ADB:Hottinger, Johann Jakob (Kirchenhistoriker)

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Hottinger, Johann Jakob“ von Georg von Wyß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 193–195, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hottinger,_Johann_Jakob_(Kirchenhistoriker)&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 10:09 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 13 (1881), S. 193–195 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Jakob Hottinger (Theologe) in der Wikipedia
Johann Jakob Hottinger in Wikidata
GND-Nummer 117013463
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|13|193|195|Hottinger, Johann Jakob|Georg von Wyß|ADB:Hottinger, Johann Jakob (Kirchenhistoriker)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117013463}}    

Hottinger: Johann Jakob H., Theologe und Kirchenhistoriker in Zürich, geb. am 1. December 1652, † am 18. December 1735; war der dritte Sohn des 1667 verstorbenen Orientalisten Joh. Heinrich H. (s. oben). Zum geistlichen Stande bestimmt, machte H. seine ersten theologischen Studien am zürcherischen Carolinum unter J. Hch. Heidegger (s. Bd. XI. 295), setzte sie 1672–74 in Basel unter Lucas Gernler (s. Bd. IX. 37) fort, der ihn in sein Haus aufnahm, wollte dann die Universität Marburg beziehen, wurde aber durch den damaligen französisch-deutschen Krieg zur Rückkehr nach Basel bewogen und verließ dasselbe erst nach Gernler’s Tode (11. Februar 1675), um noch in Genf Franz Türrettin zu hören. Anfangs 1676 heimgekehrt, trat er mit seiner im März erfolgten Ordination in den Dienst der zürcherischen Kirche. 1680 Pfarrer in Stallikon bei Zürich, 1686 Diakon an der städtischen Hauptkirche, dem Großmünster, 1698, als Heidegger’s Nachfolger, Professor der Theologie und Canonicus, entfaltete H. in diesen Stellungen in einer äußerlich wenig bewegten, aber mit rastlosem Fleiße durchmessenen fast 60jährigen Laufbahn eine große Thätigkeit als Geistlicher, als Lehrer und Schriftsteller. Bei gewissenhaftester Erfüllung seiner Amtspflichten ließ er kaum je ein Jahr vorübergehen, ohne durch schriftstellerische Arbeiten seinen Beitrag zur Erörterung theologischer und kirchlicher Themata oder Tagesfragen zu liefern. In der ersten Hälfte dieser Zeit war es vorzüglich die Fortsetzung der kirchenhistorischen Arbeiten seines Vaters und die Vertheidigung von dessen Schriften gegen Angriffe katholischer Gegner, die H. beschäftigten. Schon eine 1685 publicirte „Biblische Prob des zürcherischen Catechismi“, als Schutzschrift für diesen Katechismus gegenüber einem Mönche Marianus Schott, war zugleich Ehrenrettung von Hottinger’s Vater, dessen tragisches Ende Schott zu Verunglimpfung desselben mißbraucht hatte. Die Fortsetzung der Historia ecclesiastica hatte H., der sich seit 1680 mit Studien dafür beschäftigt, mit der Geschichte des tridentinisen Concils zu beginnen. Als vorläufige Probe seiner Arbeiten gab er 1692 eine Vertheidigung von Sarpi gegen die Angriffe des Cardinals Pallavicini heraus: „Sfortia Pallavicinus infelix Concilii Tridentini vindex“, Tig. 1692. In zwei anderen Schriften wies er 1695 Angriffe auf die evangelische Lehre und Kirchen zurück die der sanctgallische Benedictiner P. Gerald Wieland in Form von Gesprächen (Decalogus und Trialogus betitelt) unternommen hatte. Inzwischen war ein umfangreiches Werk eines katholischen Theologen, Kaspar Lang von Zug, Dekan in Frauenfeld, ans Licht getreten, das ganz besonders gegen J. Heinrich Hottinger’s Historia ecclesiastica sich richtete: eine Geschichte der katholischen Kirche in der Schweiz, die 1692 (nach dem Tode des