ADB:Meister Eckhart
Albrecht der Große und Thomas von Aquino das Abendland mit dem Ruhme ihres Namens. Ist E., wie man voraussetzen darf, schon frühe in den Orden getreten, dann hat er auf dessen Schulen zuerst durch fünf Jahre das Studium logicale und naturale und sodann ein dreijähriges theologisches Studium auf der Schola sententiarum durchmachen müssen, welche letztere für Deutschland wol damals schon zu Straßburg sich befand. Von seinen Oberen für das Lectoramt bestimmt, besuchte E. noch drei weitere Jahre die Hochschule zu Köln, zu einer Zeit, wo die Wirksamkeit Albrechts des Großen noch in frischer Erinnerung lebte und seine Richtung durch bedeutende Nachfolger vertreten war. Wo E. als Lector verwendet wurde, läßt sich nicht mehr ermitteln; um die Mitte der neunziger Jahre finden wir ihn als Prior zu Erfurt und zugleich als Vicarius des Ordensbezirkes von Thüringen. Aus dieser Zeit stammt seine älteste uns bekannte Schrift „Die Reden der Unterscheidung“, ein Werk, ebenso ausgezeichnet durch die Feinheit, mit welcher er in sittlichen Fragen das Wesentliche von dem Unwesentlichen zu scheiden sucht, wie durch die Frische und Klarheit der Sprache. Im J. 1300 bestimmte ihn die Wahl des Ordensmeisters für die Universität Paris. Hier sollte er dem Herkommen gemäß nach einer zweijährigen vorbereitenden Thätigkeit als Lector biblicus und als Lector sententiarum die Würde eines Magisters erwerben, um dann als solcher noch weitere zwei Jahre den einen der beiden theologischen Lehrstühle einzunehmen, welche der Orden an der Hochschule zu besetzen hatte. Eckhart’s Pariser Aufenthalt fällt in die Zeit, in welcher die römische Curie mit dem Könige von Frankreich jenen leidenschaftlichen und für sie so verhängnißvollen Streit um die weltliche Suprematie führte. Bei Eckhart’s Richtung läßt sich vermuthen, daß er dem Kampfe der Parteien so fern als möglich getreten sei, und seine Schriften ergeben, daß er gerade um diese Zeit durch eindringendes Studium der Aristoteliker und der Neuplatoniker, insbesondere des Pseudo-Dionysius, die wissenschaftlichen Grundlagen für seine [619] mystische Speculation gewann. Vor der Zeit, schon im J. 1303, mußte E. nach Deutschland zurückkehren, entweder weil die Pariser Schule eine dem Papste feindliche Haltung eingenommen hatte, oder weil die vor kurzem beschlossene Theilung der Ordensprovinz Deutschland in die zwei Provinzen Deutschland und Sachsen die Rückkehr der auswärtigen Ordensglieder in ihre Heimathprovinz nothwendig machte. In demselben Jahre noch erhob ihn das Vertrauen seiner Ordensgenossen auf dem Provinzialcapitel zu Erfurt zum ersten Provinzialprior der neuen Provinz Sachsen. Das Generalcapitel zu Toulouse im J. 1304, welchem E. als Vertreter seiner Provinz beiwohnte, bestätigte diese Wahl. Wenn sich nun gleich E. durch die nachsichtige Behandlung der freieren Lebensrichtungen unter denen, welche sich dem Orden als Tertiarier angeschlossen hatten, eine Rüge des Generalcapitels vom J. 1306 zuzog, so gab ihm doch schon im folgenden Jahre der Ordensmeister einen Beweis erneuten Vertrauens, indem er ihn zu seinem Generalvicar für die Provinz Böhmen ernannte, wo Unordnung und Zerwürfnisse außerordentliche Maßregeln nothwendig machten. Nicht minder große Anerkennung ward ihm von seiner Provinz zu Theil, welche ihn bald nachher auf weitere vier Jahre zu ihrem Prior erwählte. Und als dann im J. 1311 sein Provinzialat in Sachsen zu Ende ging, da würde ihm das gleiche Amt auch in der deutschen Provinz zugefallen sein, wenn der Wahl derselben die Bestätigung nicht versagt worden wäre. Denn der Ordensmeister hatte ihn von neuem für die Schule zu Paris ausersehen, vermuthlich weil diese in Folge der Wirren der letzten Jahre einer bedeutenden Kraft zu ihrer Wiederherstellung bedurfte. Damit war zugleich dem Herkommen Genüge gethan, welches den Pariser Magistern eine längere Lehrthätigkeit vorschrieb, als sie E. unmittelbar nach seiner Promotion