ADB:Senfft von Pilsach, Arnold Freiherr

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Senfft von Pilsach, Arnold Freiherr“ von Max Runze in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 23–26, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Senfft_von_Pilsach,_Arnold_Freiherr&oldid=- (Version vom 12. Oktober 2024, 15:57 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 34 (1892), S. 23–26 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Kein Wikipedia-Artikel
(Stand August 2013, suchen)
Gottfried Arnold Senfft von Pilsach in Wikidata
GND-Nummer 117473154
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|34|23|26|Senfft von Pilsach, Arnold Freiherr|Max Runze|ADB:Senfft von Pilsach, Arnold Freiherr}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117473154}}    

Senfft: Arnold Freiherr S. v. Pilsach, Sohn des bekannten Oberpräsidenten der Provinz Pommern, wurde geboren am 15. März 1834 zu Gramenz, dem angestammten väterlichen Gute, in Pommern. Den ersten Unterricht genoß er im Vaterhause zu Gramenz und Stettin und zeigte sich früh empfänglich für künstlerische und wissenschaftliche Bestrebungen, wie sie gerade damals in seiner Vaterstadt Stettin durch Loewe u. A. gepflegt wurden. Er ging später nach Berlin, wo er bereits im 17. Lebensjahre auf dem Friedrich-Wilhelms-Gymnasium, wo er zuletzt primus omnium gewesen, das Zeugniß der Reife erhielt. Der mannigfachen Anlage seines Geistes entsprach sein ebenso vielseitiges Bildungsstreben, welches durch Hindernisse äußerer Art nur noch vermehrt und vertieft ward. Arnold v. S. ward fachmännisch geschult als Theologe, Landwirth, Musiker, Jurist. Sein idealer Sinn drängte ihn schon als Schüler mit starkem Triebe, in den Wissenschaften heimisch zu werden, indem er zugleich auf das feurigste durchglüht war von der heißen Liebe zur Kunst und namentlich zur Musik. Doch die puritanischen Grundsätze seines Vaters, der nebst seinem Bruder, dem bekannten langjährigen Herrenhausmitgliede, lange Zeit hindurch die ultraconservative Richtung in Pommernland beherrschte, standen diesem Streben schroff entgegen. Derselbe hätte am liebsten gesehen, sein Sohn würde Geistlicher und pommerscher Landjunker in einer Person, und übte einen Druck auf ihn, dahingehend, daß A. v. S. sich als Schüler jeglicher musikalischen Beschäftigung entschlagen müsse. Der Landwirthschaft, welcher er zwar die ersten Jahre nach seinem Schulabgang sich widmete, der er indeß ein Interesse durchaus nicht abzugewinnen vermochte, entsagend, studirte er dann auf das eifrigste Jurisprudenz, in Göttingen, Genf und Halle. Das Studium der Theologie betrieb er daneben; nicht nur auf väterlichen Wunsch, sondern auch aus reinstem Herzensdrange; seine Vorbilder hierin waren Schleiermacher und Imm. Nitzsch; [24] des ersteren Büste behauptete später stets einen Ehrenplatz in seinen Räumen. In Halle erwarb er als Jurist auch den Doctorgrad. Vor allem aber war es die Musik, zu deren Studium er sich durch strenge Befolgung des starren väterlichen Befehls nun gleichsam die Berechtigung erstritten, der er sich mit der ganzen glühenden Begeisterung seines idealen Geistes nunmehr ergab,–sie blieb das eigentliche Feld seines späteren Strebens und Wirkens. So oft er in seiner Schülerzeit – und später als Student – in seiner Heimathstadt weilte, suchte er sonntäglich mit Vorliebe die Orgel von St. Jacobi in Stettin auf, um Loewe spielen zu hören, da ihm ja bis dahin jede Art von Kunstgenuß versagt ward; so lernte er Loewe schätzen und lieben. Aber auch als Student in Halle fand er reiche Anregung für seine auf die höchsten musikalischen Ideale gerichteten begeisterungsfrohen Bestrebungen. Wohl hatte er schon vorher den Unterricht eines Teschner, Nauenburg genossen; hier aber war es kein geringerer als Robert Franz, der ihn dauernd fesselte und den er als Lehrer verehren durfte. Den Grund für seine um Mitte der siebziger Jahre hervortretende hervorragende Gesangskunst legte indeß der berühmte Gesangslehrer Professor Julius