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Artikel „Schuler, Melchior“ von Georg von Wyß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 677–680, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schuler,_Melchior&oldid=- (Version vom 6. Dezember 2024, 02:45 Uhr UTC)
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Schuler: Melchior S., schweizerischer Geistlicher, Schulmann und Historiker; † am 30. April 1859 in Erlinsbach, Kanton Aargau. – Das Dorf Rüti in der Pfarre Betschwanden, Kanton Glarus, ist die Stammheimath eines Geschlechtes freier Gotteshausleute der Abtei Säckingen, welche ursprünglich die „Wala“, später und allmählich ausschließlich nach einem Zunamen die „Schuler“ genannt wurden. Im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert zeichnete sich mehr als ein Wala unter den glarnerischen Kriegsmännern aus; im sechszehnten Jahrhundert Gervasius Schuler, Freund und Amtsgenosse Bullinger’s im Pfarramt zu Bremgarten, als Förderer der Reformation, Heinrich S., Decan in Glarus, als entschiedener Vertreter der Katholiken. Später stand Paul S. von Schwanden (geb. 1508, † 1593), Landammann, lange Jahre hindurch unter den einflußreichsten Magistraten des Landes, ein Vertheidiger der reformirten Lehre gegenüber Aegidius Tschudi auch in theologischen Streitschriften. In der neueren Zeit erwarb sich Pfarrer Melchior S. um die öffentlichen Zustände seiner Heimath im Schul- und Armenwesen und als Schriftsteller um die schweizerische Geschichte Verdienste, die ihm auf das ehrendste Andenken ein Recht geben. Geboren in Mollis, Kanton Glarus, am 10. März 1779, Sohn des Diakon Fridolin S., kam Melchior S. im März 1796 nach Schaffhausen, wo er sich zum Geistlichen ausbilden sollte, wurde aber im Frühjahr 1798 schon nach Hause berufen, als der Einfall der Franzosen in die Schweiz erfolgte, um als Feldprediger mit den Glarner Truppen ins Feld zu ziehen. In dieser Stellung war der neunzehnjährige Studirende am 30. April 1798 Zeuge des Kampfes seiner Landsleute gegen Schauenburg’s Horden bei Wollerau; Vorgänge, die in ihm zeitlebens unauslöschbaren Aberwillen und Haß gegen „das treulose Franzosenthum“ zurückließen. Als er nachher seine Examenarbeiten von Hause aus nach Schaffhausen sandte, fanden sie solchen Beifall, daß er, ohne sich persönlich zur Prüfung stellen zu müssen, im Juni 1798 ins schaffhausische Ministerium aufgenommen und schon im April folgenden Jahres zum Pfarrer in Siblingen, Kanton Schaffhausen, ernannt wurde. Sein biederes, offenes und entschlossenes Wesen leistete hier der Gemeinde in den Drangsalen des europäischen Krieges, der sich über die Schweiz und Schwaben hinwälzte, wesentliche Dienste. Im Jahre 1805 zum Pfarrer der glarnerischen Kirchgemeinde Kerenzen nach Obstalden berufen, gab er sich neben dem Predigtamte dem seine ganze Seele erfüllenden Bestreben hin, der drückenden Armuth, welche die Kriegsjahre über sein Heimathland gebracht hatten, und der geistigen Verwahrlosung, der so Viele anheimfielen, durch thätige Fürsorge für die Armen und vor allem durch Hebung des Volksunterrichtes für die Zukunft zu steuern. Als treuer und eifriger Erzieher nahm er sich seiner jungen Pfarrkinder durch Ertheilung von Unterricht an, wußte von der Gemeinde die Ueberlassung von Gemeindeland und Weiden zum Anbau als Pflanzland an die Armen zu bewirken und ließ sich in diesen Bestrebungen durch keinen Widerstand hemmen. „Ich war zeitlebens ein starker eckiger Quader und fürchtete mich nicht so bald; meine Absicht war gut und wol des Verdrusses werth“, [678] pflegte er später zu sagen. Indessen wurde man auf ihn in Glarus aufmerksam; einen Ruf an die dortige Pfarrstelle lehnte er zwar ab; aber die Landesobrigkeit ernannte ihn 1811 zum Mitgliede des Kantonschulrathes und ließ durch ihn die sämmtlichen Gemeinden des Landes bereisen und über den