ADB:Rochow, Friedrich Eberhard Freiherr von

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Artikel „Rochow, Friedrich Eberhard Freiherr v.“ von Binder. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 727–734, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rochow,_Friedrich_Eberhard_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 8. Dezember 2024, 03:19 Uhr UTC)
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Rochow: Friedrich Eberhard Freiherr v. R., Erbherr zu Reckahn bei Brandenburg, Domherr zu Halberstadt, Reformator und Förderer des Volksschulwesens, besonders in der Mark Brandenburg und im Stifte Halberstadt, geboren am 11. October 1734 zu Berlin, † am 16. Mai 1805 auf seinem Gute Reckahn. R. war der Sohn des preußischen Staatsministers v. R. Durch [728] Hauslehrer vorbereitet, besuchte derselbe von 1747–50 die Ritterakademie zu Brandenburg, trat 15 Jahre alt in preußische Kriegsdienste, focht als Reiterofficier in den Schlachten bei Lowositz und Prag mit, nahm bei Lowositz den österreichischen Feldmarschall Fürsten von Lobkowitz gefangen, wobei er aber von diesem einen Schuß in den Arm empfing. 1757 lernte er bei seinem Aufenthalt im Winterquartiere zu Leipzig Gellert kennen, mit dem er in dauernde freundschaftliche und für sein späteres Werk bedeutungsvolle Beziehung trat. Nachdem R. in demselben Jahre nochmals eine Verwundung erlitten hatte, die ihn des Gebrauches der rechten Hand beraubte, mußte er die militärische Laufbahn verlassen. R. zog sich nun auf seine Güter zurück; er vermählte sich 1759 mit Christiane Luise v. Görne, einer Freundin Gellert’s, mit der er in 46jähriger glücklicher, jedoch kinderloser Ehe lebte. Hier in ländlicher Zurückgezogenheit widmete R. sich seit 1760 neben der musterhaften Bewirthschaftung seiner Güter mit dem größten und ausdauerndsten Eifer seiner geistigen, in der Jugend in mancherlei Hinsicht mangelhaften Ausbildung, die auf ein gründliches Studium der alten und neuen Sprachen, auf Geschichte, Naturgeschichte und Agricultur gerichtet war, und er arbeitete an seiner Selbstbildung mit solcher Energie und Rastlosigkeit, daß er sich in sein Zimmer einschloß, wie ein junger Schüler die Declination und Conjugation einübte und nicht eher nachließ, bis er die lateinischen Classiker und die neuern Sprachen ohne Anstoß verstehen konnte. Im J. 1762 wurde R. Domherr zu Halberstadt und nun weilte er abwechselnd bald hier, bald auf seinem Gute Reckahn in der Mark. In Halberstadt trat er in Berührung mit dem Rector der dortigen Domschule, dem späteren Consistorialrath Struensee, durch den seine persönliche, schon zuvor durch Gellert’s Einfluß bestärkte religiöse, zu werkthätiger Nächstenliebe geneigte Gesinnung weitere Anregung fand. Vornehmlich aber war es die Schule, der sofort bei seinem Rücktritt ins Privatleben sein regstes Interesse zugewandt war. Früh schon war er mit Basedow, dem Haupt der philanthropisch-pädagogischen Schule, in freundschaftliche Beziehung getreten und hatte sich mit Rousseau’s Grundgedanken über Erziehung vertraut gemacht. Dieses Interesse Rochow’s war aber nicht etwa, wie man nach seiner Stellung annehmen dürfte, auf die Bildungsbedürfnisse der höheren Stände gerichtet; die Förderung der Volksschule, die Hebung der tief vernachlässigten Bildung des Landvolks, dies war des edlen Freiherrn aus Liebe zum Volke gewählte, bisher selbst nur von gar wenigen Fachmännern beachtete und gepflegte Aufgabe. Als Gutsherr in täglichem unmittelbaren Verkehr mit der Landbevölkerung, konnte er die traurigen Zustände kennen lernen, denen dieser Theil des Volkes in moralischer und auch materieller Hinsicht verfallen