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Artikel „Abich, Wilhelm Hermann“ von Karl Alfred von Zittel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 684–686, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Abich,_Hermann&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 15:53 Uhr UTC)
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Abich: Wilhelm Hermann A., k. russischer Staatsrath, Akademiker, berühmter Geologe, ist geboren am 11. December 1806 zu Berlin. Er erhielt seine Vorbildung in seiner Vaterstadt und widmete sich auch an der dortigen Universität dem Studium der Naturwissenschaften. Sein Interesse für Geologie wurde durch Alex. v. Humboldt, Leopold v. Buch und Carl Ritter angeregt und um in dem damals entbrannten Streit um die Erhebungskrater ein eigenes Urtheil zu gewinnen, machte A. nach Beendigung seiner Universitätsstudien eine [685] zweijährige Reise nach Italien, wo er in den Jahren 1833 und 1834 Gelegenheit hatte die Campagna von Rom, den Vesuv nebst der Umgebung von Neapel, die liparischen Inseln und den Aetna zu studiren. Als Frucht dieser Reise erschienen zwei Werke, wovon das erste „Vues illustratives sur le Vesuve et l’Aetna“ Paris 1836 in französischer Sprache, das andere „Geologische Betrachtungen über die vulkanischen Erscheinungen und Bildungen in Unter- und Mittel-Italien“ in Braunschweig 1841 veröffentlicht wurde. Beide Werke sind von einem Atlas in Folio begleitet und enthalten eine Menge werthvoller, für die damalige Zeit neuer Beobachtungen über die italienischen Vulkane. Zu einem selbständigen Urtheil über die strittige Frage war der junge Geologe allerdings nicht gelangt. Er schloß sich in fast allen theoretischen Fragen, namentlich in jener der Erhebungskratere an Leop. v. Buch an, während sein Zeitgenosse, der geniale Fr. Hoffmann schon im Begriffe stand, zur Gegenpartei überzugehen. Auf Empfehlung von Humboldt und v. Buch wurde A. 1842 als Professor der Mineralogie und Geologie nach Dorpat berufen, aber schon 1844 von der russischen Regierung nach dem Ararat geschickt, um die geologischen Verhältnisse des armenischen Hochlandes zu erforschen. Diese Reise, bei welcher A. den Kaukasus auf der damals noch unvollendeten grusinischen Heerstraße überschritt, wurde für seine ganze Zukunft entscheidend. Aus den hinterlassenen Briefen an seine Eltern und Schwester geht hervor, welch tiefen Eindruck der Kaukasus, der Ararat und Armenien auf den jugendlichen Forscher machten und mit welchem Feuereifer er sich seiner Aufgabe widmete. Nach einer orientirenden Reise in den persisch-türkischen Grenzgebieten gelang es A., eine geologische Specialkarte vom Ararat anzufertigen und die Gipfelbesteigung dieses gewaltigen Vulkans nach dreimaligen vergeblichen Versuchen glücklich durchzuführen. Seine nach Petersburg geschickten Berichte erregten so großes Interesse, daß ihm der Urlaub von Jahr zu Jahr verlängert wurde und A. seine Studien auch auf Daghestan, die Gegend von Baku und schließlich auf den ganzen Kaukasus ausdehnen konnte. Im J. 1853 wurde er zum ordentlichen Mitglied der k. Akademie in St. Petersburg und bald darauf zum Staatsrath ernannt. Während seines Aufenthaltes in der russischen Hauptstadt verheirathete er sich, folgte aber schon 1858 einer Aufforderung des Statthalters von Kaukasien (Fürst Barjätinsky), seine Forschungsreisen in den kaukasischen und armenischen Ländern wieder aufzunehmen. Dieser zweite Aufenthalt dauerte wider Erwarten bis zum Jahr 1876, so daß A. nicht weniger als 28 Jahre der Erforschung des Kaukasus und der angrenzenden Gebiete von Transkaukasien, Armenien, Persien und der Krim widmete. Ihm verdankt man die erste streng wissenschaftliche geologische, geographische und meteorologische Untersuchung jener Gebiete und bei der ungewöhnlich genauen und gewissenhaften Methode, welche alle Arbeiten