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Artikel „Aberle, Moriz von“ von Friedrich Lauchert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 682–684, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Aberle,_Moritz_von&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 17:22 Uhr UTC)
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Aberle: Moriz von A., katholischer Theologe, geboren zu Rottum bei Biberach am 25. April 1819, † am 3. November 1875 zu Tübingen. Er besuchte von Herbst 1830 bis 1833 die Lateinschule zu Biberach. Im Herbst 1833 wurde er in das Convict zu Ehingen aufgenommen und absolvirte bis 1837 daselbst die Classen des Obergymnasiums; unter seinen dortigen Lehrern war Joseph Lipp, der spätere Bischof von Rottenburg, als Rector des Gymnasiums. Von Herbst 1837 bis 1841 studirte er an der Universität Tübingen Theologie, unter den Professoren Drey, Kuhn, Hefele, Welte, Mack und Graf, daneben auch classische Philologie, Philosophie und Geschichte; auch auf die tiefere Ausbildung in den orientalischen Sprachen verwendete er viele Mühe. Während des letzten Studienjahres bearbeitete er die von der katholisch-theologischen Facultät gestellte Preisaufgabe: „Es soll mit Berücksichtigung der Ansicht, daß das Buch Josua mit dem Pentateuch ein Ganzes bilde, untersucht werden, wie und wann ersteres entstanden sei“. Die Arbeit wurde nach dem Urtheil der Facultät im Herbst 1841, nachdem A. inzwischen schon das Priesterseminar in Rottenburg bezogen hatte, mit dem Preise gekrönt. Gleichzeitig erhielt er auch den 1. homiletischen Preis für einen Predigtentwurf. Ueber die Preisarbeit urtheilt Himpel, der im Nekrolog einige Auszüge daraus veröffentlicht (Theol. Quartalschrift 1876, S. 179–189), dieselbe „wäre auch nach mehreren Jahren, mit Anwendung entsprechender Nachhilfe, der Veröffentlichung noch werth gewesen“; sie zeige „die eigenthümlichen Vorzüge des gleich energischen wie feinen Geistes in kritischer Behandlung biblischer Bücher in ganzer Frische“. Zu vergleichen ist übrigens der von A. verfaßte Artikel „Josua“ im Kirchenlexikon von Wetzer und Welte, Bd. V, S. 812–816. Am 29. August 1842 empfing A. die Priesterweihe, wurde dann zuerst Vicar in Riedlingen, im Mai 1843 Repetent am Convict in Rottweil, im October Repetent in Tübingen. In letzterer Eigenschaft hielt er exegetische Vorlesungen über das Neue Testament und bereitete sich gleichzeitig auf das Professoratsexamen vor, dem er sich im Herbst 1844 unterzog. Am 29. März 1845 wurde er provisorisch, am 26. December 1845 definitiv als Gymnasialprofessor in Ehingen angestellt. Nur ungern verließ er diese ihm liebe Thätigkeit, als er am 6. December 1848 als Director des Wilhelmsstifts (katholisch-theologischen Convicts) wieder nach Tübingen berufen wurde. Am 16. März 1850 wurde er zum ordentlichen Professor für Moraltheologie und neutestamentliche Exegese an der katholisch-theologischen Facultät der Universität Tübingen ernannt, nachdem er schon seit 1849 als Wilhelmstiftsdirector Vorlesungen über Pädagogik und neutestamentliche Exegese gehalten hatte. Im Studienjahre 1865/66 war er Rector der Universität, erhielt im Frühjahr 1866 den Orden der württembergischen Krone [683] und wurde geadelt. Nachdem er bis zu diesem Jahre den großen Anforderungen der doppelten Professur mit großem Erfolg nachgekommen war, wurde ihm auf seinen Wunsch, als er im Herbst 1866 einen Ruf nach München erhielt