ADB:Kortzfleisch, Eleonore von
Ewald Christian v. Kleist’s und Ludw. Heinr. Christ. Hölty’s, die stets ihre Lieblingsdichter geblieben sind. Nachweislich schon im 18. Lebensjahre begann sie selbst zu dichten, d. h. nur Gelegenheits- und Gefühlspoesie: sie befriedigte ein inneres Bedürfniß, indem sie bei den verschiedensten Anlässen ihren Empfindungen poetischen Ausdruck gab. Schon früh bot ihr aber auch das politische Leben solche Anlässe; so feierte sie 1769 in einem Gedichte die Zusammenkunft Josephs II. mit Friedrich dem Großen. Sehr productiv war sie in den J. 1770–75, so daß sie, durch ihre Freunde dazu ermuntert, 1776 in der Lage war, unter dem Titel „Poetische Versuche eines adelichen Frauenzimmers an ihre Freunde“, eine Sammlung von 81 Gedichten im Verlage von Chr. Fr. Gutsch in Breslau und Leipzig erscheinen zu lassen. Die meisten derselben sind lyrischen, einige didaktischen, einige geistlichen Inhalts. Einige wenige erzählende Gedichte, so namentlich „Die ungetreue Frau“, verrathen den Einfluß Gellert’s. Die meisten aber sind mit ihren begeisterten Frühlingsschilderungen und den übertriebenen Lobpreisungen des einfachen Bauernlebens ganz im Geiste Kleist’s gehalten, dessen Tod in der Schlacht bei Kunersdorf sie in einem schwungvollen Liede besang. Aus jedem ihrer Gedichte sprechen Reinheit, Weichheit und Innigkeit des Gefühls, hingebende, selbstlose Treue und Liebe für ihre Freunde und Anverwandten, Liebe zur Natur und ein in schönem Enthusiasmus für Tugend und Freundschaft erglühendes Herz. Charakteristisch ist ferner die feste und tiefe Frömmigkeit der Dichterin. In zahlreichen Gedichten bekämpft sie die freigeistige Richtung der Zeit, während sie in politischer Hinsicht in dieser Epoche noch ziemlich freien, bisweilen republikanischen Ideen huldigte, womit sich eine fast abgöttische Verehrung für Friedrich den Großen ganz gut vertrug. Sie war in all diesem ein Kind ihres Jahrhunderts, und auch ein wenig Schwulst und eine sehr große Sentimentalität sind ganz im Geiste der Zeit, in der die Melancholie geradezu Modekrankheit war. Ebenfalls 1776 und in Breslau erschienen zwei dramatische Arbeiten aus ihrer Feder: „Lausus und Lydia, ein Drama in 3 Aufzügen nach den moralischen Erzählungen des Herrn v. Marmontel, verfertigt von einem adelichen Frauenzimmer in Schlesien“ und „Osmann und Bella, ein Drama in 5 Aufzügen von einem Frauenzimmer in Schlesien“, denen schon 1778 die Operette „Wilhelm und Hannchen“ folgte (Exemplare dieser drei dramatischen Arbeiten scheinen nicht mehr vorhanden zu sein). Sehr ergiebig war ihre Muse in den J. 1778 und 79, wo der baierische Erbfolgekrieg ihr [734] Gelegenheit gab, ihrem warmen Patriotismus in verschiedenen Gedichten Ausdruck zu geben. Danach kommt in den Gedichten, deren Entstehungszeit bekannt ist, eine Pause bis zum J. 1786, wo der Tod des großen Königs ihr ein Trauerlied entlockte. In diese Zwischenzeit ist jedenfalls ihre erste Verheirathung zu legen. Ihr Gatte hieß Karl Wilhelm v. Kortzfleisch und gehörte einer am 27. Juli 1731 geadelten ostpreußischen Soldatenfamilie an. Er war seit 1786 Stabsrittmeister und Eskadronschef im braunen Husarenregiment Nr. 6, aber nur wenig bemittelt; die häuslichen Arbeiten ließen deshalb seiner Gattin nur wenig Zeit zur Lectüre und zum Dichten. Als er am 24. Novbr. 