war. Diese überall dort sichtbare Verkommenheit, die natürliche Folge tiefer Unwissenheit und Verrohung, erfüllte R. mit Gram und Mitleid und weckte und reifte in seinem Geiste den Entschluß, ein Helfer des unglücklichen Volkes in dessen Noth zu werden. Die Ursache des Elendes lag nach Rochow’s Urtheil und Erfahrung ganz vorwiegend in der allenthalben vollständig vernachlässigten Erziehung der ländlichen Jugend, die in den wenigen, unregelmäßig besuchten und dürftig ausgestatteten Schulen zumeist Handwerkern, Hirten oder invaliden alten Soldaten als Lehrern anvertraut war. So kam es, wie R. bitter klagt, daß die Religion der Landleute meist der verderblichste Fatalismus war, und der gröbste Mechanismus in ihren Schulen herrschte. Man bildet nicht ihre ganze Seele, sagt er, man gewöhnt ihr Gewissen nicht, über ihre Urtheile und ihre Handlungen zu richten. So bleibt das Landvolk unfähig, einen moralischen, zusammenhängenden Vortrag zu verstehen, gegebene Regeln anzuwenden, begangene Fehler zur Besserung zu nützen; es bleibt sinnlich und nicht viel besser als thierisch und fühllos für jede Art moralischer Glückseligkeit. [729] Als erstes und sicherstes Mittel zur Abhilfe dieser Zustände strebt nun R. die Hebung des Unterrichts der Volksschule und insbesondere der Dorfschule an, um auf der Grundlage einer für das Landvolk erreichbaren und geeigneten Schulbildung eine sittliche und materielle Besserung seiner Lage herbeizuführen. Die nächste Gelegenheit seine Ideen zu verwirklichen, fand er auf seinen eigenen Gütern, namentlich in den Dörfern Reckahn, Gettin und Krane. Einen äußeren Anstoß hierzu gab die durch Mißernten der Jahre 1771 u. 1772 entstandene große Theuerung und gleichzeitig ausbrechende tödtliche Krankheiten, die auch auf Rochow’s Gütern große Sterblichkeit und arge Noth zur Folge hatten. R. hatte einen geschickten Arzt berufen, aber anstatt des Arztes und Rochow’s Rath und Hülfe zu benützen, vertrauten die Bauern in ihrem Aberglauben lieber Quacksalbern und Schäfern; sie verhielten sich ablehnend gegen Rochow’s wohlmeinende Maßregeln und verfielen mit ihren beschränkten Vorurtheilen rettungslos zahlreich dem Verderben. Der Schmerz hierüber trieb ihn zur That, und diese war vorerst die Abfassung eines Schulbuches. Da R. unter den vorhandenen derartigen Büchern keines fand, das unmittelbar für den gewöhnlichen Mann und dessen Kinder zur Belehrung zweckdienlich schien, so stellte er in 13 Capiteln den Entwurf eines nach seinem Plane eingerichteten und auf die Verhältnisse der Dorfschule berechneten Lehrbuches zusammen, das er nach mehrfachen förderlichen Winken und Ermunterungen seitens der Oberconsistorialräthe Spalding und Teller in Berlin 1772 herausgab unter dem Titel: „Versuch eines Schulbuches für Kinder der Landleute oder zum Gebrauche in Dorfschulen“, Berlin, bei Fr. Nicolai, mit dem Motto: Difficile est proprie communia dicere. Horaz. Dieser Versuch Rochow’s erlebte einige Auflagen und erschien in diesen mit dem Zusatze „zum Unterricht für Lehrer in niederen und Landschulen“. Die Vorrede hierzu enthält das Programm der ganzen Wirksamkeit des Mannes, und aus diesem Grunde mag ihr Inhalt in einigen Strichen angedeutet werden. Der Unterricht beginnt mit Uebungen der Aufmerksamkeit und Wißbegierde, damit die Kinder auf Worte und Sachen merken lernen, wonach der übrige Unterricht leicht und eine Lust für Lehrer und Lernende wird; darauf folgt die Behandlung von Ursache und Wirkung, Mittel und Zweck; in den folgenden Hauptstücken werden als Vorbereitung für den Unterricht in der Religion Vorübungen des Verstandes angestellt; ein kurzer Auszug aus der Bibel, berechnet