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Artikel „Schulz, David“ von Paul Tschackert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 739–741, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schulz,_David&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 05:34 Uhr UTC)
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Schulz: David S., Professor der Theologie und Consistorialrath in Breslau († 1854), wurde am 29. November 1779 in dem Dorfe Pürben (nicht Pürten, auch nicht Pürberg) bei Freystadt in Niederschlesien geboren, wo sein Vater Gerichtsschulze und Schullehrer war. Dieser bestimmte den Knaben für die Landwirthschaft, ließ sich aber durch die Lernbegier desselben bewegen, ihn nach seiner Confirmation auf die benachbarte Stadtschule in Freystadt zu geben, wo er sich zur einstigen Uebernahme einer Schullehrerstelle vorbereiten sollte. Fast sieben Jahre verblieb S. hier, bekam dann im J. 1800 eine Hauslehrerstelle bei dem Jägermeister v. Hoffmann in Tscheschendorf bei Liegnitz und zog in dieser seiner Stellung nach 1½ Jahren mit seinen Zöglingen nach Breslau. Hier gelang es ihm, durch Besuch bestimmter Unterrichtsstunden auf dem Elisabeth-Gymnasium sich die Reife für das Universitätsstudium zu erwerben. Ostern des Jahres 1803 erhielt er dort ein rühmliches Abiturientenzeugniß und studirte von da an zu Halle (als Theologe immatriculirt, aber auf das Schulfach sich vorbereitend) wesentlich die philologischen Fächer bei Friedrich Aug. Wolf. Am 28. April 1806 promovirte er als Doctor der Philosophie und habilitirte sich am folgenden Tage daselbst in derselben Facultät als Privatdocent. Da aber in demselben Jahre die Franzosen Halle besetzten, und Napoleon die Universität daselbst schloß, bot sich für S. Gelegenheit, nach Leipzig überzusiedeln. Hier habilitirte er sich am 15. April 1807. Als aber 1808 die Hallesche Hochschule wieder eröffnet wurde, nahm S. dort seine Thätigkeit wieder auf und las über classische Schriftsteller, aber auch über das Neue Testament. Auf Betreiben des damaligen Generalstudiendirectors Johannes v. Müller wurde S. 1809 von der westfälischen Regierung zum außerordentlichen Professor der Theologie und der Philologie in Halle ernannt. Allein schon Michaelis 1809 folgte er mit Freude einem Rufe nach Preußen, nach Frankfurt an der Oder, wo er an Steinbart’s Stelle ordentlicher Professor der Theologie wurde. Am 19. April 1810 empfing er von der Frankfurter Facultät selbst die theologische Doctorwürde. Die öffentliche Rede, in welcher er am 28. Juni dafür feierlich dankte, bezeichnet recht [740] eigentlich seinen damaligen wissenschaftlichen Standpunkt, auf welchem er die Theologie wesentlich im philologischen und historischen Interesse trieb; sie hat den Titel „de necessaria studiorum theol. et philolog. coniunctione“. Da infolge der Aufhebung der Universität Halle die Frankfurter Hochschule von Studenten zahlreich besucht, aber an anziehenden Lehrern arm war, so fanden Schulz’ exegetische und historisch-theologische Vorlesungen viel Beifall. Aber schon nach zwei Jahren mußte er noch einmal – jetzt aber das letzte Mal – seinen Wohnsitz ändern, da die Frankfurter Universität nach Breslau verlegt und mit der dortigen Leopoldina vereinigt wurde. S. war das einzige Mitglied, das aus der theologischen Facultät nach Breslau übersiedelte. Hier bildete er mit Augusti, Möller und Gaß die theologische Facultät und hatte später Middeldorpf, v. Cölln, Böhmer, Hahn, Gaupp und Oehler zu Collegen. 1819 trat er als wirkliches Mitglied in das Königliche Consistorium für die Provinz Schlesien ein. Im Kreise seiner Collegen und der Studenten wurde er auch in Breslau sehr geschätzt; bis 1838 war er zweimal Rector der Universität und übte durch seine Vorlesungen auf die Studentenschaft und im Consistorium auf die Provinzialkirche einen weitreichenden Einfluß aus.

