ADB:Schneckenburger, Max
[89] zu sehen, welchen sein einfaches, aber markiges Lied durch die deutschen Gauen und hinüber über den Rhein nehmen sollte; er durfte es nicht mehr erleben, daß lange verlorene, nie verschmerzte Länder unter den Klängen seines Liedes von deutschen Heeren dem deutschen Vaterlande wiedererobert wurden: aber sein nun bekannt gewordener Name war für immer der Vergessenheit entrissen worden. Dieser Erfolg war wohl auch die Veranlassung, daß K(arl) G(erok) aus dem handschriftlichen Nachlaß des Dichters eine Auswahl von Gedichten traf und sie unter dem Titel „Deutsche Lieder von Max Schneckenburger, dem Sänger der Wacht am Rhein“ (1870) herausgab. Diese poetischen Tagebuchblätter können weder auf dichterische Originalität noch auf künstlerische Formvollendung Anspruch machen; aber durch alle geht der Pulsschlag eines deutschen Gemüths, und fast alle sind echte Lieder, volksthümlich, musikalisch, dem Herzen entsprungen.
Schneckenburger: Max S., der Sänger der „Wacht am Rhein“, der Kriegshymne der Deutschen im Kampfe gegen die Franzosen 1870–71, wurde als der Sohn eines geachteten Kaufmanns zu Thalheim bei Tuttlingen in Württemberg am 17. Februar 1819 geboren. Er besuchte die lateinischen Schulen zuerst in Tuttlingen und dann in Herrenberg, wo sein ältester Bruder, der nachmalige, durch Gelehrsamkeit und Scharfsinn ausgezeichnete Professor der Theologie in Bern, damals Diakonus war, und trat nach seiner Confirmation als Lehrling in ein kaufmännisches Geschäft zu Bern ein. Von hier aus lernte er 1838 auf einer Geschäftsreise auch Frankreich und England kennen. Im J. 1841 siedelte er sich in Burgdorf im Kanton Bern an, wo er eine noch bestehende Eisengießerei gründete und die Tochter eines württembergischen Pfarrers als Gattin heimführte. Sein Herz hing unverrückt an der deutschen Heimath, und er gedachte auch dorthin bleibend zurückzukehren; doch raffte ihn der Tod schon am 3. Mai 1849 in der Blüthe der Manneskraft hinweg. Sein oft ausgesprochener und durch viele seiner Dichtungen hindurchklingender Wunsch, einst in heimathlicher Erde zu ruhen, ist am 16. Juli 1886 erfüllt worden, wo seine Gebeine von Burgdorf nach Thalheim übergeführt wurden. – Dies ist in kurzen Zügen das Leben eines Mannes, der durch ein einziges Gedicht zu einer deutschen Berühmtheit geworden ist. Es war im Sommer des Jahres 1840, als „neuer Uebermuth von der Seine her zu klingen begann“ und sich der französische Minister Thiers befliß, die alten napoleonischen Erinnerungen wieder aufzufrischen und daran zu mahnen, daß der Rhein französisch gewesen sei und wieder französisch werden müsse; ja die gallische Presse begann ihre Hetzartikel gegen Deutschland und verkündete laut, daß die Bewohner des Rheinlandes sammt und sonders gut französisch gesinnt seien und sich gern an Frankreich anschließen würden. Die deutsche Presse blieb die Antwort nicht schuldig, und auch die deutsche Poesie fand den geeigneten Ausdruck für die Abwehr der französischen Eroberungsgelüste. Unter den patriotischen Dichtungen jener Zeit heben sich besonders zwei ab, die sich, weil sie die deutsche Gesinnung am mannhaftesten aussprachen, bis auf die Jetztzeit im Volke lebendig erhalten haben, das Lied von Nicol. Becker „Der deutsche Rhein“, das im September 1840 veröffentlicht wurde, und das Lied von Max S. „Die Wacht am Rhein“, das der Dichter im November 1840 niederschrieb. Während indeß das erstere wie im Fluge durch die deutschen Gauen und in die deutschen Herzen drang, und mehr als 150 Melodien es singbar machen wollten, blieb Schneckenburger’s „Wacht am Rhein“ durch 30 Jahre ziemlich unbeachtet, und wenn sie auch seit 1854 hier und da in Gesangvereinen nach der von Karl Wilhelm geschaffenen Melodie gesungen wurde, so konnte von einer dem Liede und der Melodie gewidmeten besonderen Aufmerksamkeit nimmer die Rede sein, ja man kannte sogar bei Ausbruch des deutsch-französischen Krieges kaum den Namen des Dichters. Um so überraschender war es deshalb auch, daß, als der Heerruf erklang, Volk und Armee fast nur in diesem einen Liede ihre deutsche Gesinnung und Begeisterung ausströmen ließen: es war urplötzlich zum Kriegsliede der Deutschen gegen die Franzosen geworden. Leider war es S. nicht mehr vergönnt, den Triumphzug- Vorwort zu den „Deutschen Liedern“ (s. o.). – Die Gartenlaube, Jahrg. 1870, S. 627; Jahrg. 1886, S. 563.