Zustand des Schulwesens in denselben sich einläßlichen Bericht erstatten. Als unumgängliche Vorbedingung zur Hebung der vernachlässigten Zustände erschien die Heranbildung tüchtiger Lehrkräfte, fortan Schuler’s stetes Augenmerk, und da ein Besuch auswärtiger Anstalten durch einheimische Candidaten zu diesem Zwecke nicht möglich war, nahm S. selbst die Aufgabe zur Hand. Er sammelte um sich zehn noch bildungsfähige Schullehrer und ertheilte denselben, unter Beihülfe des ihm in Obstalden zur Seite stehenden Lehrers, in zehnstündigem täglichem Unterricht während eines viermonatlichen Cursus, 1812 bis 1813, die zu ihrem Berufe erforderliche bessere Ausrüstung. Die Freude an den Fortschritten dieser Zöglinge und ihre Anhänglichkeit entschädigte ihn für den geringen Dank, den sein Unternehmen bei dem Publicum fand, und mit der nämlichen muthigen Selbständigkeit, die ihn zu demselben bewogen, verfolgte er jetzt auch schriftstellerisch seine Ziele. In einer Denkschrift: „Die unglaubliche Größe des Elends in unserm Vaterlande“, befürwortet von der zücherischen Hülfsgesellschaft, entwarf er 1813 das volle Gemälde der Armennoth im Glarnerlande und der äußern und moralischen Ursachen derselben und erweiterte diese Darstellung 1814 in seinem Buche: „Die Beschreibung der Linththäler“. Dies hatte zur Folge, daß auch von auswärts manche Beihülfe zur Linderung der drückendsten Armuth nach Glarus gelangte, im Lande selbst aber Manche Schuler’s Schriften als für dasselbe herabsetzend ansahen und man ihm sogar von obrigkeitlicher Seite her sagen ließ, er möge in der ihm übertragenen Predigt vor der reformirten Landsgemeinde des Frühjahrs 1814 nicht vom Armenwesen sprechen. Unerschrocken behauptete aber S. sein Recht freier Rede und seine Landsgemeindepredigt, in welcher vom Armenwesen und von der Volksbildung umständlich gehandelt war, fand großen Beifall, wurde viel begehrt und zum Besten der Armenschulen gedruckt. Aus seinen Bemühungen ging jetzt (1814) auch eine Arbeitsschule für Mädchen in Obstalden hervor (die erste officielle im Kanton) und die Schulen in seiner Pfarre Obstalden-Filzbach gelangten zu einer Blüthe, auf der sie später Mühe hatten sich zu behaupten. Indessen wurde S., den eine mit seiner Energie gepaarte Heftigkeit bisweilen mißleitete, von persönlichen Gegnern, deren Feindschaft er sich zugezogen hatte, mit so gehässigen Angriffen verfolgt, daß er sich schließlich aus seinem Amte in Obstalden und damit auch aus dem Kanton vertrieben sah. 1815 fand er als Pfarrer in Mönthal, Kantons Aargau, eine neue Stätte der Wirksamkeit, und da ihm zugleich eine Lehrstelle an der Bezirksschule in Brugg übertragen wurde, widmete er sich letzterer noch mehr (1817) nach Versetzung auf die näher bei Brugg liegende Pfarre Bözberg. Zehn Jahre brachte er in dieser Stellung zu, neben seinen Amtspflichten und Bestrebungen für das aargauische Schulwesen nun auch historischen Studien einläßlich sich hingebend. Schon 1809 hatte S. eine kurze Geschichte der Schweiz bis zur Reformationszeit unter dem Titel: „Die Thaten und Sitten der Eidgenossen, erzählt für die vaterländische Jugend in Schule und Haus“, herausgegeben. 1818 folgte sein Buch: „Huldreich Zwingli, Geschichte seiner Bildung zum Reformator des Vaterlandes“, für die Leser eine Vorbereitung auf das Jubelfest der schweizerischen Reformation von 1819, welches sofort einer zweiten Auflage des Buches (1819) und 1820 einer neuen Schrift Schuler’s: „Vertheidigung der Reformation“ rief. 1827 aber ließ sich S. auf die Pfarre Erlinsbach versetzen, deren Nähe bei Aarau ihm gestattete, für seine geschichtlichen Studien [679] die Schätze der aargauischen Kantonsbibliothek eingehend zu benutzen, während sich ihm, schon im folgenden Jahre, ein neues Feld pädagogischer Bestrebungen durch Ernennung zum Mitgliede des aargauischen Erziehungsrathes eröffnete. In