Seine besten Kräfte widmete er stets seinem akademischen Berufe und der Erforschung des Urchristenthums; als Mann der Wissenschaft aber bildete er die eigentliche Säule des vulgären Rationalismus in Schlesien. Sein ganzes Bestreben war darauf gerichtet, durch philologisch-geschichtliche Methode und mit „evangelischem Wahrheitsgeist“ die wesentlichen Ideen des Urchristenthums auszumitteln und dieses so von ihm ermittelte Christenthum „mit der Humanität zu versöhnen“, in der Absicht, daß dadurch geholfen werde, in der Menschheit Spaltungen und Feindschaft abzuthun und die allgemeine Brüderschaft des Gottesreiches herbeizuführen. (Vgl. seine beiden principiell wichtigen akademischen Festreden von 1817 und 1830, jene zur Feier des Reformationsfestes gehalten über das Thema „Quid in emendatione res sacrae christianae saeculo XVI divino numine incepta, felicissime adhuc continuata. in posterum continuanda, inesse videatur constans et manens, firmum atque aeternum? Quis interior ejus quasi fons vitae perpetuo duraturae?“, die andere dagegen zur Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession am 25. Juni 1830 gesprochen über das Thema „De vera et optabili ecclesiarum reconciliatione“.) Es kam ihm also zunächst auf eine sogenannte „höhere Auslegung“ des Neuen Testamentes an. Diesem Zwecke dienten unter seinen wichtigsten Schriften die exegetischen und kritischen, welche, obgleich breit und voll Wiederholungen, doch nicht ohne Werth sind. Schriften: „Die christliche Lehre vom heiligen Abendmahl nach dem Grundtexte des Neuen Testaments“ (1824), 2. Ausg. 1831; – „Der Brief an die Hebräer, Einleitung, Uebersetzung und Anmerkungen“ (1818); – „Ueber die Parabel vom Verwalter, Luk. 16, 1 ff.“ (1821); – die dritte Ausgabe von Griesbach’s Novum Testamentum, Bd. I (1827); – „Ecloge sententiarum de Paulo Apostolo etc.“ (1810); – „De codice quattuor Evangeliorum bibliothecae Rhedigerianae etc.“ (Vratisl. 1814); – „De codice Cantabrigensi“ (Vratisl. 1827); – „Die Geistesgaben der ersten Christen, insbesondere die sogenannte Gabe der Sprachen“ (1836). Als Vertreter der historisch-rationalistischen Richtung war S. aber unfähig, einerseits den modernen Pietismus andererseits das Gefühlschristenthum Schleiermacher’s auch nur zu verstehen, geschweige denn objectiv zu beurtheilen. Seine dogmatisch-polemischen Schriften sind daher heute werthlos. Daß der Pietismus in Schlesien zur lutherischen Separation sich entwickelte, war wesentlich die Schuld des Mangels an Verständniß von Seiten des damaligen schlesischen Kirchenregiments. S. stritt in demselben eifrig gegen die Führer des Lutherthums, sowohl gegen Scheibel als auch gegen Steffens: 1822 erschien von [741] S. „Unfug an heiliger Stätte oder Entlarvung Herrn J. G. Scheibel’s“; 1823 „Urkundliche Darlegung meiner Streitsache mit Steffens“; 1830 (gegen Hengstenberg’s Kirchenzeitung) „Ueber theologische Lehrfreiheit auf den evangelischen Universitäten und deren Beschränkung durch symbolische Bücher“; „Was heißt Glauben und wer sind die Ungläubigen?“ (1830); „Die christliche Lehre vom Glauben“ (1834). Gegen Schleiermacher richteten sich Schulz’ „Zwei Antwortschreiben an Herrn Dr. Schleiermacher“ (1831); darin das erste von S., das zweite von (D. v. Cölln). Da seine Polemik maßloß und heftig war, machte sie keinen guten Eindruck. – Mit Recht mag man S. bewundern, daß er in seiner Jugend große Schwierigkeiten überwand und durch gewaltige Anspannung des Geistes und des Willens es zu einer geachteten Stellung brachte; aber für das wirklich geschichtliche Christenthum, das zugleich eine Lebensmacht in den Gläubigen selbst ist und bleibt, hatte er nicht das richtige Verständniß. Derjenigen religiösen Richtung, welche unter der Regierung des Königs Friedrich Wilhelm IV. am Berliner Hofe das Wort führte, stand S. geradezu feindlich gegenüber, und als mitten in der freigeistigen Bewegung der vierziger Jahre, am 21. Juni 1845, eine „Erklärung“ gegen die Bestrebungen einer kleinen aber durch äußere Stützen mächtigen Partei der evangelischen Kirche auch von ihm unterzeichnet worden war, erfolgte im October dieses Jahres seine Entlassung aus dem Consistorium, während er nur den Titel und das Gehalt seiner von ihm innegehaltenen Stelle behielt. Als sodann seit dem Revolutionsjahre 1848 in den liberalen Kreisen der Bürgerschaft das Interesse für den kirchlichen Freisinn jener Zeit erlahmte, weil man die Beschäftigung mit den staatlichen Fragen für weit wichtiger hielt, hörte auch der geistige Einfluß von S. zu wirken auf; dazu nahmen seine Kräfte ab; er verlor das Augenlicht, mußte sich von der akademischen Thätigkeit zurückziehen und starb nach schweren Leiden am 17. Februar 1854.

Ein bis zum Jahre 1838 führender Lebenslauf von S. und die Titel seiner bis dahin veröffentlichten Schriften befinden sich in K. G. Nowack, Schlesisches Schriftstellerlexikon, 2. Heft (Breslau 1838), S. 139. – Daselbst wird citirt der „authentische“ (also wohl von Schulz selbst herrührende) Artikel im Convers.-Lexikon der neuesten Zeit (Leipzig 1833) Bd. 4, S. 232–235. Auf Nowack’s Artikel ruht der von Herzog, in seiner Real-Encyclopädie für prot. Theologie und Kirche, 1. Aufl. Bd. 14, S. 37 ff.; 2. Aufl. Bd. 13, 721 ff. – Ein ausführliches Verzeichniß seiner Werke bis 1838 s. in Nowack a. a. O. S. 143–145.