ADB:Linsenmann, Franz Xaver von

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Artikel „Linsenmann, Franz Xaver von“ von Friedrich Lauchert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 2–5, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Linsenmann,_Franz_Xaver_von&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 17:09 Uhr UTC)
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Linsenmann: Franz Xaver von L., katholischer Theologe, geboren am 28. November 1835 zu Rottweil, † am 21. September 1898 zu Lauterbach bei Schramberg, als erwählter und präconisirter Bischof von Rottenburg. L. absolvirte das Gymnasium in seiner Vaterstadt und studirte hierauf 1854 bis 1858 Theologie in Tübingen. 1857 löste er hier die Preisaufgabe der katholisch-theologischen Facultät über Bajus; um den Preis hatte er, bei gleich tüchtiger Arbeit, mit seinem Studiengenossen Wilhelm Reiser[WS 1], dem späteren Bischof, zu loosen, dem derselbe durch das Loos zufiel. Im Herbst 1858 trat er in das Priesterseminar in Rottenburg ein und empfing daselbst am 10. Aug. 1859 die Priesterweihe. Nach zweijähriger Thätigkeit in der Seelsorge als Vicar in Oberndorf a. N. wurde er am 29. October 1861 Repetent für Dogmatik am Wilhelmsstift (dem katholischen theologischen Convict) in Tübingen, am 11. April 1867 außerordentlicher Professor an der katholisch-theologischen Facultät, für die von Professor v. Aberle abgegebene Moraltheologie, am 18. Mai 1867 Lic. theol. h. c. Im Sommersemester 1867 zu einer wissenschaftlichen Reise zum Zweck des Besuches der bedeutendsten Universitäten und Lehranstalten Deutschlands und Oesterreichs beurlaubt, begann er im Wintersemester seine Lehrthätigkeit; die sich bis 1869 auch auf die Patrologie zu erstrecken hatte. Am 25. Februar 1872 zum Dr. theol. h. c. promovirt, wurde er am 11. Juni 1872 zum ordentlichen Professor der Moral- und Pastoraltheologie ernannt. Er war ein hervorragender, sehr anregender akademischer Lehrer. 1883 erhielt er mit dem Ritterkreuz I. Classe des Ordens der württembergischen Krone den Personaladel. Im Studienjahre 1887/88 war er Rector der Universität. Am 17. Juni 1889 wurde er zum Domcapitular in Rottenburg erwählt, am 29. September eingeführt. Seit 1895 war er [3] auch Vertreter des Domcapitels in der zweiten württembergischen Kammer, wo er besonders für die verfassungsmäßige Genehmigung der Errichtung von Männerklöstern in Württemberg eintrat. In dieser Sache hatte er schon vorher im Auftrage des Bischofs v. Hefele, nachdem dessen Gesuch vom 30. December 1890 von der Regierung abschlägig beschieden worden war, die bedeutsame „Denkschrift über die Frage der Männer-Orden in Württemberg“ verfaßt und veröffentlicht (Stuttgart 1892, 2 Auflagen). Nach dem Tode des Bischofs v. Reiser, seines langjährigen Freundes († am 11. Mai 1898), bei dessen Beisetzung am 16. Mai er die Trauerrede gehalten hatte (Rottenburg 1898), wurde L. am 20. Juli 1898 zum Bischof von Rottenburg gewählt, am 5. September präconisirt; ehe er aber die bischöfliche Weihe empfangen und den bischöflichen Stuhl besteigen konnte, starb er am 21. September 1898 zu Lauterbach bei Schramberg, wo er zur Herstellung seiner angegriffenen Gesundheit zur Cur weilte.