fürs Gedächtniß des gemeinen Mannes, sowie eine kurze Zusammenfassung der christlichen Moral nebst einer natürlichen Theologie schließt sich dann an, wobei aber jeder confessionelle Standpunkt vermieden wird. Eine ausgedehntere Behandlung erfährt der Begriff von dem Verhältniß der Dinge; weiter folgen dann Belehrungen bezüglich des Betriebs der Landwirthschaft, deren Gedeihen bedingt ist durch eine tüchtige, auch auf letzteres Gebiet sich erstreckende Schulbildung des Bauern; schon in der Erwägung, daß im Ackerbau die Grundkraft des Staates liegt, soll der Staat eine bessere Einrichtung der Landschulen ins Auge fassen. Wie diese Verbesserung herbeigeführt werden soll, legt R. in weiteren fünf Punkten klar: „1) Mit Handwerkern und unwissenden Bedienten soll keine Land- oder niedere Schule mehr besetzt werden, sondern wo möglich erst mit Candidaten der Theologie, oder mit geschickten jungen Leuten, die gute Schulstudia gemacht haben. 2) Sie müssen Alle wenigstens über 100 Thaler baares Geld an fixem Gehalte haben, ohne die übrigen Vortheile als Feuerung, Wohnung, Garten u. s. w., damit sie sich gern und ganz dem Schuldienst weihen könnten. 3) Es müßten Classen sein, wenigstens zwei. 4) Die Schulgebäude müßten Vorzüge vor den übrigen haben, die Stuben hell und mit nützlichen und zweckmäßigen Bildern oder Sachen und Modellen geziert sein. 5) Wenn mit dem Lesen und Schreiben das erste Hauptstück verbunden, [730] auch nichts anderes gelesen und geschrieben würde, als faßliche und gemeinnützige Wahrheit, leichte Geschichte, Gedenksprüche, Lieder u. s. w., so erreichte man zwei wichtige Endzwecke auf einmal und erleichterte der übrigen Lehre den Eingang.“ Wie traurig es damals in Norddeutschland und auch sonst um die Volksschulen und um die Bildung der Lehrer stand, läßt sich aus diesen Vorschlägen Rochow’s deutlich genug erkennen. Mit Zagen und geringer Hoffnung auf Erfolg veröffentlichte R. diese feine Schrift; um so freudiger überraschte ihn eine günstige Recension im 19. Bande der „Allgemeinen deutschen Bibliothek“ und dann ganz besonders eine unterm 17. Juni 1773 vom Chef des geistlichen und Schuldepartements, dem nachherigen Minister v. Zedlitz in Berlin erfolgte Zuschrift, worin Rochow’s Bestrebungen die vollste Anerkennung gezollt wird; auch der König selbst nahm mit besonderem Interesse Kenntnis von Rochow’s Bemühungen und gab Zedlitz den Auftrag, die Landschulen nach Rochow’s Plan zu organisiren, zu welchem Zwecke er zugleich bedeutende Geldmittel zur Verfügung stellte. Diese hohe Anerkennung ermuthigte R. und führte zu dauernden Beziehungen mit Zedlitz, die später bei mancherlei Hindernissen und Anfeindungen für R. von Nutzen waren. R. begann nun auf seinen Gütern mehrere Landschulen nach seinen reformatorischen Plänen einzurichten; er beschloß, auf seinen drei Gütern ganz neue geräumige Schulhäuser zu bauen, auf Reckahn konnte ein solches schon 1774 bezogen werden. Außer dem Prediger Stephan Rudolph, den R. für seine Gemeinden als trefflichen Seelsorger gewonnen hatte, fand er eine höchst wirksame Unterstützung bei der Ausführung seiner Absichten in der Person des zuvor in Rochow’s Hause als Lehrer und Schreiber verwendeten Heinrich Julius Bruns, der nun als Lehrer in Reckahn Rochow’s Grundsätze verwirklichte. Nachdem der Minister Zedlitz mit mehreren Oberconsistorialräthen bei dem Besuch der Schule sich von der Zweckmäßigkeit der neuen Lehrart überzeugt hatte, wurde R. die Erlaubniß zu der noch 1774 erfolgten Gründung einer weiteren Schule auf Rochow’s Gute Gettin ertheilt und diesen beiden neu gegründeten Lehrstellen ein jährlicher Gehalt von je 120 Thalern vom Staate