geübt hatte. Nachdem in Paris bis zum Herbste 1312 seine Aufgabe erfüllt war, eröffnete sich ihm durch die Versetzung an die theologische Schule in Straßburg ein neuer und nicht minder wichtiger Wirkungskreis. Bei der Thätigkeit, welche er hier als Lehrer, Prediger und Schriftsteller entfaltete, und bei der Meisterschaft, mit welcher er die deutsche Sprache seinen Ideen dienstbar zu machen verstand, gewannen diese bald große Verbreitung und zahlreiche Anhänger; aber zugleich rief das Ungewöhnliche und Kühne seiner Speculation auch den Argwohn und den Widerstand wach. Vielleicht wäre dies nicht geschehen, wenn nicht um eben jene Zeit die Secte der Brüder des freien Geistes, die in Frankreich ihre Heimath hatte, in Besorgniß erregender Weise sich ausgebreitet hätte. Bei der Auflösung der autoritativen Gewalten, welche zum großen Theil durch die Entartung der Curie verschuldet war, hatten die pantheistischen und antinomistischen Lehren jener Secte an vielen Orten einen sehr empfänglichen Boden gefunden. Namentlich war dies bei den Begarden und Beginen der Fall, welche einzeln oder in Congregationen, vielfach unter der Leitung von Beichtvätern aus den Bettelorden, ein von der Welt abgezogenes und dem Dienste Gottes und der Armen gewidmetes Leben zu führen suchten, und zwar unter Regeln, welche dem Einzelnen eine weit größere Freiheit gestatteten als sie die Ordensleute genossen. Nun berührten sich Eckhart’s Speculationen, wenn auch nicht in den Grundlagen und in den Zielen so doch in den Formen der Darstellung mehrfach mit den Sätzen der Brüder des freien Geistes, und so erschien er Vielen als ein Gesinnungsgenosse derselben. Als daher der Bischof Johann v. Ochsenstein von Straßburg im J. 1317 die Verfolgung der ketzerischen Begarden begann, da erlitten auch Anhänger Eckhart’s Bedrängnisse und er selbst scheint aus jenem Anlasse nach Frankfurt versetzt worden zu sein, wo er das Amt eines Priors erhielt. Aber auch hier kam er im J. 1320 wegen häretischer Verbindungen in Verdacht, und der Ordensmeister Hervéus, welcher noch vor wenigen Jahren neben ihm zu Paris gelehrt hatte, beauftragte die Prioren zu Worms und Mainz mit einer Untersuchung gegen [620] ihn. Mit ihm war aus gleichem Grunde ein Dietrich von St. Martin angeklagt worden, wahrscheinlich kein anderer, als der unserem Meister geistesverwandte Dietrich von Freiburg (s. o. S. 190 f.). Besonders gravirend können indeß die Resultate der Untersuchung nicht gewesen sein; denn in den folgenden Jahren ist E. Hauptlehrer an der Hochschule zu Köln. Ein großes und dankbares Arbeitsfeld war hier dem betagten, aber mit ungeschwächter Geisteskraft wirkenden Manne noch beschieden. Zahlreiche und hochbegabte Schüler, darunter ein Tauler und Suso, denen Lehre und Leben des großen Meisters Leuchte und Vorbild war, verschafften schon in der nächsten Zeit der Mystik in Eckharts’s Geiste die Herrschaft in der deutschen Theologie und Predigt. Aber der Anerkennung und Verehrung auf der einen Seite entsprach Verkennung und Verfolgung von der andern, und unter Stürmen endete Eckhart’s Leben. Auch der Erzbischof von Köln, Heinrich v. Virneburg, glaubte in E. einen Freund und Förderer der ketzerischen Begarden, deren rastloser Verfolger er war, erkannt zu haben; und wenn im J. 1325 auf dem Generalcapitel zu Venedig Klage erhoben wurde über Brüder der deutschen Provinz, welche in der Landessprache und unter dem Volke gefährliche Lehre verbreiteten, so kann nach dem, was wir aus der nächsten Zeit erfahren, kein Zweifel sein, daß E. vor Allen mit jener Klage gemeint war und daß Heinrich v. Virneburg die Veranlassung zu derselben gegeben hatte. Der Orden, welcher fürchten mochte, daß der Erzbischof entschlossen genug sei, selbst auf inquisitorischem Wege gegen Mitglieder des Ordens vorzugehen, beauftragte vorläufig den Prior Gervasius von Angers mit der Untersuchung, und setzte es dann in Avignon durch, daß Nicolaus von Straßburg, gleichfalls ein