Die wissenschaftliche Thätigkeit Linsenmann’s war eine sehr reichhaltige und hochbedeutende; er nimmt mit derselben eine hervorragende Stelle in der Geschichte der katholischen Theologie im verflossenen Jahrhundert ein, als eine der ersten Zierden der katholischen Tübinger Schule. Entsprechend dem Fache seiner frühesten Lehrthätigkeit, bewegen sich seine ersten litterarischen Arbeiten auf den Gebieten der Dogmatik und Dogmengeschichte, der speculativen Theologie, und der Geschichte der Theologie insbesondere in der spätscholastischen und vortridentinischen Periode. Hierher gehören eine Reihe von werthvollen Abhandlungen und größeren Monographien, von denen einzelne auch noch aus der nächsten Lebensperiode Linsenmann’s stammen: „Gabriel Biel und die Anfänge der Universität zu Tübingen“ (Theol. Quartalschrift, 47. Jahrg. 1865, S. 195–226); „Gabriel Biel, der letzte Scholastiker, und der Nominalismus“ (Theol. Quartalschrift, 47. Jahrg. 1865, S. 449–481, 601–676); „Albertus Pighius und sein theologischer Standpunkt. Ein Beitrag zur Charakteristik der vortridentinischen Theologie“ (Theol. Quartalschrift, 48. Jahrg. 1866, S. 571–644); „Michael Bajus und die Grundlegung des Jansenismus. Eine dogmengeschichtliche Monographie“ (Tübingen 1867); „Der ethische Charakter der Lehre Meister Eckhart’s“ (Programm, Tübingen 1873; mit Eckhart hatte sich L. auch schon früher in seiner eingehenden Besprechung von Jos. Bach’s[WS 2] Meister Eckhart [Wien 1864] beschäftigt, Theol. Quartalschr., 47. Jahrg. 1865, S. 167–182); „Konrad Summenhart. Ein Culturbild aus den Anfängen der Universität Tübingen“ (Festprogramm der kathol.-theol. Facultät zur 4. Säcularfeier der Universität Tübingen; Tübingen 1877; auch als Bestandtheil der „Festgabe“: „Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen“, Tübingen 1877). In das Lehramt der Moraltheologie führte sich L. öffentlich ein mit der akademischen Antrittsrede: „Ueber das Verhältniß der heidnischen zur christlichen Moral“ (Theol. Quartalschr., 50. Jahrg. 1868, S. 387–415); bei dem Antritt der ordentlichen Professur dieses Faches hielt er am 8. August 1872 die akademische Rede: „Ueber Richtungen und Ziele der heutigen Moralwissenschaft“ (Theol. Quartalschrift, 54. Jahrg. 1872, S. 529–553). Sein Hauptwerk ist das „Lehrbuch der Moraltheologie“ (Freiburg i. Br. 1878), das, aus seinen akademischen Vorlesungen hervorgegangen und zunächst wieder für den akademischen Unterricht bestimmt, sich als eine „ächt wissenschaftliche, speculative und psychologische Behandlung der Moraltheologie“ darstellt und „in vielfacher Beziehung eine ganz neue und geradezu originelle Auffassung und Darstellung der moraltheologischen Probleme“ zeigt (A. Koch, S. 387 f.). Von hohem und bleibendem Werth sind aber auch die von L. in der Tübinger Theologischen Quartalschrift veröffentlichten [4] Abhandlungen über Fragen aus dem Gebiete der Moral- und Pastoraltheologie, von denen außer den schon erwähnten noch zu nennen sind: „Untersuchungen über die Lehre von Gesetz und Freiheit“ (53. Jahrg. 1871, S. 64 bis 114, 221–277; 54. Jahrg. 1872, S. 3–49, 193–245); „Homiletische Studien“ (I. „Ueber populäre Predigtweise“, 55. Jahrg. 1873, S. 58–91; II. „Ueber apologetische Predigtweise“, 56. Jahrg. 1874, S. 282–310; 57. Jahrg. 1875, S. 179–213); „Ueber Pflichtencollision“ (58. Jahrg. 1876, S. 3–59); „Ueber Aberglauben“ (60. Jahrg. 1878, S. 23–43); „Das ethische Problem der Aufklärung“ (62. Jahrg. 