zugewiesen; in der Folge wurden dann noch zwei weitere Schulen auf Rochow’s Gütern eingerichtet. Der oberste Grundsatz, auf dem der Unterricht in diesen Rochow’schen Schulen sich aufbaute war: „Nur das Verstehen dessen, was gelehrt wird, macht den Unterricht nützlich“. In diesem Sinne ward von R. 1773 „Der Kinderfreund, ein Lesebuch zum Gebrauch in Landschulen“ verfaßt, wovon viele Auflagen, die letzte 1834 folgten, und der die weiteste Verbreitung in mehr als 100000 Exemplaren fand. Die Anordnung des Stoffes war darauf berechnet, die Kinder in der Aufmerksamkeit, besonders durch wechselweises ununterbrochenes lautes Fortlesen, dann in deutlichem Ausdruck, sowie in einem leichten Erzählungs- und Gesprächston zu üben und eine Vorbereitung zu christlicher Tugend zu geben. Mit den hier stattfindenden Leseübungen ist stets eine Katechisation über den Inhalt zu verbinden zur Förderung der Denk- und Sprachfertigkeit der Schüler und dieses Katechisiren betrachtet R. und sein Gehülfe Bruns als die höchste Aufgabe und Kunst des Lehrers, worin sich beide mit großem Eifer auszubilden strebten. Inzwischen hatte R. mit Bruns zugleich auch einen Lehrplan für die Schulen ausgearbeitet, der ebenfalls 1773 veröffentlicht wurde, unter dem Titel: „Instruction für die Landschulmeister“. Dieselbe behandelt zuerst die äußere Schulzucht, die Anleitung der Jugend zu sittsamen und höflichem Benehmen, sie gibt den Lehrern die Weisung, in freundliche und umgängliche Beziehung zu Eltern und Kindern auch außer der Schule zu treten; die Unterweisung sei beim Unterricht auf alles auszudehnen, was im gemeinen Leben vorfällt oder in jeder Lebensart nützlich sein kann; der Lehrer soll nie zu lange bei einer Sache verweilen, damit die Aufmerksamkeit [731] der Kinder nicht ermüde, dafür aber dieselbe Sache desto öfter wiederholen. Damit die Zucht der Kinder beim Unterricht desto besser anschlage, sollen die Lehrer vor allem über sich selbst in ihrer Haltung und ihrem Benehmen wachen. Die Handhabung der Disciplin hält einen stufenmäßigen Gang ein: auf die Ermahnung folgt der Verweis, dann die Drohung, und erst wenn diese erfolglos bleibt, die wirkliche Bestrafung. Die weiteren den Unterricht selbst behandelnden Theile der Instruction sind etwas allgemein gehalten; deutlicher ersieht man aber die hier zur Geltung kommenden Principien in dem nach den Normen der Instruction festgestellten, für drei Classen berechneten Lectionsplan, den R. in seinen Schulen einführte und dessen Hauptpunkte sich dahin zusammenfassen lassen: Der erste Unterricht sei so sinnlich und angenehm als möglich; der Lehrer erwecke und übe zu allererst die Aufmerksamkeit der Kinder und lehre sie ihre Sinne ordentlich gebrauchen; er verbessere gleich anfangs ihre Sprache und beschäftige ihr Nachdenken und ihre Wißbegierde, ohne sie zu überhäufen durch Mittheilung zu vieler Sachkenntnisse, was ihrem Alter und Fassungsvermögen nicht entspricht; damit ist die erste Anleitung zum Lesen und Rechnen zu verbinden. Das Schreiben wurde erst geübt, wenn der Schüler eine ziemliche Fertigkeit im Lesen und die Hand genügende Kraft und Festigkeit gewonnen hatte. Da der Unterricht vornehmlich auf Bildung des Verstandes und der Sprache berechnet war, so wurde nicht allein die katechisirende Methode eingeführt, sondern es waren auch besondere Verstandes- und Denkübungen angeordnet, und als oberster Grundsatz galt, daß man den Schülern nichts auswendig lernen lassen dürfe, was er nicht verstehen kann und nichts, was man ihn nicht zuvor verstehen gelehrt habe. War der Verstand der Kinder zur Fähigkeit des eigenen Nachdenkens genügend ausgebildet, dann erst begann