ADB:Hundeshagen, Karl Bernhard

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Artikel „Hundeshagen, Karl Bernhard“ von Theodor Schott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 406–410, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hundeshagen,_Karl_Bernhard&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 09:36 Uhr UTC)
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Hundeshagen: Karl Bernhard H., geb. am 30. Januar 1810 in dem kurhessischen, damals königlich westfälischen Dorfe Friedewald bei Hersfeld, † am 2. Juni 1872 in Bonn, hervorragender Theologe, war der älteste Sohn des bedeutenden Forstmanns Johann Christian H. (s. o.). Reich begabt, als vorzüglicher Schüler in allen Anstalten bekannt, immatrikulirte er mit tüchtigen Schulkenntnissen ausgerüstet 16 Jahre alt in Gießen, studirte zuerst Philologie, wurde aber durch einen eigenthümlichen Geistestrieb zur heiligen Schrift hingezogen und blieb dann Theologe. Von seinem ehrenhaften Vater hatte er den Unabhängigkeitssinn, das lebendige Interesse für das Allgemeine, das sehr entschiedene Urtheil in vaterländischen Dingen geerbt, diesen Anschauungen ist er sein ganzes Leben hindurch treu geblieben, mächtig wirkte die Begeisterung der Freiheitskriege in ihm nach; in der Studentenschaft hoch angesehen wegen seines idealen Sinnes, seiner Rednergabe, die durch eine imponirende Gestalt sehr unterstützt war, wie wegen seiner geselligen Talente wurde er als Sprecher der Burschenschaft bei ihrer Auflösung in Gießen (28. Juni 1828) relegirt, April 1829 aber begnadigt. Er ging nach Halle, wo Ullmann und Thilo bedeutenden Einfluß auf seine Studien ausübten, seine Begabung für historische Theologie sich entschieden zeigte. Schwere Schicksale hatten unterdessen die Familie getroffen und auf den Lebensweg des gemüths- und pietätsvollen Jünglings tiefe Schatten geworfen; die heißgeliebte Mutter war früh gestorben, der Vater erkrankte an einem Gemüthsleiden; er war sein treuer Pfleger, verzichtete ihm zu Liebe in Berlin Schleiermacher [407] zu hören; umgekehrt war aber auch der Sohn seines Vaters Stolz und Trost, wie auch die Geschwister gewohnt waren in ihm ihre Stütze zu sehen. Der Ernst des Lebens, den er so früh erfuhr, blieb nicht ohne Einwirkung auf sein religiöses Leben, ein gesundes ächt evangelisches Christenthum, ein fester Glaube blieb die Grundrichtung seines Wesens, die sich auch in seinen wissenschaftlichen Leistungen kund gab. Im Herbst 1831 habilitirte er sich in Gießen als Docent der philosophischen Fakultät durch eine Dissertation über Agobard von Lyon, las kirchengeschichtliche und exegetische Collegien, auch über christliche Alterthümer, 1833 wurde er Licentiat der Theologie durch die Abhandlung über die mystische Theologie des Johann Charlier v. Gerson (s. Zeitschrift für historische Theologie, 1834). Ein weites, fruchtbringendes Feld für seine in akademischen Kreisen schon anerkannte Lehrthätigkeit öffnete sich ihm durch seine Anstellung als außerordentlicher theologischer Professor an der neu errichteten Universität Bern (October 1834). Im Umgang mit gleichgesinnten Collegen und Freunden (Schneckenburger, Wyß, Baggesen, Gelpke, Güder, Trechsel) in freier ungehinderter Bewegung in der Wissenschaft, entrückt den politischen Verfolgungen in der Heimath, im vollen Drange eines anregenden gesegneten Wirkens brachte er dort die 13 glücklichsten Jahre seines Lebens zu bis 1847. Seine Schwester Charlotte, welcher sich nach dem Tode der zweiten Mutter die jüngere Halbschwester Emilie angeschlossen hatte, schuf dem