1789 mit Aussicht auf Versorgung seinen Abschied genommen hatte und sieben Jahre vergingen, ehe er eine solche erhielt, scheint die häusliche Noth recht groß gewesen zu sein. Wahrscheinlich hing eine Reise nach Berlin, welche Frau v. K. 1791 ausführte, mit der Civilanstellung ihres Gatten zusammen; wenigstens ist ein Gedicht „An den König“ offenbar die Begleitung einer Bittschrift, welcher ein vor Jahren vom Könige ausgestelltes schriftliches Versprechen, daß er ihnen helfen wolle, angeschlossen war. Dieselbe Reise führte die Dichterin auch nach Frankfurt a./O. Hier besang sie den Tod des Herzogs Leopold von Braunschweig, welcher sechs Jahre zuvor beim Versuch zur Rettung eines Menschenlebens in der Oder ertrunken war. Natürlich pilgerte sie auch zum Grabe Ewald v. Kleist’s. Sie hatte auch viel Sinn und Talent für Malerei. In den J. 1792–93 erschienen bei Wilhelm Vieweg in Berlin drei Gedichtsammlungen, aber nicht mehr anonym, sondern unter ihrem vollen Namen; zunächst ein Neuabdruck der poetischen Versuche von 1776 unter dem Titel „Frühere Gedichte“, sodann ein Bändchen „Gedichte“; endlich „Vermischte Aufsätze in Poesie und Prosa für Damen“. Die letzteren beiden Sammlungen enthielten 157 Gedichte, zwei Abhandlungen philosophischen Inhalts und fünf Erzählungen. Die Gedichte zeigen gegen die von 1776 einen Fortschritt in der Formgewandtheit, sind weniger schwülstig und nicht von so ermüdender Länge, wie manche der früheren. Im übrigen aber zeigen sie ganz dieselben Eigenthümlichkeiten, wie jene; sie sind ebenfalls noch ganz im Sinne der Kleist und Hölty und konnten daher zur Zeit Goethe’s und Schiller’s nicht wohl die Beachtung finden, die ihnen 30 oder 40 Jahre früher sicher nicht gefehlt hätte. Es findet sich in keinem Gedichte oder Briefe der Frau K. eine Andeutung, daß Goethe’s Werke auch sie enthusiasmirt hätten. Vielmehr schreibt sie in einem Briefe: „Ich bin nun einmal ein Geschöpf, das wirklich in die itzige Zeit nicht paßt und auch gar nicht gehört“. Sie bezog dies wohl namentlich darauf, daß ihr die Verstellung, dies in dieser Zeit nothwendige Uebel, unbekannt sei; aber es paßt auch auf ihre Dichtungen; Apoll, Pindus und Helicon, Zephyr und Philomele spielen darin eine solche Rolle, wie 50 Jahre früher eben in allen Dichtungen. Die Prosa wußte sie nicht recht zu handhaben; ihre Erzählungen zeigen einen etwas trockenen, moralisirenden Ton; besser sind die Abhandlungen; am hübschesten und frischesten aber sind ihre Briefe. Die Gedichtsammlungen von 1792–93 hatten als Redakteur und Censor den Oberconsistorialrath Diterich in Berlin, mit dessen Tochter die Dichterin eng befreundet war. Zu sehr schönem Ausdruck kommt in vielen Gedichten die tiefe und wahre Frömmigkeit der Verfasserin, während sie doch von pietistischer oder katholisirender Gesinnung ganz frei war. Von ihren freiheitlichen Jugendideen war sie durch die französische Revolution gründlich zurückgebracht; ihre treue, hingebende Anhänglichkeit an das preußische Königshaus kam in vielen Gedichten zum überzeugendsten Ausdruck. Humoristisch zu dichten, hat sie nur einmal, und keineswegs ohne Glück, versucht. Sehr viele, fast die meisten ihrer Gedichte athmen Melancholie und Todessehnsucht. Da diese Hypochondrie schon in ihrer Mädchenzeit völlig ausgebildet [735] war und ihr oft von Freunden als krankhaft und unbegründet vorgeworfen wurde, so kann sie nicht wohl als Beweis gelten, daß ihre Ehe sich unglücklich gestaltet hätte. Einiges spricht zwar für diese Annahme; sie selbst aber umgab ihren Trübsinn absichtlich mit dem Schleier des Geheimnisses. Ihre kinderlose erste Ehe löste 1805 der Tod ihres Gemahls, der seit 1797 als Postmeister in Ratibor fungirte, während sie zu Breslau lebte. „Die Ursachen meines Trübsinns“, schrieb sie, „sind so fest und verwickelt in mein Schicksal eingewebt, daß ich nur eine Freundin in der Welt habe, die den ganzen Faden im Zusammenhange kennt“. Sagt dieser Brief eigentlich gar nichts, und ist auch eine Klage in einem Gedichte, wonach sie sich in ihrem Wirkungskreise allein wisse und sich mißtrauisch in sich selbst verschließen müsse, ziemlich vieldeutig, so spricht doch der Umstand, daß sie nachweislich 1797, 1801 und 1804 in Breslau wohnte, während ihr Gatte 1797 Postmeister zu Ratibor wurde und in dieser Stellung am 12. Januar 1805 daselbst