der Religionsunterricht, da hier ein allzufrüher Unterricht, ehe die Lehren geistig erfaßt werden können, mehr schade als nütze, indem die Religion nur ihre Kraft erweise, wenn sie den Verstand erleuchte und das Herz erwärme, nicht aber, wenn sie als reine Gedächtnißsache behandelt werde; weniger kommt es hierbei auf einen streng systematischen Zusammenhang der Religionslehren, als vielmehr darauf an, daß diejenigen Lehren, deren Einfluß auf Besserung und Tugend unzweifelhaft ist, Hauptgegenstand des Unterrichts sei. Die Disciplin war auf das Princip begründet, daß durch den Verstand auf den Willen einzuwirken, daß jedoch mit der Belehrung des Verstandes zugleich auch eine bestimmte Uebung des Willens, die Gewöhnung zu verbinden sei. Strafe oder Belohnung fand selten statt, letztere beschränkte sich auf einige anerkennende Worte. – Rochow’s Unternehmen hatte ein rasches und glückliches Gedeihen, seine That fand in den weitesten und höchsten Kreisen Beachtung und Nacheiferung; überall her strömten Geistliche, Lehrer, selbst fürstliche Personen nach Reckahn; schon im ersten Jahrzehnt waren mehr als 1000 Besucher dorthin gewandert, um Einsicht von den Einrichtungen zu gewinnen. Um diese störenden Besuche abzulenken, veröffentlichte der Predigtamtscandidat Riemann 1781 eine genaue Beschreibung der Rochow’schen Schulen, damit jeder auch in der Ferne sich über dieselben belehren könne. Während von allen Seiten Rochow’s Bestrebungen anerkennende Zuschriften in kaum zu bewältigender Zahl bei ihm einliefen, fehlte es aber auch andrerseits nicht an Gegnern; besonders in der Wöllner’schen Periode unter Friedrich Wilhelm II. erfuhr Rochow’s Werk Verkennung; selbst der Gönner Zedlitz verhielt sich allmählich kühler der Sache gegenüber; in öffentlichen Blättern, wie in Schlözer’s vielgelesenem Journal und im Leipziger Intelligenzblatt erschienen Angriffe und Anfeindungen, denen jedoch die Freunde des Unternehmens namentlich der Braunschweiger Professor Stuve, in der Berliner Monatsschrift 1787 mit Geschick und Erfolg entgegentraten. Die wirksamste Vertheidigung war übrigens die gedeihliche Entwicklung [732] der Schule selbst; trotz aller Gegenwirkungen zeigte diese ihre intellectuell und moralisch wirkende Kraft in der stetig zunehmenden Bildung und Gesittung der Dorfjugend, ein Fortschritt, von dem der genannte Riemann in der neuen Auflage seiner Beschreibung der Reckahn’schen Schule 1792 mit bewunderndem Lobe berichtet und der das Interesse vieler die Volksbildung fördernder Persönlichkeiten erregte; so wandte sich der berühmte Franz Ludwig v. Erthal, Fürstbischof von Bamberg und Würzburg, ein ebenso tief religiöser wie für die Volksbildung begeisterter Kirchenfürst sich Rath erbittend an R. und selbst über Deutschlands Grenzen hinaus ging die Anregung: als der Graf Ludwig v. Reventlow zu Christiansfaede auf der Insel Fünen von Rochow’s Methode gehört hatte, ließ er 1784 drei Schulen errichten, in denen nach dieser Methode gelehrt wurde, und Rochow’s Kinderfreund zum Schulgebrauch ins Dänische übersetzen. – Rochow’s Werk ist für die Entwicklung des Volksschulwesens eine That von weittragendster Bedeutung. Vor seinem Geiste stand das Ideal einer Volksschuleinrichtung, die in erster Linie auf die Bildung des Denkvermögens und die Erwerbung der für das praktische Leben nutzbaren Kenntnisse gerichtet ist. Sein Bestreben gewinnt an Bedeutung, wenn der vergleichende Blick auf die damalige Zeit und deren Schulverhältnisse sich richtet, und wenn man beachtet, daß der „Freiherr“ v. R. es ist, der unbefangen von Vorurtheilen aus Liebe zum Volke, zu dem bisher in seiner Bildung arg vernachlässigten