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Artikel „Ritter, Erasmus“ von Julius August Wagenmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 767–768, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ritter,_Erasmus&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 19:30 Uhr UTC)
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Ritter *): Erasmus R., reformirter Theolog des 16. Jahrhunderts, Reformator von Schaffhausen, ist geboren zu Ende des 15. Jahrhunderts in Baiern, † am 1. August 1546 in Bern. Sein Geburtsort und Geburtsjahr sind unbekannt, ebenso seine ganze Jugend- und Bildungsgeschichte. 1523 treffen wir ihn zu Rottweil in Schwaben, wo er den Ruf eines bedeutenden Predigers sich erworben. Unterdessen hatte in ganz Süddeutschland wie in der benachbarten Schweiz die reformatorische Bewegung theils von Wittenberg, theils von Zürich her immer weiter um sich gegriffen und insbesondere unter den städtischen Bevölkerungen Anklang gefunden. Auch in Schaffhausen predigte der kühne und gelehrte Franciscanermönch Dr. Sebastian Hofmeister (s. A. D. B. XII, 643 fg.) seit 1523 die Zwingli’sche Lehre auf der Kanzel zu St. Johann mit solchem Eifer und Erfolg, daß alsbald in der Bürgerschaft eine mächtige Bewegung begann. Da keiner der einheimischen Geistlichen im Stande war, dem hochbegabten „Doctor Baschion“ die Spitze zu bieten, so beschloß der patricische Rath im Einverständniß mit dem Abt zu Allerheiligen, zur Stütze des alten Glaubens den gefeierten Rottweiler Prediger nach Schaffhausen zu berufen. Er wurde mit großen Ehren empfangen, und als Prädicant am Münster angestellt. Aber trotz seiner gewaltigen Beredtsamkeit und trotz der Gunstbezeugungen, deren er sich von Seiten des Rathes zu erfreuen hatte, vermochte er beim Volk anfangs keinen Eingang zu gewinnen, auch nachdem er aus Nachgiebigkeit gegen die [768] Wünsche der Gemeinde angefangen hatte, die Messe in deutscher Sprache zu halten. Um seinen Gegner Hofmeister mit gleichen Waffen bekämpfen zu können, entschloß sich R. zu gründlichem Studium der heil. Schrift. Die Folge war, daß er bald selbst von der Wahrheit der evangelischen Lehre sich überzeugte, und aufrichtig, wie er war, trat er offen zu derjenigen Partei über, zu deren Bekämpfung er berufen war. In herzlichem Einverständniß mit seinem früheren Gegner, jetzigen Gesinnungsgenossen Hofmeister, nur milder und maßvoller als dieser, auch mit dem Abt von Allerheiligen, Michael von Eggenstorf, in treuer Freundschaft verbunden, wirkte R. jetzt für die Durchführung der Reformation in Schaffhausen und trat mit den anderen schweizerischen Reformatoren (Zwingli, Oekolampad, Blaurer etc.) in Verbindung. Zwar brachten die folgenden Jahre manche Störungen und Rückschläge (infolge des Bauernaufstandes, der Wiedertäuferunruhen, des Badener Gesprächs etc. etc. 1526): Hofmeister mußte weichen, R. sehr behutsam vorgehen, um allen Anstoß zu vermeiden. Dennoch hielt er, besonders von Zwingli ermuthigt, treulich und geduldig aus. Bald kamen wieder günstigere Zeiten, und nachdem 1528–29 in Bern und Basel die Reformation gesiegt, war auch in Schaffhausen der letzte Widerstand gebrochen. Eine Gesandtschaft von Zürich, Bern, Basel und St. Gallen, die auf Ritter’s Betrieb nach Schaffhausen kam, fand freundliches Gehör: am 29. September 1529 beschlossen beide Räthe einstimmig, in das christliche Burgrecht der reformirten Stände einzutreten. Die Einführung der neuen gotteßdienstlichen Ordnungen ging in Stadt- und Landgemeinden ruhig vor sich; Messe und Cölibat wurden abgeschafft; R. selbst trat in die Ehe mit einer früheren Nonne Anna v. Eggenstorf, der Schwester seines Freundes, des letzten Abtes Michael von Allerheiligen. – Auch die folgenden Jahre brachten freilich noch mancherlei Kämpfe, theils mit den Wiedertäufern, die in Stadt und Land viele Anhänger gewannen, theils mit seinem Collegen, dem Prediger zu St. Johann, Benedict Burgauer aus St. Gallen, der ein eifriger Anhänger der lutherischen Abendmahlslehre war, während R. ebenso entschieden an der Zwingli’schen festhielt. Bald brachen über diese und andere Fragen ärgerliche Streitigkeiten zwischen beiden Collegen aus; 1530 kam es zu einem Vergleich zwischen beiden auf Grund einer von Butzer verfaßten Vergleichsformel. Bald kamen neue Differenzen wegen Einführung der Kirchenzucht und einer einheitlichen Gottesdienstordnung; schließlich wurden 1536 beide Prediger vom Rath verabschiedet: Burgauer ging nach Lindau, R. nach Bern, wo er als Prediger und später Decan angestellt wurde und von wo aus er nun auch mit den Reformatoren der französischen Schweiz, Farel, Viret und Calvin, in freundliche Beziehungen trat. Auch hier fehlte es freilich nicht an Kämpfen mit einer in Bern eine Zeitlang dominirenden lutheranisirenden Partei, der gegenüber R. standhaft die Zwingli’sche Abendmahlslehre vertrat. Noch vor der Beendigung des Streites starb R. in Bern am 1. August 1546.

Schriften Ritter’s sind nicht bekannt, wol aber finden sich Briefe von ihm theils in den Briefwechseln der schweizerischen Reformatoren Zwingli, Oekolampad, Calvin, theils ungedruckt in der Simler’schen Sammlung auf der Züricher Stadtbibliothek; eine handschriftliche Lebensbeschreibung im Berner Archiv.

Vgl. Antiquitates Bern. T. II.Hottinger, Helvet. Kirchengesch. III, 127, 141 ff. – Melchior Kirchhofer, Schaffhauser Jahrbücher von 1519–29. Frauenfeld 1838. – Hundeshagen, Conflikte des Zwinglianismus etc. in der Bernischen Landeskirche. Bern 1842, S. 69. – G. Kirchhofer in der Real-Encycl. für Prot. Theol. XIII, S. 6 ff (2. Aufl.)

[767] *) Zu Bd. XXVIII, S. 674.