Dominicaner, zum päpstlichen Inquisitor in dieser Sache ernannt wurde, ein Mann, welcher angesehen genug schien, um dem Verdachte der Parteilichkeit zu entgehen und zugleich von einer Richtung, welche eine gerechte und billige Beurtheilung erwarten ließ. So wurde denn nun Eckhart’s Lehre einer förmlichen Untersuchung unterzogen und diese endete mit seiner Freisprechung. Eben hierdurch aber sah sich der Erzbischof zu dem Schritte veranlaßt, welchen der Orden hatte verhindern wollen. Heinrich v. Virneburg setzte jetzt, auf sein bischöfliches Recht sich stützend, ein Inquisitionsgericht gegen E. ein und dieses berief im Januar des J. 1327 erst Nicolaus und dann E. vor seine Schranken. Damit aber war der Orden selbst angegriffen und E. fand nun eine Bundesgenossenschaft auch bei Solchen, welche außerdem wol nie für seine Sache eingetreten wären. Von einer größeren Anzahl von Ordensgliedern begleitet, erschienen denn auch Nicolaus und E. vor den erzbischöflichen Richtern, um unter Hinweis auf die Privilegien des Ordens jede Verhandlung abzuweisen und Berufung an den Stuhl zu Avignon einzulegen. Bald nachher, am 13. Februar, verlas E. nach dem Schlusse einer Wochenpredigt in der Dominicanerkirche zu Köln eine von dem Gerichte des Erzbischofs weder veranlaßte noch jemals anerkannte Erklärung, in welcher er seine Bereitwilligkeit aussprach, alles das in seiner Lehre zu widerrufen, was als Ketzerei erwiesen werden würde. Er zeigt sich von der Uebereinstimmung seiner Lehre mit dem Glauben der Kirche überzeugt. Von seinen Lehrsätzen macht er nur zwei namhaft, aber nicht um sie zu widerrufen, sondern um sie zu rechtfertigen. Diese Erklärung, welche man fälschlich als einen Widerruf bezeichnet hat, sollte unzweifelhaft nur dazu dienen, der Ueberzeugung Eckhart’s von der Unschuld seiner Sache einen öffentlichen Ausdruck zu geben, sie sollte zugleich seine Bereitwilligkeit bezeugen, sich vor zuständigen Richtern zu verantworten und belehren zu lassen, und damit der im Dunkeln schleichenden Verläumdung Schranken setzen. E. unterwirft sich mit keinem Worte von vorn herein dem Urtheilsspruche irgend eines Gerichtes. Die erzbischöflichen Inquisitoren nahmen denn auch von [621] seiner Erklärung durchaus keine Notiz, sie bezeichneten vielmehr, als die herkömmliche Frist für den Bescheid auf die Berufung an den Papst abgelaufen war, diese Berufung als widerrechtlich. Da nun aber doch der Erzbischof nicht wagen konnte, selbständig weiter vorzugehen, so blieb auch ihm kein anderer Weg, als sich klagend nach Avignon zu wenden. E. erlebte den Ausgang der Untersuchung am päpstlichen Hofe nicht mehr. Er starb noch im J. 1327. Möglicherweise haben die Aufregungen der letzten Zeit sein Ende beschleunigt; aber er ist, wie alle Anzeichen ergeben, in seinen Ueberzeugungen unerschüttert bis zum Tode geblieben. Johann XXII. zögerte lange mit der Entscheidung. Er mochte unter den Kämpfen, welche er damals mit Kaiser Ludwig und dem Franciscanerorden hatte, die Stütze, die er bisher bei den Dominicanern gefunden, nicht auch noch unsicher machen wollen. Erst als er mit dem J. 1329 wieder eine festere Stellung gewann, erfolgte jene vielbesprochene Bulle vom 27. März In agro dominico, welche 17 Lehrsätze Eckhart’s als häretisch, 11 als der Häresie verdächtig erklärte und über dieselben sowie über die Schriften, in welchen sie enthalten waren, die Verdammung aussprach. Es sind Sätze, welche Eckhart’s Lehre als eine pantheistische und antinomistische kennzeichnen sollen. Am Schlusse der Bulle sagt der Papst, E. habe am Ende seines Lebens die in der Bulle angeführten Sätze widerrufen. Allein es ist nachweisbar, daß E. keine andere Erklärung abgegeben hat, als die oben erwähnte in der Dominicanerkirche zu Köln, und in dieser wird der verdammten 28 Sätze bis auf zwei mit keiner Silbe gedacht; diese zwei Sätze aber werden, wie schon bemerkt ist, von E. in der Erklärung nicht widerrufen, sondern vielmehr vertheidigt.