Ehelosen ein behagliches Heim. Seine Naturanlage, eine lebendige Durchdrinung von gesundem Idealismus und kräftigem Realismus, getragen von wahrhaft evangelischer Frömmigkeit, fand in der engen Verbindung von politischem und kirchlichem Wesen, wie sie die damals aristokratisch regierte Republik darbot, ihren naturgemäßen Boden; der reformirten Confession von Geburt angehörig, war ihm die neue Heimath sympathisch; einer vornehm sich abschließenden theoretischen Wissenschaftlichkeit stets abgeneigt, hatte er 1836 in die berner Geistlichkeit (Ministerium) sich aufnehmen lassen; den Eifer, mit welchem der geschätzte Gelehrte an Pfarrconferenzen etc. Theil nahm, lohnte sie mit wiederholten Vertrauenszeichen und berief ihn 1838, 1841 und 1844 in die Generalsynode; unter diesen Verhältnissen bildete sich damals seine Grundanschauung vom Christenthum als Leben, nicht als Lehre, alle seine Schriften sind von diesem Gesichtspunkt durchdrungen. Die reichen Archive boten erwünschten Stoff für gründliche historische Studien, die in zwei Schriften „Epistolae aliquot ineditae Mt. Buceri, J. Calvini, Th. Bezae aliorumque ad historiam ecclesiae Magnae Britanniae pertinentes“ (Bern 1840, Progr.) und „Das Parteiwesen in der bernischen Landeskirche von 1532 bis 1558“ (Bern 1841), nachher erweitert erschienen als: „Die Conflicte des Zwinglianismus, Lutherthums und Calvinismus in der bernischen Landeskirche von 1532–1558“ (ib. 1842), an die Oeffentlichkeit traten; sie zeigen, daß die Reformationsgeschichte das bevorzugte Feld seiner Forschung war, bahnbrechend hat er für eine richtige Erkenntniß der schweizerischen Reformationsgeschichte, besonders des Zwinglianismus gewirkt; noch zweimal ist er in seinen Studien auf Zwingli zurückgekommen in: „Zur Charakteristik Ulrich Zwingli’s und seines Reformationswerkes unter Vergleichung mit Luther und Calvin“, in Studien und Kritiken. 1862, IV und „Das Reformationswerk U. Zwingli’s oder die Theokratie in Zürich“ (Abschnitt II von: Beiträge zur Kirchenverfassung und Kirchenpolitik, insbesondere des Protestantismus. Wiesbaden 1864). Eine weitere Folge hatten diese Studien wie der Aufenthalt in einem lokal beschränkten kirchlichen Gemeinwesen, in welchem die praktischen Folgen der theologischen und kirchenbildenden Principien unmittelbar zu Tage traten: H. verfolgte von dort an den Einfluß des Christenthums auf das sociale und staatliche Leben in seinen Studien; auch in seinen kirchengeschichtlichen Arbeiten sind die peripherischen Gebiete um [408] die Kirche und sie ganz besonders betrachtet und beurtheilt, und den Namen eines Kirchenpolitikers verdient er in würdigster Weise; man vgl. seine Abhandlungen: „Ueber den Einfluß des Calvinismus auf die Ideen von Staat und staatsbürgerlicher Freiheit“ (1842); „Der Communismus und die ascetische Socialreform im Laufe der christlichen Jahrhunderte“ (Studien und Kritiken 1845, III.); „Ueber einige Hauptmomente in der geschichtlichen Entwickelung zwischen Staat und Kirche“ (Heidelberg 1860) und die oben angeführten Beiträge. Einen zündenden Funken warf er in die theologische Welt durch die anonym erschienene Schrift „Der deutsche Protestantismus, seine Vergangenheit und seine heutigen Lebensfragen im Zusammenhang der gesammten Nationalentwickelung beleuchtet von einem deutschen Theologen“, 1846, 3. Aufl. 1870. Sie war in gewissem Sinn eine Gelegenheitsschrift von religiösen, politischen und litterarischen Verhältnissen der Zeit eingegeben, getragen von dem edlen Pathos einer tief religiösen, aber auch für die übrigen Lebensgebiete warm