ADB:Steindorff, Magnus Friedrich

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Artikel „Steindorff, Magnus Friedrich“ von Ernst Steindorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 697–699, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Steindorff,_Magnus_Friedrich&oldid=- (Version vom 28. November 2024, 14:30 Uhr UTC)
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Steindorff: Magnus Friedrich St., geboren am 29. Mai 1811 zu Behrensbrook, einem adligen Gut im südlichen Schleswig, als Sohn des dortigen Gutsbesitzers Christian Ludwig St., gehörte in den nationalen und politischen Kämpfen unter König Christian VIII. und König Friedrich VII.[WS 1] zu den Führern der deutschgesinnten Schleswiger. Auf der Domschule zu Schleswig vorgebildet, studirte er Medicin in Berlin, Würzburg und Kiel, wo er am 16. Septbr. 1833 promovirte. Seine Ausbildung vollendete St. auf einer längeren Studienreise nach Prag, Wien und mehreren süddeutschen Universitäten. In Wien fesselte ihn vor allen der Ophthalmologe F. Jäger und unter seinen dortigen Freunden stand ihm der nur wenig ältere, später als Patholog berühmte K. E. Hasse aus Dresden besonders nahe. Im J. 1835 ließ St. sich als praktischer Arzt in Flensburg nieder und hatte bald Erfolge, aber der dort herrschende Krämergeist war ihm auf die Dauer unerträglich; deshalb siedelte er im J. 1840 nach Schleswig über. Hier fand er, was er neben der ärztlichen Thätigkeit suchte: politische Regsamkeit, einen großen Kreis schleswig-holsteinischer Patrioten und die Möglichkeit für das schon damals bedrohte Deutschthum der Herzogthümer mit Wort und That einzutreten. Auf die Bürgerschaft der Stadt, die als Sitz der Regierung und anderer Behörden ein stark bureaukratisches Gepräge hatte, gewann St. bald bedeutenden Einfluß: er und sein nächster Freund, der Hardesvogt F. Jacobsen, 1849 Chef des schleswig-holsteinischen Kriegsdepartements, arbeiteten planmäßig darauf hin, den Widerstand gegen die dänische Politik recht eigentlich in der Stadt populär zu machen, während der beiden befreundete Advocat W. Beseler seine Hauptthätigkeit in die Ständeversammlung verlegte. Wie wichtig es für die Landessache war, daß die Bestrebungen dieser Männer Erfolg hatten, zeigte sich in den entscheidenden Märztagen des Jahres 1848. Als am Morgen des 24. die Nachricht von der Bildung der provisorischen Regierung aus Kiel eintraf, kam es vor allem darauf an, den verhaßten Regierungspräsidenten v. Scheel zum Rücktritt zu zwingen und die militärischen Autoritäten, welche der Erhebung feindlich sein würden, lahm zu legen. Das gelang im Laufe des Tages vollständig und zwar ohne Gewaltthätigkeit, durch eine große Volksdemonstration, die St. ins Werk setzte, indem er die Sturmglocke läuten ließ, um die Bürger [698] auf dem Rathhause zu versammeln. Auf seinen Vorschlag proclamirte die Menge Jacobsen zum „Dictator“ und einen deutschgesinnten Officier, den Major von Unzer, zum Stadtcommandanten, dann begann der Umzug durch die Stadt. Die mißliebigen Persönlichkeiten flüchteten oder gaben beruhigende Erklärungen, die öffentlichen Kassen wurden für die provisorische Regierung in Beschlag genommen und ungehindert vollzog sich die Anerkennung derselben nicht nur in der Stadt seitens des Magistrats, sondern auch in den benachbarten Landdistricten, namentlich in Angeln. – Nachdem der Krieg ausgebrochen war, stellte sich St. als Arzt zur Verfügung und wiederholt wurde er mit der Leitung von Hospitälern betraut. Während des ersten Waffenstillstandes arbeitete er im Auftrage der gemeinsamen Regierung an einer gesetzlichen Regelung des Civil-Medicinalwesens der Herzogthümer: er entwarf mehrere Verordnungen und an der Durchberathung derselben betheiligte sich unter anderen L. Stromeyer, seit November 1848 Professor der Chirurgie in Kiel und Generalstabsarzt der schleswig-holsteinischen Armee; diese erste Bekanntschaft Steindorff’s mit Stromeyer begründete ihr späteres freundschaftliches Verhältniß. Zugleich war St. als Politiker thätig und zwar, soweit es sich um innere Fragen handelte, in liberalem Sinne; im übrigen erstrebte er, wie die Mehrzahl seiner Landsleute, enge Verbindung der Herzogthümer mit dem geeinigten Deutschland und Personalunion mit Dänemark – diese als Uebergangsstadium bis zur vollständigen Trennung. Die Stadt Schleswig wählte ihn in die constituirende Landesversammlung und die provisorische Regierung berief ihn mit Preußer, Samwer und anderen in die Commission der „geachteten Männer“, aus deren Berathung der Entwurf zum schleswig–holsteinschen Staatsgrundgesetz vom 15. Septbr. 