Eckhart: Meister E., Dominicaner, der bedeutendste der mittelalterlichen Mystiker, starb 1327. Er ist um 1260 wahrscheinlich in Thüringen geboren und dort in den Dominicanerorden getreten. Dieser Orden war wie der ihm verwandte der Franciscaner sehr rasch zu außerordentlicher Blüthe gediehen und die besten Kräfte stellten sich überall in seinen Dienst. Denn der Ernst der Weltverläugnung und die Sorge für das geistlich verwahrloste Volk, wodurch die Bettelorden sich auszeichneten, hatte deren Ansehen in demselben Maße gehoben, als die zunehmende Verweltlichung das des übrigen Clerus gemindert hatte. Die Dominicaner machten sich zudem durch die Pflege, welche sie ihren Schulen und den Wissenschaften zuwendeten, bemerklich. Von den Hochschulen des Ordens zu Paris und Köln aus erfüllten gerade in den Jugendjahren Eckhart’sE. ist für die Geschichte der Philosophie des Mittelalters wie für das religiöse Leben in Deutschland von Epoche machender Bedeutung geworden. Als er hervortrat, war die Scholastik die Herrscherin auf dem Gebiete der Wissenschaft, und kirchlich geleitete Werkheiligkeit für die Meisten das Ideal des religiösen Lebens. Die Scholastik suchte auf dialektischem Wege die Kirchenlehre als das Vernunftmäßige zu erweisen oder doch wenigstens zu zeigen, daß dieselbe der Vernunft nicht widerspreche. Sie strebte, die Theologie zu einer Weltphilosophie zu erweitern, aber sie brachte es nicht weiter, als zu einem philosophischen Denken innerhalb des Dogma’s; dieses selbst wurde auf äußere Autorität hin angenommen. Nicht minder unselbständig erscheint die Scholastik hinsichtlich der Mittel, welche sie für Darstellung und Erweisung der Dogmen anwendete. Es waren die Gesetze der peripatetischen Schule, in die ihr wissenschaftliches Verfahren gebannt war. Der neue Wein des Christenthums aber erforderte neue Schläuche für seine wissenschaftliche Fassung. Der übermächtigen Scholastik gegenüber wirkte noch eine speculative Mystik, welche auf dem Neuplatonismus ruhte, aus älteren Zeiten nach. Die Mystik strebt ein unmittelbares Erleben und Schauen des Göttlichen an, sie fordert eine Wiedergeburt auch der geistigen Kräfte, um mittelst höherer Formen als der unzureichenden natürlichen Gott und die Dinge zu denken. Allein der Mystik vor E. war es nicht gelungen, den Pantheismus der Neuplatoniker wissenschaftlich zu überwinden; auch entbehrten ihre Aufstellungen, wie namentlich die des Pseudo-Dionysius, vielfach der logischen Klarheit und verloren sich ins Ueberschwengliche und Unbestimmte.
In E. trafen die Bestrebungen der Mystik mit einem Grundzug des germanischen Wesens, mit dem Triebe nach Selbständigkeit und Freiheit des individuellen Lebens zusammen. In ihm vereinigten sich mit der Fülle und Tiefe philosophischer Gedanken Feinheit der Auffassung und Kraft der Gestaltung, mit der kräftigsten Originalität umfassende Kenntnisse. Kein mittelalterlicher Theologe hat dem menschlichen Geiste höhere Ziele gestellt, von der Selbständigkeit und Freiheit des Denkens einen kühneren Gebrauch gemacht als E. Er polemisirt [622] nur selten. Er nimmt die Elemente der neuplatonischen Mystik und nicht minder auch zahlreiche Begriffe der Scholastik in sich auf, aber er hat, wie Lasson mit Recht bemerkt, mit kühner Originalität das Alte in neuem Geiste umgestaltet. Es gelingt ihm, den Pantheismus der Neuplatoniker wissenschaftlich zu überwinden und die Grundfrage von dem Wesen des Geistes und seinem Verhältnisse zur Natur in einer dem Christenthum entsprechenden Weise philosophisch zu lösen. Dabei durchbrach er den Bann, mit welchem die Scholastik das philosophische und theologische Denken umzogen hatte. Seine theologischen Aussagen suchen sich auf das innere Erlebniß zu gründen und darnach zu bestimmen. Das überlieferte Dogma wird zersetzt und aufgelöst, um auf diesem neuen Grunde in neuer Gestalt zu erstehen. Es hängt damit zusammen, daß er das theologische Denken aus den Fesseln der lateinischen Sprache erlöst und mit genialer sprachschöpferischer Kraft dem durch ihn verjüngten Geistesleben einen naturgemäßeren Boden in der Muttersprache gegeben hat. E. ist auf dem Gebiete der speculativen Mystik geradezu schöpferisch und epochemachend; aber auch auf dem ethischen Gebiete ist er von ungewöhnlicher Bedeutung theils durch die Art, wie er die einzelnen Fragen auf speculative Grundlagen zurückführt, theils durch die Schärfe und Klarheit, mit welcher er überall von der Aeußerlichkeit auf die Innerlichkeit, von dem Schein auf das Wesen, von dem Werk auf die Gesinnung hinweist.