1880, S. 583–628); „Schriftstellerthum und litterarische Kritik im Lichte der sittlichen Verantwortlichkeit. Ein vergessenes Kapitel aus der Ethik“ (65. Jahrg. 1883, S. 3–40, 179 bis 218, 359–406); „Die sociale Frage vom Standpunkte der Pastoraltheologie“ (66. Jahrg. 1884, S. 214–267); „Reflexionen über den Geist des christlichen Cultus (67. Jahrg. 1885, S. 100–140, 179–215); „Die Lotterie. Eine ethische Studie“ (68. Jahrg. 1886, S. 26–63); „Ueber Marien- und Heiligenverehrung im christlichen Kultus (69. Jahrg. 1887, S. 3–46, 179 bis 230); „Das ethische Problem der Strafe“ (71. Jahrg. 1889, S. 3–48, 235–286); „Zum neuen Rottenburger Katechismus“ (71. Jahrg. 1889, S.; 441–461); „Ueber Gefängnißseelsorge“ (72. Jahrg. 1890, S. 400–435, 560–609); „Ueber Seelsorge in Irrenanstalten“ (73. Jahrg. 1891, S. 179 bis 217, 371–411); „Moderner und christlicher Personenkultus“ (74. Jahrg. 1892, S. 3–51). In Allem, was L. geschrieben hat, zeigt sich der Reichthum einer umfassenden theologischen, philosophischen, historischen und litterarischen Bildung, aber auch, bei allem festen Gegründetsein auf dem sicheren Boden der katholischen Tradition, die kräftige Eigenart eines geistvollen, originalen Denkers. Auch der Nichtfachmann wird aus der Lectüre seiner Arbeiten hohen geistigen Genuß und reichen Gewinn schöpfen; und wenn eine Sammlung dieser kleinen Schriften des genialen Theologen, oder wenigstens eine Auswahl derselben, bis jetzt nicht existirt, so kann der Wunsch nicht unterdrückt werden, daß eine solche noch künftig erscheinen möge. Derjenige, der L. nach dem ganzen Umfang seiner geistigen Arbeit kennen lernen will, darf, worauf auch A. Koch mit Recht hinweist, auch seine Recensionen nicht unbeachtet lassen, da insbesondere die umfangreichen in der Quartalschrift veröffentlichten Recensionen oft weit über den Charakter bloßer Bücherbesprechungen hinausgehen und in Anknüpfung an ein vorliegendes Buch eingehende und werthvolle wissenschaftliche Erörterungen bieten, sich oft zu förmlichen Abhandlungen ausdehnend. Als Rector Magnificus der Tübinger Universität hielt L. am 6. März 1888 zum Geburtsfeste des Königs die Rede: „Die sittlichen Grundlagen der akademischen Freiheit“ (Tübingen 1888). Seinem Lehrer und Vorgänger Aberle widmete er die „Worte der Erinnerung an Moriz von Aberle, Doctor und Professor der Theologie“ (Tübingen 1876). Für die Allgemeine deutsche Biographie verfaßte er die Artikel: Gehringer, Jos. (VIII, 499 f.), Hafen, Joh. Bapt. (X, 316), Hamma, Matth. (X, 478 f.), Hasselt, Joh. Leonh. (X, 762), Hessels, Joh. (XII, 313 f.), Lipp, Jos. v. (XVIII, 732–734), Longner, Ignaz v. (XIX, 155), Scharpff, Franz Anton (XXX, 599 f.). L. hinterließ Memoiren, die nach seiner testamentarischen Bestimmung erst etwa zwei Jahrzehnte nach seinem Tode veröffentlicht werden dürfen.

Anton Koch, Bischof Dr. Franz Xaver v. Linsenmann †; Theologische Quartalschrift, 81. Jahrg. 1899, S. 875–396. – Bischof Dr. Paulus Leopold Haffner[WS 3], Gedächtsnißrede auf den Hochwürdigsten Herrn Dr. Frz. X. v. Linsenmann, Rottenburg a. N. 1898. – Biograph. Jahrbuch, III. Bd. [5] 1898 (Berlin 1900), S. 120 f. (R. Krauß). – Porträt: Alte und Neue Welt, 33. Jahrg. 1898/99, S. 189.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Wilhelm von Reiser (1835–1898); katholischer Theologe, Priester und Bischof von Rottenburg
  2. Joseph von Bach (1833–1901); deutscher katholischer Theologe
  3. Paul Leopold Haffner (1829–1899); Bischof von Mainz