starb, sehr dafür, daß die Ehe sich in der That nicht glücklich gestaltet hatte. Ihre dichterische Thätigkeit scheint in Breslau ziemlich geruht zu haben; dagegen beschäftigte sie sich mit der Malerei. Sie nahm beim Maler Felder, und nach dessen Tode bei Ferguson Stunden im Oelmalen. Ihr gelungenster Versuch ist eine Opferpriesterin nach Mad. Theerbusch. Auch mit Landschaften gab sie sich ab und scheint auch hierzu Talent gehabt zu haben. Ihr Biograph Schummel urtheilt von ihr: es hätte leicht bei gehöriger Bildung eine Meisterin in mehr als einem Fache aus ihr werden können; doch klagt er auch, unbekümmerter um die Kinder seines Geistes könne man nicht sein, als K. war. Sie betrieb sowol das Dichten, wie das Malen nicht als Beruf, sondern nur weil und soweit es ihr Freude bereitete. Der Beginn der politisch bewegten Zeit im J. 1806 gab ihrem Leben sofort eine andere Richtung. Gerade mit Ausbruch des Krieges unternahm sie eine Reise nach Göttingen, welche sie mitten durch den Kriegsschauplatz führte. Am 15. October war sie in Mühlhausen und sah hier die ersten Verwundeten aus der am Tage vorher geschlagenen Schlacht bei Jena und Auerstädt. Im November traf sie in Göttingen ein, von hier rief sie die Nachricht vom Tode ihrer Freundin Johanna Friederike v. Titzenhofer geb. v. Unruh nach Breslau zurück. Im December kam sie über Halle wieder dort an und regelte die Hinterlassenschaft ihrer Freundin. Diese Reise in dieser Zeit war ein Wendepunkt ihres Lebens, wie nicht nur aus ihrem interessanten Tagebuche, sondern auch aus dem veränderten Ton ihrer Briefe und Gedichte hervorgeht. In diesen schweren Tagen streifte sie die Sentimentalität ab und widmete sich nur noch dem Vaterlande. Alles, was wir von jetzt ab noch aus ihrer Feder besitzen, ist patriotischen Inhaltes. Ihr ganzes Leben war nur noch dem Vaterlande geweiht. Schon am 3. August 1807, unmittelbar nach dem Tilsiter Frieden, bethätigte sie durch die Veranstaltung einer großartigen Königsgeburtstagsfeier in Hohenfriedberg, dem Gute ihres Vetters Karl Friedrich Frhr. v. Seherr und Thoß, ihr neues Bestreben. 1808 vermählte K. sich von neuem und zwar mit dem ältesten Sohne ihrer ebengenannten Freundin, Friedrich Wilhelm, der seit 1805 als Kapitän in Inactivität getreten war. Er zog mit seiner Gattin nach Glatz, wo dieselbe keinen Geburtstag des Königs (3. August) oder der Königin Luise (10. März) vorübergehen ließ, ohne in einem Gedicht zur Treue und Hoffnung auf die Zukunft zu mahnen. Im Frühjahr 1810 kam Titzenhofer, obwol inactiv, zu der unter Scharnhorst’s Leitung in Berlin gegründeten allgemeinen Kriegsschule, und auch hier setzte K. ihr patriotisches Wirken in Wort und That fort. Unermüdlich mahnte sie in Gedichten und Aufsätzen zur Arbeit fürs Vaterland und zur Treue und Liebe zum Königshause; den Gattinnen und Müttern hielt sie das Bild der unvergeßkichen Königin Luise vor und forderte [736] sie in begeisterter Sprache auf, an Liebe, Treue, deutschem Hochsinn und deutschem Muth ihr nachzueifern und ihre Söhne zu deutschen Männern und Streitern fürs Vaterland zu erziehen; einen Bekannten, den Oberst v. Boguslawski, suchte sie zur Verfassung eines „homerischen“ Gedichtes über die preußischen Großthaten zur Anstachelung des Muthes zu bewegen, was Anlaß zu einem sehr hübschen poetischen Briefwechsel zwischen beiden gab; sie selbst überwies den Ertrag einer 1811 bei Braunes in Berlin und Breslau erschienenen Sammlung „Vermischte Schriften“ dem Friedrichsstift zum Besten von Soldatenwaisen. Die Sammlung enthält nur patriotische Lieder und Aufsätze, Erzählungen tapferer Thaten aus dem Kriege 1806–7 und Tagebuchauszüge und ist ihrer speziellen Gönnerin, der Prinzessin Wilhelm von Preußen, zugeeignet. Für die preußische Heeresreorganisation zeigte sie das größte Interesse und berichtete darüber in sehr interessanten Briefen an einen in Homburg wohnenden Schwager. In diesem Leben fühlte sie sich glücklich, obwol sie den Rest ihres kleinen Vermögens in Schlesien im Proceß hatte. Kein „Gram“ und „Kummer“ quälte sie mehr; „so geht es Tausenden“, schrieb sie, „man muß der Gegenwart leben, gar nicht in die Zukunft denken und froh sein, daß man noch nicht hungert“. Kapitän v. Titzenhofer kam im Frühjahr 1812 als Platzmajor nach Graudenz, wohin sie demnächst folgte. Den Untergang der großen Armee in Rußland feierte sie in einem Gedichte vom 15. Decbr. 