empfindenden Seele, welcher weder die Fremde, noch die Höhe der Wissenschaft das Herz für das deutsche Volk, das Mitleid mit seiner politischen und religiösen Misère geraubt hatte. Klar erkennt er die tiefe Kluft, welche zwischen der idealen und realen Entwickelung unseres Volkes gähnt; wie das Motto: „Es ist nicht gut, wenn ein Volk, das alle Bedingungen einer umfassenden Entwickelung in sich trägt, auf eine ausschließlich litterarische Existenz zurückgedrängt wird“ erwarten läßt, bekämpft er den einseitigen Intellectualismus und Kriticismus, der durch den Einfluß der Hegel’schen und Baur’schen Schule auf den deutschen Universitäten die Herrschaft übte, und betont im Gegensatz zu dem bisher mehr hervorgehobenen formalen Princip des Protestantismus das materiale; wie die Reformation wesentlich eine Action des sittlichen Geistes war und darin die Wurzel ihres ungeheuren Einflusses hatte, so hat die Gegenwart auch dahin wieder zurückzukehren; scharfe Schlaglichter fallen auf den politisch wie religiös gleich verderblichen Einfluß des Polizeistaates, sowie auf die damalige theologisch-philosophische Fachwissenschaft, ebenso wird die angebliche Mission der Deutschkatholiken bekämpft; die Behandlung der Fragen über Symbolzwang und Kirchenverfassung schließen das hochbedeutende gedankenreiche Werk nach welchem die Zukunft Deutschlands unbedingt an die Entwickelung des Protestantismus geknüpft ist. Auch für H. war die Publikation entscheidend; 1845 war er in Bern zum ordentlichen Professor, Februar 1846 von der theologischen Facultät zu Greifswalde zum Doctor der Theologie ernannt worden; Herbst 1847 nahm er einen Ruf nach Heidelberg an als ordentlicher Professor der Philosophie und der neutestamentlichen Exegese; 20 Jahre brachte er in der schönen Stadt am Neckar zu, Jahre fleißiger nach den verschiedensten Gebieten sich ausdehnender Wirksamkeit, aber auch Jahre schwerer Kämpfe. Seine Lehrthätigkeit war zwischen exegetischen und historischen Fächern getheilt, der Apologetik eroberte er durch seine Antrittsrede „Ueber die Aussichten und das Studium der Apologetik in unserer Zeit“ (Studien und Kritiken 1848, II.) eine vorher nicht gekannte Stelle; hoch geachtet bei seinen Collegen und in der Studienwelt bekleidete er 1851/52 und 1859/60 das Amt eines Prorectors, 1859 wurde er zum geheimen Kirchenrath befördert. Seine selbständige eigenartige Natur, seine strenge Gewissenhaftigkeit, welche, keinem Parteirufe Folge leistend, nur die Sache im Auge behielt, hatte die Folge, daß er in den brennenden Fragen jener Zeit eine eigenthümliche Stellung einnahm. Bestrebt den christlichen Glauben und christliches Leben in den verfallenen Kirchengebieten zu wecken und zu pflanzen, hat er nicht nur in öffentlichen Vorträgen („Der Weg zu Christo“, 1853) dies versucht, sondern auch gegenüber dem unevangelischen Humanitarismus Rousseau’s als die Aufgabe des Universitätslebens bezeichnet, den Menschen aus dem Glaubensgeiste des Evangeliums zu bilden, [409] keine bloße Fachwissenschaften zu lehren. (Vgl. seine Rede: „Die Natur und die geschichtliche Entwickelung der Humanitätsidee“, Progr. 1852, „Die innere Mission auf der Universität“ in Gelzer’s Protest. Monatsbl. Bd. V.) Andererseits erklärte er, ein unerschrockener Kämpfer für die akademische Lehrfreiheit, sich gegen den Antrag des Oberkirchenraths, Kuno Fischer die Venia legendi zu entziehen. Eine politische Stellung nahm H. nie ein; seine politischen Ansichten, aus welchen er kein Hehl machte, sprach er in dem Zuruf an die Gothaer aus, die er als die Freunde seiner Jugend, die Träger der Gedanken des Rechts und der Nationalität begrüßte (Gelzer, Protest. Monatsbl. 