Verfassers) in zwei Foliobänden in Einsiedeln unter dem Titel erschien: „Historisch-theologischer Grundriß der alt und jeweiligen christlichen Welt bey Abbildung der alten und heutigen Christlich-Catholischen Helvetia und sonderbahr des alten christlichen Zürichs“. H. änderte daher sein früheres Vorhaben und beschloß, statt einer Fortsetzung der Historia ecclesiastica eine Widerlegung von Lang in Gestalt einer schweizerischen Kirchengeschichte in deutscher Sprache zu schreiben. Hieraus entstand das Hauptwerk seines Lebens, das seinen Namen dauernd erhalten wird, seine: „Helvetische Kirchen-Geschichten“, von denen der erste Theil 1698, zwei weitere 1707 erschienen, ein vierter und letzter (die Zeit von 1700–28 behandelnd, nebst Ergänzungen zum früheren) 1729 (sämmtlich in Zürich gedruckt) nachfolgte. Die [194] vier Quartbände geben, in zwar schwerfälliger Form und wenig erquicklicher heftig polemischer Haltung, Zeugniß von Hottinger’s erstaunlicher, auf diesem Felde der väterlichen ebenbürtigen Gelehrsamkeit, die aus einer unglaublichen Zahl von gedruckten und handschriftlichen Quellen ein gewaltiges Material zusammenträgt und freilich vielfach einseitig verarbeitet. In stetem Gegensatz zu Lang führt H. den Satz aus, daß die reformirte Lehre und Kirche nicht Neuerung, sondern nur ein Zurückgehen auf das Wesen des ursprünglichen und reinen Christenthums seien. Während H. mit den Haupttheilen dieser großen historischen Arbeit beschäftigt war, nahmen ihn übrigens neben den Amtsgeschäften auch die kirchlichen Zustände und Fragen des Tages vielfach in Anspruch. Die Zeit des sogen. Pietismus war angebrochen, erschütterte die Starrheit des hergebrachten orthodoxen Kirchenthums, weckte die Gedanken und Gemüther Vieler, führte aber auch manche bedenkliche Verirrung und Schwärmerei herbei. Das J. 1719 rief den 200jährigen Bestand der schweizerischen Reformation und zugleich die wichtigen Vorgänge der Synode von Dordrecht in Erinnerung, mit welchen das erste Jahrhundert der reformirten Kirchen geschlossen hatte. Die Wünsche nach Vereinigung unter den Protestanten verschiedener Denomination tauchten wieder auf, welche einst durch das Marburger Gespräch von 1529 vereitelt worden und seither immer unbefriedigt geblieben waren. Dies alles mußte auch H. lebhaft berühren. Schüler von Heidegger, Gernler und Franz Türrettin, den Urhebern und Vertretern der gemeinsamen Bekenntnißformel der schweizerischen reformirten Kirchen, des Consensus helveticus von 1675, und Nachfolger von dessen ursprünglichem Verfasser, seines frühesten Lehrers, wollte H. sich von der durch jene Männer gelegten und von ihm schon beim Eintritt ins kirchliche Amt anerkannten Grundlage nicht entfernen und hielt gegenüber dem auftretenden Pietismus an den Ordnungen der Kirche und dem Consensus entschieden fest. In mehreren deutschen Schriften trat er den um sich greifenden neuen Bestrebungen, zumal Verirrungen, entgegen. Eine dieser Schriften („Versuchungsstunde über die Evangelische Kirche, durch neue selbstlauffende Propheten“ u. s. f., Zürich 1717) ist durch die Erzählung aller Verhandlungen in Zürich über den Pietismus von 1698–1717 historisch von Werth. Dem Jubiläum der Reformation galt Hottinger’s: „Dissertatio secularis de necessaria Majorum ab Ecclesia Romana secessione et impossibili nostro tum in eandem Ecclesiam reditu, tum pace cum ea“, Tiguri 1719. Von dem Jesuiten Ludwig Rusca in Lugano 1721 hierüber in einer Schrift: „Judicium Ecclesiasticum seculari dissertationi H … oppositum“ angegriffen, antwortete H. sofort durch seine „Dissertatio secularis adversus iniquum et vanissimum Lud. Ruscae