Indem Thomas von Aquin mit Aristoteles in Gott die Potenz des Seins von dem Sein selbst nicht unterscheidet, sondern ihn als reine Actualität faßt, vermag er weder das Denken noch den freien Willen Gottes zu erklären, und ebenso wenig gelingt es ihm, mit seinem Satze der schlechthinigen Einfachheit Gottes das Postulat der Dreieinigkeit wissenschaftlich zu vermitteln. E. betont in seinem Gottesbegriffe ebenso das Princip des Seinkönnens wie das Princip des Seins, er sieht in Gott ein ewiges Werden und ein ewiges Sein zugleich. Mit dieser Differenz in den Grundanschauungen ist die Verschiedenheit der beiderseitigen Systeme von vorn herein gegeben. Der Grund Gottes und aller Dinge ist nach E. die göttliche Wesenheit, d. h. das stille, unterschiedslose, aber die Potenz Gottes und aller Dinge bildende Sein. Als die bloße Möglichkeit des Seins heißt das göttliche Wesen das Nicht, womit natürlich nur ausgesprochen werden soll, daß es noch nicht offenbar geworden ist und Gestalt gewonnen hat. Es ist ein positiv Nichtseiendes, ein Nicht-Icht. In diesem Sinne bezeichnet er es auch als die Finsterniß, als die Wüste der Gottheit. Dieser potentielle Grund Gottes ist Geist, Idee, Form, wenn auch in unoffenbarer, unentfalteter Weise. Während sich nun das Wesen der Gottheit in seiner Stille und Einheit immerdar behauptet, entfließt ihm wie der Blume der Duft, wie der Sonne der Schein, das einfältige Bild seiner selbst, von E. auch die Natur der Gottheit, die Weisheit, das unpersönliche Wort, die wesentliche, die wirkende Vernunft genannt. Erst an diesem Objecte seiner selbst findet sich das Wesen in einen Grund eingeführt, dem gegenüber es sich selbst zu erfassen vermag, „sich leuchtet und Person sagt“. Und wie das Wesen sein Bild ausstrahlt, ohne daß es aufhört, potentieller Lebensgrund zu sein, so hört es auch der Person gegenüber nicht auf, zu sein, was es ist. Indem nun die göttliche Person nach ihrem Bilde, dem „ungeborenen“ Wort, begehrt und dasselbe in sich zücket, wird dieses Bild ein durch das Denken des Vater vermitteltes oder das „geborene“ Wort. Die Urpersönlichkeit ist, indem sie sich in ihrem Bilde erfaßt, Person des Vaters und des Sohnes zugleich geworden, des Vaters, insofern sie das Bild ihrer selbst denkend in sich aufnimmt, des Sohnes, insofern sie sich in diesem Bild erfaßt und ausspricht, und damit das persönliche Wort ihrer selbst wird. Die Person des Vaters gebiert so die Person des Sohnes und diese ist das Subject für die erkannte Natur. In ähnlicher Weise sucht E. die dritte göttliche Person, den [623] heiligen Geist, als ein den vollen Begriff des geistigen Lebens bedingendes Glied darzustellen. Er faßt ihn als den in der wechselseitigen Erkenntniß des Vaters und des Sohnes ruhenden persönlichen Gemeinwillen, als die Minne des Vaters und des Sohnes, in welchem die Selbstgestaltung des göttlichen Geistes sich abschließt. Nicht im zeitlichen Nacheinander vollzieht sich dieser Vorgang und nicht einmal und für immer ist er geschehen, sondern er erneuert sich unaufhörlich, er ist Werden und Sein zugleich, ein quellendes Leben, das nie war, ohne von seinem eigenen Strome umschlossen und gespeist zu sein. Während die Neuplatoniker in dem personlosen, über alles Denken hinausliegenden, unterschiedslosen Einen den höchsten Begriff sehen, ist dieser für E. die immerdar aus dem Wesen sich erhebende, mit dem Wesen bestehende, das Wesen durchdringende und beherrschende absolute Persönlichkeit. Das Geheimniß der Selbstgestaltung des Geistes der intellectuellen Anschauung näher gebracht und die innere Nothwendigkeit derselben begrifflich vermittelt zu haben, ist Eckhart’s großes Verdienst, denn erst hiermit war die wissenschaftliche Grundlage für eine christliche Philosophie gewonnen.
