ADB:Töllner, Johann Gottlieb

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Artikel „Töllner, Johann Gottlieb“ von Rudolf Schwarze in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 427–429, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:T%C3%B6llner,_Johann_Gottlieb&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 00:05 Uhr UTC)
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Töllner: Joh. Gottlieb T., protestantischer Theologe, der Sohn eines Predigers in Charlottenburg, geboren am 9. December 1724, † zu Frankfurt a. O. am 20. Januar 1774. Seinen Vater verlor er früh, die Mutter verheirathete sich wieder mit dessen Amtsnachfolger Valentin Protzen, der 1732 als Superintendent nach Crossen berufen wurde. Hier erhielt daher T. seine erste Schulbildung; doch als sein Stiefvater 1743 nach Stettin als Consistorialrath und Pastor der St. Jacobikirche übersiedelte, besuchte er noch einige Zeit das Lyceum in Guben, dann die Waisenhaus-Schule in Halle und bezog endlich die dortige Universität, um Theologie zu studiren. Dabei trat er besonders mit dem damals hochgefeierten Jacob Baumgarten in nähere Beziehung und promovirte 1748 mit der von ihm selbst verfaßten Schrift: „de lege naturali et lege divina“. Schon 1749 erhielt er die Stelle eines Feldpredigers beim Regiment des F.-M. Grafen Schwerin in Frankfurt a. O. Doch wegen seiner schwächlichen Gesundheit konnte er dasselbe nicht begleiten, als es im August 1756 in das Feld zog. Zum Glück war bereits im J. 1751 seine Bearbeitung des von der Berliner [428] Akademie der Wissenschaften gestellten Themas „Von den Pflichten des Menschen bei glücklichen und unglücklichen Begebenheiten“ mit dem zweiten Preise (neben A. G. Kaestner) gekrönt und auch gedruckt worden. So übertrug man ihm alsbald eine außerordentliche Professur der Theologie – denn nur eine solche konnte er als Lutheraner an der sonst reformirten Facultät erlangen –; später wurde er auch zum ordentlichen Professor der Weltweisheit ernannt.

Seine Vorlesungen für das Wintersemester 1756 kündigte er in einem wohlstilisirten Programm: „de vero disciplinarum theologicarum ambitu et nexu“ an, in dem er eingehend (38 S. in 4°) Zusammenhang und Bedeutung der einzelnen theologischen Disciplinen erörterte, am Schluß aber die Studenten ermahnte, die Lehren der Schrift nicht bloß mit dem Verstande aufzufassen, sondern ihr Herz damit zu erfüllen und sie im Leben zu bewähren. 1755 hatte er auch schon eine Sammlung seiner Predigten „für nachdenkende Christen“ herausgegeben, und ließ nun in schneller Folge eine Reihe von Werken erscheinen, welche die Haupttheile der systematischen Theologie behandelten. Zunächst zwei paränetische: 1756 „das Abendmahl des Herrn, gegen alle Verächter desselben erklärt und gerettet“, und 1757 „die Leiden des Erlösers“ (der Gräfin Schwerin gewidmet) in neun Abhandlungen, durch welche „er die Fahne des Kreuzes aufrichten wollte“. In deren erstem versucht er den Streit zwischen den Lutheranern und Reformirten, über die Einsetzungsworte dadurch beizulegen, daß er erklärt, beide seien in der Sache einig und nur in den Worten verschieden; in dem zweiten läßt er durch das Leiden Christi – also dessen passiven Gehorsam – die stellvertretende Genugthuung für die Sünden der Menschen bewirkt werden, was der thätige Gehorsam nicht vermöge. Es folgen dann zwei weitere, für seine Zuhörer bestimmte Schriften: 1760 ein „Grundriß der dogmatischen“ und 1762 der „Moraltheologie“. In der Dogmatik, die sich durch Klarheit und lobenswerthe Kürze der Darstellung vor den andern meist sehr weitschweifigen Werken Töllner’s auszeichnet, werden die Lehren in der Ordnung des Katechismus vorgetragen, und jede einzelne durch die Hauptstellen der h. Schrift erläutert. Die Moraltheologie aber lehrt die Pflichten als einen „Dienst Gottes nach der Schrift“, wonach sie, als Gebot des Höchsten, die größte Gewalt auf den fleischlich gesinnten Menschen ausüben müssen. Sind die genannten Werke Töllner’s auf dem Boden des Supranaturalismus erwachsen, so unterzieht er in späteren einzelne Dogmen einer kritischen Untersuchung, bei welcher sie eine Umdeutung oder populäre Verflüchtigung erfahren. Stand doch die Zeit eben unter dem Zeichen der „Aufklärung“. Das Recht zu dieser Kritik begründet er in dem „Unterricht von symbolischen Büchern“ 1769 folgendermaßen: Da mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kirchenpartei gewisse Vorrechte verbunden sind, so setzt dies bei den Mitgliedern die Zustimmung zu ihren Lehrvorschriften – den Symbolen – voraus; diese müssen aus der h. Schrift geschöpft, wahr und faßlich dargestellt sein, und auch die Lebensvorschriften (die Moral) umfassen. Freilich ist dies nicht immer bei allen der Fall, also auch der Irrthum und somit eine Prüfung nicht ausgeschlossen. Zu dieser sind diejenigen, welche den Lehrbegriff der Kirche fortzupflanzen haben, durch ihre Stellung berufen, denn die „gemeinen Christen“ verstehen es nicht. Jene dann wegen Entfernung vom Lehrbegriff zur Niederlegung ihres Amtes zu veranlassen, sei man zwar berechtigt, aber es heiße den Zwiespalt in der Gemeinde zu einer äußeren Trennung steigern, daher die größte Vorsicht geboten sei.