1812 als die Einleitung einer neuen, besseren Zeit. „Gott!“ hieß es da, „Du lüftest schon erzwungne Bande; schleudre sie herab“ etc. Die zurückkehrenden Franzosen schleppten ein pestartiges Fieber aus Rußland ein, an welchem ihr Gemahl am 1. Febr. 1813 zu Graudenz verstarb. Die Wittwe leistete an seinem Sarge, obwol selbst von dem Fieber ergriffen, das Gelübde, die Pflege der Verwundeten das angelegentlichste Geschäft ihres noch übrigen Lebens bleiben zu lassen. Sie hat ihren Schwur redlich gehalten; denn sie wurde eines der thätigsten Mitglieder des segensreichen, unter dem Protectorat der Prinzessin Wilhelm von Preußen stehenden vaterländischen Frauenvereins. Was sie jetzt noch dichtete, athmet nichts als Patriotismus und glühenden Haß gegen den „Weltverwüster“ Napoleon. Neun solcher Gedichte sind dem im J. 1816 bei Graß, Barth & Co. in Jauer im Druck erschienenen Drama „Das Landwehrkreuz in der Schlacht an der Katzbach“ beigedruckt, dessen recht günstig ausgefallener Ertrag verwundeten Kriegern zu gute kam. In Graudenz blieb Frau v. T. nicht lange wohnen; 1814 lebte sie bei ihrer Schwester Henriette, verehel. v. Seherr und Thoß in Olbersdorf bei Reichenbach; auch hielt sie sich in diesem Jahre einige Tage in Berlin auf, um einen aus Frankreich zurückgekehrten erkrankten Neffen zu pflegen und nach Olbersdorf zu bringen. Sie war in Berlin Gegenstand vieler Aufmerksamkeiten, auch seitens des Hofes, und am 16. Januar 1816 belohnte die Verleihung des Luisenordens ihr patriotisches Wirken. Später siedelte die alte Dame von Olbersdorf nach Breslau über, wo sie zurückgezogen ihr Leben beschloß. Am 18. Juni 1823 starb sie daselbst im Alter von 73 Jahren 5 Monaten.
Kortzfleisch: Sophie Eleonore Helene v. K., geborene v. Wundsch, gen. Ratzbar, nachmalige Titz von Titzenhofer, namhafte Dichterin und hervorragende Patriotin aus der Unglückszeit Preußens, stammte aus einer schlesischen Familie, die eigentlich Buntsch gen. Ratzbar hieß, sich aber später v. Wuntsch oder v. Wundsch nannte, meist ohne den Zunamen. Sie war als älteste Tochter des kursächsischen und polnischen Majors Georg Ernst v. Wundsch auf Groß-Jännowitz bei Liegnitz, und dessen Gattin Anna Eleonore geb. Freiin v. Seherr und Thoß am 27. Decbr. 1749 zu Groß-Jännowitz geboren. Ihre Kindheit fiel in die Zeit des siebenjährigen Krieges, unter dem ihr Vater sehr zu leiden hatte, namentlich 1761 durch die Russen. Sehr früh zeigte K. Talent und Neigung zur Poesie. Vom Mechanismus derselben brachte ihr ein Hauslehrer von vielseitigen Kenntnissen, der aber doch kein Dichter war, einiges bei. Ihre Mutter, die nur für Häuslichkeit und Wirthschaft Sinn hatte, trat diesen ihren Neigungen nach Kräften entgegen. Sie aber setzte ihre Bestrebungen heimlich fort und begeisterte sich an den Dichtungen- v. Schindel, Die deutschen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1825. – Schummel’s Breslauer Almanach für den Anfang des 19. Jahrhunderts, Breslau 1801. – Meusel, Gelehrtes Deutschland, 1796. – Journal von und für Deutschland, 1788. – Allgemeiner Litterarischer Anzeiger, 1798. – H. Groß, Deutsche Schriftstellerinnen und Dichterinnen im Jahresbericht 1880 des Triester Gymnasiums. – G. v. Kortzfleisch, Geschichte der Familie v. Kortzfleisch, Berlin 1881.