E. sieht in dem Sohne, dem Bilde Gottes, die höchste Form oder Idee, zu der sich alle Formen oder Ideen der geschöpflichen Dinge wie abgeleitete niedere Formen verhalten. Es ist der Vater, welcher, auf den Sohn blickend, die Welt der vorgehenden Bilder erzeugt. Sie sind nicht die Grundlage des göttlichen Selbstbewußtseins, sondern das freie Werk der göttlichen Vernunft. Wenn E. wiederholt sagt: „Alle Dinge sind Gott selber“ oder „Gott ist alle Dinge“, so meint er die Dinge nicht insofern sie als ausgestaltete Gedanken, „mit Unterschied der Namen“, oder auch als wirkliche in die Zeit getretene Creaturen betrachtet werden, sondern insofern sie als bloße Möglichkeiten im göttlichen Wesen und in der göttlichen Natur ruhen und so zu sagen der väterlichen Vernunft noch erst warten, welche sie aus dem höchsten Bilde als niedere Formen ableitet. Da sind sie noch eins mit dem göttlichen Wesen, gleichwie die Gedanken des Künstlers noch eins sind mit dem Wesen seines Geistes, ehe er sie denkt. Auch das Substrat für die Formen der Dinge, die Materie, wird von E. auf das göttliche Wesen als seine Quelle zurückgeführt. Die göttliche Wesenheit als der Grund aller Wesen, als die Potenz aller Dinge trägt auch das Sein in sich, insofern es eine Grundlage für die Form bildet, und von dem freien Schöpferwillen Gottes hängt es ab, diese Potenz zur Wirklichkeit werden zu lassen. Aber unter diesem Willen wird die Potenz zu einem dem göttlichen Wesen fremden Wesen, das sich unter den besonderen Formen, denen es zum Träger dient, in entsprechender Weise verwirklicht.
In der Construction der Weltordnung folgt E. theils dem Aristoteles, theils seinen neu-platonischen Vorgängern. Von besonderer Bedeutung wird er erst wieder, wo er von dem Wesen des Menschen und seinen Kräften redet. In Christus wird das Schöpfungsziel erreicht, die Liebeseinheit Gottes und der Welt. Darum wäre Christus Mensch geworden, auch wenn Adam nicht gesündigt hätte. In ihm gewinnt der Mensch seine Wiederherstellung sowie das ihm ursprünglich bestimmte Ziel. Dieses ist ein höheres, als das der Engel. Der Mensch soll dahin gelangen, daß er Gott schaut mittelst der Natur Gottes. Seinem Wesen ist das Bild Gottes eingeprägt. Dieses soll die Kräfte des Menschen, Vernunft und Willen, welche aus dem Wesen fließen, überformen, ihnen ein Licht für Erkenntniß und Leben sein. In seiner früheren Zeit bezeichnet E., wie auch Dietrich von Freiburg, dieses Bild, das er auch den Funken der Seele oder die wirkende Vernunft nennt, als etwas Geschaffenes. „Es ist geschaffen von Gott, und ist ein Licht oben eingedrückt und ist ein Bild göttlicher Natur.“ Aber E. geht in seiner letzten Periode dazu fort, diesen Funken als etwas Ungeschaffenes, [624] als die wesentliche Vernunft, als die Natur Gottes selbst zu bezeichnen. Der Mensch muß sein natürliches Wesen verläugnen, allen sinnlichen Bildern, dem Denken an sich, ja dem Denken an die göttlichen Personen und ihre Werke absterben, um zuletzt überformt zu werden von der wesentlichen Vernunft, von der Natur Gottes. In diesem Stande, zu dem er durch die Gnade geführt wird, vermag er von sich zu sagen: „Ich bin Gott geworden“. Man hat E. um dieses Gedankens willen als Pantheisten bezeichnet und gemeint, er lehre den Untergang der menschlichen Persönlichkeit. Allein abgesehen davon, daß E. es liebt, seine Gedanken oft in absoluter Weise auszusprechen, um die Seite, welche er hervorheben will, möglichst scharf zu betonen, so ist im vorliegenden Falle nicht von der Persönlichkeit selbst, sondern von dem Mittel, durch welches sie denkt und schaut, die Rede. Nicht die göttliche Persönlichkeit tritt an die Stelle der menschlichen, sondern die göttliche Natur tritt an die Stelle der Formen, mittelst deren die Persönlichkeit sonst Gott und die Dinge dachte. „Da ich heute herging,“ sagt E. einmal, „da gedachte ich, wie ich euch also vernünftig predigte, daß