Lugan. Judicium Ecclesiasticum asserta et vindicata“, Tig. 1721, enthob sich aber später der Mühe, auf eine vierbändige Confirmatio Judicii etc. zu erwidern, die Rusca 1725 in Luzern zum Drucke brachte. Irenischen Bestrebungen zwischen der lutherischen und der reformirten Kirche war H., der von Frieden mit der katholischen, schon laut der Ueberschrift seiner „Dissertatio secularis“, nichts wissen wollte, keineswegs entgegen, meinte aber, man solle als gemeinschaftliche Glaubenssätze nur aufstellen was unmittelbar und wörtlich der hl. Schrift zu entnehmen sei und jeder der beiden Kirchen dabei das Recht belassen, ihre Erklärungsweise im Näheren nach eigener Ueberzeugung zu formuliren, wobei für die schweizerischen Reformirten der Consensus helveticus Gültigkeit zu behalten habe. In diesem Sinne antwortete er auf die anonyme Schrift eines lutherischen Theologen: „Näherer Entwurff von der Vereinigung der Protestanten“ durch seinen unter dem angenommenen Namen Salomon Alethaeus veröffentlichten: „Anhang an den Nähern Entwurff, oder Erklärung der Reformirten Kirch von der ewigen [195] Gnaden-Wahl“ etc., Zürich 1720, und ließ 1721 seine „Dissertatio irenica de veritatis et charitatis amicissimo in Ecclesia Protestantium connubio“ folgen. Letztere Schrift fand auf Seite der Lutheraner so viel Beifall, daß in Tübingen ohne des Verfassers Wissen eine zweite Auflage derselben veranstaltet wurde. Bedenken des dortigen Theologen Gottfried Hofmann gegen seine Vorschläge begegnete H. 1728 in einer „Exercitatio irenica“. Dem Andenken der Synode von Dordrecht galt seine am 13. Jan. 1720 gehaltene Rede: „Memoria Synodi Dordrechtanae“, Tig. 1720. Ganz vorzüglich aber wandte H. seine Bemühungen immer wieder der Rechtfertigung und Erläuterung des Consensus helveticus und der Prädestinationslehre zu. Diesem Zwecke widmete er, neben seiner Kirchengeschichte, die letzten seiner umfangreicheren Schriften: 1723 eine gleichzeitig in Latein und in Deutsch verfaßte Geschichte und Vertheidigung des Consensus und 1727 das dogmenhistorische Werk: „Fata doctrinae de praedestinatione et gratia Dei Salutari inde a beato SSm. Apostolorum excessu ad haec usque tempora“, Tig. 1727. In solcher Thätigkeit war H. in sein 77. Jahr gelangt und hatte eben mit dem vierten Bande der „Helvetischen Kirchen-Geschichten“ sein Hauptwerk abgeschlossen, als ihm am 14. August 1729 ein Schlagfluß die linke Hälfte des Antlitzes lähmte. Er erholte sich indessen bald gänzlich, nahm mit Neujahr 1730 seine amtliche Thätigkeit wieder auf und führte sie, auch jetzt noch mit schriftstellerischen Arbeiten verbunden, mit nur kurzen zeitweiligen Unterbrechungen bis zum letzten Augenblicke seines Lebens fort, das ohne eigentliche Krankheit, nur durch allmählige Abnahme der Kräfte erlosch. Unter dem Klang der Sonntagsmorgenglocken entschlief schmerzlos, am 18. December 1735, der 83jährige Greis. Ein im persönlichen Umgange gegen Jedermann höchst freundliches, heiteres und dienstfertiges Wesen, stete Würde in Sitten und Haltung, Klarheit und Anmuth des beredsamen Vortrages rühmen die Zeitgenossen dem Manne nach, der in ernster Arbeit unermüdlich und dessen Feder allezeit scharf und streitfertig war.

Jo. Jac. Lavateri F. Oratio inauguralis qua praemissa brevi icone Theologi describitur Vita Joannis Jacobi Hottingeri, Theol. Prof. Tig., Tiguri 1736, 4°, und in der Zeitschrift Tempe Helvetica. Tom. II, pars 1 (daselbst das Verzeichniß von Hottinger’s 114 größeren und kleineren Schriften und hinterlassenen Manuskripten). – H. Escher in Ersch und Gruber’s Encyklopädie, 2. Section, 11. Thl., Art.: Hottinger (Nr. 4, S. 206).