ADB:Steinbart, Gotthelf Samuel

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Artikel „Steinbart, Gotthelf Samuel“ von Paul Tschackert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 687–689, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Steinbart,_Gotthelf_Samuel&oldid=- (Version vom 4. Dezember 2024, 15:40 Uhr UTC)
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Steinbart: Gotthelf Samuel St., protestantischer Theologe, † 1809. St. ist als Vertreter eines ausgeprägt eudämonistischen Lehrsystems eine der am meisten charakteristischen Persönlichkeiten der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Geboren zu Züllichau am 21. September 1738, wurde er von seinem Vater, [688] dem Director des durch den Pietismus dort geschaffenen Waisenhauses, nach pietistischen Grundsätzen erzogen, aber auf der Schule zu Kloster Bergen, die unter Leitung des pietistischen Abtes Steinmetz stand, obgleich man ihn dort nach Sigismund Baumgarten’s Dogmatik und Polemik unterrichtete, durch private Lectüre von Schriften Voltaire’s für den „bon sens“, den gesunden Menschenverstand, gewonnen. Er begann seine Studien in Halle unter Baumgarten, ging, als der siebenjährige Krieg sie dort unterbrach, nach Frankfurt a. O., wo er an Töllner einen väterlichen Freund und Rathgeber fand, unterrichtete dann eine Zeit lang an der Realschule in Berlin und begab sich endlich nach Züllichau zurück, wo er die Leitung einer Erziehungsanstalt übernahm. Durch das Studium der Locke’schen und Wolf’schen Philosophie und durch den Umgang mit Teller und Töllner hatte er die damalige populäre Aufklärung zu einem System philosophischer Weltanschauung verarbeitet. Nachdem er als Pädagoge die Aufmerksamkeit der preußischen Regierung auf sich gezogen hatte, wurde er 1774 als ordentlicher Professor der Philosophie nach Frankfurt a. O. berufen, wozu er später noch als Prof. extraord. in der theologischen Facultät lehrte, dirigirte aber von dort aus zugleich die Züllichauer Erziehungsanstalt, mit welcher ein königliches Schullehrerseminar verbunden wurde, dessen Leitung gleichfalls St. übernahm. Hatte er sich bis dahin litterarisch hauptsächlich auf pädagogischem Gebiete und meist anonym bewegt, so trat er 1778 mit einem Werke hervor, das für die Beurtheilung von Religion und Moral der Aufklärungszeit (nach Frank’s Urtheil s. unten) das „charakteristischste Buch“ ist: wir meinen sein „System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christenthums, für die Bedürfnisse seiner aufgeklärten Landsleute und Andrer, die nach Weisheit fragen, eingerichtet“ (4. Aufl. Züllichau 1794). Er gründete hierin die Moral auf die vernünftige Selbstliebe und bemaß den Werth des Christenthums nach dem Beitrage, welchen es zur Glückseligkeit gebe. So sollte das Buch ein Leitfaden sein, vermittelst dessen man sich, ohne erst nach Arabiens Wüste zu reisen und Hor und Sinai zu besteigen, aus allen Irrgängen des Kirchensystems herausfinden und zu einem neuen Lehrgebäude des Christenthums gelangen könne. (Einl., 2. Aufl., S. 5.) Als höchstes Gut bezeichnete St. darin die Glückseligkeit und beschrieb sie als den Gemüthszustand einer fortdauernden Zufriedenheit und des öfteren Vergnügtseins. Einen solchen Zustand könne die alttestamentliche Religion nicht gewähren, wol aber das Christenthum, natürlich nur, wenn es von allem positiven Gehalte und von aller kirchlichen Bestimmtheit befreit sei. Der Stifter des Christenthums, ein außerordentlicher Mann von seltenen Talenten und seltener Rechtschaffenheit, lehre, genau besehen, nichts als die wahre Tugend. Tugendhaft sein aber heiße in vollem Maße das Gute genießen, was Gott von allen Seiten aus freier Güte darbiete. Zur wahren Glückseligkeit aber gehöre als Postulat die Unsterblichkeit, weil ohne sie eine wahre Werthschätzung und eine fortschreitende Vervollkommnung unserer selbst unmöglich sei. Auf dieses System hin wurde St. zum Dr. theol. ernannt, wurde 1787 Oberschulrath und Mitglied des Berliner Oberschulcollegiums, welche Stelle er aber 1789 wegen anderweitiger amtlicher Pflichten niederlegte, und später auch Consistorialrath. Während von den Neologen seiner Zeit sein Buch als das allgemeine Compendium der Religion gepriesen wurde, erfuhr es von Seiten der Orthodoxie die heftigsten Angriffe. Dagegen vertheidigte er sich in seinen „Philosophischen Unterhaltungen zur weitern Aufklärung der Glückseligkeitslehre“ (3 Hefte, Züllich. 1782–84). Die hier ausgesprochene Behauptung, daß es für den Menschen überhaupt nur relative Wahrheit gebe, verwickelte ihn in einen Streit mit seinem Gesinnungsgenossen und Collegen in Halle, Joh. Aug. Eberhard. Bereits vorher war Steinbart’s „Gemeinnützige Anleitung des Verstandes zum regelmäßigen [689] Selbstdenken“ (Züllichau 1780, 3. Aufl. 1793) erschienen, die, ohne in die Tiefe zu führen, sich durch Popularität empfahl. Seine „Anweisung zur Amtsberedsamkeit christlicher Lehrer“ (Züllichau 1779, 2. Aufl. 1784) ist in der Reihe der homiletischen Schriften der Aufklärung gleichfalls beachtenswerth. Steinbart’s Ansehen sank, nicht durch das Wöllner’sche Religionsedict, dem er sich fügte, indem er erklärte, daß er die Theologie schon seit einigen Jahren bloß historisch vortrage, ohne über die Richtigkeit der Grundsätze der einzelnen Religionsparteien zu entscheiden – es sank, als der Kant’sche Moralismus, der kategorische Imperativ der Pflicht, den Eudämonismus zu überwinden begann; seine Aemter aber verwaltete er alle bis an seinen Tod. St. starb am 3. Februar 1809.

Ein vollständiges Verzeichniß der Schriften Steinbart’s findet sich in Heinrich Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands u. s. w., 1835, S. 336–339. – Bildnisse Steinbart’s in Beyer, Allg. Magazin für Prediger Bd. V, St. 6; vor der 3. Ausg. von Steinbart’s System der reinen Philosophie (Züllichau 1786) und vor dem 2. Bändchen der kleineren auserlesenen liturgischen Bibliothek für Prediger (1794). – Vgl. G. Frank, Geschichte der prot. Theologie, III. Bd. (1875) S. 119–121. – C. R. Hausen, Geschichte der Universität u. Stadt Frankfurt a. O. (1800) S. 108. – Die Lebensdaten bei Doering a. a. O.