Stockhausen, dessen bedeutendster Schüler v. S. – auch nach dem Urtheil maßgebender Kritiker – gewesen sein dürfte. Bei der contrastirenden Charaktereigenthümlichkeit zwischen ihm und seinem Vater, sah er sich bald ganz auf sich selber angewiesen. Eine selbständige bürgerliche Stellung zu gründen war unumgänglich. Diese fand er bei der Berlinischen Lebensversicherungs-Gesellschaft, welcher Anstalt er nahezu 24 Jahre seine Kräfte gewidmet und in treuester, mit rastlosem Eifer und genialer Einsicht gepflegter, von seinen Collegen hochgepriesener Arbeit die letzten 15 Jahre seines Lebens als Director mit vorgestanden hat. Doch gerade von dieser realistischen Grundlage aus entfaltete er für die deutsche Kunst bald eine überaus anregende, ja segensreiche Thätigkeit, in mancher Hinsicht von fast culturhistorischer Bedeutung. Diese Thätigkeit bestand einerseits in seinen künstlerischen Leistungen, andererseits in der aufopfernden Fürsorge, mit der er gleich einem Mäcen rettend für einige in ihrer Förderung gehemmten hochbedeutenden Kunsterscheinungen ritterlich eintrat. In ersterer Hinsicht sei seiner zahlreichen Kunstreisen gedacht, die ihn in alle Gegenden Deutschlands und über Deutschlands Grenzen hinaus führten. Bald erntete er den Ruhm eines der ersten Concertsänger Deutschlands, indem er sich nicht nur in Hauptpartien großer Chorwerke rühmlichst hervorthat (neben Händel’s Oratorien, Bach’s Passion und h-moll– Messe, Elias von Mendelssohn und Huß von Loewe sei hier noch besonders hingewiesen auf seine Meisterleistungen in Bruch’s und Brahms’ großen Chorwerken, in Kiel’s Christus und dem von Liszt, auf den Schumann’schen Faust und Vierling’s Raub der Sabinerinnen), sondern zumal als Lieder- und Balladensänger hoch hervorragte. Schon im J. 1874 nennt ihn Richard Würst „einen Concertsänger par excellence: jeder Zoll ein Künstler“. O. Gumprecht rühmt schon 1875 an ihm die feinsinnige musikalische Auffassung und gewissenhafte Gesangsbildung, sowie den ebenso weichen und mühelosen wie klaren und durchsichtigen Fluß der Aussprache; Prof. G. Engel nannte schon damals seinen Vortrag „enorm“. Bei alledem nahm er sich auch später stets in die strengste Selbstzucht und, wie überhaupt ein Mann von eisernem Willen und außerordentlicher Thatktaft, konnte er sich in der gesanglichen Weiterbildung nie selbst genug thun. In seinem Gesange wirkten alle denkbaren Vorzüge zusammen: die künstlerische Vollendung in der Technik, die edle Declamation, die besonnene künstlerische Vertheilung, die er seinem Gegenstande angedeihen ließ, dazu die edle Tenor-Baritonstimme selbst, die, in der Tiefe, Höhe und Mittellage gleich voll und kräftig erklingend, sich ebenmäßig ausgeglichen erwies. Dazu kam dann der in [25] seltenem Maße „schöne“ Ton der Stimme, und daneben die feinsinnige geistige Art der Auffassung, vermöge deren er die Fähigkeit besaß, verschiedene Meister, wenn sie auch ihrer ganzen Kunstanlage nach noch so erheblich von einander abwichen, mit gleicher Kraft treu und charakteristisch, ihrer geistigen Eigenthümlichkeit gemäß, vorzuführen. Hinter den Gesangsvorträgen stand eben stets die edle, mannhafte, geistbegabte Persönlichkeit. Er vertiefte sich mit inniger Liebe in die verschiedensten Meister des deutschen Liedes; er sang indeß nur Vollwerthiges; er prüfte und sichtete darum bei der Wahl seiner Lieder oft lange. Es ist bekannt, daß er mit Vorliebe Franz und Loewe vortrug. Doch äußerte er dem Schreiber dieses einmal: „Ich singe Schumann ebenso gern wie Franz, und Schubert noch lieber!