Abich’s auszeichnet, werden seine Untersuchungen für alle Zeiten die Grundlage für spätere Forschungen bilden. A. begnügte sich in seltenen Fällen mit einer einmaligen Bereisung, er kehrte immer wieder in kürzeren oder längeren Zeitintervallen in die bereits erforschten Gebiete zurück, um die verbessernde und ergänzende Hand an seine früheren Beobachtungen anzulegen. Eine beträchtliche Anzahl Abhandlungen hat A. während seines Aufenthalts in Kaukasien theils in den Schriften der Petersburger Akademie, theils in der Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft und in Poggendorff’s Annalen veröffentlicht; darunter verdienen jene über die Orographie von Daghestan (1847) und die meteorologischen Beobachtungen in Transkaukasien (1848 und 1850) besondere Erwähnung. An selbständigen Werken und Schriften veröffentlichte A. zwischen 1848 und 1876: „Ueber die geologische Natur des armenischen Hochlandes“ (1843); „Vergleichende chemische Untersuchungen des Wassers des Kaspischen [686] Meeres, des Urmia- und Wansees“ (1856); „Beiträge zur Paläontologie des asiatischen Rußlands“ (1858); „Vergleichende geologische Grundzüge der kaukasisch-armenischen und nordpersischen Gebirge; Prodomus einer Geologie der kaukasischen Länder“ (1858); „Ueber das Steinsalz und seine geologische Stellung in Russisch-Armenien“ (1859); „Sur la Structure et la Géologie de Daghestan“ (1862); „Ueber eine im Kaspischen Meere erschienene Insel, nebst Beiträgen zur Kenntniß der Schlammvulkane der Kaspischen Region“ (1863); „Geologische Beobachtungen auf Reisen zwischen Kur und Araxes“ (1867); „Compte rendu über die physikalisch-geologischen Verhältnisse der Tifliser Thermalquellen“. Erst im siebenzigsten Lebensjahr entschloß sich A. zur Aufgabe seines Wanderlebens. Er siedelte nach Wien über, um dort die Ergebnisse seiner 28jährigen Forschungen zu bearbeiten. Mit bewunderungswürdiger Ausdauer vertiefte sich der greise Gelehrte in das Studium der Paläontologie und Petrographie, deren gewaltige Fortschritte er während seines Aufenthaltes in Transkaukasien nicht hatte verfolgen können. Es war geradezu rührend, mit welcher Bescheidenheit der berühmte Forscher bei jüngeren Fachgenossen sich Rath und Belehrung holte und mit welcher Dankbarkeit er jede Beihülfe während der Ausarbeitung seines großen Werkes „Geologische Forschungen in den Kaukasischen Ländern“ entgegennahm. Der erste Theil seines classischen Werkes enthält die Beschreibung einer höchst interessanten Bergkalkfauna aus der Araxeskette bei Djoulfa und erschien 1878 (Wien); im zweiten Theil folgt die geologische Beschreibung der Westhälfte des armenischen Hochlandes, begleitet von einem Atlas mit 19 Tafeln (1882). Die fundamentale Bedeutung dieses zweiten Theiles wurde rückhaltlos anerkannt und rief den lebhaftesten Wunsch nach Vollendung des Gesammtwerkes hervor. Leider war es aber A. nicht mehr beschieden, sein Lebenswerk zu vollenden. Mitten im Schaffen raffte ihn der Tod am 1. Juli 1886 in Wien hinweg. Zwei Abhandlungen über Höhenmessungen auf dem armenischen Hochland (1880) und über die Productivität und die geotektonischen Verhältnisse der Kaspischen Naphtaregion (1879) erschienen während seines Wiener Aufenthaltes.

A. war eine echt deutsche tiefgründige Gelehrtennatur von seltener Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue. Als Lebensaufgabe hatte er sich die Erforschung der transkaukasischen Länder und des Kaukasus gestellt und davon ließ er sich durch keine, noch so verlockenden Anerbietungen abwendig machen. Sein frommer, gemüthvoller Sinn, seine Begeisterung für die Natur und für die Ideale der Wissenschaft finden in den nachgelassenen, durch seine Wittwe veröffentlichten Briefen (Wien 1896), einen zuweilen geradezu ergreifenden Ausdruck. In der Geschichte der Geologie wird der Name Abich stets einen hervorragenden Platz einnehmen.