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Artikel „Sarnow, Karsten“ von Theodor Pyl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 374–376, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sarnow,_Karsten&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 18:29 Uhr UTC)
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Sarnow: Karsten S., Bürgermeister von Stralsund, aus einer angesehenen Kaufmannsfamilie , die jedoch vor seiner Wahl noch nicht im Rathe vertreten war, und demgemäß nicht zum Patriciat gerechnet wurde, gehörte seit 1380 zu den Altermännern des Gewandhauses, und leitete als solcher die einflußreichste Innung der Tuchhandler. Aus dieser gelangte er (1389), nach seinen Genossen Herm. Krüdener und Herm. Hosang, in den Rath, und hatte in dieser Stellung (1391) Gelegenheit, seiner Vaterstadt einen ebenso wichtigen als ruhmvollen Dienst zu leisten. Als nämlich, infolge der langwierigen Kämpfe der dänischen Königin Margarete mit dem zum König von Schweden erwählten Herzog Albrecht von Mecklenburg, sich auf der Ostsee ein verderblicher Seeraub entwickelte, der in den mecklenburgischen Häfen häufige Unterstützung fand und die benachbarte Stadt Stralsund bedrohte, übernahm S. die Leitung eines gegen dieselben ausgerüsteten Geschwaders und hatte das Glück, die feindlichen Schiffe, welche in Ribnitz ausgelaufen waren, um Stralsunder Handelsschiffe zu erbeuten, zu besiegen und mehr als hundert Seeräuber gefangen zu nehmen. Nach dem harten Sinne jener Zeit, welche Gleiches mit Gleichem zu vergelten pflegte, ließ S. die Gefangenen ihre eigene frühere Unbilde nachahmend, in leere Tonnen verpacken, sodaß nur der Kopf aus der oberen Seite hervorsah, und führte solche, als Zeichen seines Sieges, nach Stralsund. Durch diesen glänzenden Erfolg, nicht minder auch durch die den gefangenen Frevlern auferlegte Strafe, welche dem naiven derben Sinn seiner Mitbürger entsprach, gelangte S. sowohl beim Rathe, als auch bei der gesammten städtischen Gemeinde zu solchem Einfluß, daß man ihn noch in demselben Jahre (1391) zum Bürgermeister erwählte. Begünstigt wurde dieser ungewöhnliche Schritt, durch den ein dem Patriciat nicht angehörender Kaufmann zur höchsten Würde emporstieg, durch den Umstand, daß die übrigen Bürgermeister, u. A. Bertram Wulflam (s. d. A,), Albert Gildehusen (s. d. A.) und Gregor Zwerting, durch höheres Lebensalter oder andere Verhältnisse beeinträchtigt, ihrer Amtsführung nicht mehr gewachsen erschienen, namentlich warf man dem BM. Bertram Wulflam vor, daß er die städtischen Kassen, Güter und Stiftung unregelmäßig verwalte, und unter dem Einfluß seines Sohnes Wulf stehe, welcher (1386) wenig gegen die Seeräuber ausgerichtet habe, und statt des allgemeinen [375] Wohles nur den eigenen Vortheil zu mehren strebe. Diesen zum Theil berechtigten, wenn auch vielleicht übertriebenen Beschwerden Abhülfe zu gewähren, entwarf S. eine neue städtische Verfassung, welche, unter Zustimmung der den BM. Wulflam und Gildehusen abgünstig gesonnenen Rathsmitglieder, am 2. Mai 1391 Rechtskraft empfing. Die Hauptbestimmungen dieser Urkunde betrafen einerseits die Rathswahlen, insofern neue Mitglieder nicht vom sitzenden Rathe, 2/3 des Plenums, sondern vom ganzen Collegium gewählt werden sollten, ebenso hatte letzteres auch die Vertheilung der Aemter zu bestimmen; beides geschah in der Absicht, die Willkür der leitenden Bürgermeister und ihres Anhanges zu beschränken. Andererseits ordnete die neue Verfassung die Wahl von 12 Alterleuten aus der Gemeinde an, welche zu allen wichtigen Rathsbeschlüssen mitwirken, und, in Gemeinschaft mit vier Rathsdeputirten, die städtischen Güter und Gelder verwalten und prüfen sollten. Insofern