ihr mich wohl verstündet und erdachte ein Gleichniß. Könntet ihr das wohl verstehen, so verstündet ihr meinen Sinn und den Grund aller meiner Meinung, die ich je predigte. Und das Gleichniß war von meinem Auge und dem Holze. Wird mein Auge aufgethan, so ist es ein Auge. Ist es zu, so ist es dasselbe Auge, und um des Sehens willen geht dem Holze (Auge?) weder ab noch zu. Nun verstehet mich. Ist das der Fall, daß mein Auge eines und einfältig ist an sich selbst und aufgethan wird und auf das Holz geworfen wird mit einem Ansehen, so bleibet ein jegliches das es ist, und werden doch in der Wirklichkeit des Ansehens also eins, daß man mag sprechen, Auge ist Holz und Holz ist mein Auge. Wäre aber das Holz ohne Materie und ganz geistlich wie das Sehen meines Auges, so möchte man in der Wahrheit sprechen, daß in der Wirklichkeit meines Sehens das Holz und mein Auge bestünden in Einem Wesen. Ist dies wahr von leiblichen Dingen, so ist es vielmehr wahr von geistlichen Dingen (438).“ Die Frage, ob der Mensch in diesem Leben je dazu gelangen könne, von der göttlichen Vernunft überformt zu werden, verneint E. nicht unbedingt, aber er hält diesen Fall für selten. Was man in jener Zeit so häufig für Vision und Offenbarung ausgab, will er durchaus nicht mit seiner Ansicht von dem Schauen und Vernehmen Gottes verwechselt wissen. Er heißt derartige Visionen mit Mißtrauen aufnehmen. In den meisten Fällen antworte nur der menschliche Geist sich selbst, während er Gott zu hören glaube. Am allerwenigsten verdienten Offenbarungen Vertrauen, in welchen Gott verkünde, daß er um des Visionärs willen eine Gnade gewähre. „Gott thut nichts um irgend einer Creatur willen, sondern alles aus seiner lauteren Güte.“
Bei dem Durste Eckhart’s nach der Quelle der Wahrheit, bei seinem rücksichtslosen Durchbrechen alles dessen, was „Mittel machet“ zwischen Gott und der Seele, wird nun von ihm auch jene Verfassung des Gemüths, auf welcher alles religiöse Leben beruht, der Glaube, wesentlich anders gefaßt, als es von der herrschenden Lehre geschah. Der Glaube ist seinem Wesen nach nicht Unterwerfung unter die kirchliche Autorität, sondern unmittelbare Hingabe an das Göttliche selbst, umittelbares Empfangen, Ergreifen und Wissen desselben. Die göttliche Minne sucht nichts als ein solch empfängliches Gemüth, um sich sofort in dasselbe zu ergießen. Durch eigenes Thun vermag der Mensch sich nichts von Gott zu verdienen. Auch bei den Erweisungen des frommen Lebens dringt E. mit der größten Enschiedenheit überall auf das Wesentliche. Das äußere Werk ist nichts, auf das Wesen des Menschen kommt es an. „Nicht die einzelnen Werke machen heilig, sondern heilig sein macht heilig Werk. Das Werk ist an ihm selber nichts; der Geist, aus dem das Werk geschieht, ledigt sich [625] mit dem Werke eines Bildes und das kommt nicht wieder ein. Darum alle die guten Werke, die der Mensch je thut, und auch die Zeit, in der sie geschehen, Werk und Zeit mit einander sind verloren, Werk als Werk, Zeit als Zeit. Darum ist das Werk weder gut noch heilig noch selig, sondern der Mensch ist selig, in dem die Frucht des Werkes bleibet, nicht als Zeit noch als Werk, sondern als eine gute That, die da ewig ist mit dem Geiste, wie der Geist auch ewig ist an sich selber, und ist (das Werk) der Geist selber.“ Dieses Wirken des Geistes aber ist nichts als ein Auswirken der göttlichen Minne, die sich mit freier Güte in das Herz des sich ihr hingebenden Menschen ergossen hat. Und auch hier muß man Wesen der Minne und Ausbruch des Wesens der Minne unterscheiden. Das Wesen der Minne liegt vor allem im Willen, nicht in der Empfindung. Innigkeit, Andacht, Jubiliren sind ein Ausbruch und ein Werk der Minne. Derartige Zustände können auch anders woher kommen, können mit einer besonderen Artung unserer Natur zusammenhängen und sinnlich eingetragen sein; und die das mehr als andere haben, sind nicht immer die besten. „Wäre der Mensch auch in einer Verzückung wie Paulus war, und wüßte einen siechen Menschen, der eines Süppleins von ihm bedürfte, ich achte es weit besser, du ließest aus Minne von dem Zucke und dientest dem Dürftigen in größerer Minne.