und sein Bleiben in Tübingen davon abhängig machte, die Moraltheologie abgenommen. Seither concentrirte er seine wissenschaftliche Thätigkeit auf die Exegese, bis er, nachdem sich seit einiger Zeit die Anzeichen eines Herzleidens gezeigt hatten, durch einen unerwarteten plötzlichen Tod an Herzlähmung mitten aus seiner Thätigkeit herausgerissen wurde. In früheren Jahren, in der Zeit der kirchenpolitischen Kämpfe in Württemberg, hatte er besonders in den Jahren 1845–1861 auch eine eifrige publicistische Thätigkeit im kirchlichen Interesse entfaltet, besonders in dem 1848 gegründeten Stuttgarter „Deutschen Volksblatt“. Später äußerte er sich noch einmal aus Veranlassung der sogenannten „Rottenburger Wirren“ in einem in den Historisch-politischen Blättern (63. Band, 1869, S. 417–444) veröffentlichten Aufsatz: „Ueber die Wirren in der Diöcese Rottenburg. (Von einem Mitglied der katholisch-theologischen Facultät in Tübingen)“, zur Vertheidigung der Diöcesanverwaltung des Bischofs Lipp und der Verhältnisse im Tübinger Convict gegen die in denselben Blättern zuvor erschienene „Aktenmäßige Beleuchtung der Wirren in der Diöcese Rottenburg“ (Bd. 62, 1868, S. 855–889; 938–958; Bd. 63, 1869, S. 75–96; 270 bis 280). – Aberle’s persönlicher Charakter wird geschildert: „Als Mensch zeichnete er sich durch die Lauterkeit seines Charakters, durch ein zart besaitetes Gemüth und herzgewinnendes Wesen, welches ihm insbesondere die Kinderwelt befreundete, durch Wohlthätigkeit und durch Humanität gegen Andersdenkende aus“. (Literarische Rundschau 1875, S. 236.) – Als Gelehrter vereinigte A. genialen Scharfsinn mit den ausgebreitetsten positiven Kenntnissen auch auf entlegenen Gebieten, besonders philologischen und historischen Kenntnissen, und mit einem außergewöhnlich glücklichen Gedächtniß. Auf dem Gebiete der Moraltheologie war er litterarisch thätig durch die Abhandlung „Ueber den Aequiprobabilismus“ (Theol. Quartalschrift 1851, S. 339–387), ferner eine bemerkenswerthe eingehende Recension über mehrere neue Moralwerke in demselben Jahrgang der Quartalschrift (S. 135–163), worin er seine Ansichten über die Methode auseinandersetzt, und eine Anzahl von Artikeln im Kirchenlexikon von Wetzer und Welte, von denen als die größeren zu nennen sind die Artikel: „Recht“ (IX, 49–53); „Reservatio mentalis“ (IX, 217–220); „Stoische Moral“ (X, 376–381); „Todesstrafe“ (XI, 47–56); „Tugend“ (XI, 305 bis 311); „Tugenden, göttliche“ (XI, 311–319); „Verzückung (ecstasis)“ (XI, 648–664); „Wahrhaftigkeit“ (XI, 766–769); „Wohlthätigkeit“ (XI, 1125–1129); „Zauberei (magia)“ (XI, 1245–1256); „Gesetz“ (XII, 479 bis 483); „Socialismus“ (XII, 1143–1148); „Stigmatisation“ (XII, 1158 bis 1162). Besonderes Interesse brachte er als Moraltheologe dem Gebiete der „außerordentlichen Seelenzustände“ entgegen, wohin einige der umfangreichsten von den oben aufgeführten Artikeln gehören, und worüber er eigene Vorlesungen hielt; aus seinem Vorlesungshefte darüber theilt Himpel (S. 220 bis 228) einige Auszüge mit. – Umfangreicher war Aberle’s litterarische Production auf dem Hauptgebiete seiner wissenschaftlichen Thätigkeit, dem der neutestamentlichen Wissenschaft, wo er besonders in der Behandlung der Einleitungsfragen im Zusammenhang mit der neutestamentlichen Zeitgeschichte, speciell in Untersuchungen über Entstehung und Zweck der Evangelien, vielfach neue Bahnen einschlug. Als Resultate seiner Forschungen auf diesem Gebiete erschienen eine Reihe von Abhandlungen in der Theologischen Quartalschrift: „Ueber eine Aeußerung des Origenes zu Eph. 1, 1“ (Jahrg. 