und unbeachteten Landvolke, die Hebung desselben als die höchste Aufgabe seines Lebens sich setzt. R. war übrigens bei seiner Idealität doch zugleich eine sehr praktisch angelegte Natur; er fand mit gesundem Verständniß aus sich und in der Schulstube den natürlichen Weg zur Entwicklung der Kindesseele und nach den erkannten Bedürfnissen derselben richtet er seine Schule und seine Lehrweise ein. R. behandelte das Kind, wie Heppe sagt, richtig als Menschen, dem die Kenntnisse nicht von außen her eingetrichtert, in welchem sie vielmehr erzeugt werden müssen; er erkennt ebenso richtig die sinnliche Wahrnehmung als den natürlichen Ausgangspunkt, woraus die geistige Anschauung, die Uebung im Denken und Urtheilen sich entwickeln müsse; er betrachtete weiter die Pflege des religiösen Sinnes der Jugend als die vornehmste Aufgabe des Volksschulunterrichtes zur Bildung der sittlichen Kraft, wobei der Unterricht, sich gründend auf die heilige Schrift, auf Verstand und Herz in gleichem Maß einwirken soll. Im Vordergrund des Unterrichts steht übrigens, wie schon angedeutet, die Entwicklung des Denkvermögens, des Verstandes, und die Uebung der Sprache; als ein hierzu sehr geeignetes Mittel wird die katechisirende Methode erkannt und angewandt. Der Inhalt des Unterrichts umfaßte neben den elementaren Lehrzielen auch solche Kenntnisse und Fertigkeiten, welche die praktischen Lebensverhältnisse, besonders des Landmannes erfordern; die Naturgeschichte und überhaupt die Realien in der hier möglichen Ausdehnung sind in den Lehrplan aufgenommen. Mit seinem Freunde Basedow stimmt R. in der Abneigung gegen alles Memoriren überein; sonst jedoch weicht er, obwol den philanthropischen Ideen ergeben und seinerzeit als Förderer des Basedow’schen Institutes zu Dessau thätig, vielfach von des letzteren pädagogischen Grundsätzen ab, wie ihm überhaupt Basedow’s ruhmrediges Gebahren sehr mißfiel. Einen sehr zu beachtenden Fortschritt zeigen Rochow’s Schulen in der Handhabung der Disciplin: der Verstand soll den Willen bestimmen und so die Gewöhnung zum Guten bewirken; das Verhältniß des Lehrers zum Schüler gestaltet sich nun bei allem nöthigen Ernst zu einem freundlichen, liebreichen und Zutrauen weckenden Verkehr gegenüber der bisher geübten barschen, mit unzweckmäßigen Strafen verfahrenden Behandlung; der Schüler betritt nun mit Freude den Schulraum, nicht mit Furcht. Es ist leicht erkennbar, daß Rochow’s pädagogische Ansichten von Rousseau’s Grundgedanken [733] durchzogen, doch nur nach dem nützlich und nöthig befundenen Maß hier zur Verwerthung gebracht sind; nicht minder leicht ist ersichtlich, daß Rochow’s religiöse Anschauungen das Gepräge der damaligen rationalistischen Zeitströmung tragen. Daß Rochow’s Schöpfung, nach der heutigen Summe von Erkenntniß und Erfahrung bemessen und von verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet, Mängel aufweist, darf zugegeben werden; aber ein wichtiger Fortschritt war es und zugleich ein Anstoß zu weiterer Entwicklung, besonders und zunächst der preußischen Volksschule. Man kann die allzu einseitig auf die Entwicklung der Verstandesthätigkeit abzielende Lehrweise, die gemeinpraktische Richtung tadeln, welche die Pflege des Gemüths sehr in die zweite Linie stellend die gleichmäßige Ausbildung der Fundamentalkräfte des Geistes stört; man mag, wie es geschehen, auf den fühlbaren Mangel eines auf psychologischer Erfahrung beruhenden, methodisch geführten Unterrichtsganges hinweisen; man darf dem rationalistischen Geiste des Religionsunterrichtes abhold sein, trotz alledem bleibt Rochow’s Werk eine treibende, befruchtende That von der eben berührten Bedeutung.