So prüfte nun T. in mehreren Abhandlungen (1764, 66, 69) den Begriff der Offenbarung und stellte dabei, weil Gott alle Menschen, auch die Heiden, zur Seligkeit leiten wolle, neben seine Offenbarung in der Schrift, auch die in der Natur, über welche zu predigen er alle evangelischen Lehrer aufforderte. In [429] Betreff der Inspiration (1771) macht er einen Unterschied zwischen dem Alten und dem Neuen Testament und weiter zwischen den einzelnen Büchern. In seinem ausführlichsten Werke, (688 Seiten) erörtert er 1768 noch einmal die Bedeutung des thätigen Gehorsams Christi (s. oben). Wir begnügen uns mit diesen Andeutungen, doch verdient erwähnt zu werden, daß ein bald nach seinem Tode erschienenes „System der dogmatischen Theologie“, welches wesentlich von seiner Dogmatik (s. oben) abweicht, ihm fälschlich zugeschrieben wurde, und wie sein Stiefbruder C. Samuel Protzen (geb. 1745, † 1817 als Pfarrer an St. Marien in Frankfurt a. O.) in einer Rede auf den Tod von Töllner’s einzigem Sohne 1776 bezeugt, das Product eines von seinen Feinden ersonnenen Betruges war.

Schließlich entnehmen wir noch einer kleinen Schrift Töllner’s, dem „Ehrengedächtniß“ seines Stiefvaters Valentin Protzen (1772), folgende Zeilen (S. 8): „Er war aufrichtig fromm und gewissenhaft. Nicht zu gewissen Gottesdienstlichkeiten und in die Augen fallenden Heiligkeiten jemals geformt, die nach dem Urtheile vieler es vielleicht gutmeinender Leute den Christen auszeichnen; aber er hielt die kleinste Verletzung des Gewissens für sträflich und liebte solche Leute um des guten willen, ohne an ihren Schwachheiten und Formen Theil zu nehmen, ohne zu sprechen wie sie, sich zu tragen wie sie und ohne zu predigen wie sie. Und, welches viel ist, er genoß ihres Vertrauens ohne das alles.“ Wenn er an einer anderen Stelle (S. 15) sagt: „Sein frommes Beispiel ist mir in meinem nachmaligen Predigtamte eingedrückt gewesen“, so haben wir in den angeführten Zeilen nicht bloß ein Stimmungsbild jener Tage und eine Charakteristik Protzen’s, sondern nach allem, was von und über T. geschrieben worden ist, auch ihm unbewußt eine Selbstschilderung.

Ein Verzeichniß seiner Schriften zuerst in J. Gottl. Toellneri commentatio de potestate dei legislatoria non mere arbitraria. Cum indice scriptorum eius denuo edid. C. Sam. Protzen, 1775. – Vgl. den Artikel in Herzog, Real-Encyclopädie d. protest. Kirche v. Fronmüller.