“ In der That hat er gerade mit seinen Schumann-Vorträgen köstlichste Wirkungen erzielt. Für ihn war aber neben der inneren Sangeslust noch eine andere Regung maßgebend; sein edles Herz fühlte sich die Aufgabe gegeben, gerade für solche Meister ersten Ranges einzutreten, die in ihrer Größe nicht genügend gewürd6igt waren. Dieser Gesichtspunkt war neben den persönlichen Beziehungen zu Franz und Loewe und neben der Liebe zu ihren Gesängen maßgebend für ihn geworden, um eine Art Loewe- und Franz-Cultus anzuregen. Für seine Verdienste um Rob. Franz gebührt ihm nach G. Engel’s Ausspruch „der Dank der Nation“, – nicht minder indeß für sein Wirken zu Gunsten der Loewe’schen Ballade. Mit Franz’schen Gesängen begann er seine Künstlerlaufbahn („o danke nicht für diese Lieder“, zwei welke Rosen, Genesung), mit dem Gesange Loewe’scher Balladen endete dieselbe. Und gerade dieser beiden Meister Gesänge mußte von ihm hören, wer v. S. als Sänger in seiner vollen Größe bewundern wollte. Franz’ „Er ist gekommen“, „Die Haide ist braun“, „An die Wolke“ u. a. werden jedem, der diese Gesänge von ihm gehört, unvergessen bleiben; unvergessen bleiben aber wird auch in den Annalen der deutschen Culturgeschichte, daß v. S. durch seine praktische Fürsorge für R. Franz, indem er durch seine Energie ein großes Capital zu seiner Sicherstellung zusammenbrachte, u. a. hiermit einen Theil der köstlichsten Gesänge dem Vaterlande gerettet hat. Ebenso hat Loewe ihm Rettung mancher alten verschollenen Ballade vom Untergange zu verdanken. Mit Recht jubelte die Kritik ihm entgegen, als er 1880 in Berlin mit dem Vortrage Loewe’scher Balladen begann. Hier fand sich seine tiefempfindende, musterhaft geschulte, vielseitig veranlagte, hochgebildete Künstlernatur als Meister ersten Ranges zu Hause; Gust. Engel urtheilte damals: „Der Sänger riß das Publicum zur hellsten Begeisterung hin. Es war ein Triumph des Geistes, den er mit seinem Hochzeitsliede davontrug.“ Der Singplan seiner Balladen ward immer umfangreicher. Mit Liebe und Geist verstand er es, sich zu den einzelnen Personen in den Balladen zu objectiviren; seine Vorträge waren hohe Meisterleistungen; sei hier nur erinnert an „Edward“, „Erlkönig“, „Der Wirthin Töchterlein“, „Die Heinzelmännchen“, „Oluf“, „Odin“, „Prinz Eugen“ und an seine vielleicht großartigste Leistung: Die drei Balladen vom „Mohrenfürsten“. Mit auf seine Veranlassung ward 1882 der Loewe-Verein begründet. Auch für Anerkennung anderer Liedercomponisten, wie des genialen Jensen, zu dessen Grabstätte er Beiträge sammelte, E. E. Taubert’s, R. Emmerich’s trat er fördernd ein, und viele aufstrebende, jugendliche Talente verdanken ihm energische Aufmunterung wie liebevolle Einführung in die Künstlerwelt. Sein Haus war viele Jahre hindurch ein Sammelpunkt musikalischer Berühmtheiten. In den letzten Lebensjahren war er von einem schweren Leiden heimgesucht, gegen das er, der den Kampf mit den widerstrebenden Lebensmächten stets erfolgreich durchgeführt, mit der ihm eigenen Energie und mit gewissenhaftester Sorgfalt ankämpfte; er hielt sich immer noch aufrecht, theils durch strenge sanitäre Gymnastik, theils durch ernste Berufsarbeit und durch immer [26] wiederholtes Zurückkehren zu der ihm so lieb gewordenen Kunst; aber in der letzten Zeit häuften sich die mit der Krankheit verbundenen Schmerzen in einem Maße, daß er es vorziehen mußte, sich in Marburg einer Operation auf Tod und Leben zu unterwerfen. Er starb daran am 7. März 1889. S. v. P., welcher mit Vorliebe auch in der Geschichte seiner Ahnen forschte, hat hierüber einiges veröffentlicht; so „Historische Nachrichten über Schloß Pilsach und seine Besitzer“. Bei aller Schlichtheit und Biederkeit seines in mancher Hinsicht bis zum Freisinn ausgearbeiteten echt deutschen Gemüthes, aufrichtig und wahr, gerade und treu, hat er sich doch stets die überlegene Vornehmheit des Geistes bewahrt, – Vornehmheit auch in dem Bewußtsein, ein Edelmann zu sein von Stande und Gesinnung. Der Loewe-Verein veranstaltete ihm zu Ehren am 25. März 1890 im Saale des Römischen Hofes in Berlin eine Gedächtnißfeier.

Bibliographie: Musikalische Berichte von 1874 bis 1885 in allen musikalischen Zeitschriften und den Musikberichten der Tagespresse. – Nekrolog von Gustav Engel: Vossische Zeitung Mont. d. 11. 3. 1889 Nr. 118, I. Beil. – Jahresbericht über den Loewe-Verein 1889/90 und 1890/91. – „Freiherr Senfft von Pilsach als Loewe-Sänger“ von Dr. M. Runze in Loewe redivivus, Berlin 1888, S. 251–272.