“ Bei solchen Anschauungen, die überall von dem Aeußerlichen auf das Innerliche, vom Schein auf das Wesen, von dem Nichtigen auf das Bleibende gehen, gewinnt E. auch die wahre Freiheit dem eigenen Mönchsstande und der falschen Askese gegenüber. Er bestreitet den Werth aller Sonderlichkeiten in Speisen, in Werken u. s. w. Man kann in einer jeden mit Gottes Geboten bestehenden Weise Gott finden. Und haben wir Gott, so schadet der Besitz der irdischen Güter nicht, wir dürfen sie frei gebrauchen. Nur sollen wir in keiner Gabe ruhen, denn Gott gibt keine Gabe, daß man darinnen ruhe, sondern daß er durch sie sich selbst gebe. So kämpfte E. nicht nur gegen die äußerliche Gesetzlichkeit, in welcher das religiöse Leben eines großen Theils seiner Zeitgenossen befangen war, sondern er befreite dasselbe zugleich auch von der priesterlichen Bevormundung. Denn er stellt das Ziel der höchsten Erkenntniß sowie eines vollkommenen Lebens allen Menschen ohne Unterschied und verlangt überall hierfür die eigene Erfahrung, die Bezeugung Gottes im eigenen Geiste. Er macht frei von dem Wahne, „als ob alles Evangelium sei, was die Geistlichen sagen“. Der Laie wird, wie Eckhart’s Schrift „Schwester Katrei von Straßburg“ zeigt, wol auch der Lehrer des „Pfaffen“. Damit aber bahnte Eckhart’s Mystik der fast vergessenen Lehre von dem allgemeinen Priesterthum der Gläubigen wieder den Weg. Mit der Natur dieser Richtung hing es dann auch zusammen, daß er seine Lehren in der Sprache des Volkes vortrug.
So nothwendig nun aber Eckhart’s Kampf gegen die Veräußerlichung des Lebens war, so großartig und weittragend die Ergebnisse seines geistigen Ringens sind, so geht er doch in der Unterschätzung des Aeußerlichen zu weit. Der Realismus der Schrift, die Bedeutung der Geschichte der Offenbarung, des geschichtlichen Lebens der Völker erscheinen nach seiner Lehre zu sehr als das Unwesentliche, Vergängliche, Nichtige; es ist das alles nur ein Durchgangspunkt, ein Mittel, um das Wesentliche zu erreichen und hat keine bleibende Bedeutung. Er bleibt hier unter der Herrschaft der älteren Mystik stehen. Doch das ist ein geringer Mangel gegenüber der Größe seiner Verdienste. E. bleibt eine außerordentliche und in der Geschichte des Geistes Epoche machende Erscheinung. Er ist ohne Frage der tiefste Denker des deutschen Mittelalters, ein Reformator auf dem Gebiete des christlichen Denkens und Lebens, der Begründer einer selbständigen christlichen Philosophie.
- Predigten und Tractate Eckhart’s: Anhang zu Tauler’s Predigten, Basel [626] 1521 (1522); Pfeiffer, Deutsche Mystiker, Bd. II, 1857; Preger in Niedner’s Zeitschr. f. hist. Theologie, 1864, 1866; Sievers, Haupt’s Zeitschr. f. deutsches Alterth., Bd. XV. – Ueber Eckhart: Schmidt, Theol. Studien u. Krit., 1839; Martensen, Meister E., 1842; Schmidt, Mémoires de l’Acad. des sciences mor. et polit. Par. 1847; ders., Herzog’s Real-Encyklopädie f. prot. Theol. u. Kirche, Bd. III, 1855; Groß, De E. philosopho, 1858; Steffensen, Geltzer’s prot. Monatsbl., 1858; Heidrich, Das theologische System Mstr. Eckhart’s, 1864; Bach, Meister E., der Vater der deutschen Speculation, Wien 1864; Preger, Zeitschr. f. hist. Theol., 1864; Böhmer, Giesebrecht’s Damaris, 1865; Lasson, Meister E. der Mystiker. Berlin 1868; Wahl, Studien und Krit., 1868; Preger, Mstr. E. und die Inquisition, 1869; ders., Zeitschr. f. hist. Theol., 1869; ders., Rudelbach’s u. Guericke’s Ztschr. f. luth. Theol., 1870; Jundt, Essai sur le mysticisme spécul de M. E., 1871; Linsenmann, Der eth. Charakter der Lehre M. Eckhart’s, 1873; Preger, Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter, Bd. I., Leipzig 1874.