1848 hervorging. In der Versammlung saß St. auf der Linken, aber nicht in der radicalen, von Theodor Olshausen geführten Fraction, sondern, ein Gesinnungsgenosse von Justus Olshausen, gehörte er mit diesem zu den Begründern einer liberalen Mittelpartei, des linken Centrums. In die Debatte griff er nur ein bei wichtigeren Anlässen; er sprach gewandt und eindrucksvoll; eine Zeit lang war er Vicepräsident der Versammlung. Auch sonst empfing er Beweise allgemeiner Achtung. Er war einer der Deputirten, welche die Landesversammlung Anfang April 1849 nach Berlin schickte, um den König von Preußen zu seiner Erwählung zum deutschen Kaiser zu beglückwünschen. Ende April trat er in die deutsche Nationalversammlung als Abgeordneter des vierten schleswig’schen Wahldistricts, dessen bisheriger Vertreter, Bunsen in London, sein Mandat niedergelegt hatte. St. schloß sich dem Club des Augsburger Hofes und damit der großen erbkaiserlichen Partei an, aber in der Versammlung war bereits kein Raum mehr für eine ersprießliche Thätigkeit; im Grunde war sie schon seit der Ablehnung der Kaiserwürde durch Friedrich Wilhelm IV. dem Schicksal der Selbstauflösung verfallen und der Ausbruch von revolutionären Bewegungen in einem großen Theile Deutschlands beschleunigte die Katastrophe zumal für die gemäßigten Parteien. St. erklärte seinen Austritt am 24. Mai gemeinsam mit seinen Landsleuten Francke, Esmarch und Michelsen. Gleich ihnen betheiligte er sich an der Versammlung der „Bundesstaatlichen“ in Gotha und an der ihr folgenden Parteibildung durch Unterschrift der am 28. Juni gefaßten Beschlüsse. Heimgekehrt griff St. energisch ein in die Kämpfe der deutschen Schleswiger gegen die auf Grund des Berliner Waffenstillstandes vom 10. Juli 1849 eingesetzte und ganz von dänischem Einfluß beherrschte Landesverwaltung. Die Organisirung des passiven aber nichts destoweniger sehr wirksamen Widerstandes, dem das Regiment Tillisch-Eulenburg südlich der Demarcationslinie begegnete, war zum großen Theil sein Werk; besonders thätig war er als einer der Stifter und als Mitglied eines Vereins zur Schadloshaltung [699] derjenigen Cassenbeamten, welche ihre Steuerbeträge nicht an die sogen. schleswigsche Centralcasse, sondern nach Rendsburg an die Statthalterschaft ablieferten und deshalb von der Landesverwaltung mit Geldstrafen belegt wurden. Um dieselbe Zeit wurde St. von der Landesversammlung bestimmt zu einem der drei Vertrauensmänner, die im Januar 1850 bereit waren, nach Kopenhagen zu gehen und zum Zweck einer directen Verständigung mit dänischen Vertrauensmännern zusammenzutreten. Der Plan scheiterte, weil König Friedrich VII. zwar die ihm vorgeschlagenen Persönlichkeiten, außer St. Obergerichtsrath Mommsen und Syndikus Prehn genehmigte, aber auf schriftlicher Auseinandersetzung der Wünsche der Herzogthümer bestand. Auch der ersten ordentlichen Landesversammlung, die während des Krieges von 1850 gewählt wurde, gehörte St. an und als diese nach der Einmischung von Preußen und Oesterreich sich zu entscheiden hatten zwischen dem Widerstande gegen die Forderungen der Großmächte, wie ihn W. Beseler, das schleswigsche Mitglied der Statthalterschaft, beantragte, und der von Graf F. Reventlow, dem anderen Statthalter empfohlenen Unterwerfung, trat St. auf Beseler’s Seite; in den denkwürdigen Verhandlungen vom 10. und 11. Januar 1850 stimmte er mit der Minorität für den Widerstand. – Der unglückliche Ausgang des Kampfes machte es ihm unmöglich, in Schleswig zu bleiben; er siedelte nach Kiel über und lebte hier vor allem seinem ärztlichen Berufe. Von politischer Thätigkeit hielt er sich Jahre lang fern; erst in den letzten Zeiten des dänischen Regiments wandte er sich ihr wieder zu unter dem Antrieb der Hoffnungen, die der Regierungswechsel in Preußen (1858) und das Wiedererwachen nationaler Bestrebungen in Deutschland (1859) auch für die Sache der Herzogthümer hervorriefen. Als der Tod König Friedrich’s VII. der Verbindung mit Dänemark rechtlich ein Ziel setzte, nahm St. die Proclamation des Herzogs Friedrich VIII. vom 15. Novbr. 1863 mit voller Ueberzeugung zur Richtschnur seines Verhaltens und in Kiel, wo der Herzog persönlich unbekannt war, trug sein entschiedenes Eintreten für das Recht desselben wesentlich dazu bei, die Bürgerschaft für ihn zu gewinnen. In den Parteikämpfen um das Verhältniß der von Dänemark befreiten Herzogthümer zu Preußen versuchte St. eine Mittelstellung zwischen Annexionisten und Particularisten einzunehmen; er zählte zu den Anhängern eines engen, aber vertragsmäßig geordneten und das Recht der augustenburgischen Dynastie wahrenden Anschlusses an Preußen. Daß der Gang der Dinge diese Bestrebungen vereitelte und die Einverleibung des Landes in Preußen herbeiführte, war ihm schmerzlich, aber ohne Verbitterung und mit Vertrauen auf die Zukunft fügte er sich in die neue Ordnung. In Kiel wurde ihm ein Mandat zum Abgeordnetenhause angeboten, er lehnte es ab aus persönlichen Gründen. Am 22. Juni 1869 ist er gestorben.

A. Sach, Geschichte der Stadt Schleswig (1875), S. 299–312, hauptsächlich nach Aufzeichnungen Jacobsen’s. – O. Fock, Schleswig–holsteinische Erinnerungen, S. 224 ff. – G. F. L. Stromeyer, Erinnerungen eines deutschen Arztes II, 238. 334. – K. E. Hasse, Erinnerungen aus meinem Leben (als Manuscr. gedr.), S. 85 ff.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Friedrich VII. Karl Christian (1808–1863); war von 1848 bis zu seinem Tod König von Dänemark.