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Artikel „Meyer, Sebastian“ von Emil Blösch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 613–615, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meyer,_Sebastian&oldid=- (Version vom 8. Oktober 2024, 17:27 Uhr UTC)
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Meyer: Sebastian M. wurde 1465 zu Neuenburg am Rhein geboren, besuchte zuerst die Schulen seiner Vaterstadt, vielleicht auch diejenige zu Schlettstadt, kam dann auf die Universität zu Basel und erlangte hier den Grad eines Doctors der heiligen Schrift. In nicht bekannter Zeit trat er in den Barfüßerorden und wurde Lesemeister des Ordens zu Straßburg. Nach einem Gerüchte, das später gegen ihn herumgeboten wurde, hätte er sich auch „an etlichen orten in Niederland“ aufgehalten und „daselbs solliche Irrung und unruw gemacht, damit er hat müssen mit unwillen abscheiden.“ Es fehlt darüber an jeder zuverlässigen Nachricht. Am 19. October 1521 erscheint er zuerst in Bern, wo er sich in einer Urkunde bezeichnet hat als „Doctor S. M. Custos der Custody [614] Basel, jetzt Lesmeister des gotzhus zun Barfüßen in Bern.“ Der Franziscanerorden war den Lehren der Reformation im Allgemeinen nicht abgeneigt. Der Gegensatz gegen die Dominicaner, der dabei theilweise zum Grunde lag, war in Bern noch verschärft worden durch den von den Bewohnern noch keineswegs vergessenen Ausgang des skandalösen Jetzerhandels (s. d. Art. Jetzer). M. muß von Anfang an im Sinne der Lehre Luthers aufgetreten sein; er erfuhr in Folge dessen eben so sehr Anfeindung als aufmunternde Zustimmung. Namentlich gewann er das Vertrauen des Rathes der Stadt. Schon 1522 beschied der Diöcesanbischof von Lausanne ihn nebst seinem Freunde, dem Leutpriester Berchtold Haller, zu einem Verhör; allein der Rath verweigerte seine Auslieferung. Im gleichen Jahre trat ein angesehener Mann, der päpstlich gesinnte Wilhelm Zieli, gegen ihn auf, erhob die oben erwähnte Anklage über seine Vergangenheit, schalt ihn einen Ketzer und erklärte öffentlich: er hoffe den Tag zu erleben, daß der Lesmeister verbrannt werde. Der Rath zwang den Zieli zu einem schriftlichen Widerruf und legte ihm eine Geldbuße auf (10. December 1522). Wenige Monate später mußte M. sich neuerdings eine Ehrenerklärung ausstellen lassen betreffend ein Gespräch, durch das er im Frauenkloster zu Fraubrunnen Anstoß gegeben hatte. Auch diesmal nahm der Rath ihn ernstlich in Schutz und stellte ihm überdies in einem an den Ordensprovinzial gerichteten Schreiben vom 7. April 1523 ein glänzendes Zeugniß seiner Zufriedenheit aus. M. war nach Schlettstadt gerufen worden und der Rath besorgte: „daß derselbe Doctor von uns genommen und an andere Ort verordnet werde, dadurch Uns und den Unsern nit kleiner mangel und abgang der göttlichen und evangelischen ler zustan wurde, welche wir geneigten willens zu hören und die nach unserm vermögen zu fördern, auch In und Andere, die uns daran underrichten, zu handhaben und zu schirmen … Sind wir guter Hoffnung, des selben her Doctors ler und predig würde Uns und gemeinem volk zu einem guten christenlichen wäsen züchen.“ Voll Zuversicht sprach sich M. selbst über den Erfolg seines Wirkens aus in einem Briefe an Vadian in St. Gallen, und wie er 1522 zur Vertheidigung eines Freundes in Solothurn an einer dort abgehaltenen Disputation auftrat, so nahm er im October 1523 Theil an dem ersten Züricher Religionsgespräch. Allein unvorsichtige oder mißverstandene Reden im Frauenkloster zur Insel in Bern in Gesellschaft von B. Haller und D. Thomas Wyttenbach brachten neuerdings eine gewisse Aufregung gegen ihn hervor. Die eingetretene politische Lage, die Furcht des Rathes, durch einseitigen Anschluß an Zürich von seinen übrigen Eidgenossen sich zu trennen und den Bund selbst in Gefahr zu bringen, verstärkten diese Mißstimmung gegen den ungestümen Prediger. Die Dominicaner benutzten dieselbe und beriefen in ihr Haus einen Lesemeister, welcher der Beredsamkeit des Barfüßers gewachsen sein sollte, den Bruder Hans Heim aus Mainz. Der Rath war anfangs damit unzufrieden, beschwerte sich sogar beim