1854, Bd. III), ebenso scharf nahm er Stellung, als die badische Regierung in die bekannten Concordatsverhandlungen mit Rom eingetreten war; die großen schweren Gefahren, welche der protestantischen Kirche und dem Staate drohten, legte er dar in den tiefsinnigen gedankenreichen Abhandlungen „Das Katholische im Katholicismus; das Gefährliche im Katholicismus“ (Gelzer, Protest. Monatsbl. Bd. I und II) und „Das badische Concordat“, 1860. Gewohnt sich an den wichtigen Fragen der eigenen Kirche zu betheiligen, trat er der (alten) Durlacher Conferenz bei, wurde 1855 Mitglied der Generalsynode; ebenso energisch vertheidigte er den Rechtsstandpunkt der Symbole als das Princip der freien Forschung. Seine conservativen Anschauungen, seine strenge Betonung des kirchenrechtlichen Standpunktes traten offen hervor, als 1858 beim Einführen der neuen Gottesdienstordnung der Agendensturm, von der (neuen) Durlacher Partei (Häusser, Zittel, Schenkel) geleitet, die kirchlichen Verhältnisse Badens aufs Tiefste erschütterte. H. sah in dem Ganzen einen Bruch der kirchlichen Rechtsordnung, für den er eine Sühne verlangte, und als bei der neuen Generalsynode, in welche er nicht gewählt wurde, der neue Verfassungsentwurf angenommen wurde, trat H. in die neu constituirte Kirchensocietät für seine Person nicht ein (vgl. Der badische Agendenstreit, 1859; 6 Jahre in der Separation, 1867). Wissenschaftlich war er in dieser Zeit nicht müssig gewesen, seine Forschungen bezogen sich besonders auf das Verhältniß von Kirche und Staat. Die Ausarbeitung des ersten Bandes seiner Beiträge (s. o.) hatte aber eine nachhaltige Nervenverstimmung hervorgerufen. 1865 war er wieder gesünder, mit aufrichtiger Freude begrüßte er 1866 den Sieg der preußischen Waffen, so sehr ihn auch der Tod seines Freundes Königer schmerzte. Den unerquicklichen Heidelberger Zuständen entriß ihn eine ehrenvolle Berufung nach Bonn, 1867, dort waren ihm unter angenehmeren Verhältnissen im Verein mit gleichgesinnten Collegen noch einige Jahre friedlichen Wirkens vergönnt; er nahm als Abgeordneter der Facultät Theil an der Provinzialsynode zu Neuwied, erlebte die Aufrichtung des deutschen Kaiserthums und Reichs (den Namen des Sängers der „Wacht am Rhein“, Max Schneckenburger, hat er der Unbekanntschaft entrissen, Kölnische Zeitung vom 14. August 1870). Aber seine Gesundheit war schon lange angegriffen; ein schweres Unterleibsleiden, das auch auf sein Gemüth einen Schatten warf, quälte ihn, ein schmerzliches Fußleiden kam dazu, ein längerer Aufenthalt in Cannstatt 1869 stärkte ihn, aber die Kraft blieb gebrochen. Bis Pfingsten 1872 konnte er seine Vorlesungen fortsetzen, da ergriff ihn eine Kopfrose und am Sonntag den 2. Juni Mittags 1 Uhr entschlief der Frühgealterte. – Die vielseitigsten Anregungen für Theologie und Kirche sind von dem ideen- und gedankenreichen Manne ausgegangen; sein Streben, das evangelische Christenthum in seiner vollen Bedeutung für das kirchliche und nationale Leben geltend zu machen, fand nicht immer gerechte Würdigung; ein Mann der Mittelpartei blieb er isolirt, aber sein Einfluß wird ein um so länger in der Stille nachwirkender sein. – Seine Werke sind meistens schon erwähnt, eine Sammlung kleinerer Aufsätze gab Christlieb heraus, 1. 2. 1875. Dort findet sich auch ein chronologisches Verzeichniß seiner sämmtlichen Schriften.

[410] Eine Lebensskizze von ihm gab Christlieb in Deutsche Blätter, Nov. u. Decbr. 1872; Riehm in Studien und Kritiken 1874.