1852, S. 108–122); „Ueber Röm. 5, 12–14“ (1854, S. 453–470); „Ueber den Zweck der Apostelgeschichte“ [684] (1855, S. 173–236); „Zur Erklärung von Irenäus adv. haer. 3, 1, 1“ (1858, S. 495–508); „Exegetische Studien a.) Zu Apg. 5,34–39. b) Zu Apg. 8,26–40“ (1859, S. 82–90); „Ueber den Zweck des Matthäusevangeliums“ (1859, S. 567–588); „Ueber den Zweck des Johannesevangeliums“ (1861, S. 37–94); „Exegetische Studien. 1. Ueber die Epochen der neutest. Geschichtschreibung. (Rede gehalten am Geburtsfest des Königs, 27. Sept. 1862.) 2. Ueber den Prolog des Lucasevangeliums. 3. Ueber die Abfassungszeit des ersten Timotheusbriefes“ (1863, S. 84–134); „Ueber den Tag des letzten Abendmahls“ (1863, S. 537–568); „Beiträge zur neutestamentl. Einleitung. 1. Ein directes Zeugniß des Papias für das Johannesevangelium. 2. Noch einmal über Irenäus adv. haer. 3, 1, 1“ (1864, S. 3–47); „Ueber den Statthalter Quirinius“ (1865, S. 103–148); „Exegetische Studien. 1. Ein Grundsatz der Evangeliencritik. 2. Ueber den Darstellungscharakter des Johannesevangelium. 3. Ueber den Statthalter Quirinius“ (1868, S. 3–64); „Die Begebenheiten bei dem letzten Abendmahl“ (1869, S. 69–126); „Die Berichte der Evangelien über die Auferstehung Jesu“ (1870, S. 48–91); „Die Berichte der Evangelisten über Gefangennehmung und Verurtheilung Jesu“ (1871, S. 3–63); „Ueber die Zahl 666 in der Apokalypse“ (1872, S. 139 bis 147); „Die letzte Reise Jesu nach Jerusalem“ (1874, S. 127–164); dazu kommt eine Anzahl von meist sehr eingehenden und gehaltreichen Recensionen in den Jahrgängen 1855, 1857, 1858, 1867, 1874 (über Schürer’s Neutestamentliche Zeitgeschichte, S. 658–687, in welcher Recension die Frage der Schatzung des Quirinius nochmals eingehend von neuem erörtert wird), 1875; auch ein paar Recensionen im Theol. Literaturblatt von Reusch, in den Jahrgängen 1867–1870; endlich im Kirchenlexikon, neben einigen kleineren, die Artikel: „Johannes, Briefe des“ (V, 710–714); „Paulus, der Apostel, und Paulinische Briefe“ (VIII, 241–258); „Petrus, der Apostel, und Petrinische Briefe“ (VIII, 330–338). Aberle’s Schriften sind auch da, wo sich seine Sonderansichten wohl nicht als stichhaltig erweisen werden, immer höchst anziehend und anregend; durch die geistvolle und im besten Sinne originale Behandlung der Probleme haben sie einen bleibenden Werth, und in ihrer fein durchdachten Ausführung können sie als Muster methodischer wissenschaftlicher Arbeit dienen. Zu der Ausführung einer größeren zusammenfassenden Darstellung konnte er sich leider nicht entschließen; nach seinem Tode fanden sich nur seine Vorlesehefte vor, ohne allen gelehrten Apparat, die Aberle’s Nachfolger, Prof. P. Schanz, unter Hinzufügung der nöthigen gelehrten Anmerkungen und mit Berücksichtigung der von A. veröffentlichten Specialarbeiten, als „Einleitung in das Neue Testament von M. v. Aberle“ herausgab (Freiburg i. B. 1877), auch in dieser Gestalt ein Werk, dessen Veröffentlichung großen Dank verdient.

Linsenmann, Worte der Erinnerung an Moriz v. Aberle, Tübingen (1876). – Himpel, Einiges über die wissenschaftliche Bedeutung und theologisch kirchliche Stellung des sel. Prof. Dr. Aberle; Theol. Quartalschrift 1876, S. 177–228. – Himpel, Artikel Aberle in der 2. Aufl. des Kirchen-Lexikons, Bd. I (1882), S. 62 f.