dabei u. A. die Maßregeln gegen Wegelagerer und Seeräuber Erwähnung finden, läßt sich ein Zusammenhang zwischen Sarnow’s Sieg über die erwähnten Ribnitzer Freibeuter und den von ihm entworfenen Statuten deutlich erkennen. Als nun die Bestimmungen des neuen Gesetzes zur Ausführung kommen und die BM. Wulflam und Gildehusen die Rechenschaft über die städtischen Gelder und Stiftungen ablegen sollten, letztere aber den Alterleuten nicht genügte, kam es zu einer heftigen Erregung der Bürger gegen die beiden Bürgermeister, welche S. nur mit Mühe beschwichtigte, indem er ihnen eine Frist bis zum 30. Juni erwirkte. Als aber dieser Termin eingehalten werden sollte, hatten beide mit ihren Angehörigen heimlich die Stadt verlassen, anscheinend in der Furcht, daß S. nicht mächtig genug sein möchte, sie vor Angriffen der Menge zu schützen. Infolge dessen wurde ihr Vermögen mit Beschlag belegt, und ihre Personen verbannt. Vergeblich suchten die Vertriebenen bei den pommerschen Herzogen und auf den Hansatagen eine Zurücknahme der gegen sie getroffenen Maßregeln zu erreichen. Ein von S. und seinen Freunden an die Versammlung zu Rostock gerichtetes Schreiben, welches die Beschwerden gegen jene zusammenfaßte, genügte fürs erste, um deren Verbannung zu rechtfertigen. Inzwischen trat in Stralsund allmählich ein Umschwung in der Gesinnung gegen S. ein, den Patriciern hatte er zuviel Einfluß genommen und den Innungen zu wenig Macht verliehen, sodaß er beiden nicht genügte, namentlich seitdem die Neuheit seines Ruhmes und seiner Wahl sich abschwächte. Dazu kam, daß der ihm befreundete Rathsherr Herm. Hosang wegen unerlaubter Ausfuhr suspendirt, und bald darauf, als er rachsüchtig einen Anfall gegen Wulflam’s Nachfolger, den BM. Nic. Siegfried (s. d. A.) unternahm, mit dem Tode bestraft wurde. Auf diese Art verlor er nicht nur einen Genossen im Rath, sondern zugleich auch, insofern seine Gegner ihn für dessen Verfahren verantwortlich machten, mittelbar den Ruf der Unbescholtenheit und Umsicht, welcher für seine Erhebung maßgebend gewesen war. - Bald darauf (1393) fügte sich die patricische Mehrheit des Rathes dem Richterspruch der Hansa und rief die Verbannten zurück. Wulflam war inzwischen verstorben, aber seine Söhne und Gildehusen brachten seinen Sarg in die Heimath, und veranstalteten ihm ein feierliches Begräbniß. Gegen S. richteten sie dagegen die Anklage, daß er gegen den Rath und dessen Leiter zum Schaden und Verderben der Stadt gehandelt habe, der zufolge er, gemäß den Statuten von 1353, verurtheilt und mit dem Schwerte auf dem Markte vor dem Rathhause gerichtet wurde. Die Bürgerschaft, für deren Wohl er stets bestrebt gewesen war, entschloß sich zu keinem Werke der Vertheidigung, erst einer späteren Geschichtschreibung blieb es vorbehalten, seine Verdienste anzuerkennen, bis die Gegenwart letzteres auch durch ein äußeres Zeichen bethätigte, indem sie einer neuen vor dem Knieperthor in anmuthiger Umgebung angelegten Straße seinen Namen verlieh.

[376] Lüb. Chron., herausg. v. Grautoff, I, 353, 494. – Strals. Chron., h. v. Mohnicke u. Zober, I, 164. – Kantzow, Pom., h. v. Böhmer, 96, h. v. Medem, 219, h. v. Kosegarten, I, 415, 426–30. – Kruse, Sundische Studien, I, Gesch. d. Str.-Verf., 13; II, Bruchst. z. Gesch. d. St. Strals., 13. – Brandenburg, Gesch. des Strals. Mag., 32. – Barthold, Gesch. d. D. Hansa, II, 224; Pom. Gesch., III, 533. – Fock, Rüg. Pom. Gesch., IV, 70–104, 229–244. – Francke, Gesch. der Strals. Stadtverfassung, Baltische Studien, XXI, 2, 40–94; „Für Bertram Wulflam“, Hansische Geschichtsblätter, IV, 1880–81, 1882, 87–105. Ueber die Berichtigung des Namens Holdthusen in Gildehusen, vgl. Koppmann, Hansische Geschichtsblätter, 1873, XLII.