R. war, wie er selbst sich nannte, ein Autodidaktos; mit ernster Ausdauer verbesserte er als Mann seine lückenhafte Jugendbildung und mit vielseitigem Wissensdrang umfaßte sein Geist die verschiedensten Gebiete; das Erziehungswesen ward und blieb aber sein bevorzugtes Studium; er war aber hier nicht bloß ein Aneigner fremder Ideen, durch Selbstdenken schuf er sich gern die eigene Ansicht und strebte dann die Ergebnisse seiner geistigen Arbeit und Erfahrung im Unterrichtswesen für das öffentliche Wohl nutzbar zu machen und zwar aus reiner uneigennütziger Liebe zum Volke, dessen geistige und materielle Noth ihn jammerte. R. war eine Persönlichkeit, in der eine praktische, klare Verständigkeit mit einem reichen und tiefen Gemüthe sich vereinigte; beide Eigenschaften führten ihn seiner Aufgabe entgegen. Ein sinniger und freundlicher Ernst lag auf Rochow’s Stirne, so schildert ihn ein Zeitgenosse; es war etwas Leidendes, was noch mehr zu ihm hinzog; er redete mit großer Energie von allem, was ihn interessirte, bisweilen etwas zu sententiös und imponirend, aber immer mit dem ihm eigenen Reichthum des gefundenen logischen Urtheils. R. hatte noch die Freude, die Frucht seiner Arbeit in seiner Umgebung reifen zu sehen; mit dem Gedeihen seiner Schulen nahm auch der sittliche Fortschritt und der Wohlstand seiner Gutsbewohner zu. Bruns, sein eifriger Gehülfe, war schon 1794 gestorben; R. führte das Werk weiter; seine treffliche Gattin stand ihm helfend nach ihrer Kraft zur Seite. 1805 von einer Reise nach Berlin wieder nach Reckahn zurückgekehrt, ward R. von starken Gicht- und Brustbeschwerden befallen, die sich zuletzt mit Wassersucht paarten und am 16. Mai desselben Jahres seinen Tod herbeiführten.

Pestalozzi’s Erscheinen hat wohl später in manchen Augen das Bild Rochow’s unbillig zurücktreten lassen und einseitig conservativen Kritikern, wie z. B. Raumer, war Rochow’s Bestreben nicht immer zusagend, gleichwohl bleibt R. nach Heppe’s richtiger Würdigung der Reformator und Vater des evangelischen Dorfschulwesens in Preußen und auch im übrigen Deutschland. Von Rochow’s Schriften, deren dreißig aufgezählt werden, sind als in pädagogischer Hinsicht noch bemerkenswerth nachzutragen der „Katechismus der gefundenen Vernunft“ 1786, 2. Aufl. 1790, sowie die „Litterarische Correspondenz mit verstorbenen Gelehrten“ 1799.

Vgl. Dr. K. Schmidt’s Geschichte der Pädagogik, III. Bd., S. 648 ff. – v. Raumer, Geschichte der Pädagogik, IV. Bd., S. 295 ff. – Riemann, Beschreibung der Reckahnschen Schulen, 1781; 4. Aufl., mit einer „Vergleichung [734] der v. Rochow’schen Lehrart mit der Pestalozzi’schen“, 1809. – Heppe, Geschichte des deutschen Volksschulwesens.
Binder.