knüpft sich die Erinnerung an herrliche Lieder, die heute noch die Herzen derjenigen, die so glücklich waren sie einst zu hören, höher schlagen machen. Die von St. componirten Männerchöre: „Walhallagesang“, „Lied der Landsknechte auf dem Zuge“, „Bairischer Schützenmarsch“ u. s. w. sind voll Frische, Leben, Kraft und Gemüth und, während ihm ein stark humoristischer Zug nicht abging, ohne Sentimentalität oder unkünstlerische Effecte; nirgends offenbart sich in ihnen krankhafte Unnatur. St. war s. Z. der Festcomponist Baierns. Kein Hof- oder Künstlerfest, keine Grundsteinlegung oder Eröffnung der unter König Ludwig I. entstandenen monumentalen Schöpfungen fand statt, ohne daß seine Lieder dabei erklangen. Sonst hatte er, wie schon gesagt, wohl ehrenvolle, aber keine durchschlagenden Erfolge als Tonsetzer zu verzeichnen. Im Sommer 1819 kam er mit seiner jungen Frau erstmalig nach Mailand, um dort seine erste Oper: „La Rappressaglia“ zu vollenden und aufzuführen. Es war ein seltenes Glück, daß er, ein fremder, unbekannter Tonsetzer, der nie eine Oper componirt, gleich für die Scala schreiben durfte. Nur ungern hatte sich die Direction entschlossen, den jungen Mann mit dieser Aufgabe zu betrauen. Aber der Versuch gelang; die dreimal aufgeführte Oper gefiel ziemlich, der Maestro wurde in jeder Vorstellung nach jedem Acte gerufen. Aber diese Erfolge ersetzten ihm nicht, was er als deutscher Tonsetzer an Originalität einbüßte. Wie sich dies Zwitterwesen, dies Entgegenkommen und vollständige Eingehen auf welsche Weise, schon an Hasse, Graun, Schwanberger, Mayer empfindlich gerächt hatte, die so bald fast spurlos vergessen wurden, so auch an ihm, der trotzdem als Operncomponist nie zu rechter Geltung gelangen konnte. Stets bewährte er sich als braver, tüchtiger Tonsetzer, aber wenn man seinen italienischen Opern mehr Gründlichkeit nachrühmte, als denen seiner Collegen, that man ihnen beim Publicum nicht einmal einen Gefallen. So gefielen denn seine Werke immer nur halb; keine einzige seiner nach italienischer Manier reich colorirten Melodien erschien wirklich neu, keine seiner Ideen originell. Man war stets versucht, Reminiscenzen zu wittern, fand alles zu chromatisch, zu verkünstelt, und ein Tadel, der sich schon am Anfang seiner Laufbahn erhebt und bis zum Schlusse derselben laut bleibt, der, daß die ersten Acte seiner Opern, die ersten Theile größerer Werke immer die besten sind, wird bereits frühe erhoben. Zeigen sich solche Krankheitserscheinungen schon in der Jugend, werden sie in der Regel chronisch. Die erste Oper, später [761] auch in Stuttgart aufgeführt, wurde dort als ein wirklich charakteristisches Tongemälde eines in das Wesen der Kunst tiefer eindringenden Meisters erkannt, dem es weder an Reichthum lieblicher, ungekünstelter Melodien und reizvollen Harmonien, noch an Feuer, Leben und Originalität fehlte, aber Enthusiasmus vermochte sie trotzdem auch hier nicht zu erwecken. Allerdings muß man in Betracht ziehen, daß Sujets und Texte, die St. zu componiren bekam, fast ausnahmslos ohne Interesse und ganz miserabel waren. Merkwürdiger Weise erregten die späteren Werke mehr Interesse als die früheren, besonders ein 1833 componirtes orientalisches Ballet, dem man Neuheit der Gedanken, treffliche Charakterschilderung und wirkungsvolle harmonische Kraft nachrühmte. Ein aus der Zeit der Kreuzzüge stammender Mameluckenmarsch war darin mit großem Geschick verwendet. Kleinere Compositionen wurden in München, Wien, Leipzig, Stuttgart u. s. w. vielfach mit lebhaftem Beifalle aufgeführt, so das „Stabat mater“, die Hymne: „Lobgesang an die Gottheit“, ein höchst phantastischer, origineller und sehr effectvoll instrumentirter Männerchor: „Der wilde Jäger“, mehrere Ouverturen (gedruckt sind Op. 7 in D u. Op. 9 in d), glänzend, feurig, ja prachtvoll und interessant durchgeführt und gearbeitet, einige brillante Streichquartette (eines als Op. 8 edirt) u. s. w. Immerhin aber haben, wie schon gesagt, seine Gesänge für Männerstimmen die nachhaltigste Wirkung gemacht und weiteste Verbreitung gefunden. Seine besten Werke, unstreitig seine Kirchencompositionen, in denen sich Innigkeit der Empfindung und erhabener Schwung mit anmuthiger Form einen, ruhen verstummt. Da sie ungedruckt blieben und infolge dessen nicht in die Welt dringen konnten, ruhen sie nun still in den Archiven kirchlicher Chöre. Die Compositionen von St., von denen man gehört, sind: 1. La Rappresaglia, Opera buffa. Text nach dem Französischen „La Revange“; u. d. T. „Il Contraccampio“ m. M. von J. Cordella im Theater Valle in Rom aufgeführt; in Wien u. d. T. „Wiedervergeltung“ u. „Schloß Lowinsky“, letztere März 1824 zur Musik von St., Mailand, Scala, 2. Sept. 1819; München 1823; Stuttgart 1824/25. 2. „Costantino“ von A. Zeno. Op. ser. Venedig, Fenice, Febr. 1820; Padua, Herbst 1821, München 1825. 3. „Heinrich IV. zu Ivry“. Text nach Voltaire’s Clarot von J. J. Sandtner. München 1820 und 23. 4. „Elvira e Lucindo“. Op. ser. von Romanelli. Mailand, Scala, 1821. 5. „Argene et Almira“. Turin 1824. 6. „Garibald“. Eigentlich Mozart’s „Titus“. Als Festoper zur Feier der 25jährigen Regierung König Max I., mit Grundlegung der Rochlitz’schen Uebersetzung bearbeitet von C. M. Heigel. An Stelle der Seccorecitative waren Dialoge getreten, und St. hatte eine Introduction und das zweite Finale dazu componirt. München, 16. Febr. 1824. 7. „Festdivertissement“. Gedicht von J. J. Sandtner, mit Chören von St.; declamirt von Eßlair. München, 27. Oct. 1825. 8. „Donauweibchen“. Modernisirt, mit neuen Gesängen von St. u. Poißl. 9. „Alasmann und Balsora“. Orientalisches Ballet. München, 24. Nov. 1833. 10. „Ahnen und Enkel“. Festspiel von Ed. v. Schenk zur Vermählungsfeier der Prinzessin Mathilde mit dem Erbprinzen, nachmaligem Großherzog Ludwig III. von Hessen-Darmstadt. 11. „Maria Rosa“ von Lesser. Op. ser. München, 23. Febr. 1845. Man kennt ungefähr 25–30 Männerchöre seiner Composition, auffallender Weise aber fast keine Lieder mit Clavier; doch ist hier noch ein Heft: „6 Notturni für 2 Stimmen“ zu erwähnen.

Seine Frau Maria, eine geborne Apenburg, genannt v. Schaden aus Nürnberg, in früheren Jahren wegen ihrer seltenen musikalischen Begabung als Sängerin geschätzt, starb am 5. Februar 1878, 79 Jahre alt. Aus dieser Ehe stammten vier Töchter und ein Sohn. Hermione St., geboren 1830 zu München, wendete sich nach dem Vorbild ihrer Tante Elektrine, Freifrau v. Freyberg, zur [762] Malerei, und sammelte aus dem Gebiete der Landschaft, der Architektur und insbesondere des Stilllebens einen Schatz von Studien, welche sie dann in ihre anspruchslosen Bilder verarbeitete. So vollendete sie z. B. 1860 eine „Dorfgasse aus Südtirol“, eine „Hl. Cäcilia“ und später einige Interieurs und Genrescenen, welche verdiente Würdigung fanden. Das Ende der Künstlerin gestaltete sich zu einer dritthalbjährigen Folter: erblindet und gelähmt starb sie nach unsäglichen Leiden am 9. October 1879 (vgl. Beilage 354 Allg. Ztg., 20. Dec. 1879). Hector St., geboren 1821 zu Mailand, gestorben zu München als Polizeirath am 22. December 1887, war der werkthätigste Förderer, Gönner, Consulent und Ehrenmitglied des „Bair. Veteranen- und Kriegervereins“ und Gründer der Zeitschrift „Der Veteran“. In seiner Stellung als Preßreferent gewann er die Hochachtung und Sympathie Aller, die mit ihm in Berührung kamen (vgl. Nr. 356 Augsb. Abendztg. vom 27. December 1887).