Provinzial der Prediger (18. Februar 1524) über Heim, da dieser angeblich beim Jetzerhandel betheiligt gewesen; allein das Gezänk der beiden gegen einander predigenden Mönche, das sich bald in der ganzen Stadt fortsetzte, bewog ihn schließlich, nachdem zwei Eiferer dem Dominicaner während seiner Predigt öffentlich in der Kirche widersprochen hatten, beide Gegner miteinander aus der Stadt zu schicken (26. October 1524). M. ging fort, soll aus seinem Orden ausgetreten sein und sich verheirathet haben. Im November 1525 war er in Basel, wie aus einem Briefe von Oecolampad an Zwingli hervorgeht. Nachher soll er in Augsburg eine Predigerstelle bekleidet haben, und später war er wieder in Straßburg. Doch trat er jetzt in keiner Weise thätig hervor, so daß weder hier noch dort sein Name besonders genannt wird. Umsonst versuchte Haller den Freund wieder nach Bern zu ziehen; erst nach Haller’s Tode, 1536, wurde er von den [615] Bernern neuerdings gerufen. Ein Schreiben des Rathes vom 16. März 1536 bat die Stadtvorsteher von Straßburg, ihren Prediger an Bern zu überlassen, und ein Rathsglied holte ihn ab. Wolfgang Capito und Martin Buzer hatten die Berufung veranlaßt. Es handelte sich für sie um die Vermittelungsversuche zwischen Luther und der Zwingli’schen Abendmahlslehre der oberdeutschen und schweizerischen Städte. M. wurde in den unerquicklichen Streit hineingezogen, der sich daraus in Bern entspann; er stand mit Peter Kunz und Simon Sulzer auf Seite derjenigen, welchen die Möglichkeit einer kirchlichen Einigung der Protestanten eines Opfers an dogmatischer Klarheit werth zu sein schien. Vor den außerordentlichen Synoden in Bern in den Jahren 1536 und 1537 (31. Mai und 16. September) trat er mit aller Schroffheit seines Wesens für diese Ansicht auf und gerieth darob in ernstlichen Zwiespalt mit seinen streng zwinglischen Amtsgenossen Erasmus Ritter und Kaspar Megander. Ein von letzterem gegen ihn gestellter Entlassungsantrag wurde zwar vom Rathe nicht angenommen, der selbst dem Einigungswerke nicht abgeneigt war; vielmehr wurde sein Gegner Megander abgesetzt. Als aber schließlich die Verhandlungen über Annahme der Wittenberger Concordie scheiterten, gestaltete sich Meyer’s Wirksamkeit so unerfreulich, daß der alte Mann im Mai 1541 selbst die Enthebung von seinem Amte verlangte. Sein Ende ist wie sein Anfang in Dunkel gehüllt. Er zog wieder nach Straßburg und soll dort im J. 1545 beinahe 80 Jahre alt gestorben sein. Der bedeutsamste Theil seines Lebens fällt jedenfalls auf seinen ersten, wenn auch kurzen Aufenthalt in Bern, wo er als derjenige gilt, der zuerst im Sinne der Reformation geprediget habe. – Nebst einigen Briefen, die zum Theil in der Ausgabe der Werke Zwingli’s abgedruckt sind, schrieb er einen Widerruf der Lehren, die er vordem zu Straßburg in seinem Kloster geprediget habe, in 10 Sätzen. Straßburg 1524; gemeinsam mit Haller und unter Beihülfe Zwingli’s einen polemischen Commentar zu dem Hirtenbriefe, den der Bischof von Constanz aus Anlaß der Uebertretungen der Fastengebote in Zürich 1523 erließ, in deutscher Sprache, in Basel gedruckt; ferner Commentare zur Offenbarung Johannis („In apocalypsin Johannis apostoli D. S. M. ecclesiastae Bernensis Commentarius“, Tiguri 1539), zu den Corintherbriefen (von Straßburg aus 1543 dem Rathe von Bern zugeeignet) und zum Briefe an die Galater („Annotationes breves etc.“), gedruckt erst nach des Verfassers Tode in Bern 1546.

Scheurer, Bernisches Mausoleum, Bern 1740. – Kuhn, Die Reformatoren Berns, 1828 (S. 85–131). – Wirz, Helvetische Kirchengeschichte, Bd. IV. – Valerius Anshelm’s Berner Chronik, Bd. VI. – v. Tillier, Geschichte von Bern, Bd. III.– v. Stürler, Urkunden zur Bernischen Kirchenreform, im Archiv des hist. Vereins von Bern, 1862. – Hundeshagen, Der Conflikt des Zwinglianismus, Lutherthums und Calvinismus in der Bernischen Landeskirche 1532–1558, Bern 1842. – Zwingli’s Werke, hrsg. von Schuler u. Schultheß, Bd. VII. – Die Biographien Berchtold Haller’s (s. d. Art.). – M. Stettler, Berner Chronik, handschriftlich in der Berner Stadtbibliothek. – Originalakten des Berner Staatsarchivs.