den achtundzwanzig Jahren, die S. in diesen Stellungen noch vergönnt blieben, bis die Feder der Hand des achtzigjährigen Greises im Frühjahr 1859 entsank, entfaltete sich sein unermüdlicher Fleiß in zahlreichen und verdienstlichsten Arbeiten. Nach einem Vortrage über die reformirte Kirchenverfassung (1832) folgten 1834 eine „Urkundliche Darstellung des gesammten Schulwesens im Kanton Aargau“, 1836 „Vaterländische Erzählungen für die Jugend“ als Bestandtheil eines Schullesebuchs, den Gaben ähnlich, die ihr S. schon in den aargauischen Neujahrsblättern von 1819 und 1825–1829 dargebracht hatte. Im gleichen Jahre 1836 erschien seine „Geschichte des Kantons Glarus“, auf Wunsch glarnerischer Freunde geschrieben, und einer kurzen Wiederholung derselben in einer Schulausgabe im Jahre 1837 ging ein „Lesebuch für Schweizerkinder von 10–14 Jahren“ in drei Bändchen zur Seite. Vor allem aber widmete S. zwei großen Arbeiten jetzt seine ganze Kraft: einerseits gemeinsam mit dem zücherischen Theologen J. Schultheß (s. unten S. 698) der Herausgabe der Werke Zwingli’s, die 1828–1842 in acht Bänden (Zürich, Fr. Schultheß) erschienen, – die erste Gesammtausgabe der Schriften des Reformators, zu welcher J. Usteri 1861 noch einen „Supplementorum fasciculus“ lieferte; andererseits der Erneuerung und Fortsetzung seiner „Thaten und Sitten der Eidgenossen“. Das bis zur Reformationsepoche reichende Bändchen von 1809 war 1831 durch eine Umarbeitung und Fortsetzung über das sechszehnte Jahrhundert in zwei Abtheilungen ersetzt worden, die 1839 in dritter Auflage wiederholt wurden. Von 1842 an bis 1857 aber ließ S. einer zweiten Ausgabe seines Bändchens über das sechszehnte Jahrhundert die Fortsetzung dieser Schweizergeschichte bis zum Schlusse des achtzehnten Jahrhunderts in fünf weitern Bänden der „Thaten und Sitten“ folgen. Das Werk ist, soweit es die äußere Anordnung anbetrifft, ebenso eigenthümlich, als jeder künstlerischen Form völlig entbehrend, in Absicht auf den Stoff in seinen älteren Theilen auch kritischen Anforderungen keineswegs genügend. Aber mit Bezug auf Reichthum des Inhalts und unmittelbare Wiedergabe der Dinge kömmt ihm kaum ein anderes gleich. Denn indem S. „einfach erzählende Berichterstattung“ über das Geschehene, soweit es wissenswerth, als Grundgesetz für die Geschichtschreibung betrachtet und zu dem Gebiete des Wissenswerthen ebenso sehr die Culturzustände und die gesellschaftlichen Verhältnisse jeder Epoche, als blos politische oder militärische Kämpfe, zählt, erstreckt er seine mit dem Umfange der Quellen sich zeitlich immer weitläufiger entwickelnde Darstellung über eine Menge von Erscheinungen, über welche andere Geschichtsschreiber der Schweiz entweder nur ganz kurz oder mit völligem Stillschweigen hinweggehen. Insbesondere nimmt das häufig ganz übersehene biographische Element, die (gedrängte) Schilderung merkwürdiger Persönlichkeiten, einen Raum bei ihm ein, der dieser Seite seines Werkes vorzüglichen Werth gibt. Sein Urtheil über Dinge und Personen, das er niemals verhehlt, ist ernst und strenge; soweit es die Epoche der Revolution und Richtungen, denen er abhold war, anbetrifft, zuweilen vielleicht ungerecht. Aber dem Charakter des Verfassers, der seine Grundsätze mit unerschütterlicher Treue im Leben wie in seinen schriftstellerischen Werken bewährte, kann Niemand aufrichtigste Hochachtung versagen.

Neue Glarner Zeitung 1859, Nr. 37 (7. Mai). – Gottl. Heer, Pfarrer in Betschwanden, Jahrbuch des historischen Vereins von Glarus 1878 (15. Jahrg. Geschichte der glarnerischen Geschlechter); und ebendaselbst 1881 und 1882 (18. u. 19. Jahrg. Geschichte des glarnerischen Volksschulwesens) und 1883 (20. Jahrg. Höheres Schulwesen in Glarus und Nachtrag, betr. die Schulgüter). [680] – O. Hunziker, Geschichte der schweizerischen Volksschule, II, 306 u. ff. Zürich 1881.